STh Kirchengeschichte 2020 nachgereichte Fragen zur ......Die scholastische Theologie des hohen und...

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STh Kirchengeschichte 2020 nachgereichte Fragen zur Woche vom 20. April Liebe Studierende Gestern Samstag haben mich nachträglich folgende Fragen zum Wochenstoff erreicht. Auch sie sind interessant und verdienen eine Antwort J Frage 1 Ist die Etablierung der Inquisition durch die Verfolgung der Katharer entstanden? Kann das so ausgedrückt werden? Im Inquisitionsprozess fliessen im 13. Jahrhundert zwei unterschiedliche Entwicklungen ineinander: zum einen ein innerkirchliches Disziplinarverfahren, das bisher gegen renitente Äbte, Bischöfe und Kleriker angewendet wurde, zum anderen der Kampf gegen sich verbreitende «häretische» Strömun- gen. Bis zur Zeit Innozenz’ III. (1198-1216) bezeichnete Inquisition nur das erste: Ein möglichst ge- rechtes Verfahren mit Anklage, Beweisführung und Verteidigungsrecht hatte Missstände im Klerus zu untersuchen (inquirere > Inquisition) und Kleriker wieder zur Ordnung zu rufen. Das Verfahren war Bischöfen und bei Anklagen gegen diese der höheren Hierarchie (Metropoliten, Papst) anvertraut. Indem Innozenz III. (1198-1216) Häresie und Ketzerei zur Majestätsbeleidigung erklärte, leitete er eine neue Entwicklung ein. Tatsächlich trug die schnelle Expansion der Katharer und Waldenser zu dieser Wende bei. Bischöfe hatten zu ermitteln, die Pfarreien zu besuchen, Ketzerei aufzuspüren und renitente Häretiker dem weltlichen Arm zu übergeben. Gregor IX. (1227-1241) setzte päpstliche In- quisitoren ein, da ihm viele Bischöfe zu nachlässig schienen. Fortan entfaltete sich die päpstliche In- quisition. Unter Innozenz III. wurden Ketzer noch exkommuniziert und enteignet. Kaiser Friedrich II. verschärfte als oberster weltlicher Arm die Sanktionen: Verstockten Ketzern = Majestätsbeleidigern drohte ab 1224 der Scheiterhaufen oder das Herausschneiden der Zunge. Gregor IX. entsandte ab 1227 päpstliche Inquisitoren (berüchtigt wird Konrad von Marburg in Deutschland) und setzte ab 1231 auf Dominikaner und Franziskaner als qualifizierte Inquisitoren. Sie hatten zunächst in Süd- frankreich und Oberitalien nach Ende des Albigenserkreuzzugs (1229) zerstreute Katharer und Wal- denser aufzuspüren. Basis für Verurteilungen waren Geständnis, mehrere Zeugenaussagen und Indi- zienbeweise. Erst Mitte 13. Jh. kam bei Kapitalverbrechen auch Folter zum Zuge, wobei Juristen dafür auf das altrömische Recht zurückgriffen. Im spätmittelalterlichen Hexenprozessen nahm das Verfah- ren summarische Formen an. Die Rechte der Angeklagten wurden dabei zunehmend eingeschränkt. Frage 2 Meiner Meinung nach passt Aristoteles nicht zu Thomas von Aquin. sowie Platon nicht zu den Franziskaner. (Nach meinem Gefühl wäre es umgekehrt) Franziskus war ja sehr spirituell und hat ja z.B. mit Tieren gesprochen. Was übersehe ich? Die scholastische Theologie des hohen und späten Mittelalters lässt sich von der Wiederentdeckung der griechischen Philosophie beflügeln. Plato war noch aus dem Frühmittelalter bekannt, Aristoteles wurde auf dem Umweg über arabische Kommentatoren und Übersetzungen neu entdeckt. Dabei führte dessen «Metaphysik» zu neuen Leseschlüsseln der Anthropologie und Theologie, die «Phy- sika» inspirierte die Naturwissenschaften. Thomas von Aquin setzt als der prägende Dominikanerge- lehrte entschieden auf Aristoteles – auch mit verheerenden Folgen für Theologie und Kirche (so übernimmt er vom Griechen die Sicht der Frau als «defizitärem Mann»). Bonaventura verbindet Aris- toteles mit Plato, ohne jedoch die Welt deswegen «platonisch» zu entwerten. Franziskus war zum Glück kein Theologe, sondern ein Laienjünger Jesu, Mystiker und Dichter J

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STh Kirchengeschichte 2020 nachgereichte Fragen zur

Woche vom 20. April Liebe Studierende

Gestern Samstag haben mich nachträglich folgende Fragen zum Wochenstoff erreicht. Auch sie sind interessant und verdienen eine Antwort J Frage 1 Ist die Etablierung der Inquisition durch die Verfolgung der Katharer entstanden?

Kann das so ausgedrückt werden? Im Inquisitionsprozess fliessen im 13. Jahrhundert zwei unterschiedliche Entwicklungen ineinander: zum einen ein innerkirchliches Disziplinarverfahren, das bisher gegen renitente Äbte, Bischöfe und Kleriker angewendet wurde, zum anderen der Kampf gegen sich verbreitende «häretische» Strömun-gen. Bis zur Zeit Innozenz’ III. (1198-1216) bezeichnete Inquisition nur das erste: Ein möglichst ge-rechtes Verfahren mit Anklage, Beweisführung und Verteidigungsrecht hatte Missstände im Klerus zu untersuchen (inquirere > Inquisition) und Kleriker wieder zur Ordnung zu rufen. Das Verfahren war Bischöfen und bei Anklagen gegen diese der höheren Hierarchie (Metropoliten, Papst) anvertraut. Indem Innozenz III. (1198-1216) Häresie und Ketzerei zur Majestätsbeleidigung erklärte, leitete er eine neue Entwicklung ein. Tatsächlich trug die schnelle Expansion der Katharer und Waldenser zu dieser Wende bei. Bischöfe hatten zu ermitteln, die Pfarreien zu besuchen, Ketzerei aufzuspüren und renitente Häretiker dem weltlichen Arm zu übergeben. Gregor IX. (1227-1241) setzte päpstliche In-quisitoren ein, da ihm viele Bischöfe zu nachlässig schienen. Fortan entfaltete sich die päpstliche In-quisition. Unter Innozenz III. wurden Ketzer noch exkommuniziert und enteignet. Kaiser Friedrich II. verschärfte als oberster weltlicher Arm die Sanktionen: Verstockten Ketzern = Majestätsbeleidigern drohte ab 1224 der Scheiterhaufen oder das Herausschneiden der Zunge. Gregor IX. entsandte ab 1227 päpstliche Inquisitoren (berüchtigt wird Konrad von Marburg in Deutschland) und setzte ab 1231 auf Dominikaner und Franziskaner als qualifizierte Inquisitoren. Sie hatten zunächst in Süd-frankreich und Oberitalien nach Ende des Albigenserkreuzzugs (1229) zerstreute Katharer und Wal-denser aufzuspüren. Basis für Verurteilungen waren Geständnis, mehrere Zeugenaussagen und Indi-zienbeweise. Erst Mitte 13. Jh. kam bei Kapitalverbrechen auch Folter zum Zuge, wobei Juristen dafür auf das altrömische Recht zurückgriffen. Im spätmittelalterlichen Hexenprozessen nahm das Verfah-ren summarische Formen an. Die Rechte der Angeklagten wurden dabei zunehmend eingeschränkt. Frage 2 Meiner Meinung nach passt Aristoteles nicht zu Thomas von Aquin.

sowie Platon nicht zu den Franziskaner. (Nach meinem Gefühl wäre es umgekehrt) Franziskus war ja sehr spirituell und hat ja z.B. mit Tieren gesprochen. Was übersehe ich?

Die scholastische Theologie des hohen und späten Mittelalters lässt sich von der Wiederentdeckung der griechischen Philosophie beflügeln. Plato war noch aus dem Frühmittelalter bekannt, Aristoteles wurde auf dem Umweg über arabische Kommentatoren und Übersetzungen neu entdeckt. Dabei führte dessen «Metaphysik» zu neuen Leseschlüsseln der Anthropologie und Theologie, die «Phy-sika» inspirierte die Naturwissenschaften. Thomas von Aquin setzt als der prägende Dominikanerge-lehrte entschieden auf Aristoteles – auch mit verheerenden Folgen für Theologie und Kirche (so übernimmt er vom Griechen die Sicht der Frau als «defizitärem Mann»). Bonaventura verbindet Aris-toteles mit Plato, ohne jedoch die Welt deswegen «platonisch» zu entwerten. Franziskus war zum Glück kein Theologe, sondern ein Laienjünger Jesu, Mystiker und Dichter J

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Frage 3 Warum entwickelte sich gerade in England so nah zwei Universitäten, Oxford und Cambridge)? Der Papst (laut Lektüre) bevorzugte Paris als Universität.

Universitäten entstehen oft parallel und in langwierigen Entwicklungen aus meist bischöflichen Schu-len. Italien hat ein dichtes Netz von Bistümern, geht im Neuerwachen der Stadtkultur voran und hat entsprechend im Mittelalter auch die grösste Universitätsdichte. So kommt Norditalien bereits im frühen 13. Jahrhundert zu den Universitäten von Bologna (vor 1180), Vicenza (1204), Padua (1222), Vercelli (1228), Piacenza (1248), im nächsten Jahrhundert gefolgt von Treviso, Verona, Cremona, Pa-via, Ferrara, Torino und Mantova, während weiter südlich Salerno ins 12. Jahrhundert zurückgeht (Uni ab 1231) und nach 1200 auch Universitäten in Neapel (1224) und Perugia (1308) sowie in der Toskana gleich in allen wichtigen Städten entstanden: Arezzo (1215, von kurzer Dauer), Pisa (1343), Florenz (1349), Siena (1357) und Lucca (1369, nur kurz).

In England etabliert sich Oxford bereits im 12. Jahrhundert – parallel zu Europas «ältesten» Universi-täten von Bologna und Paris. Meines Wissens entsteht Cambridge, knapp 80 Meilen entfernt, 1209 durch eine Abspaltung von Oxford und infolge eines Exodus von Professoren.

Der Papst wollte keine Universität in Rom, wo es ab 1244 nur ein Studium Curiae gab. Er setzte auf Paris, weil sich hier bereits eine führende frühscholastische Theologie an Kanonikerschulen ausgebil-det hatte (Abälard, Petrus Lombardus, und spirituell gefärbt die Viktoriner). Päpstliche und königliche Privilegien förderten die Profilierung einer theologisch-philosophischen Elite. Dominikaner und Fran-ziskaner gründeten ihre ersten universitären Konvente im Umfeld der Sorbonne: hier erreichte die Internationalität sowohl der Studenten wie der Professoren schon früh die höchste Dichte des Abendlandes. So konnten beispielsweise alle Provinzen der Dominikaner und der Franziskaner je zwei Studenten ans Generalstudium von Paris entsenden: eine Chance, die nur die brillantesten Köpfe je-der Provinz in Europa erhielten. Frage 4 Wie kam es dazu, dass Papst Innozenz III. Lehnherr von Portugal, Aragon,

Leon und England, Dänemark, Polen und Ungarn war? Was war das Zeichen, wenn ein König päpstlich anerkannt wurde? Ein Ring? Ein Dokument?

Innozenz III. war nicht nur ein brillanter Jurist, sondern auch ein gerissener Politiker. Er ist der erste Papst, der den Titel «vicarius Christi» (Stellvertreter Christi) allein auf sein Amt bezog. Zuvor galt das für denen Bischof, in der Väterzeit sogar für jede und jeden Getauften. Seine Lehre, dass Christus alle Macht dem Papst als Nachfolger Petri übertragen hätte (dem die zwei Schwerter der Passionserzäh-lung nun vereint zugeschrieben wurden) und dieser die geistliche Macht über alle Bischöfe erhaben selber führte und die weltliche Macht den Fürsten verlieh, machte ihn in seiner eigenen Wahrneh-mung zum irdischen Herrn über alle weltlichen Herrn. Die Lehnshoheit über einzelne Länder er-reichte er auf sehr unterschiedliche Weise. So exkommunizierte er den englischen König Johann Oh-neland wegen seiner Eingriffe in die englische Kirche und entband alle Fürsten der Insel von ihrem Lehns- und Treueid an den König. Ein Exkommunizierter galt als Kandidat für die Hölle, und wer ihm weiterhin folgte, verscherzte das eigene Heil. Die ganze Adelspyramide im englischen Königreich war nun ohne Kopf – und Innozenz III. stellte sich kraft seiner geistlichen wie weltlichen Allgewalt an die Stelle des Königs. Als dieser zu Kreuze kroch, liess sich Innozenz III. die Lehnshoheit vom König bestä-tigen, bevor er ihn vom Kirchenbann befreite und wieder als König «einsetzte». Im Fall des Kaisers fand der Papst einen anderen Weg. Da beim Tod Heinrichs VI. sein Sohn Friedrich II. erst 4-jährig war, übernahm Innozenz III. dessen Vormundschaft, setzte bei der Doppelkönigwahl durch die deutschen Fürsten gegen Philipp von Schwaben auf den Welfen Otto IV. von Braunschweig, krönte diesen, liess ihn jedoch bald fallen und baute anstelle des ermordeten Staufers Philipp von Schwaben dessen Ver-wandten und sein «Mündel» Friedrich II. auf. Dieser wurde denn auch u.a. gegen ein Kreuzzugsver-sprechen vom Papst gekrönt. Lehnshoheit über den Kaiser gelang nicht: Innozenz III. fand da andere Wege. Die Abhängigkeit spiegelt und definiert sich in «Bullen», feierlichen päpstlichen Schreiben. Das waren sehr spezifische Fragen: für Freaks! Sind sie einigermassen beantwortet?

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Karte zu den Universitäten Europas im Mittelalter