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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

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Klaus Schon

Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

Grundlagen – Messgeräte – Messverfahren

1 C

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Dr. Klaus Schon, vormalsPhysikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)AG 2.32 Bundesallee 100D-38116 [email protected]

ISBN 978-3-642-13116-5 e-ISBN 978-3-642-13117-2DOI 10.1007/978-3-642-13117-2Springer Heidelberg Dordrecht London New York

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Vorwort

Jedes Fachbuch hat auf Grund ständiger Neuentdeckungen, Weiterentwicklungen in der Geräteausstattung und Veränderungen im Umfeld nur eine endliche Aktua-lität. Während meiner beruflichen Tätigkeit hatte ich den großen Vorteil, mich auf aktuelle Fachbücher der Hochspannungstechnik im Allgemeinen und der Mess-technik im Besonderen stützen zu können. Ein großer Teil davon ist vor mehr als zwei Jahrzehnten erschienen und inzwischen nicht mehr im Handel erhältlich. Ich habe mir daher die Aufgabe gestellt, meine in Jahrzehnten gewonnenen Erfahrun-gen im Bereich der Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik in dem vorliegen-den Fachbuch zu veröffentlichen. Damit ist die Absicht verbunden, die heute noch aktuellen Grundlagen, wie sie in älteren Lehrbüchern dargestellt und heute noch gültig sind, zu übernehmen und mit den neueren Entwicklungen in der gerätetech-nischen Ausstattung, bei den Prüfnormen, bei der Kalibrierung der Messeinrich-tungen und bei der Datenauswertung zu verbinden. Die Stoßspannungs- und Stoß-strommesstechnik wird – neben der Teilentladungsmesstechnik – allgemein als wichtiger Baustein für die sichere Übertragung elektrischer Energie auf Hoch-spannungspotential angesehen. Sie stellt darüber hinaus hohe Anforderungen an den im Prüffeld mit den Messungen betrauten Ingenieur und Techniker. Außer bei der elektrischen Energieübertragung treten hohe impulsförmige Spannungen und Ströme auch in anderen Bereichen von Physik und Technik auf, in denen sie für viele Anwendungen genutzt werden. Stichworte hierzu sind Plasmaphysik, Leis-tungselektronik, Medizintechnik, Punktschweißtechnik, elektronische Zündanla-gen für Verbrennungsmotoren, Elektroimpulswaffen und elektromagnetische Ver-träglichkeit. Auch in diesen Bereichen kommt der Impulsmesstechnik eine besondere Bedeutung zu, entweder um eine Über- oder Unterbeanspruchung des Prüflings zu vermeiden oder um die Qualität der Anwendung zu gewährleisten.

Zunächst ist festzustellen, dass sich im Bereich der Energietechnik das interna-tionale Prüf- und Messwesen, nicht zuletzt aufgrund der globalisierten Marktwirt-schaft, immer stärker auswirkt. Dies betrifft zum einen die nationalen und interna-tionalen Prüfvorschriften, die die Impulsparameter und die grundsätzlichen Mess- und Auswerteverfahren festlegen, und zum anderen das weltweite Netz aus Prüf- und Kalibrierlaboratorien, die nach international vereinbarten Regeln akkreditiert sind und deren Prüf- und Messergebnisse gegenseitig anerkannt werden. Das vor-liegende Buch ist nicht als Kopie von Vorschriften gedacht, die sich im Laufe der Zeit ständig geändert haben und erfahrungsgemäß auch zukünftig ändern werden. Gleichwohl wird auf einige Kernpunkte und die Hintergründe eingegangen, insbe-sondere auf Änderungen in den neuen bzw. revidierten „horizontalen“ IEC-Prüfvorschriften für die Stoßspannungs- und Stoßstromprüftechnik einschließlich der Bestimmung von Messunsicherheiten bei Prüfungen und Kalibrierungen. Ab Ende 2010 werden die IEC-Publikationen als harmonisierte Fassungen ins europä-ische und nationale Normenwerk übernommen. Die Einführung der digitalen

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vi Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

Messtechnik und die in zwei Jahrzehnten enorm verbesserten Eigenschaften von Digitalrecordern und Tischrechnern (PC) erlauben den weitestgehenden Einsatz von Software mit numerischen Rechenverfahren, nicht nur zur Auswertung der aufgezeichneten Zeitverläufe, sondern auch zur Filterung der Daten oder gar zur Beurteilung des dynamischen Verhaltens von Spannungsteilern und Stromsenso-ren mit Hilfe der Faltung.

Zum Verständnis des Inhalts werden beim Leser Grundkenntnisse der allge-meinen Hochspannungstechnik vorausgesetzt. Während in Europa die Messein-richtungen sowie die Prüf- und Messtechniken auf die maximale Spannungsebene von 400 kV zugeschnitten sind, werden in anderen Teilen der Welt mehr als dop-pelt so hohe Übertragungsspannungen zur Überbrückung großer Entfernungen zwischen den Energieerzeugern und Verbrauchern benötigt. Aufgrund der enor-men wirtschaftlichen Entwicklung im asiatischen Raum sind Spannungen von mehr als 1000 kV für die Drehstromübertragung und 800 kV für die Gleichstrom-übertragung in der Diskussion. In diesem Zusammenhang wird auch hinterfragt, ob sich die bewährten Messeinrichtungen und Prüftechniken ohne weiteres auf die höheren Spannungen anwenden lassen. Auf dem Gebiet der Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik existiert seit rund einem Jahrhundert eine zunehmende An-zahl von Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Konferenzbänden. Als Kompromiss sind vorwiegend die Literaturstellen der letzten drei Jahrzehnte in das vorliegende Buch aufgenommen worden. Der historisch interessierte Leser wird frühere Literaturstellen in den älteren Fachbüchern, die im ersten Kapitel des Buches zitiert sind, finden. Dem Leser bieten sich darüber hinaus die vielfältigen Möglichkeiten der Recherche im Internet.

Bei der Danksagung möchte ich an vorderster Stelle Herrn Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. h. c. Dieter Kind nennen, Professor an der TU Braunschweig und ehemaliger Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig und Berlin (PTB). Er hat meinen beruflichen Werdegang im Hochspannungslaboratorium der PTB stark beeinflusst und gefördert, mich in vielen kleinen und großen Angele-genheiten unterstützt und mich in die internationale Gemeinschaft der Hochspan-nungsfachleute eingeführt. Auch bedanke ich mich für sein freundliches Interesse an dem Buchmanuskript und der Durchsicht des ersten Entwurfs. Mein herzlicher Dank gebührt weiterhin den Studenten, die mich im Rahmen ihrer Diplomarbeiten oder praktischen Ausbildung hilfreich unterstützt haben. Dank sagen möchte ich auch den vielen Fachkollegen im In- und Ausland, die in zahlreichen Gesprächen und Diskussionen, sei es in der PTB, in den Arbeitsgremien von CIGRE, IEC und DKE oder auf Sitzungen und Konferenzen, zur Erweiterung und Vertiefung mei-nes Kenntnisstandes beigetragen haben. Mein Dank gilt auch der PTB-Bildstelle und den Firmen, die durch Bereitstellung von Fotos zur Illustration des Buches beigetragen haben.

Braunschweig, im Sommer 2010

Klaus Schon

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung ......................................................................................................... 11 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen 3

1.1 Parameter von Stoßspannungen .............................................................. 3 1.1.1 Blitzstoßspannung............................................................................ 4 1.1.2 Schaltstoßspannung ....................................................................... 13 1.1.3 Schwingende Stoßspannungen bei Vor-Ort-Prüfungen ................. 15 1.1.4 Steilstoßspannung .......................................................................... 16

1.2 Parameter von Stoßströmen .................................................................. 17 1.2.1 Exponential-Stoßstrom .................................................................. 18 1.2.2 Rechteck-Stoßstrom....................................................................... 19 1.2.3 Kurzschlusswechselstrom.............................................................. 20

1.3 Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen ............................... 22 1.3.1 Generatoren für Blitz- und Schaltstoßspannungen ........................ 22 1.3.2 Erzeugung von abgeschnittenen Stoßspannungen ......................... 28 1.3.3 Erzeugung von Steilstoßspannungen ............................................. 29 1.3.4 Generatoren für Exponential-Stoßströme ...................................... 30 1.3.5 Erzeugung von Rechteck-Stoßströmen.......................................... 34 1.3.6 Erzeugung von Kurzschlusswechselströmen ................................. 35

Literatur zu Kapitel 1 .................................................................................. 36 2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich ...................... 39

2.1 Analytische Darstellung von Stoßspannungen...................................... 39 2.2 Spektrum von Stoßspannungen ............................................................. 46 2.3 Analytische Darstellung von Stoßströmen ............................................ 49 2.4 Spektrum von Exponential-Stoßströmen............................................... 53 2.5 Analytische Darstellung von Kurzschlusswechselströmen ................... 54

3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung ........................... 573.1 Sprungantwort eines Systems und Faltungsintegral .............................. 58 3.2 Fourier-Transformation und Übertragungsfunktion.............................. 61 3.3 Laplace-Transformation ........................................................................ 64 3.4 Eigenschaften von RC- und RLC-Gliedern........................................... 66

3.4.1 Sprungantwort von Tiefpass und Schwingkreis............................. 66 3.4.2 Übertragungsfunktion von Tiefpass und Schwingkreis ................. 69

3.5 Antwortzeit, Anstiegszeit und Bandbreite............................................. 71 3.6 Beispiele für die Faltung ....................................................................... 73

3.6.1 Keilstoßspannung auf RC-Glied.................................................... 73 3.6.2 Keilstoßspannung auf RLC-Glied.................................................. 76 3.6.3 Stoßspannung auf RC-Glied .......................................................... 78 3.6.4 Antwortfehler und Fehlerdiagramm .............................................. 79

3.7 Experimentelle Sprungantwort.............................................................. 83 3.7.1 Auswertung der experimentellen Sprungantwort........................... 83

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3.7.2 Antwortparameter der Sprungantwort ...........................................85 3.7.3 Messschaltungen für die Sprungantwort........................................87 3.7.4 Erzeugung von Sprungspannungen................................................89

3.8 Ergänzende Betrachtungen zum Übertragungsverhalten.......................92 Literatur zu Kapitel 3...................................................................................96

4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator ............................994.1 Aufbau und Eigenschaften von Digitalrecordern ................................100 4.2 Fehlerquellen bei der Signalaufzeichnung ..........................................106

4.2.1 Ideale Digitalisierung...................................................................107 4.2.2 Digitalrecorder mit realem AD-Wandler .....................................109 4.2.3 Weitere Fehlerquellen..................................................................115

4.3 Software zur Datenauswertung............................................................117 4.4 Stoßvoltmeter ......................................................................................118 4.5 Impulskalibrator ..................................................................................119 Literatur zu Kapitel 4.................................................................................121

5 Messung von Stoßspannungen.................................................................1255.1 Messsystem mit Stoßspannungsteiler..................................................125

5.1.1 Übertragungsverhalten von Stoßspannungsteilern.......................132 5.1.2 Ohmscher Stoßspannungsteiler....................................................138 5.1.3 Kapazitiver Stoßspannungsteiler..................................................147 5.1.4 Gedämpft kapazitiver Stoßspannungsteiler..................................151 5.1.5 Ohmsch-kapazitiv gemischter Spannungsteiler ...........................161

5.2 Kugelfunkenstrecke.............................................................................163 5.3 Kapazitiver Feldsensor ........................................................................165

5.3.1 Prinzip des kapazitiven Feldsensors .......................................166 5.3.2 Feldsensor für Linearitätsnachweis von Spannungsteilern ..........168 5.3.3 Dreidimensionaler Feldsensor......................................................169

5.4 Elektrooptischer Sensor.......................................................................170 5.4.1 Pockels-Effekt..............................................................................170 5.4.2 Kerr-Effekt...................................................................................174

Literatur zu Kapitel 5.................................................................................175 6 Messung von Stoßströmen .......................................................................179

6.1 Messsystem mit niederohmigem Messwiderstand ..............................179 6.1.1 Induktivitäten eines niederohmigen Widerstandes ......................183 6.1.2 Aufbau koaxialer Messwiderstände .............................................186 6.1.3 Stromverdrängung (Skineffekt) ...................................................188 6.1.4 Kettenleiterersatzschaltbild..........................................................192 6.1.5 Experimentelle Sprungantwort von Messwiderständen...............193 6.1.6 Besondere Bauformen..................................................................194 6.1.7 Grenzlastintegral..........................................................................196

6.2 Strommessspulen nach dem Induktionsprinzip ...................................198 6.2.1 Rogowski-Spule...........................................................................204 6.2.2 Strommessspule mit Magnetkern.................................................209 6.2.3 Gleichstromwandler.....................................................................211

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Inhaltsverzeichnis ix

6.2.4 Magnetfeldsensor......................................................................... 212 6.3 Stromsensor mit Hall-Sonde ............................................................... 213 6.4 Magnetooptischer Sensor .................................................................... 217 Literatur zu Kapitel 6 ................................................................................ 220

7 Kalibrierung der Messsysteme ................................................................ 2237.1 Allgemeines zur Kalibrierung und Rückführung ................................ 224 7.2 Vergleich mit einem Referenzsystem bei Stoßspannung .................... 226

7.2.1 Prinzip der Vergleichsmessung ................................................... 227 7.2.2 Festgesetzter Maßstabsfaktor....................................................... 230 7.2.3 Alternativen für den Linearitätsnachweis .................................... 232 7.2.4 Messung der Zeitparameter ......................................................... 233 7.2.5 Dynamisches Verhalten ............................................................... 234

7.3 Alternative Kalibrierung von Stoßspannungsmesssystemen............... 236 7.3.1 Kalibrierung bei Niederspannung................................................ 237 7.3.2 Auswertung der Sprungantwort ................................................... 238 7.3.3 Einfluss benachbarter Objekte (Näheeffekt)................................ 239 7.3.4 Kurz- und Langzeitverhalten ....................................................... 240

7.4 Kalibrierung von Digitalrecordern ...................................................... 242 7.5 Kalibrierung von Stoßstrommesssystemen ......................................... 244 Literatur zu Kapitel 7 ................................................................................ 247

Anhang 1 Fourier- und Laplace-Transformation..................................... 249A1.1 Fourier-Transformation .................................................................... 249 A1.2 Laplace-Transformation ................................................................... 251

Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten....................................... 255A2.1 Der GUM ......................................................................................... 255

A2.1.1 Grundkonzept des GUM........................................................... 256 A2.1.2 Modellfunktion einer Messung ................................................. 257 A2.1.3 Ermittlungsmethode vom Typ A............................................... 258 A2.1.4 Ermittlungsmethode vom Typ B............................................... 260 A2.1.5 Beigeordnete Standardmessunsicherheit................................... 263 A2.1.6 Erweiterte Messunsicherheit ..................................................... 264 A2.1.7 Effektiver Freiheitsgrad ............................................................ 265 A2.1.8 Messunsicherheitsbudget .......................................................... 266 A2.1.9 Angabe des vollständigen Messergebnisses.............................. 267 A2.1.10 Abschließende Bemerkungen ................................................. 267

A2.2 Beispiele für die Unsicherheitsberechnung ...................................... 268 A2.2.1 Maßstabsfaktor eines Stoßspannungsmesssystems................... 268 A2.2.2 Unsicherheit der Spannungsmessung bei einer Prüfung ........... 273

Literatur zu Anhang A2............................................................................. 276 Abkürzungen................................................................................................ 277Sachverzeichnis............................................................................................ 279

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Einleitung

In den Betriebsanlagen zur Übertragung und Verteilung elektrischer Energie bei Hochspannung können transiente Überspannungen mit Scheitelwerten von mehr als 1 MV entstehen, die damit weitaus größer als die maximalen Betriebsspannun-gen in Europa sind. Ursache der Überspannungen sind direkte oder indirekte Blitzeinschläge auf Freileitungen oder in Freiluftschaltanlagen, Kurzschlüsse oder Überschläge durch Versagen der elektrischen Isolierung, Schaltvorgänge in Um-spannwerken und das Ansprechen von Überspannungsableitern. Die transienten Spannungen haben Anstiegszeiten vorwiegend im Bereich von Mikrosekunden bis Millisekunden. Bei Über- oder Durchschlägen und beim Ansprechen von Über-spannungsableitern kann der Spannungszusammenbruch sehr schnell erfolgen mit Abfallzeiten unter 1 μs. Extrem kurze Zeiten im Bereich von wenigen 100 ns bis hinunter zu 1 ns und noch weniger treten bei Schalt- und Durchschlagvorgängen in gasisolierten Schaltanlagen auf. Auch im Niederspannungsnetz können tran-siente Spannungen von mehr als 1 kV auftreten, die die eingesetzten elektrischen Geräte in ihrer Funktionsweise beeinflussen oder sogar zerstören können.

Transiente Überspannungen führen zu einer kurzzeitig erhöhten Beanspru-chung der Isolierung der im Energieversorgungsnetz eingesetzten Betriebsmittel. Alle Betriebsmittel werden daher, bevor sie zum Einsatz kommen, Abnahmeprü-fungen mit impulsförmigen Prüfspannungen unterzogen, die den im Netzbetrieb auftretenden Überspannungen angepasst sind. Die Höhe der international genorm-ten Prüfspannungen richtet sich nach der Bemessungsspannung der Betriebsmittel. Im deutschsprachigen Raum werden diese impulsförmigen Prüfspannungen all-gemein als Stoßspannungen bezeichnet, die entsprechend ihrem Zeitverlauf weiter unterschieden werden. Mit sehr steil ansteigenden Stoßspannungen lassen sich zwischen platten- oder streifenförmigen Elektrodenanordnungen elektromagneti-sche Felder zur Verträglichkeitsprüfung elektronischer Geräte und Systeme erzeu-gen. Auch der bei einer Nuklearexplosion in großer Höhe ausgelöste elektromag-netische Impuls kann auf diese Weise simuliert werden.

Die transienten Überspannungen sind häufig die Ursache transienter Aus-gleichsströme. So können durch direkte oder indirekte Einwirkung von Blitzein-schlägen schnell veränderliche Ströme mit Scheitelwerten im Bereich von 100 kA und Anstiegszeiten von 1 μs entstehen. Erfolgt der Blitzeinschlag in eine Freilei-tung, breiten sich die Stromimpulse nach beiden Seiten der Leitung aus und verur-sachen an den Betriebsmitteln am Leitungsende hohe transiente Spannungen, die sich der Betriebswechselspannung des Netzes überlagern. Zum Schutz der Be-triebsmittel werden daher Überspannungsableiter eingesetzt. Beim Ansprechen der Ableiter können sich auch die an der Betriebswechselspannung liegenden Leitun-gen entladen. Die Ableiter werden dadurch mit einem annähernd rechteckförmi-gen Stromimpuls mit einer Zeitdauer im Bereich von 1 ms beansprucht. In Analo-gie zu den Stoßspannungen versteht man unter Stoßströmen transiente Ströme, die

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2 Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

zur Prüfung von Betriebsmitteln der elektrischen Energieversorgung erzeugt wer-den. Damit werden im Prüflabor die elektrischen, mechanischen und thermischen Beanspruchungen nachgebildet, die im praktischen Einsatz der Betriebsmittel auf-treten können. Nicht zu den Stoßströmen im engeren Sinne gehören die bei Kurz-schlüssen im Netz auftretenden Kurzschlussströme mit Netzfrequenz, die nur eini-ge Perioden lang andauern. Diese relativ langsamen Transienten können eine abklingende Gleichstromkomponente aufweisen und erreichen dann Scheitelwerte von 300 kA und mehr.

Auch in anderen Bereichen von Physik und Technik treten hohe impulsförmige Spannungen und Ströme mit Anstiegszeiten im Mikro- und Nanosekundenbereich auf oder sind für bestimmte Anwendungen von Nutzen. In der Plasmaphysik wer-den damit extrem große Magnetfelder zum kurzzeitigen Einschluss von Plasmen erzeugt. Bei elektrischen Punktschweißungen erreichen die Impulsströme Schei-telwerte von 200 kA. Elektronische Zündsysteme für Verbrennungsmotoren er-zeugen Impulsspannungen mit Scheitelwerten von maximal 30 kV. In der Leis-tungselektronik treten Impulsspannungen und -ströme von mehreren 10 kV und bis zu 10 kA auf oder werden zur Prüfung benötigt, z. B. für Solarmodule. Elektri-zitätszähler werden mit Stoßströmen, die aus einer netzfrequenten Sinushalb-schwingung mit Amplituden von mehreren Kiloampere bestehen, geprüft. In der Medizintechnik wird durch die Umwandlung in akustische Stoßwellen eine Zer-trümmerung von Nieren- und Gallensteinen sowie von Kalkablagerungen in Ge-lenken erzielt. Die Wirkung von Elektroimpulswaffen beruht auf Spannungsim-pulsen, die das Nervensystem des Betroffenen für eine begrenzte Zeit lähmen. Schließlich sei auf die vielfältigen Anwendungen bei Untersuchungen zur elekt-romagnetischen Verträglichkeit von elektronischen Geräten bis hin zu sehr kom-plexen Systemen, wie sie z. B. Flugzeuge darstellen, verwiesen.

Bei allen Anwendungen von Stoßspannungen und Stoßströmen ist eine fundier-te Messtechnik erforderlich, sei es, weil eine Über- oder Unterbeanspruchung des Betriebsmittels oder eines anderen Prüflings vermieden werden soll oder weil die Qualität einer Anwendung, z. B. beim elektrischen Punktschweißen, gewährleistet sein muss. Im Vordergrund steht hierbei die Messung der für die Beanspruchung oder Qualität maßgebenden Impulsparameter der Stoßspannung oder des Stoß-stromes. Die bei Prüfungen eingesetzten Messmittel müssen hinsichtlich ihrer Messrichtigkeit überprüft werden. In diesem Zusammenhang stehen Begriffe und Inhalte wie Qualitätssicherung, Kalibrierung, Messunsicherheit, international an-erkannte Prüfvorschriften und akkreditierte Prüf- und Kalibrierlaboratorien.

Die Hochspannungs- und Energietechnik einschließlich der entsprechenden Messtechnik ist in einer Vielzahl von Literaturstellen behandelt. Zusammenfas-sende Darstellungen mit zahlreichen Literaturzitaten, darunter auch aus den An-fängen der Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, finden sich in den Fach-büchern [1.1-1.6], die allerdings teilweise nicht mehr auf dem Markt sind. Das vorliegende Buch ist aus der Absicht entstanden, die heute noch aktuellen Grund-lagen der Messtechnik mit den neueren Entwicklungen in der gerätetechnischen Ausstattung, den Prüfnormen und der Datenauswertung zu verbinden.

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1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen

Bei der Übertragung und Verteilung elektrischer Energie werden Betriebsmittel wie Leistungstransformatoren, Schaltanlagen, Überspannungsableiter, Isolatoren, Energiekabel, Messwandler usw. eingesetzt, die hohen transienten Spannungen und Strömen infolge innerer und äußerer Überspannungen ausgesetzt sind. Sie werden daher vor ihrem Einsatz mit genormten Stoßspannungen oder Stoßströmen auf ihre Zuverlässigkeit geprüft. Je nach Betriebsmittel und dem vorgesehenen Einsatz unterscheidet man zwischen verschiedenen Zeitverläufen der Prüfspan-nungen und Prüfströme. Die Zeitverläufe sind durch mehrere Parameter mit Tole-ranzen bei der Erzeugung und Unsicherheiten bei der Messung definiert. Für die Datenauswertung der in der Regel mit Digitalrecordern gemessenen Zeitverläufe kommen teilweise genormte Auswerteverfahren zum Einsatz. Damit werden die in einer umfangreichen Untersuchung experimentell gewonnenen Erkenntnisse hin-sichtlich der Bewertung von Scheitelschwingungen, die einer Blitzstoßspannung überlagert sind, in Abhängigkeit von der Schwingungsfrequenz berücksichtigt. Im zweiten Teil des Kapitels werden verschiedene Generatorschaltungen zur Erzeu-gung von Stoßspannungen und Stoßströmen grundsätzlich beschrieben.

1.1 Parameter von Stoßspannungen

Stoßspannung ist der Oberbegriff für hohe impulsförmige Prüfspannungen, mit denen die Betriebsmittel der Energieversorgung geprüft werden. Neben Schalt- und Blitzstoßspannungen mit aperiodischem Zeitverlauf sind auch schwingende Schalt- und Blitzstoßspannungen genormt, die bei Vor-Ort-Prüfungen mit trans-portablen Generatoren erzeugt werden. Blitzstoßspannungen sind weiterhin in vol-le und abgeschnittene Blitzstoßspannungen unterteilt, wobei die Abschneidung nach unterschiedlich langer Zeit erfolgen kann. Stoßspannungen mit annähernd li-nearem Spannungsanstieg werden als Keilstoßspannungen und solche mit sehr steiler Front als Steilstoßspannungen bezeichnet. Die analytische Darstellung von Stoßspannungen erfolgt in Kap. 2.1, die Berechnung des Spektrums in Kap. 2.2.

Die Definitionen für die Impulsparameter von Stoßspannungen unterscheiden sich teilweise von denen, die in der Impulstechnik bei Niederspannung gebräuch-lich sind. Dadurch will man den besonderen Bedingungen bei der Erzeugung und Messung von Stoßspannungen Rechnung tragen. Die Festlegung dieser Parameter ist bei theoretischen Untersuchungen mit mathematisch vorgegebenen Funktionen, u. a. bei der Berechnung des Übertragungsverhaltens von Messsystemen mit Hilfe der Faltung, zu berücksichtigen (s. Kap. 3).

K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik,DOI 10.1007/978-3-642-13117-2_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

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1.1.1 Blitzstoßspannung

Mit Blitzstoßspannungen wird die Spannungsfestigkeit von Betriebsmitteln ge-genüber äußeren Überspannungen, die infolge Blitzeinwirkung im Versorgungs-netz auftreten können, geprüft. Hierbei unterscheidet man zwischen vollen und abgeschnittenen Blitzstoßspannungen [1.7, 1.8]. Eine genormte volle Blitzstoß-spannung steigt innerhalb weniger Mikrosekunden auf ihren Scheitelwert û an und fällt anschließend wesentlich langsamer wieder auf null zurück (Abb. 1.1a). Der ansteigende Teil der Stoßspannung wird als Stirn, das Maximum als Scheitel und der abfallende Teil als Rücken bezeichnet. Der Zeitverlauf lässt sich durch Über-lagerung zweier Exponentialfunktionen mit unterschiedlichen Zeitkonstanten nä-herungsweise darstellen (s. Kap. 2.1).

Die Abschneidung einer Blitzstoßspannung erfolgt im Prüffeld mit einer Ab-schneidefunkenstrecke, wobei zwischen der Abschneidung im Rücken (Abb. 1.1b), im Scheitel und in der Stirn (Abb. 1.1c) unterschieden wird. Die genormte abge-schnittene Blitzstoßspannung weist eine Abschneidezeit zwischen 2 μs (Abschnei-dung im Scheitel) und 5 μs (Abschneidung im Rücken) auf (Abb. 1.1b). Der Spannungsabfall im Rücken soll deutlich schneller als der Spannungsanstieg in der Stirn erfolgen. Der Prüfling wird durch den schnellen Spannungszusammen-bruch einer besonders starken Beanspruchung ausgesetzt. Besondere Anforderun-gen an die Kurvenform abgeschnittener Stoßspannungen können für einzelne Be-triebsmittel gesondert festgelegt werden.

In der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannungen weisen Abschneidezeiten zwi-schen 2 μs bis hinunter zu 0,5 μs auf. Bei kurzer Abschneidezeit ist der Zeitver-lauf in der Stirn zwischen 0,3û und dem Abschneidezeitpunkt annähernd linear. Liegen die zeitlichen Abweichungen vom linearen Verlauf innerhalb von ±5 % der Stirnzeit, spricht man von einer Keilstoßspannung mit der virtuellen Steilheit:

cT

ûS . (1.1)

Die verschiedenen Blitzstoßspannungen werden in den Prüfvorschriften durch folgende Zeitparameter gekennzeichnet:

Stirnzeit T1 und Rückenhalbwertzeit T2 für volle Blitzstoßspannungen, Stirnzeit T1 und Abschneidezeit Tc für genormte abgeschnittene Stoßspannun-

gen (2 μs Tc 5 μs), Abschneidezeit Tc für in der Stirn abgeschnittene Stoßspannungen (Tc < 2 μs), Stirnzeit T1 und virtuelle Steilheit S für Keilstoßspannungen.

Anfangspunkt bei der Bestimmung der Zeitparameter ist der virtuelle Nullpunkt O1. Er ist festgelegt als der Zeitpunkt, der dem Punkt A der Stoßspannung bei 0,3û um die Zeit 0,3T1 vorangeht (Abb. 1.1a, b, c). Grafisch erhält man O1 als Schnitt-punkt der Stirngeraden durch die Punkte A und B mit der Nulllinie. Die Definition des virtuellen Nullpunktes O1 ist erforderlich, da der Nullpunkt O der aufgezeich-neten Zeitverläufe wegen überlagerter Störspannungen und begrenzter Bandbreite des Messsystems häufig nicht erkennbar ist.

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1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen 5

a)

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0.5

1

TAB

T1

T2

t

A

B

01

10,9

0,5

0,3

0

u(t)/û

b)

10,9

0,3

0

A

B

C

D

Tc

01 tT1

ua

0,7ua

0,1ua

u(t)/û

c)

0,9

0,3

Tc

01

A

BC

D

t0

1u(t)/û

ua

0,7ua

0,1ua

T1

Abb. 1.1. Beispiele für Blitzstoßspannungen mit aperiodischem Zeitverlauf nach [1.7] a) volle Blitzstoßspannung b) im Rücken abgeschnittene Blitzstoßspannung c) in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannung bzw. Keilstoßspannung

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6 Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

Die Stirnzeit T1 ist die Zeit zwischen dem virtuellen Nullpunkt O1 und dem Schnittpunkt der Stirngeraden durch A und B mit der Scheitellinie (Abb. 1.1):

AB1 601 T,

T , (1.2)

wobei TAB das Zeitintervall zwischen den Punkten A bei 0,3û und B bei 0,9û in der Stirn der Stoßspannung ist. Für Blitzstoßspannungen ist T1 < 20 μs definiert, anderenfalls liegt eine Schaltstoßspannung vor (s. Kap. 1.1.2).

Die Rückenhalbwertzeit T2 ist die Zeit zwischen dem virtuellen Nullpunkt O1 und dem Punkt bei 0,5û im Rücken einer vollen Blitzstoßspannung (Abb. 1.1a).

Die Abschneidezeit Tc ist die Zeit zwischen dem virtuellen Nullpunkt O1 und dem virtuellen Abschneidezeitpunkt, der sich als Schnittpunkt der Geraden durch die Punkte C bei 0,7ua und D bei 0,1ua mit der Horizontalen in Höhe von ua ergibt. Für eine im Rücken oder im Scheitel abgeschnittene Stoßspannung ist ua durch den Schnittpunkt der Geraden durch C und D mit der Stoßspannung festgelegt (Abb. 1.1b). Bei einer in der Stirn abgeschnittene Stoßspannung ist ua gleich dem Scheitelwert û (Abb. 1.1c). Die Festlegung auf den virtuellen Abschneidezeitpunkt berücksichtigt, dass der Beginn der Abschneidung nicht immer eindeutig aus dem aufgezeichneten Zeitverlauf ersichtlich ist. Ursache hierfür sind die endliche Dau-er der Abschneidung und eine begrenzte Bandbreite des Messsystems, die zu ei-nem abgerundeten Verlauf der aufgezeichneten Stoßspannung im Abschneidebe-reich führen [1.9]. Weiterhin können sich elektromagnetisch eingekoppelte Störungen, die beim Zünden der Abschneidefunkenstrecke entstehen, im Bereich des Scheitels überlagern. Die Zeitdauer des Spannungszusammenbruchs ist als TCD/0,6 definiert, wobei TCD die Zeit zwischen den Punkten C und D ist.

Zur Kennzeichnung einer vollen Stoßspannung werden die Zahlenwerte für die Stirn- und Rückenhalbwertzeit in Mikrosekunden als Kurzzeichen angefügt. Die genormte volle Blitzstoßspannung 1,2/50 hat dementsprechend eine Stirnzeit T1 = 1,2 μs und eine Rückenhalbwertzeit T2 = 50 μs.

Die Impulsparameter sind in Abb. 1 für glatte Kurvenverläufe angegeben, bei denen der Scheitelwert û gleich dem Wert der Prüfspannung ist. In der Prüfpraxis kann jedoch der Stoßspannung im Scheitel eine Schwingung überlagert sein, die je nach deren Frequenz das geprüfte Betriebsmittel unterschiedlich stark bean-sprucht. Die Impulsparameter beziehen sich daher definitionsgemäß auf eine fikti-ve Prüfspannungskurve, die mit einem besonderen Auswerteverfahren aus den aufgezeichneten Daten der Blitzstoßspannung berechnet wird (s. Kap. 1.1.1.2). Mit der entsprechenden Software ist somit ein einheitliches Vorgehen bei der Auswertung von Stoßspannungen mit und ohne Scheitelschwingung beliebiger Frequenz möglich. Als äquivalente glatte Blitzstoßspannung wird eine Stoßspan-nung ohne Scheitelschwingung bezeichnet, deren Prüfspannungswert und Zeitpa-rameter gleich den entsprechenden Werten der berechneten Prüfspannungskurve einer Stoßspannung mit Scheitelschwingung ist. Eine in der Stirn abgeschnittene Stoßspannung ist grundsätzlich als Prüfspannungskurve definiert.

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1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen 7

1.1.1.1 Toleranzen und Messunsicherheiten

Bei der Erzeugung von Blitzstoßspannungen sind Abweichungen von den in den Prüfnormen für die Betriebsmittel festgelegten Werten der Impulsparameter zuläs-sig. Die Toleranzen für Blitzstoßspannungen betragen [1.7]:

3 % für den Wert der Prüfspannung, 30 % für die Stirnzeit T1 und 20 % für die Rückenhalbwertzeit T2.

Der Grund für die großen Toleranzen der Zeitparameter liegt in der unterschied-lich starken Rückwirkung der Prüflinge auf die Generatorschaltung, wodurch die Kurvenform und damit die Parameter der erzeugten Blitzstoßspannung mehr oder weniger stark beeinflusst werden. Die Elemente des Stoßspannungsgenerators, mit denen die Kurvenform eingestellt wird, brauchen daher bei geringfügig veränder-ter Last durch den Prüfling nicht jedes Mal neu angepasst zu werden. Für die Ab-schneidezeit Tc sind keine Toleranzen festgelegt.

Bei der normgerechten Stoßspannungsprüfung eines Betriebsmittels sollen der Wert der Prüfspannung und die Zeitparameter innerhalb festgelegter Grenzwerte der erweiterten Messunsicherheit ermittelt werden. Diese betragen [1.8]:

3 % für den Prüfspannungswert von vollen und abgeschnittenen Blitzstoßspan-nungen mit Abschneidezeiten Tc 2 μs,

5 % für den Prüfspannungswert von in der Stirn abgeschnittenen Blitzstoß-spannungen mit Abschneidezeiten 0,5 μs Tc < 2 μs und

10 % für die Zeitparameter.

Anmerkung: Messunsicherheiten werden ohne Vorzeichen angegeben, sind aber als positive und negative Grenzwerte zu verstehen.

Die erweiterte Messunsicherheit ist ein Kennwert, der den Bereich der Werte oberhalb und unterhalb des Messergebnisses charakterisiert, die unter den gegebe-nen Messbedingungen als möglich mit einer Überdeckungswahrscheinlichkeit von rund 95 % angesehen werden (s. Kap. A2). Die Messunsicherheit der Impulspa-rameter einer am Prüfling anliegenden Stoßspannung setzt sich zusammen aus der Unsicherheit des Messsystems, die im Kalibrierschein für den Maßstabsfaktor und die Zeitparameter als Ergebnis einer umfassenden Kalibrierung angegeben ist, und weiteren Unsicherheitsbeiträgen, die bei der Stoßspannungsprüfung zu beachten sind. Letztere berücksichtigen die aktuellen Bedingungen bei der Spannungsmes-sung, die von denen bei der Kalibrierung abweichen. Abweichungen können bei-spielsweise durch eine andere Umgebungstemperatur, abweichende Stoßspan-nungsform oder Langzeitdrift des Messsystems verursacht sein.

Anmerkung: Die festgelegten Grenzwerte für die erweiterte Messunsicherheit und Toleranz des Prüfspannungswertes von vollen Stoßspannungen sind identisch, was aus messtechnischer Sicht grundsätzlich unbefriedigend ist.

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8 Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

1.1.1.2 Überlagerte Schwingungen

Die im Prüfkreis tatsächlich auftretenden Prüfspannungen können Schwingungen im Scheite und Schwingungen in der Stirn aufweisen. Ursache dieser überlagerten Schwingungen sind Induktivitäten und Kapazitäten des Stoßspannungsgenerators und des Prüf- und Messkreises einschließlich der Hochspannungszuleitungen so-wie eine nicht optimale Reihenfolge bei der Zündung der Generatorfunkenstre-cken oder Reflexionsvorgänge. Um die Schwingungen richtig erfassen zu können, muss das Messsystem eine ausreichend große Bandbreite aufweisen (mindestens 10 MHz bei Stirnschwingungen und 5 MHz bei Scheitelschwingungen). Schwin-gungen im Prüfkreis müssen klar unterschieden werden von denen, die durch Ei-genresonanz des Stoßspannungsteilers bei ungünstiger Konstruktion entstehen können. Treten im Prüfkreis Schwingungen mit der Eigenresonanz des Span-nungsteilers auf, werden diese am Ausgang des Spannungsteilers mit verstärkter Amplitude wiedergegeben. Der Spannungsteiler ist dadurch ungeeignet zur Mes-sung der schwingenden Prüfspannung.

Schwingungen im Scheitel von Blitzstoßspannungen erfordern ein besonderes Auswerteverfahren zur Ermittlung des Prüfspannungswertes, der für die Bean-spruchung des Betriebsmittels maßgebend ist. Seit längerem ist bekannt, dass die Beanspruchung der Isolierung in Betriebsmitteln von der Frequenz der überlager-ten Scheitelschwingung abhängt. Danach beansprucht eine Stoßspannung mit hochfrequenter Scheitelschwingung die Isolierung nicht so stark wie eine Stoß-spannung mit niederfrequenter Scheitelschwingung und gleichem Extremwert. In älteren Prüfnormen war daher der Extremwert einer Blitzstoßspannung mit über-lagerter Schwingung der Frequenz f < 500 kHz als Prüfspannungswert festgelegt, während für f 500 kHz der Prüfspannungswert als Scheitelwert û der mittleren Kurve 2 durch die Scheitelschwingung 1 bestimmt wurde (Abb. 1.2).

û

0,5û

0t

2

1u(t)

Abb. 1.2. Frühere Auswertung einer Blitzstoßspannung 1 mit hochfrequenter Scheitelschwin-gung der Frequenz f 500 kHz (Prinzip). Durch die schwingende Stoßspannung wurde eine mitt-lere Kurve 2 gelegt, deren Scheitelwert û als Prüfspannungswert festgelegt war.

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1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen 9

Der Faktor, mit dem früher die Amplitude der überlagerten Scheitelschwingung zu multiplizieren war, betrug daher entweder k = 1 oder k = 0 (s. Abb. 1.4b, Kurve 1). Diese Auswertung ist nicht zuletzt auch aus messtechnischer Sicht unbefriedi-gend, da die Frequenz der Scheitelschwingung im kritischen Bereich um 500 kHz nicht genau bestimmbar ist. Eine eindeutige Entscheidung, welches Auswertever-fahren zur Anwendung kommen soll, ist somit nicht möglich. Zudem war der Ver-lauf der mittleren Kurve durch die Scheitelschwingung nicht genau definiert, son-dern vom optischen Eindruck des Betrachters abhängig.

Neuere Untersuchungen in mehreren Hochspannungsprüffeldern über die Durchschlagfestigkeit von gasförmigen, flüssigen und festen Isolierungen bei Blitzstoßspannungen mit überlagerter Scheitelschwingung bestätigen grundsätz-lich die frequenzabhängige Beanspruchung der Isolierung, jedoch in einer modifi-zierten Form [1.10]. Bei der Durchführung der umfangreichen Versuchsserien wurden jeweils für gleichartige Probekörper die Durchschlagwerte der Stoßspan-nungen sowohl ohne als auch mit Scheitelschwingung ermittelt. Das Beispiel in Abb. 1.3 zeigt schematisch die Spannungsverläufe kurz vor dem Durchschlag. Hierbei stellt Kurve 1 die gedämpft schwingende Stoßspannung dar, die durch Überlagerung der glatten Stoßspannung 3 (Basisspannung) und der Schwingung 4 erzeugt wurde. Kurve 2 ist die äquivalente glatte Stoßspannung (Prüfspannung), die gleichfalls zum Durchschlag des Probekörpers führte wie die schwingende Stoßspannung 1. Bei den Untersuchungen wurden die Amplitude, Frequenz und Phasenverschiebung der überlagerten Schwingung in weiten Grenzen variiert.

Ue

Ut

Ub

t0

u(t)

3

1 2

4Uos

Abb. 1.3. Schwingende Stoßspannung 1 und äquivalente glatte Blitzstoßspannung 2, die beide nach [1.10] zum Durchschlag des Probekörpers führen. Die schwingende Stoßspannung 1 wurde durch Überlagerung der glatten Stoßspannung 3 mit der Schwingung 4 erzeugt.

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10 Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

Die Ergebnisse der Durchschlagversuche lassen sich für alle untersuchten Iso-lierungen, Probekörper und Versuchsparameter in einem Diagramm zusammen-fassen, das die experimentell ermittelten Werte des k-Faktors über der Frequenz f der Scheitelschwingung zeigt [1.10]. Trotz der Streuung der Werte für die ver-schiedenen Isolierstoffe ist deutlich erkennbar, dass der k-Faktor und damit der Einfluss der Scheitelschwingung auf den Durchschlag oberhalb von 100 kHz ste-tig abnimmt und für f 5 MHz ganz verschwindet (Abb. 1.4a). Die in der halblo-garithmischen Darstellung eingezeichnete, mit dem Logarithmus der Frequenz ab-fallende Gerade durch die empirisch gewonnenen Werte kennzeichnet den grundsätzlichen Frequenzverlauf des k-Faktors. Anstelle des früher angenomme-nen abrupten Wechsels der Bewertung von Scheitelschwingungen bei 500 kHz hat sich somit ein gleitender Übergang im Frequenzbereich von 100 kHz bis 5 MHz als richtig erwiesen.

Mit dem frequenzabhängigen k-Faktor gilt für den Scheitelwert Ut der äquiva-lenten glatten Blitzstoßspannung 2, die ebenso zum Durchschlag führt wie die schwingende Stoßspannung 1, der Zusammenhang (Abb. 1.3):

bebosbt UUfkUUfkUU (1.3)

wobei Ub den Scheitelwert der Basisspannung 3, Uos die Amplitude der überlager-ten Scheitelschwingung 4 und Ue den Extremwert der schwingenden Stoßspan-nung 1 bezeichnen.

Weitere Untersuchungen befassen sich mit der Ausarbeitung eines Verfahrens mit dem Ziel, die gewonnenen Ergebnisse über den Frequenzeinfluss von überla-gerten Scheitelschwingungen in die Prüfvorschriften einzubringen [1.11-1.16]. Ei-ne gute Approximation des grundsätzlichen Verlaufs der experimentell ermittelten k-Faktoren über der Frequenz f der Scheitelschwingung ist – neben dem geradlini-gen Kurvenzug in Abb. 1.4a – durch die Prüfspannungsfunktion:

22211

f,fk (1.4)

mit f in Megahertz gegeben (Kurve 2 in Abb. 1.4b). Die Prüfspannungsfunktion k(f) mit dem Vorzug der Stetigkeit ersetzt die frühere, mehrere Jahrzehnte lang gültige Bewertung von Scheitelschwingungen nach Kurve 1 in Abb. 1.4b.

Die Prüfspannungsfunktion k(f) ist Grundlage eines genormten Filterungsver-fahrens zur Berechnung der Prüfspannungskurve, die die wirksame Beanspru-chung eines Betriebsmittels durch volle und im Rücken abgeschnittene Stoßspan-nungen mit überlagerter Scheitelschwingung kennzeichnen soll [1.7]. Hierbei werden die Ergebnisse der Durchschlagversuche mit schwingenden Stoßspannun-gen in [1.10] auf die Beanspruchung eines Prüflings bei der Spannungsprüfung übertragen. Das Verfahren wird an Hand der Kurvenverläufe in Abb. 1.3 kurz be-schrieben. Ausgangspunkt der Auswertung ist der aufgezeichnete Datensatz einer schwingenden Prüfspannung 1, an die die Basiskurve 3 als glatte Stoßspannung

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1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen 11

gemäß Gl. (2.8) angepasst wird. Die Differenz der beiden Kurven 1 und 3 ergibt die überlagerte Schwingung 4, die mit der Prüfspannungsfunktion k(f) nach Gl. (1.4) gefiltert wird. Durch Überlagerung der gefilterten Schwingung mit der Ba-siskurve 3 erhält man die Prüfspannungskurve, von der der Prüfspannungswert Ut und die Zeitparameter ermittelt werden. Bei einer schwingenden, im Rücken abge-schnittenen Stoßspannung erfolgt die Filterung für die entsprechende volle Stoß-spannung, die bei reduziertem Spannungspegel aufgezeichnet wird. Das Ergebnis wird anschließend auf die abgeschnittene Kurvenform im entsprechenden Span-nungs- und Zeitformat übertragen. a)

-0,200,000,200,400,600,801,001,20

10 100 1000 10000Oscillation frequency [kHz]

k-fa

ctor

[1]

proposal (1)oilair homSF6 homSF6 inhomPEsample ASample B

b)

500

f

k(f)

1 2

1

0,8

0,6

0,4

0,2

010 100 103 104 kHz 105

Abb. 1.4. Prüfspannungsfunktion k(f), mit der die Scheitelschwingung einer Blitzstoßspannung gewichtet wird, um die Beanspruchung der Isolierung eines Prüflings zu kennzeichnen a) Experimentell ermittelte Werte des k-Faktors für feste, flüssige und feste Isolierungen [1.10] b) Definition der Prüfspannungsfunktion k(f) in den Prüfnormen 1 Verlauf entsprechend früherer Definition mit k = 1 für f < 500 kHz und k = 0 für f 500 kHz 2 Verlauf nach Gl. (1.4) entsprechend der Definition in [1.7]

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12 Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

Anmerkung: Die mit dem Filterungsverfahren berechnete Prüfspannungskurve weist – im Gegensatz zu den experimentellen Untersuchungen in [1.10] mit äquivalenter glatter Stoßspannung entsprechend Kurve 2 in Abb. 1.3 – für Frequenzen bis etwa 10 MHz eine überlagerte Scheitelschwingung mit frequenzabhängiger Amplitude auf.

Als Alternative zu dem umfassenden Filterungsverfahren bietet sich das manu-elle Auswerteverfahren an [1.7]. Es liefert eine äquivalente glatte Stoßspannung als Prüfspannungskurve, vergleichbar mit Kurve 2 in Abb. 1.3. Zunächst wird die Basiskurve 3 grafisch als mittlere Kurve durch die aufgezeichnete schwingende Stoßspannung 1 gelegt. Die Differenz der beiden Kurven 1 und 3 ergibt die über-lagerte Schwingung 4 mit der Amplitude Uos. Aus der Dauer der Halbschwingung im Zeitbereich des Extremwertes von Kurve 1 erhält man die Schwingungsfre-quenz f, mit der der Faktor k(f) nach Gl. (1.4) und damit der Prüfspannungswert Ut nach Gl. (1.3) berechnet werden. Die maßstabsgetreu auf den Scheitelwert Ut ver-größerte Basiskurve stellt dann die glatte Prüfspannungskurve entsprechend Kurve 2 in Abb. 1.3 dar, von der auch die Zeitparameter bestimmt werden. Da die grafi-sche Auswertung einer schwingenden Stoßspannung vom subjektiven Empfinden des Bearbeiters abhängt und dadurch einen zusätzlichen Unsicherheitsbeitrag lie-fern kann, empfiehlt sich die rechnergestützte Datenauswertung mit entsprechen-der Software. Damit lässt sich die Basiskurve als doppelexponentieller Zeitverlauf nach Gl. (2.8) berechnen und an die schwingende Stoßspannung anpassen.

Mit beiden Auswerteverfahren werden auch das im Digitalrecorder erzeugte Rauschen (s. Kap. 4.2) und die Stirnschwingungen eliminiert, mit dem Filterungs-verfahren allerdings nur vollständig für Schwingungsfrequenzen von 10 MHz und mehr. Die experimentelle Ermittlung der k-Faktoren (s. Abb. 1.4a) wie auch deren näherungsweise Darstellung durch die Prüfspannungsfunktion k(f) nach Gl. (1.4) sind mit Unsicherheiten behaftet. Zur Begrenzung des daraus resultierenden Unsi-cherheitsbeitrages (s. Kap. A2.2.2) bei der Bestimmung des Prüfspannungswertes und der Zeitparameter ist die Anwendung der Auswerteverfahren auf ein Über-schwingen, bezogen auf die Basisspannung, von maximal 10 % begrenzt.

Schwingungen in der Stirn einer Blitzstoßspannung beeinflussen die Ermittlung des virtuellen Nullpunktes O1 und damit auch der Zeitparameter. Mit den beiden o. a. Auswerteverfahren für Scheitelschwingungen mit k(f) nach Gl. (1.4) lassen sich auch Stirnschwingungen ganz oder teilweise eliminieren. Zur Beseitigung von Stirnschwingungen existieren weitere Rechenverfahren, u. a. die digitale Fil-terung der aufgezeichneten Daten, Beschneidung des Fourier-Spektrums der schwingenden Blitzstoßspannung oder abschnittsweise Anpassung durch ein Ex-ponentialglied, eine Parabel oder eine Gerade [1.17-1.19]. Als Ergebnis erhält man wie bei der früher üblichen grafischen Auswertung eine durch die Stirnschwin-gung verlaufende mittlere Kurve, deren Punkte bei 0,3û und 0,9û zur Ermittlung von O1 und T1 herangezogen werden (Abb. 1.5). Stirnschwingungen finden sich vorwiegend im Anfangsverlauf einer Stoßspannung und beeinflussen dann nur die Bestimmung des Punktes A bei 0,3û. Wenn wie in dem Beispiel in Abb. 1.5 die Auswertung der Stirn bei 0,3û mehrdeutig ist, wird als einfache Näherungslösung vorgeschlagen, den mittleren der drei Schnittpunkte zu nehmen, d. h. die Bere-chung der vollständigen mittleren Kurve erübrigt sich dann [1.20].

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1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen 13

Untersuchungen an synthetischen Kurvenverläufen mit und ohne Stirnschwin-gung zeigen, dass jedes Glättungsverfahren den Impulsverlauf mehr oder weniger stark verfälscht. Die Stirnzeit einer geglätteten Stoßspannung ist daher nicht iden-tisch mit der des Originalverlaufs ohne Stirnschwingung. Mitentscheidend für die Qualität der Glättung ist der Frequenzabstand in den Spektren der Schwingung und der Stoßspannung. Eine hochfrequente Schwingung lässt sich besser durch Filterung entfernen als eine Schwingung, deren Frequenz im charakteristischen Frequenzbereich der Stoßspannung liegt. Bei einer in der Stirn abgeschnittenen Stoßspannung kann sich die überlagerte Stirnschwingung bis zum Scheitel erstre-cken. Im Bereich des Scheitels sollte nur sehr behutsam geglättet werden, um eine Verfälschung des Scheitelwertes zu vermeiden.

t

12

1

0

0,3

0,9

ûtu

Abb. 1.5. Auswertung einer Blitzstoßspannung mit Schwingung in der Stirn 1 gemessener Originalverlauf mit drei Schnittpunkten bei 0,3û 2 mittlere Kurve durch die Stirnschwingung

1.1.2 Schaltstoßspannung

Bei der Prüfung mit Schaltstoßspannungen wird die Beanspruchung des Be-triebsmittels durch innere Überspannungen infolge von Schalthandlungen im Netz nachgebildet. Der idealisierte Verlauf einer aperiodischen Schaltstoßspannung ist wie der einer vollen Blitzstoßspannung durch Überlagerung von zwei Exponenti-alfunktionen festgelegt, wobei die Zeitkonstanten jedoch wesentlich größer sind (s. Kap. 2.1). Schaltstoßspannungen werden neben dem Prüfspannungswert (Scheitelwert) durch zwei Zeitparameter gekennzeichnet, die im Gegensatz zu Blitzstoßspannungen auf den augenscheinlichen Nullpunkt O des Zeitverlaufs be-zogen sind (Abb. 1.6). Die durchaus vorhandene Abweichung im Anfangsverlauf von Schaltstoßspannungen ist wegen der größeren Werte der Zeitparameter ver-nachlässigbar. Die Scheitelzeit Tp ist als Zeit zwischen dem Nullpunkt O und dem Zeitpunkt des Scheitels definiert, die Rückenhalbwertzeit T2 als Zeit zwischen O und dem Punkt bei 0,5û im Rücken der Schaltstoßspannung.

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14 Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

Zusätzlich zu Tp und T2 sind weitere Zeitparameter definiert. Die Zeitdauer Td ist festgelegt als die Zeit, während der die Spannung größer als 0,9û ist. Schalt-stoßspannungen können im Rücken unter die Nulllinie durchschwingen. In beson-deren Fällen kann es daher erforderlich sein, die Zeit Tz zwischen dem Nullpunkt O und dem ersten Nulldurchgang im Rücken der Schaltstoßspannung anzugeben. Weiterhin ist für Schaltstoßspannungen auch die Stirnzeit T1 nach Gl. (1.2) defi-niert. Sie dient als Kriterium für die Unterscheidung von Blitz- und Schaltstoß-spannungen. Schaltstoßspannungen weisen eine Stirnzeit von mindestens 20 μs auf.

0

0.5

10,9

Td

TpT2

t

,

0,3

TAB

B

A

u(t)/û

Abb. 1.6. Schaltstoßspannung und deren Impulsparameter (aperiodischer Verlauf)

Schaltstoßspannungen werden durch die Zahlenwerte der Zeitparameter Tp und T2 gekennzeichnet. Die genormte Schaltstoßspannung 250/2500 hat eine Scheitel-zeit Tp = 250 μs (Toleranz: 20 %) und eine Rückenhalbwertzeit T2 = 2500 μs (Toleranz: 60 %). Die großen Toleranzen erlauben wiederum die Prüfung unter-schiedlicher Betriebsmittel, ohne dass jedes Mal die Elemente des Stoßspan-nungsgenerators an die veränderte Last angepasst werden müssen. Die zulässigen Messunsicherheiten stimmen mit denen für Blitzstoßspannungen überein und betragen 3 % für den Prüfspannungswert (Scheitelwert) und 10 % für die Zeitpa-rameter. Die Messunsicherheit setzt sich zusammen aus der Unsicherheit des an-erkannten Messsystems und gegebenenfalls weiteren Unsicherheitsbeiträgen wäh-rend der Stoßspannungsprüfung (s. Kap. 1.1.1.1).

Die Scheitelzeit Tp scheint auf Grund ihrer Definition eine einfach zu ermit-telnde Messgröße zu sein. Bei der automatisierten Datenauswertung können je-doch bereits kleine Digitalisierungsfehler des Recorders oder überlagerte Störun-gen im zeitlich ausgedehnten Scheitelbereich zu falschen Werten der Scheitelzeit führen. Die in den Prüfvorschriften festgelegte Messunsicherheit für Tp wird dann

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1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen 15

nicht eingehalten. Da die Scheitelzeit wegen ihrer Bedeutung in der Prüfpraxis weiterhin als Zeitparameter beibehalten werden soll, erfolgt deren Bestimmung nicht direkt, sondern aus dem Zeitintervall TAB zwischen 0,3û und 0,9û, multipli-ziert mit dem Faktor K:

ABp TKT . (1.5)

Für die Schaltstoßspannung 250/2500 mit doppelexponentiellem Zeitverlauf nach Gl. (2.8) liefert die Rechnung TAB = 99,1 μs und damit K = 2,523. Für andere Werte von Tp und T2 innerhalb der zulässigen Toleranzen der genormten Schalt-stoßspannung 250/2500 lässt sich K näherungsweise nach folgender Zahlenwert-gleichung berechnen [1.7]:

24

AB3 1051110083422 T,T,,K , (1.6)

wobei für TAB und T2 der gemessene Zahlenwert in Mikrosekunden einzusetzen ist. Der Fehler bei der Berechnung von Tp mit K nach Gl. (1.6) liegt innerhalb von

1,5 %, was in der Regel bei Prüfungen vernachlässigbar sein dürfte. Für andere Schaltstoßspannungen gilt Gl. (1.6) nicht. Den Faktor K = Tp /TAB erhält man dann aus dem mit Gl. (2.8) berechneten Verlauf einer Schaltstoßspannung, die dieselbe Zeit TAB wie der gemessene Verlauf aufweist. Bei Vor-Ort-Prüfungen mit Schalt-stoßspannungen ist einheitlich K = 2,4 festgelegt (s. Kap. 1.1.3).

1.1.3 Schwingende Stoßspannungen bei Vor-Ort-Prüfungen

Spannungsprüfungen an Betriebsmitteln der elektrischen Energieversorgung wer-den nicht nur im Hochspannungslabor, sondern immer öfter direkt am Einsatzort des Betriebsmittels durchgeführt [1.21, 1.22]. Dadurch lassen sich der ordnungs-gemäße Aufbau, die fehlerfreie Inbetriebnahme, der einwandfreie Betrieb nach ei-ner Reparatur oder das Langzeitverhalten überprüfen. Für diese Vor-Ort-Prüfungen gelten häufig erschwerte Umgebungsbedingungen und andere als die im Prüflabor stationär vorhandenen Erzeugeranlagen und Messeinrichtungen wer-den benötigt. Neben den aperiodischen Blitz- und Schaltstoßspannungen nach Abb. 1.1a und 1.6 können auch schwingende Stoßspannungen verwendet werden. Als Beispiel zeigt Abb. 1.7 eine schwingende Schaltstoßspannung (Kurve 1) und ihre obere Einhüllende (Kurve 2). Durch die überlagerte Schwingung wird nahezu eine Verdoppelung des Scheitelwertes einer glatten Stoßspannung erreicht, so dass der für die Vor-Ort-Prüfung erforderliche transportable Generator entsprechend kleiner ausfallen kann.

Die Bestimmung des Nullpunktes und der Stirnzeit von schwingenden Blitz- oder Schaltstoßspannungen erfolgt in gleicher Weise wie für die entsprechenden aperiodischen Stoßspannungen, d. h. für Blitzstoßspannungen ist der virtuelle Nullpunkt O1 und für Schaltstoßspannungen der augenscheinliche Nullpunkt O

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16 Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik

maßgebend. Die Rückenhalbwertzeit T2 ist definiert als Zeitabschnitt zwischen O1 bzw. O und der Zeit, bei dem die obere Einhüllende der schwingenden Stoßspan-nung auf 50 % des Maximalwertes abgefallen ist (Abb. 1.7). Die Scheitelzeit Tp einer Schaltstoßspannung bei Vor-Ort-Prüfungen ergibt sich aus der Zeit TAB ent-sprechend Gl. (1.5) mit einem einheitlich festgelegten Wert K = 2,4.

1

0

0,5

t

T2

Tp

1

2

u(t)/û

Abb. 1.7. Schwingende Schaltstoßspannung 1 für Vor-Ort-Prüfungen. Die obere Einhüllende 2 ist für die Bestimmung der Rückenhalbwertzeit T2 maßgebend.

Wegen der erschwerten Umgebungsbedingungen gelten für die bei Vor-Ort-Prüfungen erzeugten aperiodischen und schwingenden Blitz- und Schaltstoßspan-nungen größere Toleranzen und teilweise auch größere Messunsicherheiten als für die im Hochspannungsprüffeld erzeugten Prüfspannungen. Die Toleranzgrenzen für den Prüfspannungswert der erzeugten Blitz- und Schaltstoßspannungen betra-gen ±5 %. Für Blitzstoßspannungen liegen die zulässigen Werte der Stirnzeit zwi-schen 0,8 μs und 20 μs, Rückenhalbwertzeit zwischen 40 μs und 100 μs und Schwingungsfrequenz zwischen 15 kHz und 400 kHz. Schaltstoßspannungen sind durch Scheitelzeiten zwischen 20 μs und 400 μs, Rückenhalbwertzeiten zwischen 1000 μs und 4000 μs und Schwingungsfrequenzen zwischen 1 kHz und 15 kHz festgelegt. Die maximal zulässigen erweiterten Messunsicherheiten bei Vor-Ort-Prüfungen betragen 5 % für den Wert der Prüfspannung, 10 % für die Zeitparame-ter und 10 % für die Schwingungsfrequenz [1.21].

1.1.4 Steilstoßspannung

Sehr steil ansteigende Spannungen entstehen beispielsweise beim Trennerschalten in SF6-Anlagen. Die Normung der bei Prüfungen eingesetzten Steilstoßspannun-gen ist nicht einheitlich, sondern den zuständigen Komitees für die einzelnen Be-

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triebsmittel überlassen. Mit konventionellen Stoßspannungsgeneratoren in induk-tivitätsarmer Ausführung mit ca. 1 μH je Stufe lassen sich Steilheiten von maxi-mal 2,5 kV/ns erzielen. Stoßspannungen mit größeren Steilheiten werden mit ei-nem Stoßspannungsgenerator in Verbindung mit einem Nachkreis oder einem explodierenden Draht erzeugt (s. Kap. 1.3.3). Bei entsprechender Ausführung der Schaltung lassen sich Steilstoßspannungen mit Steilheiten von bis zu 100 kV/ns entsprechend einer Anstiegszeit von 5 ns bei 500 kV erzeugen.

Abb. 1.8 zeigt schematisch die Ausgangsspannung u1 eines Stoßspannungsge-nerators und die am Ausgang des Nachkreises entstehende Steilstoßspannung u2. Bei optimaler Abstimmung zwischen den Elementen des Stoßspannungsgenera-tors, Schaltelementes und Nachkreises setzt u2 im Zeitpunkt des Scheitels von u1 ein. Der Verlauf im Rücken hängt vom Schaltungsaufbau des Generators und vom Prüfling einschließlich des Spannungsteilers ab. Durch Induktivitäten der Schal-tungselemente im Prüfkreis und infolge von Reflexionsvorgängen können sich der Steilstoßspannung hochfrequente Oszillationen überlagern. Bei Anschluss einer Streifenleiteranordnung an den Nachkreis lassen sich impulsförmige elektromag-netische Felder zwischen den Elektroden erzeugen. In dieser Anordnung werden Geräte und komplexe Systeme hinsichtlich ihrer elektromagnetischen Verträglich-keit (EMV) geprüft [1.2, 1.23, 5.5].

u1, u2

t

u2

u1

Abb. 1.8. Steilstoßspannung u2 am Ausgang des Nachkreises zu einem Stoßspannungsgenerator mit der Ausgangsspannung u1 (nach [1.2])

1.2 Parameter von Stoßströmen

In Analogie zu den Stoßspannungen werden impulsförmige Ströme mit großer Amplitude als Stoßströme bezeichnet, mit denen die Wirkung von Blitz- und Kurzschlussströmen bei der Prüfung von Betriebsmitteln nachgebildet wird. Der Zeitverlauf von Stoßströmen kann je nach dem vorgesehenen Prüfzweck sehr un-terschiedlich sein. Grundsätzlich lassen sich Stoßströme mit exponentiellem und rechteckförmigem Zeitverlauf unterscheiden. Im weiteren Sinne gehören zu den

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Stoßströmen auch Kurzschlusswechselströme, die eine begrenzte Anzahl von Schwingungen mit Netzfrequenz und überlagertem transientem Gleichanteil auf-weisen. Stoßströme werden durch ihren Scheitelwert und mehrere Zeitparameter charakterisiert. Außerdem können die Impulsladung und der Energieinhalt von Bedeutung sein. Die analytische Darstellung von Stoßströmen erfolgt in Kap. 2.3 und Kap. 2.5, die Berechnung des Spektrums in Kap. 2.4.

1.2.1 Exponential-Stoßstrom

Der Exponential-Stoßstrom weist einen relativ schnellen, annähernd exponentio-nellen Anstieg bis zum Scheitel auf, dem ein eher langsamer Abfall auf null folgt. Je nach Schaltung des Generators und Prüflings verläuft der Abfall entweder ex-ponentiell oder wie eine stark gedämpfte Sinusschwingung (Abb. 1.9). Im letzte-ren Fall ist mit einem Durchschwingen des Stoßstromes unter die Nulllinie zu rechnen.

1,0

0,5

01

0,1

TAB

T2

A

B0,9

T1

t

i(t)/î

Abb. 1.9. Beispiel für einen Exponential-Stoßstrom mit durchschwingendem Rücken

Die Kenngrößen eines Exponential-Stoßstromes sind neben dem Scheitelwert î als Wert des Prüfstromes die Stirnzeit T1 und Rückenhalbwertzeit T2. Beide Zeit-parameter sind auf den virtuellen Nullpunkt O1 bezogen, der sich durch den Schnittpunkt der Stirngeraden mit der Nulllinie ergibt. Im Gegensatz zu Stoßspan-nungen verläuft bei Stoßströmen die Stirngerade durch die Punkte A bei 0,1î und B bei 0,9î. Die Stirnzeit berechnet sich zu:

AB1 251 T,T , (1.7)

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wobei TAB die Zeit zwischen den beiden Punkten A und B ist. Die Zeit TAB ent-spricht somit der im Niederspannungsbereich üblichen Definition für die Anstiegs-zeit Ta eines Impulses (s. Kap. 3.5). Die Rückenhalbwertzeit T2 ist festgelegt als die Zeit zwischen dem virtuellen Nullpunkt O1 und dem Zeitpunkt, bei dem der Stoßstrom auf 50 % seines Scheitelwertes abgefallen ist [1.24]. Exponential-Stoßströme werden durch Angabe ihrer Stirnzeit und Rückenhalbwertzeit in Mik-rosekunden gekennzeichnet. Beispielsweise hat der Stoßstrom 8/20 eine Stirnzeit T1 = 8 μs und eine Rückenhalbwertzeit T2 = 20 μs. Die Toleranzgrenzen bei der Erzeugung des Stoßstromes 8/20 betragen ±10 % für den Scheitelwert und jeweils ±20 % für die Zeitparameter. Für andere Impulsformen können die Toleranzanga-ben abweichen. Die Grenzwerte der erweiterten Messunsicherheit sind 3 % für den Scheitelwert und 10 % für die Zeitparameter.

Das Unterschwingen eines Exponential-Stoßstromes unter die Nulllinie soll nicht mehr als 30 % des Scheitelwertes betragen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das geprüfte Betriebsmittel durch das Unterschwingen mit entgegen gesetzter Polarität beschädigt wird. Die Berechnungen in Kap. 2.3 zeigen, dass die Bedin-gung für das maximale Unterschwingen im einfachen Stoßstromkreis nach Abb. 1.16 nur für T2 > 20 μs eingehalten wird. Das Unterschwingen muss gegebenen-falls durch eine entsprechende Abschneideeinrichtung begrenzt werden.

Die Ladung eines Stoßstromes i(t) ist definiert als das Zeitintegral über den Absolutbetrag des Zeitverlaufs:

0

dttiQ . (1.8)

Die obere Integrationsgrenze wird so gewählt, dass die restliche, nicht erfasste Ladung vernachlässigbar ist. Eine weitere Messgröße ist das Joulsche Integral als Zeitintegral des Stromquadrats:

0

2 dttiW , (1.9)

mit dem der maximal erlaubte Energieumsatz in einem Prüfling oder Messwider-stand berechnet wird. Die in den Prüfnormen für ein Betriebsmittel festgelegten Werte für Q und W dürfen nicht unterschritten werden, d. h. die untere Toleranz-grenze ist null.

1.2.2 Rechteck-Stoßstrom

Den typischen Verlauf eines Rechteck-Stoßstromes, auch als Langzeit-Stoßstrom bezeichnet, zeigt Abb. 1.10. Er ist durch den Prüfstromwert î und den Zeitparame-ter Td gekennzeichnet [1.24]. Als Prüfstromwert ist der Maximalwert des Stromes

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einschließlich einer überlagerten Schwingung festgelegt. Rechteck-Stoßströme weisen häufig eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Dachschräge auf. Der Zeitparameter Td ist festgelegt als die Zeit, in der die Stromstärke ständig größer als 0,9î ist. Diese Definition kann zu Missverständnissen führen, wenn dem Rechteckstrom entsprechend Abb. 1.10 Schwingungen überlagert sind, die den Wert bei 0,9î unterschreiten. Bemessungswerte für Td sind 500 μs, 1000 μs und 2000 μs oder längere Zeiten bis 3200 μs. Wegen der langen Scheiteldauer stellt die Prüfung mit Rechteck-Stoßströmen eine starke Belastung des Prüflings dar.

Als zusätzlicher Zeitparameter dient die Gesamtdauer Tt, während der die Stromstärke größer als 0,1î ist. Hierbei gilt die Forderung Tt 1,5 Td. Damit ist in-direkt eine Anforderung an die Anstiegszeit festgelegt; weitere Anforderungen gibt es nicht. Zur Kennzeichnung des Zeitverlaufs von Rechteck-Stoßströmen werden die Werte Td/Tt angegeben.

10,9

0,10

Td

Ttt

i(t)/î

Abb. 1.10. Beispiel für einen Rechteck-Stoßstrom mit überlagerter Schwingung

Als obere Toleranz bei der Erzeugung von Rechteck-Stoßströmen sind jeweils +20 % für î und Td festgelegt, als Untergrenze gilt 0. Ein mögliches Unterschwin-gen des Rechteck-Stoßstromes unter die Nulllinie darf 10 % des Prüfstromwertes î nicht überschreiten. Für die Ladung nach Gl. (1.8) und das Joulsche Integral nach Gl. (1.9) gelten wiederum null als untere Toleranzgrenze. Die zulässigen Messun-sicherheiten betragen 3 % für den Scheitelwert und 10 % für die Zeitparameter.

1.2.3 Kurzschlusswechselstrom

Kurzschlusswechselströme entstehen bei Kurzschlüssen im Versorgungsnetz und dauern gewöhnlich nur einige Perioden an. Der Schaltwinkel kennzeichnet den Zeitpunkt, zu dem der Kurzschluss beginnt, im Vergleich zum Nulldurchgang der Netzspannung. Er bestimmt maßgebend den Zeitverlauf des Kurzschlusswechsel-

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stromes. Im Allgemeinen ergibt sich ein unsymmetrischer Verlauf, der durch ei-nen netzfrequenten Wechselstrom mit überlagertem transientem Gleichstromanteil gekennzeichnet ist (Abb. 1.11a). Im Extremfall erreicht der Scheitelwert î des Kurzschlusswechselstromes infolge des überlagerten Gleichanteils nahezu die doppelte Amplitude des stationären Wechselstromes. Die maximale Stromstärke kann dadurch mehrere 100 kA betragen. Nach exponentiellem Abklingen des Gleichstromanteils eilt der Kurzschlussstrom der Spannung um den Phasenwinkel

nach, der durch den Widerstand und die Induktivität des Kurzschlusskreises ge-geben ist. Bei bestimmten Schalt- und Phasenverhältnissen entsteht ein symmetri-scher Kurzschlussstrom ohne Gleichanteil (Abb. 1.11b). a)

1

2

t

i(t)î

0

b)

t

i(t)

î

ts0

Abb. 1.11. Beispiele für Kurzschlusswechselströme a) unsymmetrischer Kurzschlusswechselstrom 1 mit transientem Gleichanteil 2 b) symmetrischer Kurzschlusswechselstrom

In den Prüfnormen sind neben dem wahren Effektivwert:

T

ttiT

I0

2rms d1

(1.10)

weitere Effektivwerte des Kurzschlussstromes definiert [1.24]. Der symmetrische Effektivwert ergibt sich aus der Differenz der oberen und unteren Einhüllenden des