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Studienzum 15.Jahrhundert Festschrift für Erich Meuthen Band2 Herausgegeben von Johannes Helmrath und Heribert Müller in Zusammenarbeit mit Helmut Wolff R. Oldenbourg Verlag München 1994 }SjSc;-r

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Studienzum15.Jahrhundert

Festschriftfür Erich Meuthen

Band2Herausgegeben von

Johannes Helmrath und Heribert Müllerin Zusammenarbeit mit

Helmut Wolff

R. Oldenbourg Verlag München 1994

}SjSc;-r

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Vom Pogrom zur Vertreibung

Die Entwicklung des jüdisch-christlichen Verhältnissesin den Kronen Kastilien und Aragon

von 1391 bis 1492

VON LUDWIG VONES

Als in den ersten Junitagen des Jahres 1391 ein fanatisierter Mob, dessen Grossich aus dem pueblo menudo, der Unterschicht, rekrutierte, in der Hoffnung aufreiche Beute das Judenviertel von Sevilla stürmte und - will man den sicherlichübertriebenen Zahlen der Chronistik Glauben schenken - 4000 Sephardim tötete',sollte dies kein Ereignis von begrenztem lokalem Ausmaß bleiben, sondern inkürzester Frist grenzüberschreitend die beiden mächtigsten Reiche auf der Iberi-schen Halbinsel erfassen. Die in Andalusien ausgelösten, tragischen Vorgängebedeuteten nicht nur den letztendlichen Erfolg einer langjährigen, aus religiösemFanatismus gespeisten antijüdischen Propaganda des Archidiakons von Ecija undVerwalters der Sevillaner Diözese, Ferrand Martinez, sondern von den direktenFolgen und der zuerst nicht absehbaren Fernwirkung her auch einen so tiefen undnachhaltigen Bruch im christlich-jüdischen Verhältnis, daß eine Rückkehr zu denvorherigen Zuständen - sie werden gern mit der durch Americo Castro propagier-ten Vorstellung von der Convivencia, dem friedlichen, kulturellem Austausch of-fenen Zusammenleben der drei großen Religionen, in Verbindung gebrachte -fraglos nicht mehr möglich war.

1 Pero L6pez de Ayala, Crönicas, ed. J.-L. MARTIN,Barcelona 1991,713.2 Zur Convivencia-Diskussion und ihren Konsequenzen für die Sicht der spanischen Geschichtevgl. spezieller R. HIGHFIELD,Christians, Jews and Muslims in the same Society: The Fall of Convi-vencia in Medieval Spain, in: Religious Motivation: Biographical and Sociological Problems for thechurch historian, ed. by D. BAKER(Studies in Church History 15) Oxford 1978, 121-146 (mit eini-gen Fehlern behaftet), sowie L. VONES,Reconquista und Convivencia. Die Könige von Kastilien-Leön und die mozarabischen Organisationsstrukturen in den südlichen Grenzzonen im Umkreis derEroberungen von Co'imbra (1064) und Toledo (1085), in: Die Begegnung des Westens mit demOsten, hg. von O. ENGELS/P. SCHREINER(Kongreßakten des 4. Symposions des Mediaevistenver-bandes in Köln aus Anlaß des 1000. Todesjahres der Kaiserin Theophanu) Sigmaringen 1993, 221-242, und L. VONES,Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter (711-1480). Reiche - Kronen_ Regionen, Sigmaringen 1993, wo die weitere umfangreiche Literatur z.T. aufgeführt oder zumin-dest zu erschließen ist, so daß auf ihre minutiöse Auflistung hier verzichtet werden kann. - Allge-mein zur Geschichte des Judentums auf der Iberischen Halbinsel sei zudem verwiesen auf die ein-schlägigen, nachgerade 'klassischen' Darstellungen von J. AMADORDE LOSRios, Historia social,politica y religiosa de los Judios de Espaäa y Portugal, 3 vol., Madrid 1875 (NO 1960); A. A.NEUMANN,The lews in Spain. Their social, political and cultural life during the Middle Ages, 2vols., Philadelphia 1942, und Y. BAER,A History of the Jews in Christian Spain, 2 vols., Phila-delphia 1961 (span. Übers. Madrid 1981), neuerdings auf die zusammenfassende Übersicht von 1. L.LACAvEl M. ARMENGoLlF. ONTANON,Sefarad, Sefarad. La Espaüa judia, Madrid 1987, sowie fürweitere Literatur auf R. SINGERMAN,The Jews in Spain and Portugal. A Bibliography, New York-London 1975; E. CANTERAMONTENEGRO,Los judios en la Edad Media hispana, Madrid 1986, undC. CARRETEPARRONDO,Les juifs dans l'Espagne medievale. Etat bibliographique (1965-1991), in:Minorites religieuses dans I'Espagne medievale = Revue du Monde Musulman et de la Mediterranee63-64 (1992) 103-113. Nicht zugänglich waren mir bei Abfassung dieses Beitrages: 1. PEREZ,Historia de una tragia. La expulsi6n de los judios de Espaäa, Barcelona 1993.

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I.

In einer beispielhaften, wenn auch kurzen Untersuchung, der eine weite, zum Teilzwiespältige Resonanz beschieden war, hat seinerzeit Philippe Wolff als Vertre-ter der französischen Sozialgeschichtsforschung die Frage nach einer sozialenKrise als möglichem Hintergrund gestellt und deutlich zu machen versucht, inwelchem Ausmaß der Pogrom von 1391, über die unterschwelligen religiösenBeweggründe hinaus, in seinem Kern durch die Unzufriedenheit breiter Schich-ten der Gesellschaft mit ihrem Los, also durch soziale Spannungen bedingt wars,und wie das vom kastilischen Hofchronisten Pero L6pez de Ayala angeführteMotiv der cobdicia de robar los judios, des Raubes aus reiner Habgier', zu be-werten ist. Ayala stellte zudem lapidar fest, daß durch den Aufruhr die juderlasbzw. a/jamas, die Judenviertel, von Sevilla, C6rdoba, Burgos, Toledo, Logroäound vieler anderer Städte im kastilischen Reich, in den Ländern der Krone

J P. WOLFF, The 1391 Pogrom in Spain. Social Crisis or not?, in: Past & Present 50 (1971) 4-18,sowie allgemein P. WOLFF, Reflexions sur les troubles sociaux dans les pays de la Couronned'Aragon au XIV· siecle, in: VIII Congreso de Historia de la Corona de Aragön, vol. 1lI1, Valencia1969,95-102. Zu den kontroversen, in mancher Hinsicht extremen Standpunkten siehe J. M. MON-SALVOANTÖN, Teoria y evoluciön de un conflicto social. El antisemitismo en la Corona de Castillaen la Baja Edad Media, Madrid 1985, und L. SUAREZ FERNANDEZ, Judios espafioles en la EdadMedia, Madrid 1980, bzw. L. SUAREZ FERNANDEZ, La expulsion de los judios de Espafia, Madrid1991. Mit Blick auf die Geschehnisse in Mallorca folgerte pointiert 1. C. LÖPEZ BONET, La revoltade 1391: efectivament, crisi social, in: XIIJ Congres d'Histöria de la Corona d'Aragön, Comuni-cacions I: El regne privatiu de Mallorca i la Mediterränia (Primera part), Palma de Mallorca 1989,111-123. Neuestens geht C. CARRETE PARRONDO, EI judaismo espafiol y la Inquisiciön, Madrid1992, 19 f., sogar soweit, die Bezeichnung 'Pogrom' für die Vorgänge des Jahres 1391 abzulehnen:"A estas revueltas, persecuciones, saqueos y algunas muertes no pueden, de ninguna manera,designarse corno »pogroms« porque eiertamente no tuvieron ninguna semejanza con las persecuci-ones y matanzas de los judios establecidos en la Rusia zarista". - Zum äußeren Verlauf des Pogroms,der immer noch einer umfassenden Klärung unter regionalem Aspekt bedarf, vgl. außer den Ausfüh-rungen bei AMADOR DE LOSRlos, Historia social (Anm. 2) " 358 ff., noch speziell zu Sevilla, dendortigen Vorausetzungen und Folgen: I.MONTES ROMERO-CAMACHO, Antisemitismo sevillano enla Baja Edad Media. El pogrom de 1391 y sus consecuencias, in: III Colöquio de Historia MedievalAndaluza, Jaen 1982,57-75; I.MONTES ROMERO-CAMACIIO, La minoria hebrea sevillana a fines dela Edad Media, in: Andalucia entre Oriente y Occidente (1236-1492). Aetas del V Col6quio Inter-nacional de Historia Medieval de Andalucia, Cordoba 1988,551-568; J. VALDEÖN BARUQUE, Unpleito cristiano-judio en la Sevilla del siglo XIV, in: Historia. Instituciones. Documentos I (1974)221-238; A. COLLANTES DE TERAN-SANCHEZ, Un pleito sobre bienes de conversos sevillanos en1396, in: Historia. Instituciones. Documentos 3 (1976) 167-186. Zu anderen Städten und Regionen:E. MITRE FERNANDEZ, Los judios y la Corona de Castilla en el tränsito al siglo XV, in: Cuadernosde Historia 3 (1969) 345-368; R. RAMlREZ DE ARELLANO, Matanza de judios en Cördoba en 1391,in: Boletin de la Real Academia de la Historia 38 (1901) 294-331; J. RIERA SANS, Los tumultoscontre las juderias de la Corona de Aragon en 1391, in: Cuademos de Historia 8 (1977) 213-225.Eine Karte zur Ausbreitung des Pogroms findet sich bei A. MACKAY, Spain in the Middle Ages.From Frontier to Empire, 1000-1500, London 1977, XVII, Map 5. Die Diskussion urn die gesell-schaftlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Ländern der Krone Arag6n um 1400 istausfilhrlich wiedergegeben bei L. VaNES, Zur Diskussion um die wirtschaftlichen und gesellschaft-lichen Auswirkungen der sog. "Krise des Spätrnittelalters" in den Ländern der Krone Aragön, in:Europa 1400. Die Krise des Spätmittelalters, hg. von F. SEIBT! W. EBERHARD, Stuttgart 1984, 267-283 (span. Übers.: 'Sobre el debate de las repercusiones econömicas y sociales de la lIamada »crisisde la Baja Edad Media« en los territorios de la Corona de Aragön', in: Europa 1400. La crisis de labaja Edad Media, Barcelona 1993, 225-245).4 Ayala, Crönicas (Anm. I) 713.

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Aragon die entsprechenden Calls» von Barcelona, Valencia und zahlreicher wei-terer Orte gewissermaßen 'zugrundegegangen' seien - eine Feststellungs, durchdie das ganze räumliche Ausmaß der Verfolgung, die schließlich bis Lean, Pa-lencia, Zaragoza, Huesca und Perpignan reichte, deutlich hervortritt. Ergänztwird dieses Bild durch den Hinweis, die Überlebenden seien nur sehr arm ent-kommen, da sie ihren Schutzherren große Geldzahlungen hätten leisten müssen,um vor einer solch gewaltigen Heimsuchung bewahrt zu werden?

Der Ausbruch der ersten Feindseligkeiten war in Sevilla durch das zufälligeZusammentreffen einiger unvorhersehbarer Ereignisse begünstigt worden: Erzbi-schof Pedro Gömez Barroso, der als Gegner des Ferrand Martinez diesen gezü-gelt, mit Predigtverbot belegt und ihn sogar selbst wegen unvorsichtiger Äuße-rungen in seinen Hetzpredigten der Häresie verdächtigt hatte, war 1390 gestor-ben; der vakante Bischofsstuhl wurde der Verwaltung des Archidiakons unter-stellt. König Johann I. von Kastilien war wenige Monate später durch einen Sturzvom Pferd umgekommen und hatte mit Heinrich Ill. einen unmündigen Sohn hin-terlassen, für den ein untereinander zerfallener Regentschaftsrat die Herrschaftausübte und durch seine uneinheitlichen Entscheidungen eher ein Machtvakuumerzeugte': das Land war darüber hinaus durch die Epoche der Bürgerkriege, seineVerwicklung in den Hundertjährigen Krieg und den darin eingebetteten portugie-sischen Erbfolgekrieg wirtschaftlich und finanziell so erschöpft, daß sich jedeDestabilisierung des inneren Gleichgewichts sofort in gesellschaftlichen Unruhenniederschlug. Solche Unruhen konnte der königliche Alguacil von Sevilla imVerein mit dem Grafen von Niebla in der ersten Jahreshälfte 1391 durch die Be-strafung eines ome, que facia mal a los judios, eines Übeltäters gegen die Juden,

5 Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen für die Judenviertel auf der Iberischen Halbinsel - esfinden sich noch cuyraca (in Lerida) bzw. jueria oder juheria (im Kgr. Valencia), carrario (inMallorca) sowie als Ausnahmefalle in Arag6n ebraysmo (1348) undjudaismo (1290), darilber hin-aus in Portugal im Normalfall judiaria, manchmal auch judaria oder juyaria - vgl. D. ROMANO,AI-jama frente ajuderia, caIl y sus sinönimos, in: Sefarad 39 (1979) 347-354 (NO in: D. ROMANO,DeHistoria Judia Hispänica, Barcelona 1991, 275-282); D. ROMANO,Elsjueus en temps de Pere el Ce-rimoni6s (1336-1387), in: Pere el Cerimoni6s i la seva epoca, Barcelona 1989, 113-131, bes. 120-122; D. ROMANO, Habitats urbains des juifs hlspaniques, in: Les societes urbaines en France Meri-dionale et en Peninsule lberique au Moyen Age (Actes du coIloque de Pau 21-23 sept. 1988 =Collection de la Maison des pays iberiques 45) Paris 1991, 421-434; A. BLASCO MARTINEZ,Ebreismo, sin6nimo de juderia, in: Sefarad 41 (1981) 111-113; M. J. PIMENTAFERRO,Os judeus emportugal no seculo XIV, Lisboa 1970, 21-27 und passim, sowie J. R. MAGDALENANOM DEDEU,Etimologia no semitica de "call", in: CaIls 2, Tärrega 1987,7-16, die die Bezeichnung call nicht wieRomano aus dem Katalanischen (als katalanisierte Form des hebräischen Begriffs für 'Versamm-lung', 'Zusammericunft'), sondern aus dem Lateinischen (ea/lis) herleiten möchte.6 Zu solchen auch durch die Konversion gewissermaßen 'verschwundenen' Juderias vgl. z.B.F. FrrA, Lajuderia de Madrid en 1391, in: Boletin de la Real Academia de la Historia 8 (1886) 239-444; L. DELGADOMERCHAN.El fonsario 0 cementerio de los judios de Ciudad Real, ebd. 40 (1902)169-175. Einen aIlgemeinen Bestandsüberblick gibt neuestens J. L. LACAVE, Juderias y sinagogasespaflolas, Madrid 1992, ohne jedoch das Werk von F. CANTERABURGOS, Sinagogas espai'lolas,Madrid 1955 (ND Madrid 1984), ersetzen zu wollen.7 Ayala, Cr6nicas (Anm. I) 713: e los que eseaparon quedaron muy pobres, dando muy grandesdavidas a los senores por ser guardados de tan grand tribulacion.8 MITRE FERNANDEZ,Los judios y la Corona de Castilla (Anm. 3); L. SUAREZFERNANDEZ,Estu-dios sobre el regimen monärquico de Enrique III de Castilla, Madrid 1954; L. SUAREZFERNANDEZ,Nobleza Y Monarquia, Valladolid '1975, 57 ff.; L. SUAREZFERNANDEZ,Historia del reinado deJuan I de Castilla, t. I, Madrid 1977,358 ff.

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gerade noch meistern". Als verhängnisvoll erwies sich in dieser Situation danndie Entscheidung des Regentschaftsrates, diesen A lguacil auf Druck des aufgesta-chelten Pöbels durch einen anderen Amtsträger zu ersetzen und damit dem Stadt-regiment eine Periode des Übergangs zu verordnen. Sofort nutzte Ferrand Mar-tinez diese Phase der inneren Schwäche aus und entfachte den Pogrom, den er indie Nähe eines Kreuzzugs rückte. Der Flächenbrand griff, immer neu angefachtvon ausgesandten Agitatoren, matadores de los judios (Judentötern), rasch umsich, wütete in der Erzdiözese, breitete sich schließlich nach Norden aus undüberschritt die Reichsgrenze, um seit dem 9. Juli in Valencia und seit dem 5. Au-gust in Barcelona, nicht zuletzt angefacht durch die fremden Sendlinge, castel-lans i altres veniuts de Castel/a, sowie XL 0 L minyons und ihre Mitläufer, maltsdels dits acordats per 10 passatge de Sic ilia e altres vagabunts e strangers e gentde poca e pobra condiciow, eine besondere Intensität zu erreichen - allerdings mitder Einschränkung, daß für den Valencianer Bereich der religiöse Hintergrundzumindest eine gleiche Gewichtung beanspruchen kann.

Obwohl man in beiden Städten aufgrund der beunruhigenden Nachrichten spe-zielle Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte, in Valencia mit dem InfantenMartin sogar ein Vertreter der Königsgewalt anwesend war und für die aragone-sischen Kronländer natürlich die kastilischen Voraussetzungen nicht oder, denktman an den Zustand der Kriegserschöpfung, nur bedingt galten, zeigten sich diegleichen Tendenzen und erwiesen sich letztlich als übermächtigu, Die sozialenHintergründe begannen - ohne hier zu sehr verallgemeinern zu wollen - , in denkatalanisch dominierten Orten und Gebieten sogar wesentlich klarer zutage zutreten, die Aufrührer rekrutierten sich häufig aus den Unterschichten, zogen abereinzelne Mitglieder anderer Gesellschaftsschichten an und zeigten die Neigung,neben den Moreriasu auch die Besitzungen von christlichen Vertretern des städ-tischen Patriziats anzugreifen, eine Tendenz, die bald in Palma de Mallorca deut-licher die Oberhand gewinnen und sich zu einem regelrechten Konflikt Stadt-Land ausweiten sollte. In Barcelona mündete die Bewegung in einen Aufruhr ge-

9 Ayala, Cr6nicas (Anm. 1) 713. Zur politischen und gesellschaftlichen Situation dieser Zeit sieheJ. VALDEÖNBARUQUE,Los conflictos sociales en el reino de Castilla en los siglos XIV y XV, Ma-drid '1979, bes. 125 ff., und seine Einzelstudien: Aspectos de la crisis casteIlana en la primera mitaddel siglo XIV, in: Hispania 29 (1969) 5-24; La crisis del siglo XIV en Castilla: revisi6n del proble-rna, in: Revista de la Universidad de Madrid 79 (1971) 161-184; neuerdings: M. DELCARMENCARLEIM. E. GONzALEZDEFAUVElN. B. RAMOS/P. de FORTEZA,Las mutaciones de los siglosXIV y XV en Castilla. Reflexiones sobre el tema, in: Cuademos de Historia de Espaäa 70 (1988)89-152.10 Vgl, J. RIERAI SANS, Estrangers participants als avalots contra les jueries de la Corona deArag6n, in: Anuario de Estudios Medievales 10 (1980) 577-583. Die Zitate nach CHABAs,Los ju-dios valencianos (siehe folgende Anm.) 112-116.II ZUden Wirren in Valencia siehe F. DANVlLA,El robo de la juderia de Valencia en 1391. Apun-tes hist6ricos, in: Boletin de la Real Academia de la Historia 8 (1886) 358-397; R. CHABAs,Losjudios valencianos. El robo de lajuderia el 9 de julio de 1391, in: El Archivo 5 (1891) 37-51, 111-121, 184-204, 235-240, J. HINOJOSAMONTALVO,The Jews of the Kingdom of Valencia. Frompersecution to expulsion, 1391-1492, Jerusalem 1993, sowie allgemein zum dortigen Judentum J.HINOJOSAMONTALVO,En tomo a los judios valencianos: la recuperaci6n de una minoria olvidada,in: Hispania 50 (1990) 921-940.12 Nachdem in Valencia am 10. Juli auch das Maurenviertel angegriffen warden war, ließ der InfantMartin einen Mann bestrafen, qui era castella und der comencava a robar e havia ja robat en lajuheria (RIERAI SANS,Estrangers [Anm. 10j 579 nach Barcelona, Archivo de la Corona de Arag6n,Cancilleria, Reg. 2093, fol. 116r-116v).

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gen das Stadtregiment, das seit längerem reformbedürftig warl3• In Girona führ-ten die Unruhen zu einem Zusammengehen von Stadtbewohnern, an der Spitzeden kleinen Gewerbetreibenden, und Bauern, deren Interessen sich in Forderun-gen nach Steuerennäßigungen und Anpassung der Steuersätze an die realen Ge-gebenheiten trafen". Letztere, deren sozialer Niedergang mit der seinerzeit denJuden angelasteten Pest von 1348 begonnen hatte und deren Los sich durch dierasante Stadtentwicklung im katalanischen Raum noch verschlechtert hatte»,wandten sich zudem vorwiegend gegen die malos usos, die 'schlechten' Gewohn-heitsrechte der Grundherrente. In Barcelona waren die Ereignisse sogar in einenAufruhr des poble menut gegen das reiche Patriziat, die grossos, umgeschlagenund erst durch einen Vertreter des Bürgertums auf die Juden gelenkt worden'".Obwohl die Oberschicht, die ciutadans honrats und die cavaliers, eine Bürger-wehr gebildet und die an Land gehenden andalusischen Judenverfolger gefangen-gesetzt hatte, konnte der gärende Volkszorn, der durch die Kunde von den aus-wärtigen Ereignissen angeheizt und von Fischern, Hafenarbeitern, kastilischenSeeleuten sowie dem Abschaum der Kneipen getragen wurde», nur durch die

13 Zu den Verhältnissen in Barcelona siehe C. BATLLE, Barcelona entre 1380 y 1462, in: Anuariode Estudios Medievales 5 (1968) 743-751; C. BATLLE,La crisis social y econ6mica de Barcelona amediados del siglo XV, 2 vol., Barcelona 1973, I 63 ff., 80 ff., 101 ff.14 Zu Girona, seiner jüdischen Gemeinde und den Vorgängen von 1391 siehe S. SOBREQUES IVIDAL, Societat i estructura politica de la Girona medieval, Barcelona 1975, bes. 137 ff. und nun vorallem D. ROMANO(ed.), Per a una histöria de la Gironajueva, 2 vol., Girona 1988: Sammelbände, indenen fast alle wichtigen Einzelpublikationen nochmals abgedruckt sind. Das dokumentarischeMaterial, aus dem deutlich hervorgeht, daß die vorsorglich getroffenen Maßnahmen wenig wirksamwaren, findet sich jetzt verzeichnet bei G. ESCRIBAI BONASTRFlM. P. FRAGO I PEREZ, Documentsdelsjueus de Girona (1124-1595) Girona 1992,195-201, Nr. 689-716 zu 1391 Juli-Dezember. Vgl.auch insbes. J. RIERA I SANS, EIs avalots del 1391 a Girona, in: Jomades d'Histöria de Is jueus aCataIunya (Girona, 23-25 abril, 1987) Girona 1990, 95-159.IS Vgl. dazu C. GUILLERE,Ville et feodalite dans la Catalogne du bas rnoyen-äge, in: La formaci6 iexpansiö deI feudalisme catalä, ed. J. PORTELLAI COMAS, Girona 1985-86,447-466, der das Fazitzieht: "Ce n'est done pas un hasard si les grands pogroms que connait Gerone en 1391 partent de lacampagne, et si, dans le va-et-vient des juridictions royales, les paysans remences prennent con-science de leur situation et de leur force" (466). Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen in Girona zudieser Zeit siehe auch C. GUlLLERE,Diner, poder i societat a la Girona deI segle XIV, Girona 1984.16 Zur Lage der Remenges allgemein siehe J. VICENSVIVES, Historia de los Remensas (en el sigloXV), Barcelona 21978, und M. GOLOBARDESVILA, EIs remences dins el quadre de la pagesia cata-lana fins el segle XV, 2 vols., Peralada 1970-1973; J. SOBREQUESI CALLICO, La crisi social agräriade la Baixa Edat Mitjana: eIs remences, in: Cuadernos de Historia Econömica de Cataluüa 19 (1978)47-56: J. SOBREQuEs I CALLICO,En tomo al problema remensa, in: Hispania 40 (1980) 427-435; zurHaltung der Grundherren gegenüber den Bauern vgl, allgemein P. FREEDMAN,Assaig d'histöria dela pagesia catalana (segles XI-XV) Barcelona 1988; P. FREEDMAN,The Origins of Peasant Servi-tude in Medieval Catalonia, Cambridge 1991; J. M. SALRACH, La pesta negra i eIs orlgens delproblema remenca, in: Pere e1 Cerimoni6s i la seva epoca, Barcelona 1989, 13-34; A. JORDAFERN).NDEZ. Los Remensas: Evoluci6n de un eonflicto juridico y social del eampesinado catalän enla Edad Media, in: Boletin de la Real Academia de la Historia 187 (1990) 217-297 und G. FELIU IMONTFORT, El pes economic de la remenca i dels mals usos, in: Anuario de Estudios Medievales 22(1992) 145-160.17 Zu den Ereignissen in Barcelona, wo es erste, erfolglose Versuche zum Sturm auf den Call schonum den 12. Juli gegeben hatte, siehe außer WOLFF, The 1391 Pogrom (Anm. 3), vor allem BATLLE,La crisis social (Anm. 13) I 104 ff., III ff.; L. MARCO I DACHS, Los Judios en Cataluäa, Barcelona1985, 172 ff.18 In einem zeitgenössischen Bericht heißt es: causam et principium dantes gentes marittime, interquos fuerunt diversi castellani, numero quinquaginta vel circa. qui venerant cum duabus navibuscastellanis de civitate Va/encie in quorum una venerat nobi/is Bemardus de Cabraria (F. FITA,

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Erstürmung des Call, des Judenviertels, und schließlich, als er sich nun im Vereinmit den in die Stadt strömenden Bauern auch gegen die Besitzenden zu richtenbegann, durch die Einnahme der Zitadelle als letzter Fluchtburg fur die jüdischeBevölkerung gelöscht werden. Hier wie in vielen anderen Städten, weit mehr alsAyala aufzählt, ergab sich als letzte Konsequenz des blutigen Terrors die Entvöl-kerung und dauernde Verödung der jüdischen Gemeinde. Drakonische Strafenwurden zumeist nur gegen die Fremdlinge verhängte.

n.

Die hier angeführten Tendenzen zur untrennbaren Verquickung von religiösenund sozialen Motivationen als auslösende Momente für eine zunehmend fanati-schere Judenverfolgung, wobei vorläufig offen bleiben soll, welche Motivation inwelcher Gesellschaftsschicht größeren Anklang fand, waren das Ergebnis einerseit dem 13. Jahrhundert zu beobachtenden Zuspitzung des christlich-jüdischenVerhältnisses. Die vereinheitlichende Juden- und Ketzergesetzgebung des IV. La-terankonzils mit ihrer verstärkten Einschärfung früher eher lasch gehandhabterBestimmungen hatte unter Rückgriff auf die westgotische Gesetzgebung des Ill.Konzils von Toledo (589) und unter modifizierender Abänderung der Juden-schutzkonstitution Licet perfidia Iudeorum Papst Innozenz' Ill. von 1199, die un-ter Aufnahme früherer, bereits seit Calixt 11.nachweisbarer und auf ein SchreibenGregors des Großen zurückverweisender Bestimmungen den päpstlichen Juden-schutz mit der Duldung ihrer religiösen Handlungen sowie mit dem Verbot derZwangsbekehrung und der Anwendung irgendwelcher Repressalien verbundenhatte>, fur die Juden in den spanischen Reichen deutliche Einschränkungen nach

Estrago de las juderias catalanas en 1391. Relaci6n contemporanea, in: Boletin de la Real Academiade la Historia 16 [1890]432-445). Vgl. auch das Schreiben der Königin an Bemat de Cabrera vom8.8.1391 bei BATLLE, La crisis social (Anm. 13) 11397 f. Nr. 11.19 In dem bereits erwähnten Bericht zu den Barceloneser Ereignissen heißt es: ... quod consilium,nemine discrepante, [censuitJ quod castellani, presertim xm qui primitus interfuerunt in ex-pugnacione aljamarum judeorum civitatum Sibilie et Valencie, in satisfactione justicie et tocius reypublice civitati Barchinone, laqueo suspenderentur (FITA, Estrago [Anm. 18] 432-445). Zur Unter-drückurig des Aufruhrs und seiner Folgen siehe BATLLE, La crisis social (Anm. 13) I 122 ff.20 Zur Konstitution 1nnozenz' 111., deren Schutzbestimmungen auch schon nur GilItigkeit für die-jenigen haben sollten, qui nichil machinan presumpserint in subversionem fidei christiane (ed.O. HAGENEDERI W. MALECZEKI A. A. STRNAD, Die Register Innocenz' Ill., Bd. 2, Rom-Wien 1979,535 f. Nr. 276 [302] - das Zitat hier auf S. 536 -, und S. SIMONSOHN, The Apostolic See and theJews. Documents: 492-1404, Toronto 1988 [fortan SIMONSOHN, Documents I], 74 f. Nr. 71 zu 1199September 15), siehe S. GRAYZEL, The Papal Bull Sicut Judaeis, in: Studies and Essays in Honor ofAbraham A. Neuman, Leiden 1962,243-280; S. GRAYZEL, Popes, Jews, and the Inquisition from'Sicut' to 'Turbato', in: Essays on the Occasion of the Seventieth Anniversary of Dropsie University,Philadelphia 1979, 151-188, sowie in einem größeren Rahmen G. DAHAN, Les intellectuels chreti-ens et les juifs au moyen äge, Paris 1990, 137 ff., und S. SIMONSOHN, The Apostolic See and theJews. History, Toronto 1991 [fortan SIMONSOIIN, History], bes. 39-93; zu Lateran IV siehe A.GARclA Y GARclA (ed.), Constitutiones Concilii quarti Lateranensis una cum commentariis glossa-torum (Monumenta luris Canonici. Series A: Corpus Glossatorum, Vol. 2) Cittä del Vaticano 1981,106-109 (c.67-70), 114 f. (c.71); die Bestimmungen von Toletanum III finden sich gedruckt beiJ. VIVES/ T. MARIN MARTfNEzI G. MARTfNEZ DIEZ (ed.), Concilios Visig6ticos e Hispano-Ro-manos, Barcelona-Madrid 1963, 129 § XIV. Von den Sicut-Judeis-Konstitutionen vor Innozenz Ill.blieben nur die Texte der Urkunden Alexanders Ill. und Clemens' Ill. erhalten, während die Verfü-gungen Calixts 11., Eugens Ill. und Coelestins Ill. nur aus ihrer summarischen Erwähnung in den

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sich gezogen: ein Beschäftigungsverbot als Dienstboten, Ammen, Kinderfrauenoder Ärzte; ihre Unterwerfung unter das christliche Wucherverbot; ihre Separie-rung in Ghettos; das Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden. Darüber hinaus warfestgelegt worden, daß sie besondere Erkennungszeichen, einen typisch breitge-formten Hut und ein rundes rotes oder gelbes Zeichen, tragen sollten". Währendin der Krone Arag6n für die Ketzerbekämpfung im christlichen Bereich eine vonden Dominikanern unter Aufsicht der Bischöfe getragene kirchliche Inquisitioneingerichtet worden war, hatte man gegenüber den Juden, die natürlich nicht denkirchlichen Institutionen unterlagen, verstärkt auf Überzeugungsmission gesetzt,sie aber gleichzeitig in die Nähe von Ketzern gerückt». Dementsprechend hatteman die Gelegenheit wahrgenommen, in den innerjüdischen Streit um dieSchriften des Maimonides einzugreifen, schließlich den Talmud als häretischverurteilt und öffentlich verbrannte. Damit war der Unterdrückung der jüdischenReligion in den christlichen Reichen der Weg bereitet, der 1492 enden sollte; einWeg, der von der erzwungenen Beteiligung an christlichen Predigten hin zurZwangsbekehrung unter Lebensbedrohung und der Aussicht auf Besitzverlustführte. Erster Höhepunkt dieser Bestrebungen war die noch im Geiste der per-suasio durch das Königtum angeordnete Disputation von Barcelona 1263 gewe-sen, die zwar einen vorherbestimmten Sieg der christlichen Argumentation sah,jedoch einen eher bescheidenen Bekehrungseffekt zur Folge hatte>, Dafür sollte

späteren Erneuerungen bekannt sind (cfr. ~IMONSOIIN, Documents 144 Nr. 44, 47 Nr. 46, 51 f. Nr.49, 66 f. Nr. 63, 68 Nr. 64). Das Schreiben Gregors des Großen, dem das Incipit Sicut Judeisentnommen wurde (Epist. VIII, 25), findet sich in: Gregorii I papae Registrum epistolarum. LibriVIII-XIV, ed. P. EWALDI L. M. HARTMANN, Bd. 2 (MGH Epist. 2) Berlin 1892 (ND 1978),27. Vg!.außer den bereits zitierten Untersuchungen noch W. HOLTZMANN, Zur päpstlichen GesetzgebungOber die Juden im 12. Jahrhundert, in: Festschrift für Guido Kisch. Rechtshistorische Forschungen,Stuttgart 1955, 220 ff., und S. GRAYZEL, Pope Alexander III and the Jews, in: Salo Wittmayer BaronJubilee Volume, vol. 2, Jerusalem 1974,555-572.21 SuAREZ FERNANDEZ, Judios espaiioles (Anm. 3) 108 ff.; S. GRAYZEL, The Church and the Jewsin the xmth Century, New York 1966, 60-70; A. CUTLER, Innocent III and the Distinctive Clothingof Jews and Muslims, in: Studies in Medieval Culture 3 (1970) 92-116; CARPENTER, Alfonso X andthe Jews (wie unten Anm. 26) 99-101; D. ROMANO, Marco juridico de la minorfa judia en la Coronade CastiJIa de 1214 a 1350 (Sintesis y propuestas de trabajo), in: ROMANO, De Historia Judia(Anm.5) 341-371; H. BEINART, Los judios en Espafia, Madrid 21993, 104, 239-243. BEINARTveröffentlichte zudem einen speziellen Aufsatz zum Judenzeichen in Spanien auf Hebräisch in derFestschrift für S. Ettinger, Jerusalem 1986, 29-41. Zur Gestalt des Zeichens für den Bereich Mallor-cas siehe zusätzlich A. PONS, Los judios dei reino de Mallorca durante los siglos XIII Y XIV, in:Hispania 16 (1956) 594 Nr. 69 zu 1393 November 22. Allgemein: G. KISCII, The Yellow Badge inHistory, in: Hispania Judaica 4 (1942) 95-144; SIMONSOHN,History (Anm. 20) 135-138.22 Vgl. A. FUNKENSTEIN, Basic Types ofChris~ian Anti-Jewish Polemics in the Later Middle Ages,in: Viator 2 (1971) 373-382; J. Co HEN, The Friars and the Jews. The Evolution of Medieval Anti-Judaism, Ithaca-London 21983, 58 ff., 68 ff., 121 ff., 147 ff., 235 ff.; DAHAN, Les intellectuelschretiens (Anm. 20) 362 ff.23 Zur Maimonides-Kontroverse, zur Verurteilung des Talmud und zur Haltung des Papsttums indiesen Fragen siehe S. GRAYZEL, The Talmud and the Medieval Papacy, in: Essays in Honor ofsolomon B. Freehof, Pittsburgh 1964, 220-245; D. J. SILVER, Maimonidean Criticism and theMaimonidean Controversy, 1180-1240, Leiden 1965; C. MERCHAVIA, The Church versus Talmudicand Midrashic Literature (500-1248), Jerusalem 1970 (auf Hebräisch); COHEN, The Friars and theJews (Anm. 22) bes. 52 ff., 60 ff., 78 ff., 91 ff.; SIMONSOHN,History (Anm. 20) 287 ff.; DAIIAN, LesinteJlectuels chretiens (Anm. 20) passim.24 Zur Disputation von Barcelona siehe C. ROTH, The Disputation of Barcelona (1263), in: HarvardTheological Review 43 (1950) 117-144; H. GROSSINGER, Die Disputation des Nachmanides mit Fra

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1283/84 durch königliche Erlasse verbindlich verfügt werden, daß kein jüdischerAmtsträger mehr als baile in der Hof- und Reichsverwaltung beschäftigt werdenund kein Jude mehr jurisdiktionelle Rechte gegenüber Christen haben durfte;Bestimmungen, die für das Königreich Arag6n im Privilegio General, für dasKönigreich Valencia durch die Furs und Costumes sowie für Barcelona in derKonstitution Recognoverunt proceres festgelegt wurden und im Verein mit wei-teren Maßnahmen bis 1286 griffen, später allerdings unterlaufen wurden, da ein-zelne jüdische Finanziers und Bevollmächtigte dann quasi halboffiziell als per-sönliche Vertreter des Monarchen euftraten>. In Kastilien, wo die kirchliche In-quisition nicht Fuß fassen konnte, sollte die Regelung der jüdischen Lebensum-stände Eingang finden in das umfassende Gesetzgebungswerk der Siete Partidas,das auf die Initiative König Alfons X. des Weisen zurückging und in der VII.Partida unter dem Titulo XXIVaußer einer Präambel elf Leyes zur Duldung so-wie zur rechtlichen Behandlung der Juden enthielt-e. Es sollte mehrere Redaktio-nen erfahren und in Einklang mit den kirchlichen Vorschriften gebracht werden,

Pablo Christiani, Barcelona 1263, in: Kairos N.S. 19 (1977) 257-285, 20 (1978) 1-15, 161-181;R. CHAZAN, The Barcelona 'Disputation' of 1263: Christian Missionizing and Jewish Response, in:Speculum 52 (1977) 824-842; H. G. VON MUTIUS, Die christlich-jüdische Zwangsdisputation zuBarcelona nach dem hebräischen Protokoll des Moses Nachmanides (Judentum und Umwelt 5)Frankfurt! M.-Bem 1982; COHEN, The Friars and the Jews (Anm. 22) 108 ff.; R. CHAZAN, Daggersof Faith, Berkeley-Los Angeles-London 1989, 71 ff.; SIMONSOHN, History (Anm. 20) 307 ff.;DAIIAN, Les intellectuels chretiens (Anm. 20) 356 ff.; R. CHAZAN, Barcelona and beyond. The Dis-putation of 1263 and Its Aftermath, Berkeley 1992. Zur Judenpolitik des zu dieser Zeit regierendenaragonesischen Königs Jakob I. siehe A. DE BOFARULL I SANS, Los judios en el territorio de Barce-lona (siglos X al XIII), reinado de Jaime I, 1213-1276, Barcelona 1910, und - mit Schwergewichtauf den Verhältnissen in Valencia - R. I. BURNS, Jaume Primer i eIs Jueus, in: R. I. BURNS, Jaume I ieis Valencians del segle XIII, Valencia 1981, 149-236; R.1. BURNS, Muslims, Christians, and Jewsin the crusader kingdom of Valencia. Societies in symbiosis, Cambridge 1984. Die GesamtpolitikJakobs I. in allen Kronländern bedarf allerdings noch weiterer Klärung.25 Vg!. D. ROMANO, Judios al servicio de Pedro el Grande de Arag6n (1276-1285), Barcelona1983, 175-178; D. ROMANO, Les juifs de la Couronne d'Aragon avant 1391, in: ROMANO, De Histo-ria Judia (Anm. 5) 283-296; D. ROMANO, Cortesanos judios en la Corona de Arag6n, ebd. 401-413,bes. 409 f.; ROMANO, EIs jueus en temps de Pere el Cerimoni6s (Anm. 5) 117 f.; für ZaragozaA. BLASCO MARTINEZ, Actividad laboral de una comunidad urbana del siglo XIV: la Aljama de ju-dios de Zaragoza, in: Les societes urbaines en France Meridionale et en Peninsule Iberique auMoyen Age, Paris 1991, 435-457, bes. 456 (mit Verweis auf ihre bisher unveröffentlichte 'Tesisdoctoral': »Los judios de Zaragoza en el siglo XIV« im Umfang von 10 Bänden[!], die sie am 25.6.1987 an der Universität Zaragoza 'gelesen' hat; vgl. auch A. BLASCO MARTINEZ, Los judios deZaragoza. Un modelo para investigaci6n, in: Jomades d'Histöria dels Jueus a Catalunya [Anm. 14]177-215).26 Vg!. dazu D. E. CARPENTER, Alfonso X and the Jews. An Edition of and Commentary on 'SietePartidas' 7.24 "De los judios", Berkeley 1986; M. A. ORTI BELMONTE, Glosas a la legislaci6n sobrelos judios en las Partidas, in: Boletin de la Real Academia de Cordoba 26 (1955) 41-66; M.RATCLIFFE, Judios y Musulmanes en las Siete Partidas de Alfonso X, in: Alfonso X el Sabio, vida,obra y epoca, vo!. I, Madrid 1989, 237-249. Allgemein zum Verhältnis Alfons' X. zu den Juden, wiees auch aus anderen Zeugnissen herauszufiltern ist, siehe D. ROMANO, Le opere scientifice di AI-fonso X e I'intervento degli ebrei, in: ROMANO, De Historia Judia (Anm. 5) 147-181; D. ROMANO,Alfonso X y los judios. Problernätica y propuestas del trabajo, ebd. 373-399; A. I. BAGBY Jr., AI-fonso el Sabio compara moros y judios, in: Romanische Forschungen 82 (1970) 578-583; A. I.BAGBY Jr., The Jew in the Cantigas of Alfonso X el Sabio, in: Speculum 46 (1971) 670-688;V. HATTONI A. MACKAY, Antisemitism in the Cantigas de Santa Maria, in: Bulletin of HispanicStudies 61 (1983) 189-199. Zusammenfassend nun D. ROMANO, La ciencia hispanojudia, Madrid1992, bes. 128 ff.

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allerdings lange Zeit mehr theoretisches Programm als reale Rechtsvorschriftsein, während die Rechtswirklichkeit wirksamer durch die in einzelnen Punktenidentischen, manchmal jedoch abweichenden Bestimmungen des 1255 abge-schlossenen Fuero Real geprägt wurde, der z.B. die besonderen Kennzeichnun-gen auf den Kleidern nicht erwähnte, dafür wiederum Vorschriften zum Wucherenthielt". Connubium, geschlechtlicher Verkehr zwischen Christen und Judenwaren verboten, überhaupt wurden der gegenseitige Kontakt, vor allem bei litur-gischen Handlungen, auf das äußerste Minimum beschränkt, der Talmud verteu-felt, der Wucher durch Begrenzung des Zinsfußes nach Möglichkeit zurückge-drängt und jene Juden, die dem Hof als Steuereintreiber dienten, durch rigoroseMaßnahmen in den Ruin getrieben, schließlich wurde ein Ämterverbot beschlos-sen, aber nie streng gehandhabt. Die Aufhebung des Privilegs, Rechtsstreitigkei-ten durch einen eigenen Alcalden entscheiden zu lassen, durch die Cortes von Pa-lencia fugte sich nahtlos in diesen Abbau der durch königlichen Schutz garantier-ten jüdischen Rechtsstellung ein, doch blieb die friedliche Bekehrung der Judenohne Anwendung körperlichen Zwangs der oberste Grundsatz. Trotz aller Re-pressalien waren es vorwiegend die wirtschaftspolitischen Schläge, von denensich das kastilische Judentum nur zögernd erholen sollte, da das Reich im 14.Jahrhundert in eine lange Phase der inneren Auseinandersetzungen und schließ-lich des offenen Bürgerkriegs mit allen ihren begleitenden krisenhaften Sympto-men eintreten sollte. Selbst die Übernahme der verschärften Bestimmungen desKonzils von Vienne, die, unter dem Eindruck der französischen Vertreibungsde-krete von 1306 gefaßt, die religiösen Entfaltungsmöglichkeiten weiter ein-schränkten und die Juden wegen ihrer Haltung gegenüber Christus als rechtloserklärten", sowie die Umsetzung der antijüdischen Beschlüsse mit ihren Verbo-ten des Wuchers, der Ausübung öffentlicher Ämter, der Aufrechterhaltung enge-ren Kontakts sowie der Eidesleistung bei christlich-jüdischen Gerichtsverfahrendurch das Konzil von Zamora im Jahr 131329 konnten indes an der Tatsachenichts ändern, daß man bis 1350 von einer "hostilidad sin violencias" auszugehenhat30•

27 Leyes de Alfonso X. Vo!. 11:Fuero Real, ed. G. MARTINEZ DIEZ, Avila 1988, 406-409 (Libro IV,Tit. 2: De los iudios). Vg!. ROMANO, Alfonso X y los judios (Anm. 26) 377-380.28 Cfr. Clem. 11.8.1 (= FRIEDBERG 11 1147). Vgl. E. MÜLLER, Das Konzil von Vienne 1311-1312.Seine Quellen und Geschichte, Münster 1934,640-642; F. FITA, Los judios mallorquines y el Con-cilio de Vienne, in: Boletin de la Real Academia de la Historia 26 (1900) 232-258; SUAREZFERNANDEZ, La expulsion (Anm. 3) 129 fT.; S. DE Mox6, Los judios casteIlanos en la primera mitaddel siglo XIV, in: Simposio Toledo judaico, t. I, Toledo 1973,79-85. Zur Prägung des Verhältnissesder drei Religionen zueinander, wie es durch ihr Bild von Jesus bestimmt wird, vg!. M. DE EPALZA,Jesus otage. Juifs, chretiens et musulmans en Espagne (Vle-XVIIe s.) Paris 1987. Die Einstellung derInquisition zu den französischen Maßnahmen und ihren Folgen betrachtete Y. H. YERUSHALMI, TheInquisition and the Jews of France in the Time of Bemard Gui, in: Harvard Theological Review 63(1970) 317-376.29 AMADOR DE LOS Rlos, Historia social (Anm. 2) 11 561 f.; F. BAER, Die Juden im christlichenSpanien, 1. Teil, vol. 1-11,Berlin 1929/1 936 (ND 1970), hier 11 118-120 Nr. 133 zu 1313 Januar 11.Vgl. SUAREZ FERNANDEZ, Judlos espaäoles (Anm. 3) 155 fT.; SUAREZ FERNANDEZ, La expulsi6n(Anm.3) 131 fT. Zum Judeneid F. B,-!JANDAIF. CANTERA, Oe c6mo han de jurar los judios, in: Se-farad 7 (1947) 145-147; B. MALER, A propos de quelques formulaires medievaux du 'sacramentummore judaico', in: Studier i Modem Spräkvetenskap. Utgivna i samverkan med nyfilologiska sälls-kapet i Stockholm n.s., vol. 5, Stockholm 1975, 117-156, und W. J. PAKTER, Did the Canonists Pre-scribe a Jewry-Oath?, in: Bulletin of Medieval Canon Law N.S. 6 (1976) 81-87.30 So MONSALVO ANT6N, Teoria y evoluci6n (Anm. 3) 207 fT.

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Nach der Mitte des Jahrhunderts verschlechterte sich dann die Lage des Juden-tums in beiden Reichen in bisher ungekannter Weise. In den Ländern der KroneArag6n, primär in den küstennahen Bereichen Kataloniens und Valencias, fuhr-ten die Auswirkungen der 'Schwarzen Pest' von 1348 und die nachfolgendenPestzüge zu ersten schweren Pogromen, obwohl die Königsgewalt gerade zu die-ser Zeit aus finanziellen Interessen die Selbstverwaltung der jüdischen Gemein-den gestärkt" und Papst Clemens VI. den kirchlichen Judenschutz angesichts derEreignisse über die übliche Erneuerung von Sicut Judeis hinaus intensivierthattev, Ohne zu beachten, daß die Bewohner der Aljamas selbst durch Pestopferdezimiert worden waren, brachte die bekannte Verleumdung der Brunnenvergif-tung in einzelnen Städten Volksansammlungen angesichts der schlechten allge-meinen wirtschaftlichen und sozialen Lage dazu, unkontrollierbare Gewalttatenzu verüben, doch geschah dies spontan und vereinzelt, ohne die Intensität derspäteren Verfolgungswelle zu erreichen». Die unverkennbare Eskalation derGewalt führte aber zu einer speziellen Schutznahme durch Papst Innozenz VI.,der gegenüber König Peter IV. beklagte, que a los judios morantes en los ditosregnos et tierras, sin razon alguna los fieren, plagan, apedrehan (sie) et encaralos matan, diziendo los ditos christianos que par los peccados de los judios vie-nen mortaldades, faltas de fruytos, et fendo los ditos malos a los ditos judios quecessan las ditas pestilencias ...34. Allerdings wurden die verordneten Einschrän-kungen des jüdischen Lebenswandels nun streng kontrolliert und ebenso wie derVerdacht des Amtsrnißbrauchs empfindlich bestraft, wie das Rechnungsbuch desköniglichen Batlle von Barcelona minutiös belegt>.

In Kastilien wiederum, wo die Entfernung jüdischer Amtsinhaber im Verwal-tungs- und Finanzbereich nicht durchgeführt worden war, sollte sich gerade dieseVerschonung als Zündstoff erweisen. Da jüdische Steuereintreiber und Finanz-leute verstärkt durch Peter I. den Grausamen herangezogen worden waren,konnten sie im Bürgerkrieg, der die neue Dynastie der Trastämara an die Regie-rung bringen sollte, während der wechselhaften Kämpfe als bevorzugte Ziel-scheibe für die propagandistischen Attacken dieser Partei dienen. Die keineswegs

31 A. LÖPEZDEMENESES,Documentos acerca de la peste negra en los dominios de la Corona deArag6n, in: Estudios de Edad Media de la Corona de Arag6n 6 (1956) 291-448; A. LÖPEZDEMENESES,Una consecuencia de la peste negra en Cataluäa: el pogrom de 1348, in: Sefarad 19(1959) 92-131, 321-364.32 SIMONSOHN,Documents 1(Anm. 20) 397-399, Nr. 373-374 zu 1348 September 26 bzw. OktoberI. Die Erneuerung von Sicul Judeis ebd., 396 Nr, 372 zu 1348 Juli 5.33 Zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründen in dieser Zeit vg!. VONES,ZurDiskussion (Anm. 3), passim.34 SIMONSOHN,Documents I(Anm. 20) 405, Nr. 378 zu 1356 Januar 2 I (dort auch zur schwierigenÜberlieferungslage des Schreibens).3S Vg!. J. M. CASASHOMS,Llibre del BatlIe Reial de Barcelona Berenguer Morey (1375-1378).Barcelona 1976, 15-17, zum Verbot flir Juden, ohne Erlaubnis das Haus eines Christen zu betreten,und zur Anklage gegen Juden, per mal usar de son ofici, die sich wahrscheinlich auf die Ämter desmestre de lIibres und der corredors bezieht (siehe ebd. 37). Zu 1376 März 14 und 15 finden sich dieEintragungen: Hem recebi 10 dit jam d'en Bonjuha Gracia, secretari de l'Aljama de Barchna., losquais me donä per composicio feta entre mi hi ell e a90 per raho cam tales les corredores de joieseren caygudes en ban per 90 cam eren entrades en les cases dels crestians: CLXV ss.... und: Hemreebi 10 prop dit jam d'en Jacme Riera, que.m donä per ban d'alscuns juheus que havien jugat encasa sua, los quais juheus eren cayguts en ban: XXXII ss.... (ebd. 59 f.); sowie zu 1376 Mai 16:Item reebi 10 dit jam d'en Lussas, los quais me donä per alseuns juheus qui havien jugat en casasua, per que eren cayguts en ban: XXII ss.... (ebd. 64).

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zimperlichen Angriffe, die in der Verdächtigung gipfelten, der die Juden schüt-zende König selbst sei ein jüdischer Wechselbalg», ruinierten das Ansehen derSephardim vollends und bereiteten aus politischen Erwägungen heraus den Bo-den für die böse Saat". Sie begann aufzugehen, als 1375 der Converso Juan deValladolid - gestärkt durch das Papsttum, das vor allem, wie aus einem SchreibenGregors XI. an Johann 1. von Kastilien zur Wirksamkeit des quidam Iohannes,olim Iudeus, inter omnes Iudeos tuorum regnorum in scripturis peritior, hervor-geht, die Umsetzung der Konzilsforderungen nach Separation verlangtess - po-lemische Streitgespräche zu fuhren suchte, um die unter Gewaltanwendung er-zwungene Konversion der Juden als Allheilmittel durchzusetzen», In seinem Ge-folge tauchte aber Ferrand Martinez auf. Der Nährboden für die spätere Eskala-tion der Gewalttätigkeit wurde bereitet; es bedurfte nur noch der religiösen, poli-tischen und wirtschaftlichen Krisenhaftigkeit einer in einem radikalen Neuaufbaubefindlichen Gesellschaft - und dies war das Kastilien unter den ersten Tras-tämara mit seiner Verstrickung in die Wirren des Großen Abendländischen Schis-mas, seiner engen Berührung mit den Vorgängen des Hundertjährigen Kriegesund vor allem seiner neuformierten Adelsgesellschaft, seiner die nobleza vieja,den alteingesessenen Adel, ablösenden, durch königliche Gunsterweise geför-derten nobleza nueva40 -; es bedurfte also der günstigen Gelegenheit, der Kon-junktionen, des Zusammenspiels verschiedenster Faktoren, um die Explosion von1391 zu verursachen.

Solche Konjunktionen können in evidenter Form allerdings nur bei den Rei-chen der Krone Kastilien gefunden werden, wo auch eindeutig am Anfang derVerfolgungsbewegung die religiöse Motivation dominierte, während in den ara-gonesischen Kronländern die Volksstimmung erst durch aus Andalusien ange-reiste Agitatoren angeheizt werden mußte. Dafür verband sich dort die anfangsauf der religiösen Ebene geweckte Bereitschaft zum Pogrom rasch mit sozialen

36 J. AMADOR DE LOSRios, Corno y porque se llamö a don Pedro el Cruel, Pero GiI, in: Boletin dela Real Academia de la Historia 36 (1900) 58-65.37 Vgl, J. VALDEÖN BARUQUE, Enrique II de Castilla: la guerra civil y la consolidaciön del regimen(1366-1371), Valladolid 1966, bes. 96 ff.; J. VALDEÖN BARUQUE, Los judios de Castilla y la revo-[uciön Trastämara, Valladolid 1968; J. VALDEÖNBARUQUE, Lajuderia toledana en la guerra civil dePedro I y Enrique I1, in: Simposio Toledo judaico, t. I, Madrid 1973, 107-131.38 SIMONSOHN, Documents I(Anm. 20) 460, Nr. 434 zu 1375 Oktober 28. Ein markantes Beispielfür eine entsprechende Haltung im kastilischen Klerus arbeitete J. I. RUlZ OE LA PENA, La politicaantijudaica del obispo don Gutierre de Toledo (1377-1389), in: Archivos Leoneses 38 (1974) 263-289, heraus, als er die repressive Politik gegen die Juden durch einen Trastämara-Anhänger unter-suchte, dessen Haltung wahrscheinlich auf persönliche Grunde zurückgeführt werden muß, der aberbei seinen Maßnahmen durchaus in Einklang mit der kirchlichen Lehre und Rechtstradition stand.VgI. aber auch F. J. FERNANOEZ CONOE, Gutierre de Toledo, obispo de Oviedo (1377-1389).Reforma eclesiastica en la Asturias bajomedieval, Oviedo 1978, bes. 79 ff., der zu einem milderenUrteil über die Aktivitäten des Bischofs gelangt und die Synodalakten ediert.39 Zur Wirksamkeit des Juan de Valladolid siehe SUAREZ FERNANOEZ, Judios espaüoles (Anm. 3)201 ff., sowie zur Phase zwischen 1375 und 1391 allgemein MONSALVOANTÖN, Teoria y evoluciön(Anm. 3) 245 ff.40 Zur Entstehung und zum Aufstieg der nobleza nueva und des Stadtadels seit dem 14. Jh. sieheS. DE MOXÖ, De la Nobleza Vieja a la Nobleza Nueva. La transformaciön nobiliaria casteIlana en labaja Edad Media, in: Cuademos de Historia 3 (1969) 1-210; S. DEMoxo, El auge de la nobleza ur-bana de Castilla y su proyecciön en el ämbito administrativo y rural a comienzos de la Baja EdadMedia (1270-1370), in: Boletin de la Real Academia de la Historia 178 (1981) 407-518; S. DEMox6, La sociedad politica casteIlana en la epoca de Alfonso XI, in: Cuademos de Historia 6(1975) 187-326.

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Motiven, wie der eingangs erwähnte Sozialgeschichtsforscher Wolff richtig be-obachtet hat, bezog als Zielgruppen vereinzelt die Besitzenden ein und richtetesich stellenweise auch gegen die Mudejares, Muslime, die seit der Reconquistaunter christlicher Herrschaft lebten und ebenso wie die Juden in eigenen Viertelnwohnten. Man muß jedoch zu diesem Zeitpunkt differenzierter davon ausgehen,daß die kastilische Bevölkerung infolge der noch immer lebendigen Bürger-kriegspropaganda für Argumente auf religiöser Grundlage empfänglicher war,hingegen die Bevölkerung der aragonesischen Kronländer, die nach den großenBankenkrächen der 80er Jahre in einer wirtschaftlichen Talfahrt steckten, mehrauf Argumente ansprach, die den Sozialneid weckten, aber eben nicht spezifischantijüdisch waren, sondern sich auch gegen andere gesellschaftliche Gruppenrichten konnten. Da zudem in der Krone Arag6n die kirchliche Inquisition, derzum Teil durch päpstliches Privileg mittlerweile auch die Juden unterworfenworden waren-', als Instrument zur Sicherung des Glaubens nach wie vor intaktund erneuerungsfähig war, wie aus dem Wirken des Dominikanerinquisitors Ni-kolaus Eymerich sowie dem von ihm entworfenen 'Directorium inquisitorum' zuersehen ist42, und das Königtum nach Überwindung der Ohnmacht von 1391 alsSchutzmacht für die Juden - anders als in Kastilien, wo selbst kräftige Geldbußenfür die betroffenen Concejos ihren Strafcharakter schnell verlorene -, vorerstwirksam blieb, erwies sich der Schnitt hier als weniger radikal. Es ist kein Zufall,daß mit der Disputation von Tortosa der letzte, obgleich gescheiterte und in sei-ner Durchführung nur als Propagandafeldzug angelegte Versuch einer Überzeu-gungsmission im aragonesischen Machtbereich stattfand und im Grunde wiederdurch gezielten Druck Massenkonversionen bewirkt werden mußten-'.

Ill.

Kehren wir zum Pogrom von 1391 und seinen unmittelbaren Auswirkungen zu-rück, so ist festzustellen: diese Folgen bestanden nicht nur in der dramatischenEntvölkerung und Verödung der jüdischen Gemeinden durch Totschlag, Fluchtund die massenweise vollzogenen Zwangskonversionen unter Lebensbedrohung,sondern auch in einer daraus resultierenden, nicht vorhergesehenen Verschie-

41 Vgl. zum zunehmenden Einfluß der Inquisition, der von der Haltung des Landesherrn abhing,ORAYZEL, Popes, Jews, and the Inquisition (Anm. 20) 180 ff. Die Entwicklung der Inquisition zudieser Zeit untersuchte J. VINCKE, Zur Vorgeschichte der Spanischen Inquisition. Die Inquisition inArag6n, Katalonien, Mallorca und Valencia während des 13. und 14. Jahrhunderts, Bonn 1941. ZurStellung der Juden nach dem Kirchenrecht siehe nun W. PAKTER, Medieval Canon Law and theJews, Ebelsbach 1988.42 Vgl, F. BAER, Studien zur Geschichte der Juden im Königreich Aragonien während des 13. und14. Jahrhunderts, Berlin 1913 (ND 1965) 63 f.43 Vgl. MONTES ROMERO-CAMACHO, Antisemitismo sevillano (Anm. 3) 64-67; MONTES ROMERO-CAMACIIO, La minoria hebrea (Anm. 3) 552, die gerade am Beispiel Sevilla zeigt, wie wenig dievon Heinrich Ill. verhängte Geldstrafe von 135 500 Golddublonen im Zusammenhang mit der neuenJudengesetzgebung des beginnenden 15. Jhs. fruchtete.44 Zur Disputation von Tortosa siehe A. PACIOS L6PEZ, La Disputa de Tortosa, 2 vol., Madrid1957; J. RJERA I SANS, La Crönica en Hebreu de la Disputa de Tortosa, Barcelona 1974; SI-MONSOHN, History (Anm. 20) 317 ff. Ein großer Teil der Polemik richtete sich bei dieser Gelegen-heit wieder gegen den Talmud: M. ORFALI, Jer6nimo de Santa Fe y la polemica cristiana contra elTalmud, in: Annuario di Studi Ebraici 10 (1980-1984) 157-178; M. ORFALI, El tratado 'De iudaiciserroribus ex Talmut' de Jer6nimo de Santa Fe, Madrid 1987.

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bung, ja empfindlichen Störung des gesellschaftlichen Gleichgewichts. Waren dieZwangstaufen unter religiösen Gesichtspunkten noch ein durchaus erwünschtesErgebnis des Pogroms gewesen, so bedeuteten sie für die Gesellschaft eine Be-lastung, denn die konvertierten Juden wurden nun kirchenrechtlich zu vollgülti-gen Christen. Hinfort standen ihnen als Conversos wie allen anderen Getauftendieselben Möglichkeiten des gesellschaftlichen Aufstiegs offen4s• Dazu gehörtendie Fähigkeit, sich außerhalb der vielerorts verfallenden Ghettos unangefochtenunter Christen niederzulassen; die Möglichkeit, nach Wegfall des Konnubium-verbots in andere Schichten einzuheiraten und auf diese Weise Familienbezie-hungen selbst zu Vertretern der Oberschicht zu knüpfen; die Erlaubnis, bisherverbotene Ämter zu bekleiden und so früher verschlossene Laufbahnen einzu-schlagen; ja sogar der ungehinderte Zugang zu geistlichen Ämtern und die damitverbundene Aussicht, innerhalb der kirchlichen Hierarchie bis zu den Spitzen-positionen aufzusteigen. Da viele, wahrscheinlich die Mehrzahl, dieser durch dieAnwendung gewaltsamen äußeren Zwanges bekehrten Konvertiten, die von denstandhaften Juden als anusim, 'Gezwungene', betrachtet und in der zeitgenössi-schen rabbinischen Responsenliteratur wirklichen Juden oder zumindest jüdi-schen Apostaten gleichgestellt wurden-s, weder ihre früheren Beziehungen zu denverbliebenen jüdischen Bevölkerungsresten aufgeben bzw. überhaupt ihre tradi-tionellen, über Generationen gewachsenen Verbindungen abbrechen konntennoch durch die Art der Bekehrung zu einer Verinnerlichung des christlichenGlaubens gebracht worden waren, sondern, verborgen vor der Öffentlichkeit,nach wie vor ihren althergebrachten Riten anhingen oder zumindest in diesemVerdacht standen, gewann das Sephardim-Problem, nun zum Converso-Problemerweitert, eine neue Qualität. Und diese Feststellung gilt nicht nur für das christ-lich-jüdische Verhältnis, sondern ebenso für die innere Verbundenheit der Kon-vertiten untereinander. Denn seit den Massenkonversionen von 1391, die vor-nehmlich judaisierende anusim hervorgebracht hatten, war auch das Converso-Lager in sich gespalten-". Einerseits betrachteten sich Juden und 'erzwungene'

4S Zum Konvertiten-Problem in Spanien vgl, vor allem E. BENITORUANO,Los origenes dei pro-blema converso, Barcelona 1976, und H. BEINART,Conversos on Trial. The Inquisition in CiudadReal, Jerusalem 1981 (ursprgl. auf Hebräisch: 'Anussim be'Din ha-Inquivisitzia', Jerusalem 1965),dessen Werk ungeachtet des einschränkenden Untertitels eine große allgemeine Bedeutung zu-kommt, sowie neuerdings H. BEINART,The Conversos and Their Fate, in: E. KEDOURIE(ed.), Spainand the Jews, London 1992, 92-122, und A. M. GINIO, Self-Perception and Images of the Ju-deoconversos in Fifteenth-Century Spain and Portugal, in: Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Ge-schichte 22 (1993) 127-152. Ihren gesellschaftlichen Aufstieg und die sich daraus ergebenden Kon-sequenzen betonte für eine spätere Epoche S. HALICZER,The Castilian Urban Patriciate and the Je-wish Expulsions of 1480-92, in: AHR 78 (1973) 35-62.46 Die Vorschriften des Talmud (Sanhedrin 44a; Nedarim 27a) besagen, daß selbst Juden im Standder Sünde nicht von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden sollen. Siehe H. J. ZIMMELS,DieMarranen in der rabbinischen Literatur. Forschungen und Quellen zur Geschichte und Kulturge-schichte der Anussim, Berlin 1932, bes. 12 ff., 21 ff., 42 ff.; M. ORFALlLEVI,Los conversos en laIiteratura rabinica. Problemas juridicos y opiniones legales durante los siglos XIII-XVI, Salamanca1982; N. BEN-AVRAHAM,Eis Anussim. El problema dels xuetons segons la Legislaci6 Rabinica,Palrna de Mallorca 1992, und GINIO,Self-Perception (Anm. 45) 134 ff. Zum Forschungsstand vgl.auch Y. KAPLAN,The problem of the Anusim and the New Christians. The State of Actual Research[auf Hebräisch], in: J. SALMON!M. STERN!M. ZIMMERMANN(ed.), lyunim be-Historiografia[Studien zur Geschichtsschreibung], Jerusalem 1988, 117-144.47 Zu den verschiedenen '~rten' von Konvertiten vgl. J. FAUR,Four Classes of conversos: a typolo-gical study, in: Revue des Etudes Juives 149 (1990) 113-124 und M.a DELPILARRABADEOBRAD6,

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Konvertiten nach wie vor als 'einem' Volk zugehörig, so daß alle jene, die sichwieder vom Christentum abwandten und zum Väterglauben zurückkehrten, mitoffenen Armen aufgenommen wurden, und dies um so mehr, wenn sie deshalbPrüfungen auf sich nehmen mußten-s. Für jene Conversos hingegen, die in derZeit vor 1391, zumeist im Bündnis mit den neuen, von den Trastämara geforder-ten städtischen Oligarchienw, und in manchen Fällen auch nach diesem Terminaus innerer Überzeugung Christen geworden waren, und die den dem Väterglau-ben treu gebliebenen Juden und Rabbinern als Abtrünnige, genauer als wirklicheNichtjuden, Judenverfolger und Denunzierer, ja als ärger als Nichtjuden galtenso _eine polemische Schrift des 15. Jahrhunderts sollte sie als meshumad oder mumarkennzeichnen, als Juden im Zustand der Sünde, die zu meiden warenu - , die aberden gesellschaftlichen Aufstieg innerhalb der kirchlichen Hierarchie und derstädtischen Oligarchien bereits geschafft hatten, mußten die Neubekehrten einepotentielle Bedrohung bilden, sobald die neue Situation ins Bewußtsein gedrun-gen war. Ein markantes Beispiel für einen solchermaßen emporgekommenenConverso-Familienverband bildete die berühmte Cartagena-Maluenda-Santama_ria-Sippe, die aus dem Judentum von Burgos hervorgegangen war52. Das erstebedeutende Mitglied dieser Sippe war Salomon ha-Levi, Oberrabbiner von Bur-

Expresiones de la religiosidad cristiana en los procesos contra los judaizantes del tribunal de CiudadReal/Toledo, 1483-1507, in: En la Espafia Medieval13 (1990) 303-330.48 Zu den Barceloneser Verhältnissen vor und nach 1391 vg!. in dieser Hinsicht außer F. CARRERASCANDI,Evoluci6 hist6rica de juheus y juheissants barcelonins, in: Estudis Universitaris Catalans 3(1909) 404-428, 498-522; 4 (1910) 45-65, 359-373, noch J. PERARNAU,EI proces inquisitorialcontra eis jueus Janto Almuli, la seva muller Jamila i Jucef de Quatorze (1341-1342), in: RevistaCatalana de Teologia 4 (1979) 309-353, sowie J. HERNANDOIANGELSIBAJiiEZ,EI proces contra elconvers Nicolau Sanxo, ciutadä de Barcelona, acusat d'haver circumcidat el seu fill (1437-1438).Processus inquisitionis facte contra Sanxo, conversum, civem Barchinone, A.D.B., Processos n.762, in: Acta Mediaevalia historica et archeologica 13 (1992) 75-100.49 Zum Beispiel Sevilla vg!. I.MONTESROMERO-CAMACHO,Notas para el estudio de la juderia se-villana en la Baja Edad Media (1248-1391), in: Historia. Instituciones. Documentos 10 (1983) 251-277. Für die Zeit vorher siehe S. de Mox6, Los judios casteIlanos en el reinado de Alfonso XI, in:Sefarad 35 (1975) 131-150,36 (1976) 39-120; zu den Verhältnissen des 15. Jhs. außer HALlCZER,The Castilian Urban Patriciate (Anm. 45), noch M. MARQUEZVILLANUEVA,Conversos y cargosconcejiles en el siglo XV, in: Revista de Archives, Bibliotecas y Museos 63 (1957) 503-540, undM. I. FALC6NPEREZ,El patriciado urbano de Zaragoza y la actuaci6n reformista de Fernando II enel gobierno municipal, in: Aragon en la Edad Media. Estudios de Economia y Sociedad " (1979)245-298.50 ZIMMELS,Die Marranen (Anm. 46) 42 ff., der auch darlegt, wie sich die Einstellung der ortho-doxen Juden gegenüber den anusim im Laufe der folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte weiterverschlechterte, aber leider dazu neigt, unter Mißachtung der historischen Dimension die Zeugnissemiteinander zu vermischen.51 Es handelt sich um den Libro lIamado el Alboraique, den N. L6PEZMARl1NEZ,Los judaizantescasteIlanos y la Inquisici6n en tiempos de Isabella Cat6lica, Burgos 1954,391-404 Apend. IV, undauszugsweise I.LOEB,Polemistes chretiens et juifs en France et en Espagne, in: Revue des EtudesJuives 18 (1889) 238-242 Nr. 10, edierten. Vg!. dazu L. VONES,Die Vertreibung der spanischenJuden 1492. Politische, religiöse und soziale Hintergründe, in: H. H. HENRIX(Hg.), 1492-1992: 500Jahre Vertreibung der Juden Spaniens, Aachen 1992, 13-64, bes. 50 ff., und D. M. GITLITZ,HybridConversos in the "Libro Ilamado el Alboraique", in: Hispanic Review 60 (1992) 1-17.52 Grundlegend L. SERRANO,Los conversos Don Pablo de Santamaria y Don Alfonso de Carta-gena. Obispos de Burgos, gobernantes, diplomäticos y escritores, Madrid 1942; F. CANTERABURGOS, Älvar Garcia de Santamaria. Historia de la juderia de Burgos y de sus conversos rnäsegregios, Madrid 1952.

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gos und in seiner Zeit einer der führenden Interpreten des Talmud, der nach sei-ner Konversion durch den berühmten Prediger Vicent Ferrer unter seinem christ-lichen Namen Pablo de Santamaria Bischof von Cartagena und Burgos sowiepäpstlicher Legat a latere wurdev. Sein ältester Sohn Gonzalo erhielt die Bi-schofswürde von Astorga, Plasencia und Sigüenza; sein Sohn Alonso de Carta-gena, der berühmte Humanist, folgte ihm auf dem Bischofsstuhl von Burgosnach"; über seinen Sohn Pedro und dessen Nachkommenschaft wurden ver-wandtschaftliche Verbindungen zur mächtigen Adelsfamilie der Mendoza und zuden Franco de Toledo geknüpft; eine Tochter heiratete in den Toledaner Stadt-adel ein. Eine Schwester Pablos band die mächtige, über ausgedehnten EinflußverfUgende Familie der Maluenda, die mit Juan Ortega de Maluenda den Bischofvon Coria, mit Alfonso Rodriguez de Maluenda den Bischofselekten von Sala-manca stellte - beides Neffen Pablos -, an die Santamaria-Cartagena. Ein weitererNeffe Pablos, Juan Diaz de Coca, erscheint als Bischof von Oviedo undCalahorra; ein Bruder, der bekannte Hofchronist Alvar Garcia de Santamaria,brachte zusätzliche Heiratsverbindungen ein. Pablo bekleidete außerdem das Amteines königlichen Chanciller Mayor; Alonso de Cartagena gehörte dem königli-chen Rat an; Alvar Garcia de Santamaria war Regidor von Burgos, Mitglied desköniglichen Rats und hatte zudem verschiedene wichtige Hofämter inne. Einweiterer Bruder, Pedro Suärez de Santamaria, kann als oberster Stadtschreibervon Burgos nachgewiesen werden; andere Söhne Pablos versahen die Ämter ei-nes Guarda dei Rey, eines Regidors und des königlichen Corregidors in Toledo.Außerdem bekleideten Mitglieder der angeheirateten Familien in ihrem Wir-kungskreis eine Vielzahl wichtiger städtischer Ämter und Funktionen am kastili-sehen Hof. Nicht genug damit, ein weiterer Familienzweig sollte sich bald inZaragoza niederlassen, dort ebenfalls in der oligarchischen Oberschicht Fuß fas-sen und so das verwandtschaftliche Beziehungsgeflecht nach Arag6n ausweiten»,Die Mitglieder der Cartagena-Maluenda-Santamaria-Sippe sowie die ihnen ver-bundenen Geschlechter, allen voran die Mendoza und die Älvarez de Toledo, ge-hörten aber zur staatstragenden Schicht in der Krone Kastilien. Aus einem Zweigder Alvarez de Toledo sollten dann die Grafen und späteren Herzöge von Albahervorgehen, während ein anderer die Herren von Oropesa hervorbrachte; zu denOropesa sollte indes der Converso und Hieronymitengeneral Alonso de Oropesaebenso gehören wie der berühmte Converso, Beichtvater Isabellas der Katho-lischen und erste Erzbischofvon Granada Hemando de Talavera, der 1466 eben-falls dem Hieronymitenorden beigetreten war>. Die hier angeführten Bezie-

S3 Zu ihm SERRANO,Los conversos (Anm. 52) passim.54 Zu Alonso de Cartagena vgL außer SERRANO,Los conversos (Anm. 52), auch O. DI CAMILLO,EIHumanismo CasteIlano deI Siglo XV, Valencia 1976, bes. 135 ff., und neuestens G. VERDIN-DIAZ,Alonso de Cartagena y el Defensorium Unitatis Christianae (Introducciön histörica, traducciön ynotas), Oviedo 1992.ss VgL dazu R. B. TATE, Gonzalo Garcia de Santa Maria, bibliöfilo, jurista, historiador, in: R. B.TATE, Ensayos sobre la historiografia peninsular del siglo XV, Madrid 1970, 212-227.56 Zu diesen Beziehungen, die noch weiterer Erhärtung bedürfen, vgl, vorerst HIGHFlELD,Christi-ans, Jews and Muslims (Anm. 2) 135-138; zurückhaltender zum Converso-Einfluß, ohne aufHIGHF1ELDeinzugehen: Rom, Anti-Converso Riots (Anm. 74) 373 ff. Zu den Converso-freundli-ehen Strömungen innerhalb des Hieronymitenordens in dieser Epoche siehe nun S. COUSSEMACKER,Convert is et judai'sants dans I'ordre de Saint-Jeröme, Un etat de la question, in: Melanges de la CasaVeläzquez 27/2 (1991) 5-27, die den Forschungsstand diskutiert.

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hungsgeflechte zwischen Converso- und Adelsgeschlechtern waren eben nur einBeispiel, das um Familien wie die Arias de Avila, die Gonzälez de Toledo undalle obersten königlichen Finanzverwalter bis zur Regierung Heinrichs IV. ver-mehrt werden könnte. Solche Beispiele verweisen außer auf die kirchliche Hier-archie auf eine aufsteigende Verwaltungselite, die als an den Universitäten undihren Colegios ausgebildete Letradossi neben den aus altchristlichen Familienhervorgegangenen Rechtsgelehrten in vielen Bereichen dieser neuen Gesellschaftdas Rückgrat der königlichen Administration bildeten.

Dem Streben dieser Gruppen nach gesellschaftlicher Anerkennung und nichtminder gesellschaftlicher Integration standen aber die Folgeerscheinungen desPogroms von 1391 entgegen. Die bemerkenswerte Vermehrung der Konvertiten-Schicht durch die Zwangstaufen - realistische, vielleicht doch noch überzogeneSchätzungen belaufen sich auf etwa insgesamt 50000 Taufakte bis 142058 - unddas vielerorts offensichtliche, zumindest formelle Beharren der neuen Christenauf den Formen ihres alten Glaubens rückte die Conversos, für die schon längstneben der Bezeichnung tornadizos der herabwürdigende Schimpfname Marranos- 'Schweine' - existiertev, als Judaizantes in die Nähe der verbliebenen Juden, jaließ sie in den Augen vieler mit diesen verschmelzen. Man unterschied im allge-meinen Bewußtsein nicht zwischen Konvertiten, die durch die Überzeugungs-mission bekehrt worden waren, und jenen anusim, bei denen sich durch die Taufenur das äußerliche Gebaren geändert hatte, die aber angeblich oder in Einzelfäl-len wirklich ihre Kinder weiterhin beschneiden und im jüdischen Glauben unter-richten ließen, im Geheimen an den althergebrachten Riten teilnahmen, sich vonden orthodoxen Juden in den Zeremonien und in den Vorschriften des mosai-schen Gesetzes unterweisen ließen und nach wie vor die traditionellen Speisevor-schriften beachteten. Diese sich abzeichnende Gleichsetzung aller Conversos mitJudaizantes und in letzter, absehbarer Konsequenz mit Juden, die vor allem aufdie unteren Schichten mit ihrem Sozialneid Eindruck machen mußte, rief nichtnur die im christlichen Glauben festen Konvertiten auf den Plan, die die Bedro-hung ihrer gesellschaftlichen Stellung schon früh erkennen mußten, sondern ließauch die betroffenen kirchlichen Kreise und das interessierte Königtum nach ei-ner Lösung suchen; einer Lösung, die in der spanischen Forschung wiederholt alssolucion final bzw., um sie vom Holocaust zu unterscheiden, als solucion total

57 Zur Entstehung der Schicht der Letrados siehe S. de Moxo, La promoci6n politica y social de los'letrados' en la Corte de Alfonso XI, in: Hispania 35 (1975) 5-29; J. A. MARAVALL, Los »hombresde sabere 0 letrados y la formaci6n de su conciencia estamental, in: J. A. MARAVALL, Estudios dehistoria del pensamiento espailol, t. I, Madrid 31983,331-362.58 Ein Versuch, die Gesamtzahl der Conversos und ihr Anwachsen nach 1391 abzuschätzen, findetsich in dem nicht unumstrittenen Werk von B. NETANYAHU, The Marranos of Spain from the lateXIVth to the early XVIth century, according to contemporary Hebrew sources, New York 1966, erw.Neuausg. New York 21972 (ND 1973) 238 fT., 255 fT.59 Zum Begriff, seiner Herkunft und seiner Wirkungsgeschichte siehe D. GONZALO MAESO, Sobrela etimologia de la voz "marrano" (criptojudio), in: Sefarad 15 (1955) 373-385; A. FARINELLI, Mar-rano (Storia di un vituperio) Genf 1925, bes. 29 ff., 39 ff., und VONES, Die Vertreibung der spani-schen Juden 1492 (Anm. 51) 51 f. Anm. 99 und 62 f. mit Anm. 131, wo sich auch eine ablehnendeStellungnahme der Cortes von Soria 1380 gegen den Gebrauch dieser Schimpfnamen gegen Con-versos abgedruckt findet (Cortes de los antiguos reinos de Le6n y Castilla, vol. II [Madrid 1863]309).

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bezeichnet worden ist60• Oder besser: man befand sich nun, wie es Eloy BenitoRuano griffig ausdrücktest, auf dem Weg vom problema judio zum problemaconverso.

Selbst führende Vertreter des Konvertitenlagers wie Pablo de Santamaria(Salomon ha-Levi) und sein Schüler Jerönimo de Santa Fe (Jehoshua ha-Lorqui)stimmten darin überein, daß die Quelle des Irrtums für die Juden im Fortbestehendes mosaischen Glaubens lag und für die Bekehrten in den Möglichkeiten, mitdemselben in engeren Kontakt zu kommenw. Solche Argumente deckten sich ingewisser Hinsicht mit den Anschauungen des Dominikanerpredigers Vicent Fer-rer, der allerdings noch einen Schritt weiterzugehen beabsichtigte und durch eineVerschärfung der Gesetzgebung die Lebensbedingungen der verbliebenen ortho-doxen Juden derart erschweren wollte, daß den Betroffenen die völlige Konver-sion als der einzig gangbare Ausweg erscheinen mußte=. Obwohl sein eigentli-ches Betätigungsfeld in den Ländern der Krone Aragon lag, konnte er mit sol-chen radikalen religiösen Ansichten, was nun nicht mehr überrascht, zuerst inKastilien Fuß fassen. Dort war nach dem vorzeitigen Tod König Heinrichs Ill.,der selbst 1405 auf den Cortes von Valladolid in eigener Regie eine Reihe anti-jüdischer Bestimmungen erlassen hatte=, seit 1407 wieder eine Regentschaft füreinen minderjährigen Thronfolger angebrochen, hatte der Kampf zweier sich be-fehdender Parteien um die Macht noch unsicherere Verhältnisse geschaffen. DieFührer beider Parteien, die Königinmutter Katharina von Lancaster und den On-kel des Königs, Ferdinand von Antequera, verstand der wortgewaltige Predigerfür seine restriktive Judenpolitik zu gewinnen. Hatte bereits 1408 die KöniginKatharina im Namen ihres minderjährigen Sohnes Johann (11.)unter Berufungauf die Bestimmungen der Siele Partidas ein Verbot verkünden lassen, durch dasden Juden sowohl die Eintreibung von Zinseinkünften als auch die Ausübung öf-fentlicher Ämter mit der spürbaren Absicht untersagt wurde, das Zusammenlebenzwischen Juden und Christen radikal zu unterbinden, damit letztere nicht durchdie Gemeinsamkeiten und den Umgang mit den Ungläubigen dem Irrtum verfie-

60 Zu diesen Bezeichnungen vg!. MONSALVOANT6N, Teoria y evoluci6n (Anrn. 3) 255 fT., 265 fT.,der sich auch mit Recht gegen den von SUAREZ FERNANDEZ, Judios espai'loles (Anm. 3) 201, an-stelle der zuvor propagierten Konspirationsthese eingeführten BegrifT eines antijüdischen 'Pro-gramms' - "... las matanzas de judios ... forman parte de un programa que venia geständose desde lasprimeras decadas dei siglo XIV ... " - wehrt (255).61 So BENITO RUANO, Los origenes (Anm. 45) 13 fT.62 SuAREZ FERNANDEZ, Judios espai'loles (Anm. 3) 218 f.63 Zur Haltung des Vicent Ferrer vg!. S. BRETILE, San Vicente Ferrer und sein literarischer Nach-laß, Münster 1924, sowie J. M. MILUS VALLICROSA, San Vicente Ferrer y el antisemitismo, in:Sefarad 10 (1950) 182-184; J. M. MILUS VALLICROSA, En tomo a la predicaci6n judaica de SanVicente Ferrer, in: Boletin de la Real Academia de la Historia 142 (1958) 191-198; F. VENDRELLGALLOSTRA, La actividad proselitista de San Vicente Ferrer durante el reinado de Femando I deArag6n, in: Sefarad 13 (1953) 87-104; J. E. MARTINEZFERRANDO, San Vicente Ferrer y la casa realde Arag6n, in: Analeeta Sacra Tarraconensia 26 (1953) 1-143; V. BELTRAN DE HEREDIA, SanVicente Ferrer, predicador de sinagogas, in: Salmanticensis 2 (1955) 669-676, und vor allemJ. TORRES FONTES, Moros, judios y conversos bajo la regencia de don Femando de Antequera, in:Cuademos de Historia de Espai'la 31 (1960) 60-97.64 Cortes de los antiguos Reinos de Leön y de Castilla, 1. Ill, Madrid 1863, 544-554. Zur Haltungder Cortes gegenüber ethnischen Minderheiten vg!. J. M. MONSALVOANT6N, Cortes de Castilla yLe6n y minorias, in: Las Cortes de Castilla y Leön en la Edad Media. Aetas de la Primera Etapa delCongreso Cientifico sobre la Historia de las Cortes de Castilla y Leön, vo!. 11,Valladolid 1988, 143-191.

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len65, so wurden 1412, gutgeheißen durch das Papsttum, die Gesetze von AylI6n,der weit umfassendere, alle Lebensbereiche berührende sog. Ordenamiento deValladolid, ausgearbeitete, die sofort im Machtbereich der Königin, darunterSevilla, C6rdoba und Jaen, umgesetzt wurderr". Da Ferrer zudem ein entschei-dendes Wort dabei mitredete, als im gleichen Jahr Ferdinand von Antequeradurch den Kompromiß von Caspe zum neuen König von Aragon gewähltwurdess, geschah es, daß die Gesetzgebung gemäß den Absprachen von Ayll6n,wenn auch in der abgemildeteren Form von Cifuentes, auf die aragonesischenKronländer übertragen wurdee'. Darüber hinaus vollzog sich der Einstellungs_wandel noch auf einer anderen Ebene, als die Concejos dazu übergingen, in denStadtrechten die Juden mit den Prostituierten gleichzustellen, ihnen unter ande-rem das Berühren von Lebensmitteln auf den Märkten zu verbieten, jüdischeSpeisen als unrein zu brandmarken und so die Sephardim als 'Unberührbare' zudiskriminieren?e. Andererseits wirkte die Wiederbegründung der strengen Separa-tion für die Conversos wie eine Inschutznahme gegenüber den Vorwürfen, rück-fällig werden zu können. Zwar erlebten die jüdischen Gemeinden in den folgen-den Jahrzehnten eine Phase der trügerischen Ruhe und noch 1432 konnten sie aufeiner großen Zusammenkunft in Valladolid mit den takkanot-Gesetzen eine ge-meinsame Grundlage für das geordnete Zusammenleben in den A/jamas verab-schieden», doch zahlten sie ungewollt einen hohen Preis. Mit Alvaro de Luna72,dem mächtigen Günstling des Königs und Condestable von Kastilien, hatten sieeinen Beschützer, der ihre fähigsten Köpfe zur Reichs- und speziell zur Finanz-verwaltung heranzog, sie durch die Ausübung dieser Funktionen aber wieder demHaß der pecheros menudos, der steuerzahlenden Bevölkerung, aussetzte. Zusätz-lich wurden sie in die Gegensätze zwischen Luna und dem hohen kastilischenAdel hineingezogen, da sie eine Gruppe bildeten, die als Helfer des verhaßtenköniglichen Günstlings mit dessen Parteigängern in eins gesetzt wurde - alsunmittelbare Folge dieser unglücklichen Konstellation kam auch im Adel eineantijüdische Stimmung zum Tragen, die nicht zwischen Juden und Conversos

65 P. LE6N TELLO, Judios de Toledo, t. I, Madrid 1979,443-446 Nr. 48 zu 1408 Oktober 25; vgl,ebd. 11,210, Nr. 703 mit Bezug auf Part. VII, 24, 3. Siehe auch oben Anm. 26.66 BAER, Die Juden im christlichen Spanien (Anm. 29) II 263-272 Nr. 275; LE6N TELLO, Judios deToledo I (Anm. 65) 446-449, Nr. 49 zu 1412 Januar 2.67 Vgl. MONTESROMERO-CAMACHO,La rninoria hebrea (Anm. 3) 552.68 Zur Rolle des Vicent Ferrer und seines Bruders Bonifaz beim Kompromiß von Caspe sieheLI. DOMENECH1MONTANER,La iniquitat de Casp i la fi del comtat d'Urgell, Barcelona 1930; J. B.MANYA, Saint Vicents Ferrer a Casp i a Perpinyä, Tarragona 1962; E. SARASASANCHEZ,Arag6n yel Compromiso de Caspe, Zaragoza 1981,127 fT.69 J. VILLANUEVA,Viage literario por las Iglesias de Espafla, vol. XXII, Madrid 1852,258 f. zu1413 März 20. Vg!. BAER, Die Juden im christlichen Spanien (Anm. 29) 1 790 f. Nr. 485;T. MlNGÜELLAYARNEDO,Historia de la di6cesis de Sigüenza, vol.lI, Madrid 1912,620 f..70 Vg!. M. KRIEGEL, Un trait de psychologie sociale dans les pays rnediterraneens du bas moyenäge: le juif comme intouchable, in: AESC 31 (1976) 326-330.71 Zu den takkanot von Valladolid siehe die kritische Edition der Verordnungen durch Y. MORENOKOCH, The takkanot of Valladolid of 1432, in: The American Sephardi 9 (1978) 58-145, und denhebräischen Text bei BAER, Die Juden im christlichen Spanien (Anm. 29) II 280-298 Nr. 287 zu1432 April22 - Mai 2. Als abschließende Edition nun: Y. MORENOKOCH, Fontes Iudaeorum RegniCastellae. V: De iure hispano-hebraico. Las Taqqanot de Valladolid de 1432. Un estatuto comunalrenovador, Salamanca 1987.72 Zu ihm siehe N. G. ROUND,The greatest man uncrowned. A study of the fall of Alvaro de Luna,London 1986.

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unterschied, sondern gleichermaßen getaufte und ungetaufte Juden als Gegnerder aristokratischen Politik denunzierte. Ihren nachhaltigsten Widerhall fanddiese Zuspitzung der öffentlich geführten Diskussion in Pamphleten, die in ihrerallgemeinen Judenfeindlichkeit bei Vertretern aller gesellschaftlichen Schichtenauf Zustimmung trafen", Zu allem Überfluß stand spätestens seit der im Sinneeiner Verschärfung vereinheitlichten Gesetzgebung von 1412 fest, daß sowohldie weltliche als auch die geistliche Gewalt den Endpunkt der Entwicklung imAufgehen des Judentums in einer rein christlichen Gesellschaft sahen: Die Kon-version aller Juden zum christlichen Glauben, sei es auch durch die Anwendungäußeren Drucks, begann sich auf lange Sicht als eigentliche Zielvorstellung her-auszukristallisieren. Was fehlte, war der letzte Anstoß, der zündende Funke, dieMöglichkeit, über Reichsgrenzen hinweg zentral vorzugehen; aber auch die letzteNotwendigkeit, die ins Auge gefaßte Lösung durchzusetzen.

IV.

Die soeben erwähnte Phase der trügerischen Ruhe für die jüdischen Gemeindensowie für die zwischen christlicher Gesellschaft und sephardischer Tradition ste-henden Konvertiten ging in Kastilien 1449 zu Ende, als sich im Königreich durchden Ausbruch innerer Spannungen jene Epoche permanenter bürgerkriegsartigerAuseinandersetzungen ankündigte, die ihren Höhepunkt nach 1463 erreichte undsich mit kurzen Unterbrechungen bis zum Regierungsantritt der KatholischenKönige hinziehen sollte. Nach der bisher beschriebenen Entwicklung kann esnicht überraschen, wenn sichjener Aufruhr, der im Jahr 1449 in Toledo ausbrach,gegen die Conversos richtete, die den Großteil der herrschenden Schicht in derStadt stellten. Unter Führung des königlichen Repostero Mayor Pero Sarmientowurde er von jenen Mittelschichten getragen, die in direkter Konkurrenz zu denneuchristlichen Amtswaltern sowie Kaufleuten standen und gerade zu dieser Zeitbedeutende finanzielle Beiträge zum Kampf Lunas gegen seine adligen Gegnerleisten sollten. Die Forderungen der Aufständischen gipfelten darin, den Conver-sos zukünftig die Wahrnehmung öffentlicher Ämter zu untersagen. Sie verlangtenpraktisch die Übertragung des fur Juden geltenden Amtsverbots auf die Konver-titen und nahmen nun erstmals in einem Sentencia-Estatuto zu der BehauptungZuflucht, das reine Blut der Altchristen werde durch das jüdische Volk befleckt,weshalb der Ausschluß der Conversos von der Bekleidung öffentlicher Ämternotwendig sei, da ein Jude unabhängig von der Taufe ein Jude bleibe". Damitwar das ethnisch begründete, deshalb um so gefährlichere Argument der limpiezade sangre, der Reinheit des Blutes, in die Diskussion eingeführt und sollte imLaufe der kommenden Auseinandersetzungen einen immer höheren Stellenwert

73 Vg!. dazu A. MACKAY, The Hispanic-Converso Predicament, in: TRHS 5th ser. 35 (1985) 159-179, bes. 163 ff., der ebd. 175 von einem "pamphlet-war" spricht und damit die späteren Angriffedes Converso-Historiographen Fernando de Pulgar gegen die Praktiken der Inquisition meint. Sieheauch F. CANTERA BURGOS, Fernando de Pulgar y los conversos, in: Sefarad 4 (1944) 295-348, undRom, Anti-Converso Riots (Anm. 74) 386 ff.74 E. BENITO RUANO, Toledo en el siglo XV. Vida politica, Madrid 1961, 34-81; E. BENITORUANO, Los origenes (Anm. 45) 39-92; E. BENITO RUANO, Don Pero Sarmiento, Repostero Mayorde Juan 11de Castilla, in: Hispania 17 (1957) 483-504; N. G. ROUND, La rebeli6n toledana de 1449,in: Archivum 16 (1966) 385-446; N. Rom, Anti-Converso Riots of the Fifteenth Century, Pulgar,and the Inquisition, in: En la Espaüa Medieval15 (1992) 367-394.

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erhalten", Zwar wurden die Toledaner Aufrührer durch eine päpstliche Bulleverurteilt und ihre Argumentation, die im Kern den Wert der Taufe in Fragestellte, von kirchlicher Seite entschieden zurückgewiesents; zwar fanden sich so-gleich Verteidiger der Rechtgläubigkeit der Konvertiten, die selbst zum Teil alsAbkömmlinge von Conversos und Inhaber hoher kirchlicher Ämter unmittelbarbetroffen waren, die die durch den Taufakt geschaffene Einheit der christlichenGemeinschaft betonten und keine Einschränkung gelten lassen wollten; dochkonnten auch sie nicht umhin zuzugestehen, daß die Juden und der Umgang mitihnen für alle Christen gleich welcher Herkunft eine stete Glaubensgefahr dar-stellten, ja sie imstande waren, ein Abgleiten in die Häresie zu bewirken?",

Da an dieser Stelle nicht auf die reiche Streitschriftenliteratur der nächstenJahrzehnte eingegangen werden kann, mag die Feststellung genügen, in welchemPunkt sich die Polemik für und gegen die Juden traf, wie sie in der Hauptsachevon Seiten der Conversos und den Vertretern der Mendikantenorden vorgebrachtwurde": Eine seltsame Einigkeit herrschte zuletzt in allen Lagern darüber, daßdie strenge Separation, gepaart mit einer Inquisition und gegebenenfalls mitMaßnahmen zur Zwangsbekehrung, das beste Mittel zum Schutz der Christenund natürlich der Conversos sei - gewiß keine grundsätzlich neuen Ansichten,aber nun getragen von einem langsam deutlicher werdenden Konsens der maß-geblichen Gruppen über die gesellschaftlichen Schranken hinweg. Auf der einenSeite tobte sich der extreme Fanatismus des Franziskaners Alonso de Espina aus,der in seiner Streitschrift 'Fortalitium fidei' die Gleichsetzung von Con versos undJuden vertrat, beiden Gruppen die Ausübung gleichartiger Verbrechen undBöswilligkeit gegenüber den 'echten' Christen vorwarf, in den Konvertiten nichtsanderes sah als Juden, die ihren Kult weiterhin im Verborgenen ausübten, und derdurch die mögliche Verhinderung jeglichen Kontakts und die Einrichtung einerInquisition die Reihen der Conversos von judaisierenden Häretikern säubernwollte?'. Auf der anderen Seite fand sich mit dem Hieronymitengeneral Alonsode Oropesa, selbst einer Converso-Familie angehörend, ein Mann, dessen mäßi-gende Haltung sich in seiner Verteidigungsschrift 'Lumen ad revelationem gen-tium' niederschlug, der sich aber gegenüber den polemischen Angriffen nur zuverteidigen wußte, indem er die Schuld am schlechten Ruf der Konvertiten aufdie Berührung mit den Juden schob, die bischöfliche Inquisition zur Kontrolle derGlaubensnormen akzeptierte und sowohl in der strengen Isolation als auch in derZwangsbekehrung der Sephardim einen heilsamen Ausweg aus der bedrohlichen

75 Grundlegend: A. A. SICROFF, Les controverses des statuts de "purete de sang" en Espagne duxve au XVIIe siecle, Paris 1960 (span. Übers.: 'Los estatutos de limpieza de sangre. Controversiasentre los siglos XV y XVI', Madrid 1985). VgL auch GINIO, Self-Perception and Images (Anm. 45)130 ff.76 V. BELTRANDE HEREDlA, Las bulas de Nicoläs V acerca de los con versos de Castilla, in: Sefarad21 (1961) 22-47; BENITO RUANO, Toledo en el siglo XV (Anrn. 74) 198-205 Nr. 18-20 zu 1449September 24; SIMONSOHN, Documents 11(Anrn. 20) 935-937, Nr. 775.77 Vgl. VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anrn. 51) 3 I ff.78 Vgl. VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 26 ff.79 Vgl. VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 30 ff.; BEINART, Conversoson Trial (Anm. 45) 6 ff. Zur Deutung des Fortalitiumfidei ist in Kürze zu erwarten: A. M. GINIO, LaForteresse de la Foi: La vision du monde d'Alonso de Espina, moine espagnol (? - 1466) [Paris].

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Situation sahSO.Kurz zuvor hatte bereits ein anderer Converso, der königlicheRelator Fernän Diaz de Toledo, der selbst einer der Hauptbetroffenen der Ereig-nisse von 1449 gewesen war, dem an der Kurie einflußreichen Kardinal Juan deCarvajal vorgeschlagen, den Schutz der 'echten, wahren' Konvertiten mit derReinigung ihrer Reihen von den unerwünschten, judaisierenden Elementen zuverbinden". Zwischen diesen Extremen standen Königtum und Adel mit ihremBedürfnis, aus diesen Spannungen den größten politischen Nutzen zu ziehen. Sosollte das ursprünglich in Toledo nicht durchsetzbare Ämterverbot wenige Jahrespäter aus politischen Rücksichten doch Gültigkeit erlangenss, so sollte 1473 einweiterer massiver Aufstand in Cordoba die Converso-Schicht empfindlich tref-fen, auch dort ein Ämterverbot in die Wege leiten83 und zu ihrer vorübergehen-den Ansiedlung in Gibraltar führen, bis sie dort 1476 vom Herzog von Medina-Sidonia vertrieben wurden=. Als besonders bedrohliche Hypothek erwiesen sichjedoch die Forderungen des Hochadels, die während des Bürgerkriegs bei denAusgleichsverhandlungen von Cabezön-Cigales und Medina dei Campo 1464/65vorgebracht wurden: König Heinrich IV. wurde bei dieser Gelegenheit nebenZugeständnissen rein machtpolitischer Art in der Sentencia de Medina del Campodie Auflage gemacht, alle Muslime und Juden aus königlichen Diensten zu ent-fernen und aus dem Reich zu vertreiben, ihre Güter einzuziehen und sodann ge-gen jene häretischen Christen vorzugehen, die der Ketzerei verdächtig seien,womit nur die Conversos gemeint sein konnten. Gegen diese sollten die Bischöfe,die kirchliche Gerichtsbarkeit und Ketzerinquisitoren tätig werden". Das bedeu-tete nichts anderes, als daß der aufständische Adel, der zu dieser Zeit die SacheAlfons' XII. und seiner Schwester Isabella, beide Halbgeschwister des Königs,vertrat, bereits damals eine radikale Problemlösung vorzog, eine Rückkehr zur re-striktiven Gesetzgebung gegen Juden und Mauren - zum "espiritu de 1412"86 -propagierte und sich darüber hinaus die Forderung nach Einrichtung einer Inqui-sition traditionellen Zuschnitts zu eigen machte. Diese Forderung hatte Hein-rich IV. bereits Jahre zuvor gestellt; sie war jedoch vorerst beim Papsttum noch

80 Zu Alonso de Oropesa siehe L. A. DIAZ Y DIAZ, Alonso de Oropesa y su obra, in: Studia Hiero-nymiana 11,Madrid 1973, 229-273, und L. A. DIAZ Y DIAZ, Alonso de Oropesa, Luz para conoci-miento de los gentiles, Madrid 1979.81 Dieser Vorschlag findet sich in einem Schreiben des Fernän Dlaz de Toledo an Juan de Carvajal(ed. P. SAINZ DE BARANDA, in: Colecciön de Documentos Ineditos para la Historia de Espaäa, vol.XIII [Madrid 1848] 32 Nr. 39). Vgl. HIGHFlELD, Christians, Jews and Muslims (Anm. 2) 126 f.82 BENITO RUANO, Los origenes (Anm. 45) 133 fT.83 M. NIETO CUMPLIDO, La revuelta contra los conversos de Cordoba en 1473, in: Homenaje aAntön de Montoro en e1 V centenario de su muerte, Montoro 1977,29-49; J. EDWARDS, ChristianC6rdoba. The city and its region in the late Middle Ages, Cambridge 1982, 183 f.; 1. EDWARDS, Re-ligious belief and social conformity: the converso problem in late medieval Cordoba, in: TRHS 5thser, 31 (1981) 115-128; J. EDWARDS, Politics and ideology in Late Medieval Cordoba, in: En laEspana Medieval lVII (1984) 277-303.84 Vgl. nun D. LAMELAS, The sale of Gibraltar in 1474 to the New Christians of Cordova, Gibraltar

1992.85 Ed. in: Memorias de Don Enrique IV de CastilIa. Vol. 11:Colecci6n diplomätica, Madrid 1913,355-479. Zu den Verhandlungen von Medina dei Campo siehe W. D. PHILLIPS, JR., Enrique IV andthe Crisis of Fifteenth-Centu~ Castile 1425-1480, Cambridge/ Mass. 1978,76 fT. und M." D.-C.MORALES Millnz, Alfonso de Avila, ~ey de Castilla, Avila 1988,64 fT.86 So MORALES MilllIZ, Alfonso de Avila (Anm. 85) 68.

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nicht durchzusetzen gewesen, da der König die Kontrolle über die Inquisition furdie Krone beansprucht hattes'.

V.

Allerdings sollte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis das Verhältnis vonChristen, Juden und Konvertiten zueinander durch eine gewandelte Inquisitionals staatliches Überwachungsorgan bestimmt wurde. Dieser Zeitpunkt war ge-kommen, als der absehbare Regierungsantritt der Katholischen Könige einerseitsbreite Zustimmung ebenfalls in den Kreisen der Juden und Conversos gefundenhatte, andererseits die Niederschlagung der Ausschreitungen von 1473 in Anda-lusien hatte deutlich werden lassen, daß Ferdinand und Isabella gewillt waren, dieprotektionistische Politik ihrer Vorgänger gegenüber diesen Gruppen fortzuset-zen, wenn ihre Bedeutung fur die Reichsverwaltung und die wirtschaftliche Pro-sperität das erfordertee. Unter diesen Gesichtspunkten kam der Einrichtung einerauf das Königtum bezogenen Inquisition, wie sie Papst Sixtus IV. 1478 sanktio-nierte89, nicht allein die Funktion zu, die religiöse Konformität innerhalb derchristlichen Gesellschaft zu garantieren, sondern sie konnte auch dazu dienen,Angriffen auf gefährdete Glieder eben dieser Gesellschaft durch eine unanfecht-bare Reinigung den Boden zu entziehen, da sie gewissermaßen die Verfolgungabweichender religiöser, ritueller und sozialer Verhaltensweisen aus dem unkon-trollierbaren, zur Spontaneität neigenden privaten Bereich herauslöste und zu ei-ner öffentlich geregelten Sache unter zumindest formeller Oberaufsicht des Kö-nigtums machtew, Es darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, daßwährend der gut vier Jahre dauernden Aufbauphase des inquisitorialen Apparates1480 die Cortes von Toledo abgehalten wurden, die fur die zukünftige Verfas-sung Kastiliens von überragender Bedeutung sein sollten?'. Auf dieser Versamm-lung wurden die verschärfenden Züge der Judengesetzgebung erneut bekräftigtund vor allem Wert darauf gelegt, die oftmals verkündete strenge Ghettoisierungdieser 'minoria inasimilable' nun auch wirklich durchzuführene, wobei MonsalvoAntön bei den Katholischen Königen eine logica antiheretica mäs que antijudia

87 HIGHFIELD, Christians, Jews and Muslims (Anm. 2) 127.88 Zu den Verhältnissen in Andalusien im Vorfeld von 1492 siehe nun M. A. LADERO QUESADA,Andalucia en tomo a 1492. Estructuras. Valores. Sucesos, Madrid 1992, und allgemeiner 1. PEREZ,Ferdinand et Isabelle, Rois Catholiques d'Espagne, Paris 1988 (dt. Übers.: München 1989).89 B. LLORCA, Bulario pontificio de la Inquisici6n espailola en su periodo constitucional (1478-1525), Rom 1949,48-59 Nr. 3; 1. A. SESMAMuNOZ, El establecimiento de la Inquisici6n en Aragon(1484-1486). Documentos para su estudio, Zaragoza 1987, 27 f. Nr. 1; S. SIMONSOHN, TheApostolic See and the Jews. Documents: 1464-1521 Toronto 1990 [fortan SIMONSOHN, DocumentsIll) 1247-1249 Nr. 1000 zu 1478 November 1. Zu den Anfängen der Inquisition siehe zusam-menfassend J. PEREZ VILLANUEvA/ B. ESCANDELL BONET (Dir.), Historia de la Inquisici6n enEspaila y America. I: El conocimiento cientifico y e1 proceso hist6rico de la Instituci6n (1478- 1834),Madrid '1984; VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 43 ff.; BEINART,Conversos on Trial (Anrn. 45) 20 ff., sowie A. RAMOS CASCALES, La Inquisici6n en Andalucfa.Resistencia de los conversos a su implantaciön, Sevilla 1986.90 MACKAV, The Hispanic-Converso Predicament (Anm. 73) 169.91 J. M. CARRETEROZAMORA, Cortes, monarquia, ciudades. Las Cartes de Castilla a cornienzos dela epoca modema (1476-1515), Madrid 1988.92 CARRETERO ZAMORA, Cortes, monarqula, ciudades (Anm. 91) 187-189, das Zitat auf S. 187.Vg!. auch MONSALVOANT6N, Cortes de Castilla y Le6n y rninorias (Anm. 64) bes. 182 f., 190 f.

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feststellen möchte?'. Zweifellos geschah dies mit dem Ziel, jene Vermischung derReligionsgruppen bereits an der Wurzel auszuschließen, die das antijüdischeebenso wie das gegen die Judaizantes gerichtete Ressentiment speiste und der In-quisition in erster Linie eine Handhabe bei ihrem Vorgehen gegen die Conversosbieten konnte. Wären diese Maßnahmen, wie berechnet, durchfiihrbar gewesen,hätten unter Vermeidung der völligen Vertreibung die wichtigsten Forderungen,die den judenfeindlichen Kreisen und den um ihre gesellschaftliche Stellung ban-genden Conversos gemeinsam waren, erfiillt werden könnens-, Die Realität sahim nächsten Jahrzehnt anders aus: Die überzogene Ausfiihrung der Separations-bestimmungen durch die Städte mündete in Andalusien in ersten völligen Ver-treibungen der übriggebliebenen sephardischen Bevölkerung, ja bewirkte sogar inAragon partielle Vertreibungen'". Nachdem die Inquisition des weiteren 1482/83ihre Arbeit aufgenommen und ihre ersten Autos de Je veranstaltet hatte96, dehntesie durch geschickte Praktiken ihr Tätigkeitsfeld immer mehr aus und entwickelteab einem bestimmten Punkt eine Eigengesetzlichkeit, so daß sie der monarchi-sehen Kontrolle in ihrer Ohnmacht gegenüber religiösen Argumenten zunehmendentglitt, auf der anderen Seite der Einfluß des Großinquisitors eine politischeDimension gewann und selbst gegenüber dem Episkopat ein Eigengewicht er-hielt. Darüber hinaus vermehrten die Aktivitäten der Inquisition mit ihren neuar-tigen Verhörpraktiken in ungeahntem Maße die Vorwürfe gegen Juden und wirk-lich oder vermeintlich judaisierende Konvertiten, schufen ein geistiges Klima,durch das Emotionen angeheizt und Anklagen hervorgebracht oder wiederbelebtwurden, die wie die der Hostienschändung und des Kindermordes aus dem Be-reich der Legende stammten?'. Als schließlich gegenüber vornehmen Conversosgezielte Anklagen auftauchten, und man selbst vor Bischöfen wie dem Sego-vianer Prälaten Juan Arias Dävila nicht halt machtew, als zusätzlich vom frei er-

93 MONSALVOANTON, Cortes de Castilla y Leön y minorias (Anm. 64) 191.94 VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 43 ff., 48 ff.; MONSALVOANT6N, Cortes de Castilla y Leön y minorias (Anm. 64) 191, zieht die Schlußfolgerung: n••• se tratade evitar el contagio, no de oprimir a estos [los judios]. Todavia en esas Cortes [de 1480] se quieresalvar la existencia de los judios en Castilla, en la linea de siernpre''. Auch Y. H. YERUSHALMI,Assimilation and Racial Anti-Semitism: The Iberian and the German Models, in: Leo Baeck Memo-rial Lectures 26 (1982) 3-38, stellt fest, daß manche Konvertiten die Einfilhrung einer Inquisitionursprünglich begrüßt hatten, da sie der Ansicht gewesen waren, nach der Entfernung der Judaizanteswürde ihre Glaubenstreue nicht mehr in Zweifel gezogen.95 H. BEINART, La Inquisiciön espaäola y la expulsion de los judios de Andalucfa, in: Jews andConversos. Studies in Society and the Inquisition, ed. by Y. KAPLAN,Jerusalem 1985, 103-123; M.aA. BEL BRAVO, Los Reyes Catölicos y los Judios Andaluces (1474-1492), Granada 1989, 159 ff.,sowie das monumentale Werk von M. A. MOllS DoLADER, La expulsion de los judios dei reino deArag6n, 2 vol., Zaragoza 1990.96 Zur EntwicklungdesAuto dele vgl. nun C. MAQUEDAABREU,El auto de fe, Madrid 1992.97 Vgl, dazu J. DELUMEAU,Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des14. bis 18. Jahrhunderts, Bd. 2, Reinbek bei Hamburg 1985,412-455, und CARRETEPARRONDO,EIjudaismo espaüol (Anm. 3) 77 ff. Die Bekämpfung eines 'Antiklerikalismus' durch die Inquisitionspielte in diesem Zusammenhang keine Rolle, so daß man beim Versuch, hier Zusammenhänge zusehen, höchstens von einer question mal posee sprechen könnte, wie zu Recht W. MONTER,Anticle-ricalism and the Early Spanish Inquisition, in: P. A. DYKEMAIH. A. OBERMAN(ed.), Anticlerica-Iism in Late Medieval and Early Modem Europe, Leiden-New York-Köln 1993,237-242, moniert.98 Vgl. dazu außer der Edition der Prozeßakten durch C. CARRETEPARRONDO,Fontes IudaeorumRegni Castellae Ill. Proceso inquisitorial contra los Arias Dävila segovianos: un enfrentamientosocial entre judios y conversos, Salamanca 1986, vor allem J. BLAzQUEZMIGUEL, Inquisici6n yCriptojudaismo, Madrid 1988, 195 ff., und neuerdings J. EDWARDS,Bishop Juan Arias Dävila of

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fundenen, aber um so eifriger geglaubten Vorwurf des Ritualmords am sog.Santo Niiio de la Guardia, dem heiligen Kind von Guardia, gleichermaßen Judenund Konvertiten betroffen waren und der Hinrichtung nicht entgehen konntenw,trieb die gesamte Entwicklung einer Klimax zu, die mit der Einnahme von Gra-nada 1492, der damit vollendeten Reconquista sowie dem daraus entstehendenreligiösen Hochgefiih1 erreicht war und offensichtlich wieder in eine unkontrol-lierbare Verfolgungswelle umzukippen drohte. In dieser Situation entschlossensich die Katholischen Könige, auf Rat des Hofes und des Consejo Real hin unterVerwendung einer Vorlage aus den Kreisen der Inquisition die letztmöglicheMaßnahme zur Entschärfung und zur Vermeidung des sich ankündigenden Aus-bruchs anzuwenden: die völlige Vertreibung der Juden als äußerste Form der Se-paration, wie sie von den radikalsten Adelskreisen seit mindestens 30 Jahren ge-fordert wurde. Das Expulsionsdekret vom 31. März 1492, dem bereits am20. März ein Entwurf des Großinquisitors Tornäs de Torquemada vorausgegan-gen war, nahm ausdrücklich Bezug auf das Scheitern der Separationsmaßnahmenvon Toledo und wertete die Vertreibung als wirksamere Fortsetzung der damali-gen Bernühungen'w. Aus weiteren Dokumenten geht indes klar hervor, daß dieKonversion der Juden Vorrang haben und das Verbleiben in den betroffenen Rei-chen ermöglichen, die durch die Aussicht auf Vertreibung und Besitzverlust er-zwungene Konversion also das primäre Ziel der reichsweiten Aktion von 1492sein sollte. Dieser Zielsetzung wurde durch das Verbot, Geld und andere Vennö-genswerte mitzunehmen, sowie in der Krone Aragon durch die Gleichstellungderjenigen, die Juden Unterschlupf gewährten, mit den Begünstigern von Ket-zern, der nötige Nachdruck verliehen'?'. Folgt man der Argumentation, die den

Segovia: 'Judaizer' or 'Refonner'?, in: Cultures in Contact in Medieval Spain: Historical and LiteraryEssays Presented to L. P. Harvey, ed. by D. Hoox/ B. TAYLOR,London 1990,71-86; J. EDWARDS,Hommes et femmes dans la vie des judeoconvers ä Segovie ä la fin du Xve siecle. Le proces des~rias Dävila, in: Les societes urbaines en France Meridionale et en Peninsule Iberique au MoyenAge, Paris 1991 (Anm. 5) 539-544.99 F. FITA, La verdad sobre el martirio del ~anto Nifio de la Guardia, 6 sea el proceso y quema (16Noviembre 1491) del judio Juce Franco en Avila, in: Boletin de la Real Academia de la Historia 11(1887) 7-160; I. LOEB, Le Saint Enfant de La Guardia, in: Revue des Etudes Juives 15 (1887) 203-232; H. C. LEA, El Santo Niäo de la Guardia, in: H. C. LEA, Chapters from the Religious History ofSpain, Philadelphia 1890 (ND 1967) 437-468; CARRETEPARRONDO,El judaismo espaäol (Anm. 3)77 ff.100Ed. L. SUAREZFERNANOEZ,Documentos acerca de la expulsion de los judios, Valladolid 1964,391-395 Nr. 177, und jetzt mit weiteren Schriftstücken zu den HintergrUnden der Vertreibung das imText abweichende Dekret Ferdinands 11. fur die Länder der Krone Aragon bei R. CONOE YDELGAOOOEMOLINA, La Expulsion de los Judios de la Corona de Aragön, Zaragoza 1991,41-44Nr. I sowie ebd. 44-63 Nr. 2-9 vom gleichen Datum; zur Überlieferung des Dekrets ebd. ID mitAnm. 9. Noch am 20. März hatte Torquemada allerdings nur die Vertreibung der Juden aus der Stadtund dem Bistum Girona angeordnet; eine Maßnahme, die überflüssig gewesen wäre, hätte bereits zudiesem Zeitpunkt die reichsweite Expulsion festgestanden. Vg!. CONDEY DELGAOOOEMOLINA, LaExpulsion de los Judios, 197-199 Nr. I. Das allgemeine königliche Vertreibungsdekret wurde denJurats von Girona dann am 30. April präsentiert. Vg!. ESCRIBAI BONASTREIFRAGOI PEREZ, Docu-ments (Anm. 14) 295 Nr. 1190.101Ed. SUAREZFERNANOEZ(Anm. 100) 394: E asi mismo damos licencia efaeultad a los dichos ju-dios e judias que puedan sacar fuera de todos los diehos nuestros reinos e sehorios sus bienes ehazienda par mar e par tierra eon tanto que no saquen ora ni plata ni moneda amonedada ni laseosas vedadas por las leys de nuestros reynos, salvo en mereaderias que non sean cosas vedadas 0

en eanbios. - Ed. CONDE (Anm. 100) 43: Esta misma pena [se. de muerte y de perdieion de bienes}

Page 26: Studienzum 15.Jahrhundert - MGH-BibliothekAyala stellte zudem lapidar fest, daß durch den Aufruhr diejuderlas bzw. a/jamas, die Judenviertel, von Sevilla, C6rdoba, Burgos, Toledo,

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Vertreibungsinstrumenten und anderen Maßnahmen in Umkreis der Ereignissevon 1492 inhärent ist, so konnte der getaufte Converso, der zwar unter die Auf-sicht der Inquisition fiel, jedoch nun nicht mehr dem Vorwurf der permanentenAnsteckung durch seine früheren Glaubensbrüder ausgesetzt war, aus der Sichtdes Königtums unter Bewahrung seines Besitzes weiterhin unbehelligt ein Lebenführen, dessen Ertrag unter dem Strich dem Staatsaufbau zugute kommen mußte.Es liegt nahe, in der Erhaltung der Conversos als staatstragender Schicht, auf dieman vorläufig vor allem in der Reichsverwaltung noch nicht verzichten konnte,sowie in der endgültigen Entfernung eines Reibungspunktes zwischen Hochadelund Monarchie die eigentlichen Beweggrunde für die Vertreibung von 1492 zusuchen'<. Die oft als Motiv vorgebrachte Herstellung der religiösen Einheit kanndemgegenüber nur als verspäteter Nebeneffekt gewertet werden, da die Expul-sion vorerst die Muslime verschonte, die seit einem Jahrhundert bei der Gesetz-gebung - dies sei hervorgehoben - immer in einem Atemzug mit den Juden ge-nannt worden waren'<' und auf die nach einer Konversion das gefährliche Argu-ment der limpieza de sangre ebenfalls Anwendung finden konnte. Im Gegenteil,die soeben unterzeichneten Kapitulationsbedingungen für Granada beließen dendort ansässigen Muslimen als zukünftigen Mudejares unter christlicher Herr-schaft ihre althergebrachte islamische Rechtsordnung, die nicht von ihrer Reli-gion zu trennen war'?'. Stattdessen setzte man gegenüber dieser bisher sozial un-bedeutenden Religionsgruppe, deren Bestand sich nun sprunghaft vermehrte, of-fensichtlich auf den Erfolg einer bald einzuleitenden Überzeugungsmission - dasErgebnis, die nach einem Jahrzehnt einsetzende, von Aufständen gegen die so-ziale Ungleichheit begleitete Zwangsbekehrung mit der abschließenden Vertrei-bung, kann als bekannt vorausgesetzt werden'<. Unter dem Strich erwies sichhingegen die Vertreibung der Juden, so hart dies in heutigen Ohren klingen mag,für das Königtum als gesellschaftspolitischer Erfolg. Da die Wirtschaftskraft derjüdischen Gemeinden auf der Iberischen Halbinsel entgegen früheren Ansichten,

incurran qualesquiere personas de qualesquiere preheminencia 0 dignidat y de qualquier stado 0

condicion sean que despues del dicho tiempo judio 0 judia de qualesquiere edat acogera, terna 0

receptara en los dichos reynos y seiiorios nuestros 0 en parte alguna del/os, pues por el/o los que talcosa fizieren, cometeran crimen de recepladores y fautores de hereges.!02Vgl. VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 48 ff.; außerdem zusam-menfassend: H. PIETSCHMANN, Die Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahre 1492, in: Aus Poli-tik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung 'Das Parlament', B 37/92 (4. September 1992),33-45, und B. LEROY, L'expulsion des juifs d'Espagne, Paris 1990. Zum Einfluß der jüdischen Kon-vertiten am Königshofist nun vor allem M. P. RABADE OBRAD6, Una elite de poder en la Corte delos Reyes Cat6licos. Los judeoconversos, Madrid 1993, zu beachten.10J Auch das erwähnte Schreiben Gregors XI. von 1375 Oktober 25 (SIMONSOIIN, Documents I[Anm. 20] 460 NT. 434) hatte darauf gedrungen, daß die Muslime genauso wie die Juden durch einZeichen von den Christen unterschieden werden sollten.104M. GARRIDO ATIENZA, Las Capitulaciones para la entrega de Granada, Granada 1910;J. MORENO CASADO, Las capitulaciones de Granada en su aspecto juridico, Granada 1949. Grundle-gend zur Haltung der Eroberer gegenüber den Mudejares M. A, LADEROQUESADA, Los rnudejaresde CastiIIa en tiempos de lsabell, Valladolid 1969; M. A. LADEROQUESADA, Granada despues dela conquista. Repobladores y mudejares, Granada 1988; M. A. LADERO QUESADA, Los Mudejaresde castiIIa y otros estudios de historia medieval andaluza, Granada 1989.lOS M. A. LADERO QUESADA, Granada, historia de un pais islämlco (1232-1571), Madrid '1989,282 ff., 293 ff. Zur Entwicklung der seit 1492 einsetzenden polemischen Auseinandersetzung sieheL. CARDAILLAC, Morisques et chretiens, Un affrontement polemique (1492-1640), Paris 1977.

Page 27: Studienzum 15.Jahrhundert - MGH-BibliothekAyala stellte zudem lapidar fest, daß durch den Aufruhr diejuderlas bzw. a/jamas, die Judenviertel, von Sevilla, C6rdoba, Burgos, Toledo,

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denen noch Claudio Sänchez-Albornoz stärksten Ausdruck verliehen hatteioe,kaum mehr von größerer Bedeutung für das gesamte Steueraufkommen war,selbst jüdische Amtsträger als Funktionäre der königlichen Reichsverwaltung undHandwerker als Produzenten für den Handel keine unersetzliche Rolle spielten,litt die ökonomische Situation nur unmerklichw'. Darüber hinaus muß berück-sichtigt werden, daß entgegen den alten, weit überzogenen Schätzungen die Ge-samtzahl der vertriebenen Juden wohl nicht mehr als 50 000 Seelen betrug, dasich erstens die Aljamas seit dem Aderlaß von 1391 nur zögernd, wenn über-haupt, erholt hatten, zweitens viele Sephardim, vor allem die Besitzenden, ange-sichts der Alternative Taufe oder Vertreibung mit Besitzverlust die Konversionvorzogen. Ja, blickt man zusätzlich noch auf die Remigrationsquoten derer, dieursprünglich gegangen waren, in anderen Reichen keine Aufnahme gefundenhatten und mangels eines anderen Auswegs unter Annahme des Christentumswieder zurückkehrten, so reduziert sich gemäß neueren, nicht zu gewagten Ver-mutungen die Zahl der wirklich auf Dauer Vertriebenen wohl auf rund 35 000108.Ohne hier die an und für sich für den Historiker objektiv nicht zu beantwortendeFrage nach Recht und Unrecht aufwerfen zu wollen, kommen wir also nicht um-hin, das Phänomen der Vertreibung von 1492 jenseits aller nachträglichenMythenbildung nüchterner zu betrachten.

VI.

Überschaut man die Entwicklung des christlich-jüdischen Verhältnisses auf derIberischen Halbinsel für die hundert Jahre vom Pogrom von 1391 bis zu den Er-eignissen von 1492, dann war die vollständige Vertreibung der Juden aus Kasti-lien und Arag6n weder ein Blitz aus heiterem Himmel noch das Ergebnis einesunüberlegten Entschlusses, sondern die letzte Konsequenz einer gesellschafts-politischen Entwicklung. Die infolge der Massenkonversionen seit 1391 zu beob-achtende enge Verknüpfung zwischen der Akzeptanz der Conversos als neuerchristlicher Gesellschaftsschicht und der Verschärfung der Judengesetzgebungals Instrument der Trennung ließ angesichts des Versagens solcher Maßnahmendie Vertreibung der Juden aus den Reichen als endgültige Problemlösung immer

106C. SANCHEZ-ALBORNOZ, Espaäa, un enigma hist6rico, vol. 11,Barcelona '1983,295.107Entgegen der traditionellen Ansicht bei H. KELLENBENZ, Die wirtschaftliche Bedeutung und so-ziale Stellung der sephardischen Juden im spätmittelalterlichen Spanien, in: Judentum im Mittelalter.Beiträge zum christlich-jüdischen Gespräch, hg. von P. WILPERT (Miscellanea Mediaevalia 4)Berlin 1966, 99-127, vg!. nun M. A. LADERO QUESADA, Las juderias de Castilla segün algunos'servicios' fiscales del siglo XV, in: Sefarad 31 (1971) 249-264; M. A. LADERO QUESADA, Un em-prestito de los judlos de Segovia y Avila para la guerra de Granada en el aäo 1483, in: Sefarad 35(1975) 151-157; M. A. LADEROQUESADA, Los judios casteIlanos del siglo XV en el arrendamientode impuestos reales, in: Cuademos de Historia 6 (1975) 417-439 (auch in: M. A. LADEROQUESADA,El siglo XV en Castilla. Fuentes de renta y politica fiscal, Barcelona 1982, 143-167), undS. HALlCZER, The Expulsion of the Jews and the Economic Development of Castile, in: HispaniaJudaica I, Barcelona 1980, 37-47.108VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 35 ff., 55 ff., und ergänzend dazuMons DOLADER, La expulsi6n de los judios (Anm. 95) II 304 ff., der für das Königreich Arag6nzwischen 4391 und 6363 real vertriebene Juden annimmt (315). Berücksichtigt man die allerdingsschwer verifizierbaren Zahlen der Schiffstransportlisten, kann diese Zahl für die Krone Arag6nhöchstens um einige Tausend schwanken. Zu den Verhältnissen in der Krone Arag6n vgl. in dieserHinsicht weiterhin J. HINOJOSA MONTALVO, Solidaridad judia ante la expulsi6n: contratos de em-barque (Valencia, 1492), in: Saitabi 33 (1983) 105-124.

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annehmbarer erscheinen. Da das Judenproblem auf derselben Ebene wie dasProblem der muslimischen Präsenz behandelt und fast regelmäßig mit der Ket-zerbekämpfung verbunden wurde, sollte man mit dem Vorwurf des Antisemitis-mus vorsichtig umgehen'?'. Antisemitische Strömungen gröberer Erscheinungs-form sind, soweit überhaupt aus den Quellen herauszufiltern, nur vereinzelt beiden Krawallen der unteren Schichten und ihren Einpeitschern zu erahnen. DasKönigshaus, wohl ebenso wie viele Familien der seit der Mitte des14. Jahrhunderts aufgestiegenen nobleza nueva und des Stadtadels, bei seinerAbstammung intensiv mit Converso-Familien in Berührung gekommen'!",schwankte zwischen der Aufrechterhaltung des traditionellen Judenschutzes undder Abwehr von Angriffen auf eine Gesellschaftsschicht, deren Dienste es zurVerwirklichung seiner Ziele bedurfte. Als die Entscheidung zugunsten der Kon-vertiten gefallen war, mußte die Vertreibung - konnte ihre Androhung keineKonversion bewirken - unvermeidlich sein. Da diese Entscheidung jedoch nichtdurch irrationalen religiösen Fanatismus, sondern durch die Veränderungen derinneren Strukturen einer multikulturellen Gesellschaft bedingt war, in ihrem Kernvom Streben des Königtums nach Machterhaltung geprägt wurde, stellt sie sichals Konsequenz gesellschaftspolitischer Prozesse dar, die ab einem bestimmtenPunkt - alles deutet auf die verhängnisvollen Begleiterscheinungen des Pogromsvon 1391 und der Disputation von Tortosa hin'!' - irreversibel waren. Somit istdie Vertreibung von 1492 mit ihrem verzweifelten, allerdings untauglichen Ver-such, der Gesellschaft ihr verlorenes inneres Gleichgewicht wiederzugeben, alsSpätfolge der Ereignisse um die Jahrhundertwende zu betrachten.

109 Anders MONSALVO ANT6N. Teoria y evoluci6n (Anrn. 3) passim.!!OZur möglichen Converso-Abstammung der Königsfamilie siehe VONES, Die Vertreibung derspanischen Juden 1492 (Anm. 51) 29 f., und ROTH, Anti-Converso Riots (Anm. 74) 375 f. ZumStadtadel und seinen Converso-Beziehungen siehe außer den Arbeiten von Moxo (siehe obenAnm. 40) die am Beispiel Toledo erarbeiteten Untersuchungen von F. CANTERA BURGOsl P. LE6NTELLO, Los judaizantes deI arzobispado de Toledo, Madrid 1919, und J.-P. MOLENAT, La noblessetoledane du XV· siecle et ses origines, in: Les societes urbaines (Anm. 5) 203-218.!II Vgl. in diesem Sinne schon H. H. BEN-SASSON (Hg.), Geschichte des jüdischen Volkes. Von denAnfängen bis zur Gegenwart, München 1992 [ursprilnglich auf Hebräisch, Tel Aviv 1969].695 ff.