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Leseprobe Vargas Llosa, Mario Das grüne Haus Roman Aus dem Spanischen von Wolfgang A. Luchting © Suhrkamp Verlag suhrkamp taschenbuch 342 978-3-518-36842-8 Suhrkamp Verlag

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Leseprobe

Vargas Llosa, Mario

Das grüne Haus

Roman

Aus dem Spanischen von Wolfgang A. Luchting

© Suhrkamp Verlag

suhrkamp taschenbuch 342

978-3-518-36842-8

Suhrkamp Verlag

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In Piura, einer peruanischen Kleinstadt inmitten der Wüste, stehtdas »grüne Haus«, ein Bordell mit Musik und Tanz. Es wurde einstvon dem geheimnisvollen Fremden Don Anselmo aufgemacht undbeherbergt Gestalten und Verlockungen, die die Phantasie und dieGemüter der Kleinstädter erhitzen. Eines Tages brennen aufgebrach-te Piuraner unter Führung des Padre Garcia das Haus nieder, underst viele Jahre später wird es von Don Anselmos Tochter ein zwei-tes Mal errichtet.Als Stammkunden verkehren hier die »Unbezwingbaren«, vier Freun-de, die sich als wahre Mannsbilder betrachten. Ihren Anführer Li-tuma verbindet offenbar eine ganz eigene Geschichte mit einer derFrauen des Hauses.In das »grüne Haus« wird ebenfalls der bittere Weg von Bonifaciaführen, die zuvor in die Fänge von hochherzigen Nonnen gerät. Imschwer zugänglichen Urwald jenseits der Anden entführen die Glau-bensschwestern junge Indiomädchen, um sie dem richtigen Leben undder Zivilisation näherzubringen, und ahnen dabei nicht, welche Le-bensläufe sie damit in Gang setzen. In kunstvoll parallel geführtenHandlungssträngen erzählt Vargas Llosa eine vielschichtig zusam-menhängende große Geschichte, in der das »grüne Haus« Zentrumdes erzählerischen Kaleidoskops ist, Schnittpunkt der verschiede-nen Schicksale, Zeiten und Realitäten.

Mario Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa/Peru, lebt heute inMadrid und Lima. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen er-hielt er 1996 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2010den Nobelpreis für Literatur. Sein schriftstellerisches Werk erscheintauf deutsch im Suhrkamp Verlag.

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Mario Vargas LlosaDas grüne Haus

RomanAus dem Spanischen von

Wolfgang A. Luchting

Suhrkamp

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Die Originalausgabe erschien 1965 unter dem TitelLa casa verde

© Editorial Seix Barral S.A., Barcelona

Umschlagfoto: Santiago Harker

23. Auflage 2013

Erste Auflage 1976suhrkamp taschenbuch 342© der deutschen Ausgabe

Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1976Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages

reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Satz: Hümmer GmbH, WaldbüttelbrunnDruck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in GermanyUmschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

ISBN 978-3-518-36842-8

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Inhalt

Eins 9

Zwei 127

Drei 223

Vier 345

Epilog 435

Anmerkungen 495

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Eins

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Der Sargento wirft einen Blick auf Madre Patrocinio, und diefette Schmeißfliege sitzt immer noch da. Das Motorboothopst auf den trüben Wellen dahin, zwischen zwei Mauernaus Bäumen, die einen stickigen, heißen Dunst ausatmen. Un-ter dem Sonnendach zusammengerollt, vom Gürtel aufwärtsnackt, schlafen die Guardias, gewärmt von der grünlich-gelb-lichen Mittagssonne: Der Kopf des Knirpses liegt auf demBauch des Fetten, der Blonde ist in Schweiß gebadet, derDunkle schnarcht mit offnem Mund. Ein Schirm aus Insektenbegleitet das Boot, zwischen den Körpern kreisen Schmetter-linge,Wespen und dicke Fliegen. Der Motor rattert gleichmä-ßig vor sich hin, stottert, rattert wieder, und der Lotse Nievesführt das Steuer mit der linken Hand, mit der rechten rauchter, und sein tief gebräuntes Gesicht unter dem Strohhut bleibtunverändert. Diese Leute aus dem Urwald waren nicht nor-mal, warum schwitzten sie nicht wie Christenmenschen? Ach-tern sitzt steif, mit geschlossenen Augen, Madre Angélica,mindestens tausend Falten im Gesicht, mitunter steckt siedie Zungenspitze heraus und leckt den Schweiß vom Schnurr-bart und spuckt aus. Die arme Alte, solche Ausflüge warennichts für sie. Die fette Schmeißfliege schlägt die kleinen blau-en Flügel, löst sich mit sanftem Auftrieb von der rosigen StirnMadre Patrocinios, fliegt in Kreisen davon ins weiße Licht,und der Lotse würde gleich den Motor abstellen, Sargento,sie waren nämlich gleich da, nach dieser Einbuchtung kamChicais. Aber etwas sagte dem Sargento, es wird niemand da-sein. Das Motorengeräusch bricht ab, die Madres und dieGuardias öffnen die Augen, heben den Kopf, blicken sich um.Der Lotse Nieves ist aufgestanden, drückt die Stake nachrechts, nach links, das Boot nähert sich geräuschlos dem Ufer,die Guardias stehen auf, ziehen die Hemden an, setzen dieKépis auf, schnallen die Ledergamaschen um. Der Pflanzen-vorhang rechts reißt ab, sobald die Flußkrümmung passiertist, und man sieht ein Hochufer, einen schmalen Einschub röt-

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licher Erde, der bis zu einem winzigen Winkel voller Morast,Steinbrocken, Röhricht und Farnbüschel herunterläuft. Un-ten ist kein Kanu, oben am Uferrand keine menschliche Ge-stalt zu sehen. Das Boot läuft auf, Nieves und die Soldatenspringen hinaus,waten durch den bleifarbenen Brei. Ein Fried-hof, Ahnungen konnte man vertrauen, die Mangaches hattenrecht. Der Sargento steht über den Bug gebeugt, der Lotseund die Guardias zerren das Boot aufs Trockene. Sie solltenden Madrecitas behilflich sein, sollten mit den Händen einenTragstuhl machen, damit sie nicht naß würden. Madre Angé-lica bleibt ernst zwischen den Armen des Dunklen und desFetten. Madre Patrocinio zögert, als der Knirps und der Blon-de einander bei den Handgelenken packen und ihr den Sitzhinhalten, und errötet wie ein Krebs, als sie sich daraufplump-sen läßt. Die Guardias überqueren schwankend den Uferstrei-fen, setzen die Nonnen da ab, wo der Schlamm endet. DerSargento springt, erreicht den Fuß des Uferabhangs, und Ma-dre Angélica klettert schon sehr beherzt das Gefälle hoch,hinter ihr her Madre Patrocinio, beide auf allen vieren, einge-hüllt von rötlichen Staubwolken. Die Erde des Abhangs istlocker, gibt unter jedem Schritt nach, der Sargento und dieGuardias kommen nur langsam voran, stecken gekrümmt, er-stickt, bis zu den Knien im Staub, das Taschentuch vor demMund, der Fette niest und spuckt. Oben angekommen, klop-fen sie einander den Staub von den Uniformen, und der Sar-gento schaut sich um: eine kreisförmige Lichtung, eine Hand-voll Hütten mit kegelförmigen Dächern, kleine Felder Maniokund Bananen und, ringsherum, dichter Dschungel. Zwischenden Hütten kleine Bäume, von deren Zweigen eiförmige Säk-ke pendeln: Nester der Paucares. Er hatte es ihr ja gesagt, Ma-dre Angélica, er wollte das doch betonen, keine Seele, sie sa-hen selbst. Aber die Madre geht von einer Seite zur andern,tritt in eine Hütte, kommt wieder heraus und steckt den Kopfin die nächste, verjagt mit Händeklatschen die Fliegen, bleibtauch nicht einen Moment stehen, und so ist sie, von fern, ihreUmrisse im Staub undeutlich, nicht eine Greisin, sondern ein

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wandelndes Ordenskleid, aufrecht, ein sehr energischer Schat-ten. Madre Patrocinio dagegen steht unbeweglich, die Händeim Habit verborgen, und ihre Augen gleiten immer wiederüber die leere Siedlung hin. Einige Zweige bewegen sich, undman hört gellende Schreie, ein Geschwader grüner Flügel,schwarzer Schnäbel und blauer Brustlätze flattert lärmendüber die verlassenen Hütten von Chicais hin, die Guardiasund die Nonnen sehen ihnen nach, bis das Gestrüpp sie ver-schluckt, das Geschrei dauert noch eine Weile. Es gab kleinePapageien, gut, das zu wissen, falls es an Nahrung fehlte. Aberman kriegte die Ruhr davon, Madre, das heißt, der Magenging einem durch. Am Abhang taucht ein Strohhut auf, dasbraungebrannte Gesicht des Lotsen Nieves: Die Aguarunashatten es also mit der Angst zu tun bekommen, Madrecitas.Reine Sturheit, wer hatte sie geheißen, nicht auf ihn zu hören.Madre Angélica tritt hinzu, schaut mit den umfältelten Äug-chen hierhin und dorthin, und ihre knotigen, steifen Händemit den kastanienbraunen Muttermalen fuchteln dem Sargen-to vor dem Gesicht herum: Waren ganz in der Nähe, hattenihre Sachen nicht mitgenommen, man mußte warten, bis siewiederkamen. Die Guardias sehen einander an, der Sargentosteckt sich eine Zigarette an, zwei Paucares fliegen herbeiund wieder weg, ihr schwarz- und goldfarbenes Gefiederschillert feucht. Auch Vögel, alles gab es in Chicais. Nur keineAguarunas, und der Fette lacht. Warum nicht hinterrücksüber sie herfallen? Madre Angélica schnauft, sie kannte siedoch, Madrecita, oder? Das Büschelchen weißer Haare an ih-rem Kinn zittert sanft, die hatten Angst vor Christenmen-schen und versteckten sich, gar nicht dran zu denken, daßdie zurückkamen; solange sie hier waren, würde man keineSpur von ihnen zu sehen bekommen. Madre Patrocinio, klein,rundlich, ist hinzugekommen, steht zwischen dem Blondenund dem Dunklen. Aber voriges Jahr hatten sie sich dochnicht versteckt, waren ihnen entgegengekommen und hattenihnen sogar ein ganz frisches Gamitana geschenkt, erinnertesich der Sargento nicht mehr? Aber damals wußten sie es noch

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nicht, Madre Patrocinio, jetzt schon, das mußte sie doch ein-sehen. Die Guardias und der Lotse setzen sich auf die Erde,ziehen die Schuhe aus, der Dunkle öffnet seine Feldflasche,trinkt und seufzt. Madre Angélica hebt den Kopf: sollen dieZelte aufschlagen, Sargento, ein zerknittertes Gesicht, unddie Moskitonetze spannen, ein wäßriger Blick, sie würden war-ten, bis sie zurückkamen, eine altersschwache Stimme, under sollte kein solches Gesicht ziehen, sie hatte Erfahrung.Der Sargento wirft die Zigarette weg, stampft sie in die Erde,ihm war es ja egal, los, Jungens, sollten schon machen. Und daklingt ein Gackern auf und ein Gebüsch spuckt eine Henneaus, der Blonde und der Knirps stoßen einen Jubelschrei aus,eine schwarze, jagen hinter ihr her, mit weißen Flecken, fan-gen sie, und die Augen Madre Angélicas sprühen, Spitzbuben,was machten sie denn da, ihre Faust droht, gehörte sie etwaihnen? sollten sie loslassen, und der Sargento, sollten sie los-lassen, aber Madres, wenn sie blieben, brauchten sie was zuessen, sie waren nicht gekommen, um Kohldampf zu schie-ben. Madre Angélica würde keinen Unfug gestatten, wie soll-ten die ihnen vertrauen, wenn sie ihnen die Tierchen stahlen?Und Madre Patrocinio nickt, Sargento, Diebstahl war eine Be-leidigung Gottes, das Gesicht rund und gesund, kannte erdie Gebote nicht? Die Henne landet auf der Erde, gackert,pickt sich unter den Flügeln, flieht wackelnd, und der Sar-gento zuckt mit den Achseln: warum machten sie sich Illusio-nen, wo sie sie doch so gut oder besser kannten als er. DieGuardias gehen zum Abhang, in den Bäumen kreischen er-neut die Papageien und die Paucares, Insekten brummen, eineleichte Brise bewegt die Yarinablätter auf den Dächern vonChicais. Der Sargento lockert seine Gamaschen, brummt vorsich hin, verzieht den Mund, und der Lotse gibt ihm einenKlaps auf die Schulter, Sargento: er sollte sich nicht ärgernund immer mit der Ruhe. Und der Sargento zeigt heimlichauf die Madres, Don Adrián, solche Ausflüge fuchsten ihnfürchterlich. Madre Angélica hatte großen Durst und am En-de gar ein bißchen Fieber, der Geist war immer noch willig,

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aber der Leib litt halt an Gebrechen. Madre Patrocinio, unddie, nein, nein, sie sollte so etwas nicht sagen, Madre Angé-lica, sobald jetzt die Guardias heraufkämen, würde sie eineLimonade trinken und sich gleich besser fühlen, würde schonsehen. Flüsterten sie über ihn? der Sargento betrachtet zer-streut die Umgebung, hielten sie ihn für ein Arschloch? erfächelt sich mit dem Képi Luft zu, diese zwei alten Hennen!und unvermittelt wendet er sich dem Lotsen Nieves zu: Flü-stern in Gegenwart Dritter war schlechtes Benehmen, undder, er sollte schauen, Sargento, die Guardias kamen zurück-gerannt. Ein Kanu? und der Dunkle, ja, mit Aguarunas? undder Blonde, ja, mi sargento, und der Knirps, ja, und der Fetteund die Madres, ja, ja, kommen und fragen und gehen alledurcheinander, und der Sargento, der Blonde sollte an denRand des Hanges zurückgehen und es ihm melden, sobaldsie heraufkamen, die andern sollten sich verstecken, und derLotse liest die Gamaschen vom Boden auf, die Gewehre. DieGuardias und der Sargento treten in eine Hütte, die Madresbleiben draußen, Madrecitas, sie sollten sich verbergen, Ma-dre Patrocinio, schnell, Madre Angélica. Die sehen einanderan, tuscheln, hopsen hin und her, gehen in die Hütte gegen-über, und hinter den Büschen, die ihn verbergen, deutet derBlonde zum Fluß hinunter, sie stiegen schon aus, mi sargento,machten das Kanu fest, kamen jetzt herauf, mi sargento, undder, Trottel, sollte herkommen und sich verstecken, Mensch,nicht so langsam. Auf dem Bauch liegend, spähen der Fetteund der Knirps durch das Chontarindengeflecht der Hütten-wand hinaus; der Dunkle und der Lotse Nieves stehen imHintergrund der Hütte, und der Blonde kommt angerannt,geht neben dem Sargento in die Hocke. Da kamen sie, MadreAngélica, da waren sie schon, und Madre Angélica war viel-leicht alt, aber ihren Augen fehlte nichts, Madre Patrocinio,sie sah sie schon, sechs waren es. Die Alte, langhaarig, trägtein weißliches Pflanzenblatt, und zwei Schläuche weichenund dunklen Fleisches hängen ihr bis zur Mitte herab. Hin-ter ihr zwei Männer unbestimmten Alters, klein, mit vorste-

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henden Bäuchen, spindeldürren Beinen, das Glied mit ocker-farbenen Stoffetzen verdeckt, die mit Lianen befestigt sind,das Gesäß bloß, das Haar im Bubikopf bis zu den Augenbrau-en. Sie schleppen Bananenstauden. Dann noch zwei kleineMädchen mit Diademen aus Binsen, eine trägt einen Ring inder Nase, die andere Reife aus Fell um die Fußknöchel. Siesind nackt, genau wie der Knabe, der ihnen folgt, er wirkt jün-ger und ist schlanker. Sie blicken auf die verlassene Lichtung,die Frau macht den Mund auf, die Männer bewegen die Köpfe.Würden sie mit ihnen reden, Madre Angélica? und der Sargen-to, ja, da kamen die Nonnen schon heraus, aufgepaßt, Jungens.Die sechs Köpfe drehen sich gleichzeitig, bleiben starr. DieMadres gehen im Gleichschritt auf die Gruppe zu und lä-cheln, und zur selben Zeit, fast unmerklich, rücken die Agua-runas zusammen, bilden gleich darauf einen einzigen erdigenund kompakten Klumpen. Die sechs Augenpaare lassen nichtab von den zwei Gestalten aus dunklen Falten, die auf sie zu-gleiten, und wenn die davonliefen, hieß es schnell machen,Jungens, nur ja keine Schießerei, bloß nichts von wegen Ein-schüchtern. Sie ließen sie herankommen, mi sargento, der Blon-de hatte geglaubt, sie würden ausreißen, sobald sie sie sahen.Und wie zart die Mädchen waren, so jung noch, nicht wahr,mi sargento, diesem Fetten war nicht mehr zu helfen. Die Ma-dres bleiben stehen, und im selben Augenblick treten dieMädchen zurück, strecken die Hände aus, umfassen die Beineder Alten, die angefangen hat, sich mit den Handflächen ge-gen die Schultern zu schlagen, jeder Schlag bringt die über-langen Brüste zum Zittern, zum Schaukeln: mochte der Herrmit ihnen sein. Und Madre Angélica stößt ein Grunzen aus,spuckt, ein Guß knirschender, grober, zischender Geräuschesprudelt aus ihrem Mund, sie hält inne, um auszuspucken,und fährt ostentativ, eindrucksvoll fort zu grunzen, ihre Hän-de fuchteln, machen gewichtige Gesten vor den unbeweg-lichen, fahlen, gleichmütigen Gesichtern der Aguarunas. Siebeschwatzte sie auf heidnisch, Jungens, und spuckte aufs Haarso wie die Chunchas, die Madrecita. Das mußte ihnen doch

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gefallen, mi sargento, daß eine Christin mit ihnen in ihrerSprache redete, aber sie sollten nicht soviel Krach machen,Jungens, wenn die sie hörten, kriegen sie’s mit der Angst.Das Grunzen Madre Angélicas ist sehr deutlich, kräftig, un-schön bis in die Hütte hinein zu vernehmen, und auch derDunkle und der Lotse Nieves spähen jetzt hinaus auf dieLichtung, die Gesichter dicht an das Geflecht gedrängt. Siehatte sie rumgekriegt, Jungens, so was von raffiniert, diesesNönnchen, und die Madres und die zwei Aguarunamännerlächeln einander zu, machen sich Reverenzen. Und sooo ge-bildet, wußte der Sargento, daß sie in der Mission die Zeitmit Studieren verbrachten? Doch wohl eher mit Beten, Knirps,für die Sünden der Welt. Madre Patrocinio lächelt der Altenzu, die weicht ihrem Blick aus und verharrt ernst, die Händeum die Schultern der Kleinen. Was die sich da wohl erzählenmochten, mi sargento, so wie die sich miteinander unterhiel-ten. Madre Angélica und die beiden Männer schneiden ein-ander Gesichter, gestikulieren, unterbrechen sich, und miteinemmal lassen die drei Kinder die Alte los, tummeln sich,lachen laut auf. Der Bengel blickte immer hierher, Jungens,ließ kein Auge von ihnen. Wie mager er war, hatte der Sargen-to das gemerkt, ein Riesenkopf und so wenig Körper, sah auswie eine Spinne. Unter dem Haargestrüpp hervor starren diegroßen Augen des Kleinen unablässig auf die Hütte. Er istbraungebrannt wie eine Ameise, hat schwächliche O-Beine.Plötzlich hebt er die Hand, ruft, Jungens, die Mißgeburt, misargento, und hinter dem Geflecht entsteht heftige Bewegung,Flüche ertönen, Körper prallen gegeneinander, und in derLichtung klingt gutturales Geschrei auf, als die Guardias ren-nend und einander stoßend in sie einfallen. Augenblicklich dieGewehre senken, Hornochsen, Madre Angélica droht ihnenwütend mit den Fäusten, ah, sie würden ja sehen, was der Te-niente sagte. Die beiden Mädchen vergraben die Köpfe an derBrust der Alten, pressen sich gegen ihre weichen Brüste, undder Knabe steht mit weit aufgerissenen Augen da, auf halbemWeg zwischen den Guardias und den Madres. Einer der Agua-

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runas läßt das Bündel Bananen fallen, irgendwo gackert dasHuhn. Der Lotse Nieves steht auf der Schwelle der Hütte, denStrohhut im Nacken, eine Zigarette zwischen den Lippen.Was glaubte der Sargento denn, und Madre Angélica stampftmit beiden Füßen auf, warum mischte er sich ein, wenn nie-mand ihn rief? Aber wenn sie die Gewehre senkten, würdensie doch verduften, Madre, sie droht ihm mit der sommer-sprossigen Faust, und er, sollten die Mauser senken, Jungens.Besänftigend, stetig spricht Madre Angélica auf die Aguaru-nas ein, langsam zeichnen ihre steifen Finger überzeugendeFormen, die Männer lösen sich allmählich aus ihrer Erstar-rung, jetzt antworten sie einsilbig, und sie, vergnügt, unbe-irrbar, grunzt weiter. Der Kleine nähert sich den Guardias,schnuppert an den Gewehren, betastet sie, der Fette gibt ihmeinen leichten Klaps vor die Stirn, er duckt sich und kreischt,war mißtrauisch, das Arschloch, und das Lachen bringt dieschwabbelige Wampe des Fetten zum Beben, sein Doppel-kinn, seine Bäckchen. Madre Patrocinio verliert die Ruhe,Schamloser, was sagte er da? weswegen war er so respektlos,du Flegel, und der Fette, vielmals um Entschuldigung, er wak-kelt mit seinem ungekämmten Ochsenkopf, es war ihm nurso rausgerutscht, Madre, über die Zunge gestolpert. Die klei-nen Mädchen und der Knabe gehen um die Guardias herum,betrachten sie eingehend, berühren sie mit den Fingerspitzen.Madre Angélica und die beiden Männer schnalzen einanderfreundschaftlich zu, und die Sonne leuchtet noch in der Fer-ne, aber rundherum ist der Himmel bedeckt, und über demWald ragt noch ein Wald auf, aus weißen und bauschigen Wol-ken: es würde regnen. Madre Angélica hatte sie vorhin auchbeleidigt, Madre, und hatten sie sich da etwa beschwert? Ma-dre Patrocinio lächelt, Dummkopf, Hornochse war keine Be-leidigung, sondern ein Tier, mit einem Kopf genau wie seinKopf, und Madre Angélica wendet sich an den Sargento: manwürde mit ihnen essen, die Geschenke und die Limonade soll-ten heraufgeholt werden. Er nickt, gibt dem Knirps und demBlonden Anweisungen und deutet den Abhang hinunter, grü-

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ne Bananen und rohen Fisch, Jungens, ein tolles Bankett, ver-fluchte Scheiße. Die Kinder treiben sich im Kreis um den Fet-ten, den Dunklen und den Lotsen Nieves herum, und MadreAngélica, die Männer und die Alte breiten Bananenblätter aufder Erde aus, treten in die Hütten, bringen Tongefäße, Ma-niok heraus, entfachen ein kleines Feuer, wickeln Bagres undBocachicas in die Blätter, binden Lianen darum und haltensie an die Flammen. Wollte man auf die andern warten, Sar-gento? Das würde lange dauern, und der Lotse Nieves wirftseine Zigarette weg, die andern würden nicht kommen, wennsie weggelaufen waren, dann weil sie keine Besucher wollten,und die hier würden auch bei der ersten Unachtsamkeit ab-hauen. Ja, der Sargento wußte das, nur eben, es war umsonst,mit den Madrecitas streiten zu wollen. Der Knirps und derBlonde kommen mit den Tüten und den Thermosflaschen zu-rück, die Nonnen, die Aguarunas und die Guardias sitzenjetzt im Kreis um die Bananenblätter, und die Alte verscheuchthändeklatschend die Insekten. Madre Angélica verteilt dieGeschenke, und die Aguarunas nehmen sie entgegen, ohneBegeisterung zu zeigen, aber dann, als die Madres und dieGuardias anfangen, kleine Brocken Fisch zu essen, die sie mitder Hand abreißen, öffnen die beiden Männer, ohne sich an-zublicken, die Tüten, streicheln die Taschenspiegel und dieHalsketten, teilen die farbigen Glasperlen untereinander, unddie Augen der Alten flackern plötzlich habsüchtig auf. DieMädchen streiten um eine Flasche, der Knabe kaut wütend,und der Sargento würde sich den Magen verderben, verflucht,Durchfall würde er kriegen, aufgebläht würde er wie ein Bal-lon, Beulen würden sich am Körper bilden, die brächen aufund Eiter ränne heraus. Er hält das Stück Fisch vor die Lip-pen, seine Augenlider flattern, und der Dunkle, der Knirpsund der Blonde verziehen auch die Gesichter, Madre Patroci-nio schließt die Augen, würgt, ihr Gesicht verzerrt sich, undnur der Lotse Nieves und Madre Angélica strecken immerwieder die Hand nach den Bananenblättern aus und zerstük-keln mit einer Art hastigem Genuß das weiße Fleisch, entfer-

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nen die Gräten, stecken die Bissen in den Mund. Die Leuteaus dem Urwald waren alle ein wenig wie die Chunchas,selbst die Madres, wie die das herunterbrachten. Der Sargen-to rülpst, alle starren ihn an und er hüstelt. Die Aguarunashaben die Halsketten umgelegt, zeigen sie einander. Die Glas-kugeln sind granatfarben und stechen ab von den Tätowie-rungen, die die Brust des einen zieren, der sechs Armbänderaus kleinen Perlen am einen Arm, drei am andern trägt. Wannwürden sie aufbrechen, Madre Angélica? Die Guardias beob-achten den Sargento, die Aguarunas hören zu kauen auf. DieMädchen strecken die Hände aus, berühren scheu die glit-zernden Halsketten, die Armbänder. Sie mußten auf die an-dern warten, Sargento. Der tätowierte Aguaruna grunzt, undMadre Angélica, ja, Sargento, da hatte er’s, er sollte essen, erbeleidigte sie mit dem Widerwillen, den er zeigte. Er hattekeinen Appetit, aber er wollte ihr etwas sagen, Madrecita,sie könnten nicht länger in Chicais bleiben. Madre Angélicahat den Mund voll, der Sargento war gekommen, um zu hel-fen, ihre dürre und steinartige Hand umklammert eine Ther-mosflasche mit Limonade, nicht um Befehle zu erteilen. DerKnirps hatte den Teniente gehört, und was hatte er gesagt?und er, sie sollten innerhalb von acht Tagen zurück sein, Ma-dre. Fünf waren schon vorbei, und wie lange dauerte es zu-rück, Don Adrián? drei Tage, vorausgesetzt, daß es nicht reg-nete, na bitte, so lauteten die Befehle, Madre, sie sollte ihmnicht böse sein. Neben dem Geräusch des Gesprächs zwi-schen dem Sargento und Madre Angélica ist noch eines zuvernehmen, ein rauhes Stimmengewirr, die Aguarunas unter-halten sich lärmend, halten ihre Arme aneinander, vergleichendie Armbänder. Madre Patrocinio schluckt und öffnet dieAugen, und wenn die andern nicht zurückkamen? und wennsie erst in einem Monat zurückkamen? freilich, das war nureine Vermutung, sie schließt die Augen, vielleicht eine irrige,und schluckt. Madre Angélica runzelt die Stirn, neue Faltenentstehen in ihrem Gesicht, ihre Hand liebkost das Büschel-chenweißer Haare am Kinn. Der Sargento trinkt einen Schluck

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