Suhrkamp Verlag · Lily Brett, die australische New Yorkerin mit europäischen Wurzeln, steckt...

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Suhrkamp Verlag Leseprobe Brett, Lily Immer noch New York Geschenkausgabe Aus dem amerikanischen Englisch von Melanie Walz © Suhrkamp Verlag suhrkamp taschenbuch 4869 978-3-518-46869-2

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Suhrkamp VerlagLeseprobe

Brett, LilyImmer noch New York

GeschenkausgabeAus dem amerikanischen Englisch von Melanie Walz

© Suhrkamp Verlagsuhrkamp taschenbuch 4869

978-3-518-46869-2

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Lily Brett, die australische New Yorkerin mit europäischenWurzeln, steckt mittendrin im Großstadttrubel, und umdie Stadt einzufangen, hält sie sich selbst den Spiegel vor.Hinreißend erzählt sie von ihren Nöten, einen halbwegsanständigen Büstenhalter im Greenwich Village zu erste-hen, vom befremdlichen Anblick der Schoßhündchen inRegenmänteln und Sonnenbrillen, vom überbordendenGroßstadtverkehr. Und zum Glück gibt es in dieser ziem-lich hektischen Stadt auch Winkel der Ruhe und des Frie-dens, den Geruch von frisch gebackenem Brot und die ent-waffnend ehrlichen Gespräche mit ihrer Kosmetikerin.Denn in Manhattan ist nichts unbedeutend und nichtsselbstverständlich.

Lily Bretts New-York-Erzählungen sind ein großes Lese-vergnügen. In der tragikomischen Mischung aus Autobio-graphie und kleinen Alltagsvignetten schimmern die gro-ßen Themen des Lebens durch.

Lily Brett, geboren 1946 in Deutschland, wuchs in Aus-tralien auf und lebt seit einem Vierteljahrhundert in NewYork. Die Journalistin und Autorin zahlreicher Romaneist mit dem Maler David Rankin verheiratet und hat dreiKinder.

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Lily BrettImmer noch New York

Aus dem amerikanischen Englisch vonMelanie Walz

Suhrkamp

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Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem TitelOnly in New York bei Penguin Books Australia.

© Lily Brett 2014.

Erste Auflage 2018suhrkamp taschenbuch 4869

© Suhrkamp Verlag Berlin 2014Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere dasdes öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlagfoto: Wayne Fogden/Getty ImagesUmschlaggestaltung: Rothfus & Gabler,

Hamburg, nach Entwürfen vonhißmann, heilmann, hamburg

Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, WaldbüttelbrunnDruck und Bindung: Kösel, Altusried

Printed in GermanyISBN 978-3-518-46869-2

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Für David,der mich, Bob Dylan und New York liebt.

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Inhalt

Ein Ziel 9Eine Entdeckung 18Ruhe 22Caffe Dante 26Zu Fuß unterwegs 33Ein Fahrrad in der Stadt 41Lilitschka 50Kichererbsencurry 57Yakub 66Hellseher 71Hunde 84Flat White 88Gastfreundlichkeit 96Krokodilbeine 103So jüdisch 107Bäume 1 18Wörterbücher 122Schultern 126Jüdisches Feng Shui 129Mein Vater 136Schreibwerkzeug 140Spandex House 143Einsamkeit 152Weich 160

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Pferde 164Die Brillen meiner Mutter 173Wie man sich bettet 184Wetter 188Anwaltstätigkeit 196Psycho-Putz 200Sprechen 205Suchen 213Papiere 221Hiroko’s Place 233Lotterie 241Groll und Ressentiments 248Orientierungsschwäche 255Sunnyside 263Schwangerschaft 270Tiere 277Der Strand 285

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Ein Ziel

Wenn ich in New York spazieren gehe, habe ich dabeigern ein Ziel. Egal, wo ich spazieren gehe, ich habeimmer gern ein Ziel. Ich bin keine ziellose Spazier-gängerin. Keine von denen, die planlos von hier nachda schlendern können.

Ich brauche immer einen Plan. Ohne Plan bin ichhilf los. Ich plane alles. Ich plane meinen Tagesablauf.Ich plane Diäten. Ich mache Pläne für meine Anrufe.Ich mache mir Notizen zu den Dingen, die ich mitverschiedenen Freundinnen besprechen will. Ich ma-che mir Notizen zu den Dingen, die ich meinen Arzt,meinen Zahnarzt, meine Fußpflegerin fragen oderdie ich mit ihnen besprechen will. Und zu den Din-gen, die ich mit meinem Mann, meinen Kindernund meinem Vater besprechen will.

Dad fragen, ob er noch mehr Wedel-Schokoladebraucht, wäre beispielsweise eine typische Notiz. We-del ist die polnische Schokolade, die mein Vater schonals Kind aß. Letzte Woche hatte ich mir eine Notizgemacht, dass ich ihn fragen wollte, ob er außer derSchokolade Lust auf frisches Pastrami von Katz’s De-li habe. Er wollte beides, und deshalb musste ich erstzu dem polnischen Feinkostgeschäft an der First Ave-nue und danach zu Katz’s an der East Houston ge-

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hen. Das ist ein Spaziergang von mehr oder wenigerfünfzig Minuten, der mich durch das East Villageund ans Ende der Lower East Side führt.

Ich weiß, dass es viele Dinge gibt, die selbst denbesten Plan durchkreuzen können. Aber ich planemit Umsicht. Vor allem meine Spaziergänge. Ich ge-he nicht gern auf Entdeckungsreisen. Es gefällt mir,auf dem Weg zu einem bestimmten Ziel Entdeckun-gen zu machen.

Mein neuestes Lieblingsziel ist Grand Central Sta-tion. Oder, wie der Bahnhof offiziell heißt, GrandCentral Terminal. Der Spaziergang von meinem Zu-hause in SoHo dorthin dauert etwa fünfzig Minu-ten.

Bei schlechtem Wetter kürze ich den Spaziergangmanchmal ab und fahre den Rest der Strecke mitder Subway. Ich fahre gern mit der Subway. In derSubway ist man unzweifelhaft in New York. Die NewYorker Subway ist so typisch für New York. Sie ist zu-verlässig, schnell und von Menschen aus aller HerrenLänder bevölkert.

Fast vierzig Prozent aller New Yorker stammennicht aus New York. Von den Einwanderern wieder-um kommen um die zweiunddreißig Prozent ausLateinamerika, sechsundzwanzig Prozent aus Asien,zwanzig Prozent aus nichtspanischen karibischenNationen, siebzehn Prozent aus Europa und vier Pro-zent aus Afrika. Diese enorme Vielfalt macht New

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York City zu einer der großartigsten Städte unseresPlaneten.

Einer meiner verwegensten Pläne ist es, eines Tagesmit jeder Subway-Linie New Yorks von einer Endhal-testelle zur anderen zu fahren.

Es erdet mich, in der Subway zu sein. Ich fühlemich eins mit allen anderen. Eins mit einer großenMenschheit. In der Subway trennen uns keine Alters-,Herkunfts-, Geschlechts- oder Religionsschranken.Wir sind zusammen. Oft genug eng aneinanderge-quetscht.

Ich habe mich schon auf Sitze zwischen Fremdengequetscht, deren Leben sich ansonsten niemalsmit meinem berührt hätten. Und das ist ein wunder-bares Gefühl. In der Subway fühle ich mich nie al-lein. Oder gar einsam. Ich verspüre ein Gefühl derZugehörigkeit, was für mich ein sehr seltenes Gefühlist.

Mehrere Jahre lang war ich nicht imstande, dieSubway zu nehmen. An der Subway lag es nicht. Viel-leicht ging es dort etwas ruppiger zu als heute, aberMillionen Menschen nehmen sie jeden Tag. Nein,es lag an mir.

Ich konnte mich nicht von dem Gefühl befreien,dass ich mich im Untergrund befand, unter demErdboden, unterhalb all dessen, was lebendig war. Je-des Mal wenn ich versuchte, die Treppe zur Subwayhinunterzugehen, war mir zumute, als würde ich be-

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graben. Außer jeder Reichweite. Ich war so froh, alsdieses Gefühl sich irgendwann legte.

Ich bin stolz darauf, dass ich meinen Weg vomAusgang der Subway an Grand Central bis zur Bahn-hofshalle im Griff habe. Es ist nicht besondersschwierig, sich bis zur Halle hindurchzulavieren,aber außer bei Auseinandersetzungen bin ich sehrschlecht darin, mich durch irgendetwas hindurch-zulavieren. Ich liebe die Atmosphäre von Bahnhö-fen. Ich liebe die Geschäftigkeit und das Gedrängevon Abfahrt und Ankunft. Besonders an Grand Cen-tral. Es ist ein höfliches Geschiebe und Gedränge. Esgibt keinen Stress, keine Hysterie und meistens kei-nen Ärger.

Es ist so anders als die angespannte und nervöseAtmosphäre an fast jedem größeren Flughafen derWelt. Niemand schubst, niemand drängelt. Niemandwirft einem sein Gepäck auf die Füße. Vor zwei Jah-ren hat ein Mann, der in der Warteschlange amCheck-in für einen Flug von New York nach Seattlevor mir stand, seinen Koffer auf mein Bein fallen las-sen und mir dann beteuert, dass es sicher nicht weh-getan habe. Heute habe ich noch immer einen blau-en Fleck am Bein.

Grand Central Station gilt manchen als der größteBahnhof der Welt, als der schönste Bahnhof der Weltund als der geschäftigste Bahnhof der Welt. Geschäf-tig mag es dort zugehen, aber man spürt es nicht.

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Dieser sehr geschäftige Bahnhof wirkt ziemlich fried-lich und zivilisiert.

Jeden Tag verkehren mehr als siebenhundertfünf-zigtausend Leute an diesem Bahnhof und mehr alssiebenhundertfünfzig Züge kommen an und fahrenab. Grand Central hat vierundvierzig Bahnsteige undsiebenundsechzig Gleise. Ich liebe es, solche Dingezu wissen. In nicht allzu ferner Zeit wird die Long Is-land Rail Road eine neue Station unterhalb der Glei-se von Grand Central eröffnen. Dann wird GrandCentral fünfundsiebzig Gleise und achtundvierzigBahnsteige haben.

Der Bahnhof ist sehr groß. Größer als achtund-vierzig Morgen Land. Mit den hohen Deckengewöl-ben und seinen gigantischen Ausmaßen ist er auchsehr schön. Er ist elegant und nimmt sich anmutigund zugleich solide aus. Alles an Grand Central istrobust. Nichts macht den Eindruck, provisorisch odernicht für die Dauer gebaut zu sein. Der Bahnhof wur-de 1913 errichtet, und er wirkt, als hätte es ihn schonimmer gegeben. Und als würde es ihn immer geben.

Grand Central ist mehr als ein Bahnhof. Es ist einekleine Stadt in einer größeren Stadt. Es gibt einenAbleger des Verkehrsmuseums, es gibt Bäckereien,Cafés, Zeitungskioske, einen Gemüsemarkt und fastgenauso viele Läden wie in SoHo.

Man kann Fastfood oder gesundes Essen in demDining Concourse kaufen, der sich in dem Geschoss

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unterhalb des Erdgeschosses befindet, oder mankann die Oyster Bar besuchen. Die Oyster Bar ist be-rühmt. Sie ist ein großes Restaurant für Meeresfrüch-te und eine New Yorker Institution. Wie den ganzenBahnhof gibt es sie seit 1913. Das Restaurant ist groß,aber es ist weder unpersönlich noch chaotisch. Mankommt sich dort vor, als speiste man in einer ande-ren Zeit. Alle sind zu allen höflich. Die Kellner tra-gen Uniform. Niemand wird laut.

Die Speisekarte ist endlos lang. Als ich zuletztnachzählte, gab es allein zweiunddreißig verschiede-ne Sorten Austern. Ich liebe Meeresfrüchte. Ich essekein rotes Fleisch und nur selten Geflügel. Nicht weilich ein Tierfreund wäre. Das bin ich nicht. Mir gefälltnur die Vorstellung nicht, etwas zu töten, um es zuessen. Unlogischerweise kommen Fische in meinemDenken nicht vor. Und obwohl ich kein Fleisch esse,koche ich welches.

Ich hätte fast aufgehört, Fisch zu essen, als icheinen Fisch sah, den mein Mann am Strand vonLong Island gefangen hatte. Der arme Fisch zappeltemindestens eine Minute lang mit dem Kopf nach un-ten, bevor er einen kleineren Fisch erbrach und ohn-mächtig wurde. Ich hatte nicht gewusst, dass Fischesich übergeben können. Wahrscheinlich hat er sichunter Schock übergeben. Es dauerte einige Monate,bis ich wieder Fisch essen konnte.

Der Ort in Grand Central, den ich unbedingt auf-

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suchen muss, ist der Markt. Dort gibt es eine Aus-wahl der Dinge, die ich am liebsten mag. Brot, Käse,Fisch, Nüsse, Schokolade und Kuchen. Mein Vaterliebt Kuchen. Ganz besonders liebt er Biskuit. Erspricht das amerikanische Wort für Biskuit, »sponge«,so aus, dass es sich auf »lunch« reimt. Der Biskuitku-chen aus Moishe’s Bake Shop an der Second Avenuewar sein größter Favorit. Aber letztes Jahr wechselteer plötzlich zu einem chinesischen Biskuitkuchenmit Zitronenaroma aus einer Bäckerei namens Lu-cky King and Dragon Land über.

Dann kaufte ich ihm eine Schnitte von Eli ZabarsNapfkuchen in dem Markt in Grand Central. Er warbegeistert und nannte diesen Kuchen den »schwerenBiskuitkuchen« im Unterschied zu dem chinesi-schen Kuchen, den er fortan den »nicht so schwerenBiskuitkuchen« nannte.

Zu häufige Besuche bei Eli Zabars Brot- und Ge-bäckstand stellen eine Gefahr für mich dar. Die Bröt-chen mit Rosinen und Pekannüssen sind eine schwe-re Versuchung. Ich versuche, mich auf ein Brötchenzu beschränken. Und das Brot mit Rosinen und Pe-kannüssen kaufe ich nie, weil ich fürchte, ich könntees auf dem Nachhauseweg zur Hälfte aufessen.

Man könnte all seine Einkäufe in Grand Centralerledigen. Es gibt dort alles. Es gibt einen Apple Storeund eine Bank. Man kann seine Sehkraft testen undseine Schuhe reparieren lassen. Und fast alles kau-

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fen, was man braucht. Und es gibt Frankies Dogs onthe Go. Als ich die Anzeige zum ersten Mal sah,dachte ich, es handele sich um einen Hundesitter,wo man seinen Hund auf dem Weg zur Arbeit abge-ben und abends wieder abholen könnte. Aber Fran-kies Dogs on the Go ist ein Hot-Dog-Laden.

Man kann in Grand Central seinen Tennis- oderSquashschläger auf dem Weg zur Arbeit abgebenund abends neu bespannt abholen. Grand CentralRacquets gibt es seit 1933. Grand Central Racquetsist offenbar für alle Arten von Sport, für die manSchläger benötigt, zuständig, ob Tennis, Squash, Ra-cket, Badminton oder Hallentennis. Was Hallenten-nis ist, weiß ich nicht, aber ich vermute, dass esnichts mit der Markthalle von Grand Central zutun hat.

Trotz des Vorhandenseins und offenbaren Erfolgsvon Grand Central Racquets fällt es mir schwer,mir New Yorker Arbeiter vorzustellen, die auf demWeg zur Arbeit an Tennis oder Squash oder Badmin-ton denken. Die meisten New Yorker sind auf demWeg zur Arbeit nicht besonders entspannt.

Die Stadt ist offenbar sportlicher, als es den An-schein hat. In Grand Central Station habe ich einenTennisclub entdeckt. Den Vanderbilt Tennis Club.Das ist kein gewöhnlicher Tennisclub. Die Räume ha-ben eine Deckenhöhe von fast zehn Metern undeinen Tennisplatz, der für die US Open qualifiziert

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wäre. Für zweihundertfünfundzwanzig Dollar kannman ein Feld für drei Stunden mieten. Für dreihun-dert Dollar kann man drei Stunden Einzelunterrichtnehmen.

Als Mitglied des Vanderbilt Tennis Club kann mannicht nur die Spielfelder nutzen, sondern auch Fit-nessräume sowie New Yorks einzige Anlage, mit derman seine Schlagtechnik per Video in Zeitlupe ana-lysieren kann.

Ich glaube, ich werde trotzdem widerstehen. Ichhabe noch nie Tennis gespielt. Und ich werde jetztnicht damit anfangen, selbst wenn mehr New Yorker,als ich für möglich gehalten hätte, ihre Tennisschlä-ger neu bespannen lassen und sich ihre Schlagtech-nik auf einem Video in Zeitlupe ansehen.

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Eine Entdeckung

Nach meinem Kenntnisstand sind alle Männer ver-blüffend sachkundig, wenn es darum geht, einer Frauden Büstenhalter auszuziehen. Eine Handbewegung,und die Frau ist von ihrem Büstenhalter befreit. Ei-ner Frau einen Büstenhalter anzuziehen, ist eine an-dere Sache. Männer können es nicht. Die meisten ha-ben es noch nie versucht.

Zu Beginn des Jahres 2013 musste ich mich an derSchulter operieren lassen. Ich hatte eine Rotatoren-manschettenruptur und Risse im Bizeps und in zweiSehnen. Das ist sehr schmerzhaft. Ich kann es nie-mandem empfehlen. Und man kann keinen Büsten-halter anziehen. Monatelang. Mein Mann mochtesich noch so bemühen – und mein Mann ist wirklichgeschickt –, dem Büstenhalter war er nicht gewach-sen. Ich will damit sagen, dass er ihn mir nicht so an-ziehen konnte, dass ich mich halbwegs würdevoll indie Öffentlichkeit hätte wagen können.

Da ich mich gezwungen sah, so viel über Büsten-halter nachzudenken, fiel mir auf, dass ich ein paarneue Büstenhalter brauchen könnte. Ich kaufe nichtgern Dinge, die erfordern, dass man sich in einem en-gen Verschlag mit greller Beleuchtung vor einem ho-hen Spiegel auszieht. Und es gab ein zweites Pro-

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blem: Auch nach fünf Monaten konnte ich nur müh-sam einen Büstenhalter anziehen. Ich beschloss, LaPetite Coquette auszuprobieren, ein Wäschegeschäftam University Place in Greenwich Village, das es seitJahren gibt. Ich nahm meinen Mann mit. Nicht, weilich seine Hilfe beim Aussuchen gebraucht hätte. Nurbeim Anziehen.

Mein Mann betrat La Petite Coquette, warf einenBlick auf die dünne, spitzenbesetzte Unterwäsche,die von Kleiderbügeln baumelte, in Körben aufge-häuft war, auf Tischen ausgebreitet lag und die Wän-de bedeckte, und verspürte das dringende Bedürfnis,sich draußen vor dem Laden mit einer Obdachlosenzu unterhalten. Ich konnte ihn verstehen. Ich würdeunter Eid versichern, dass ein Quadratmeter Stofffür den gesamten Warenbestand des Ladens an Slipsmehr als ausreichend gewesen sein dürfte.

Es roch gut in dem Laden. Die Ausstattung war imStil der 1920er in Paris gehalten. Erotische Gemäldean den Wänden, handbemalte Lampenschirme aufden Tischen. Ich beglückwünschte mich, dass ichdiesen Laden entdeckt hatte. An der Wand nebenmir sah ich ein gerahmtes und signiertes Foto vonWoody Allen. »Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist,aber ich sehe immer noch fabelhaft aus«, hatte Woo-dy Allen für Rebecca, die Inhaberin des Geschäfts,geschrieben. An den Wänden hingen unter anderemgerahmte Fotos von Uma Thurman, Julianne Moore,

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Liza Minnelli, Britney Spears, Anjelica Huston undSarah Jessica Parker. Ich weiß nicht, wieso ich ge-glaubt hatte, ich hätte diesen Laden entdeckt.

Ich ging in die Umkleidekabine und probierte sie-ben oder acht Büstenhalter an. Tania, die Verkäufe-rin, half mir dabei. Ich gab mir große Mühe, michnicht im Spiegel anzusehen. Vielleicht sieht sich nichteinmal Scarlett Johansson gerne nackt in einem ho-hen Spiegel. Und ich fragte mich für einen Augen-blick, ob Männer auch das Gesicht verziehen, wennsie sich nackt im Spiegel sehen.

Als ich mich endlich für zwei Büstenhalter ent-schieden hatte, war ich zerzaust und verschwitzt. Ichverließ die Umkleidekabine mit meinen zwei Büsten-haltern – und stieß fast mit meiner Literaturagentinzusammen. Das Büro meiner Literaturagentin liegtin der Upper West Side. Die meisten geschäftlichenDinge wickeln wir telefonisch ab. Ich habe sie mirnie in einem Wäschegeschäft in Downtown vorge-stellt.

Im Allgemeinen lege ich Wert darauf, wie eine sen-sible, nachdenkliche Schriftstellerin auszusehen undnicht wie eine schwitzende, aufgeregte Frau mit ro-tem Kopf, die vom Shoppen kommt und gerade sie-ben oder acht Büstenhalter anprobiert hat. Wir plau-derten ein wenig. Es stellte sich heraus, dass sie genauwie Uma und Liza und Britney seit Jahren bei La Pe-tite Coquette einkauft.

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