Supraleitung - Zobodat · induzieren wir im Ring einen Strom, dessen Stärke jederzeit anhand des...

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Supraleitung Von Univ. Prof. Dr. Ferdinand S t a n g 1 e r, Wien Vortrag, gehalten am 4. November 1970 Der Temperaturbereich, in dem sich unser Leben normalerweise abspielt, liegt zwischen 250 und 310° K. Die in diesem Bereich beobachtbaren Phä- nomene sind durch das Vorherrschen einer starken, ungeordneten Temperaturbewegung gekenn- zeichnet. Man könnte sagen, die Natur befindet sich in einem Zustand thermischer Unordnung. Dies ist auch die Ursache für den hohen Wert des spezifischen elektrischen Widerstands bei Raum- Temperatur. Kühlen wir ein normal leitendes Metall auf tiefe Temperaturen ab, so geht das Gitter durch Abnahme der thermischen Schwin- gungen in einen geordneteren Zustand über. Da- durch nimmt die Streuung der Leitungselektronen an den schwingenden Gitteratomen ab, der Wider- stand sinkt, wird aber nicht null, da das Gitter stets eine größere Anzahl von Baufehlern aufweist, die einen konstanten Beitrag zum Widerstand leisten, den sogenannten „Restwiderstand" (Abb. 1). ©Ver. zur Verbr.naturwiss. Kenntnisse, download unter www.biologiezentrum.at

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Supraleitung

Von Univ. Prof. Dr. Ferdinand S t a n g 1 e r, Wien

Vortrag, gehalten am 4. November 1970

Der Temperaturbereich, in dem sich unser Lebennormalerweise abspielt, liegt zwischen 250 und310° K. Die in diesem Bereich beobachtbaren Phä-nomene sind durch das Vorherrschen einer starken,ungeordneten Temperaturbewegung gekenn-zeichnet. Man könnte sagen, die Natur befindetsich in einem Zustand thermischer Unordnung.Dies ist auch die Ursache für den hohen Wert desspezifischen elektrischen Widerstands bei Raum-Temperatur. Kühlen wir ein normal leitendesMetall auf tiefe Temperaturen ab, so geht dasGitter durch Abnahme der thermischen Schwin-gungen in einen geordneteren Zustand über. Da-durch nimmt die Streuung der Leitungselektronenan den schwingenden Gitteratomen ab, der Wider-stand sinkt, wird aber nicht null, da das Gitterstets eine größere Anzahl von Baufehlern aufweist,die einen konstanten Beitrag zum Widerstandleisten, den sogenannten „Restwiderstand" (Abb. 1).

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Bei bestimmten Metallen führt der durch Ab-kühlen erreichbare höhere Ordnungsgrad des Git-ters dazu, daß im System Ordnungskräfte inAktion treten können, die so schwach sind, daßsie bei höheren Temperaturen in der thermischenUnordnung untergehen. Da es sich um sehr geringeEnergien handelt, tritt ihre Quantisierung bereitssehr auffällig zutage und dadurch können Effekteentstehen, die von unserer in der Mittelwertsweltbei Raumtemperatur0 gewonnenen Erfahrung sehrstark abweichen. Ein solcher Quanteneffekt ist dieSupraleitung, die von K a m e r l i n g - O n n e s

Widerstand durch ther-mische Schwingungender Atome

fRestwiderstand "

\ l100 200Temperatur - °K

300

Abb. 1: Temperaturverhalten des elektrischen Wider-stands normal leitender Metalle

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1911 an Quecksilber entdeckt wurde. Man verstehtdarunter die Tatsache, daß nach Unterschreitungeiner bestimmten Übergangstemperatur, „Sprung-punkt" genannt, der elektrische Widerstand un-

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Ubergangstemperatur /zur Supraleitung /

rTemperatur

Abb. 2: Temperaturverhalten des elektrischen Wider-stands von Supraleitern

meßbar klein wird (Abb. 2), das Metall also „supra-leitend wird. Es fragt sich nun, wie klein derWiderstand wirklich geworden ist. Um dies zuuntersuchen, wird folgendes Experiment durchge-führt (Abb. 3): Man bringt einen Ring in das Feld

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eines eingeschalteten Elektromagneten. DieserRing wird durch Abkühlung supraleitend gemachtund dann das Magnetfeld abgeschaltet. Dadurchinduzieren wir im Ring einen Strom, dessenStärke jederzeit anhand des vom Strom verursach-ten Magnetfeldes gemessen werden kann. Manmuß nun diesen Ring bei Temperaturen unterhalb

Removemagnet

Abb. 3: Induktion eines Dauerstroms in einem Supra-leiter

des Sprungpunkts aufbewahren und jeweils nacheiniger Zeit mit Hilfe des Magnetfeldes überprü-fen, ob der Strom kleiner wird. Ein solcher Ver-such wurde 4 1/2 Jahre laufen gelassen und ergabkeine meßbare Änderung des Stromes im Supra-leiter. Der spezifische Widerstand beträgt daherhöchstens 10~17.Q cm (zum Vergleich: Kupfer bei0° C 1.55.10-6 Ü cm). Der Widerstand kann daherfür die Praxis als unendlich klein angesehen wer-den.

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Eine Erklärung für diese „unendlich" gute Leit-fähigkeit konnte durch 40 Jahre nicht gefundenwerden. Erst in den 50er-Jahren ist es B a r d e e n ,C o o p e r und S c h r i e f f e r gelungen, eine ge-eignete Theorie — kurz BCS-Theorie genannt —zu finden. Die Schwierigkeit der Erklärung ist inder Natur der Leitungselektronen selbst zu finden.Bekanntlich weisen Elektronen einen Spin auf,sind also unsymmetriche Teilchen. Damit gehor-chen sie der Fermistatistik, und für sie gilt dasPauli verbot. Dieses besagt, daß jeder Quantenzu-stand nur einfach besetzt sein darf. Damit mußjedes der etwa 1023 Leitungselektronen einesMetalls einen anderen Energiewert besitzen. Höch-stens jeweils zwei Elektronen mit antiparallelemSpin können den gleichen Energiewert aufweisen.Auf Grund dieser Bedingung besetzen die Leitungs-elektronen ein breites Energieband, das von nullbis zu der sehr hohen Energie von einigen Elek-tronvolt reicht; sie können als Gesamtheit nicht denNullwert der entziehbaren Energie aufweisen. Nunbedeutet aber gerade die Tatsache des verschwin-denden elektrischen Widerstands, daß Streupro-zesse entfallen, die Elektronen also weder vomGitter Energie aufnehmen noch an dieses abgeben.Dies kann aber nur dann auftreten, wenn sich dieElektronen im Null-Zustand der entziehbaren Ener-gie befinden. Diese Überlegung wird durch dasVerhalten der Wärmeleitfähigkeit erhärtet, die im

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supraleitenden Zustand wesentlich kleiner wird alsim normalleitenden (Abb. 4). Diese Verkleinerungwird dadurch bewirkt, daß jener Prozentsatz derElektronen, der nach Unterschreitung der Sprung-temperatur supraleitend geworden ist, keine

0 2 4 6 Ts 8 °H

Abb. 4: Temperaturabhängigkeit der Wärmeleitfähig-keit eines Supraleiters im supraleitenden — und imnormal leitenden — Zustand (der normal leitendeZustand wird durch Aufbringen eines überkritischenMagnetfelds erzielt)

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Wärme transportiert — das heißt: vom Gitter wederEnergie aufnimmt noch solche an dieses abgibt.Aus der Abbildung ist auch ersichtlich, daß mitfallender Temperatur der Unterschied der Wärme-leitfähigkeit immer mehr zunimmt, was nichtsanderes bedeutet, als daß die Anzahl der supra-leitenden Elektronen mit fallender Temperaturanwächst.

Die BCS-Theorie geht nun von der Annahmeaus, daß sich im Supraleiter jeweils zwei Elek-tronen gleicher Energie aber antiparallelen Spinszu Elektronenpaaren zusammenschließen. Jedessolche Paar kann wegen der Spinabsättigung alssymmetrisches Teilchen aufgefaßt werden. Fürsymmetrische Teilchen gilt die Bose-Statistik, diees allen Teilchen eines Systems erlaubt, den glei-chen Energiewert aufzuweisen, der ohneweitersauch null sein darf. Damit ist die vorher gestellteForderung — alle Leitungselektronen, die supra-leitend sind, müssen sich im energetischen Grund-zustand befinden — erfüllbar geworden. Nun fehltnur noch ein Mechanismus der zur Entstehung derElektronenpaare führt. Hier kann man sich auf-grund der Theorie folgendes vorstellen. Bei tiefenTemperaturen gelangt das Gitter in einen fastschwingungsfreien Zustand. Unter diesen Umstän-den kann es vorkommen, daß die Schwingungender Netzebenen des Gitters den Dichteschwankun-gen der Elektronen folgen müssen. Bildlich kann

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man sich dies so vorstellen (Abb. 5), daß ein Elek-tron, das durch das Gitter hindurchfliegt, infolgeseiner negativen Ladung die benachbarten positivenGitterionen zu sich heranzieht. Die dem Elektron be-nachbarten Gitterebenen werden also zur Bahn desfliegenden Elektrons hin deformiert. Dieser Defor-mationszustand wird noch einige Atomdistanzenhinter dem fliegenden Elektron erhalten bleibenund entspricht einer positiven Überschußladung indieser Zone. Ist nun die Dichte der Leitungselek-tronen im Gitter hoch genug, so kann ein zweitesElektron gleicher Energie, also gleicher Geschwin-digkeit und mit antiparallelem Spin von diesempositiven Ladungsüberschuß angezogen werden undläuft nun in einem bestimmten Abstand vom ersten

Abb. 5: Paarbildung von Elektronen durch Wechselwir-kung mit dem Gitter (• Elektronen, O Gitterionen)

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Elektron durch das Gitter. Der Abstand wird durchdie gleichnamige Ladung der Elektronen notwen-dig. Die Kopplung der Partner des supraleitendenElektronenpaares erfolgt also durch Wechselwir-kung mit dem Gitter. Die Quantentheorie sprichtvon einer Kopplung durch virtuellen Phononenaus-tausch. Das erste Elektron führt durch die Defor-mation der Netzebenen dem Gitter schwingendeEnergie, ein Phonon, zu. Dieses kommt dem zwei-ten Elektron zugute, wird also von diesem absor-biert. Das zweite Elektron trägt aber auch seiner-seits zur Gitterdeformation bei, wodurch es demersten Elektron ermöglicht wird, in der für diePaarbildung richtigen Schwingungsphase durch dasGitter zu laufen. Das heißt aber, daß das vomzweiten Elektron absorbierte Phonon über das Git-ter wieder dem ersten Elektron zugeführt wird.

Aus diesem Modell wird klar, daß für das Auf-treten der Supraleitung eine relativ hohe Anzahlvon freien Leitungelektronen notwendig ist. Eben-so ist aber auch eine große Packungsdichte derGitterionen nötig, damit ausreichende Gitterdefor-mationen möglich werden. Dies läßt sich anhanddes Periodensystems der Elemente (Abb. 6) zeigen,in dem die supraleitenden Elemente mit ihrenSprungtemperaturen dick umrandet dargestelltsind. Man sieht, daß die guten Leiter der GruppeIb — Kupfer, Silber und Gold — nicht supraleitendwerden, da sie die zu geringe Elektronenkonzen-

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tration von nur 1 Elektron/Atom aufweisen, wäh-rend gerade schlechte Leiter wie z. B. Zink, Cad-mium, Zinn usw. wegen ihrer hohen Leitungs-elektronendichte supraleitend werden. Die Sprung-temperatur eines Supraleiters liegt um so höher, je

I

H

Li

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V43

Cb9.22

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0s

Rb Pd

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Cu

A9

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ü b

Zn0.79

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üb

Ca1.07

In337

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Kb

Ge

Sn169

Vb7.26

Yb

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Po

vab

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EDIb

Kr

Xt

Rn

Abb. 6: Supraleiter im Periodensystem(Supraleiter und deren Sprungpunkt dick einge-rahmt)

besser seine Elektronenkonfiguration den Bedin-gungen der Supraleitung entspricht.

Aufgrund der BCS-Theorie läßt sich auch dasVerhalten von Supraleitern gegenüber äußerenMagnetfeldern sehr gut verstehen. Wie Abb. 7zeigt, verlagert sich der Sprungpunkt zu um sotieferen Temperaturen, je höher das äußere Mag-

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netfeld wird. Bei Überschreitung eines kritischenFeldes Hc unterbleibt die Supraleitung vollstän-dig. Interpretation mithilfe der BCS-Theorie: „DerSpin eines Elektrons bedingt ein magnetischesMoment. Wirkt ein Magnetfeld auf ein spinabge-

0,006

0,004

0.002R

\ 1

Sn

3A2°K

1

r~

2,82

f12.31

f1185

I50 100 150 200 250

Abb. 7: Änderung des Sprungpunkts durch Anlegeneines äußeren Magnetfeldes

sättigtes Elektronenpaar, dann versucht das Felddie Spinachsen des Paares parallel zu richten.Damit wird aber die Supraleitung zerstört. Jetiefer die Temperatur desto fester ist die Bindungdes Elektronenpaares und desto höher wird daszur Zerstörung der Supraleitung nötige Magnet-feld." Zeichnet man diesen Tatbestand in einTemperatur-Feld-Diagramm ein, so erhält man für

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jedes Material eine typische Grenzkurve (Abb. 8),unterhalb derer die Substanz supraleitend undoberhalb derer sie normalleitend ist. Man ersieht

Abb. 8: Magnetische Grenzkurven von supraleitendenElementen

aus dem Diagramm, daß die bei etwa 0,2° Kmaximal zulässige Feldstärke um so höher liegt,je höher die Sprungtemperatur eines Metalls ist.Man spricht davon, daß ein Material um so „mag-

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netisch härter" ist, je höher sein feldfreier Sprung-punkt liegt. Man sieht aus Abb. 8, daß die che-mischen Elemente „weiche" Supraleiter sind. Meistgenügen einige Hundert Gauß, um die Supraleitungvöllig zu unterbinden. Der härteste Supraleiterunter den Elementen ist Niob mit etwa 2500 Oemaximal zulässiger Feldstärke bei 0° K.

Eine weitere merkwürdige Eigenschaft von

Ploce inmagnetic field

2&

Cool to superconductingS+ate

Cool tosuperconducting

State

Sphere in normal stateand in magnetic field

Flux linescannotpenetrate

Meissnereffect

Flux linescannotpenetrate

Abb. 9: Experimente zum Meissner-Effekt

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Supraleitern, der sogenannte Meissner-Effekt,kann ebenfalls mittels der BCS-Theorie interpre-tiert werden. Man versteht darunter die Tatsache,daß magnetische Kraftlinien zwar ein Loch ineinem Supraleiter, niemals aber einen kompaktenSupraleiter selbst durchsetzen können (falls nichtdurch Überschreitung der kritischen Feldstärke dieSupraleitung unmöglich wird). Dies soll anhandvon zwei Versuchen klar gemacht werden, die inAbb. 9 dargestellt sind. Bei dem oberen Experi-ment wird eine Kugel zunächst durch Abkühlenunter Ts supraleitend gemacht. Legen wir nunein äußeres Feld an, so wird im gleichen Momentdurch Induktion ein solcher Strom induziert, daßdas dadurch entstehende Magnetfeld entgegenge-setzt gleich ist dem äußeren Feld. Dadurch könnenKraftlinien des Außenfeldes nicht in die Kugeleindringen. Viel erstaunlicher ist das untere Experi-ment, bei dem jede Induktion verhindert wird.Hier wird nämlich die Kugel in das Magnetfeldeingebracht, solange sie normalleitend ist. BeimEinschalten des Magnetfeldes entsteht zwar auchInduktion, doch klingt der Strom wegen des elek-trischen Widerstandes rasch ab und wird null. DieKraftlinien durchsetzen nun die Kugel (Bild linksunten). Kühlt man nun unter die Sprungtempe-ratur, so sollte sich nichts ändern, da ja keineInduktion auftritt. In Wirklichkeit aber werdenauch hier die Kraftlinien aus der Kugel verdrängt

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(Bild rechts unten), sodaß der Supraleiter wie einextrem diamagnetischer Körper wirkt. Zur Erklä-rung muß man von der Annahme ausgehen, daßauch hier Abschirmströme an der Kugeloberflächefließen müssen, jedoch ohne daß diese durch In-duktion entstanden sein können. Anhand der BCS-Theorie läßt sich auch dies verstehen: „Die korre-lierten Paare von supraleitenden Elektronen kön-nen sich ja im Gitter reibungsfrei bewegen. Ihresonst geradlinige Bahn wird nun durch einäußeres Magnetfeld zu einer Kreisbahn umgeformtund zwar so, daß das durch die Kreisbewegung(den Kreisstrom) entstehende Magnetfeld genaugleich groß und entgegengesetzt gerichtet wird wiedas äußere Magnetfeld." Diese Eigenschaft — Un-durchdringlichkeit von Supraleitern gegenüberäußeren Magnetfeldern — macht diese zum idealenAbschirmmaterial gegen Magnetfelder. Sie erlaubtauch die Ausführung eines schönen Demon-strationsexperimentes für Supraleitung (Bild 10).Legt man einen gewöhnlichen Stabmagneten ineine Schale aus Blei und kühlt das ganze ab, sowird nach Unterschreitung der Sprungtemperaturdes Bleies (ca 7° K) der Magnet über der Schaleschweben, da seine Kraftlinien in die supraleitendeSchale nicht eindringen können. Die Wirkung istdie gleiche, als hätte man einen zweiten gleichstarken und gleich gepolten Magneten symmetrischunterhalb der Schale angebracht.

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Die praktische Anwendung der Supraleitung, dieja dem Techniker äußerst wünschenswert erscheint,hat wegen der Bindung dieses Phänomens anextrem tiefe Temperaturen lange Zeit auf sichwarten lassen. Erst in den Fünfziger] ahren hatsich die Technik der tiefsten Temperaturen so weit

Abb. 10: Demonstrationsexperiment zum Meissner-Effekt

entwickelt, daß die Anwendung in den Bereich desmöglichen gerückt ist. In der Folge sollen Bei-spiele berichtet werden. Das erste ist die Erzeu-gung extrem hoher Magnetfelder. Wie bekannt,können infolge der magnetischen Sättigung desEisens Elektromagnete mit Eisenkernen nur bis zuetwa 50 kOe hergestellt werden. Will man höhereMagnetfelder, so muß man auf eisenlose Spulenzurückgreifen. Nun hängt aber das Magnetfeld

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einer solchen Spule außer von der Geometrie nurvon der Windungszahl und der Stromstärke in derSpule ab. Baut man nun eine solche Spule ausKupfer, so muß wegen dessen Ohmschem Wider-stand eine erhebliche Spannung angelegt werden,um die notwendige Stromstärke zu erreichen. Einsolcher Magnet braucht daher erhebliche elektrischeLeistung. In den USA wurde nach dem zweitenWeltkrieg ein eisenloser Magnet gebaut, der ineinem würfelförmigen Raum von 4 cm Kanten-länge ein Magnetfeld von 88 kOe erzeugte. Zuseiner Versorgung war eine elektrische Leistungvon 1,6 MegaWatt und eine entsprechend unge-heure Kühlwassermenge notwendig. Ideal wäre da-her ein Magnet aus supraleitendem Draht ohneelektrischen Widerstand, bei dem zwar großeStröme fließen, jedoch kein Spannungsabfall auf-tritt und der somit keine Leistung verbraucht.Leider besitzen die chemischen Elemente, wie schonerwähnt, zu geringe kritische Feldstärken, sind alsomagnetisch zu „weich". Dies hat die Physiker ver-anlaßt, nachzudenken, ob nicht Substanzen zusynthetisieren wären, die günstigere Bedingungenin bezug auf Elektronendichte und Gittereigen-schaften aufweisen als die Elemente. Das Ergebniswaren Legierungen und chemische Verbindungen,deren Elektronendichten zwischen 5 und 7 proAtom liegen. Der günstigste Wert liegt bei 6,5.Diese Materialien zeigen erheblich höhere Sprung-

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temperaturen und kritische Feldstärken als dieElemente. Als Beispiel wäre Niob-Zirkon zu nen-nen. Der heutige Rekordwert wird von der Ver-bindung Nb3Sn mit Ts = 18° K und einer kriti-schen Feldstärke von etwa 200 kOe erreicht. Mit-hilfe dieser Materialien werden heute in steigen-dem Maß Elektromagnete gebaut, beginnend vonkleinen Labormagneten, die — mit einem 2 Volt-akkumulator betrieben — Feldstärken von 80 kOeerreichen, bis zu Riesenmagneten für Teilchenbe-schleuniger und Wasserstoff-Blasenkammern. Dergrößte bisher gebaute Magnet befindet sich imArgonne National Laboratory in den USA miteinem Innendurchmesser von 3,65 m und einem Ge-wicht von 45 t, der bei einem Strom von 1.700 Aein Magnetfeld von etwa 30 kOe erzeugt. Zurzeitsind auch Versuche imgange, supraleitendeMagnete als Feldgeber für Kraftwerksgeneratorenzu verwenden.

Eine weitere Anwendung, die sich noch in Ent-wicklung befindet, sind supraleitende Kabel. Esstellt sich heute als zunehmend schwierig heraus,große elektrische Energiemengen in Gebiete hoherBallungsdichten von Industrie und Bevölkerungzu bringen. Bei Hochspannungsfreileitungen ist dieSpannung aus Verlustgründen mit etwa 500 kVlimitiert, ebenso aber auch die Leiterstärke ausGewichtsgründen. Erdkabel zeigen zu starke Er-wärmung. Als Ausweg wären supraleitende Kabel

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in Betracht zu ziehen. Natürlich ist der technischeAufwand für die Kühlung des Kabels sehr hoch,der Supraleiter muß ja mit flüssigem Helium auf4,2° K gekühlt sein. Versuche dieser Art werdenderzeit in den USA, in Großbritannien und an derTechnischen Hochschule in Graz ausgeführt. Bild 11

Vakuum

/ flussiger Stickstoff Helium Leiterstrange

Abb. 11: Supraleitendes Kabel (nach Klaudy)

zeigt einen Schnitt durch ein solches Kabel, dasaus vier konzentrischen Federrohren besteht. Iminnersten Rohr verlaufen in flüssigem Helium diesupraleitenden Kabel, die aus verbleiten Kupfer-drähten bestehen. Jeder Leiter baut sich aus80 Einzeldrähten von 4 mm 0 auf und ist für einenStrom von 10.000 A geeignet. Das Innenrohr istvon einem Vakuummantel umgeben. Nach außenhin folgt dann als Strahlungsschutz eine Schichtflüssigen Stickstoffs und ein weiterer Vakuumman-

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tel. Die Gesamtstärke des Kabels beträgt 25 cm.Alle 5 km muß ein Helium- und ein Stickstoffver-flüssiger angedordnet sein. Die geschätzten Kostenfür 1 km Kabel betragen etwa 1,000.000 S. Bisjetzt sind positive Versuche mit einem 30 m Stückausgeführt.

Im vorliegenden Aufsatz wurde versucht, einenÜberblick über das Phänomen der Supraleitung so-wohl in experimenteller als auch in theoretischerHinsicht zu geben. Einige Ausblicke auf die prak-tische Anwendung der Supraleitung zeigen, daß indieser Hinsicht in Zukunft noch viel zu erwartenist.

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