Surprise Strassenmagazin 238/10

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Skihäsli ahoi! Die Jagdsaison beginnt Nr. 238 |19. November bis 2. Dezember 2010 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass. Der Bürokrat als Mensch: der Zürcher Stadtarzt Wettstein im Gespräch Integration durch Bildung – auf Schulbesuch in der Baracke

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Surprise Strassenmagazin 238/10

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Skihäsli ahoi!Die Jagdsaison beginnt

Nr. 238 | 19. November bis 2. Dezember 2010 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

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Integration durch Bildung – auf Schulbesuch in der Baracke

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Macht stark.

www.strassenmagazin.ch ❘ www.strassensport.ch ❘ Spendenkonto PC 12-551455-3Strassenmagazin Surprise, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, Tel. 061 564 90 90, Fax 061 564 90 99

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Titelbild: Keystone

Inhalt04 Editorial

Der Faktor Mensch04 Leserbriefe

Zynischer Müll05 Basteln für eine bessere Welt

Wischen statt blasen06 Aufgelesen

Fleisch macht hungrig06 Zugerichtet

Der Schatz vom Bürkliplatz07 Hausmitteilung

Wechsel in der Chefetage08 Porträt

Die Wissensdurstige16 Integration durch Bildung

Zu Besuch in der Autonomen Schule22 Le mot noir

Da hilft nur Bloody Mary23 Kultur

Kunst im Warenhaus24 Kulturtipps

Theater in der Beiz26 Ausgehtipps

Spielzeug Schauffelbagger28 Verkäuferporträt

«Eine wunderbare Hochzeit»29 Projekt Surplus

Chance für alle!Starverkäufer

30 In eigener SacheImpressumINSP

In China herrscht vielerorts ein dramati-scher Frauenmangel. Deshalb kommt esseit Jahren zu Entführungen: Junge Frauenwerden verschleppt und zwangsverheira-tet. Weit weg von ihrem Daheim müssensich die Betroffenen ein neues Leben auf-bauen. Und das wollen viele nicht mehr auf-geben, selbst wenn sie von der Polizei be-freit werden. Eine Reportage aus einemProvinzdorf voller geraubter Frauen.

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Albert Wettstein ist seit 27 Jahren Stadtarzt vonZürich. Er kämpfte an vorderster Front gegenAids und die Verelendung der Drogensüchtigenauf dem Platzspitz. Bis heute absolviert er proJahr 120 Hausbesuche bei Randständigen undSenioren. Ein Gespräch über Medizin, die für alleda sein soll, fürsorgliche Autorität gegenüber Pa-tienten und die Notwendigkeit unbürokratischenHandelns.

13 PartnersucheSkilehrer im Jagdfieber

Kurz nach den ersten Schneefällen bringt dieRhätische Bahn Gastarbeiterinnen und Touristin-nen in die Surselva. Dann beginnt die Saison derEroberungen. Die jungen Bündner zünden ihrenSkilehrer-Charme, lassen den Akzent rollen undmutieren zu Platzhirschen. Zu Besuch bei Män-nern, die lieber Touristinnen verführen, als eineEinheimische zu heiraten.

10 MedizinVon Mitmensch zu Mitmensch

18 ChinaGeraubte Bräute

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Ihre Meinung!Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20,

Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, [email protected]. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt,

die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen.

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3

EditorialDer Faktor Mensch

Als Journalisten haben wir die Gelegenheit,Menschen zu treffen und auszufragen. DieseBegegnungen gehören zu den spannendstenund erfreulichsten Aspekten unseres Berufes.Schade ist manchmal nur, dass wir unsere Le-serschaft zu diesen Interviews nicht mitneh-men können. Denn auch wenn wir unser Be-stes geben, um Ihnen unsere Gesprächspartnerso nahe wie möglich zu bringen, kann ein Textdoch nur teilweise vermitteln, wie eindrück-lich manche Zeitgenossen wirken.

Zu diesen zählt der Zürcher Stadtarzt AlbertWettstein, den wir für diese Ausgabe inter-viewt haben. Wettstein hat den Umgang mitsozial Benachteiligten in der Stadt Zürich seitden frühen 80er Jahren von Nahem miterlebtund massgeblich geprägt. Er war der erste, derals Reaktion auf die Verbreitung von Aids öf-fentlich den Gebrauch von Kondomen propa-gierte und bereitete so den Boden für die fol-genden Stop-Aids-Kampagnen des Bundes.Auch beim Kampf gegen die Verelendung derDrogensüchtigen auf dem Platzspitz engagier-te sich Wettstein an vorderster Front. Bis heu-te handelt Wettstein schnell und konsequent,wenn jemand Hilfe benötigt. Stellt er bei einemHausbesuch fest, dass die Wohnung gereinigtwerden muss, organisiert er bei Bedarf Geldfür ein Putzinstitut. Solche Aktionen sind inseinem Jobbeschrieb nicht aufgeführt, aberdas kümmert ihn nicht: «Pflichtenhefte sind et-was für Bürokraten.»

Als Chefbeamter kann Wettstein die Regelnweitgehend selber bestimmen. Doch es brauchtkeinen besonderen Status um zu helfen, son-dern lediglich Überzeugung und Tatkraft. Oftverschanzen wir uns hinter Verfahren und Ins -titutionen. Fühlen uns nicht zuständig undver weisen auf Paragraphen und Regelwerke.Buchstaben und Organigramme aber helfenniemanden. Nur das entschlossene Handelnbringt echte Unterstützung. Von Mitmensch zuMitmensch.

Ich wünsche Ihnen eine spannende LektüreReto Aschwanden

Nr. 235: «Guter Mensch – Promis zwischenWeltverbesserung und PR»

ZynischWir haben uns sehr über den Artikel («Welt-verbesserer – Wer ist hier zynisch?», Anm. d.Red.) geärgert. Wie kann man nur so zynischsein und etwas an und für sich Gutes als durchund durch schlecht darstellen. Gehören wirauch zur «Gutmenschen-Parade», wenn wirSurprise unterstützen? Offenbar ist es der Jour-nalistin lieber, wenn man nur noch an sichselbst denkt und die Schwächeren sich selbstüberlässt. Schade, dass die Suprise-Redaktioneinen solchen Müll abdruckt. Caroline Schwegler und Thomas Oser, Basel

Nr. 237: «Ausschaffungsinitiative – mehrRaum für Symbolgesetze»

SkrupellosSowohl die Ausschaffungsinitiative als auchder Gegenvorschlag dazu bedienen lediglichdie von der SVP seit Langem geschürte Aus-länderfeindlichkeit. Die Kriminalität, die unsalle existenziell bedroht, kommt nicht von einpaar Kleinkriminellen, die dummerweise ohneroten Pass in diesem Land leben müssen. DieKriminellen, die uns wirklich bedrohen, sitzenin den Teppichetagen. Mit der einen Handstreichen sie Milliarden-Boni ein, während siemit der anderen skrupellos zahllose Menschenentlassen und auf die Strasse stellen. Markus Heizmann, Arlesheim

Leserbriefe«Die Kriminellen, welche die Schweiz wirklichbedrohen, sitzen in den Teppichetagen.»

RETO ASCHWANDEN,

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Basteln für eine bessere WeltSie wecken uns am Morgen unsanft aus unseren Träumen, wirbeln neben Blättern auch viel Staub auf und sind erst noch umweltun-verträglich: Wir haben die blöden Laubbläser mitsamt ihren Betreibern satt. Aber wir wollen niemanden daran hindern, Ordnung zuhalten, und deshalb sorgen wir für einen sozial- und umweltverträglichen Ersatz.

2. Nehmen Sie eine Handvoll Reisig und

«drillen» – drehen – Sie die Ästchen ineinander.

3. Wenn Sie so viel Reisig beisammen haben, dass Sie den Bund mit beiden Händen

umfassen können, binden Sie ihn mit Hilfe einer zweiten Person zusammen:

Eine Person hält den Bund kompakt, die zweite schlingt ein Seil zwei- bis dreimal

um den Reisig.

6. Wiederholen Sie den Vorgang der «Verspannung»

noch einmal, ein Stück weiter unten am Bündel.

Danach schneiden Sie das Reisig am dicken Ende

auf eine Länge ab.

7. Binden Sie das Bündel am offenen Ende mit

einer Schnur etwas zusammen. Schneiden Sie

auch am offenen Ende das Reisig auf eine

Länge, damit der Besen einen regelmässigen

Abschluss hat.

8. Spitzen Sie einen Besenstiel an

einem Ende zu und treiben Sie

den Stiel am geschlossenen Ende

mittig in das Reisigbündel.

5. Stecken Sie den Draht oder die Weide rein und drehen Sie den Bund,

sodass sich der Draht oder die Weide darauf aufdreht. Das Seil können

Sie danach entfernen.

4. Stechen Sie mit einem «Stichling» –

Sie können dafür zum Beispiel einen

langen Nagel oder eine Ahle verwen-

den – ein Loch in das Bündel.

1. Für einen Reisigbesen nehmen Sie am besten frisches Birkenreisig. Um das

Reisig zusammenzubinden, können Sie Draht oder frische Weiden verwenden.

Die Weiden müssen Sie halbieren und ihnen das Mark entfernen.

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AufgelesenNews aus den 90 Strassenmagazinen,die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Hungertote

Wien. Während die einen hungern, essen dieandern jede Menge Fleisch: Zwar könnte dieWeltlandschaft über elf Milliarden Menschenernähren. Knapp eine Milliarde hungert abervor allem deshalb, weil die Industrienationenauf ihren Fleischkonsum nicht verzichtenwollen. Würden beispielsweise die Amerika-ner zehn Prozent weniger Fleisch essen (vonihrem derzeitigen durchschnittlichen Jahres-konsum von 124 Kilo), könnte man mit demeingesparten Futter-Getreide eine MilliardeMenschen vor dem Hungertod bewahren.

Fuchsbandwurm

Nürnberg. Gute Nachrichten für Walderd-beer-Liebhaber: Würzburger Wissenschaft-ler haben herausgefunden, dass es keineneinzigen Patienten gibt, der sich durch denVerzehr von Wildfrüchten mit dem Band-wurm angesteckt hat. Vielmehr gehe dieHauptgefahr einer Infektion von Haustierenaus, die etwa eine befallene Maus gefressenhaben. Die Angst vor dem drei Millimeterwinzigen Wurm hat übrigens mit dem meisttödlichen Verlauf einer Infektion mit seinenLarven zu tun: Sie zerstören die inneren Organe.

Albträume

Hannover. Rund sechs Jahre unseres Lebensverbringen wir träumend. In dieser Zeit ha-ben wir bis zu 150 000 verschiedene Träume.Dabei gilt: Je weniger davon Albträume sind,desto besser. Mythologisch kommt der Be-griff übrigens aus dem Norden: Dort soll esangeblich Licht- und Schwarzalben geben,das sind kleine Wesen, die mit den Zwergenverwandt sind. Nachts schleichen sie sich an den Schlafenden heran und setzen sichauf dessen Brustkorb. Beklemmung undschlechte Träume sind die Folge.

ZugerichtetDer Schatz vom Flohmi

Penibel prüfte die alte Dame die Vitrinenam Flohmarkt Bürkliplatz. Sie hoffte, ihr Eigentum wiederzufinden – Colliers, Finger-ringe und andere Preziosen. Ein halbes Jahr zuvor hatten Einbrecher Frau Wagners*Schmuckschatullen ausgeräumt. Juwelen imWert von 185 700 Franken kamen weg, nichtaufzurechnen die seelischen Verluste.

Sie traute ihren Augen kaum: An einemAntiquitätenstand sah sie hinter poliertemGlas das indische Collier funkeln. Eines derGeschmeide, die aus ihrer Wohnung am Zü-richberg entführt worden waren. Da war siesich ganz sicher.

Es gab eine Hausdurchsuchung bei derStandbesitzerin, die Polizei beschlagnahmteüber 100 Schmuckstücke, 13 davon will FrauWagner als ihren Besitz wiedererkannt ha-ben. Prompt wurde Frau Hoffmann, dieHändlerin, der Hehlerei angeklagt und vomBezirksgericht schuldig gesprochen.

Für ihre Berufung vor dem Obergerichtträgt die 64-Jährige ihren besten Hosenanzugaus marineblauem Leinen. Goldene Kostbar-keiten an Ohren, Hals und Handgelenkenzeugen von früherem Wohlstand. Doch seitihr ein Koffer von der Gepäckablage in denNacken gefallen ist, bezieht sie eine IV-Teil-rente. Die Lizenz für den Trödelmarkt verlorsie wegen der erstinstanzlichen Verurteilung.

«Ich bin keine Hehlerin», sagt Frau Hoff-mann zur Sache. «Dieses Geschäft basiert aufdem Unglück der anderen, ist aber nicht un-gesetzlich.» Ein gewisser «Marco», den sie imCasino Campione kennengelernt habe, wosie als Schätzerin tätig sei, bot ihr Schmuckzum Kauf an, der sich bei ihm haufenweise

angesammelt habe. «Aber im Casino gewinntman doch keinen Schmuck», wundert sich derRichter. Ihrerseits verwundert, fragt Frau Hoff-mann zurück: «Ja, waren Sie denn noch nie ineinem Casino?» «Nein», sagt der Richter strikt.«Und ich habe auch kein Bedürfnis danach.»

Also klärt die Kennerin das Gericht auf:«Wer sein Bares verspielt hat, erhält bei denHändlern vor dem Casino draussen für seineWertsachen ein paar Franken, damit er weiter-spielen kann.»

Frau Hoffmanns Verteidigerin verlangt ei-nen Freispruch für ihre Mandantin. Keines derbeschlagnahmten Schmuckstücke würde mitjenen übereinstimmen, die aus Frau WagnersWohnung gestohlen wurden. Frau Wagner ha-be sogar Stücke als ihr gehörig bezeichnet, diegar nicht auf der Deliktsliste des Einbruchsstanden. «Eine Dreistigkeit sondergleichen istdas», tobt die Verteidigerin. Frau Wagner seihabgierig, so soll sie schwarzgefahren sein,nur um Geld zu sparen. Die solcher Art Ver-leumdete schnappt hörbar nach Luft unddroht, den Benimm zu verlieren. «Diese Personlügt – dass sie sich nicht schämt, ein Wahnsinnist das», wütet die 85-Jährige, «ich werde einBuch über diesen Fall schreiben.»

Nach dem Prinzip «In dubio pro reo» redu-ziert das Obergericht die bedingte Geldstrafeauf 120 Tagessätze à 50 Franken. Nur dreiSchmuckstücke können Frau Wagner zugewie-sen werden. Beim Verlassen des Gerichtssaalswürdigen sich die Damen keines Blickes mehr.

* persönliche Angaben geändert

ISABELLA SEEMANN ([email protected])

ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

([email protected])

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Vor sechs Wochen berichteten wir an dieser Stelle von den Verände-rungen im sozialpolitischen Umfeld von Surprise, von den zunehmen-den gesetzlichen Einschränkungen und neuen behördlichen Auflagen,die uns zu schaffen machen, weil sie sich nicht zuletzt erheblich aufdie finanzielle Lage auswirken. Wir berichteten von den Massnahmen,mit denen wir das Schiff Surprise aus den wirtschaftlichen Untiefen insicherere Wasser navigieren wollen. Wir berichteten von den Spar-massnahmen, von der Verschlankung unserer Struktur, dem Abbau vonStellenprozenten und von den konzeptionellen Anpassungen unsererProjekte an die neuen Anforderungen. Diese Massnahmen und – eben-so entscheidend – die grosse Unterstützung durch viele Spenderinnenund Spender haben ihre Wirkung nicht verfehlt: Surprise wird das Jahr2010 versöhnlich beenden und auf einer bereinigten Basis ins neue Jahrstarten können.

Das ist eine in vielerlei Hinsicht gute Nachricht. Zuallererst natürlichfür unsere Strassenverkäuferinnen und -verkäufer. Für viele von ihnenist Surprise in den letzten Jahren geradezu existenziell wichtig gewor-den. Weil es für sie kaum Alternativen zu unserem Projekt gibt, ausserder neuerliche Absturz. Wichtig ist die positive Nachricht aber auchaus einem anderen Grund:

Surprise erhält zum Jahreswechsel eine neue Führung. Der bisheri-ge Präsident unseres Trägervereins, Carlo Knöpfel, übergibt das Präsi-dium an Heidy Steffen und Peter Aebersold. Ich selber werde Surpriseim Dezember ebenfalls verlassen und die Geschäfte meiner Nachfolge-rin Pao la Gallo übergeben. Die geklärte organisatorische und finanzielleSituation ermöglicht eine geordnete Stabübergabe.

Carlo Knöpfel tritt nach vier Jahren an der Spitze des Vereins aus ge-sundheitlichen Gründen zurück. Diese zwingen ihn, seine nebenberuf-lichen Engagements stark zu reduzieren. Im Namen der ganzen Sur-prise-Familie möchte ich ihm an dieser Stelle ganz herzlich für seinengrossen Einsatz danken.

Das neue Präsidium von Surprise bilden die beiden bisherigen Vor-standsmitglieder Heidy Steffen (Luzern) und Peter Aebersold (Basel).

Im Dezember werde auch ich Surprise verlassen. Dieser Rücktrittauf eigenen Wunsch erfolgt plangemäss. Bereits bei meinem Antritt2007 stellte ich eine Amtsdauer von zwei bis drei Jahren in Aussicht.Zur neuen Geschäftsführerin gewählt hat der Vorstand des Vereins Sur-prise die italienisch-schweizerische Doppelbürgerin Paola Gallo. Alsgelernte Non-Profit-Managerin leitete meine Nachfolgerin zuvor unteranderem die Regionalstelle Basel des Bildungsinstituts Ecap und war

Co-Leiterin des politischen Sekre-tariats der SP Basel-Stadt. PaolaGallo wird sich Ihnen im Januaran dieser Stelle persönlich vor-stellen.

Die letzten drei Jahre mit Sur-prise waren reiche, reichhaltigeund intensive Jahre. Nach demFastkonkurs im Jahr 2006 über-nahmen wir Surprise als grosseBaustelle. Mit «wir» meine ichinsbesondere unsere Belegschaft,das grossartige Team, dem es ge-lungen ist, Surprise mit einer po-tenten Mischung aus Know-how,Herzblut und Stehvermögen aufdie heutige professionelle Basiszu stellen. Aus dem Pionierbetrieb der ersten Jahre ist eine professio-nelle Non-Profit-Organisation geworden.

Meiner Nachfolgerin wünsche ich deshalb eine ebenso tolle Unter-stützung durch das Team, wie ich sie hatte. Und natürlich wünsche ichihr auch die anhaltende Solidarität von Ihnen, sei es als Leserin oderLeser dieses Strassenmagazins oder als Spenderin oder Spender für un-sere Sozialprogramme.

Ich selber werde mich im kommenden Jahr zwar neuen beruflichenAufgaben zuwenden. Surprise werde ich trotzdem weiterhin mit Herzund Seele verbunden bleiben. Denn Surprise ist und bleibt ein unver-zichtbarer Beitrag an die soziale Schweiz. Und Sie sind es, die ihn wäh-rend meiner Zeit möglich machten. Bitte helfen Sie Surprise auch nächs -tes Jahr.

Danke.

Fred LauenerGeschäftsführer

HausmitteilungStabübergabe

FRED LAUENER,

GESCHÄFTSFÜHRER

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VON JULIA KONSTANTINIDIS (TEXT) UND

DOMINIQUE MEIENBERG (FOTO)

Marianne Sommer ist das beste Beispiel für eine der Erkenntnisse, diesie während ihrer Forschungen gemacht hat: «Gegen die menschlicheNeugier anzukommen, ist schier unmöglich.» Davon ist sie überzeugt,seit sie damit begonnen hat, die Naturwissenschaften in ihrem histori-schen Kontext zu analysieren. Ihre eigene Neugier bewirkte, dass siesich nicht auf ein einziges Fach beschränken wollte. Nach der Schule be-gann die Zürcherin ein Biologiestudium. «Aber da fehlte mir die schön -geistige Seite», erklärt sie. Die biologischen Prinzipien zu kennen, reich-ten der 39-Jährigen nicht, um sich mit dem Leben und insbesondere denMenschen zu befassen. Denn wie sich das Menschsein in der Kunst, Li-teratur oder Musik ausdrückt, fasziniert Marianne Sommer genauso wiedie naturwissenschaftlichen Aspekte. Sie ergänzte die Natur- daher mitden Geisteswissenschaften und machte die Anglistik zu ihrem Haupt-studium. Sie begann, das eine mit dem anderen in Zusammenhang zusetzen. Sie ging davon aus, dass die Angewohnheit der Menschen, allesin Geschichten zu verpacken, auch auf die Naturwissenschaften – diesich nicht nur in Zahlen und Formeln ausdrücken – einen Einfluss hat.Besonders interessierte Sommer dabei die historische Entwicklung: «DasWissen der Naturwissenschaften macht oft einen zeitlosen Eindruck,aber es ist immer auch in einen kulturellen Kontext eingebettet.» In ihrerDoktorarbeit untersuchte sie deshalb die Geschichte der Affenforschung,die auch eine Geschichte des Wandels im Menschenbild ist. Und für ih-re Habilitation untersuchte sie die Geschichte jener Wissenschaften, diesich mit der Evolutionsgeschichte der Menschen befassen.

Marianne Sommer taucht für ihre Arbeit ab in Archive, liest Brief-wechsel zwischen Wissenschaftlern, Zeitungsartikel über wissenschaft-liche Entdeckungen, historische Fachpublikationen, aber auch literari-sche Werke, die das Lebensgefühl der Zeit, in der sie geschrieben wurden,wiedergeben: «Im 19. Jahrhundert etwa kommtman nicht darum herum, sich mit religiösenModellen zu beschäftigen», erklärt sie. Damalssei es vor allem die Geologie gewesen, anhandderer Wissenschaftler beweisen konnten, dassdie Erde und die Menschheit älter sind als es eine wörtliche Interpreta-tion der Bibel nahelegt. Der Laie stellt sich Glaubenskriege vor, die to-tale Ablehnung des Einen und die Hinwendung zum Anderen. Doch Ma-rianne Sommer weiss, dass es nicht so einfach ist: «Es war oft so, dassWissenschaftler gleichzeitig aus einem religiösen Umfeld kamen. Einklares Gegenüber von Religion und Wissenschaft besteht nicht.»

Die Wissenschaftshistorikerin mit dem klaren und direkten Blickdurchforstet nicht nur historische Archive, sondern untersucht auch diejüngste Vergangenheit und die Gegenwart. Die wissenschaftlichen Me-thoden haben sich verfeinert, sind genauer geworden und in neue Ge-biete wie die Genetik vorgedrungen. «Das lässt keinen grossen Raummehr für Wunder», stellt sie fest. Dass die Menschen nun aber dazu ge-zwungen sind, sich nur noch an beweisbare Fakten zu halten, will Som-mer nicht gelten lassen: «Die Naturwissenschaften befassen sich nichtmit der Sinnfrage, sie suchen nicht nach einem höheren Grund für dieExistenz des Menschen.»

PorträtIm Bann der NeugierMarianne Sommer ist Wissenschaftlerin durch und durch. Sie richtet sich ganz nach ihrer Arbeit und nimmtdafür ein unstetes Leben in Kauf. Dafür wird sie nun mit einem Preis belohnt.

Marianne Sommer selbst ist Wissenschaftlerin durch und durch. Siewirkt nüchtern und aufgeräumt. Man kann sich gut vorstellen, wie siesich in ihrem Büro im Dachstock der Forschungsstelle für Sozial- undWirtschaftsgeschichte der Uni Zürich hartnäckig und geduldig durchHunderte von Dokumenten ackert. Bei der historischen Erforschung derLebenswissenschaften stösst sie auch immer wieder auf heikle Themenwie etwa die Rassenlehre: «Es ist zu einfach, allein einer bestimmtenMethode – also etwa der Schädelvermessung – die Schuld für die rassi-stischen Befunde dieser Forschung zuzuweisen, denn es kommt auchauf die Fragestellungen an, und wie die Geschichte zeigt, können ‹Da-ten› verschieden interpretiert werden.» Jedes Wissen kann auf vielfacheWeise in Gesellschaften wirken. Der Wissenschaft könne dabei nichtjegliche Verantwortung abgesprochen werden. «Die Naturwissenschaf-ten müssen sich damit auseinandersetzen, was mit der Forschung pas-sieren und welche Auswirkungen sie auf die Gesellschaft haben kann.»Eine Diskussion, wie sie momentan in Deutschland geführt wird, nach-dem ein Politiker die falsche Behauptung geäussert hat, es gebe ein jü-disches Gen, das allen Juden gemein sei, sei verheerend für die Wissen -schaft. Die so besonnene 39-Jährige gerät plötzlich in Fahrt und mankann ihr den Ärger über den unwissenschaftlichen Umgang mit der Wis-senschaft deutlich anmerken. Aber in einem solchen Moment müsseman auch fragen, wieso Wissenschaftler diese Forschung betreiben – al-so wieso sie etwa die Geschichte der jüdischen Diaspora und die Unter-schiede zwischen Menschengruppen generell genetisch untersuchen –und wieso die Öffentlichkeit nicht besser über diese Forschung und ihreResultate Bescheid weiss.

Die Forschung und Wissenschaft hat in Marianne Sommers Leben ei-nen sehr hohen Stellenwert: Es gingen jahrelange Aufenthalte in Eng-land, Berlin und den USA voraus, bevor sie vor bald sieben Jahren nachZürich zurückkehrte, um an der ETH zu lehren und zu forschen. Sieweiss es zu schätzen, dass sie genau das zu ihrem Beruf machen konnte,

was sie am meisten interessiert. Doch das Forscherinnenleben hat auchseinen Preis und kann eine Partnerschaft ganz schön strapazieren: «Manmuss sehr flexibel sein, die Anstellungen sind oft temporär und dienächste passende Stelle kann in einem anderen Land oder auf einem an-deren Kontinent sein.» Heimatlos oder isoliert fühlt sie sich mit ihremLebensstil jedoch nicht. «Der Vorteil am herumreisen ist, dass ich jetztan vielen Orten in der Welt Freunde habe», meint Sommer, der Freundeund Familie sehr wichtig sind.

Der Aufwand für ihre Arbeit hat sich gelohnt, sie trägt nun Früchte:Marianne Sommer wurde zur diesjährigen Preisträgerin des mit 100000Franken dotierten Latsis-Preises ernannt, eine der wichtigsten wissen-schaftlichen Auszeichnungen der Schweiz.

Zeit, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen, hat die Wissenschaftlerinaber nicht: Das Preisgeld wird sie in ihre Forschung stecken, und nachder Preisverleihung in Berlin fliegt sie nach Amerika, um dort ein Archivzu besuchen. ■

«Gegen die menschliche Neugier anzukommenist schier unmöglich.»

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Albert Wettstein verkörpert als Zürcher Stadtarzt ein Vierteljahrhundert Sozialgeschichte. Ob in der Drogen -szene oder bei Demenzkranken – Wettstein will nur eines: Unbürokratisch Hilfe leisten.

GesellschaftDer Stadtdschungel-Doktor

Wie das?Ich stelle ein Gesuch an eine Stiftung für solche Finanzierungen.

Das geht über Ihr Pflichtenheft als Stadtarzt hinaus.Pflichtenhefte sind etwas für Bürokraten.

Ecken Sie innerhalb des städtischen Apparates mit dieser Haltung an?Im Gegenteil. Die sind froh, nimmt sich jemand Zeit für schwierige Fäl-

le. Ich mache selbstverständlich nichts Illegales, sondern bewege michinnerhalb der Gesetze. Aber ich frage nicht, bin ich dafür angestellt, son-dern leite in die Wege, was nötig ist.

Wer bietet Sie zu den Hausbesuchen auf?Manchmal die Polizei, manchmal die Vormundschaftsbehörden oder Fa-milienangehörige. Manchmal die Patienten selber oder auch Nachbarnund Vermieter.

Kommt es vor, dass Nachbarn oder Vermieter Sie einspannen wollen,um jemanden loszuwerden?Dann können sie das selber machen. Nein, meistens sind es Leute, diefinden: Hier ist jemand krank, dieser Person sollte man helfen. Natür-lich haben sie zum Teil auch Angst. Aber ich kann nicht selten mit ei-ner Intervention verhindern, dass man den Betroffenen kündigt.

Haben Ausweisungen aus Wohnungen in den letzten Jahren zuge-nommen?Nein, das gab es schon in den 80er-Jahren. Wenn jemand seine Mietenicht bezahlt oder die Nachbarschaft massiv belästigt, ist das natürlichein Kündigungsgrund.

Hat die Toleranz abgenommen?Rücksicht kann man nicht befehlen. Man kann nur appellieren, aber esgibt sture Leute, die lassen das nicht zu.

Wie stellen Sie ein Vertrauensverhältnis zum Patienten her, damitSie nicht zu Zwangsmassnahmen wie dem fürsorgerischen Frei-heitsentzug greifen müssen ?Das wichtigste Arbeitsinstrument eines Arztes ist nicht die Spritze, son-dern der Mund. Und natürlich das Ohr. Und es braucht Autorität, einefürsorgliche Autorität. So wie hier beim Impfen, da sage ich: Machen Siedie linke Schulter frei. Und nicht: Wären Sie so nett, würden Sie viel-leicht bitte. Die Leute schätzen es, wenn man, ohne um den heissen Breiherumzureden, sagt, was man will. Es gibt ein paar, die das unmöglichfinden, aber das ist auch recht.

Wie oft finden Sie einvernehmliche Lösungen?Häufig. Wenn ich aufgrund der Meldung das Gefühl habe, das könnte

VON RETO ASCHWANDEN (INTERVIEW) UND ANDREA GANZ (BILDER)

«Chömed Sie, chömed Sie.» Stadtarzt Albert Wettstein beordert die War-tenden freundlich, aber bestimmt zu sich. Auf einem Korridor im Verwal -tungszentrum Werd impft er städtische Angestellte gegen die Grippe.Immer wieder erkundigt er sich, in welchem Department sein Gegen -über arbeite, macht hier einen Spruch und mahnt dort zum Vorwärts-machen. Es ist eine Art Abschiedsvorstellung: Wenn in einem Jahr dienächste Grippeimpfung ansteht, wird Wett-stein nach 28 Amtsjahren pensioniert sein. DasInterview absolviert er zwischen den Impfun-gen: Spritze, Frage, Spritze.

Sie sagten in einem Interview: «Der Wert einer Gesellschaft bemisstsich an Ihrem Umgang mit den Schwächsten.» Wo stehen wir?Wir stehen in der Stadt Zürich relativ gut da. Wir haben ein breites Netz:Stadtspitäler, in denen das modernste medizinische Wissen allen zurVerfügung steht. Und es gibt spezielle Anlaufstellen für die unter-schiedlichsten Leute mit den verschiedensten Problemen. Dank der An-strengungen vieler Ämter können wir auch die Schwächsten adäquatversorgen.

Sie sprechen von den institutionellen Angeboten. Wie steht es umden grundsätzlichen Goodwill, sich Zeit und Energie für die Bedürf-nisse von sozial Benachteiligten zu nehmen?Das ist unterschiedlich ausgeprägt. Leider betrachtet die Bürokratie dieWelt manchmal ein bisschen bürokratisch und nimmt sich zu wenig Zeitfür den einzelnen Menschen. Trotzdem haben wir neuerdings flexibleAngebote, bei denen man sich Zeit nehmen kann für eine individuelleBetreuung. Etwa für Leute, die es nicht fertigbringen, das richtige For-mular zum richtigen Zeitpunkt zur richtigen Stelle zu bringen.

Was können Sie als Stadtarzt tun?Ich absolviere im Jahr ungefähr 120 Hausbesuche bei Leuten, die denRank nicht finden und zwischen Stuhl und Bank fallen. Die Bedürfnissesind ganz individuell, und Kraft meines Amtes habe ich die Möglichkeit,von Mitmensch zu Mitmensch das Nötige zu machen.

Als Chefbeamter könnten Sie ja auch im Büro bleiben und die An-gestellten auf Hausbesuch schicken.Im Büro ist man ein Bürokrat. Mir ist es wichtig, zu den Menschen zugehen, die es nötig haben. Die Normalos, die eine Normalversorgunghaben, benötigen keinen Stadtarzt. Den Stadtarzt braucht es für dieaussergewöhnlichen Fälle, für die man sich Zeit nehmen muss.

Wie läuft so ein Hausbesuch ab?Ganz unterschiedlich. Bei den einen muss ich einen Beistand organisie-ren. Es gibt auch Situationen, wo ich feststelle, dass der Haushalt drin-gend gereinigt werden muss. Dann lasse ich mich bevollmächtigen, einPutzinstitut zu organisieren, das den Haushalt wieder in einen men-schenwürdigen Zustand bringt. Manchmal organisiere ich auch ein biss -chen Geld, wenn die Leute sich die Reinigung nicht leisten können.

«Das wichtigste Arbeitsinstrument eines Arztes ist das Ohr.Und es braucht Autorität, eine fürsorgliche Autorität.»

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jemand sein, der ins Heim gehört,dann fahre ich im Dienstwagenvor und nehme diese Persongleich mit. Freiwillig. Ein paar Sa-chen packen und los.

Das geht so einfach?Natürlich gibt es heikle Situatio-nen. Einmal musste ich zu einemEhepaar – sie war schwer dement,er ein bisschen. Der Mann hatteseine Frau immer wieder so heftiggeschüttelt, dass sie um Hilfeschrie. Als ich ihm die Frau weg-

nehmen musste, weil es nicht mehr anders ging, wollte er mit dem Mes-ser auf mich los. Ich musste mich gegen die Tür stemmen, um ihn vonmir fernzuhalten.

Als Stadtarzt haben Sie auch viel mit alten Menschen zu tun. Ja, meine Hauptaufgabe sind nicht die Hausbesuche, sondern die ärzt-lich Betreuung der Menschen in den Pflegeheimen. Eine kleine Kran-kenstation leite ich selber. Da betreue ich die Patienten vom Aufnahme-gespräch übers Ohrenspülen bis zum Ausfüllen des Totenscheins.

Sehen Sie im Vergleich zu den 80er-Jahren Veränderungen in der Be-treuung von Senioren, sei es im familiären oder nachbarschaftlichenKontext?Wenn, dann eher zum Guten. Nehmen Sie die erhöhte Mobilität und dieneuen Möglichkeiten der Kommunikation. Telefonieren ist sehr günstig,auch wenn Sie Ihre Mutter aus den USA anrufen. Und wenn ein Eltern-teil krank wird, können Sie selbst aus Neuseeland kurzfristig und un-kompliziert anreisen.

Im Alltag nützt das aber nichts.Für den Alltag gab es immer schon Profis: Die Spitex oder das Personalim Heim.

Man hört immer wieder, das Zwischenmenschliche käme dabei zukurz.Pflegeexperten sind teure Fachkräfte. Die kommen, um zu pflegen, nichtzum Plaudern. Das sollen die Familienangehörigen machen. Und die Er-fahrung zeigt: Söhne, Töchter, Enkelkinder können das dank der mo-dernen Kommunikationsmittel problemlos leisten.

Wie oft erleben Sie bei alten Leuten Verein-samung?Einsamkeit war schon immer ein Thema, be-trifft aber nur eine kleine Minderheit. Die mei-sten alten Menschen sind, auch wenn sie alleinwohnen, recht gut vernetzt.

Gibt es gesellschaftliche Bereiche, in denen Sie eine verstärkte Aus-grenzung feststellen?Für Leute, die gar nichts haben, wird relativ gut geschaut, denn in die-sem Bereich gibt es eine ganze Reihe von Hilfsangeboten. Für die Rei-chen muss man gar nicht schauen, die sorgen selber für sich. Aber imunteren Mittelstand besteht die Gefahr, dass es den Leuten weniger gutgeht als noch vor 20 Jahren.

Medizinisch oder allgemein?Ich rede von den finanziellen Aspekten, vom Sicherheitsgefühl, vomWohlbefinden. Der untere Mittelstand kommt an die Kasse, und imGegenzug hat man die Reichen entlastet.

Die Entsolidarisierung der Gesellschaft.In bestimmten Bereichen findet die statt. Es besteht nach wie vor einKonsens, dass wir die Ärmsten nicht einfach abserbeln lassen, sonderndass man für deren Wohl etwas investiert. Aber die Schere zwischenArm und Reich öffnet sich. Wer am ehesten zwischen Stuhl und Bankfällt, sind Leute mit fester Anstellung bei kleinem Lohn.

Wie wurden Sie eigentlich Stadtarzt?Ich war zuvor Oberarzt am Unispital, auf der Neurologie. Ich interes-sierte mich vor allem für Demenz, ein Thema, das damals, Anfang der80er-Jahre, noch wenig im Fokus stand. Im Unispital landeten nur we-nige Betroffene. Umso mehr beim stadtärztlichen Dienst, weil der sichum die Heime kümmert, wo die Patienten leben. Deswegen wurde ichStadtarzt. Epidemien, dachte ich, kannst du vergessen, das war imMittelalter. Kaum war ich im Amt, kam die Aids-Epidemie und dann dieDrogen-Epidemie.

In den 80ern konnten Sie von Ihrem Büro an der Walchestrasse aufdie offene Drogenszene am Platzspitz blicken. Was hat das bei Ihnenausgelöst?Wir haben die Not gesehen und relativ unbürokratisch geholfen. Etwadie Anlaufstelle Zipp-Aids oder später das Krankenzimmer für Obdach-lose aufgebaut. Da konnten Spritzen getauscht werden, und wir mach-ten pro Tag bis zu 20 Reanimationen. Es herrschten kriegsähnliche Zu-stände. Ein paar Jahre habe ich mich vor allem darum bemüht, diesesElend zu mildern.

Dafür war ein Umdenken auf politischer Ebene nötig. Ich habe etwas gelernt: Man kann ein komplexes gesellschaftliches Pro-blem nicht auf einfache Weise lösen. Es braucht dafür ein Zusammen-spiel aller gesellschaftlichen Akteure: Ordnungskräfte, Hilfskräfte, Me-dizin. Erst wenn alle am selben Strick ziehen, geht es voran. Nicht, dasswir alles gelöst hätten. Drogenkonsum gibts nach wie vor, aber dasElend ist viel, viel kleiner.

Damals erlebten die Drogenkonsumenten den Staat primär als re-pressiv. Wie wurde Ihr Angebot auf der Strasse aufgenommen?Die Leute haben schnell gemerkt, wie unbürokratisch es bei uns zu- undhergeht. Dass sie nicht moralisch verurteilt werden als Drogenkonsu-menten, sondern ernst genommen werden als Menschen.

Wie fanden Sie persönlich zu einer pragmatischen Haltung gegenü-ber Drogenkonsumenten?

Die Medizin wollte schon immer für alle da sein. Bereits bei den altenGriechen widmete sie sich ausdrücklich auch den Sklaven und nicht nurden Herren. Das gehört sich einfach so: Ohne Ansehen der Person dasNötige machen zur langfristigen Sicherung der Gesundheit.

Trotzdem: Sie kommen aus einer Generation, in der Drogenkonsumnoch viel stärker stigmatisiert war.Lernprozesse muss man immer durchmachen, ein Leben lang. Aber ichwollte schon von klein auf den Menschen möglichst direkt helfen. AlsBub träumte ich davon, Urwalddoktor zu werden. Jetzt bin ich halt Dok-tor im Dschungel von Zürich. ■

«Die Ärmsten lassen wir nicht abserbeln. Der untereMittelstand aber fällt zwischen Stuhl und Bank.»

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Die Männer aus der Surselva sind entweder schon in jungen Jahren unter der Haube oder siesuchen lange, manchmal fast zu lange nach der Richtigen. Erkundungen in Disentis, einemBündner Jagdrevier der besonderen Art.

PartnersucheBalzsaison im Winter

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VON FABIENNE RIKLIN

Er ist Bündner durch und durch, doch die Frauen, die mag er vonausserhalb. «Sie sind einfach interessanter, die Touristinnen und Gast-arbeiterinnen», sagt Mateo* und stützt seine Ellbogen auf der Eckbankauf, sodass seine Fleece-Jacke an der Brust spannt. Er ist 40, Single undleitet im Winter die Snowboardschule von Disentis, einem Dorf mit2000 Einwohnern in der Surselva, dem Gebiet zwischen Oberalppassund Flims im Bündner Oberland. Im Sommer organisiert er Kletter- undWanderwochen. Mateo lebt in einer Dachwohnung ausserhalb des Dor-fes. Die Wände seiner Wohnung zieren Snowboardplakate. Jumpend,carvend oder im Tiefschnee sind die Abgebildeten unterwegs. Dazwi-schen hängen alte Snowboards an der getäferten Wand.

Jedes Jahr, immer zum gleichen Zeitpunkt: Kurz nach den erstenstarken Schneefällen spuckt die Rhätische Bahn die Gastarbeiterinnenund die Touristinnen aus. Dann beginnt sie,die Saison der Eroberungen. Dann blicken dieHandwerker am Stammtisch auf, sprechenplötzlich Schweizerdeutsch statt Rumantschund lassen ihren Akzent rollen. Jetzt mutierensie zu Platzhirschen, kämpferischer noch alsdie, welche einige Monate zuvor die Wäldereroberten. Erst werden die Gastarbeiterinnen beäugt, schliesslich blei-ben die am längsten, und je länger die Frauen bleiben, umso grösser istdie Chance auf Erfolg. Danach kommen die Touristinnen an die Reihe.

Warten, bis es Winter wird«Ich weiss genau, wie die Jagd abläuft», sagt Mateo und lacht. Er

hat dafür eine eigene Strategie entwickelt. «Ich lasse die anderen ma-chen und lehne mich zurück.» Wie Geier kreisen die Männer bei Win-teranfang um die neue Barmaid und versuchen, mit ihr ins Gesprächzu kommen. «Irgendwann wird sie genug von ihnen haben. Dann kom-me ich ins Spiel.» Was er genau macht, damit er die Neue von sichüberzeugen kann, will er nicht recht sagen. Er bringe sie zum Lachenund mache sich rar. Während er dies sagt, blitzen seine Augen listigunter den dunklen Locken hervor. «Und falls sich die Neue doch schonfür einen anderen Bewerber entschieden hat, bevor ich zum Zug kom-me, ist es auch egal. Hauptsache, es ist einer aus der Clique», erzählter. Egal, wo Mateo hinkommt, zieht er die Aufmerksamkeit auf sich.Nicht nur wegen der schönen Locken und seines kräftigen Körpers,sondern weil er um keinen Spruch verlegen ist und mit jedem ein Ge-spräch anbandelt.

Seine Energie spart er aber für die Wintertage auf – oder genauer:die Winterabende. Im Sommer bleibt er lieber zu Hause. «Die Einhei-mischen ziehen mich nicht an.» Das fängt beim Kleiderstil an: zu sport-lich, zu schlabberig, zu alternativ. Einfach zu wenig Frau. Noch nie warer mit einer Bündnerin zusammen. Freunde von ihm sagen, er verliebesich nur in sehr schöne Frauen. Manchmal verfolge er gar etwas zuhochgesteckte Ziele. «Ja, das stimmt», sagt Mateo. «Ich kenne viele hieroben, die haben eine geheiratet, damit sie eine haben», sagt er. «Da binich lieber Single.»

Dieses Jahr haben 24 Paare auf dem Zivilstandsamt Trun, zudemDisentis gehört, Ja zueinander gesagt. Bei rund der Hälfte der getrau-ten Paare stammen beide Partner aus der gleichen Gemeinde oder ausder Surselva. Ein Viertel hat jemanden aus der übrigen Schweiz geehe-licht und ein Viertel einen Partner aus dem Ausland. Wobei die Mehrheitder Zugezogenen Frauen sind.

Auch auf den beiden anderen Zivilstandsämtern des Bündner Ober-lands sieht die Statistik ähnlich aus. Sursilvanerinnen heiraten bevor-zugt einen Mann aus ihrer Region. Die Sursilvaner hingegen entschei-den sich ab und zu für eine Auswärtige. Doch sich aktiv um eine Frauvon ausserhalb zu bemühen, das liegt ihnen nicht. Sie warten, wie inDisentis, lieber, bis es Winter wird.

So auch Curdin*, Single seit mehr als zehn Jahren. «Es gibt sieschon, die Bündnerin, die so offen und selbstbewusst ist wie eineUnterländerin, trotzdem aber in den Bergen leben möchte», sagt der 35-Jährige. Vor zwei Jahren hat es auch gefunkt: Im Volleyball-Kurs ver-liebte er sich in eine Frau, die nur zwei Dörfer weiter entfernt wohnt.«Sie war witzig, aufgestellt und nicht so scheu und zurückhaltend wiedie andern», erzählt Curdin. Während des Kurses flirteten und schä-kerten die beiden heftig. «Es war, als habe der Blitz eingeschlagen.»Nach Kursende kam allerdings die grosse Enttäuschung. Weder aufSMS noch auf Mails reagierte die Angebetete. «Da habe ich wohl ihreGefühle falsch interpretiert», sagt Curdin wehmütig. Aber eigentlich ha-be er gar keine Zeit darüber zu sprechen, eine Mauer müsse er bis heu-te Abend noch fertig pflastern. Curdin hat ein eigenes Maurergeschäftund bringt im Winter Touristinnen das Ski fahren bei. Er ist kräftig ge-baut und hat grosse, von der Arbeit gezeichnete Hände. Mit seinen

zwei Katzen wohnt er alleine in einem kleinen Haus mitten im Dorf. «Hätte ich gewollt, wäre ich schon seit zehn Jahren unter der Hau-

be», sagt Curdin und rührt mit der Kelle im Zement. Aber die, die sichfür ihn interessierten, passten ihm nicht. Und die paar Guten aus demDorf sind weggezogen. Ins Unterland. «Die beruflichen Perspektivensind halt eingeschränkt.» Für die Männer gibt es in Disentis viele Mög-lichkeiten, vor allem Handwerker sind gefragt. Doch für Frauen gibt esausser ein paar wenigen KV- und Coiffeurstellen nichts. Curdinwünscht sich eine Frau, die in ihrem Beruf erfüllt ist. Die am Abendnach Hause kommt und etwas zu erzählen hat. Es würde ihn auchnicht stören, wenn sie einen besseren Job hätte als er. «Denn eine fürden Haushalt und das Kochen brauche ich nicht.» Das habe er in all denJahren ganz gut alleine hingekriegt.

Sorgfältig klatscht er den Zement in die Hohlräume zwischen denSteinen. Die Mauer bildet einen Gartenabschluss und grenzt an dieDorfkirche. Die Arbeit gefällt ihm. Trotzdem hätte er gerne eine Familieund Kinder. «Ohne Kinder ist das Leben irgendwie sinnlos.» Hoffen lässtihn, dass sein Vater erst mit 42 Jahren geheiratet hat. Eine viel jüngereFrau. Eine unter 25-Jährige kommt für Curdin aber nicht infrage. «Abernur die sind im Dorf noch im Ausgang.» Auf Knieschonern rutscht er zueinem noch nicht fertigen Stück der Mauer. «Ich mag Frauen, die auchmal sagen, wie’s läuft. Aber das machen die ganz Jungen nicht.»

Deshalb setzt auch er auf den Winter. Mit den Touristinnen ist alleseinfacher, unkomplizierter. Mit denen kann man auch etwas trinken ge-hen, ohne dass sie gleich das Gefühl haben, man wolle etwas von ih-nen. «Die Frauen von hier oben können nicht mit jedem ausgehen.Sonst werden sie von den Männern als solche, die leicht zu haben sind,abgestempelt.» Deshalb müsse man sich schon ziemlich sicher sein,wenn man mit einer Frau in eine der beiden Bars im Dorf ausgehe.

Heisse Tage in der KälteNicht alle Männer in Disentis haben Mühe, sich festzulegen. Einer,

der mit seinen wilden Zeiten schon früh abgeschlossen hat, ist Gion*.Der 32-Jährige ist der Frauenschwarm schlechthin: sportlich, blaue Au-gen und blond-braune, wilde Haare. In der urchigeren der beiden Dorf-beizen bestellt er sich ein Feierabendbier. Ein Calanda, natürlich. Erträgt noch die Arbeitsjacke mit dem Emblem der Disentiser Bergbah-nen. Der gelernte Elektromonteur absolviert eine Ausbildung zum Seil-bahnfachmann. Er hat Verpflichtungen. Seit vier Jahren ist Gion verhei -ratet. Mit seiner Frau Flurina hat er eine sechsjährige Tochter und einenzweieinhalbjährigen Sohn. Kennen gelernt hat sich das Paar im Kinder -

«Die Versuchung ist gross, noch einen Winterzu warten in der Hoffnung, es komme vielleichtnoch eine bessere.»

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garten, aber nicht schon im Kindesalter, son-dern erst vor sieben Jahren. Kurz vor seinenFerien musste er eine neue Deckenbeleuch-tung im Kindergarten von Curaglia installieren– dem Arbeitsort von Flurina. «Wie sie mitden Kleinen umging, hat mir gefallen.» Gesehen hatte er sie zuvor nochnie, obwohl Flurina nur wenige Dörfer talauswärts aufgewachsen ist.Gion notierte sich ihre Autonummer und machte via Strassenverkehrs-amt ihre Telefonnummer ausfindig. Dann ist alles sehr schnell gegan-gen. SMS flogen hin und her und als er nach einer Woche Zermatt nachDisentis zurückkehrte, stand sie vor seiner Haustür.

Gion hat Flurina nicht deshalb zur Frau genommen, weil die Blickeder Alteingesessenen im katholischen Dorf auf das junge, unverheira-tete Elternpaar gerichtet waren. «Ich wusste, diese Frau möchte ichnicht mehr ziehen lassen.» Und er wollte, dass seine Kinder in den Ber-gen aufwachsen. Dies wäre schon auch mit einer Unterländerin mög-lich gewesen. Doch vielen gefalle das Leben hier oben nicht. Zu langder Winter, kein Kino, keine Kleiderläden und keine Anonymität. «Esist auch schwierig, hier zu leben, wenn man kein Romanisch spricht»,sagt Gion. Sie sind stolz, die Sursilvaner, auf ihr eigenes Rumantschund vermeiden es, deutsch zu sprechen.

«Ich habe mich mit Unterländerinnen und Touristinnen ausgelebt»,sagt er und lacht. Schon als 16-Jähriger arbeitete er in den Wintern alsSkilehrer. «Wenn es um die Klasseneinteilung ging, haben wir gewettet,wer welche bis Ende Woche kriegt.» Spass hat es ihm vor allem danngemacht, wenn er in den Revieren der Kollegen jagen ging. «Aber dieMänner, die mit 40 noch Single sind, haben einfach den Zug verpasst.»Sie haben nicht gemerkt, wann es Zeit war, sich für eine zu entschei-den. «Die Versuchung ist gross, noch einen Winter zu warten und noch

einen, immer in der Hoffnung, es komme noch eine bessere», sagtGion. «Sie sind heikel, die Single-Männer, und haben das Gefühl, aufsie warte eine Miss Perfect.»

Die Aussicht auf ein paar kalte Tage, die heiss werden könnten, isteinfach zu verlockend, um sich definitiv festzulegen. ■

*Name geändert

«Viele hier oben haben geheiratet, damit sieeine haben. Da bin ich lieber Single.»

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Bei der Klasseneinteilung wetten die Skilehrer, wer welche bis Ende Woche kriegt.

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An der Autonomen Schule Zürich integrieren sich Flüchtlinge, Eingebürgerte und Einheimische in die Realitätdes Zuwandererlandes Schweiz. Bildung und Eigenverantwortung stehen im Zentrum.

Integration durch BildungAktiv, passiv, kommunikativ

VON YVONNE KUNZ (TEXT) UND FLORIAN BACHMANN (BILD)

In der Pfanne auf dem Herd lässt sprudelndes Salzwasser Kartoffelnauf und ab tanzen. Manchmal schwappt das Wasser über den Rand desTopfes und verdampft zischend auf der Herdplatte. Die Fensterscheibeneben dem Herd ist beschlagen. Es ist kalt, die Heizung funktioniertnicht. Vier Frauen hantieren in dieser Küche, die Südamerikanerin zer-reist ein grosses Stück grünen Filz zu einem handlichen Lappen undmeint, es sei immer das Gleiche hier, stets fehlten Lappen und Ge-schirrtücher. Zwei Afrikanerinnen plappern vergnügt in einem mitDeutschfetzen durchsetzten Englisch, während sie mit dem Geschirrklappern, das sie für den heutigen Mittagstisch abwaschen.

«Frau Müller, hören Sie auf zu putzen!», ruft jetzt der Moderator mitHumor und Bestimmtheit in der Stimme. Die mit dem urschweizeri-schen Übernamen Angesprochene schüttelt ihr langes, schwarzes Haar

und ihre asiatisch geschnittenen Augen strahlen mit der nun blitzsau-beren Küche um die Wette: «Alles Höhblichkeit!», sagt sie triumphie-rend. Der Moderator, ein ehemaliger Lehrer, stutzt einen Moment,dann, «Ach so!», versteht er, was Frau Müller sagen will: «Sie meinen,wir verwenden in dieser Klasse stets die Höflichkeitsform!» Die beidenNigerianerinnen und die Südamerikanerin lachen aus voller Kehle –fröhlich vereint in einem kooperativen Geist.

Namensschilder sind zwecklos«Frau Müller, Sie müssen jetzt wirklich mit dem Putzen aufhören»,

fordert der Moderator ein weiteres Mal und nun stellt die Asiatin ihrenEimer tatsächlich beiseite, streift ihre Gummihandschuhe ab und setztsich zu den anderen Frauen für die Deutschstunde an den Küchentisch.«Die letzten beiden Male haben wir vor allem gesprochen, heute gibt eswieder eine Grammatikeinheit», erklärt der Moderator, während er das

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Übungsblatt verteilt. Aktiv- und Passivformen sind das Thema. Erst dieWiederholung: Ich küsste Herrn Meier. Der Moderator schreibt denÜbungssatz auf ein Blatt Papier. Erneutes Gelächter. «Welche Zeitformist das?», will der Moderator wissen. «Präteritum», antworten die vierFrauen sofort im Chor und bilden den Passiv: Herr Meier wird von mirgeküsst. Dann zerlegen sie Übungssätze auf dem Blatt. Sie korrigierensich gegenseitig, bestimmen zusammen Wortarten, Zeitformen und Fäl-le. Sie sind sich einig: Deutsch ist schwer. Eine der Nigerianerinnenwirft ihren Kopf zurück, lacht und meint, das Aktiv sei ihr doch lieber.

Eigentlich werden die Schulstunden der Autonomen Schule ZürichASZ nicht in der Küche, sondern in einem derdrei Schulzimmer abgehalten. Aber weil dieKüchencrew nicht aufgetaucht ist, um denMittagstisch vorzubereiten, ist es zur sponta-nen Programmänderung gekommen. Die Kü-che ist nach Kochbarem durchstöbert worden und das Menü orientiertsich am Vorhandenen: Kartoffelsalat. Der Moderator, wie die Unter-richtenden hier genannt werden, hat sich kurzerhand aufs Fahrrad ge-schwungen, um Brot und Früchte zu besorgen. «Kochen und lernen»nennen sie die Lektion.

Das Prinzip, nach dem die Schule geführt wird, beschreibt der Mo-derator so: «Jeder Schüler ist auch Schulleiter. Jeder gibt, was er kann,und nimmt, was er will.» Die Balance zu halten, das räumt er ein, seinicht einfach. Auch das System sei Leuten, die neu dazukommen, oftschwer zu erklären. Dass keiner etwas verdiene etwa. Dass die Schuleihren Aufwand aus Geld- und Sachspenden sowie durch Solidaritätsfes -te deckt. Und dass alles leichter geht, wenn nicht nur einige wenige ei-nen Beitrag leisten. «Alle für Bildung, Bildung für alle», fasst der Slo-gan der Schule die Grundidee zusammen. Der Moderator engagiert sichseit bald einem Jahr in der ASZ. Hier zu unterrichten, mache ihm vielmehr Spass als an der staatlichen Schule. Motivationsprobleme seieninexistent und vor allem sei die autonome Organisationsform faszinie-rend. Das Moderationsteam ist vielseitig zusammengesetzt, weshalb esfür die verschiedenen Bereiche auch immer einen Spezialisten, eineSpezialistin gibt. Jemand ist sehr erfahren in der Gestaltung autonomerProzesse, zwei sind selbst Flüchtlinge und kennen die Herausforderungeines Lebens in der Fremde und noch jemand anders ist Profi im Unter-richten von Deutsch als Fremdsprache.

Jenseits der Multi-Kulti-RomantikHier gehen sie ein und aus, viele für den Mainstream grösstenteils

unsichtbare Existenzen am Rande der Gesellschaft. Flüchtlinge, zuSchweizerinnen gewordene Ausländerinnen, Papierlose, Weggewiese-ne. Seit der Sommerpause erlebt die seit eineinhalb Jahren bestehendeSchule einen noch nie da gewesenen Zustrom. Mehr als 120 Personenfinden sich an den drei Unterrichtstagen pro Woche ein. Von 14 bis 17Uhr werden fünf Klassen parallel geführt. Und die Klassenzimmer sindprall gefüllt. Für die Moderierenden schon rein praktisch eine Heraus-forderung: «Ich kann mir nicht merken, welcher Abdullah welcher ist,aber weil das Klassenzimmer so voll ist, dass es nicht für alle Platz aneinem Pult gibt, sind Namensschilder zwecklos.» Die Schule muss mitviel Fluktuation umgehen können – Leute kommen und gehen oderwechseln die Klasse. Morgens und abends werden nun zusätzliche Kur-se angeboten. Zudem gibt es auch Unterricht in der Computerpro-grammiersprache Java sowie eine Atelier- und eine Theatergruppe.

Es klingt pathetisch, aber es ist, als hätte sich ein Stück des gut-schweizerischen Selbstbildes als Menschenrechtshüterin angesichtsder rasant schwindenden Solidarität ihrer Bürger in diese bunte Bara -cke am Rande des Zürcher Industriequartiers geflüchtet. Hier wird In-tegration nicht im moralistischen, legalistischen Multikulti-Sinn betrie-ben, mit dem man sich weit in die Linke hinein begnügt – und der oftwenig mehr bedeutet, als dass man einander möglichst freundlich ig-noriert. Zusammenleben ist nie frei von Reibungen – das stimmt für

Einfamilienhausquartiere genauso wie für die ASZ, die gar keine Frie-de-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung sein will. Probleme mit Menschen,die in ihrem Leben mehr gesehen haben, als sie ertragen konnten, wer-den nicht schöngeredet, aber auch nicht dramatisiert. In der ASZ ist ei-ne von echter Neugier und Achtung geprägte Graswurzelbewegung zuHause, die sich nicht mit grandiosen Gesten und hochtraben den Slogansaufhält. Es ist der bedachte Aktivismus politisch denkender Menschen,die mit Zuwanderern aller Art einen kulturellen Austausch ermöglichenund vor allem pflegen. Egal ob Einheimische oder Flüchtlinge – alle in-tegrieren sich in die Realität des Zuwandererlandes Schweiz.

Die Baracke ist besetzt, die Betreibenden haben sich das zuvor leer-stehende Gebäude angeeignet, Miete müssen sie keine bezahlen. Werhinter den bunt bemalten Mauern zügellose Anarchie vermutet, irrt.Vielmehr versprüht das Gebäudeinnere den Charme eines sehr urba-nen Gemeinschaftszentrums. Beim Haupteingang wird man von einemStänder mit Informationsbroschüren begrüsst, Plakate weisen auf Ver-anstaltungen hin, und links und rechts in den Gängen die Accessoireseines jeden Schulhauses: Bücherregale, Fotokopierer, Besen. Auf der ei-nen Seite des kleinen Korridors hat es ein Computerlabor mit Online-Übungsmöglichkeiten.

Gratiszeitungen als IntegrationshilfeDie Küche wird voll und voller. Inzwischen ist auch der fehlbare

Koch aufgetaucht – und wird von einer Südostasiatin resolut zusam -mengestaucht, als er versucht, sich damit zu rechtfertigen, er hätte keinGeld gehabt, um einzukaufen. «Du musst dich organisieren! Du hättestam Montag herkommen können, oder auch gestern zur Sitzung, da hät-test du Geld vorab beziehen können! Aber du warst nicht da!» Dass esda nichts zu diskutieren gibt, merkt der Koch sofort, und so zieht er sichauf eine Bank zurück, wo er «20 Minuten» liest. Gratiszeitungen liefernmit ihren kurzen, einfachen Texten unfreiwillig praktische Integrations-hilfe – was ihnen auf überraschende Weise ein kleines Stückchen Da-seinsberechtigung verleiht. Auch der «Blick am Abend» sei beliebt, be-stätigt die Moderatorin, die den Mittagstisch am Mittwoch initiiert hatund sich gerade sehr darüber freut, dass es auch ohne sie funktioniert.

Die Kartoffeln sind geschält, geschnitten und mit Sauce auf einergrossen Platte angerichtet. Nur die Gäste stehen noch herum und dis -kutieren. Die Stimme einer der Köchinnen schneidet durch das Gerede.Die Arme in die Seiten gestemmt, fordert sie alle energisch auf, Platz zunehmen. Zufrieden schaut sie zu, wie ihre Worte Wirkung zeigen. DasAktiv gefällt ihr wirklich besser als das Passiv, nicht nur sprachlich. ■

Ein Stück des Schweizer Selbstbildes als Hüterin der Menschen-rechte hat sich in diese Baracke im Industriequartier geflüchtet.

Verein Bildung für Alle

Seit Juni 2009 besteht der Verein Bildung für Alle als Träger der Schu-le. Er bietet mit der Autonomen Schule Zürich allen, die aufgrund vonHerkunft oder Aufenthaltsstatus keinen Zugang zum Bildungs- undSozialsystem haben sowie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, Zu-gang zu Bildungsmöglichkeiten. Der Verein ist unabhängig und selbst-organisiert und muss deshalb ohne Subventionen auskommen. Dermit Abstand grösste Aufwand sind die Zugtickets, die die Schule Per-sonen bezahlt, die aus Notunterkünften im ganzen Kanton Zürich fürdie Kurse anreisen. www.bildung-fuer-alle.ch

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ChinaIm Reich der geraubten Frauen

Entführungsopfer Cheng Meixiang: «Wir haben immer wieder versucht zu fliehen, aber das ganze Dorf war voller Spitzel.»

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Die Ein-Kind-Politik, die traditionelle Bevorzugung von Buben und eine starke Migration vonFrauen hat die Geschlechterbalance in den chinesischen Dörfern aus dem Gleichgewicht gebracht. Bauern in armen Provinzen kaufen Frauen, die in noch ärmeren Provinzen gekid-nappt wurden. Zu Besuch in einem Dorf, in dem mehr als die Hälfte der Frauen Entführungs-opfer sind.

OLIVER ZWAHLEN (TEXT), ZHUANG FANFAN (BILDER)

Gelbgrauer Nebel umhüllt die Ziegelhäuser von Xia An, einer klei-nen Ortschaft etwa vier Autostunden südlich von Peking. Die Regiongehört zu den ärmeren Gegenden Chinas: Der Boden gibt kaum etwasher, Regen fällt selten. Die rund 400 Menschen, die im Dorf leben,züchten vorwiegend Schafe, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.Umrisse von felsigen Hügeln zeichnen sicham Horizont ab. Auf der Strasse schlummernein paar Hunde. Es ist ein Nachmittag im Spät-herbst. Von der Ladefläche eines Anhängerspreist eine Bäuerin mit einem Megaphon riesi-gen Chinakohl an. Die wenigen Menschen strömen auf den Dorfplatz,als der Bus an der improvisierten Haltestelle aus einem Wellblech übervier has tig errichteten Betonpfeilern anhält. Es ist der einzige Bus, derheute das Dorf anfährt.

Spitzel hinter jeder EckeGegenüber befindet sich der Laden von Liu Guifang: Ein staubiger

Innenhof und ein paar Plastiktische, an denen sich Bäuerinnen dem inChina weitverbreiteten Spiel Mah-Jongg widmen. «Mehr als die Hälfteder Frauen in diesem Dorf wurden hierher verschleppt», verrät Liu.Auch sie war vor rund 20 Jahren aus ihrem Heimatdorf im südchinesi-schen Guangxi entführt worden. «Am Anfang war das Leben hart», er-innert sich die inzwischen 49-jährige Frau. «Ich wollte oft fliehen.» Mitder Zeit habe sie sich jedoch an die neue Umgebung gewöhnt. «Das Dorf,aus dem ich komme, hatte auch nicht mehr zu bieten.» Irgendwann ka-men zwei Söhne – und Liu entschloss sich, zu bleiben. Sie eröffnete ei-ne kleine Bäckerei, in der sie chinesische Dampfbrötchen verkauft. DerMann, der sie vor Jahren zur Heirat gezwungen hatte, ist inzwischengestorben. Als vor ein paar Jahren die Polizei ins Dorf kam und einigeder Frauen befreien wollte, gingen manche mit, viele blieben. Wie LiuGuifang waren auch sie schon zu lange in Xia An. «Wieso sollte ichjetzt noch weggehen? Ich habe nach so langer Zeit gar keinen anderenOrt mehr, wo ich hingehöre.»

Die Schicksale der Frauen im Ort gleichen sich auf erschreckendeWeise: Die meisten Frauen kamen vor rund 20 Jahren nach Xia An, vonneueren Fällen will niemand etwas wissen. Wen immer man fragt, siealle waren mit Tricks aus ihrer alten Umgebung gelockt worden. «Manversprach mir einen grossartigen Job mit einem guten Einkommen in ei-ner Fabrik in Peking. Aber das war alles gelogen», erzählt Leng Jiaming.Die 40 Jahre alte Frau stammt aus einem kleinen Dorf in der Provinz

Guizhou, dem chinesischen Armenhaus im Südwesten des Landes. Ei-ne richtige Schulbildung hat sie nie genossen. «Wir haben immer wie-der versucht zu fliehen, aber das ganze Dorf war voller Spitzel, die unsstets im Auge behalten haben», erzählt Chen Meixiang, ein weiteres Ent-führungsopfer. Selbst die Primarschullehrerin Hao Yan Min kam nichtfreiwillig her. Eines Tages war sie im Dorf aufgewacht und stellte fest,dass sie jemand an einen Bauern verkauft hatte. Ihr damaliger Markt-wert: 2700 Yuan, etwa 400 Franken. «Da ich die beste Ausbildung imganzen Dorf hatte, wurde mir nach ein paar Jahren eine Stelle als Leh-rerin angeboten», erzählt Hao. Auch Hao hätte das Dorf mittlerweile ver-lassen können. Sie entschied sich aber, zu bleiben: «Ich möchte, dass dieDorfbewohner einmal mehr mit ihrem Leben anfangen können», sagtsie. «Die Leute sollen nicht mehr von dem kargen Land abhängig seinund nur dann eine Frau finden können, wenn sie sie rauben.»

Dörfer wie Xia An sind in China keine Seltenheit. Wie viele Frauenseit der Gründung der Volksrepublik verschleppt worden sind, weisskeiner so genau. Es ist nicht einmal klar, ob die Zahlen steigen oder sin-ken. «Wir vermuten, dass die Gesamtzahl der Entführungsopfer in Chi-na steigt», sagt He Yunxiao vom Pekingbüro der UNIAP, einer Unteror-ganisation der Vereinten Nationen zum Menschenhandel. He ist dafürzuständig, die Zahlen des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit inJahresberichte aufzubereiten. Zwischen 2001 und 2004 wurden 51000Frauen und Kinder befreit. Seit April 2010 fast 11000.

«Es ist viel billiger, eine entführte Braut zu kaufen,als für eine Heirat zu bezahlen.»

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Armut und Reichtum

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Männer unter sichDas Problem bei den Zahlen: Die Polizei nimmt sich des Menschen-

handels jeweils in Form von Kampagnen an. Eine Einheit, welche dieStraftat regelmässig verfolgt, gibt es nicht. «Seit 1991 gab es insgesamtsechs grossangelegte Kampagnen, die jeweils zwischen ein paar Mona-ten und zwei Jahren dauerten. Die daraus resultierenden Zahlen lassendeswegen weder eine Schlussfolgerungen auf die Entwicklung noch aufdie Gesamtzahl der entführten Frauen zu», erklärt He. Klar ist nur: DieDunkelziffer ist um einiges höher als die Zahl der befreiten Frauen.«Seit vergangenem Jahr hat die Polizei begonnen, ein zentrales Registerfür Vermisste anzulegen. Wir hoffen, dass wir so bald ein besseres Bildbekommen», sagt He. Die Datenanalystin hat jedoch etwas anderes be-obachtet: «Auf Grund von Fallstudien stellten wir einen Wandel fest. DieFrauen werden heute weniger zum Zwecke einer Heirat entführt, son-dern vermehrt für eine sexuelle Ausbeutung in Bordellen und Massage -salons. Viele Frauen stammen auch aus dem benachbarten Ausland.»

Der Grund für die zahlreichen Entführungen ist ein gravierenderFrauenmangel, der sich primär auf die Ein-Kind-Politik zurückführenlässt, welche die chinesische Regierung Ende der 1970er-Jahre einge-führt hatte. Weil viele Familien Jungen als Stammhalter bevorzugen,werden Mädchen oft gezielt abgetrieben. Dies wird durch die Politik so-gar noch gefördert. So ist zwar eine Geschlechtsbestimmung vor derGeburt streng verboten. Ein Arzt, der dies tut, muss mit einer Geld-busse von einem Jahresgehalt rechnen. Doch Abtreibungen sind in derVolksrepublik nicht nur legal und für jede Frau erschwinglich, sondernsie werden von der Regierung sogar noch in Form von bezahltem Ur-laub belohnt. Eine Erhebung aus dem Jahre 2005 zeigte: Auf 100 Frau-en kommen nicht weniger als 120 Männer. «Diese Zahlen sind einDurchschnittswert für ganz China. Vor allem die wenig entwickeltenländlichen Regionen sind besonders stark betroffen», erklärt Li Yinhe, Professorin an der renommierten Chinesischen Akademie der Sozial-wissenschaften in Peking. Die bereits prekäre Situation werde dortdurch die höhere Mobilität von Frauen zusätzlich verschlimmert.«Männer müssen im Dorf bleiben und den Hof übernehmen, währendjunge Mädchen oft in den Fabriken an der Küste Arbeit finden und spä-ter nicht mehr in ihre Dörfer zurückkehren.» Diese Migration birgt im-mensen sozialen Zündstoff. In den ärmsten Regionen Chinas gibt es be-reits ganze Dörfer, in denen ausschliesslich Männer leben. «Das führtzu einer starken Frustration, die sich leicht auch gewaltsam entladenkann», so die Gender-Expertin.

Mangelware FrauLi glaubt nicht an eine schnelle Entschärfung des Problems. Denn

schliesslich handle es sich um eine grundlegende gesellschaftliche Fra-ge. «Die Leute in den Dörfern wissen, dass ihr Handeln illegal ist. Aberda sie für ihre Frauen echtes Geld bezahlt haben, halten sie das Verge-hen für akzeptabel.» Begünstigt wird dies durch die Tradition. Zwar istFrauenraub in China kein Brauch. Doch ist es durchaus normal, dassder Mann der Familie seiner Braut bis zu 10 000 Franken bezahlenmuss. «Im Denken dieser Menschen spielt es deswegen keine so gros-se Rolle, ob sie die Braut nun den Eltern, einem Vermittler oder einemEntführer abkaufen», weiss Li. Auch He von der UNIAP sieht die Tra-ditionen des Brautpreises als ein Problem: «Es ist in der Regel viel bil-liger, eine entführte Braut zu kaufen, als für eine Heirat zu bezahlen.»Das Geld dient den Eltern der Tochter als Altersvorsorge, denn auf demLand gibt es kein Rentensystem.

Glaubt man den chinesischen Staatsmedien, steht das Problem Men-schenhandel auf der politischen Agenda weit oben: Regelmässig flim-mern Fernsehberichte über Sondereinsätze der Polizei und Reportagenüber befreite Frauen über den Bildschirm. Zeitungen loben die Erfolgeder Polizeikampagnen. Selbst das Kernproblem, die Ein-Kind-Politik,steht seit einigen Monaten wieder zur Debatte. So sagte etwa der Lei-ter der Kommission für Familienplanung, Zhang Feng, dass er erwarte,

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dass bis in fünf Jahren die Familienplanunglockerer gesehen werde. «Ich rechne damit,dass bis 2030 jedes Paar in der Provinz Guang-dong (eine progressive Region, die von derchinesischen Führung gern als «Versuchsfeld» für Reformen genutztwird, Red.) ein zweites Kind haben kann.» Auch die Einführung einesRentenversicherungssystems in den bäuerlichen Regionen geistert im-mer wieder durch das Land. Dieses soll die Eltern von ihren Kindern fi-nanziell unabhängiger machen. Doch scheint es trotz des Eigenlobs anallen Ecken zu mangeln. Lin Lixia arbeitet bei der chinesischen NGO Le-gal Aid, welche sich auf die Rechtsberatung von Frauen spezialisiert hat,die häusliche Gewalt erlitten haben. In dieser Funktion hatte sie auchimmer wieder mit entführten Frauen zu tun. «Das grösste Problem ist,dass die Frauen keinen Ort haben, wo sie hingehen können. In ganz Chi-na gibt es gerade einmal zwei Frauenschutzheime, wo die Entführungs-opfer auch psychologisch betreut werden und eine Wiedereingliederungin die Gesellschaft angestrebt wird.»

Dennoch: Für Frauen kann das gesellschaftliche Ungleichgewichtauch ein Trittbrett für den sozialen Aufstieg sein. Laut einer kanadi-schen Studie geben sich chinesische Frauen immer seltener mit Män-nern aus armen und bäuerlichen Verhältnissen zufrieden. Sie suchenstattdessen einen Partner aus der städtischen Mittelklasse. «Es ist an-zunehmen, dass die Mangelware Frau in den letzten Jahren einen so-zial höheren Wert bekommen hat», meint die Soziologin Li Yinhe. Sobleibt für viele chinesische Männer die Heirat eine Knacknuss, nichtnur auf dem Land. Der 25-jährige Ren Bin arbeitet als Übersetzer bei ei-nem staatlichen Verlag in Peking und ist seit Längerem auf der Suchenach einer Frau. «Ich kann mir nicht einmal eine Freundin leisten»,klagt er. «Meine Studienkolleginnen suchen alle einen reicheren Mann.

Eine Eigentumswohnung und ein eigenes Auto müssen schon sein.Mein Lohn reicht gerade einmal, um ein Mädchen regelmässig zum Es-sen einzuladen. Damit gibt sich doch keine Frau zufrieden.» Den Frau-en von Xia An nützt dieser neue Status allerdings nichts mehr. Sie ha-ben sich mit ihrem Schicksal längst abgefunden. ■

Liu Guifang: «Wieso sollte ich jetzt noch weggehen? Ich habe keinen anderen Ort, wo ich hingehöre.»

«Mit meinem Lohn kann ich eine Frau gerade mal zumEssen einladen. Damit gibt sich keine zufrieden.»

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re Nüsse. Wird ein langer Winter!» Und Rich-tung Koch: «Streichen Sie das Rührei. Ich bingrad an Unterernährung gestorben!» «Okay»,atme ich ein und aus. «Ich werde in einer hal-ben Stunde auf einer Baustelle erwartet. Krie-gen wir das Rührei bis dahin hin?» «Soll ichnicht lieber eine Blody Mary machen?», ziehtder Koch die Braue hoch. «Vergiss den Tep-pich!», triumphiert Paul durch das Café. «DerRusse bringt zwei Kisten Wodka!» «Zwei Ki-sten? Nicht schlecht!», nickt der Koch beein-druckt. Aber meine Geduld ist am Ende. Alsmein Handy erneut klingelt, bin ich in zweiSätzen dran. «Nein, Rischkoff», versuche ichden Händler zu beruhigen. «Nicht IHRE Nüs-se! Den Teppich!»

Wenig später ist das Taxi da. «Du kommstnicht mit?», fragt Paul mit ungewohnt kleinerStimme. «Der Hund geht mit», winke ich ab.«Ich treffe dich daheim.» Und über die Thekehinweg: «Geben Sie mir eine Bloody Mary!Aber bitte heute!»

DELIA LENOIR

[email protected]

ILLUSTRATION: IRENE MEIER

([email protected])

Neulich beim Frühstück mit Oncle Paul.«Eine Bloody Mary!», trompetet er durch dasZürcher Café. «Aber dalli!» «Bist du wahnsin-nig?», bremse ich ihn ab. «Du hast gleich einenArzttermin!» «Wenn du mal 102 bist, kannstdu mitreden», zwinkert Paul einer blonden Be-dienung zu. «Bis dahin», zeigt er in meineRichtung, «gibts für die Kleine da einen Tee!»

«Okay», versuche ich es, so sanft ich dasnoch hinkriege. «Die Nacht war lang. Du hat-test Spass, ich hab dich in der ganzen Stadtgesucht. Vielleicht isst du jetzt einfach einRührei? D’accord?» «Deine Tasche bewegtsich», raunt Onkel Paul teilnahmslos. «EinmalRührei!», gehe ich an mein Telefon. «Undschieben Sie ein Steak Frites nach!», ziehtPaul mit. «Keine Bloody Mary?», fragt die Be-dienung mit ihrem schönsten Lächeln. «Siewollte unbedingt eine zweite Meinung!»,

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Le mot noirDer Familienjob

schäkert Paul angeregt mit. «Die hättest duauch in Paris haben können», lege ich dieHand auf die Muschel. Und in den Hörer:«Nein, Rischkoff! Heute! Wir brauchen denTeppich heute!» «So wie Sie aussehen, neh-men Sie am besten ein langes Bad in vielSchokolade», kreist Paul sein neues Opfer ein.«Das Beste gegen Depression!» «Sie finden,dass ich depressiv wirke?», knickt die Bedie-nung ein. «Keine Angst», legt Paul seine Handauf ihre Schulter. «Ich bade ja mit!» «Hören Sienicht auf ihn», wedle ich mit der Hand vorPauls Nase. Und in den Hörer: «Sie liefern wiebesprochen. Oder der Kunde kriegt einen Ab-schlag!» «Wollen Sie mein Motorrad sehn?»,zieht Paul ein Foto aus seinem Portemonnaie.«Sie sind ja flott unterwegs», rappelt sich dieBedienung grinsend auf. «Sehen Sie zu undlernen Sie!», fängt Paul an zu schmollen.«Wissen Sie, was das ist? Nein. Ein Zylinder!»«Warum sind da keine Familienfotos drin»,flüstere ich über den Hörer hinweg. «Kümme-re dich um diesen Teppich!», scheucht michPaul weg. «Damit hast du, wies aussieht, ge-nug zu tun!» «Okay», lege ich sauer auf. «Holich das Rührei halt an der Theke!»

«Er hat wirklich eine Harley?», fragt michder Koch verblüfft. «Prostata», zische ich.«Aber sagen Sie ja nichts!» «Ich nicht, aber erredet ganz gern, so wies aussieht …» «Sind Sieder Russenteppich?», brüllt Paul jetzt ungehal-ten in mein Handy. «Dann bunkern Sie mal ih-

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KunstDes Teufels Werk

VON DIANA FREI

Um die 5000 Bilder sind in Holzkisten ein-gereiht wie Schallplatten, sie kosten entweder99, 199, 399 oder 599 Franken, bezahlt wird an der zentralen Supermarktkasse. Kunst alsMassenware? «Im Gegenteil», sagt Peter-LukasMeier, «wir zeigen ausschliesslich Unikate. Mitder klaren Preispolitik wollen wir beim Publi-kum Schwellenangst abbauen, und der provo-kante Name soll neugierig machen.» Dasscheint zu funktionieren. Die Grösse des An-lasses hat sich seit den Anfängen etwa ver-dreifacht. Jahr für Jahr kommen viele jungeLeute, die wahrscheinlich zum ersten Mal eineigenes Bild kaufen; gerade unter den Werkenfür 99 Franken sind oft Trouvaillen. Ein Land-arzt stattet seine neu eröffnete Praxis aus undnimmt zehn Bilder auf einmal mit. Die Leutewollen schnell kaufen, viel kaufen. Rote Punk-te gibt es hier nicht: Entweder man nimmt dasBild, oder man lässt es stehen. «Die erstenzwei Wochenenden sind mindestens so stres-sig wie die ART Basel», sagt Meier, «die Leutehaben das Gefühl, alles sei weg nach den ers -ten drei Tagen. Aber man kann sich gar nichtalle 5000 Bilder ansehen.» Beliebt sind Bilder,die attraktiv fürs Wohnzimmer sind. GrössereFormate, die mit Farben und Formen spielen.Kunst müsse nicht a priori schön sein, findetMeier, doch suchen die meisten etwas, daszum Sofa passt, Original statt Kunstdruck.Kunstkenner suchen die Kisten eher nach Bleistiftzeichnungen, Skizzen, Tuschfederzei-chungen ab. Ist der erste Stress abgeklungen,wird es ruhiger. Die Besucher beginnen, unter-einander zu diskutieren.

Peter-Lukas Meier ist hauptberuflich Ge-schäftsführer eines Verlags und Grafikunter-nehmens. Die Idee, Kunst in Supermarktat-mosphäre unter die Leute zu bringen, hat erüber befreundete Künstler kennengelernt, Spa-nier und Argentinier. In Madrid und Barcelonagibt es die «mercados del arte» seit Jahrzehn-ten. Diese Art der Präsentation, die Vielfalt anWerken hat Meier beeindruckt. Die Spanier haben einen unverkrampften Umgang mit der

Kunst. Es ist normal, dass auch eine ärmere Familie ein Original aufhängt, weil sie einfachFreude dran hat. Genau diese Freude willMeier dem Publikum in der Schweiz auch ver-mitteln; er will ihnen Kunst greifbar machen,sichtbar, bezahlbar. «Bei uns wird die Kunstvon der Kunstszene beherrscht. Damit wird siezu etwas Elitärem gemacht. Die Kunstszenebestimmt, was gut ist und was nicht.» Klar ist:Im Kunst-Supermarkt werden keine schwarzenFlecken für 5000 Franken verkauft. Kritikerhiel ten das Projekt anfangs für des TeufelsWerk, und etliche rümpfen auch heute nochdie Nase. Meier verknüpft somit nicht nurKunst und Kommerz, sondern hinterfragt ne -benher auch den hiesigen Kunstbegriff.

Jährlich bewerben sich etwa 500 Künstlerum die Teilnahme in Solothurn. Etliche von ih-nen haben Kunsthochschulen besucht, anderesind Autodidakten. «Wenn jemand keinen pro-fessionellen Hintergrund hat, sind wir sehrvorsichtig», sagt Meier, «wir achten in einem

solchen Fall darauf, ob die Person wirklich 40qualitativ gute Werke liefern kann.» Das ist dieMindestanzahl für die Teilnahme, ein einzel-ner Glückstreffer reicht nicht. Die Auswahltrifft Meier zusammen mit Mario Terés, demGründervater von Kunst-Supermärkten in Ber-lin, Frankfurt und Wien. Terés ist Kunsthis to -riker, Kurator und Meiers «künstlerisches Ge-wissen» in der Beurteilung. «Ich würde fürmich nie in Anspruch nehmen, ein Werk ab-schliessend bewerten zu können», sagt Meier,«und ich staune zuweilen, wie weit sich dasandere Leute anmassen.» Bei ihm selber hängtzu Hause sehr vieles, sehr Unterschiedlichesund immer wieder etwas anderes. Momentansind es historische Alpenpanoramen – auchwenn sie vielleicht nicht in erster Linie zumSofa passen. ■

Kunst-Supermarkt, noch bis zum 7. Januar 2011,

Schöngrünstrasse 2, Solothurn.

www.kunstsupermarkt.ch

Kennen keine Berührungsängste mit Kunst und Kommerz: Kunden des Kunst-Supermarkts.

Kunst und Supermarkt – verschmelzen die beiden Begriffe zu einem, rümpft das Kunst-Establishment die Nase.Das hat Peter-Lukas Meier vor elf Jahren aber nicht davon abgehalten, in Solothurn einen jährlichen Kunst-Supermarkt aufzuziehen. Noch bis im Januar zeigen 79 Künstler aus 13 Ländern ihre Werke.

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Kulturtipps

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BuchAmor SuperstarBei Songs wie «Angie», «Lola» oder «My Sharona» werden selbstergraute Ohrwürmer vom Beat gepackt. Doch wem galten dieseHitparadenstürmer? Ein Buch verräts.

VON CHRISTOPHER ZIMMER

Angie, A-a-angie … Lola, Lolo-lolo-lola … Nur schon der Songtitel löstin vielen einen Melodie- und Rhythmusreflex aus. Vergessen geglaubteBilder und Gefühle tauchen auf – und mit diesen das Wo, Wann undvor allem: mit wem. Ja, bei manchen vielleicht sogar ein «Für wen».Haben doch nicht wenige Jünglinge einst zur Klampfe gegriffen undüber drei Akkorde die unerreichbare Holde angeschmachtet – unter ei-ner Schmalzlocke und in Kleidern, die heute Lachkrämpfe auslösen.Nun, diese Geschichte hat einen langen Zopf. Schon als Europa nochmittelalterlich tickte, schmiedeten Minnesänger Verse und Melodien für«hehre Frouwe». Noch viel weiter reichen die Wurzeln zurück, wennwir an Orpheus und seine Leier denken. Und alle wurden sie trunkenaus derselben Quelle: der Liebe – dort wo Amor seine Pfeile mit süs-sem Gift tränkt.Wer aber Orpheus sagt, muss auch Euridice sagen, denn was wäre dererste aller Sänger ohne die Dame seines Herzens? Und mit ihm all dieanderen Goldkehlen, Hüftschwinger, Superstars und Boygroups? Wieviele Songs von Pop bis Punk wären im Keim verstummt ohne das Heerder Musen? Kein Wunder, wenn nicht nur Paparazzi zu gern wüssten,wer hinter so klingenden Namen wie Lucy in the Sky, Suzanne oderMaggie May steckt.Der Musikjournalist Michael Heatley hat sich aufgemacht, etliche die-ser Geheimnisse zu lüften. Herausgekommen ist dabei viel mehr alsnur Stoff für die Regenbogenpresse. In 50 knappen, spannenden undkurzweiligen Kapiteln über ebenso viele Klassiker der Rock- und Pop-geschichte liefert Heatley eine kenntnisreiche Tour d'horizon durch einStück schillernde Musikkultur. Manche Geschichten sind kurios, andere tieftraurig. Nicht jeder Museist das ihr Gewidmete gut bekommen. Manche schmückte sich zu un-recht damit. Und einige hat es schlicht kalt gelassen. Doch alle habensie, wissentlich oder unwissentlich, die Grossen der Branche – Lennon,Jagger, Dylan, Cohen, Springsteen, Sting und Co. – zu Popsongs inspi-riert, die nicht nur legendär, sondern auch unvergesslich sind.Michael Heatley: Das Mädchen aus dem Song. Schwarzkopf & Schwarzkopf 2010.

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TheaterHoch das Bierglas«Durst», ein Stück von Flann O’Brien, wandert dieser Tage durchBaselbieter Kneipen. In einer Fassung des Theater Basel, die ei-niges schuldig bleibt, aber immerhin die Lust auf ein Wiederlesendes irischen Autors anfacht.

VON MICHAEL GASSER

Ach, diese Polizei. Stört Trinker und Raucher bei der Ausübung ihrerGenüsse. So auch in «Durst», dem ersten Akt eines nie vollendeten The-aterstücks von Flann O’Brien (1911– 1966). Der becherfreudige irischeSchriftsteller und Journalist, der eigentlich Brian O’Nolan hiess, istausserhalb des englischsprachigen Raums unverdient unbekannt ge-blieben. Trotz superber Übersetzungen von Harry Rowohlt. Nun hatsich das Theater Basel «Durst» geschnappt und den Stoff dahin ver-frachtet, wo er hingehört: in die Kneipen. Das Stück, das in einem Du-bliner Pub der Nachkriegszeit angesiedelt ist, wird derzeit in diversenBaselbieter Beizen aufgeführt. Die Sperrstunde hat längst geschlagen, dennoch bedient Wirt Callahan(Andrea Bettini) zwei sitzengebliebene Schluckspechte. Als ein Serge-ant, der für Ruhe und Ordnung sorgen soll, an die Türe poltert, fürch-tet Callahan eine Busse. Weshalb er sich durch eine flugs erfundeneKriegsgeschichte quasselt. Und die macht furchtbar Durst, schliesslichwird von der Wüste und einer Hitze fabuliert, die so ungehörig gewe-sen sein soll, dass die Füsse am Boden kleben blieben und die Zungevor lauter Trockenheit schwoll. Bei der Premiere treffen Theaterbesucher und Stammgäste einer Pratt-ler Knelle für einmal aufeinander. Und bleiben sich dennoch fremd.Callahan, der in einem schmierigen Unterhemd steckt, in dem sichwohl kein aufrechter irischer Schankwirt vor seine Gäste wagen wür-de, vollzieht eine furiose One-Man-Show. Ihm nimmt man die Rolle ab.Was von seinen drei Mitschauspielern nicht behauptet werden kann;sie bleiben bestenfalls blasse Stichwortgeber, die sich selbst nicht ganzim Klaren zu sein scheinen, welche Funktion sie eigentlich einnehmen.Ihren Witz gewinnt die ziemlich irrlichternde Inszenierung vor allemdurch Zwischenrufe des Publikums: Als einer der beiden Trinker imStück vom Barstuhl fällt, meint einer der Anwesenden ganz trocken:«So gehts hier immer zu und her.» «Durst», Regie: Elias Perrig; Theater Basel. Weitere Vorführungen: 23. November,

Restaurant Rössli, Muttenz; 28. November, Bistro Cheesemeyer, Sissach;

1. Dezember, Restaurant Krone, Liestal; 8. Dezember, Restaurant Egglisgraben,

Liestal, jeweils 20 Uhr. Freier Eintritt.

Wirt Callahan (links) redet sich um Kopf und Kragen.

Sie ist vielleicht Bob Dylans Babe aus

dem Song «It ain’t me babe».

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KinoSzenen dreier EhenZum vierten Mal in fünf Jahren nimmt Woody Allen sein Publikummit nach London. Dort wird gestritten, gelogen und betrogen,dass es eine wahre Freude ist.

VON FABIENNE SCHMUKI

Es ist Woody Allens Regiearbeit Nummer 41, doch dem Altmeister schei-nen die Ideen nicht auszugehen. Ehekrach, Promiskuität, Midlife Crisis:Die Themen in «You Will Meet A Tall Dark Stranger» strotzen zwar nichtvor Originalität, aber Woody Allen vermag den Figuren echtes Lebeneinzuhauchen. Somit entsteht der Eindruck, die Personen auf der Lein-wand würden tatsächlich dem eigenen Umfeld, ja der eigenen Familieentspringen.Die Erzählstimme führt durch das regnerische London, vorbei an schei-ternden Ehen. Dabei wird der Zuschauer zum Voyeur, der erfährt, wieAlfie seine Haut bräunt, Zähne bleicht und Ehefrau verlässt. Natürlichkauft er sich einen Sportwagen und verliebt sich in das um die Hälftejüngere Callgirl Charmaine. In ihrer Not holt sich Alfies Exfrau HelenaRat bei der Wahrsagerin Cristal, einem Scharlatan sondergleichen. Cris -tal sei Dank, glaubt Helena bald nicht nur an sich, sondern auch an ihreReinkarnation. Auch Sally, die Tochter von Alfie und Helena, entfremdetsich immer stärker von ihrem Ehemann Roy. Sie findet Bestätigung inder Arbeit, verguckt sich in ihren Chef, während Roy in Selbstmitleidüber seinen scheiternden Roman versinkt. Zu seinem Glück findet eroffene Ohren und Schenkel bei der atemberaubenden Nachbarin Dia,die selbst kurz vor ihrer Vermählung steht. Nicht einmal bei der Namensgebung seiner Protagonisten – gespielt vonStars wie Anthony Hopkins, Antonio Banderas oder der indischen New-comerin Freida Pinto – geizt Woody Allen mit Klischees. Indem er dieseaber dermassen schamlos offenlegt und dem Zuschauer clevere Dialogeund abscheulich direkte Wortwechsel liefert, hält er das Publikum überdie gesamten 98 Minuten hinweg bei der Stange. Es ist ungemein unter-haltsam, sich über das Leid anderer zu belustigen. Vor allem dann,wenn der Streit so giftig ist, wie der zwischen Mutter Helena undSchwiegersohn Roy. Schadenfreude ist ein billiger Trick, um den Zu-schauer an den Kinostuhl zu fesseln. Aber so, wie sie Woody Allen inseinem neusten Streich verpackt, macht sie einfach Spass.«You Will Meet A Tall Dark Stranger», 98 Min., Englisch mit deutschen und

französischen Untertiteln. Ab 2. Dezember 2010 in den Deutschschweizer Kinos.

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Die 25 positiven FirmenDiese Rubrik ruft Firmen und Institutionenauf, soziale Verantwortung zu übernehmen.Einige haben dies schon getan, in dem siedem Strassenmagazin Surprise mindestens500 Franken gespendet haben. Damit helfensie, Menschen in pre kären Lebensumstän-den eine Arbeitsmöglichkeit zu geben undsie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zube g leiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? DieSpielregeln sind einfach: 25 Firmen werdenjeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jenerBetrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet

werden?

Mit einer Spende von mindestens 500 Franken

sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3,

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Alfacel AG, Cham

Thommen ASIC-Design, Zürich

Coop Genossenschaft, Basel

AnyWeb AG, Zürich

Velo-Oase Bestgen, Baar

Schweizerisches Tropen- und Public Health-

Institut, Basel

Niederer, Kraft & Frey, Zürich

Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur

Kaiser Software GmbH, Bern

Responsability Social Investments AG, Zürich

chefs on fire GmbH, Basel

Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

VXL gestaltung und werbung ag, Binningen

Scherrer & Partner GmbH, Basel

TYDAC AG, Bern

KIBAG Strassen- und Tiefbau

OTTO’S AG, Sursee

Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

Canoo Engineering AG, Basel

Lehner + Tomaselli AG, Zunzgen

fast4meter, storytelling, Bern

Brother (Schweiz) AG, Baden

Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf

IBZ Industrie AG, Adliswil

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Wenn sich zwei Herzen finden, wird meist ein drittes gebrochen.

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Ausgehtipps

BaselSteine mit Geschichte

Sie schmiegen sich unauffällig ans Gemäuer ei-nes alten Gebäudes oder mischen sich unterganz normale Kieselsteine. Versteinerungen sindvon Ferne unauffällig, von Nahem umso spekta-kulärer. Die Schnecken, Muscheln, Insekten, diefür immer im Gestein verewigt sind, regen dieFantasie an und lassen Spinnereien über vergan-gene Jahrtausende zu. An den InternationalenBasler Mineralien- und Fossilientagen zeigen160 Aussteller ihre guten Stücke, Fachliteraturund Werkzeuge zum Mineralien- und Fossilien-sammeln werden angeboten und an einem Standbestimmen Experten mitgebrachte Mineralienund Fossilien. Und vielleicht ist das Stückchen,das Sie gefunden haben, tatsächlich ein Teil ei-nes versteinerten Säbelzahntiger-Zahns.(juk)41. Internationale Basler Mineralien- und Fossilientage,

4./5. Dezember, 10 bis 18 Uhr (Samstag) und 10 bis

17 Uhr (Sonntag), Messe Basel Halle 4.1.

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Muntelier/FRKönig der BaumaschinenPlanierraupe, Grader, Betonmischer. Rufen die-se Wörter bei Ihnen Emotionen hervor? Nein?Schlägt Ihr Herz auch nicht höher, wenn Sierot-weiss lackierte Holzlatten sehen? Absperr-bänder? Baustellen allgemein? Nicht einmalbeim Wort Bagger? Dann ist auch der Bagger-park nichts für Sie. Alle anderen aber könnensich dort einen Kindheitstraum erfüllen: Neun(echte!) Schaufelbagger der neusten Genera-tion stehen auf dem Gelände bei Muntelierzum graben und stapeln bereit. Auf Wunschkann ausserdem – passender Weise im überdi-mensionalen Sandkasten – ein Schatz ausge-buddelt werden. Mit Hilfe der tonnenschwerenMaschinen, versteht sich. (mek)Outdoor Baggerpark bei Muntelier, für Kinder ab

10 Jahren. Öffnungszeiten: Mi, Fr, Sa und So. Nur auf

Voranmeldung: 026 672 94 80. www.expodrom.ch

«Spielen» mit Mega-Maschinen – auch für Erwachsene.B

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Im Tanzplan Ost ist allerlei Akrobatisches zu sehen.

Auf TourneeTanzen im OstenTanz ist nicht nur der Schwanensee im Stadt-theater sondern auch die vielen kleinen, zeit-genössischen Programme, die freischaffendeTänzer und Tänzerinnen an den unterschied-lichsten Orten aufführen. Um sich untereinan-der zu vernetzen, aber auch um in der Öffent-lichkeit stärker wahrgenommen zu werden,haben sich Tanzschaffende aus der Ostschweizim Verein ig-tanz ostschweiz zusammenge-schlossen. Mit dem Programm Tanzplan Ost istder zeitgenössische Tanz in der Ostschweiznun auf Tournee. Insgesamt acht Kompanien –Newcomer und bekannte Namen – beteiligensich am Projekt, das beste und vielfältige Tanz-unterhaltung garantiert. (juk)Tanzplan Ost – zeitgenössischer Tanz auf Tournee,

nächste Stationen: 26./27. November, Chur, Theater;

3./4. Dezember, Steckborn, Phönik-Theater 81; 10./

11./12. Dezember, St.Gallen, Lokremise. Weitere Infos:

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Erwacht als Erwachsener: Baze.

Thun/BubikonVernunft statt VerschwendungLangsam wird HipHop wieder interessant.Nach Jahren voller aufgewärmter Wortspieleund abgestumpfter Beats präsentiert nun einRapper nach dem anderen nachdenklicheTexte zu organischeren Sounds. Jüngst ist esder Berner Baze, der gleich mit dem Titel sei-nes neuen Albums klarmacht: «D’Party ischvrbi». Der einstige Bad Boy berichtet vom Er-wachen als Erwachsener nach dem jugend-lichen Rausch. Alltag statt Nachtleben ist nundas Thema, der Übergang von Verschwendungzur Vernunft. Dazu passend verlässt sich Bazemusikalisch nicht länger nur auf pumpendeBässe: Hier zieht ein Saxophon die Schlierenam Fenster nach, dort orgelt einer den Bluesder frühen Morgenstunden und im Titeltrackübernimmt Endo Anaconda den Refrain. AufEndo wird das Konzertpublikum verzichtenmüssen, die sackstarken Songs der neuenScheibe hat Baze aber auch so am Start. (ash)Baze: 20. November, 21 Uhr, Café Mokka, Thun;

26. November, 21 Uhr, Rampe, Bubikon.

Finsterlinge aus dem Aargau: die Gebrüder Ringli.

ZürichZwischen Asphalt und Kerzenlicht

Zürich ist vieles, aber ganz sicher nicht die Stadt der Rockbands. Schon gar nicht jener von derdüster-gefährlichen Sorte. Dafür mussten zuerst ein paar Brüder aus dem Aargau einfahren. Ringli heissen die drei bürgerlich, Circle Brothers, wenn sie Musik machen. Gerade ist ihr Album «Love & Disorder» erschienen: Zwölf Songs zwischen Asphalt und Kerzenlicht, Lederjacke undAnzug. Hier weht der Geist von Johnny Cash, dort flackert der Wahnsinn von Nick Cave undzwischendurch dröhnen die Gitarren wie beim Black Rebel Motorcycle Club. Stellen Sie sich vor,die norwegischen Dunkelrocker von Madrugada kämen aus der Langstrassen-Gegend: So tönendie Circle Brothers. Zu überprüfen direkt vor Ort im Klub Zukunft mitten im Chreis Cheib. (ash)Circle Brothers: 24. November, 21 Uhr, Zukunft, Zürich.

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Verkäuferporträt«Diesmal weinte der Bräutigam»

AUFGEZEICHNET VON RETO ASCHWANDEN

Eva Kreibich: Kennengelernt haben wir uns im April 2007. Wir be-suchten die Gottesdienste der gleichen Gemeinde und haben uns einpaar Mal unterhalten. Wolfgang machte den Reinigungsdienst und engagierte mich als Ferienaushilfe. Irgendwann ist mir ein Missgeschickpassiert, weil ich zwei Telefonnummern vertauscht habe. Da meinte er:Das kostet ein Gipfeli, lass uns was trinken gehen. So landeten wir inder Grün 80 und haben 14 Stunden miteinander geredet. Ein paar Tagespäter hat er mich angerufen und wollte sich wieder verabreden.

Wolfgang Kreibich: Ich war Feuer und Flamme. Habe mir überlegt,wie sag ich ihr das. Also habe ich sie ins Restaurant eingeladen. Ich warso nervös. Schliesslich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen undsagte: Du Eva, ich liebe dich. Und sie antwortete: Ich liebe dich auch.

Am Anfang hatte ich Zweifel. Wir sind sehr verschieden und gleich-zeitig dickköpfig. Ich bin sehr verantwortungsbewusst und mache mirdadurch das Leben schwer.

Ich bin mehr der Lebenskünstler.

Deshalb regen wir uns über die Eigenheiten des anderen auf. Ande-rerseits ergänzen wir uns dadurch.

Erzähl doch mal von der Hochzeit.

Das war wunderschön! Wir wurden in einer Stretch-Limo durchs Dorfgefahren. Ich wollte einfach mal erleben, wie sich das anfühlt. Dannwurden wir vor dem Standesamt in Empfang genommen. Es hatte vieleLeute, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte.

Auf einmal stand da eine Gruppe von Strassenmusikern. Die hattenwir nicht bestellt, aber wo sie schon mal da waren, spielten sie für uns.Das Publikum war gemischt: Evas Familie und Freunde, Surprise-Angestellte, Leute von der Strasse, auch Kundschaft von mir.

Wir durften selber Sachen gestalten für die Trauungszeremonie. Eswar sehr persönlich und schön. Wir hörten das Hohelied Salomons, esgab ein Gedicht von Christian Morgenstern und dann haben wir unsgegenseitig ein paar Worte gesagt.

Beim Verlassen des Standesamtes haben uns Leute von Surprise mitRosenblättern beworfen. Danach gabs Apéro, den hat Evas Schwesterfür uns ausgerichtet. Und dann haben wir richtig gefeiert.

Ich habe einen jüdischen Tanz aufgeführt. Wolfgang sass im Stuhlund ich tanzte sieben Mal um ihn herum. Und wir hatten einen Pan-flöten-Spieler, das habe ich mir gewünscht.

Surprise-Verkäufer Wolfgang Kreibich aus Basel hat unlängst seine Eva geheiratet. Stretchlimousine, Rosen-blätter und Strassenmusiker sorgten für eine unvergessliche Feier. Doch die frisch Vermählten wissen: Die Arbeit an ihrer Beziehung hat gerade erst richtig begonnen.

Was ein bisschen eigenartig war: Normalerweise weint bei einerHochzeit die Braut, diesmal wars der Bräutigam. Später, als Eva denBrautstrauss geworfen hat, hat den die Freundin ihres Sohnes gefan-gen. Die haben sich dann am selben Abend noch verlobt.

Sie sind schon lange zusammen.

Unsere Flitterwochen haben wir verschoben. So eine Hochzeit kostet ja auch was. Und weil nun die beste Zeit für den Heftverkauf an-steht, will ich erst wieder Geld reinholen. Die Hochzeitsreise holen wirdann nächstes Jahr nach.

Man fühlt sich nach der Trauung sehr verbunden. Aber damit ist esnicht getan. Das Haus ist noch nicht fertig gebaut. Wir müssen da unddort noch schleifen und einrichten. Aber das Leben ist ja ein Lernpro-zess. Die Heirat ist ein Anfang, nicht das Ende. Wichtig ist, dass manan sich arbeitet, um immer näher zueinanderzufinden.

Wichtig war einfach, dieses Wort auszusprechen: So wie du bist –Ja. So stehe ich zu dir. Vor der ganzen Welt.

Wenn man lange allein gelebt hat, so wie wir, und nicht mehr 20 ist,dann haben sich Gewohnheiten eingeschlichen, die den anderen stören.Damit muss man sich immer wieder konfrontieren, damit man gemein-sam den Rank finden kann. Das gehört dazu.

Das hast du schön gesagt. ■

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Surprise kümmert sich um Menschen, die we-niger Glück im Leben hatten als andere. Men-schen, die sich aber wieder aufgerappelt habenund ihr Leben in die eigenen Hände nehmenwollen. Mit dem Verkauf des Strassenmaga-zins Surprise überwinden sie ihre soziale Iso-lation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wie-der einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstach-tung und erarbeiten sich aus eigener Kraft ei-nen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassen-verkäuferinnen und -verkäufer helfen sich sel-

ber. Das verdient Respekt und Unterstützung.Regelmässige Verkaufende werden von Sur -prise-Sozialarbeiterinnen be treut, individuell begleitet und gezielt gefördert. Dazu gehörtauch, dass sie von Surprise nach bestandenerProbezeit einen ordentlichen Arbeits vertrag er-halten. Mit der festen Anstellung übernehmendie Surprise-Verkaufenden mehr Verantwor-tung; eine wesentliche Voraussetzung dafür,wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarktzu werden.

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1 Jahr: 8000 Franken 1/2 Jahr: 4000 Franken 1/4 Jahr: 2000 Franken 1 Monat: 700 Franken

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Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, [email protected], PC-Konto 12-551455-3

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Jovanka Rogger Zürich

Eine Chance für alle!Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte

Starverkäufer

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Elisabeth Augstburger aus Liestal nominiertTheo Geiser als Starverkäufer: «Schon jahre-lang begegne ich Theo Geiser. Er ist jeweilssehr freundlich und ausgeglichen. Trotz sei-nes schweren Unfalles vor einigen Jahren,der sein Leben geprägt und verändert hat,verlor er den Mut nicht und hat auch bei star-ken Schmerzen tapfer weitergekämpft. Dasist beispielhaft und verdient Anerkennung!Ich wünsche Herrn Geiser und seiner Familiealles Gute und weiterhin viel Mut für alle her-ausfordernden Situationen.»

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer!Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, wel-

chen Verkäufer Sie an dieser Stelle sehen möchten:

Strassenmagazin Surprise, Redaktion,

Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel,

F +41+61 564 90 99, [email protected]

Marlies Dietiker, OltenPeter Hässig, BaselFatima Keranovic, BasellandRené Senn, ZürichAndreas Ammann, BernWolfgang Kreibich, Basel

Ausserdem im Förderprogramm SurPlus:

Marika Jonuzi, BaselPeter Gamma, BaselAnja Uehlinger, BadenMarlise Haas, BaselKurt Brügger, Basel

Als Götti oder Gotte ermöglichen Sie einer Strassenverkäuferin oder einem -verkäufer eine betreute Anstellung bei Surprise und damit dieChance zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.

Jela VeraguthZürich

Tatjana GeorgievskaBasel

Bob Ekoevi Koulekpato Basel

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30 SURPRISE 238/10

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24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– )(Verpackung und Versand bietenStrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

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Impressum

HerausgeberStrassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel,www.strassenmagazin.chGeschäftsführung T +41 61 564 90 63Fred Lauener, Agnes Weidkuhn (Assistenz GF) Öffnungszeiten SekretariatMo–Do 9–12 Uhr, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 [email protected] T +41 61 564 90 70Reto Aschwanden (verantwortlich), Julia Konstantinidis,Mena Kost, Thomas Oehler (Sekretariat)[email protected] MitarbeitFlorian Bachmann, Zhuang Fanfan, Diana Frei, AndreaGanz, Michael Gasser, Yvonne Kunz, Delia Lenoir, Dominique Meienberg, Irene Meier, Fabienne Riklin, Fabienne Schmuki, Isabella Seemann, Priska Wenger, Christopher Zimmer, Oliver ZwahlenKorrektorat Alexander JungoGestaltungWOMM Werbeagentur AG, BaselDruckAVD GoldachAuflage29 400, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./JahrAnzeigenverkauf T +41 76 325 10 [email protected]

Marketing T +41 61 564 90 61Theres BurgdorferVertrieb T +41 61 564 90 81Smadah Lévy (Leitung)Vertrieb Zürich T +41 44 242 72 11Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, Mobile +41 79 636 46 12 [email protected] Bern T +41 31 332 53 93Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, Mobile +41 79 389 78 [email protected] und Förderung T +41 61 564 90 51Rita Erni Chor/Kultur T +41 61 564 90 40Paloma SelmaStrassensport T +41 61 564 90 10Lavinia Biert Trägerverein Strassen magazin Surprise Präsident: Peter Aebersold

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugs weiseoder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird vonder Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt.

Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Post-sendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeich-nete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag vonCHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehendeBeträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oderdem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen.

Surprise ist:

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialenSchwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit.Surprise hilft bei der Integration in den Ar-beitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsitua-tion, bei den ersten Schritten raus aus derSchuldenfalle und entlastet so die SchweizerSozialwerke.

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Be-nachteiligung betroffenen Menschen eineStimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellungfür soziale Gerechtigkeit.

Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinen-de Strassenmagazin Surprise heraus. Dieseswird von einer professionellen Redaktion pro-duziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illu-stratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft.Rund dreihundert Menschen in der deutschenSchweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlos-sen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur,verdienen eigenes Geld und gewinnen neuesSelbstvertrauen.

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport.In der Surprise Strassenfussball-Liga trainierenund spielen Teams aus der ganzen deutschenSchweiz regelmässig Fussball und kämpfenum den Schweizermeister-Titel sowie um dieTeilnahme an den Weltmeisterschaften für so-zial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hatSurprise einen eigenen Chor. GemeinsamesSingen und öffentliche Auftritte ermöglichenKontakte, Glücksmomente und Erfolgserleb-nisse für Menschen, denen der gesellschaft-liche Anschluss sonst erschwert ist.

Finanzierung, Organisation und internatio-nale VernetzungSurprise ist unabhängig und erhält keine staat-lichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mitdem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inse-raten finanziert. Für alle anderen Angebotewie die Betreuung der Verkaufenden, die Sport-und Kulturprogramme ist Surprise auf Spen-den, auf Sponsoren und Zuwendungen vonStiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte sozi-ale Institution. Die Geschäfte werden von derStrassenmagazin Surprise GmbH geführt, dievom gemeinnützigen Verein StrassenmagazinSurprise kontrolliert wird. Surprise ist führen-des Mitglied des Internationalen Netzwerkesder Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glas-gow, Schottland. Derzeit gehören dem Ver-band über 100 Strassenzeitungen in 40 Län-dern an.

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31SURPRISE 238/10

*gemäss MACH Basic 2008-2.

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Gut betucht.Grosses Badetuch 100 x 180 cm aus sehr langlebigem Zwirngarn, 100% handgepflückte Baumwolle. Mit Surprise-Logo eingewebt und vonA bis Z in der Schweiz hergestellt. Vorder- und Rückseite verschieden-farbig: vorne kühles Aquablau, hinten heisses Rot.

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HerrenCHF 25.–

S M L

Dazu passend: Leichtes T-Shirt, 100%Baum -wolle, für Gross und Klein.

DamenCHF 25.–

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CHF 20.–XS S

(auch für Kinder)

Alle Preise exkl. Versandkosten.

Strandtuch (100 x 180 cm) CHF 65.–

50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.

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Ist gut. Kaufen!Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache.Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.Alle Preise exkl. Versandkosten.

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Surprise Zeitungs-Taschen (34 x 36 cm); CHF 37.50

neon-orange schwarz

Surprise City-Taschen (24,5 x 35,5 cm); CHF 40.–

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Surprise Rucksäcke(32 x 40 cm); CHF 89.–

schwarz rot

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Von Aarbergbis Zuoz.

www.strassenmagazin.ch, www.strassensport.ch, Spendenkonto PC 12-551455-3Strassenmagazin Surprise, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99

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