SWR2 Feature am Sonntag · ZUSPIEL: Musik, Vladimir Cosma, L'aile ou la cuisse OT Folke Dammann:...

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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE __________________________________________________________________ SWR2 Feature am Sonntag Made in Mayo. Insekten essen. Von Michael Arntz Sendung: Sonntag, 15. Juli 2018, 14.05 Uhr Redaktion: Walter Filz Regie: Fabian von Freier Produktion: DLF 2018 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. ___________________________________________________________________ Service: SWR2 Feature am Sonntag können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören:http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/feature.xml ___________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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  • SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE __________________________________________________________________

    SWR2 Feature am Sonntag Made in Mayo. Insekten essen. Von Michael Arntz Sendung: Sonntag, 15. Juli 2018, 14.05 Uhr Redaktion: Walter Filz Regie: Fabian von Freier Produktion: DLF 2018 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. ___________________________________________________________________ Service: SWR2 Feature am Sonntag können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören:http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/feature.xml ___________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

  • ZUSPIEL: Atmo, Soundscape Frühling, draußen, viele Vögel singen

    SPRECHER: (bückt sich, hebt, bißchen stöhnend, einen schweren Stein hoch, murmelt vor

    sich hin) Mal sehen, was hier unter dem Stein ist ... Käfer ... Ameisen ... Würmer ...

    SPRECHERIN: Lumbricus terrestris. Gemeiner Regenwurm oder Tauwurm. Lebt in Wiesen

    und Gärten. Bohrt meterlange Tunnel durch den Boden.

    OT Rüdiger Nehberg: Würmer? Völlige Delikatesse. Wenn man die aus dem Misthaufen

    zieht und grillt: das ist wie Kohlroulade.

    SPRECHER: Also, essen werd' ich die nich'. - Foto reicht erst mal ... (Kamera,

    Klickgeräusche) - (geht etwas zur Seite, schiebt große Mülltonne zur Seite) Und hier ...

    unter der Mülltonne ... wimmelt's auch von so Krabbelviechern ...

    SPRECHERIN: Myrmica rubra. Rote Gartenameise. Arbeiterinnen werden 4 bis 6 Millimeter

    lang. Rötlich braun bis braunorange. Der Stich ist schmerzhaft.

    OT Rüdiger Nehberg: ... alles gute eßbare Nahrung ...

    SPRECHER: ... und jetzt noch mal unterm Hackklotz (schweres Teil, schiebt es mühevoll zur

    Seite) ... Asseln ... Spinnen ... Tausendfüßer ...

    SPRECHERIN: Megaphyllum unilineatum. Tausendfüßer oder Tausendfüßler. In

    Gefahrensituationen sondert der Tausendfüßer einen giftigen Stoff ab, der nach

    verbranntem Plastik riecht.

    OT Rüdiger Nehberg: ... überhaupt ist ja alles eßbar - nur manches eben nur einmal. Das

    muß man wissen ...

    ZUSPIEL: Musik, Vladimir Cosma, L'aile ou la cuisse

  • ZITATOR: Made in Mayo. Insekten essen. Feature von Michael Arntz

    ZUSPIEL: Musik, Vladimir Cosma, L'aile ou la cuisse

    OT Folke Dammann: Ja, wo wir hier sind? Wir sind im schönen Witzeeze, kleines Dörfchen

    in Schleswig Holstein. Und ich vertreibe Speise-Insekten seit jetzt - ja - fast fünf Jahren, ja

    schon fast fünf Jahren. Genau. Und heute hast du die Chance, da mal reinzubeißen.

    SPRECHERIN: Mehlwurm. Tenebrio molitor. Larve des Mehlkäfers. Wird bis zu 30

    Millimeter lang. Anfangs leicht gelblich, mit zunehmendem Alter bräunlich. Proteingehalt

    45 Prozent.

    OT Folke Dammann: Ach so, ja, Folke Dammann bin ich und - ähm - genau, die Firma heißt

    "Snack-Insects". Ja, 2012 bin ich, ja, kann man sagen, ganz zufällig auf das Thema gestoßen,

    und Anfang 2013 haben wir mit dem Verkauf dann gestartet.

    SPRECHER: Folke Dammann. 36. Schlank. Dreitagebart. Streifenpulli. Auf dem Tisch:

    Kaffee und Plätzchen und - Energieriegel mit Buffalowürmern.

    OT Folke Dammann: Ja, mittlerweile haben wir uns relativ breit aufgestellt. Wir haben halt

    Eigenprodukte. Überwiegend gibt es eben Insekten, die man zuhause noch zubereitet. Das

    sind vier Arten, die für den Verzehr speziell produziert werden. Das sind Mehlwürmer,

    Buffalowürmer, Grillen und Heuschrecken. Kann man in diversen Varianten zubereiten. Also

    süß, herzhaft, geröstet, frittiert, mit Schokolade, also eine riesige Vielfalt.

    ZUSPIEL: Kau-Motiv

    SPRECHERIN: Buffalowurm. Alphitobius diaperinus. Eigentlich die Larve des

    Glänzendschwarzen Getreideschimmelkäfers. Bis 15 Millimeter lang. Geblich-braun.

    Geschmack: nussig. Proteingehalt: 56 Prozent.

  • OT Folke Dammann: ... ähm, dann haben wir ein Kochbuch rausgebracht, geben auch

    Kochkurse in Hamburg ...

    ZUSPIEL: Kau-Motiv

    OT Folke Dammann: Dann gibt's 'n Energieriegel von uns. Der Bugbreak-Riegel ist so 'ne

    Sesam-Mandel-Mischung mit Buffalowürmern. Das ganze wird in Isomaltolose

    karamellisiert, das ist 'ne ganz spezielle Zuckerart, die nicht so süß ist und ganz konstant

    Energie an den Körper abgibt ...

    ZUSPIEL: Kau-Motiv

    SPRECHERIN: Wanderheuschrecke. Locusta migratoria. Länge: 5 bis 7 Zentimeter.

    Proteingehalt: fast 50 Prozent. Geschmack: nussig.

    OT Folke Dammann: Dann haben wir 'ne Insektenschokolade. Wir bieten Insektenmehl an,

    mit dem man Proteinbrot backen kann, Nudeln, wie auch immer ...

    ZUSPIEL: Telemann, Tafelmusik

    ZITATOR: Maikäfersuppe.

    SPRECHERIN: Magazin für Staatsarzneikunde. Herausgegeben von Friedrich Julius

    Siebehaar und Rudolph Julius Albert Martini. Leipzig 1844, Seite 404 folgende:

    ZITATOR: Die Käfer [...] von welchen man 30 Stück auf eine Person rechnet, werden in

    einem Mörser gestossen, in heisser Butter hart geröstet und in Fleischbrühe aufgekocht,

    fein durchgeseiht und über geröstete Semmelabschnitte angerichtet. Ist die Bouillon auch

    schlecht, so wird sie doch durch die Kraft der Maikäfer vorzüglich, und eine Maikäfersuppe,

    gut bereitet, ist schmackhafter, besser und kräftiger, als eine Krebssuppe. - Alle Gäste,

  • welche bei mir, ohne es zu wissen, Maikäfersuppen genossen, verlangten doppelte, gar

    dreifache Portionen!

    OT Folke Dammann: ... einfach mal reinbeißen ...

    ZITATOR: ... die Maikäfer wurden in Honig eingemacht und unsere Studenten essen sie

    nach abgerissenen Füssen roh, ganz wie sie sind. In vielen Condithoreien sind sie

    überzuckert zu haben, und man isst sie candirt an Tafeln zum Nachtische.

    SPRECHER: Ich kram mal die Fotos raus. Insekten unter der Mülltonne, unter Steinen und

    Holzklotz - wär' das was für Folke Dammann?

    OT Folke Dammann: Würde ich die essen? Nö. Also, warum sollte ich? Ich würd jetzt auch

    nicht 'n Goldfisch aus 'm Goldfischteich mir rausschnappen und in den Mund stecken, nur

    weil ich Fischstäbchen ess. - Das kann man halt nicht vergleichen. - Das eine sind halt

    Zuchtinsekten, so, und das andere sind halt Insekten, die ein schönes Leben unter 'ner

    Mülltonne haben.

    ZUSPIEL: "Automate. Das Erste Wiener Gemüseorchester "

    OT Folke Dammann: So. Ich mach hier unseren leckeren Bugbreak-Riegel einmal auf ...

    SPRECHER: ... drei Finger breit, eine Verpackung mit viel Grün. Stilisierte Insektenfühler.

    Sechs Beinchen auf dem Cover ....

    OT Folke Dammann: ... so, und hier siehst du diese Mischung von Sesam-Mandeln, und da

    sind halt ein paar von drin, eigentlich kaum sichtbar ...

    SPRECHER: ... wie ein typischer Müsliriegel: übersät mit Sesamkörnern und

    Mandelstückchen. Eine glänzend-zuckrige Oberfläche. Riecht nach Malz. Und ... ja ... da

    stecken sie, die kleinen Buffalowürmchen, zwischen den Körnern ...

  • OT Folke Dammann: ... und dadurch ... die ham so 'n Grundgeschmack wie Haselnuß. Also,

    du wirst das nicht rausschmecken, daß da jetzt irgendwas komisches ist oder so. Und die

    geben einfach zusätzlich dann 'n Proteinanteil rein. Und wenn du ganz genau hinguckst,

    müßtest du auch diese ganz kleinen Füßchen noch sehen (lacht) ...

    SPRECHER: ... immer sechs ...

    OT Folke Dammann: ... mhm, immer sechs. Paßt hervorragend zu deinem Kaffee, übrigens

    ... probier mal ...

    ZUSPIEL: Musik, Simeon ten Holt, Palimpsest

    OT Guido Ritter: ... einer der Vorteile, für Insekten ... was für Insekten statt der

    herkömmlichen Viehzucht spricht, ist der ökologische Vorteil: weniger Landverbrauch,

    weniger Wasserverbrauch, weniger Treibhausgase, also all das, was im Moment gerade

    durch die Landwirtschaft unser Klima negativ beeinflußt, könnte durch Insekten ein

    stückweit verbessert werden ...

    ZUSPIEL: Kauen auf Bugbreak-Riegel

    OT Guido Ritter: ... mein Name ist Guido Ritter. Ich bin Lebensmittelchemiker und

    Ernährungswissenschaftler an der Fachhochschule Münster ...

    ZUSPIEL: Kauen auf Bugbreak-Riegel

    OT Guido Ritter: ... äh, deshalb wird und muß es auch 'n Umdenken geben, aber vor diesem

    Umdenken - auch ohne Insekten - stehen wir in der Landwirtschaft sowieso ...

    OT Folke Dammann: ... was viele halt auch nicht wissen, was eigentlich auch immer schön

    zu argumentieren ist (er knabbert weiter genüßlich an seinem Riegel, knurpsel, knurpsel):

    Daß wir alle sowieso Insektenesser sind. Durch die industrielle Verarbeitung von

    Lebensmitteln ist es gar nicht möglich, daß man Insekten aus dem Nahrungsmittelkreislauf

  • komplett rausholt. Von daher: man ißt so ungefähr 400 bis 500 Gramm Insekten jedes Jahr,

    unbewußt, in verarbeiteten Lebensmitteln. Von daher bist auch du ein Insektenesser. Seit:

    einigen Jahren (lacht).

    ZUSPIEL: Musik, Vladimir Cosma, L'aile ou la cuisse

    SPRECHER: Von Folke Damman hab' ich das große Einsteigerpaket mitgenommen. Drei

    Insektenarten, ein Lolli mit Mehlwurm, Insektenschokolade, Energieriegel. Zuhause nehm

    ich die Schokolade mit den Buffalowürmern und die Energieriegel (im Hintergrund

    Auspackgeräusche) und biete sie meiner Tochter an. Die hat gerade Besuch von ihrer

    Freundin.

    OT Laurie und Laurie: Ich heiße Laurie. - Ich heiße Laura. - Wir essen gar keine Würmer -

    eigentlich - nee. - Ich bin acht und bin fast neun. - Ich bin acht und bin auch fast neun. - Ich

    nehm ... (beide lachen) ... ich nehm diese ... Schokolade ... üah, Würmer ... okay (kauen) ...

    einfach runterschlucken, einfach runterschlucken ... widerlich (lachen)... ... schmeckt

    überhaupt nicht gut ... ich hab nur geschmeckt, daß es ein bißchen süß ist ...

    SPRECHER: ... jetzt der Energieriegel ...

    OT Laurie und Laura: ... (kauen) schmeckt nach gar nix ... boah, ich hatte noch 'n Wurm im

    Mund (spuckt, lachen).

    ZUSPIEL: Straßengeräusche am Campus Wageningen, Niederlande

    SPRECHER: Universität Wageningen, Niederlande. Ein wenig charmanter Campus für "Life

    Sciences". Fünfzig Kilometer vor Utrecht. Die typischen Zweckbauten sind umgeben von

    geraden Kanälen und Wiesen.

    ZITATOR - Voiceover OT Arnold van Huis: 2013 habe ich im Auftrag der FAO, der

    Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen, ein Buch geschrieben. Das haben wir

    auf einer Konferenz in Rom präsentiert. Ich hatte zwei Minuten. Danach gab es eine riesige

  • Presse-Resonanz. Nach 24 Stunden hatten wir 2,3 Millionen Downloads. Das Buch ist

    inzwischen ins Koreanische, Französische und Chinesische übersetzt.

    SPRECHERIN: Arnold van Huis und andere: Edible Insects. Future prosepcts for food and

    feed security. Studie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten

    Nationen FAO. Rom 2013. 210 Seiten.

    ZITATOR - Voiceover - OT Arnold van Huis: Mein Name ist Arnold van Huis. Ich war hier in

    Wageningen Professor für tropische Entomologie. Vor drei Jahren bin ich emeritiert worden.

    Eigentlich war mein Fachgebiet die biologische Bekämpfung von Insekten in den Tropen.

    SPRECHER: Vom Saulus zum Paulus. Van Huis ist heute ein führender Experte auf dem

    Gebiet der - "Entomophagie". Der wissenschaftliche Begriff für den Verzehr von Insekten.

    ZITATOR - Voiceover - OT Arnold van Huis: 1995 hatte ich ein sabbatical. Ich war drei

    Monate in Afrika - fünf Jahre später noch einmal - und hab ungefähr 40 Länder besucht, um

    Menschen über die kulturelle Bedeutung von Insekten zu interviewen. Oft ging es dabei um

    das Essen von Insekten. Das hat mein Interesse geweckt. Dann kam das Buch für die FAO,

    und es gab so viel internationale Resonanz - so wurde aus dem Hobby ein Beruf.

    ZUSPIEL: Ausschnitt aus Jim Knopf: »Mein Name, ihr ehrenwerten Fremdlinge, ist Ping

    Pong. - Ich heiße Lukas. - Und ich Jim. - Ich habe den Klagegesang eurer erhabenen Mägen

    vernommen. Was darf ich euch bringen? Vielleicht tausendjährige Eier auf zartem Salat aus

    Eichhörnchenohren? Oder gezuckerte Regenwürmer in saurer Sahne?«

    SPRECHERIN: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer von Michael Ende, Hessischer

    Rundfunk 1976, Buch & Regie: Manfred Jenning.

    ZUSPIEL: »Oder hättet ihr gerne Wespennester in Schlangenhaut? Wie wäre es mit

    Ameinsenklößchen auf köstlichem Schneckenschleim? Gut sind auch geröstete Libelleneier

    in Seifenschleim oder Seidenraupen mit weich gekochten Igelstacheln.«

  • ZUSPIEL: Kaugeräusche

    ZITATOR - Voiceover - OT Arnold van Huis: Es wird eine Fleischkrise geben. Bis zum Jahr

    2050 wird die Nachfrage an Fleisch um 70 Prozent zunehmen. Schon jetzt werden 70, 80

    Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für Viehzucht verwendet. Das kann also so nicht

    weitergehen. Wir brauchen alternative Eiweißquellen.

    SPRECHERIN: Grillen, auch: Heimchen genannt. Acheta domesticus. Länge: 16 bis 20

    Millimeter. Grau-braun bis schwarz. Eiweißgehalt gefriergetrocknet: 70 Prozent. Frittierte

    Grillen schmecken wie knusprige Hähnchenhaut.

    ZITATOR - Voiceover - OT Arnold van Huis: Klar, man kann an Entengrütze denken, an

    Algen, an Seetang. Aber Insekten - die kann man sofort benutzen. Man muß auch beachten,

    daß die Fleischproduktion sehr umweltschädlich ist. 15 Prozent der gesamten

    Treibhausgase kommen aus der Viehzucht. Dreiviertel der Ammoniak-Emmissionen

    kommen aus der Viehzucht. Bei Insekten ist diese Bilanz viel besser.

    ZUSPIEL: Musik "Automate. Das Erste Wiener Gemüseorchester "

    SPRECHER: Ich habe recherchiert: bei zwei Milliarden Menschen sind Insekten Teil der

    traditionellen Ernährung.

    OT Guido Ritter: Was ich jetzt schon sagen kann: Es wird uns garantiert schmecken. Auch

    wenn viele sagen: Oh Gott, ja? Was kommt da auf uns zu, ist ja eklig ...

    SPRECHERIN: Guido Ritter. Ernährungswissenschaftler. Münster.

    OT Guido Ritter: ... nein, wer Insekten schon mal probiert hat und gemerkt hat, oh, hoppla,

    das ist ja eigentlich ganz lecker, weil das ist ein bißchen nussig, wenn sie ordentlich

    zubereitet sind, sind sie auch von den Röstaromen und so weiter ganz schmackhaft, wird

    merken, alles andere ist Kopfkino. Und das läßt sich also mit bißchen Gewöhnung auch ganz

    gut leisten.

  • ZUSPIEL: Kaugeräusche

    SPRECHER: Ich erinnere mich an eine Hollandreise. 2014. Da lagen schon Insektenprodukte

    in den Supermärkten. Bei Albert Heijn und bei Jumbo. "Schmeckt nach Nüßchen, hat aber

    Füßchen", hieß es bei unseren Nachbarn. 2017 suche ich dann vergeblich nach den

    Insektenburgern. Ich frage nach bei Albert Heijn und Jumbo und bekomme eine knappe

    Antwort: Wir haben den Verkauf von Insektenprodukten eingestellt.

    ZITATOR - Voiceover - OT Arnold van Huis: Das kann man einfach erklären. Was man

    unterschätzt hat: Die Insektenprodukte waren nicht lecker. Ich hab die auch probiert, da

    hätte man sich viel mehr Mühe geben müssen, um die Burger und Balls lecker zu machen.

    Das haben die Supermarktketten unterschätzt.

    ZUSPIEL: Atmo, Straßenszene Basel, Autos Traßenbahn, Passanten

    SPRECHERIN: Neue Zürcher Zeitung. 14. August 2017.

    ZITATOR : Die Insekten-Burger kommen nächste Woche in die Regale. Ab dem 21. August

    werden Produkte auf Insektenbasis in insgesamt sieben Coop-Supermärkten sowie beim

    Hauslieferdienst Coop@home erhältlich sein ...

    SPRECHER: In holländischen Supermärkten sind die Insekten verschwunden. In der

    Schweiz fängt die Geschichte erst an. Ich reise nach Basel.

    OT Ramón Gander: ... und Sie sind jetzt auch zu 'nem guten Zeitpunkt gekommen, weil

    eine Weile lang mußten wir da auch ein bißchen abblocken, weil wir haben so viele Anfragen

    gekriegt, eigentlich hätten wir da gar nichts anderes mehr tun können, als über Insekten zu

    informieren ... [Rest des O-Tons im Hintergrund weiterlaufen lassen, wie Atmo]

    SPRECHER: Basel. Thiersteinerallee 14. Die Zentrale von Coop. Ein nüchterner

    Besprechungsraum. Ramón Gander hat eine abgewetzte Kühltasche mitgebracht. Der

  • Mediensprecher zieht zwei Packungen heraus. Insects Balls. Und Insect Burger.

    OT Ramón Gander: Wir haben da bewußt entschieden, daß wir mit verarbeiteten

    Produkten starten, die bekannten Produkten sehr ähnlich sehen. Also, das sind zum einen

    solche Bällchen, die vielleicht mit Falafelbällchen vergleichbar sind, und zum anderen ein

    Burger, um dem Kunden auch den Einstieg zu erleichtern.

    SPRECHER: Zehn goldgelbe Insektenbällchen stecken in der Packung. Ich sehe grüne

    Kräuterpüntkchen, Möhrenschnipsel, aber weder Köpfe noch Füßchen ...

    OT Ramón Gander: ... und die kosten acht Franken fünfundneunzig. Dasselbe gilt für die

    zwei Burger. Die kosten ebenfalls acht Franken fünfundneunzig ...

    SPRECHER: ... umgerechnet rund sieben Euro siebzig. Insektenprodukte sind teuer.

    OT Ramón Gander: ... im Moment werden Insekten noch in sehr kleinen Mengen

    hergestellt, und auch die Produkte werden eher in einer Art Manufaktur als in einer großen

    industriellen Anlage gefertigt. Entsprechend wirkt sich auch das auch auf die Verkaufspreise

    aus.

    SPRECHER: ... und wie reagieren die Kunden?

    OT Ramón Gander: .. die meisten Leute haben sich positiv geäußert, gewisse auch, die das

    nicht ganz verstanden haben, wieso wir das machen, aber die meisten Leute wollten

    eigentlich wissen, wo die Produkte erhältlich sind.

    ZUSPIEL: Musik "Automate. Das Erste Wiener Gemüseorchester "

    SPRECHER: Ramón Gander packt Burger und Balls wieder in die Kühltasche und gibt sie

    mir. Ich könne sie ja mal zuhause braten. - Darf ich die so einfach in die EU einführen?

    OT Ramón Gander: Das ist 'ne gute Frage. Ich geh davon aus, daß das möglich ist ... [Rest

  • unter folg. Text, dann blenden] ... weil ich denke, Sie dürfen die Produkte haben, Sie dürfen

    sie konsumieren, aber vermutlich nicht gewerbsmäßig verkaufen ...

    SPRECHER: Ich werde zum Insektenschmuggler. - Vorher fahre ich aber in den Coop-Markt

    am Bahnhof Süd und suche nach den Burgern im Kühlregal...

    ZUSPIEL: Atmo, Straße vor Coop, Eintreten in den Markt ...

    SPRECHER: Zwischen Tofuburgern und Frühlingsrollen werde ich fündig. Da hängen

    Insektenburger und -bällchen, als wäre es das sebstverständlichste der Welt. Hersteller: die

    Firma Essento.

    OT Melchior Füglistaller: Essento ist ein Startup, das sich den Insekten, den eßbaren

    Insekten verschrieben hat. Wir entwickeln Produkte, wir produzieren Produkte und wir

    vermarkten Produkte, basierend auf eßbaren Insekten.

    SPRECHER: Ich treffe mich mit Melchior Füglistaller. Verantwortlich für Marketing und

    Verkauf bei Essento.

    OT Melchior Füglistaller: Also, wir können glücklicherweise sagen, daß unsere Produkte

    jetzt immer schnell ausverkauft waren im Coop. Das liegt einerseits daran, daß das Thema

    sehr präsent war in den Medien, daß viele Leute darauf gewartet haben und unsere

    Produkte höchstwahrscheinlich auch gut ankommen und schmecken. Und andererseits: Wir

    produzieren alles noch von Hand in unserer Manufaktur in Zürich. Das sind kleinere

    Auflagen ...

    SPRECHER: Wir gehen ein paar Schritte zur Seite, weg von den laut brummenden

    Kühlregalen ...

    OT Melchior Füglistaller: Was unser Team so alle verbindet, ist immer die Suche nach

    neuen Antworten oder nach Antworten auf die Frage, ob der Status Quo, unser

    Konsumverhalten, ob das richtig ist. Und 2013 ist dann ein Bericht von der FAO

  • rausgekommen mit dem ökologischen und gesundheitlichem Potential zu eßbaren

    Insektem. Und das war so der Startpunkt, wo wir gesagt haben: Hey, so was brauchen wir

    auch in der Schweiz.

    SPRECHERIN: Insekten als Nahrung und Tierfutter gewinnen im 21. Jahrhundert immens

    an Bedeutung. Gründe dafür sind die steigenden Kosten für tierische Proteine, Nahrungs-

    und Futtermittelskandale, Umweltzerstörung, Bevölkerungszuwachs und der wachsende

    Bedarf an Protein in Haushalten der Mittelklasse.

    ZITATOR: Aus: Arnold van Huis. Edible Insects. FAO-Studie 2013

    SPRECHERIN: Daher müssen dringend Alternativen zu konventioneller Tierhaltung

    gefunden werden. Der Verzehr von Insekten, genannt Entomophagie, wirkt sich positiv auf

    Umwelt, Gesundheit und Existenzsicherheit aus.

    OT Melchior Füglistaller: Bis jetzt haben wir sehr, sehr positive Feedbacks gekriegt.

    Wirklich, daß die Leute fanden, das schmeckt gut, es ist cool, daß ihr etwas macht. Ich

    glaube, es gibt auch Leute, die sehr stolz darauf sind, daß die Schweiz jetzt eine

    Vorreiterrolle eingenommen hat in diesem Thema - das ist sicher toll - oder weil man es cool

    findet, daß man so was anpackt.

    ZUSPIEL: Musik, Paganini 24 Capricci (24)

    ZITATORIN (sehr distinguiert lesen): Insekten (Ziefer) machen die fünfte Klasse des

    Thierreichs aus, und haben ihren lateinischen Namen daher, weil ihr Körper, mit einigen

    Ausnahmen, gleichsam eingekerbt oder eingeschnitten (daher auch Kerbthiere) ist.

    ZITATOR: Real=Encyclopädie oder Conversations=Lexicon. Fünfter Band. Leipzig 1824.

    Seite 80 folgende.

    ZITATORIN: Unterscheidungsmerkmale, die allen Insekten ohne Ausnahme zukommen,

    sind der weißlichte kalte Saft in ihrem Körper, [...] und die eingelenkten hornartigen

  • Bewegungswerkzeuge oder Beine, von denen kein Insekt weniger als sechs hat ...

    SPRECHER: Ein Insekt hat sechs Beine - weiß ich noch aus der Schule. Spinnen sind also

    keine Insekten. Trotzdem locken mich gerade diese Tierchen nach 06712 Würchwitz. Hier

    lebt eine deutsche Tradition auf acht Beinen.

    OT Christian Schmelzer: Wir stehen an dem Milbenkäse-Denkmal, dem berühmtesten

    Käsedenkmal der Welt. Das ist drei Meter hoch. Und diese Käsemilbe, die da drauf ist, die

    hat am hinteren Teil - da gehen wir mal hin, kommen Se mal mit, ich zeig Ihnen das mal - die

    hat hier hinten ein Loch drin, und in diesem Loch - wenn er nicht geklaut wurde, jetzt wurde

    er gerade geklaut - liegt sonst immer ein Milbenkäse drin, und dann dürfen Sie dran riechen,

    an diesem Käse, so, hier (er riecht sehr lautstark). Sehen Se, da sind auch noch 'n paar

    Milben hier drin, die jetzt hier leben, da müssen wir nachher mal saubermachen, wenn die

    Gäste morgen kommen, und dann kommt da wieder ein Käse rein. Dann kann man dran

    riechen. Am Hintern der Milbe.

    SPRECHER: Am Hintern der Milbe. Am hinteren Ende der Welt. - Bildhauer Christian Späte

    aus Zeitz hat das elf Tonnen schwere Kunstwerk aus Carrara-Marmor geschaffen. Das war

    2001 - ermöglicht durch großzügige Spender, durch den engagierten Bildhauer und die

    Gemeinde Würchwitz. Die liegt 50 Kilometer vor Leipzig. Das Mekka des deutschen

    Milbenkäses: ein beschauliches Dörfchen in Sachsen-Anhalt.

    OT Christian Schmelzer: Ich bin eigentlich evangelischer Theologe. Ich bin noch nicht

    Pfarrer, aber ich promoviere jetzt zur Zeit noch, und das würde dann danach kommen.

    SPRECHER: Vor dem Denkmal der tonnenschweren Milbe treffe ich Käsemacher Christian

    Schmelzer.

    OT Christian Schmelzer: Den Käse gibt es ja schon seit 500 Jahren, ungefähr, in der Region,

    und früher, müssen Sie sich vorstellen, haben diese ganze Bauerngehöfte, die Sie hier

    rundrum sehen, also, hier sind ja jetzt nicht ganz so viele, aber da hinten im Ort, die haben

    alle selber diesen Käse auch hergestellt. So bis, sagen wir mal, Ende des Zweiten

  • Weltkrieges, und dann, zu DDR-Zeiten, hat dann die Hygiene der DDR gesagt, nee, das ist

    verboten, und dann ham dann nur so ein paar rebellische alte Frauen das weitergeführt ...

    SPRECHER: Zusammen mit Helmut Pöschel, den hier alle nur "Humus" nennen, hat

    Schmelzer die Milbenkäse-Manufaktur gegründet. Ein schräges Paar. Schmelzer, der

    evangelische Theologe, jung, hip, gut aussehend. Lebt in Berlin. Und Pöschel. Der

    pensionierte Biologielehrer, der in der DDR der 1960er Jahre angefangen hat, Sexfilme zu

    drehen.

    OT Helmut Pöschel: Also, hier hat meine Mutter und meine Großmutter schon diesen Käse

    gemacht und die Urgroßmutter. In dieser kleinen Ecke - Thüringen, Sachsen-Anhalt und

    Sachsen, also im Dreiländereck praktisch, hier ...

    SPRECHER: Pöschel ist rundlicher als der schlanke Schmelzer. Er hat auch weniger Haare

    und trägt eine weiße Kappe.

    OT Helmut Pöschel und Christian Schmeler: Ich bin 72. Aber gefühlt 34. - Ich bin 30 am

    ersten - nee - ich bin dreißig ...

    SPRECHER: Wir schlendern zu einem alten Bauernhaus. Hier lebt Helmut Pöschel, hier

    entsteht der berüchtigte Milbenkäse. Eigentlich nichts anderes als Magerquark mit

    Gewürzen. Der wird getrocknet und dann den Milben überlassen. - Im Haus riecht es nach

    Pferdestall. Und in einem kleinen Nebenraum stehen mehrere Holzkisten, in denen es - lebt.

    OT Helmut Pöschel: Das sind hier Munitionskisten, die sind so stabil, aus dem Ersten und

    Zweiten Weltkrieg. Und hier drin sind immer 250 Millionen Tiere, und die arbeiten Tag und

    Nacht an dem Käse, ne.

    OT Christian Schmelzer: Sie sehen, das sieht aus wie im Denkmal vorne, dieser Staub, den

    wir da hinten drin hatten. Das sind Milben und Roggenmehl. Und Sie sehen jetzt auch, wie

    die sich bewegen, über den Käse, gucken Sie mal da hinten, auf der großen Scheibe, da

    fallen die richtig runter, da sieht man die ein ganz klein bißchen mit dem Auge ...

  • OT Helmut Pöschel (fällt ihm ins Wort): ... die Tiere arbeiten jetzt gerade an dem Käse.

    Und die dürfen 50 Prozent abknabbern, und dann isser reif. Das dauert ein Vierteljahr.

    Mindestens.

    SPRECHER: In den Kisten liegen - in einer Art sandfarbenem Mehl - kleine Käserollen und

    Käsetaler. Und tatsächlich - wenn man genau hinsieht, kann man es krabbeln sehen.

    ZUSPIEL: Musik, Xenakis, Concrete Ph

    OT Helmut Pöschel: Damit die nicht zu viel abfressen, da füttern wir die immer mit tollem

    Roggenmehl. Frisch gemahlenes Roggenmehl. Und da können wir das balancieren, nicht

    daß die zu viel wegnehmen. Und wenn die gestorben sind, werden die von ihren Kindern

    aufgefressen. Also, das heißt, es gibt hier keine Beerdigung. Das geht einfach in den

    Kreislauf wieder rein.

    ZUSPIEL: Musik, Ligeti, Artikulation

    SRECHERIN: Tyroplyphus siro. Früher: Tyroglyphus casei. Käsemilbe. Spinnentier. Größe:

    circa 0,3 Millimeter. Vermutlich bewirkt der Milbenspeichel die Fermentation des Käses.

    Beim Verzehr des Würchwitzer Milbenkäses werden die Milben lebend mitgegessen.

    OT Helmut Pöschel: Wir werden oft gefragt: Wie schmeckt er denn? Er hat so 'ne Richtung

    wie Harzer Käse, aber mit bitterer Note, aber mit milbigem Abgang.

    OT Helmut Pöschel: In so 'ner Kiste passen ungefähr so fünfzig Käse rein. Ja, und das ist

    diese Mittelalter-Rolle, die schon Martin Luther gegessen hat. Diese wird geklitscht, aus

    Magerquark, getrocknet, gewürzt mit geheimen Zutaten, wie zum Beispiel Holunderblüten,

    und, ähm, dann kommen diese ... Quärke in die Kiste, und ein Vierteljahr müssen die reifen.

    Und Gourmets wollen ein Jahr diesen Käse drin reifen lassen - da wird er schwarz.

    (Klopfgeräusche: harter Käse auf Holzkiste) Knochenhart. Een richtiger Hartkäse, der 'ne

    Farbe annimmt wie Bernstein.

    SPRECHER: Der lebendige Genuß hat seinen Preis. Die Würchwitzer Himmelsscheibe, rund

  • 150 Gramm, kostet dreizehn Euro. Die Milbenkäse-Rolle mit 30 bis 50 Gramm kostet neun

    Euro. Verschickt wird das "Lebendgut" mit DHL ...

    OT Helmut Pöschel: ... da sind nicht ein paar Milben drin, da ja hunderte, tausende Milben

    an einem Käse ...

    SPRECHER: ... allerdings, so heißt es in den AGB, kann es zu "Lieferverzögerungen"

    kommen. In Würchwitz hat es niemand eilig. Weder die Milben noch Helmut "Humus"

    Pöschel.

    OT Helmut Pöschel: Es gibt nur noch ein Land, wo wir diesen Käse nicht hinschicken

    dürfen. Das ist die USA. Und da haben wir einen ganz tollen Trick erfunden, wie wir die NSA

    austricksen können, die uns ja immer belauschen: Wir kaufen einfach so eine Federmappe

    für die Einschulung, nehmen den Radiergummi raus und schieben so'n Milbenkäse rein als

    Radiergummi. Und wünschen alles Gute zum Schulanfang. Kommt immer an.

    ZUSPIEL: Jimi Hendrix, Star Spangled Banner

    SPRECHER: Ja, ich geb's zu: Milben sind keine Insekten. Aber Ex-Biolehrer Pöschel sieht das

    auch nicht so eng ...

    OT Helmut Pöschel: ... ist ein Spinnentier. Aber im Großen und Ganzen kann man sie zu den

    Insektengruppen mit dazustecken. Besteht aus wunderbarem Eiweiß. Und ist die Zukunft. -

    Die Milbe ist die Zukunft (beide lachen).

    ZUSPIEL: Wiener Gemüseorchester

    SPRECHER: Sind Insekten das Nahrungsmittel der Zukunft? Entomologe Arnold van Huis

    ist davon überzeugt. Doch wer soll die Milliarden Insekten züchten? - In den Niederlanden

    gibt es schon heute große Zuchtbetriebe, aber niemand läßt mich rein. Alles ganz geheim.

    Ein kleiner Zuchtbetrieb in Kessel bei Venlo öffnet mir doch die Türen.

  • OT Sanne van Erp: Mein Name ist Sanne van Erp, und wir sind bei Tasty Bugs. Wir sind eine

    insect farm für Insekten und wir produzieren Insekten für Tiere, aber wir produzieren auch

    Insekten für Essen für Menschen.

    SPRECHER: Sanne van Erp ist klein und kräftig. Eine Frau, die zupacken kann. Die braunen

    Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

    OT Sanne van Erp: Ich kann deutsch reden, also, dat geht schon, aber nur mit manchen

    Sachen muß man eben nachdenken, wie man das sagt (lacht).

    SPRECHER: Wir stehen in einem Raum mit Terrarien. Geckos, Eidechsen, Bartagamen

    beobachten uns still.

    OT Sanne van Erp: Wir haben angefangen mit Snacks für bei die Pommes. Und das sind

    dann die holländischen Kroketten und Bamis, was wir dann gemacht haben - das ist nicht

    schlimm für Menschen zu essen. Das geht leicht. Weil aus der Friteuse essen sie dann schon

    - also, dat geht dann auch noch!

    SPRECHER: Wir gehen in einen weiteren Raum, in dem große Kühl- und Gefrierschränke

    stehen ....

    ... um dann in den eigentlichen Zuchtbetrieb zu kommen.

    ZUSPIEL: ziemlich heftig quietschende Tür, neuer Raum

    OT Sanne van Erp: Ja, hier sind wir in der Züchterei. Hier produzieren wir die Mehlwürmer,

    die Moriowürmer, die Heuschrecken und die Grillen produzieren wir hier. Alles in separaten

    Räumen, so daß sie nicht durcheinander wachsen. Das macht es für uns leichter, um alles zu

    verarbeiten.

    SPRECHER: Ein heller, weißer Raum. An der Wand hängen kleine Schaufeln aus Kunststoff:

    gelb, schwarz, orange und grün. Siebe in mehreren Größen und Formen.

    OT Sanne van Erp: Ich kann dir alles sehen lassen. Wir können anfangen bei die

  • Heuschrecken, da fangen wir an, da ist das meiste Geräusch. Die hörste schon, wenn die Tür

    zu ist ...

    ZUPIEL: Tür wird geöffnet, kleiner Raum, erfüllt vom Zirpen der Heuschrecken

    OT Sanne van Erp: Hier siehst du die Boxen von die Heuschrecken, die haben alle einen

    Deckel drauf. Die Wand an der Innenseite ist alles glatt. Weil wenn das glatt ist, dann können

    die Heuschrecken nicht nach oben klettern.

    SPRECHER: In dem kleinen Raum ist es warm und feucht ...

    OT Sanne van Erp: Insekten haben es gerne warm. Also, hier ist es Minimum 28 Grad.

    Mininum! Und das geht Maximum 30 Grad.

    SPRECHER: Wie man Insekten züchtet, kann man - noch - nirgendwo studieren. So hat

    jeder Züchter seine ganz eigenen Methoden. Und weil damit in den kommenden Jahren viel

    Geld gemacht werden soll, sind die meisten Züchter eher verschwiegen. - Anders Sanne van

    Erp.

    OT Sanne van Erp: Möhren essen die, Kartoffeln essen die. Die haben auch ein

    Trockenfutter. Da bekommen sie die Mineralen, was sie nötig haben, holen sie da raus. Die

    Möhren und die Kartoffeln ist nur für Feuchtigkeit ....

    SPRECHER: .. und weil sich die Insekten in großen Mengen vermehren, ist die ganze

    Geschichte besonders nachhaltig ...

    OT Sanne van Erp: Ja, wir haben bei die Heuschrecken und die Grillen ein klein Kistchen mit

    Sand da drin. Die Frau, die hat 'ne Beuse an ihrem Hintern, da legt sie die Eier durch, und die

    legen das in das Sand. Das Sand, was drin ist, holen wir raus, setzen wir in eine andere Box -

    bei Grillen, da kommen zwei, dreihundert neue raus.

    SPRECHER: Bleibt noch die Frage, wie man so viele Insekten tötet.

  • OT Sanne van Erp: Die Grillen und die Heuschrecken, die werden eingeschläfert in der

    Gefriertruhe. Erst fangen wir die, machen die in eine Box. Dann bekommen sie 24 Stunden

    kein Essen. Daß die Organe ganz leer sind, der Darm und so. Dann kacken die alles aus,

    sozusagen. Und dann gehen die in Gefriertruhe, schlafen die ein und werden so freundlich

    wie möglich getötet.

    SPRECHER: Sanne van Erp hat mir Buffalowürmer angeboten. Zum Probieren. Nichts

    dabei, hat sie gesagt. Einfach machen. Naja, nennen Sie es feige oder stur, aber ich hab

    nicht zugegriffen. Ich brauche mutige Vorkoster. Wieder zuhause, besuche ich unseren

    Kindergarten und biete den Erziehern fein geröstete Insekten an.

    OT Kindergärtnerinnen: Ich bin 51, bin die Birgit, und ja, ich würd was probieren. Ja, so'n

    Buffalowürmchen. (riecht daran) Nussiger Geruch ... die riechen nach Nuß ... ja, nehm ich

    mal eins ... (kaut) ... mhm, sie schmecken eigentlich so mehr nach nichts, aber sie knacken

    wenigstens noch. Also, wenn man die untergemischt bekommt - man merkt's nicht. Doch,

    kann man essen. - Ich bin die Eva und bin 22 Jahre alt. Dann würd ich mich mal an so ein

    Buffalowürmchen herantrauen. Und mal testen, wie das schmeckt. Aber: die leben nicht

    mehr, ne, nein, ne? (probiert, kaut) Das schmeckt so'n bißchen wie ... wie so 'ne Reiswaffel

    ...

    SPRECHER: Gibt es einen freundlichen Tod - auch wenn es "nur" Insekten sind? Ich mache

    mir eine Notiz, muß später darauf zurückkommen. Jetzt aber geht's erst einmal wieder

    nach Deutschland, und zwar nach Osnabrück.

    ZUSPIEL: Atmo, Kaffeemaschine in Osnabrück. - Jemand führt mich durch die Büroräume

    SPRECHER: Ein schäbiges Industrieviertel vor der Stadt. Autoverkäufer, Schrotthändler,

    Abschleppdienste. In einer Sackgasse liegt die Adresse Kirksweg 5. Die Büroräume der

    "Bugfoundation" liegen im obersten Stock.

  • OT Max Krämer: ... das ist die Klingel [ping] - wenn wir verkaufen, dann klingelt's im Büro.

    ZUSPIEL: Atmo, Kaffemaschine, klackernde Geräusche, dann:

    OT Max Krämer: Mein Name ist Max Krämer. Ich hab zusammen mit Baris das

    Unternehmen gegründet. Im Febrar 2014. Ich bin 31 ...

    OT Baris Özel: ... und ich bin Baris Özel, und ich habe die Bugfoundation zusammen mit

    Max gegründet und bin hauptsächlich für das Marketing verantwortlich. 30 Jahre alt.

    SPRECHER: Max Krämer und Baris Özel: das sind die Macher hinter dem "BuxBurger" - eine

    hippe Bulette aus Insekten und allerlei geheimen Zutaten. Die zwei ähneln sich irgendwie.

    Beide schlank, T-Shirt, bißchen Bart - und den Schalk im Nacken.

    OT Max Krämer: Genau. Wir essen eigentlich nichts anderes mehr, weil das auch zu teuer

    wär'. Wir verdienen ja auch nicht so viel Geld. Deswegen haben wir hier einen Riesen-Vorrat

    an BuxBurgern angelegt, und den gibt's dann in verschiedener Form. Manchmal pürieren

    wir den, so, machen 'ne Suppe morgen daraus oder tun den ins Müsli. Aber es gibt nichts

    anderes mehr zu essen hier. (OT Baris Özel:) Ja.

    ZUSPIEL: z.B. Wiener Gemüseorchester

    OT Max Krämer: Also, man muß erst mal vorher sagen, daß Baris und ich uns schon seit -

    ich glaube es sind jetzt - 18 Jahre kennen wir uns schon, und haben während des Studium

    beide entschlossen, wir brauchen mal 'ne Pause. Haben uns ein Jahr freigenommen und sind

    auf 'ne Weltreise gefahren. Und da waren wir unter anderem in Südostasien, wo wir

    eigentlich so alles probiert haben, was uns in den Weg gekommen ist, kulinarisch. Und unter

    anderem haben wir dann eben auch Insekten probiert, und die haben uns geschmacklich

    halt sofort überzeugt.

    ZUSPIEL: z.B. Wiener Gemüseorchester

  • OT Baris Özel: Nachdem wir uns Gedanken darüber gemacht haben, ob so was tendenziell

    vermarktbar ist, kamen wir eigentlich zu dem Entschluß, wenn wir ein Produkt schaffen,

    was in erster Linie köstlich schmeckt und auch ästhetisch aussieht, ist es mit Sicherheit auch

    an den Mann zu bringen. Und deswegen haben wir uns auch entschieden, den Burger zu

    machen, als erstes Produkt, weil wir dort die Insekten komplett verarbeiten können, so daß

    keine Insekten oder Insektenteile sichtbar sind. Und deswegen haben wir auch mit dem

    BuxBurger angefangen.

    ZUSPIEL: Musik, Marcel Dupré, Variations sur un Noel

    ZITATOR: Alles auch, was sich regt und Flügel hat und geht auf vier Füßen, das soll euch

    eine Scheu sein.

    SPRECHERIN 1: Drittes Buch Mose, Kapitel 11

    ZITATOR: Doch das sollt ihr essen von allem, was sich regt und Flügel hat und geht auf vier

    Füßen: was noch zwei Beine hat, womit es auf Erden hüpft; von demselben mögt ihr essen

    die Heuschrecken, als da ist: Arbe mit seiner Art und Solam mit seiner Art und Hargol mit

    seiner Art und Hagab mit seiner Art.

    ZITATORIN: Die Rechtslage zum Verzehr von Insekten war bis 2017 eine Grauzone. In der

    bis dahin gültigen Novel-Food-Verordnung Nr. 258/97 gelten Insekten als neuartige

    Lebensmittel. Jedes EU-Land konnte selbst entscheiden, ob und welche Insekten als

    Nahrungsmittel zugelassen werden.

    ZUSPIEL: Glockenklang

    ZITATOR: In Deutschland und Holland durften bis Ende 2017 vier Insektenarten verkauft

    werden, in Belgien zehn Arten. Rechtssicherheit gab es dennoch kaum. Das Düsseldorfer

    Restaurant Mongo's mußte Mitte 2017 auf richterliche Anordnung die Zubereitung von

    Insektengerichten einstellen. Und die Burgermacher aus Osnabrück bekamen Probleme, als

    der Oberbürgermeister ihren Bratklops probierte, fotografiert wurde und tags darauf in der

  • Zeitung auftauchte.

    ZITATORIN: Anfang 2018 ist eine neue EU-Verordnung in Kraft getreten: 2015/2283 . Das

    Bewertungs- und Zulassungsverfahren wird vereinfacht und beschleunigt. Das Jahr 2018

    könnte EU-weit zum Startpunkt für eßbare Insekten werden.

    OT Max Krämer: Also, für mich ist das kulinarisch, als hätte man gerade den Käse neu

    entdeckt. Also, so von 'ner Kragenweite. Es gibt 2.000 [eßbare] Insekten, manche

    schmecken nach Bacon, manche nach Hühnchen. Da gibt es ungeahnte Möglichkeiten. Und

    da wird's noch viele, viele Produkte geben, die auf den Markt kommen.

    ZUSPIEL: mehrere Kaugeräusche parallel

    OT Max Krämer: Also, wir haben unseren Schwerpunkt ja zur Zeit in den Niederlanden, und

    da im B-to-B-Bereich, daß heißt wir verkaufen hauptsächlich an Unternehmen. In den

    meisten Fällen sind das Gastronomen ...

    OT Baris Özel: ... das sind ziemlich gute Burger- und Steakhäuser: der Geschmack

    überzeugt letztendlich.

    ZUSPIEL: Atmo, Hintergrund-Sounds aus dem Amsterdamer Burger-Restaurant "Grizzl",

    schon unter die O-Töne von Krämer & Özel legen ...

    SPRECHER: Noch ein Abstecher nach Holland. Ich sitze im Grizzl. Einem kleinen Burger-

    Restaurant in Amsterdam-Süd. Viel Holz. Die Einrichtung grün, blau, sandfarben.

    Gedämpftes Licht über hohen Tischen. Philip Paternotte hat Grizzl vor vier Jahren

    gegründet.

    ZITATOR - Voiceover - OT Philip Paternotte: Ja, wir bieten seit kurzem den BuxBurger an.

    Vor 'nem Jahr waren hier zwei total begeisterte Jungs aus Osnabrück. Die haben mir ihren

    Insektenburger gezeigt. Auf Basis von Buffalowürmern. In Holland gezüchtet. Ja, dachte ich,

    nachhaltiger geht's nicht! Ich habe den Burger probiert, fand den Burger super, aber

  • trotzdem brauchte das noch Zeit. Ein Jahr später waren die beiden noch mal hier. Und jetzt

    haben sie einen so fantastischen Burger entwickelt! Der schmeckt so super! Zusammen mit

    unseren Zutaten ist das großartig. Ja. Wir haben jetzt den BuxBurger auf der Karte.

    ZUSPIEL: Pfannengeräusche, etwas wird in heißes Öl gelegt, Brutzeln

    ZITATOR - Voiceover - OT Philip Paternotte: Die Gäste sind sehr neugierig. Die gucken

    zuerst. Dann sind sie still. Dann sprechen wir sie an: Was haltet ihr davon? Dann kommt da:

    Ja, heute noch nicht. Vielleicht morgen. Ich hab auch 'n Jahr gebraucht, um mich an die Idee

    zu gewöhnen, Insektenburger zu essen. Heute ist das für mich das normalste der Welt. - Und

    jetzt? Ich sag' s mal so: Es gibt schon Leute, die haben ein zweites Mal den BuxBurger

    bestellt.

    ZUSPIEL: Pfannengeräusche, etwas wird in heißes Öl gelegt, Brutzeln

    ZITATOR - Voiceover - OT Philip Paternotte: Irgendwie steckt der BuxBurger zwischen den

    Burgern aus Fleisch und den vegetarischen Burgern. Der BuxBurger hat - und das finde ich

    so toll und einzigartig daran - einen ganz eigenen Geschmack. Man kann den Burger nicht

    vergleichen mit den anderen Burgern.

    ZUSPIEL: Atmo, zurück in Osnabrück, Schritte, Burger werden aus der Packung geholt

    OT Max Krämer: Ich würd' auch gern mal einen Versuch mit dir starten, und zwar können

    wir ja auch mal den Burger einfach in die Pfanne schmeißen. Und wenn dich der Geruch

    nicht überzeugt, muß du ihn ja nicht probieren.

    ZUSPIEL: Pfannengeräusche, Musik "Stars & Stripes" von Sousa

    OT Max Krämer: Also, das schöne ist ja, daß du durch unsere Insektenburger noch stärker

    wirst, als wenn du einfach nur Rindfleisch essen würdest, weil wir zum einen einen sehr

    hohen Proteingehalt haben. Wir liegen da bei 24 Prozent, während 'nen Rindfleischburger

    etwa bei 18 Prozent liegt. Und das vorteilhafte an den Proteinen: daß sie eben sehr

  • hochwertig sind. Wir haben alle essentiellen Aminosäuren drin, d.h. die sind einfacher

    hochwertiger als die Eiweiße im Rindfleisch. Gleichzeitig sind die Fette auch besser. Wir

    haben kaum gesättigte Fettsäuren und haben größtenteils ungesättigte Fettsäuren. Und

    dann sind noch viele Mikro-Nährstoffe drin, wie Eisen oder Vitamin B12.

    OT Max Krämer: Ja, der Burger wäre jetzt auch so weit ... ich weiß nicht, ob du probieren

    möchtest ...

    SPRECHER: ... ich ... warte noch was ...

    OT Baris Özel: ... ich glaub, gleich ham wir ihn so weit ...

    OT Max Krämer: ... ja, ich glaub auch ...

    SPRECHER: ... glaub' nicht ...

    OT Max Krämer: ... wenn man erst mal sieht, wie gut das aussieht ... wie gut er sich anhört

    ...

    OT Baris Özel: ... wir haben auch auf Sound geachtet ...

    OT Özel/Krämer zugleich: ... mal zuhören (man hört es deutlich knirschen beim Schneiden)

    OT Max Krämer: ... ja, also Sounddesign war auch in der Produktentwickelung sehr wichtig

    ...

    OT Özel/Krämer zugleich: (beide lachen laut) ... nein, das ist natürlich wichtig, daß der

    knusprig ist und mit der Knusprigkeit kommt dann auch das Geräusch ...

    OT Baris Özel: ... so, wir machen mal den Anfang ... (Kaugeräusche von zwei

    Jungunternehmern)

  • OT Max Krämer: ... schmeckt genauso, wie er soll, perfekt ... (Kaugeräusche)

    OT Baris Özel: ... das wär' jetzt ja auch so 'n bißchen unfreundlich, wenn du uns das

    abschlagen würdest, den zu probieren ... wir ham dich in unser Haus eingeladen, haben dir

    einen Burger zubereitet ... ich glaub, in deinem Inneren bist du auch ein sehr ...

    OT Max Krämer: ... (fällt ihm ins Wort) ich sag mal so: Balu, der Bär, war auch ein ziemlich

    brummiger Typ, und der hat auch ziemlich viele Insekten gegessen ...

    SPRECHER: Tja, die Insektenbulette hab ich auch nicht getestet. - Die Erzieher in unserem

    Kindergarten waren mutiger. Selbst die größeren Heuschrecken und die nach Fischfutter

    riechenden Grillen haben sie probiert ...

    OT Kindergärtner: Ja, ich bin Marcel, 50 Jahre alt. Ich bin Nils, 45 Jahre alt. Ich fang mal hier

    mit so 'nem ... wie hießen die? ...

    SPRECHER: ... Grillen ...

    OT Kindergärtner: ... (kaut) ja, kann man essen, ist jetzt nicht, dass ich sag, schmeckt nicht.

    Erinnert mich so'n bißchen ... mhm ... ungewürzte Chips, find ich. - Also, ich probier jetzt

    mal so 'ne Heuschrecke, obwohl mich das so'n bißchen - so von der Größenordnung -

    Überwindung kostet. Also, Flügel ab ... die müssen also noch sozusagen (er bricht die Flügel

    ab, es knackt deutlich) ... eben abzupfen, oah ... (kaut lange) ... mhm, muß sagen, also, die

    find ich jetzt ganz lecker eigentlich. Die haben also so'n würzigen Geschmack auch. Also gar

    nicht, wie ich es mir vorgestellt habe. Mit Kopf oder ohne Kopf? (kaut munter weiter) Ich

    hatte jetzt bei den kleinen [Insekten] gar keinen Ekelfaktor, bei dieser größeren

    Heuschrecke ein wenig, aber den hab ich jetzt schon abgelegt. Also, da würd ich jetzt noch

    eine von essen, ohne dass ich denken würde, das ekelt einen ...

    ZUSPIEL: Brust oder Keule, wie Anfang, etwas länger stehenlassen

  • SPRECHER: Auf der Rückfahrt von Osnabrück kommt eine E-Mail. Kreca, einer der größten

    Insektenzüchter, lädt mich nun doch ein. - Ich fahre sofort nach Ermelo, einem

    holländischen Dörfchen zwischen Zwolle und Amersfoort.

    ZITATOR - OT Nico Rood- Voiceover: Wir sind hier bei Kreca, einer Abteilung der

    ProtiFarm-Gruppe. Wir züchten elf Insektenarten. Als Tierfutter und auch als menschliche

    Nahrung.

    SPRECHER: Hinter einem gepflegten Bauernhaus mit großem Blumengarten stehen

    mehrere Hallen. Nur selten erhalten Journalisten Einblick in diese Welt. Geschäftsführer

    Nico Rood lächelt.

    ZITATOR - OT Nico Rood- Voiceover: Es gibt unglaublich viele Anfragen von Journalisten.

    Das Thema ist sehr populär, ein boomender Markt. Aber die Insektenzüchterwelt ist

    ziemlich hermetisch. Alle diese Züchter haben ihre eigenen Methoden entwickelt, das

    Futter, die Art der Fütterung, die Zuchtmethoden - das wollen sie geheim halten, weil jeder

    Angst hat, daß die Konkurrenz davon erfährt. Dieser Markt wird extrem wachsen, es wird

    einen riesigen Boom geben, vor allem auf dem Gebiet des menschlichen Verzehrs. In fünf

    Jahren werden wir alle Insekten essen.

    SPRECHER: Nico Rood schlendert mit mir durch die Hallen. Eigentlich sieht es aus wie bei

    Tasty Bugs, nur viel, viel größer. Überall laufen Mitarbeiter herum und betreuen meterlange

    Regalreihen mit Insektenboxen.

    ZITATOR - OT Nico Rood- Voiceover: Angefangen haben wir mit Insekten als Tiernahrung.

    Daraus ist dann ein Zweig mit Insekten für menschliche Nahrung entstanden, vor acht

    Jahren. Wir dürfen fünf Arten von Insekten züchten. Zwei Arten von Grillen, Heuschrecken,

    Buffalowürmer und Mehlwürmer. Die Zucht der Buffalowürmer machen wir schon viele

    Jahre, die haben wir hier entwickelt und perfektioniert. Und die Buffalowürmer werden wir

    jetzt auf ganz großem Niveau züchten. Wir bauen eine neue Fabrik hier in Ermelo. Das wird

    der größte Insektenzuchtbetrieb der Welt. Komplett automatisiert. Im März wollen wir mit

    der Produktion beginnen. Dort werden täglich 10.000 Kilogramm Insekten produziert. In der

  • Anfangsphase. In der zweiten Phase sollen es 20.000 Kilogramm täglich werden. Sieben

    Tage die Woche. Rund um die Uhr. Alles für den menschlichen Konsum.

    SPRECHER: Mal nachrechnen. 10.000 Kilo Buffalowürmer am Tag. Das macht im Jahr 3.650

    Tonnen Insekten. - Wer soll die alle essen?

    ZITATOR - OT Nico Rood- Voiceover:: Jeder (lacht). Daraus entsteht eine große

    Produktpalette. Die Insekten werden als Fleischersatz benutzt, z.B. in Hamburgern, in

    Würstchen. Wir machen Eiweißpuder daraus, zum Beispiel für Fitness-Drinks. Wir können

    die Fette extrahieren, für Kosmetikprodukte oder auch Nahrungsmittel. Insekten werden

    getrocknet, so daß man sie in Pasta verarbeiten kann, indem ein Teil des Mehls durch

    Insektenmehl ersetzt wird.

    ZUSPIEL: Musik, Saint Saens, Karneval der Tiere, Voliers

    SPRECHER: Eine Frage geht mir nicht aus dem Kopf. Können - dürfen wir eigentlich so

    einfach Milliarden von Insekten züchten und töten? Sanft in den Kältetod schicken? In

    kochendem Wasser blanchieren? - Antworten von einem Mann, der nicht mehr in Zoos geht

    und schon lange kein Fleisch mehr ißt.

    OT Markus Wild: Mein Name ist Markus Wild. Ich bin Professor für Philosophie an der

    Universität Basel in der Schweiz, und mein Spezialgebiet sind Tiere, d.h. ich befasse mich

    mit Tierphilosophie, mit dem Unterschied zwischen Mensch und Tier, aber auch mit der

    Tierethik. Und ich glaube nicht, daß die Tatache, daß etwas ein Tier ist, alleine schon

    moralisch relevant ist. Man muß sich fragen, ab wann wird etwas, ja, zu einem Gegenstand

    moralischer Sorge oder moralischer Fürsorge. Und das passiert dann, wenn es einem Wesen

    besser oder schlechter gehen kann, also, wenn es empfindet, was mit ihm passiert. Das

    heißt, das zentrale ist so etwas wie Empfindungsfähigkeit, bewußte Empfindungsfähigkeit.

    Und ein schöner Marker dafür ist die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden.

    ZUSPIEL: Musik, Saint Saens, Kangorous,

  • OT Markus Wild: Und jetzt stellt sich die Frage: Auf welche Tiere trifft das zu? Und nach

    allem, was wir bislang wissen, trifft das auf alle Wirbeltiere zu. Das heißt: Säugetiere. Vögel.

    Fische. Lurche. Und Reptilien.

    OT Markus Wild: Ein Recht auf Leben oder so etwas wie ein Schutz vor Qualen - da ist

    Empfindungsfähigkeit gefragt. Also würde ich sagen: Natürlich gibt es Tiere, die man essen

    kann. Nämlich die außerhalb der Empfindungsfähigkeit fallen. - Beispiele für mich sind im

    Moment Schnecken, gewisse Insekten und Muscheln. Nach allem, was wir wissen, sind die

    nicht im Bereich der empfindungsfähigen Lebewesen.

    ZUSPIEL: Musik, Saint Saens, Aquarium

    SPRECHER: Aha. Also, Glück gehabt. Bitte einmal die große Meersfrüchte-Platte mit

    Insektenzugabe. Ohne schlechtes Gewissen. Und moralisch einwandfrei. - Oder doch nicht?

    OT Markus Wild: Wir gehen eigentlich immer davon aus - bei der Lösung aller anstehenden

    ökologischen Probleme - daß wir so weitermachen können wie bisher und nur die Mittel des

    Weitermachens wechseln können. Nehmen Sie das Elektroauto. Die große Lösung für alles.

    Irgendwoher muß der Strom kommen. Nehmen Sie Insekten. Wir wollen so viel essen wie

    bisher. Irgendwoher müssen die Grundmaterialien kommen. Das heißt: Wir leben immer

    noch in der Illusion eines uneingeschränkten Konsumverhaltens, das auch auf Lasten eines

    großen Teils der Bevölkerung geht. Und daß wir einfach die Mittel wechseln müssen, die

    bislang nicht so gut waren. Und das ist dieselbe Logik. Ob da jetzt Insekten in dieser Logik

    vorkommen oder Mastschweine, macht für diese Logik des Wachstums und des Weiter-So

    keinen Unterschied.

    ZUSPIEL: Musik, Brust oder Keule

    SPRECHER: Jetzt hab' ich immer noch keine Insekten gegessen. Außer den 400 Gramm, die

    jeder von uns ißt - ohne es zu wissen. - In meiner Tasche stecken die Fotos von Insekten

    unter Mülltonne und Hackklotz. Taugen diese Tierchen wirklich nichts?

  • ZUSPIEL: Atmo, wieder Landszene, wie eingangs, viele Vögel, draußen im Garten

    OT Rüdiger Nehberg: Ja, ich bin Rüdiger Nehberg, eigentlich Konditor von Beruf. Der Beruf

    hat mich nicht erfüllt, aber Reisen hat mich erfüllt. Vor allem das Reisen auf eigene Faust.

    Um mich auch von Straßen und Zivilisation entfernt bewegen zu können, habe ich mich

    immer für das Thema Survival interessiert. Ich kann klarkommen in der Natur wie ein Tier,

    ohne jede Ausrüstung. Und weil das bekannt geworden ist, daß ich Insekten mag - ich lebe

    nicht davon, aber ich weiß: ich hab's probiert, ich kann sie essen - war ich verschrien als

    Würmerfresser der Nation.

    SPRECHER: Rüdiger Nehberg - Jahrgang 1935 - ist schlank, drahtig, muskulös und: topfit. In

    seinem großen Garten suchen wir nach Insekten.

    OT Rüdiger Nehberg: Also, jetzt würde ich mit meinem Grabstock die Erde aufpflügen,

    dann wäre sie voller Würmer. - Würmer? Völlige Delikatesse. Wenn man die aus dem

    Misthaufen zieht und grillt, das ist wie Kohlroulade.

    OT Rüdiger Nehberg: Ich fing an mit einer Heuschrecke. Kopf zerdrücken, damit sie keine

    Schmerzen empfindet, die Hinterbeine rausreißen, weil da Widerhaken sind, die im Hals

    hängenbleiben können, wie 'ne Gräte, und dann stellt man fest: Mensch! Mit geschlossenen

    Augen - wenn man nicht wüßte, daß es eine Heuschrecke ist - die schmeckt knackig,

    süßlich, fettig. Wie eine Haselnuß. Und Mehlwürmer. Total lecker. Das ist gar kein

    Beigeschmack. Einfach Nahrung. -

    ZUSPIEL: Schritte

    OT Rüdiger Nehberg: Hier unter dem Baumstumpf werden wir jetzt einiges finden. Da hält

    schon mal 'ne Weinbergschnecke, aber die hat bei mir Naturschutz. Da sitzt sie. Und da

    drunter haben wir Asseln, Würmer, irgendwas, so'n Tausendfüßler, der wäre eßbar, da, noch

    einer. Da. Da wimmelt es doch hier, diese, diese ... Mauerasseln. Alles gute, eßbare

    Nahrung.

  • SPRECHER: An diesem Tag ißt Rüdiger Nehberg keine Insekten. Es gibt auch keinen Grund

    dafür. Wenn es nötig wäre, könnte Nehberg überall überleben - auch mit Insekten. Die Idee

    allerdings, mit Insekten den Hunger der Welt zu bekämpfen, betrachtet er mit gemischten

    Gefühlen.

    OT Rüdiger Nehberg: Ja, wenn man eine Heuschrecke von einer gesunden Wiese nimmt, ist

    sie eigentlich viel besser als jedes gedopte Schweinefleisch. Wenn man jetzt Insekten als

    Weltnahrung irgendwann herstellen wird, dann wird es nötig werden, auch wieder

    medikamentös einzugreifen, damit es diese Mengen werden, diese Tonnen von Fleisch.

    Und ich glaube, dann reduziert sich auch der Gesundheitsfaktor. Ja, da bin ich skeptisch.

    Lieber auf die Wiese gehen und 'ne einzelne Heuschrecke vernaschen.

    ZUSPIEL: Musik, Brust oder Keule

    ZITATOR: Made in Mayo. Insekten essen. Feature von Michael Arntz.

    ZITATORIN: Es sprachen: Philipp Schepmann, Tatjana Clasing, Aischa-Lina Löbbert und

    Jonas Baeck

    Ton und Technik: Ernst Hastmann und Jens Müller

    Regie: Fabian von Freier

    Redaktion: Klaus Pilger

    Produktion: Deutschlandfunk 2018.