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Musikstunde Sonne Folge 5 2

SWR2 Musikstunde 12. August 2011; Doris Blaich

"Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein ..."

(5) Licht und Finsternis

Intro Musikstunde SWR BW

Seit Yoga bei uns im Westen in ist, beginnen viele Menschen hier den Tag mit einem

Sonnengruß: man streckt sich nach oben zum Himmel, beugt sich runter zur Erde, und

macht dann eine Art Liegestütze. Dabei schauen die Augen zuerst zum Boden, dann in

einer Rückwärtsdehnung nach oben. Alles im Atemrhythmus und so entspannt wie

möglich. Jedenfalls ohne überflüssigen Kraftaufwand. Traditionell macht man die

Übung vor Sonnenaufgang. Sie belebt Körper und Geist und hat sicherlich noch

vielerlei andere günstige Nebenwirkungen. Letztlich geht es darum, eine Verbindung

zwischen Mensch, Erde und Himmel zu erleben.

Georg Friedrich Händel war eher ein Bewegungsmuffel. Aber sein Duett über die

aufgehende Sonne hat vielleicht eine ähnliche Auswirkung auf den Zuhörer wie der

Sonnengruß auf den Yogi. Im Text geht es um die Klarheit der Sinne und um die Kraft

der Vernunft, die die aufgehende Sonne mit ihrem Licht wachruft.

Musik 1 6’37

M0072375.018 Georg Friedrich Händel

As steals the morn upon the night, Duett aus

dem Oratorium L'Allegro, il Penseroso ed il Moderato

Lucy Crowe (Sopran), Mark Padmore (Tenor)

The English Concert, Andrew Manze

Das Duett “As steals the morn upon the night” von Georg Friedrich Händel – mit Lucy

Crowe, Mark Padmore und The English Concert. Andrew Manze hatte die Leitung.

Die Sonne gibt den Rhythmus von Tag und Nacht vor, nach dem sich das Leben auf der

Erde richtet. Zumindest war das lange Zeit so. 1879 hat Thomas Edison die Glühbirne

erfunden – mit der Folge, dass es zumindest in den Städten nie mehr richtig dunkel

wurde.

Der Stand der Sonne am Himmel ist aber bis heute der Maßstab für die Gebetszeiten

der christlichen Mönche: die Stundengebete. Der heilige Benedikt hat sie im 6.

Jahrhundert verbindlich eingeführt. Das erste Stundengebet findet vor Sonnenaufgang

statt, dann gibt es über den Tag verteilt weitere Gebete; ungefähr im dreistündigen

Abstand. Man beschließt den Tag mit der Komplet, wenn die Sonne untergegangen ist.

Gerade in den Texten der Komplet kommt das Spannungsverhältnis zwischen Tag und

Nacht besonders stark zum Ausdruck. „Christe qui lux es et dies“ heißt einer der

Hymnen daraus: „Christus, der du das Licht bist und der Tag. Du nimmst der Nacht die

Finsternis und bringst Licht in den Tag – Vorahnung des Lichts der Glückseligkeit“.

Musik 2 3’49

M0076800.003 William Byrd

Christe qui lux es et dies

Stile antico

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Musikstunde Sonne Folge 5 3

William Byrd: Christus, der du bist Tag und Licht, gesungen vom Ensemble Stile

antico.

Die Sonne ist ein Stern. Sie leuchtet seit fünf Milliarden Jahren. In ihrem Inneren gibt

es eine ständige Kernfusion: Sie wandelt dabei unentwegt Wasserstoff in Helium um,

400 Millionen Tonnen pro Sekunde. Irgendwann einmal – in ein paar Milliarden Jahren

– werden die Vorräte erschöpft sein. Wenn die Sonne dann stirbt, leuchten Milliarden

anderer Sterne weiter. Es gibt im Universum tatsächlich ewiges Licht.

György Ligeti hat das ewige Licht in Töne gefasst – in seiner Komposition „Lux

aeterna“ von 1966. Die Singstimmen bilden darin einen kunstvollen Kanon, bei dem

sich einzelne Töne umranken und umkreisen; dadurch entstehen schillernd bewegte

Klangbilder. Sie münden in glatte, statische Flächen; aus denen heraus entwickeln sich

dann wieder neue Kanon-Abschnitte. Ligeti selbst hat das Stück mit einem Bühnenbild

verglichen: Man kann es zunächst deutlich und in allen Einzelteilen sehen, dann steigen

Nebel auf, lassen die Konturen verschwimmen und neue Bilder erscheinen.

Manchmal wirkt der Klang, als seien Instrumente oder Glocken beteiligt – hier singen

aber ausschließlich 16 Sänger, ohne Begleitung.

Musik 3 10’06

M0079276.008 György Ligeti

„Lux aeterna“ für 16 Stimmen

Kammerchor Stuttgart, Frieder Bernius

Stanley Kubrick hat dieses Stück mit seinen flirrenden Klangflächen als Filmmusik für

seine Weltraumodyssee verwendet: „Lux aeterna“ – ewiges Licht – von György Ligeti.

Frieder Bernius leitete den Kammerchor Stuttgart. [Die Aufnahme ist übrigens auf

einer CD mit Begräbnismusiken enthalten. Der Text stammt aus der lateinischen

Totenmesse – und ist hier aber so in Klangsilben zerlegt, dass man ihn nicht im

Zusammenhang wahrnehmen kann. Es ist ein musikalisches Licht, dass nicht nur für

gläubige Christen leuchten soll.]

Um Licht und Finsternis geht es heute in der Musikstunde. Wir machen einen

Zeitsprung in die Barockzeit und landen bei Georg Muffat und seinem

Instrumentalstück „Propitia Sydera“ – auf deutsch: „Günstiges Gestirn“. Dass die

Sterne günstig stehen, ist eine sehr relative Beobachtung – es kommt drauf an, für wen;

besonders wenn man sie vor Kriegen und Kämpfen befragt.

Zu Muffats Zeit gab es vehemente Glaubenskriege, welcher Musikstil der bessere sei –

der italienische oder der französische Stil. Als einer von ganz wenigen Komponisten

hat Muffat beide Musikstile aus erster Hand kennengelernt – er hat in Frankreich bei

Jean-Baptiste Lully studiert und in Rom bei Arcangelo Corelli. In seinen eigenen

Stücken hat Muffat den italienischen und den franzöischen Stil beherzt miteinander

vermischt. Und er schreibt, er hoffe, damit keinen Krieg anzustiften, sondern „dem

lieben Frieden“ zu dienen.

Im „Günstigen Gestirn“ hat er das sehr überzeugend umgesetzt: Das Stück ist eine

Chaconne: ein Tanz mit einer Bassmelodie als Untergrund, die sich als Ostinato ständig

wiederholt. Die Chaconne war der Lieblingstanz von Ludwig dem Vierzehnten, dem

Sonnenkönig. Muffat baut in dieses sehr französische Stück Musik eine echt

italienische Ciaccona ein: ebenfalls ein Ostinato, aber viel schneller und mit feurigen

Synkopenrhythmen – in unserer Aufnahme beginnt die Ciaccona bei 4 Minuten 50.

Und etwa eine halbe Minute später schichtet Muffat dann Italien und Frankreich virtuos

übereinander: beide erklingen gleichzeitig, und der Reiz entsteht gerade dadurch, dass

es keinen Sieger und Verlierer gibt, sondern eine musikalische Win-Win-Situation.

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Musikstunde Sonne Folge 5 4

Musik 4

M0014702.021 8’50

Georg Muffat: Ciacona „Propitia Sydera oder Günstiges Gestirn”

Armonico Tributo, Lorenz Duftschmid

So klingt „ein bisschen Frieden“ auf barock: Lorenz Duftschmid und das Ensemble

Armonico Tributo waren das, mit einer französisch-italienischen Chaconne von Georg

Muffat namens „Propitia Sydera oder Günstiges Gestirn“.

Die Sonne leuchtet, aber durch ihr Licht entsteht auch Schatten. Der englische

Komponist John Dowland ist einer der ganz großen, wenn es darum geht, diesen

Schatten in Klang zu verwandeln. Dowlands lateinisches Motto heißt „Semper

Dowland, semper dolens“ – immer Dowland, immer klagend. In seinem Notendruck „A

musicall Banquet“ von 1610 hat er eines seiner ergreifendsten Gemälde einer

musikalischen Seelenfinsternis gezeichnet. „In darkness let me dwell“: „Laßt mich in

der Finsternis hausen. Sorge soll der Baugrund sein, und das Dach der Verzweiflung

soll alles heitere Licht von mir abhalten.“

Musik 5

M0110161.014 4’15

John Dowland: In darkness let me dwell

Dorothee Mields, Sirius Viols

Musik aus der Dunkelkammer des menschlichen Herzens: “In darkness let me dwell”

von John Dowland; gesungen von Dorothee Mields, und etwas aufgehellt wurde dieses

finstere Lied von den Sirius Viols – nicht nur durch den Namen des Ensembles: Sirius

ist ja der hellste Stern an unserem Himmel; er besitzt die 23-fache Leuchtkraft der

Sonne. Er leuchtet wie ein bläulich weißer Diamant; manchmal auch in allen

Regenbogenfarben.

[Licht ist fast unvorstellbar schnell: in einer einzigen Sekunde legt ein Lichtstrahl rund

300.000 Kilometer zurück, könnte also mehr als sieben Mal um den Äquator sausen.

Um die gigantischen Entfernungen im All mit einer einigermaßen handlichen Größe zu

berechnen, hat man deshalb das Lichtjahr definiert – es ist keine Zeit- sondern eine

Längenangabe: und zwar die Strecke, die ein Lichtstrahl innerhalb eines Jahres

zurücklegt: das sind 9.500 Milliarden Kilometer. ]

Das Licht, das wir heute von Sirius sehen können, war acht Jahre lang unterwegs –

Sirius ist also acht Lichtjahre weit entfernt von uns. Deutlich weiter als die Sonne: Bis

ihr Licht auf der Erde ankommt, vergehen gerade mal acht Minuten. Das Leuchten der

Sonne und der Sterne, das wir von der Erde aus wahrnehmen, ist immer ein Leuchten

der Vergangenheit. Mit einem Blick in den Himmel kann man also aus der Gegenwart

heraus in vergangene Zeiten sehen.

Musik 6 2’48

CD 19068228

Frédéric Chopin: Nocturne c-Moll op. posth.

Maria Joao Pires (Klavier)

Die Nocturne c-Moll op. posth. von Frédéric Chopin. Maria Joao Pires spielte in dieser

Aufnahme aus dem Jahr 1996.

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Musikstunde Sonne Folge 5 5

Das Licht der Sonne hat schon immer religiöse Gefühle im Menschen ausgelöst – ihr

Strahlen, ihr Auf- und Untergang und vor allem auch die Zwischentöne der

Dämmerung. Dem Sonnenuntergang und der Abenddämmerung verdanken wir einen

reichen Schatz an Wiegenliedern – sie stellen eigentlich immer auch die Frage, wie die

Seele an der Schwelle zur Nacht Ruhe finden kann und wer sie dann in der Dunkelheit

beschützen mag.

So auch ein Abendlied des englischen Barock-Komponisten Henry Purcell.

Die Bewegung der untergehenden Sonne zeichnet Purcell darin nach mit einer

absteigenden Basslinie – die zieht sich als Ostinato (als ständige Wiederholung) durch

das ganze Lied. Solche Ostinati sind normalerweise relativ quadratisch gestaltet: vier

oder acht Takte lang. Bei Purcell sind es fünf Takte. Der Grund und Boden ist hier also

asymmetrisch – in der Musik dieser Zeit absolut ungewöhnlich. Die Phrasen der

Singstimme, die darüber liegt, bewegen sich (im Gegensatz zum Bass) meistens in

Viererschritten, sodass es in diesem Lied immer wieder zu Überlappungen zwischen

Oben und Unten kommt. Das ist ein ganz besonderer Kunstgriff: Der Bass wiederholt

sich zwar die ganze Zeit, doch man nimmt das oft gar nicht mehr wahr, weil alles

verschoben ist – aber dann an den entscheidenden Stellen immer wieder

zusammenkommt. Eine durch und durch musikalische Antwort auf die Frage nach der

Seelenruhe.

Musik 7 5’14

M0073836.015

Henry Purcell: Now that the sun has veiled his light (An evening Hymn)

Nancy Argenta (Sopran), Paul Nicholson (Orgel)

Nancy Argenta und Paul Nicholson mit einem Abendgebet von Henry Purcell.

Unsere Musikstunden-Woche über die Sonne neigt sich dem Ende zu – noch einmal mit

einem musikalischen Sonnenuntergang. Er stammt aus einem barocken Gesangbuch,

das der Kantor Georg Christian Schemelli im Jahr 1736 zusammengestellt hat. Johann

Sebastian Bach hat sich darin um die Musik gekümmert – einige Lieder hat er neu

komponiert, bei anderen hat er alte Melodien mit einer neuen Begleitung versehen. So

auch bei diesem hier, dessen Text eine wunderbare Gelassenheit ausstrahlt:

„Der Tag ist hin, die Sonne gehet nieder.

Der Tag ist hin und kommet nimmer wieder.

Mit Lust und Last, er sei auch wie er sei.

Bös oder gut: es heißt er ist vorbei.“

Wir hören eine Instrumentalversion mit dem Leipziger Streichquartett.

Musik 8 1’38

M0124562.003

Johann Sebastian Bach: Der Tag ist hin, Choral BWV 447

Leipziger Streichquartett