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Systemanalytische Perspektive – Meilensteine einer No-Regret-Strategie ZSW Maike Schmidt [email protected] DLR Dr. Thomas Pregger [email protected] Fraunhofer IWES Prof. Dr. Clemens Hoffmann clemens.hoffmann@ iwes.fraunhofer.de Fraunhofer ISE Thomas Schlegl [email protected] ZAE Bayern Dr. Matthias Rzepka [email protected] Ziele der Energiewende Die mit dem Stromeinspeisegesetz 1991 bzw. dem Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 im Strom- sektor begonnene Transformation des Energiesystems ist die Grundlage für das Erreichen der Klimaschutz- ziele – Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 % und bis 2050 um 80-95 % gegenüber 1990. Das im September 2010 von der Bundesregie- rung vorgelegte Energiekonzept zeigt die entspre- chenden Umsetzungsstellungen auf [1]. Hierin wird den erneuerbaren Energien künftig die Funktion des Rückgrats des deutschen Energieversorgungssystems zuerkannt. Bis zum Jahr 2050 sollen sie 60 % des Energiebedarfs in Deutschland decken. Ihr Anteil im Stromsektor soll dabei mindestens 80 % betragen. Diese Zielsetzungen blieben auch durch die Energie- wendebeschlüsse der Bundesregierung im Sommer 2011 unberührt [2]. Das Oberziel des Klimaschutzes wurde lediglich durch ein zweites Oberziel – den Voll- zug des endgültigen Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie bis zum 31. Dezember 2022 – ergänzt. Damit ist das kurzfristig 2020 zu erreichende Klima- schutzziel ambitionierter geworden, da der als CO 2 -frei geltende Strom aus Kernreaktoren zusätzlich zu erset- zen ist. Dies kann insbesondere über eine Fortführung des dynamischen Ausbaus der erneuerbaren Energien erreicht werden, die im Jahr 2012 bereits 23,5 % des deutschen Stromverbrauchs deckten, wodurch rund 100 Mio. t CO 2 vermieden werden konnten [3]. Auch im Wärme- und im Verkehrssektor steigt der Anteil der erneuerbaren Energien, wenngleich deut- lich langsamer als im Strombereich. Insgesamt hatte der Einsatz der erneuerbaren Energien im Jahr 2012 eine emissionsreduzierende Wirkung von knapp 147 Mio. t CO 2 . Hieran gilt es auch in Zukunft anzu- knüpfen, denn ohne die erneuerbaren Energien wären im Jahr 2012 ebenso viele energiebedingte CO 2 -Emissionen entstanden wie 20 Jahre zuvor im Jahr 1992 [4]. Aktuell steigen durch den Ausstieg aus der Kernener- gie im Stromsektor die CO 2 -Emissionen wieder an. Es genügt jedoch nicht, diesen Trend nur aufzuhalten. Um das Reduktionsziel von –40 % bis 2020 zu errei- chen, ist die Emissionsminderungsgeschwindigkeit mindestens zu verdoppeln. Diese Entwicklungsdyna- mik gilt es auch über 2020 hinaus zu verstetigen, um das Erreichen der Langfristziele sicherzustellen. Abbildung 1 Klimaschutz als Treiber der Energiewende 2020 2030 2040 2050 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Stand der Stromwende Im Stromsektor haben die erneuerbaren Energien die erste Phase der Systemtransformation bereits durch- 18 Transformationsprozess Systemanalytische Perspektive FVEE Themen 2013

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Systemanalytische Perspektive – Meilensteine einer No-Regret-Strategie

ZSWMaike Schmidt [email protected]

DLRDr. Thomas Pregger [email protected]

Fraunhofer IWESProf. Dr. Clemens Hoffmann [email protected]

Fraunhofer ISEThomas Schlegl [email protected]

ZAE BayernDr. Matthias Rzepka [email protected]

Ziele der Energiewende

Die mit dem Stromeinspeisegesetz 1991 bzw. demErneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 im Strom-sektor begonnene Transformation des Energiesystemsist die Grundlage für das Erreichen der Klimaschutz-ziele – Reduktion der Treibhausgasemissionen bis2020 um 40% und bis 2050 um 80-95% gegen über1990. Das im September 2010 von der Bundesregie-rung vorgelegte Energiekon zept zeigt die entspre-chenden Umsetzungsstellungen auf [1]. Hierin wirdden erneuerbaren Energien künftig die Funktion desRückgrats des deutschen Energieversorgungss ys temszuerkannt. Bis zum Jahr 2050 sollen sie 60% desEnergiebedarfs in Deutschland decken. Ihr Anteil imStromsektor soll dabei mindestens 80% betragen.

Diese Zielsetzungen blieben auch durch die Energie-wendebeschlüsse der Bundesregierung im Sommer2011 unberührt [2]. Das Oberziel des Klimaschutzeswurde lediglich durch ein zweites Oberziel – den Voll-zug des endgültigen Ausstiegs aus der Nutzung derKernenergie bis zum 31. Dezember 2022 – ergänzt.

Damit ist das kurzfristig 2020 zu erreichende Klima-schutzz iel ambitionierter geworden, da der als CO2-freigeltende Strom aus Kernreaktoren zusätz lich zu erset-zen ist. Dies kann insbesondere über eine Fortführungdes dynamischen Ausbaus der erneuerbaren Energien

erreicht werden, die im Jahr 2012 bereits 23,5% desdeutschen Stromverbrauchs deckten, wodurch rund100 Mio. t CO2 vermieden werden konnten [3].

Auch im Wärme- und im Verkehrssektor steigt derAnteil der erneuerbaren Energien, wenngleich deut-lich langsamer als im Strombereich. Insgesamt hatteder Einsatz der erneuerbaren Energien im Jahr 2012eine emissionsreduzierende Wirkung von knapp147 Mio. t CO2. Hieran gilt es auch in Zukunft anzu-knüpfen, denn ohne die erneuerbaren Energienwären im Jahr 2012 ebenso viele energiebedingteCO2-Emissionen entstanden wie 20 Jahre zuvor imJahr 1992 [4].

Aktuell steigen durch den Ausstieg aus der Kernener-gie im Stromsektor die CO2-Emissionen wieder an. Esgenügt jedoch nicht, diesen Trend nur aufzuhalten.Um das Reduktionsziel von –40% bis 2020 zu errei-chen, ist die Emissionsminderungsgeschwindigkeitmindestens zu verdoppeln. Diese Entwicklungsdyna-mik gilt es auch über 2020 hinaus zu verstetigen, umdas Erreichen der Langfristziele sicherzustellen.

Abbildung 1

Klimaschutz als Treiberder Energiewende

2020

2030

2040

2050

1990

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

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2006

2007

2008

2009

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Stand der Stromwende

Im Stromsektor haben die erneuerbaren Energien dieerste Phase der Systemtransforma tion bereits durch-

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Transformationsprozess • Systemanalytische PerspektiveFVEE • Themen 2013

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schritten, in der es vorrangig darum geht, durch eineentsprechende Ausbaudynamik den Marktein stieg zuerreichen. Aktuell befindet sich die erneuerbareStromerzeu gung bereits in der zweiten Phase, der beginnenden Marktdurchdringung. In dieser Phaseentstehen Wechselwirkungen mit dem etablierten System, die es zu beobachten und, falls erforderlich,zu lenken gilt, um nicht vom langfristigen Zielpfadabzuweichen und um das Entstehen von Lock-in- Effekten zu vermeiden, die sich nur mit hohen Wech-selkosten korrigieren lassen würden.

Im Jahr 2012 deckten die erneuerbaren Energien be-reits 23,5% des deutschlandweiten Stromverbrauchs,dabei stammten 12,7% aus den fluktuierenden Quel-len Wind und Solarstrahlung. Durch eine hoheDurch dringung in einzelnen Regionen – dies trifft ins-beson dere auf die Windenergienutzung im NordenDeutschlands zu – kommt es immer häufiger zu Net-zengpasssituationen und der erneuerbare Strom wirdabgeregelt, obgleich jenseits des NetzengpassesNachfrage für diesen Strom bestanden hätte.

Zudem ist – bedingt durch das im EEG verankerteVermarktungsgebot über den Spotmarkt der EEX –ein signifikanter Einfluss der erneuerbaren Stromer-zeugung auf den Börsenstrompreis erkenn bar. DieFluktuation der erneuerbaren Erzeugung stellt zuneh-mende Flexibilitätsanforderun gen an den Kraftwerk-spark, da beispielsweise durch hohe Gleichzeitigkeitsehr steile Last gradienten entstehen. Dies wird weiterzunehmen, da Wind- und Solarenergie sowohl poten zialseitig als auch aus Kostengründen zukünftigdie Hauptenergieträger sein müssen.

Verknüpfung Strom–Wärme–Verkehr

Effiziente Lösungen zur Integration bzw. sinnvollenNutzung dieser fluktuierenden Stromer zeugung, ins-besondere wenn sie aufgrund von Netzrestriktionenoder fehlender Nachfrage zum Zeitpunkt der Erzeu-gung nicht im Stromsektor genutzt werden kann,bietet die intelli gente Verknüpfung mit den verblei-benden Anwendungssektoren Wärme und Verkehr.

Eine klassi sche Kopplung des Strom- und Wärmesek-tors besteht bereits im Rahmen der verschiedenenAnwendung der Kraft-Wärme-Kopplung, die häufigbereits auf der Nutzung von erneuerba ren Energien,in diesem Fall den unterschiedlichen Formen der Bio-masse, basiert.

Auch in einem weiteren Bereich der Nutzung erneu-erbarer Energien im Wärmesektor besteht die Ver-knüpfung zum Stromsektor. Denn die zur Nutzungvon Umweltwärme und oberflächen naher Geother-mie eingesetzten Wärmepumpen werden ausschließ-lich elektrisch betrieben.

Wärmewende noch am Anfang

Insgesamt war der Anteil der erneuerbaren Energienim Wärmesektor im Jahr 2012 mit rund 12% jedochdeutlich geringer als im Stromsektor [3]. Zudem istim Bereich der erneuerbaren Wärmebereitstellung dieWachstumsdynamik deutlich geringer als im Strom-sektor. Das im Energiekonzept der Bundesregierungformulierte Ziel bis 2050 einen klimaneutralen Ge-bäudebestand erreichen zu wollen, verlangt auch imWärmesektor nach neuen Lösungen. Klimaneutralbedeutet dabei, dass der Energiebedarf eines Gebäu-des im Zuge von Sanierungen soweit wie möglich re-duziert wird und der verbleibende Bedarf weitestge-hend bzw. vollständig aus erneuerbaren Energien zudecken ist [1]. Da neben den genannten OptionenBiomasse und Geothermie bzw. Umweltwärme alsweitere Technologie der erneuerbaren Wärmebereit-stellung lediglich noch die Solarthermie zur Verfü-gung steht, scheint es hier sehr sinnvoll, durch eineVerknüpfung mit der erneuerbaren Stromerzeugungund einer Hybridisierung der Wärmesysteme dasA nwendungsspektrum von erneuerbaren Energien imWärmesektor zu erweitern.

Lösung Nachtspeicherheizung?

Wie Abbildung 2 (S. 20) deutlich zeigt, treten Strom-überschüsse aus erneuerbaren Energien in einer nen-nenswerten Größenordnung erst langfristig bei ent-sprechenden Anteilen der Erneuerbaren an derStromerzeugung (ab ca. 60%) auf. Bis 2020 bedarfes daher nicht zwangsläufig einer Nutzung vonStromüberschüssen. Dennoch kann auch im Zeit-raum bis 2020 eine Verknüpfung mit dem Wärme -system sinnvoll sein, um die Flexibilitäts anforde -rungen zur Stabilisierung des Stromsystems erfüllenzu können.

Hier gilt es jedoch genau zu prüfen, welche Anwen-dungen auch mit Blick auf das Erreichen des Lang-fristziels sinnvoll sind. So wird beispielsweise unterdem Deckmantel der Integration von erneuerbaremÜberschussstrom der Nachtspeicherheizung zu einerRenaissance verholfen [5]. Dies ist jedoch keineO ption auf dem Weg zu einem nachhaltigen und zukunftsfähigen Energiesystem, da Nachtspeicher -heizungen die erforderlichen Anforderungen an deneffizienten und sparsamen Einsatz von Energie nichterfüllen. Hinzu kommt, dass die Nachtspeicher -heizung als alleiniges Heizsystem keine Flexibilitätsondern eine dauerhaft hohe Nachfrage nach Strom darstellt. Somit erhöhen Nachtspeichersystemeschlechtestenfalls die Gesamtlast und letztlich auchden CO2-Ausstoß des Gesamtsystems. Die ungleicheregionale Verteilung der Nachtspeicherheizungen,die vornehmlich im Süden Deutschlands zu finden

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Transformationsprozess • Systemanalytische Perspektive FVEE • Themen 2013

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sind, kann diesen negativen Effekt verstärken. StarkeWindstromerzeugung im Norden Deutschlands, dietheoretisch mit dem Einsatz von Nachtspeicherhei-zungen komplementär sein könnte, würde bei dergegenwärtigen Netzsituation den Verbraucher imSüden nicht erreichen, da die Transportkapazitätenschlicht nicht vorhanden wären. Auch für Demand-Response-Maßnahmen und somit eine Flexibilisie-rung der Nachfrage zu Zeiten der Höchstlast stehenNachtspeicherheizungen derzeit nicht zur Verfügung,da sie zum Zeitpunkt der Höchstlast – in der Regel inden frühen Abendstunden, zwischen 17:00 und21:00 Uhr – gar keinen Strom aus dem Netz bezie-hen [6]. Somit können sie auch nicht durch Abschal-ten zur Lastreduzierung und damit zur Systemstabili-sierung eingesetzt werden. Nachtspeicherheizungenstellen demnach keine erstrebenswerte Verknüpfungdes Strom- und Wärmesystems im Sinne eines opti-mierten Gesamtsystems dar.

Leistungsbedarf konventioneller thermischer Kraftwerkeschwankt zwischen 65/50 und 0 GW, � enorme Anforderungen an die Flexibilität im Energiesystem

Wachsende EE-Überschüsse fluktuierenstark mit hohen Gradienten und erfordern neben Netzausbau Kurz- und Langzeitspeicherung

2020 2050

Abbildung 2

Zukünftiger Residuallastverlauf

in Deutschland (Simulation für die Jahre

2020 und 2050 aufBasis der realen Wind-verhältnisse des Jahres

2006).

Sektorenverknüpfung zur Optimierungdes Gesamtsystems

Wie die Verknüpfung des Strom- und Wärmesektorsim Sinne einer No-Regret-Strategie im Transformati-

onsprozess des Energiesystems sinnvoll umgesetztwerden kann, zeigt Abbildung 3.

Auch bei einem solchen System gilt es verschiedeneAspekte zu beachten:

• Wird erneuerbarer Strom als Primärenergieim Wärmesektor eingesetzt, erhöht dies den regenerativen Anteil und bei der in Abbildung 3gezeigten Umsetzung auch die Effizienz im Wär-mesektor. Dies gilt auch für den Einsatz von miterneuerbarem Strom betriebenen Wärmepum-pen, sofern sie im Neubau oder entsprechendenergetisch sanierten Bestandsgebäuden einge-setzt werden. Zu beachten sind jedoch auch hierdie Wechselwirkungen mit dem Stromsektor mitBlick auf das Erreichen des Klimaschutzziels.

• Zusätzliche Stromlasten im Wärmesektor erfor-dern im Bedarfsfall eine Deckung über regelbareKapazitäten. Daher müssen zusätzliche Lastenüber Wärmespeicher ausreichend flexibilisiert seinund auch ohne erneuerbare Stromüberschüssegedeckt werden können.

• Der KWK-Betriebmuss zukünftig an den Strom-bedarf angepasst werden. Um dies zu erreichen,

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sind ggf. Anreize für Erzeugungsmanagement unddie Installation von Wärmespeichern erforderlich.Jedoch sind bei der Anpassung der Betriebsweiseinsbesondere die Auswirkungen auf die CO2-Emis sionen zu beachten. Solange die Flexibilitäts-anforderungen des Systems dies noch nicht ver-langen, sollte mit Blick auf das Klimaschutzziel diewärmebedarfsorientierte Fahrweise zunächst fort-gesetzt werden.

• Werden erneuerbare Stromüberschüsse im Wär-mesektor genutzt und gehen somit dem Systemnicht verloren, erhöht dies die Effizienz des Gesamtsystems. Auch diesbezüglich muss überAnreize nachgedacht werden, sofern der Marktselbst keine entsprechenden oder die falschen Signale setzt.

• Insgesamt betrachtet erhöht der verstärkte Einsatzvon Fern- und Nahwärmever sor gungs sys te -men die Effizienz des Gesamtsystems und bietetein hohes Flexibili sierungs potenzial zu geringenKosten.

• Jedoch dürfen diese flexiblen Lasten nicht denRückbau unflexibler konventioneller Kraft-werke verzögern, was den Systemkonflikt ver-schärfen würde, statt ihn zu mildern.

• Zudem ist dafür Sorge zu tragen, dass Last- undErzeugungsmanagement nicht zu einer zustarken Synchronisierung führen, da eine zu hoheGleichzeitigkeit zu regionalen oder lokalen Netz-überlastungen führen würde.

Abbildung 3

Schema einer Kopplungvon Strom- und Wärmesystem zur Unterstützung desTransformations -prozesses

Zielkonformität prüfen

Wie wichtig die Berücksichtigung der genanntenAspekte und die am Gesamtziel orientierte Gestal-tung der Rahmenbedingungen sind, zeigen ersteModellrechnungen. Der Wunsch nach einer vollstän-digen und möglichst kostengünstigen Integration derfluktuierenden erneuerbaren Energien in ein ver-knüpftes Strom-Wärme-System kann zu deutlich höheren CO2-Emissionen des Zielsystems führen.Erste Modellrechnungen ergaben, dass diese bis zu30% über den Emissionen eines nicht integriertenBasisszenarios und entsprechender Abregelung vonerneuerbaren Stromüberschüssen liegen können [7].Aus diesem Grund sind der Vorbereitung und Beglei-tung der Marktintegration und der optimalen Kopp-lungen von (neuen) Infrastrukturen durch weitereSy stemanalysen besondere Bedeutung beizumessen.

Optionen für Lastausgleich

Der zukünftige hohe Lastausgleichsbedarf in derStromversorgung erfordert die Realisierung und Ver-netzung von Ausgleichsoptionen zusätzlich zu einemflexiblen Kraftwerkspark zur Restlastdeckung. Gleich-zeitig bedingen im Wärmesystem die Effizienzzieleund Zielsetzungen für die erneuerbaren Anteile eineVernetzung der Energieinfrastrukturen.

Für den Lastausgleich in der Stromversorgung gibt esindes mehrere Optionen. Dazu zählen

• flexible KWK mit Wärmespeicher • Elektroheizer als zusätzliches Element in KWK- basierten Nahwärmesystemen

• langfristig die elektrolytische Bereitstellung vonWasserstoff und/oder dessen Methanisierung zur

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FVEE • Themen 2013

Herstellung eines synthetischen Erdgassubstitutsauf der Basis der Nutzung von erneuerbaremStrom

• Backup-Kraftwerke, insb. Gas- und Dampfkraft-werke und Gasturbinen (die langfristig mit erneu-erbarem Methan betrieben werden können)

Um diese Optionen systemdienlich und zielkonformin den Transformationsprozess zu integrieren, sindzusätzliche räumlich und zeitlich aufgelöste Analysenerforderlich, die nicht zuletzt die Perspektiven unter-schiedlicher Strukturoptionen für den Lastausgleichaufzeigen werden. Hieraus werden sich wichtige Ent-scheidungshilfen für die erforderliche Gestaltung derRahmenbedingungen für den weiteren Erfolg derEnergiewende ableiten lassen.

Literaturangaben

[1] Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-logie/Bundesministerium für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit; Energiekonzeptder Bundesregierung, Berlin, September 2010.

[2] Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-logie/Bundesministerium für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit; Der Weg zur Energie der Zukunft – sicher, bezahlbar und um -weltfreundlich – Eckpunkte für ein energiepoli-tisches Konzept, Berlin, Juni 2011.

[3] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit, Erneuerbare Energien inZahlen – Nationale und internationale Entwick-lung, Berlin, Stand Juli 2013.

[4] Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-logie, Zahlen und Fakten – Energiedaten Natio-nale und Internationale Entwicklung, Berlin,Stand August 2013.

[5] Frank Merten, Wuppertal Institut für Klima, Um-welt, Energie GmbH, Renaissance der Nacht-speicherheizung als Beitrag zu Energiewende?,Vortrag anlässlich des Kongresses „Erneuerbare(neu) vernetzt! intelligent – stabil – bezahlbar –bürgernah“; 3. Kongress der Deutschen Um-welthilfe e. V. zum ökologischen und regionalakzeptierten Umbau der Stromnetze, Berlin,Heinrich-Böll-Stiftung, 20. Februar. 2013.

[6] Klobasa, M. et al, Lastmanagement als Beitragzur Deckung des Spitzenlastbedarfs in Süd-deutsch land, Endbericht einer Studie vonFraunhofer ISI und der Forschungs gesell schaftfür Energiewirtschaft im Auftrag der AgoraEnergiewende, August 2013, Berlin.

[7] Felix Uhlmann, Dynamische Simulation deswirtschaftlichen Einsatzes hybrider Wärmebe-reitstellung auf Basis von Technologieclustern,Bachelorarbeit an der Universität Stuttgart, Institut für Feuerungs- und Kraftwerkstechnik inZusammenarbeit mit dem Zentrum für Sonnen-energie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg, Stuttgart, Oktober 2013 (unver-öffentlicht).

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Techno-ökonomische Perspektive – Systeminnovationen am Beispiel des Strom-Wärme-Systems

DLREvelyn [email protected]

Wuppertal InstitutDr. Peter [email protected]

Flexibilisierungsoptionen durch Kopplung von Strom- und Wärmemarkt

Eine zukünftige Herausforderung der Energiewendewird darin bestehen, zunehmende Stromnetzeinspei-sungen von fluktuierenden erneuerbaren Energien(FEE) in das Energiesystem zu integrieren. Neben denFlexibilitäten im Stromsystem sollten dabei auch dieMöglichkeiten des Wärmemarktes zur Stabilisierungdes Strommarktes berücksichtigt werden. So könnenKraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK), Elektrohei-zer und Wärmepumpen als Verbindungstechnologienzwischen Strom- und Wärmemarkt abhängig vomFEE-Dargebot und damit auch den Preissignalen desStrommarktes zu- bzw. abgeschaltet werden. Dazuwerden Wärmespeicher benötigt, da die Flexibilisie-rung nur möglich ist, wenn die Produktion von derWärmenutzung entkoppelt werden kann. Eine beson-ders aussichtsreiche Kopplung von Strom- und Wärmemarkt ist im Bereich der Fernwärmesystememöglich, da sich hier große Energiemengen in Fern-wärmespeichern im Vergleich zu dezentralen Lösun-gen kostengünstiger und effizienter speichern lassen.

„Smarte“ Fernwärmesysteme

Bislang wurden kleinere KWK-Anlagen der Nah- undFernwärmeversorgung überwiegend wärmegeführt,d. h. ohne Berücksichtigung der Signale des Strom-marktes betrieben. Mit steigendem Anteil erneuer -barer Energien im Strommarkt wird es jedoch erfor-derlich sein, den Betrieb der KWK durch den Einsatzgroßer Wärmespeicher zu flexibilisieren, um dieKWK-Stromerzeugung mit dem Dargebot an FEE unddamit auch den volatilen Strompreisen zu harmoni-sieren. Damit können KWK-Anlagen als Technologiezur Reduktion von CO2-Emissionen und zur Einspa-rung von Primärenergie nicht nur zur Erreichung derenergiepolitischen Ziele der Bundesregierung, son-dern auch zur Stabilisierung des Strommarktes bei-tragen.

Ein strommarktorientierter Betrieb bedeutet für KWK-Anlagen eine Verlagerung der Produktion in Zeitenhoher Börsenstrompreise. In der Folge vermindernsich die Laufzeiten der KWK-Anlagen und damit auchdie Abwärmeproduktion für die Fernwärmenetzein-speisung. Dadurch steigt der Bedarf an alternativenWärmeerzeugern, die die phasenweise fehlendeKWK-Abwärme ersetzen können.

Eine stärkere Auslastung des i. d. R. ohnehin vorhan-denen konventionellen Spitzenlastkessels (SLK) istdabei sowohl aus ökologischer als auch ökonomi-scher Sicht nicht anzustreben. In Dänemark ist in die-sem Zusammenhang ein regelrechter Boom der Fern-wärmenetzeinspeisung solarer Wärme aus großenFreiflächenanlagen zu beobachten.

Zusätzliche Flexibilität im System bieten elektrischeWiderstandsheizungen und Wärmepumpen. Diesekönnen nicht nur phasenweise die Wärmeversorgungaufrechterhalten, sondern tragen durch die Verhei-zung von Stromüberschüssen zudem zur Stabilität imStrommarkt bei. Während in Deutschland eine der-artige Kopplung von Strom- und Wärmemarkt als innovativ zu bezeichnen wäre, sind solche Systemein Dänemark bereits weitverbreitete Praxis.

Techno-ökonomische Betrachtungen verschiedener Erzeugungsvarianten

Das Zusammenspiel der oben dargestellten flexiblenErzeuger in KWK-basierten Fernwärmesystemen wirdmit Hilfe dynamischer Simulationen (TRNSYS) ana -lysiert und aus ökonomischer Sicht bewertet. Dabeisteht zunächst der Einfluss volatiler Börsenstrom-preise auf die Wirtschaftlichkeit von solarthermischunterstützten Fernwärmesystemen bei heutigen ener-giewirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Spotmarkt -preisverlauf 2012) im Vordergrund. Dazu werden dieKosten eines Fernwärmesystems bestehend ausstromgeführter KWK sowie SLK verglichen mit den-jenigen, die sich durch Ergänzung des Systems umein Solarkollektorfeld ergeben. Die Untersuchungenwerden beispielhaft für ein (fiktives) Fernwärme -system mit den in Tabelle 1 wiedergegebenen Kenn-werten vollzogen. Exemplarisch ist die Schaltskizzefür das Fernwärmesystem mit Einbindung des Solar-kollektorfeldes in Abbildung 1 dargestellt.

Der Einsatz der Wärmeerzeuger im Modell orientiertsich an den Preissignalen der Strombörse. Ungeach-tet des solarthermischen Angebots wird die KWK-An-lage erst ab einem Börsenstrompreis betrieben, ober-halb dessen die Grenzkosten der Wärmeerzeugungder KWK-Anlage diejenigen des SLK unterschreiten.Im Modellfall liegt diese Schwelle bei 18 A/MWh. Dierote Linie in Abbildung 2, links, lässt erkennen, dasssomit in 2012 ein gegenüber dem SLK rentabler Be-trieb der KWK-Anlage (noch) in der überwiegendenAnzahl der Jahresstunden möglich ist.

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Transformationsprozess • Techno-ökonomische Perspektive

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Tabelle 1

Kennwerte des betrachteten

Fernwärmesystems

Fernwärmenetz Netzeinspeisung: 12.700 MWh/a, Jahreshöchstlast: 5 MW Netzauslegungsbedingungen: 95/60°C

Erdgas-BHKW Elektrische Leistung: 1,4 MW, thermische Leistung: 1,5 MW Gesamtwirkungsgrad: 85 %

Erdgas-SLK Thermische Leistung: 5 MW Wirkungsgrad: 90 %

Solar-Flachkollektor Kollektorfläche: 4.000 m² η0=0,82 �α1=2,43 W/(m²K) �α2=0,012 W/(m²K²) Aufstellwinkel 40°, Azimut 0°

Thermischer Speicher Speichervolumen: 1.500 m³ (entsprechend 12 h Jahreshöchstlast)

Abbildung 1

Schaltskizze für ein KWK-basiertes

Fern wärme netz mit Solarkollektorfeldund Spitzenlastkessel

(SLK)

100

80

60

40

20

0

–20J F M A M J J A S O N D

(E/MWh)100

80

60

40

20

0

–20J F M A M J J A S O N D

(E/MWh)Spotmarktpreisverlauf 2012 Spotmarktpreisverlauf 2020Abbildung 2

SpotmarktpreiseVerlauf der historischen

Spotmarktpreise in2012 (links) sowie dersynthetisch generierten

Spotmarktpreise für2020 (rechts).

Die rote Linie markiertjeweils die Strompreis-schwelle, oberhalb der

der Betrieb der KWK-An-lage gegenüber dem

des SLK die günstigereErzeugungsoption ist.

Transformationsprozess • Techno-ökonomische Perspektive

Unabhängig von den Signalen des Strommarkteskann die KWK-Anlage nur produzieren, solange derSpeicher noch freie Kapazitäten hat. Dabei sorgt einintelligentes Speichermanagement dafür, dass dieKWK-Anlage nur in den Stunden mit den höchstenBörsenstrompreisen in Betrieb ist, um zu vermeiden,dass beispielsweise der Speicher trotz eines geradeansteigenden Börsenstrompreisverlaufes bereits voll-geladen ist. Hierzu wird unterstellt, dass der Anlagen-betreiber die Börsenstrompreise, den Verlauf des Wärmebedarfs sowie das solare Dargebot für dienachfolgenden 24 Stunden vorhersehen kann. Die

KWK-Anlage konkurriert mit der Solarthermieanlageum freie Speicherkapazität. Dabei hat die Solarther-mieanlage wegen ihrer niedrigen Grenzkosten bis zueiner Strompreisschwelle von 67 A/MWh Vorrang;erst oberhalb dieser Schwelle stellt sich der Betriebder KWK aufgrund hoher Stromerlöse kostengünsti-ger dar. Der SLK ist bei fehlendem Solardargebot undBörsenstrompreisen unterhalb von 18 A/MWh diebetriebswirtschaftlich günstigste Erzeugungsoptionund dient generell der Nachheizung, sofern die KWK-bzw. Solaranlage nicht die erforderliche Vorlauftem-peratur erbringen können.

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Als Bewertungskriterium der Wirtschaftlichkeit wer-den die spezifischen Systemwärmekosten der unter-schiedlichen Erzeugungsoptionen berechnet und verglichen. Diese verstehen sich als Verhältnis derSumme der jährlichen Vollkosten der einzelnen Erzeu-gungsalternativen (Betriebskosten sowie annualisierteInvestitionen, bei KWK abzüglich Erlösen aus demStromverkauf, dem KWK-Zuschlag und den vermie-denen Netznutzungsentgelten (vNNE)) zur Jahres -gesamtwärmeerzeugung. Die Kosten des Fernwär-menetzes bleiben beim ökonomischen Vergleich derErzeugungsvarianten unberücksichtigt. Die ökonomi-schen Parameter für die Berechnung sind in Tabelle 2zusammengefasst.

Getrennt nach den Erzeugungsvarianten fasst die un-tenstehende Tabelle 3 die Berechnungsergebnisse derSimulationsläufe (meteorologische Daten: Würzburg2012) zusammen. Zusätzlich werden als Referenz dieErzeugungsstruktur und -kosten bei der heute nochüblichen wärmegeführten KWK-Fahrweise1 ausge-wiesen (Vergütung des KWK-Stroms nach üblichemPreis).

Es zeigt sich, dass sich der strompreisorientierte Betrieb der KWK-Anlage trotz leicht abnehmendenDeckungsanteils und trotz zusätzlicher Investition inden Wärmespeicher bereits heute wirtschaftlicherdarstellt als die wärmegeführte Fahrweise. Dies be-gründet sich dadurch, dass die KWK-Anlage imstrom preisorientierten Betrieb im Durchschnitt höhe re Stromerlöse erzielt. Mit Hilfe von TRNSYS-

1 Anders als bei der stromgeführten Fahrweise steht der KWK-Anlagebeim wärmegeführten Betrieb nur ein Speichervolumen von 30 m³ zur Verfügung.

Simulationsläufen kann zudem dargestellt werden,wie der Einsatz von Solarthermie die Laufzeit des SLKbei strommarktorientiertem Betrieb der KWK-Anlageverkürzt. Es wird jedoch auch ersichtlich, dass beiheutigen Börsenstrom- und Gaspreisen die Ergän-zung von Fernwärmesystemen um solarthermischeAnlagen (noch) nicht wirtschaftlich ist.

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Tabelle 2

Ökonomische Rahmenbedingungen

Ökonomische RandparameterZinssatz 4 %

Kalkulationsdauer 20 a

Erdgaspreis 34,5 a/MWhHiErdgassteuer 5,5 a/MWhHs (BHKW ist von dieser befreit)

Komponentenspezifische ParameterSpez. Investition Fixe Betriebskosten Variable Betriebskosten

BHKW 850 a/kWel 2 % /a 10 a/MWhelSLK 75 a/kWth 2 % /a 0,13 a/MWhthSolarkollektorfeld 220 a/m² (Systempreis) – 1 a/MWhthSpeicher 200 a/m³ – –

Tabelle 3

Ergebnisse der techno-ökonomischen Untersuchungen unterheutigen Rahmen -bedingungen

Referenz: wärmegeführteKWK + SLK

Stromgeführte KWK+SLK

Stromgeführte KWK+SLK+ Solar

Deckungsanteile

KWK 74 % 71 % 61 %

SLK 26 % 29 % 24 %

Solar 0 % 0 % 15 %

Spez. Systemwärmekosten 40,2 a/MWhth 40,0 a/MWhth 41,3 a/MWhth

Transformationsprozess • Techno-ökonomische Perspektive

Mittelfristige Perspektive bei steigendemAnteil erneuerbarer Energien in derStromerzeugung

Mit zunehmenden Anteil erneuerbarer Energien imStrommarkt sind verstärkt Situationen zu erwarten,in welchen konventionelle Kraftwerke und damitauch erdgasbasierte KWK-Anlagen nicht zur Deckungder Stromnachfrage benötigt werden. Gleicher -maßen ist zu vermuten, dass die Anzahl der Stundenzunimmt, in denen die KWK-Anlage nicht wirtschaft-lich betrieben werden kann. Die oben vorgestelltenFlexibilitätsoptionen werden daher auch für den Szenarienhorizont 2020 simuliert und bewertet. Dazuwird der Verlauf der Börsenstrompreise in 2020 anhand einer für 2012 festgestellten Korrelation zwi-schen Spotmarktpreisen und Residuallast generiert(Datenquelle für Einspeisung aus FEE sowie Börsen-strompreise 2012: http://pfbach.dk; für Lastdaten: ENTSO-E).

Die Residuallast in 2020 wird wiederum anhand historischer, normierter Einspeiseprofile von erneuer-baren Energien sowie der nach BMU-„Leitstudie“[Nitsch et al. 2012] installierten Leistungen an EE-An-lagen in 2020 konstruiert. Im Gegensatz zum heuti-

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FVEE • Themen 2013

gen Marktdesign werden negative Strompreise fürdas Jahr 2020 nicht zugelassen. Der Verlauf der syn-thetischen Strompreise ist in Abbildung 2, rechteSeite, zu erkennen. Der Gaspreis in 2020 wird gemäß[Matthes 2010] mit 40 U/MWhHi (ohne Erdgas-steuer) angenommen. Aufgrund des gegenüber2012 gestiegenen Gaspreises steigt die Börsenstrom-preisschwelle, oberhalb welcher der Betrieb der KWK-Anlage wirtschaftlicher als der des SLK ist, auf ca.24 U/MWh (siehe auch Abbildung 2, rechts). Als zu-sätzliche Erzeugungsoption wird für das Szenarien-jahr 2020 ein Elektroheizstab, der in den Wärme -speicher integriert ist (1 MWth, 120 U/kW spez.Investition), berücksichtigt. Beim Betrieb des Heiz -stabes müssen für den Strombezug annahmegemäßEntgelte (Steuern, Abgaben etc.) in einer Gesamt-höhe von 40 U/MWhel entrichtet werden, so dassder Heizstab gegenüber dem SLK (und insbesonderegegenüber der KWK-Anlage) erst unterhalb vonStrompreisen von etwa 11 U/MWh die günstigereE rzeugungsoption ist. Unter Berücksichtigung des in2020 veränderten Börsenstrompreisverlaufes unddem höheren Gaspreis werden unterschiedliche Erzeugungsvarianten von stromgeführter KWK, SLK,Solarthermie und Heizstab techno-ökonomisch ana-lysiert. Bezüglich der technischen Parameter und derVerschaltung der Komponenten gelten dieselben Bedingungen wir für das für 2012 untersuchte System. Die Ergebnisse der Untersuchung sind in Tabelle 4 wiedergegeben.

Wie aus Tabelle 4 ersichtlich, sollten KWK-Anlagennicht nur aus systemanalytischer, sondern auch ausbetriebswirtschaftlicher Betrachtungsweise zukünftigstromgeführt betrieben werden. Zusätzliche Wärme -erzeuger in strommarktorientierten KWK-basiertenFernwärmesystemen können klimaschädliche Wärmeaus SLK verdrängen und bringen somit CO2-Einspa-rungen mit sich. Im Falle einer solarthermischen Unterstützung kann die Wärme sogar kostengünsti-ger bereitgestellt werden.

Darüber hinaus sind die Kostenunterschiede zwischenden einzelnen, strommarktorientierten Systemen sehrgering, so dass Fernwärmesysteme stets mit zusätz -lichen strombetriebenen Erzeugern ausgestattet wer-

den sollten, um möglichst hohe Flexibilitäten inBezug auf den Strommarkt bereitstellen zu können.Die Wirtschaftlichkeit dieser alternativen Sys temewird durch einen zunehmenden Anteil an FEE imStrommarkt, steigende Erdgaspreise sowie möglich-weise der Internalisierung von CO2-Kosten verbessert.

Zusätzliche Erlöse lassen sich durch die Teilnahme derKWK-Anlage sowie des Heizstabes am Regelenergie-markt erzielen; diese Option wird hier jedoch nichtbetrachtet. Abbildung 3 zeigt schematisch den be-triebswirtschaftlich optimierten Betrieb der unter-schiedlichen Erzeuger in Abhängigkeit vom Spot-marktpreis in einer Herbstwoche 2020.

26

Referenz: wärmegef. KWK + SLK

stromgef. KWK + SLK

stromgef. KWK + SLK Heizstab

+stromgef. KWK + SLK Solar

+stromgef. KWK + SLK +Solar + Heizstab

Deckungsanteile

KWK 74 % 61 % 61 % 53 % 53 %

SLK 26 % 39 % 34 % 31 % 28 %

Solar 0 % 0 % 0 % 16 % 15 %

Heizstab 0 % 0 % 5 % 0 % 4 %

Spez. System wärme -kosten

57,6 a/MWhth 52,8 a/MWhth 53,2 a/MWhth 51,4 a/MWhth 52,2 a/MWhth

Tabelle 4

Ergebnisse der techno-ökonomischen Untersu-chungen unter zukünf-

tig zu erwartendenRahmenbedingungen(Szenarienjahr 2020,

Kostenberechnung real)

Transformationsprozess • Techno-ökonomische Perspektive

Systeminnovationen durch Integrationgesellschaftlicher und sozio-ökonomischerAspekte

Es reicht jedoch nicht aus, nur isoliert technologischeInnovationen zu verfolgen, da sie häufig zu ökologi-schen und sozio-ökonomischen Problemverschiebun-gen führen und indirekte und direkte Rebound- Effekte auf Grund von Produktivitätssteigerungen zurFolge haben können. Ein Lösungsansatz bietet dieWeiterentwicklung zu Systeminnova tio nen, die durchdie Kombinationen von drei Dimensionen gekenn-zeichnet sind [Schneidewind und Scheck 2013]: • technologische Innovation• soziale Innovation und• Infrastrukturen, in die diese Innovationen einge-bunden sind.

System innova tio nen sind heute jedoch nicht per seetabliert, akzeptiert und umfassend untersucht undmüssen gezielt geför dert werden. Abbildung 4 zeigtdies am Beispiel des hier betrachteten Strom-Wärme-Systems. Ergänzend zu der oben beschriebenene igentlichen technologischen Innovation sowie derbenötigten Infrastrukturen (Ausbau der Fernwärme-netze, Errichtung von Fernwärmespeichern, Weiter-entwicklung von „smart grids“ für Strom undWärme) sind verschiedene soziale Aspekte denkbar,die umfassendere, eingebettete Veränderungspro-zesse ermöglichen:

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FVEE • Themen 2013

• Es gibt bisher keine Regulierung des Netzzu-gangs, so dass ein Regulierungs managemententwickelt werden sollte.

• Die neuen Konstellationen von Akteuren und Betreibern bedingen neue Geschäftsmodelle(Handel am Spotmarkt, Teilnahme am Regelener-giemarkt, Smart Markets z. B. für regionales Last-management).

• Um die verschiedensten Akteure einzubeziehenund zur Teilnahme zur motivieren, werden Betei-ligungsmuster benötigt.

• Es bedarf der Vorreiterrolle von Change Agentsund der Entwicklung einer Mitmachkultur (Ver-breitung von best-practice-Beispielen und Greif-barmachen einer eher abstrakten Strom-Wärme-Kopplung, die nicht wie Photovoltaik auf demDach direkt sichtbar ist).

• Es müssen neue Konsummuster und Normenentwickelt werden (KWK als clean energy etablie-ren; regionale Wertschöpfung statt Gasimport be-tonen; Abwägungen zwischen Sicherheit/Preisen/Ökologie/Autonomie vornehmen).

27

Abbildung 3

Einsatz von KWK-Anlage, SLK, Solaranlage und Heizstab in Abhängig-keit vom Börsenstrom-preis am Beispiel einerHerbstwoche in 2020

3.500

3.000

2.500

2.000

1.500

1.000

500

0

80

70

60

50

40

30

20

10

0

50

40

30

20

10

0

28.09 29.09 30.09 01.10. 02.10. 03.10. 04.10.

28.09 29.09 30.09 01.10. 02.10. 03.10. 04.10.

Wärme [kW]

Speich

erinha

lte [M

Wh]

Spot

marktpr

eis [E

/MWh]

Speicherinhalt

KWK SLK Solar Heizstab Wärmebedarf Strompreis

Abbildung 4

SysteminnovationStrom-Wärme-System durch gekoppelte Betrachtung von technologischer Innovation, benötigterInfrastruktur und sozialer Innovation

Soziale Innovation• Regulierung• Geschäftsmodelle• Beteiligungsmuster• Change Agents und Mitmachkultur• Konsummuster• usw.

Technologische Innovation

InfrastrukturenSysteminnovation

Strom-Wärme-System

Transformationsprozess • Techno-ökonomische Perspektive

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FVEE • Themen 2013

Zur erstmaligen Erprobung innovativer Systeme bie-ten sich Realexperimente im Sinne „ökologische[r]Gestaltungsprozesse in der Wissensgesellschaft“[Groß et al. 2005] an. Sie können dazu dienen, Potenziale, (Wechsel-)Wirkungen und Anforderungenfür sozio-technische Wandelprozesse zu analysierenund für nachhaltige Systeminnovationen fruchtbar zumachen, erfordern jedoch eine Integration unter-schiedlichster Wissensbestände aus Naturwissen-schaften und Technik, aber auch aus Sozial- und Kul-turwissenschaften sowie der alltäglichen Praxis inEnergieerzeugung und -nachfrage („Transdisziplina-rität“). Das Beispiel Dänemark kann als großes Real-experiment angesehen werden; zur Übertragung aufdie deutsche Situation sollten hierauf aufbauend regionale Realexperimente entwickelt, begleitet undausgewertet werden.

Fazit

In einem von Wind- und PV-Strom dominiertenStrommarkt sollten KWK-Anlagen mit Hilfe von Wär-mespeichern flexibilisiert werden, um die Fluktuatio-nen der erneuerbaren Energien in der Stromerzeu-gung auszugleichen.

Durch den betriebswirtschaftlich optimierten Einsatzvon zusätzlichen Wärmeerzeugern im Fernwärme -system wie Elektroheizern und Solarthermie kannzudem klimaschädliche und teure Wärme aus Spit-zenkesseln verdrängt werden.

Erneuerbare Energien im Strommarkt öffnen somitauch ein Fenster für eine stärkere Durchdringung dererneuerbaren Energien im Wärmemarkt.

Während in Dänemark derartige flexible Strom-Wär-mesysteme bereits praktiziert werden, besteht inDeutschland noch erheblicher Nachholbedarf in derdafür erforderlichen Infrastruktur. So müssen die Wär-mespeicher, die erst den flexiblen Betrieb von KWK-Anlagen ermöglichen, im Gegensatz zu Dänemarkhierzulande erst noch errichtet werden. Auch generellist das Potenzial der flexiblen KWK-basierten Fern -wärmesysteme in Dänemark einfacher erschließbarals in Deutschland, da die dortige Wärmeversorgung bereits zu einem großen Anteil auf Nah- und Fern-wärme basiert. In Deutschland ist hingegen noch einerheblicher Wärmenetzausbau notwendig.

Ergänzend sollten soziale Innovationen und Realex-perimente zur optimalen Umsetzung der technischenInnovationen entwickelt werden, um auch zur gesell-schaftlichen Gestaltungsaufgabe der Energiewendeeinen Lösungsbeitrag leisten zu können.

Literatur

[Groß et al. 2005] Groß, M.; Hoffmann-Riem, H.;Krohn W. (2005). Realexperimente. Ökologische Ge-staltungsprozesse in der Wissensgesellschaft. Biele-feld: Transcript

[Matthes 2010] Matthes, F.C.: Energiepreise für aktuelle Modellierungsarbeiten. Regressionsanalytischbasierte Projektionen. Teil 1: Preise für Importener-gien und Kraftwerksbrennstoffe. Berlin, März 2010

[Nitsch et al. 2012] Nitsch, J. et al.: Langfristszenarienund Strategien für den Ausbau der erneuerbarenEnergien in Deutschland bei Berücksichtigung derEntwicklung in Europa und global. Schlussbericht vonDLR, IWES und IFNE für das BMU. Stuttgart, März2012

[Schneidewind und Scheck 2013] Schneidewind, U.;Scheck, H.: Die Stadt als „Reallabor“ für Systeminno-vationen. In: Rückert-John, J. (Hrsg): Soziale Inno- vation und Nachhaltigkeit. Perspektiven sozialenWandels. Springer VS.

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Transformationsprozess • Techno-ökonomische Perspektive

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FVEE • Themen 2013

Transformationsprozess des Energiesystems: Technische Perspektive – Konsistente Gesamtsysteme

Fraunhofer ISEDr. Hans-Martin [email protected]

Fraunhofer IBPDr. Dietrich [email protected]

Fraunhofer IWESProf. Dr. Clemens Hoffmann [email protected]

Die Entwicklung des deutschen Energiesystems zeich-net sich durch eine zunehmende Wechselwirkungzwischen Verbrauchssektoren und (Strom-)Angebots-seite aus. Der Flexibilisierung der Stromerzeugungund -verwendung kommt eine Schlüsselrolle zu, diesich insbesondere aus dem stark wachsenden Beitragder fluktuierenden erneuerbaren Energien zur Strom-erzeugung ergibt. Neben dem Stromsektor wird vorallem vom Wärmesektor ein wesentlicher Beitrag zurAbsenkung der energiebedingten CO2-Emissionen erwartet.

Im Beitrag werden Ergebnisse aus ganzheitlichen Modellierungen des deutschen Energiesystems dar-gestellt, aus denen sich insbesondere Hinweise zurzunehmenden Konvergenz von Strom- und Wärme-versorgung ergeben und Empfehlungen zu zukünfti-gen Konzepten der Wärmeversorgung ableiten las-sen.

Übergeordnetes klimapolitisches Ziel der Bundes -regierung ist eine langfristig angelegte drastische Absenkung der Treibhausgas-Emissionen. Abbildung 1stellt die Zusammensetzung der Treibhausgas-Emis-sionen in den Jahren 1990 (Referenzjahr für dasKyoto-Protokoll) und 2011, basierend auf Veröffent-lichungen des Umweltbundesamtes (UBA) dar, sowiedie politischen Ziele für die Jahre 2020, 2030 und2040. Für 2050 wird ein Zielkorridor zwischen min-destens 80% bis 95% Absenkung gegenüber demReferenzwert angegeben.

Dekarbonisierung der Wärmeversorgung

Das wichtigste Treibhausgas ist mit Abstand CO2 undhier entfällt der größte Anteil der Emissionen auf denEnergiesektor. Im Auftrag des Umweltbundesamteswerden die Treibhausgasemissionen für Deutschlandauf der Basis von Modellanalysen für im Detail spezi-fizierte energie- und klimapolitische Instrumente fort-während analysiert.

Die jüngste Studie hierzu, die unter Federführung desÖko-Instituts erstellt wurde, bildet zwei Politikszena-rien ab – ein sogenanntes „Aktuelle Politik-Szenario“und ein „Energiewende-Szenario“ – und analysiertdarin u. a. Sektor-aufgelöst die Entwicklung der ener-giebedingten CO2-Emissionen bis 2030 („Politiksze-narien für den Klimaschutz VI – Treibhausgas-Emissi-onsszenarien bis zum Jahr 2030“. Öko-Institut et al.im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA), März2013). Während im „Aktuelle Politik-Szenario“ dieEmissions-Reduktionsziele bis 2030 nicht erreichtwerden, werden sie im „Energiewende-Szenario“leicht übererfüllt. Wie Abbildung 2 zeigt, sind die zuerwartenden Reduktionsbeiträge im Bereich derStromerzeugung und der Niedertemperaturwärme(Raumwärme, Warmwasser) überproportional hoch.Für den Wärmesektor resultiert das Ziel einer Reduk-tion um über 70% von rund 216 Mio. t äquivalenterCO2-Emissionen in 1990 und 158 Mio. t in 2008 aufrund 58 Mio. t in 2030.

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Transformationsprozess • Technische Perspektive

Abbildung 1

Treibhausgas- Emissionen: (Soll-)Entwicklung fürDeutschland

ÜbrigeLandwirtschaftVerkehrIndustrieGHDHaushalteEnergiewirtschaftZiel / –80%Ziel / –95%

1400

1200

1000

800

600

400

200

0

Treibh

ausg

as-Emission

en in

Mio t CO

2,eq

1990 2000 2011 2020 2030 2040 2050

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Sonstige UmwandlungssektorenStromerzeugungIndustrie/GHDVerkehrRaumwärme/Warmwasser – gesamt

1200

1000

800

600

400

200

0

Millione

n t p.a.

1990 2005 2008 2015 2020 2025 2030

Abbildung 2

Energiebedingte CO2-Emissionen Sektor-aufgelöste Entwicklung und

Prognose der energiebe-dingten CO2-Emissionen

bis 2030. Dargestelltsind die Werte für das

Energiewende-Szenarioskaliert auf exakte Zielerfüllung, d. h.

Absenkung um 55% bis2030.

Die zentralen Maßnahmen zur Reduktion der ener-giebedingten CO2-Emissionen im Wärmesektor sindeinerseits die Verbrauchsreduktion und andererseitsdie Dekarbonisierung der Versorgungslösungen zurWärmebereitstellung.

Verbrauchsreduktion bedeutet vor allem die Absen-kung des Raumwärmebedarfs in Gebäuden durchMaßnahmen der energetischen Sanierung.

Versorgungslösungen mit reduzierten CO2-Emissio-nen können auf unterschiedlichem Weg erreicht wer-den: einerseits durch Einsatz von erneuerbaren Ener-gien wie Solarthermie, Biomasse, Geothermie oderStrom aus erneuerbaren Energien in Verbindung mitWärmepumpen oder auch Heizstäben – jeweils inaller Regel in Verbindung mit Wärmespeichern zumAusgleich zwischen Dargebot und Bedarf – und an-dererseits durch Verwendung exergetisch günstigerHeiztechniken in Verbindung mit der Nutzung fossiler

Energieträger. Hier sind vor allem Gas-Wärmepum-pen und Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung zu nen-nen. Daneben kann auch die Nutzung von Abwärmefür Wärmeanwendungen wie Heizung oder Warm-wasser eine Rolle spielen; dies gilt insbesondere fürIndustrie- und Gewerbebauten aber auch in Verbin-dung mit Wärmenetzen.

Abbildung 3 zeigt, welcher Mix aus den beiden grund- sätzlichen Maßnahmen – Verbrauchsreduktion undDekarbonisierung der Versorgungslösungen – mög-lich ist, um den Zielwert von 58 Mio. t äquivalenterCO2-Emissionen im Wärmesektor zu erreichen. Eswird deutlich, dass eine Kombination aus weitgehen-der energetischer Sanierung und Einsatz CO2-armerTechniken zur Wärmeversorgung notwendig ist, umdie klimapolitischen Ziele zu erreichen. Ein dominan-ter Einsatz der Direktverbrennung fossiler Energien –Erdgas, Erdöl – wie heute, ist definitiv nicht mit denavisierten Emissionsreduktionszielen vereinbar.

30

Abbildung 3

Verbrauchsreduktionund Dekarbonisierungder Wärmeversorgung:

Mögliche Kombinationen zur Zielerreichung der

klimapolitischen Zielefür den Wärmesektor

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Strom-Wärme-System: Optimierung derSystemzusammensetzung

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Sowohl aus Gründen der Erschließung von Flexibili-sierungspotenzialen in der Stromnutzung als auchvor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer CO2-armen Bereitstellung von Niedertemperaturwärmefür Gebäude scheint es sinnvoll, Strom- und Wärme-bereitstellung nicht getrennt zu betrachten, sondernübergreifende Gesamtlösungen zu entwickeln.

Am Fraunhofer ISE wurde hierzu ein ganzheitlichesModellierungsprogramm REMod-D (RegenerativeEnergien Modell Deutschland) entwickelt. Die grund-sätzliche Methodik ist in Abbildung 4 dargestellt.Darin werden stundenaufgelöst die Stromerzeugungsowie die Energieverwendung in allen Verbrauchssek-toren für ein gesamtes Jahr modelliert und so alleWechselw irkungen zwischen den verschiedenen Sek-toren einschließlich der Nutzung von Energiespei-chern adäquat erfasst. Mittels eines Optimierers kanndiejenige Systemzusammensetzung ermittelt wer-den, die zu niedrigsten Gesamtkosten führt. Gesamt-kosten sind dabei als die jährlichen Kosten zum Erhaltund Betrieb des Gesamtsystems definiert. Eine Beson-derheit des Programms im Vergleich zu anderen Mo-dellen ist einerseits eine relativ detaillierte Modellie-rung der unterschiedlichen Versorgungstechniken imBereich der Wärmeversorgung und andererseits dieEinbeziehung der energetischen Sanierung des Ge-bäudebestands in die Kostenanalyse.

Nachfolgend werden exemplarisch Ergebnisse dar-gestellt. Bei allen gezeigten Simulationsergebnissenwurde der Wert der CO2-Emissionen so limitiert, dasseine Reduktion der energiebedingten CO2-Emissio-nen im Vergleich zum Referenzwert (1990) um 86 %resultiert; die Ergebnisse stellen also Systeme dar, die

mit den politischen Zielen für das Jahr 2050 kompa-tibel sind. In der Analyse wird untersucht, welcheAuswirkungen der Umfang der energetischen Sanie-rung und der Ausbau von Wärmenetzen auf dasStrom-Wärme-System haben.

Abbildung 5 zeigt Ergebnisse, bei denen für fixe Wertedes Heizwärmebedarfs (angegeben in % des Ver-brauchswertes in 2010) und der Abdeckung der Wär-meversorgung über Wärmenetze (angegeben in %des Wärmebedarfs für Raumheizung und Warmwas-ser, der durch Wärmenetze gedeckt wird) der jeweilsnotwendige Umfang des Ausbaus fluktuierender erneuerbarer Energiewandler im Strombereich dar-gestellt ist.

Es erweist sich, dass unabhängig vom Umfang derNutzung von Wärmenetzen eine geringere Reduktiondes Heizwärmebedarfs einen stärkeren Ausbau anfluktuierenden erneuerbaren Energien bedingt. EineAbsenkung des Heizwärmebedarfs auf nur 60% desheutigen Wertes benötigt rund 60–70 GW mehr aninstallierter Leistung für Photovoltaik und Windener-gie-Anlagen als eine Absenkung auf 20%. Zugleichführt jedoch eine stärkere Absenkung des Heizwär-mebedarfs zu höheren Gesamtkosten für Erhalt undBetrieb – vereinfacht gesagt, ist ambitionierte ener-getische Sanierung kostenaufwändiger als die Instal-lation erneuerbarer Energien im Strombereich. DerAusbau von Wärmenetzen hat dagegen keinen signi-fikanten Einfluss auf diese Kosten.

Abbildung 6macht deutlich, dass bei einem modera-ten Ausbau von Wärmenetzen von heute 15%A bdeckung des Wärmebedarfs auf 25%, Wärmenetz-gebundene Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen die resi-duale Stromerzeugung nahezu vollständig bereitstel-len können.

Abbildung 4

Modellierungs-programm REMod-D:methodisches Vorgehendes Modells. Der Optimierer ermitteltdiejenige Zusammen- setzung des Strom-Wärme-Systems, die zuniedrigs ten jährlichenGesamtkosten führt.

Exogene Vorgaben

CO2-Emissionen � verfügbareMenge fossiler Energieträger

Strombedarf (ohne Strom für motorisierten Individual-Verkehr undWärme)

Prozesswärmebedarf Industrieprozesse

Energiebedarf Verkehr

Verfügbare Biomasse

Konventionelle Kraftwerke

Optimierungdes

Strom-Wärme- Systems

Ergebnisse

Installierte Leistung aller Komponenten

Größe Speicher

Umfang energetische Sanierung Gebäude

WärmeversorgungstechnikenGebäudesektor

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FVEE • Themen 2013

Abbildung 5

Benötigte installierteLeistung fluktuierendererneuerbarer Energienim Strombereich und

jährliche Gesamtkostenfür unterschiedliche

Zielsysteme im Wärme-bereich

Abbildung 6

Installierte Leistung(GWel) residualer Strom-

erzeugung für unter-schiedliche Zielsysteme

im Wärmebereich; außerdem ist der sinn-

volle Umfang der Installation von großen

Solarthermieanlagenangegeben, die in

Wärmenetze einspeisen.

Abbildung 7 zeigt die Zusammensetzung der Wärme-versorgung in Einzelgebäuden, die nicht an Wärme-netze angeschlossen sind. Es zeigt sich, dass hier nurnoch Wärmepumpen eine relevante Rolle spielen.Gas-Wärmepumpen nutzen die knappen, noch ver-fügbaren Brennstoffe (Erdgas, Biomasse) effizient aus.Elektrische Wärmepumpen sind hoch kompatibel mitder Stromerzeugung, die wesentlich durch erneuer-bare Energien geprägt ist. In Verbindung mit entspre-chend dimensionierten Wärmespeichern, gelingt es,Wärmepumpen so einzusetzen, dass sie überwiegendmit Strom aus fluktuierenden erneuerbaren Energienbetrieben werden.

Eine Analyse der Stromherkunft elektrischer Wärme-pumpen auf Basis aller Stunden eines Jahres zeigt bei-spielhaft Abbildung 8.

Umsetzungsbeispiele in Kommunen

Wolfhagen 100% EE – Entwicklung einernachhaltigen Energieversorgung Das Mittelzentrum Wolfhagen mit rund 14.000 Ein-wohnern und elf Stadtteilen auf rund 112 Quadrat-kilometern ist weitgehend landwirtschaftlich geprägtund liegt knapp 30 km westwärts von Kassel in Nord-hessen. Durch diese ländliche Prägung hat Wolf -

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Transformationsprozess • Technische Perspektive

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hagen ein wesentlich größeres Potenzial der Nutzungvon erneuerbaren Energien, als rein urban struktu-rierte Räume, wo es häufig schon an den nötigen Flächen für die Aufstellung der Anlagen mangelt. DieStadt Wolfhagen hat sich gemeinsam mit den Stadt-werken Wolfhagen und den Bürgerinnen und Bür-gern schon früh auf den Weg hin zu einer vollständigauf erneuerbaren Energien basierenden Energiever-sorgung gemacht und konnte sich als eine der fünfGewinnerstädte im Wettbewerb: „EnergieeffizienteStadt“ des Bundesministerium für Bildung und For-schung behaupten (www.wettbewerb-energieeffi-ziente-stadt.de).

Im Fokus der Arbeiten unter Koordination des Fraun-hofer IBP stehen insbesondere die energetische quar-tiersbezogene Gebäudesanierung und eine modulareEnergieversorgung, sowie die Einbindung der lokalerzeugten erneuerbaren Energie in zukunftsfähigenVersorgungsstrukturen. So sind in Wolfhagen diequartiersbezogenen Sanierungskonzepte, mit derNutzung der vorhandenen Speicher, wie Heizungs-pufferspeicher, Warmwasserspeicher oder der jewei-ligen Gebäudemasse selbst, und entsprechende Wei-terbildungskonzepte für die Menschen vor Ort vonbesonderem Interesse (www.energieoffensive-wolf-hagen.de).

33

Abbildung 7

Installierte Leistung(GWth) von dezentralenWärmeversorgungs -techniken fürunterschied liche Zielsysteme im Wärme-bereich; außer dem istder sinnvolle Umfangder Installation von dezentralen Solarthermieanlagendargestellt.

fossil KWK FEE-direkt FEE-indirekt

68 %

25 %6 %

1 %

Abbildung 8

Herkunft des Stromselektrischer Wärme- pumpen am Beispiel dezentraler Wärme-pumpen mit Außenluftals Wärmequelle (FEE = fluktuierende erneuerbare Energienzur Stromerzeugung; FEE-indirekt kennzeich-net FEE-Strom, der inPumpspeicherkraft -werken oder Batterienzwischengespeichertwurde).

Transformationsprozess • Technische Perspektive

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Masterplan „100% Klimaschutz“ für Frankfurt am MainIn Frankfurt/M. gibt es viele Akteure, die sich starkbeim Thema „Klimaschutz und Energie“ engagieren.Auf Grund ihrer Größe und ihrer urbanen Strukturhat die Stadt nicht die Möglichkeit, sich aus eigenenund vor Ort zugänglichen Potenzialen erneuerbarerEnergien versorgen zu können und ist auf das Zusam-menspiel mit den ländlichen Gemeinden in der Um-gebung mit deren Windpotenzial angewiesen.

Dennoch besteht in der Stadt selbst ein großesPoten zial zur Nutzung von Solarenergie sowie auchgroße Potenziale zur Energiespeicherung und Last-verschiebung. Hier bieten sich speziell große Gewer-begebiete an, in denen durch Lastverschiebungs-maßnahmen Kühllasten reduziert werden könnenund so der Betrieb von z. B. Kälteanlagen in besserenEinklang mit den Anforderungen der Stromnetze ge-bracht werden kann.

Werden zukünftig vermehrt elektrisch betriebeneWärmepumpen für die Wärmeerzeugung in Gebäu-den genutzt, können diese zukünftig auftretendeStromüberschüsse aus dem Umland aufnehmen unddie Gebäude lassen sich in der Folge als thermischeSpeicher nutzen.

Weiterhin bietet das in Frankfurt/M. vorhandeneFernwärmenetz ebenfalls Möglichkeiten der Speiche-rung thermischer Energie. Schon heute sehen wirden Einsatz von direkt elektrisch betriebenen Nach-heizern in Fernwärmenetzen, um entsprechend negative Regelenergie bereitstellen zu können. AuchHeizungspufferspeicher und Trinkwarmwasserspei-cher der Haushalte können ggf. überschüssige Ener-gie aufnehmen. Tages- bis sogar Wochenspeichersind somit in Städten wie Frankfurt/M. vorhandenund sollten genutzt werden. Dadurch lässt sich derAnteil der Nutzung von erneuerbaren Energien inStädten erhöhen, wo sonst nur ein geringerer AnteilSolarthermie und Biomasse genutzt werden könnte(www.energiereferat.stadt-frankfurt.de).

Fazit

Eine umfassende Betrachtung und Modellierungzeigt, dass die klima-politischen Ziele der Bundes -regierung durch den Umbau der Energieversorgunghin zur überwiegenden Versorgung mit erneuerbarenEnergien erreichbar sind. Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Analyse ist, dass dies langfristig – nacherfolgter Transformation – zu keinen signifikant höheren Kosten im Erhalt und Betrieb des Energie -systems führt als heute; dieser Aspekt konnte in die-sem Beitrag nicht vertieft dargestellt werden.

Es wird zugleich deutlich, dass der Umbau nur gelin-gen kann, wenn zunächst Strom und Wärme – undmittel- und langfristig auch Verkehr und Industriepro-zesse – ganzheitlich betrachtet werden und die Nutzungspotenziale für Strom aus fluktuierenden erneuerbaren Energien in allen Verbrauchssektorenerschlossen werden.

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