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TEIL II LEHRERHANDREICHUNG „LAMINARE STRÖMUNGEN, TURBULENZ UND STRUKTURBILDUNG IN FLÜSSIGKEITENEINE UNTERRICHTSREIHE FÜR DIE GYMNASIALE OBERSTUFE UND DIE LEHRERAUSBILDUNG

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TEIL II

LEHRERHANDREICHUNG

„LAMINARE STRÖMUNGEN, TURBULENZ UND

STRUKTURBILDUNG IN FLÜSSIGKEITEN“

EINE UNTERRICHTSREIHE FÜR DIE GYMNASIALE OBERSTUFE

UND DIE LEHRERAUSBILDUNG

1 EINLEITUNG

Wirbel aller Größenordnungen, in Luft und in Wasser, üben auf den Menschen eine besondere

Faszination aus. Besonders Wirbelstürme - Hurrikans und Tornados - stehen in jüngster Zeit

ganz oben auf der Hitliste, wenn man das Medieninteresse als Indikator nehmen darf. Aber

auch kleinräumigere Strömungen wie Wirbelströmungen in Bächen, in Flüssen, am Meer,

laden durch ihre Vielgestaltigkeit zur genaueren Betrachtung ein.

Obwohl in unserem Alltag immer gegenwärtig, findet sich das Thema „Strömungen“ in kaum

einem Lehrplan oder Schulbuch. Ein Grund mag das hohe mathematische Niveau des Themas

sein, das die Grenzen der Schulmathematik schnell übersteigt. Aber gerade dieser Zwang, auf

eine ausführliche mathematische Bearbeitung verzichten zu müssen, kann auch eine Chance

für den Physikunterricht bedeuten, wenn man sich mehr mit den Konzepten befasst, die hinter

der mathematischen Theorie stecken. So besteht die Möglichkeit, dass auch Schülerinnen und

Schüler mit geringeren mathematischen Fähigkeiten wieder mehr Interesse am

Physikunterricht finden.

In der Wissenschaft erhielt die Strömungsdynamik durch die Wiederentdeckung der nicht-

linearen Dynamik neuen Auftrieb - entdeckt wurde sie schon Anfang dieses Jahrhunderts

durch den französischen Mathematiker Henri Poincaré. Die meisten „Paradebeispiele“ der

nichtlinearen Dynamik stammen aus der Hydrodynamik, wie z.B. die turbulenten Strömungen,

das Wettergeschehen, das Lorenz-, das Bénard- und das Taylorsystem.

Aus diesem Grund nähert sich die vorliegende Unterrichtsreihe der nichtlinearen Dynamik

von der Strömungsphysik her. Dabei gehen traditionelle und hochaktuelle, z.T. noch nicht

vollständig erforschte Gebiete der Hydrodynamik ineinander über.

Die Linearisierung ist in der Physik ein wichtiges und erfolgreiches Hilfsmittel, um Phäno-

mene berechnen und abschätzen zu können. Die Lernenden sollten allerdings auch die

Grenzen der Näherungen kennen lernen und erkennen, dass natürliche Systeme nichtlinear

sind.

Wie kaum ein anderes Thema bietet die Hydrodynamik die Möglichkeit, über Modellbildung

in der Physik und die damit verbundene eingeengte Sichtweise zu diskutieren. Begriffspaare

wie „ideal - real“ oder „linear - nichtlinear“ werden von verschiedenen Seiten beleuchtet.

Die nichtlineare Dynamik ist ein populäres Thema, dem ein großes öffentliches Interesse zu-

teil wird und anhand dessen die Lernenden sehen, dass die Physik kein fertiges Wissenschafts-

gebäude ist, sondern ständig ausgebaut wird. Diese Erkenntnis motiviert viele Lernende. Sie

sehen, dass es in der Gegenwart und sicher auch in der Zukunft noch grundsätzlich Fragen an

die Physik gibt, die es zu klären gilt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt spricht für die nichtlineare Dynamik: Sie befasst sich nicht, wie

die Quantenmechanik in der Schule, mit mikroskopisch kleinen Objekten oder, wie die

192 Einleitung

Relativitätstheorie, mit Körpern großer Abmessungen oder großer Entfernungen, sondern mit

Systemen, deren Größe mit den menschlichen Sinnen erfasst werden kann.

Ein besonderer Schwerpunkt dieser Unterrichtsreihe liegt auf der Interdisziplinarität des

Themas: Anwendungen und Beispiele aus der Meteorologie, der Medizin, der Technik und

der Kunst zeigen die Relevanz der Naturwissenschaften für die verschiedensten Bereiche der

Lebenswelt der Schülerinnen, Schüler und Studierenden. Sie können die Fähigkeit erwerben,

das Gelernte auf andere Gebiete anzuwenden, lernen allerdings auch die vorläufigen Grenzen

der Theorie kennen. Die Strömungsdynamik eignet sich wie nur wenige Themen in der Physik

für einen „Blick über den Tellerrand“.

Handhabung der Unterrichtsreihe

Konzipiert wurde diese Unterrichtsreihe für die Jahrgangsstufen 12 oder 13. Die Reihe um-

fasst insgesamt etwa 30 Unterrichtsstunden, was in etwa der Stundenzahl des Leistungskurses

13/2 in Hessen entspricht. Diese 30 Stunden wurden in sechs Blöcke à fünf Unterrichts-

stunden aufgeteilt. Dabei ist der Zeitaufwand für Klassenarbeiten, Tests o.ä. noch nicht

berücksichtigt.

Die Blöcke sind so aufgebaut, dass sie auch einzeln unterrichtet werden können. Nicht alle

Themenblöcke benötigen die mathematischen und physikalischen Vorkenntnisse der Jahr-

gangsstufen 12 oder 13. So ist z.B. der erste, zweite oder vierte Themenblock und Teile des

fünften Themenblocks ohne weiteres auch schon in der 11. Jahrgangsstufe unterrichtbar. Da in

der Unterrichtsreihe Begriffe und Modelle aus der Mechanik wiederholt und in einem

erweiterten Kontext angewendet werden, können einige Teile dieser Reihe dazu dienen, in der

11. Jahrgangsstufe der technischen Gymnasien das Wissen der Schülerinnen und Schüler, die

aus verschiedenen Schultypen stammen, auf einen einheitlichen Stand zu bringen.

Bewährt hat sich diese Unterrichtsreihe auch im Rahmen der Lehrerausbildung. Sowohl Lehr-

amtsstudierende für Gymnasien, als auch für Haupt- und Realschulen können geeignete

Themen für ihren späteren Unterricht auswählen und gemeinsam diskutieren. Die große An-

zahl einfacher Versuche regt die Studierenden an, diese auch in anderem Rahmen, z.B. für

Projektwochen, für Mitmachausstellungen oder zu Tagen der offenen Tür einzusetzen.

Jeder Themenblock beginnt mit einer Tabelle der einzelnen Unterrichtsschritte sowie der ge-

planten Versuche und Demonstrationen. Alle benötigten Materialien sind aufgelistet. Im Text

sind die Versuche, Demonstrationen, Filme usw. kursiv und fett gedruckt. Die Experimente

sind so geplant, dass die Materialien in der Schulsammlung oder im Haushalt vorhanden sein

müssten, einige sind in Heimwerkermärkten oder in Schreibwarenläden preiswert erhältlich.

Welche Versuche als Schüler- und welche als Demonstrationsversuche im Unterricht

eingesetzt werden, hängt von der Ausstattung der Schule ab. Prinzipiell sind fast alle

Versuche als Schülerversuche durchführbar.

1 Einleitung 193

Das Thema „Strömungen“ erzwingt die ausführliche Darstellung der Themenblöcke, da in der

Lehrerausbildung die Hydrodynamik üblicherweise nicht gelehrt wird. Auch in Schulbüchern

und allgemeinen Lehrbüchern der Physik wird dieses Gebiet (noch) rudimentär behandelt, vor

allem ohne Berücksichtigung der neuesten Forschungsergebnisse. Die Fachliteratur zu den

ausgewählten Themen ist sehr weit gestreut und wird mathematisch schnell anspruchsvoll.

Aus diesen Gründen wurde für die Unterrichtsreihe eine Form gewählt, die es den Lehrenden

erlaubt, sich selbst ohne großen Aufwand einzuarbeiten und im Idealfall den Unterricht 1:1 zu

übertragen. Um eine aufwendige Literatursuche zu ersparen, sind in einigen Themenblöcken

längere Originalzitate enthalten. Um den Rahmen nicht vollständig zu sprengen, wurde auf

ausführliche methodische Angaben verzichtet, da diese von den Rahmenbedingungen des

Unterrichts abhängen und so im Ermessen des Lehrenden liegen.

3 DIE THEMENBLÖCKE DER UNTERRICHTSREIHE

3.1 Themenblock „Wirbel“

Schritte Materialien

1. Wirbelstürme

� Wie unterscheidet sich ein Hurrikanvon einem Tornado oder einerZyklone?

� HurrikansNamensgebungAufbauEntstehungStrömungen im HurrikanDas Auge des HurrikanZugbahnenSteigt durch die Klimaänderung dieWirbelsturmhäufigkeit?

� TornadosEntstehungAufbauTornados in Deutschland

Zeitungsausschnitte und Satellitenbilderaus dem Internet. Adresse von meteosat:http://www.uni-karlsruhe.de/~bh28/metbest.html

Demonstrationen zur Corioliskraft:Drehtisch, Kreide, verschiedenfarbigeVektorpfeile aus Pappe, Globus oder auf-blasbare Weltkugel

evtl. Video

2. Wie Wirbel entstehen

� Wie unterscheidet sich eine rotierendeFlüssigkeit von einem rotierendenFestkörper?

� Hohlwirbel

� Die Helmholtzschen Wirbelsätze

Versuch „Wasserwirbel“: 2-Liter-Becherglas, Magnetrührer, Tinte, Pipette,Streichholzköpfe, Kreisel

Alternativversuch „Tornado-Rohr“: 2Plastikcolaflaschen, Verbindungsstück„Tornadorohr“ (Physikboutique, Pf: 1852,85318 Freising) oder Gartenschlauch(Innendurchmesser: 2,5 cm), ¾ “ Dich-tungsring, Konfetti, Streichholzköpfe

Versuch „Ringe in Luft“: Wirbeltrommeloder selbstgebaute Wirbeltrommel ausEspressodose oder Blumentopf, Plastik-tüte, Gummiringe

Rauchmacher: Salzsäure und Ammoniakoder Zigarette

Versuch „Ringe in Wasser“: Schüssel(möglichst weiß oder aus Glas), Pipette,Kalium-Permanganat-Lösung

Versuch „Kaskade“: mind. 50 cm hohesGlas, Tinte, Pipette

Versuch „Helmholtz-Wirbel“: Schüsselwie oben, Tinte, Löffel

198 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

3.1.1 Wirbelstürme

VORBEMERKUNGEN

Schon seit geraumer Zeit haben Wirbelstürme in den Medien Hochkonjunktur, noch nie war

das Thema so aktuell. Der Grund für dieses Interesse ist die erhöhte Häufigkeit und Zerstö-

rungskraft mit der diese Stürme auftreten: So wurden z.B. im Jahr 1995 19 tropische Wirbel-

stürme, davon 11 Hurrikans allein im Atlantik registriert (Mündliche Auskunft von Herrn

Pöttger, Wetteramt Hamburg). Diese Anzahl ist weit überdurchschnittlich und wurde nur im

Jahr 1933 mit 21 Wirbelstürmen übertroffen.

Verschiedene öffentliche und private Fernsehsender strahlten in letzter Zeit Wissenschafts-

sendungen zum Thema „Wirbelstürme“ aus. Ein weiterer Grund für die Popularität des

Themas ist der Spielfilm „Twisters“ von Steven Spielberg, der sich auf spektakuläre Art und

Weise mit Tornados befasst und dadurch ein sehr großes Publikum, vor allem Jugendliche er-

reicht. Zusätzlich sind in verschiedenen populärwissenschaftlichen Zeitschriften Artikel zum

Thema erschienen, die zum Teil sehr aufwendige Schaubilder und herausragende Foto-

graphien zeigen. Diese Artikel sind gut verständlich und eignen sich ausgezeichnet für

Referate und Hausarbeiten (z.B. SNOW 1984; DAVIS-JONES 1996; MILLER 1987; JACOB

1993; NASH 1996).

Zusätzliche Literatur zur Wirbelentstehung und zum Wirbelaufbau: SCHADE 1980; FABER

1995; ACHESON 1990.

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� verschiedene Wirbelsturmarten unterscheiden lernen, um Berichte in den Medien einord-

nen zu können.

� angeregt werden, einzeln oder in Gruppen zu recherchieren. Zu diesem Thema existiert

eine Materialfülle, von den Printmedien über das Internet bis zu Fernsehübertragungen.

� die Entstehungsbedingungen und den Aufbau von Wirbelstürmen kennen lernen.

� mögliche Zusammenhänge zwischen Klimaänderungen und dem gehäuften Auftreten von

Wirbelstürmen erkennen.

3.1 Themenblock „Wirbel“ 199

AUSFÜHRUNG

Wie unterscheidet sich ein Hurrikan von einem Tornado oder einer Zyklone?

Hurrikan/ Taifun Tornado Zyklone/ Tiefdruck-

gebiete

Erscheinungsgebiete Hurrikan: Amerika,

Karibik, Golf von Mexiko.

Willy-Willy/ Zyklon:

Australien.

Taifun: Asiatischer Raum

(China, Japan, Philippinen).

In allen Teilen der Erde.

Am häufigsten in den Great

Plains, die von Texas bis

Kanada reichen.

Tief- und Hochdruckgebiete

in mittleren Breiten.

Entstehungsbedingungen Bilden sich über warmen

Ozeanen.

Mindestwassertemperatur:

26°C.

Ab dem 10. Breitengrad.

Bilden sich über Land,

wenn kalte, trockene über

warme, feuchte Luftmassen

strömen, d.h. z.B. in

Gewitterwolken.

Können sich aus Hurrikans

bilden.

Durchmesser ca. 500-1000 km. ca. 50-500 m. mehrere 1000 km.

Lebensdauer mehrere Tage. wenige Stunden. mehrere Tage bis Wochen.

Durchschnittliche Wind-

geschwindigkeit

bis zu 300 km/h. bis zu 500 km/h. ca. 80 km/h.

Tabelle 1.1: Charakteristika von Hurrikan, Tornado und Zyklone

Hurrikans und Taifune

Diese Wirbelstürme besitzen die gleichen Erscheinungsbilder: Es handelt sich um Wirbel mit

großem Querschnitt, deren Durchmesser zwischen 500 km und über 1000 km liegt. Da sie in

verschiedenen Gebieten der Erde auftreten, ist ihre Bezeichnung ortsabhängig: Wirbelstürme,

die sich über dem Atlantik, vor allem über dem Golf von Mexiko und der Karibik bilden,

werden Hurrikans genannt. Taifune entstehen über dem Stillen Ozean, vor allem vor China,

Japan oder den Philippinen. In Australien nennt man die Wirbelstürme „Willy-Willies“ oder

„Zyklone“, während man in anderen Gebieten der Erde Tief- und Hochdruckgebiete als

Zyklone bezeichnet.

Das Wetteramt in Hamburg zählt Winde ab Windstärke 8 (70 km/h) zu den „tropischen Stür-

men“, erst ab Windstärke 12 (ab ca. 120 km/h) werden sie „Hurrikan“ genannt.

Die Bezeichnung „Hurrikan“ stammt von dem indianischen Wort für Sturm „huracan“ ab,

Taifun vom chinesischen Begriff „tai fung“, übersetzt „Wind der schlägt“.

200 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Die Namensgebung für Hurrikans erfolgt nach Alphabet: Hurrikans, die im Laufe eines

Jahres auftreten, erhalten Namen in alphabetischer Reihenfolge. Die Namenslisten werden

schon lange vorher festgelegt. Bis 1970 wurden nur Mädchennamen vergeben, seither werden

männliche und weibliche Namen abgewechselt.

Hurrikans, Taifune und Zyklonen können nur in einem ganz begrenzten geographischen Be-

reich entstehen und zwar ungefähr zwischen dem 10. und dem 15. Grad nördlicher und süd-

licher Breite. Dort sind die Meere warm genug, um die Wirbelstürme mit Energie zu ver-

sorgen. In der direkten Umgebung des Äquators, unterhalb des 5. Breitengrads, können sich

keine Wirbelstürme ausbilden, da in diesem Gebiet die „Corioliskraft“, die die Winde auf eine

Spiralbahn zwingt, zu gering ist.

Wie ist ein Hurrikan aufgebaut?

Das Internet erlaubt es, im Unterricht aktuelle Satellitenauf-

nahmen von Wirbelstürmen einzusetzen. Sie erhalten Auf-

nahmen von Meteosat unter folgender Adresse:

http://www.uni-karlsruhe.de/~bh28/metbest.html.

In den meisten Satellitenaufnahmen werden geographische

Grenzen eingezeichnet, so daß mit ihrer Hilfe die Größe eines

Wirbelsturms abgeschätzt werden kann.

Abbildung 1.1 zeigt den Hurrikan Emily vor der Ostküste der

USA am 31. August 1993. Sowohl das wolkenfreie Auge in

der Sturmmitte, als auch die Drehrichtung des Wirbels ist

deutlich erkennbar. Die eingezeichneten Linien stellen die Grenzen der Bundesstaaten

Virgina, North- und South-Carolina dar, mit deren Hilfe die ungefähre Ausdehnung des

Hurrikans bestimmt werden kann: Sein Durchmesser beträgt ca. 600 km, der des wolkenfreien

Auges ca. 80 km.

Wie entsteht ein Hurrikan oder Taifun?

Voraussetzungen für die Entstehung eines Hurrikans:

1. Die Corioliskraft muss groß genug sein, damit ein Wirbel entsteht.

2. Die Meerestemperatur muss über 26°C liegen.

3. Auf Meereshöhe muss ein Tiefdruckgebiet, eine sog. Konvergenzzone, vorhanden sein.

Bei allen großräumigen Strömungen in der Atmosphäre, wie der Ausbildung von Hoch- und

Tiefdruckgebieten und Wirbelstürmen, aber auch bei Strömungen in Gewässern, spielt die

Corioliskraft eine bedeutende Rolle.

Luftmassen in der Atmosphäre strömen immer von Gebieten hohen Luftdrucks zu Gebieten

niedrigen Drucks. In einem unbeschleunigten Bezugssystem wäre die Bahn der Luftteilchen

Abb 1.1: Hurrikan „Emily“ NOAA-

Satellitenaufnahme 31.8.1993

3.1 Themenblock „Wirbel“ 201

geradlinig. Die Erde aber ist ein rotierendes, also beschleunigtes Bezugssystem. Sie dreht sich

mit konstanter Geschwindigkeit. Durch die Rotation ändert jedes bewegte Teilchen auf der

Erde ständig die Richtung und erfährt damit eine Beschleunigung. Wo eine Beschleunigung

auftritt, muss eine Kraft wirken.

Demonstration: Drehtisch oder -schemel langsam rotieren lassen und mit einem Stück Kreide

in direkter Linie von außen nach innen oder von innen nach außen zeichnen.

Für Beobachter außerhalb des rotierenden Bezugssystem ist die Bahn der Kreide eine Gerade

zur Schemelmitte oder von der Mitte zum Rand. Die gezeichnete Kreidespur zeigt aber eine

Linie, die von der Geraden abweicht und an der Schemelachse vorbeiführt. Der Schemel dreht

sich unter der Kreide hindurch.

Übertragen auf eine Luftströmung heißt das: Auf der Nordhalbkugel wird sie im Laufe ihrer

Bewegung relativ zur Windrichtung nach rechts abgelenkt. Die Kraft, die die Luftströmung

senkrecht zur Windgeschwindigkeit und senkrecht zur Drehachse beschleunigt, ist die sog.

„Corioliskraft“. Auf der Südhalbkugel wird die Luftströmung dementsprechend nach links

abgelenkt.

a vc � �2� �sin Coriolisbeschleunigung� �

��

a v

a

c

c

� �

� = Winkelgeschwindigkeit der Erde

v = Relativgeschwindigkeit des bewegten Körpers

� = Winkel zwischen � und v = geographische Breite

� am Äquator: � = 0 =>sin � = 0 => Fc = 0

� an den Polen: � = 90° =>sin � = 1 => Fc = maximal

Nordhalbkugel: Ablenkung nach rechts

Südhalbkugel: Ablenkung nach links

Abb 1.2: Zur Corioliskraft

Der Sinusterm beschreibt die Abhängigkeit der Corioliskraft von der geographischen Breite:

Am Äquator verschwindet die Corioliskraft, da die Richtung der Strömungsgeschwindigkeit

und die Drehrichtung der Erde zusammenfallen. An den Polen stehen Geschwindigkeit und

Drehrichtung senkrecht aufeinander, die Corioliskraft wird maximal.

Demonstration:

Anhand eines Globus oder einer aufblasbaren Weltkugel kann die Abhängigkeit der Coriolis-

kraft von der geographischen Breite demonstriert werden. Verschiedene farbige Vektorpfeile

symbolisieren die Vektoren. Die Variation des Winkels zwischen der Relativ- und der

202 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Winkelgeschwindigkeit mit der Änderung des Breitengrads wird bei einem dreidimensionalen

Modell sehr viel deutlicher als an der Tafel. Noch einprägsamer wird die Rechts- und

Linksablenkung demonstriert, wenn man den Globus oder eine beliebige Kugel um ihre Achse

rotieren lässt und, ähnlich wie beim Drehschemel, mit einem Stift geradlinig über die

Oberfläche zeichnet.

Weshalb sind die Luftwirbel auf der Nordhalbkugel linksdrehend, wie die meteosat-Auf-

nahme in Abbildung 1.3 zeigt? Die vom Hoch- zum Tiefdruckgebiet strömende Luft wird

durch die Corioliskraft relativ zur Strömungsrichtung nach rechts abgelenkt. Sie strömt also

zunächst am Zentrum des Tiefdruckgebiets vorbei. Der niedrige Druck im Zentrum sorgt aber

dafür, dass die Luftmassen abgelenkt werden und spiralig ins Tiefdruckgebiet einströmen. Es

entsteht auf der Nordhemisphäre ein linksdrehender, auf der Südhemisphäre dementsprechend

ein rechtsdrehender Wirbel.

Strömungen im Hurrikan

In Abbildung 1.4 symbolisieren die schwarzen Pfeile feuchte und warme Luftmassen, die in

ein Tiefdruckgebiet auf Meereshöhe einströmen.

Da sie wärmer und damit weniger dicht sind als

die Luft in höheren Schichten, steigen sie nach

oben. Dabei strömen die warmen, wasser-

dampfreichen Luftblasen durch kühlere Schichten,

der Wasserdampf kondensiert und es regnet.

Wenn gasförmiges Wasser in die flüssige Phase

übergeht, wird Kondensationswärme frei. Diese

Energie beschleunigt die Luft noch weiter, in

Höhen bis zu 15 km. In diesen großen Höhen

fließt die nun trockene Luft nach außen ab.

Abb. 1.3: Linksdrehender Wirbel auf der Nordhemisphäre

Abb 1.4: Strömungen in einem Hurrikan

3.1 Themenblock „Wirbel“ 203

Währenddessen strömt immer mehr warme Meeresluft in niedrigen Schichten zum Zentrum

nach und steigt dort spiralig auf. Die „Maschinerie“, die den Wirbelsturm antreibt, ist ange-

worfen. Ihre Energiequelle ist die Wärmeenergie der einströmenden Luft.

Meteorologen haben abgeschätzt, dass die kinetische Energie eines Hurrikans etwa 1010 kWh

beträgt. Im Vergleich liegt die kinetische Energie der Atombombe, die Nagasaki zerstörte, mit

etwa 107 kWh um drei Größenordnungen niedriger (BATTAN 1961).

Das Auge des Hurrikans

Das Zentrum des Hurrikans mit einem

Durchmesser von bis zu 100 km wird

„Auge“ genannt. Das Auge ist ein Tief-

druckgebiet. Der niedrige Druck bewirkt,

dass von großen Höhen trockene Luft ein-

gesogen wird, die bis auf Meereshöhe

absinkt. In Abbildung 1.4 ist diese absin-

kende Luft durch weiße Pfeile dargestellt.

Da die in der Luft enthaltenen Wasser-

tröpfchen beim Absinken in wärmere La-

gen verdunsten, ist das Auge wolkenlos.

Im Auge kann der Druck um bis zu 10%

des Normaldrucks erniedrigt sein. Dieser Wert entspricht in etwa den Schwankungen des

Drucks bei einem Wetterwechsel oder dem Druckunterschied zwischen Meereshöhe und 800

Höhenmeter. Unter der Annahme, dass der Normaldruck dem Druck einer Wassersäule von

10 m Höhe entspricht, hat die Erniedrigung des Drucks im Auge des Hurrikans um 1/10 des

Normaldrucks zur Folge, dass der Wasserspiegel im Auge um 1m steigt. Gemeinsam mit

starken Winden, die außerhalb des Auges wüten, können hohe Wellenberge entstehen. Sie

verursachen vor allem in tiefliegenden Gebieten wie den Anrainerstaaten um den Golf von

Bengalen verheerende Überschwemmungen. So ertranken 1991 während eines Hurrikans in

Bangladesh 138.000 Menschen.

Auf dem Land bietet das Auge eine Ruhepause nach und vor den schweren Stürmen. Ein

Augenzeuge berichtet: „Dann folgten einige Stunden atemloser Windstille. Sie schienen an-

zudeuten, dass der Wirbelsturm vorübergezogen sei. Die Sturmpause dauerte drei Stunden.

Die unnatürliche, nur gelegentlich von Nieselregen gestörte Ruhe barg die Vorahnung einer

drohenden Gefahr in sich. Da noch keine Windänderung eingetreten war, machten sich die

Erfahrenen auf das Schlimmste gefasst.“(BATTAN 1961; TANNEHILL 1954)

Abb 1.5: Niederschlagsverteilung in einem Hurrikan

204 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Zugbahnen

Hurrikans bilden sich in tropischen Gebieten

und ziehen dann in höhere Breiten. Die

genauen Bahnen lassen sich nicht

vorhersagen, aber im statistischen Mittel

bewegen sich die Hurrikans mit den

Hauptwinden, wie den Passaten und dann

den Westwinden in höheren Breiten

(Abbildung 1.6). Feuchtwarme Meeresluft

hält die Hurrikans am Leben. Sobald sie

kältere Regionen erreichen, verwandeln sie

sich in gewöhnliche Tiefdruckgebiete, die

dann in unseren Breitengraden für heftigen

Regen mit starken Winden sorgen. Bei den Herbststürmen im Oktober 1996, die vor allem an

der Küste von Cornwall in Großbritannien, aber auch in Deutschland wüteten, handelte es sich

z.B. um Ausläufer des Hurrikans „Lily“.

Wenn der Hurrikan in niedrigeren Breiten auf Land trifft, kann er verheerende Schäden an-

richten. Allerdings schwächt er sich an Land ab, da er von seiner Energiequelle, der feuchten

Meeresluft, abgeschnitten ist. Auch die erhöhte Reibung an Land sorgt für eine zusätzliche

Abschwächung.

Steigt durch die Klimaänderung die Wirbelsturmhäufigkeit?

In diesem Jahrhundert nahm die globale Durchschnittstemperatur um 0,3° bis 0,7°C zu. Auch

die Meere erwärmten sich in den letzten 40 Jahren um 0,4° bis 0,6°C. So gering diese Werte

scheinen, so verheerend können die Auswirkungen sein, denn der Wasserdampfgehalt über

dem Pazifik stieg durch die globale Erwärmung um 20%, in Äquatornähe sogar um 30%. Das

hat zur Folge, dass sich dadurch die Bereiche, in denen Hurrikans entstehen können, um 15%

vergrößerten.

Modellrechnungen besagen, dass neben der Häufigkeit auch die Stärke der Wirbelstürme mit

der Erwärmung zunehmen kann. Jedes Jahr wächst der Kohlendioxidausstoß um 0,5%. Ver-

schiedene Prognosen besagen, dass bei Verdoppelung des Kohlendioxidausstoßes die Stärke

von Orkanen um das 1,5-fache steigt. So werden für 27°C warmes Wasser Maximal-

geschwindigkeiten von ca. 280 km/h berechnet, für 34°C warmes Wasser allerdings schon

Maximalgeschwindigkeiten von 380 km/h. Die Anzahl der Wirbelstürme würde sich nach

diesen Klimamodellen mehr als verdoppeln (Persönliche Mitteilung Prof. Schönwiese, Uni-

versität Frankfurt/M., JACOB 1993).

Andere Modelle gehen nicht von einer erhöhten Wirbelsturmhäufigkeit aus, da sich neben den

tieferen Schichten der Atmosphäre auch die höheren Schichten erwärmen und es damit zu

keinen relevanten Druckunterschieden kommt.

Abb 1.6: Zugbahnen der Hurrikans von 1887 bis 1923

(LILJEQUIST 1994, 296)

3.1 Themenblock „Wirbel“ 205

Tornados

Mit 50 - 500 m haben Tornados einen um drei Größenordnungen geringeren Durchmesser als

Hurrikans. Dadurch sind die geschädigten Landstriche räumlich begrenzter als bei Hurrikans

oder Taifunen. Beispielsweise ist es möglich, dass ein Tornado nur die Häuser auf einer

Straßenseite zerstört, während die Häuser der anderen Seite unversehrt bleiben. Allerdings

sind die Windgeschwindigkeiten eines Tornados mit bis zu 500 km/h wesentlich höher als die

eines Hurrikans. Dadurch sind die Schäden in den kleinen betroffenen Gebieten meist

verheerender.

Tornados entstehen auf Land und treten sehr viel häufiger auf als Hurrikans. Allein im Mai

1995 wurden in den USA 484 Tornados gezählt. Dabei wurden 16 Menschen getötet. Der

Sachschaden betrug mehrere Millionen Dollar (SNOW 1995).

Neben den hohen Windgeschwindigkeiten verursacht auch der niedrige Druck im Zentrum des

Tornados die hohen Schäden. Wenn z.B. ein Tornado über Gebäude fegt, fällt der Druck

schlagartig um etwa 10%. Im Gegensatz zum Wirbelsturminneren herrscht in den Gebäuden

ein Überdruck, sie „explodieren“ regelrecht. Von Augenzeugen wurde berichtet, dass

Fensterscheiben durch den Druckunterschied nach außen gebogen und der Vorhang durch den

Unterdruck nach außen gesogen wurde. Nachdem der Tornado vorbeigezogen war, sprang die

Scheibe wieder auf ihren alten Platz zurück und klemmte dabei den Vorhang ein.

Wie entsteht ein Tornado?

Voraussetzungen für die Entstehung eines Tornados:

1. Die Atmosphäre muss instabil geschichtet sein.

2. Es müssen Scherströmungen auftreten.

Tornados entstehen im Gegensatz zu Hurrikans auf dem Festland. Sie können in allen Erd-

teilen auftreten, am häufigsten werden sie aber im sog. „Tornadogürtel“, der von Texas über

Kansas und Illinois nach Kanada reicht, gezählt.

Tornados können, ähnlich wie Hurrikans nur dann entstehen, wenn warme, feuchte Luft in

den unteren Lagen unter kalter, trockenerer Luft geschichtet ist. In den zentralen Regionen der

USA ist diese Voraussetzung besonders häufig erfüllt: Vor allem im Frühjahr treffen hier

polare Luftmassen auf feuchtwarme tropische Luft. Warme Luft steigt auf und bildet riesige

Gewitterwolken. In den Aufwinden dieser Gewitter können Tornados entstehen.

Welche Kräfte die Luftmassen beim Tornado auf eine Sprialbahn lenken, ist immer noch nicht

vollständig geklärt. Viele Quellen behaupten, die Aufwinde würden wie beim Hurrikan durch

die Corioliskraft auf eine Spiralbahn gezwungen. Dagegen spricht jedoch die Beobachtung,

dass etwa jeder zehnte Tornado im Uhrzeigersinn läuft, während sich die anderen wie

Hurrikans zyklonal, d.h. im Gegenuhrzeigersinn drehen. Dies deutet darauf hin, dass die

Rotation eine andere Ursache haben muss.

206 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass es zwei Mechanismen gibt, die für die

Rotation der Tornados verantwortlich sind. Beide beruhen auf Scherströmungen der

auftretenden Winde. Auf die Entstehung von Wirbeln durch Scherströmungen wird im

nachfolgenden Unterrichtsteil noch genauer eingegangen.

Scherung durch unterschiedliche vertikale Windgeschwindigkeiten

Der erste Mechanismus ist in Abbildung 1.7 dargestellt, er geht von vertikalen Winden aus,

die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit strömen: Am Boden wehen sie schwächer als in

höheren Schichten. Dadurch entsteht ein Wirbelschlauch, der sich um die horizontale Achse

dreht, ähnlich einem Windrad, das oben stärker angeblasen wird als unten. Starke Aufwinde

in der Gewitterzone können dann den Wirbelschlauch in die vertikale aufrichten, es entsteht

eine spiralige Aufwärtsbewegung (SNOW 1995; DAVIES-JONES 1995; NASH 1996).

Scherung durch unterschiedliche Windrichtungen

Strömen Winde verschiedener Richtung aneinander vorbei, entstehen an den Grenzflächen

vertikale Wirbel. Diese Wirbel werden durch die Strömung der Winde, ähnlich wie ein

Kinderkreisel weiter angetrieben. Im Wirbelschlauch halten sich die Druckkraft im Inneren

und die Zentrifugalkraft der rotierenden Luftteilchen gerade die Waage, es herrscht ein sog.

„zyklotrophisches Gleichgewicht“.

Abb 1.8: Entstehung eines Wirbelschlauchs durch verschiedene Windrichtungen

Die Luftteilchen bewegen sich nicht in radialer Richtung, es treten von der Seite weder Luft-

elemente ein noch aus. Lediglich am Boden wird die Luft in den Schlauch gesogen. Hier

herrscht ein so starker Sog, dass durch den Tornado auch schwere Gegenstände, wie Autos,

gehoben werden können.

Abb 1.7.: Entstehung und Aufrichtung eines Wirbelschlauchs

3.1 Themenblock „Wirbel“ 207

Aufbau eines Tornados

Tornados besitzen eine ähnliche Struktur wie Hurrikans: Ihr wolkenfreies Auge hat natürlich

sehr viel kleinere Abmessungen, dennoch ist es vor allem in größeren Tornados durchaus er-

kennbar. In diesem Auge ist die Windgeschwindigkeit schwach und es können Abwinde in

Richtung Erde strömen. Allerdings gibt es gerade über die Zentren von Tornados kaum Daten,

da die Messgeräte die übermäßige Beanspruchung selten überstehen. Die höchsten

Windgeschwindigkeiten herrschen in einem Ring nahe der Achse.

Tornados in Deutschland

Auch in Deutschland können Tornados auftreten.

So hat z.B. am 10. Juli 1968 im Raum Pforzheim

ein Tornado größere Schäden angerichtet. Auch

dieser Tornado hat sich aus Gewitterwolken ge-

bildet. Die „Meteorologische Rundschau“

berichtet: „Am späten Abend des 10.7.1968, eines

ungewöhnlich schwülen Tages, ist ein schwerer

Tornado über die nördlichen Ausläufer des

Schwarzwaldes hinweg nach Osten gezogen. ...

Dass es sich hierbei um einen Tornado gehandelt

hat, darüber kann kein Zweifel bestehen. Da es

Nacht war, liegen zwar nur wenige visuelle Beobachtungen vor. Der dunkle Wolkentrichter,

dessen unterer Teil hin- und herschwankte, wurde zuverlässig von Süden her aus der

Entfernung von wenigen Kilometern bei fahlem, horizontnahem Mondschein beobachtet. ...

Da es Nacht war, sind glücklicherweise nur drei

Menschenleben zu beklagen. Bei Tage hätte es nach

amtlichen Schätzungen mehrere hundert Opfer

gegeben; denn Scherben und Splitter flogen wie

Geschosse durch die Luft. In einem Schulhaus

stürzte eine Decke ein. Industriebauten wurden

völlig ausgeblasen. Autos wirbelten durch die Luft;

eine Betonmischmaschine wurde 80 m weit ge-

tragen. ... Im Stadtkreis Pforzheim wurden

insgesamt 1750 Häuser beschädigt, davon 550

schwer, 600 mittelmäßig, 600 leicht. 6 Häuser

wurden total zerstört.“ (NESTLE 1969).

Die Zugstraße des Tornados (Abbildung 1.9) hatte eine Länge von 27 km, die

Zerstörungsschneise war zwischen 200 m und 600 m breit. Wie bei den meisten Tornados

Abb. 1.9: Zugstraße des Tornados (NESTLE 1969)

Abb 1.10: Druckkurve (NESTLE 1969)

208 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

wurde auch in Pforzheim beobachtet, dass völlig zerstörte Gebiete und völlig unversehrte sehr

dicht beieinander lagen.

Das Barometer eines Studiendirektors aus Pforzheim, das zufällig in der Randzone der

Tornadozugstraße stand, zeichnete die Druckerniedrigung beim Vorbeizug des Tornados auf

(Abbildung 1.10). Weitere, allerdings schwächere Tornados traten z.B. 1973 in Kiel und 1978

in Recklinghausen und Schwäbisch Gmünd auf.

3.1.2 Wie Wirbel entstehen

VORBEMERKUNGEN

Wirbel in Wasser oder Luft sind besonders schöne und ansprechende Erscheinungen in der

Natur. Deshalb steht in diesem Unterrichtsteil zunächst die phänomenologischen Betrachtung

von Wirbelströmungen im Vordergrund. Es werden Wirbel erzeugt und deren Struktur unter-

sucht. Die Experimente sind so konzipiert, dass sie mit einfachsten Mitteln auskommen. Auf

die qualitative Beschreibung von Wirbelströmungen folgt die quantitative mit Hilfe der

Helmholtzschen Wirbelsätze.

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� die Schönheit von Wirbeln in der Luft und im Wasser aufs neue kennen lernen. Beim Ex-

perimentieren sollen sie den Aufbau und die Entstehung der Wirbel möglichst präzise be-

obachten und in eigenen Worten beschreiben können.

� angeregt werden, in ihrer täglichen Umgebung auf Wirbelströmungen zu achten und eigene

Experimente zuhause durchzuführen.

� die Helmholtzschen Wirbelsätze als qualitative und quantitative Beschreibung von Wirbeln

kennen lernen und ihre eigenen Beobachtungen mit dieser Beschreibung in Einklang brin-

gen.

AUSFÜHRUNG

Wie unterscheidet sich eine rotierende Flüssigkeit von einem rotierenden Festkörper?

Demonstration „Kreisel“: Der Kreisel rotiert als Ganzes, d.h. alle Teile haben einen festen

Abstand zueinander, seine Form bleibt während der Bewegung erhalten.

3.1 Themenblock „Wirbel“ 209

Demonstration „Wasserwirbel“: Das

Becherglas wird mit Wasser gefüllt.

Wird das Wasser durch Rühren von

Hand in Rotation versetzt, bringt die

Reibung die Bewegung schnell zum

Erliegen. Deshalb wird ein

Magnetrührer eingesetzt, zunächst mit

kleinen Drehzahlen, so dass sich die

Wasseroberfläche nur in der Mitte

leicht nach unten wölbt. Nach kurzer

Wartezeit wird ein Tropfen Tinte

eingeträufelt, der den Wasserwirbel

allmählich anfärbt und so die Struktur

des Wirbels sichtbar macht.

Die Färbung des Wirbels verläuft so

gemächlich, dass mit dem bloßen

Auge feinste Strukturen erkennbar

sind: Zuerst sieht man, dass sich die

nach unten absinkende Tinte spiralig

in fein ziselierten Schichten verteilt,

die aneinander vorbeigleiten. Im

Zentrum bildet sich rasch eine schlauchförmige Zone mit kleinem Durchmesser aus, die sich

schneller dreht als die äußeren Flüssigkeitsschichten. Um diesen Wirbelkern verteilt sich die

Tinte weiter in kreisförmigen Bahnen. Nach einiger Zeit färbt sie auch die äußeren Bereiche

des Wirbels an. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass sich die Flüssigkeit umso

langsamer dreht, je weiter sie vom Zentrum entfernt ist.

Streichholzköpfe als Schwimmer erleichtern die Beobachtung. Die zweifarbigen Köpfe

können auch als Richtungsanzeiger dienen: Werden sie mit etwas Geschick so in die

Flüssigkeit gesetzt, dass der Kopf in

Strömungsrichtung zeigt, behalten sie ihre

Richtung bei, solange sie sich außerhalb des

Wirbelkerns bewegen (Abbildung 1.12). Dieses

Gebiet außerhalb des Kerns nennt man

„drehungsfreies Wirbelfeld“. Sobald der

Richtungsanzeiger den Kern erreicht hat, „klebt“

ein Ende an der Wirbelachse, während das andere Ende um die Achse rotiert. Beim

Wirbelkern handelt es sich um ein drehendes Wirbelfeld.

Abb 1.11: Wasserwirbel

Abb 1.12: Streichholzschwimmer im drehungs-

freien Wirbelfeld und im Wirbelkern

210 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Der schematische Aufbau eines Wirbels ist in Abbildung 1.13 dargestellt: Von der Wirbel-

achse bis zum Radius a des Wirbelkerns steigt die Geschwindigkeit v an, außerhalb des Kerns

nimmt sie wieder ab.

Rotierender Festkörper Rotierende Flüssigkeit

Behält als starrer Körper seine Form bei. Ändert ihr Aussehen, ihre Gestalt, da Fluidteilchen

gegeneinander verschoben werden können.

Alle Elemente rotieren mit der gleichen

Winkelgeschwindigkeit �.

Im Wirbelkern rotieren alle Elemente mit der gleichen

Winkelgeschwindigkeit � (wie ein Festkörper).

Fluidelemente des Kerns vermischen sich nicht mit der

umgebenden Flüssigkeit.

Der Wirbelkern ist ein drehendes Wirbelfeld.

Außerhalb des Kerns nimmt � ab, am Gefäßrand wird

� = 0.

Dieses Gebiet ist ein drehungsfreies Wirbelfeld.

� �

v

r= konstant: Bahngeschwindigkeit v nimmt mit dem

Abstand vom Zentrum zu.

Bahngeschwindigkeit v nimmt außerhalb des Wirbelkerns

mit dem Abstand vom Zentrum ab.

Tabelle 1.2: Vergleich eines rotierenden Festkörpers mit einer rotierenden Flüssigkeit

Hohlwirbel

Wirbeltrichter wie Badewannenwirbel sind wohl die bekannteste Wirbelform im Alltag. Bei

diesem Wirbel ist der Strömung in konzentrischen Kreisen um die Wirbelachse eine radiale

Abb 1.13: Querschnitt durch einen Wirbel

3.1 Themenblock „Wirbel“ 211

Bewegung zur Achse hin überlagert. Um einen Hohlwirbel zu erzeugen, muss lediglich die

Drehzahl des Magnetrührers erhöht werden. Im Zentrum des Wasserwirbels bildet sich eine

Luftsäule aus, die am Umlauf unbeteiligt ist. Die Flüssigkeit dreht sich wie ein Rohr um eine

Achse, dabei zeigt der Wassertrichter eine gleichmäßige spiralige Struktur.

Alternativversuch „Tornado-Rohr“:

Hohlwirbel können auch mit Hilfe eines „Tornado-Rohrs“ erzeugt

werden. Dazu werden zwei möglichst große Getränkeflaschen mit

Hilfe eines Verbindungsstücks miteinander verbunden, das entweder

käuflich erworben oder selbst gebastelt werden kann (siehe Mate-

rialliste).

Das Verbindungsstück selbst zu basteln ist einfach: Zunächst muss

der Durchmesser des Flaschenhalses zusätzlich verengt werden, das

geschieht durch einen Dichtungsring, den man zwischen die Fla-

schen legt. Bei Bedarf, wenn der Wasserwirbel sich immer wieder

abschnürt, muss die Öffnung des Rings noch etwas aufgestemmt

werden. Die Verbindung der Flaschen erfolgt durch ein etwa 4 cm langes Schlauchstück, das

man über die Flaschenhälse zieht. Vorher muss eine Flasche mit Wasser gefüllt werden.

Um einen Wirbel zu erzeugen, werden die Flaschen so gedreht, dass die gefüllte auf dem

Kopf steht und sich in die andere entleert. Um den „Tornado“ zu simulieren, muss das Wasser

durch kreisförmige Bewegung der Flaschen in Rotation versetzt werden. Es entsteht ein

Hohlwirbel. Konfetti oder andere Schwebkörper, die ins Wasser gestreut werden, dienen der

Markierung von Flüssigkeitselementen. Mit ihrer Hilfe kann beobachtet werden, dass die

Bahngeschwindigkeit zum Zentrum hin rasch zunimmt und die Körper im Zentrum um ihre

eigene Achse rotieren.

Die Helmholtzschen Wirbelsätze

1858 veröffentlichte Hermann Helmholtz die nach ihm benannten Wirbelsätze, die

Entstehung und Verhalten von Wirbeln beschreiben. Wir beginnen mit dem anschaulichsten

Teil dieser „Helmholtzschen Wirbelsätze“, der sinngemäß besagt:

Ein Wirbel hat nie ein freies Ende innerhalb der Flüssigkeit, sondern nur an Grenz-flächen.

Wirbel enden entweder an der Oberfläche der Flüssigkeit oder an der Gefäßwand, wie z.B. die

Wasserwirbel in unseren Versuchen oder auch die Badewannenwirbel. Bei Tornados oder

Hurrikans dient als „freie Oberfläche“ eine stabile Luftschicht, die oberhalb der labilen

Schicht in über 15 km Höhe liegt. Innerhalb der Flüssigkeit schließt sich der Wirbel zu einem

Ring zusammen, wie z.B. die Wirbelringe in der Luft, die man durch Rauchpartikel sichtbar

machen kann:

Abb 1.14: Tornado-Rohr

212 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Versuch „Wirbelringe in Luft“:

Um solche Wirbelringe in der Luft selbst zu erzeugen,

benötigt man mindestens einen Raucher, der bereit ist,

seine Zigarettenpause vorzuverlegen und mit seinem

Rauch die Luftringe anzufärben. Gesünder, aber auch

aufwendiger färbt man die Ringe mit einem

„Rauchmacher“ an, der aus zwei Glaszylindern besteht,

die durch Glasröhren so miteinander verbunden sind,

dass Luft zuerst in den ersten Zylinder geblasen wird,

dann von diesem über den zweiten in den Raum. Wird nun der erste Behälter mit verdünnter

Salzsäure, der zweite mit Ammoniak gefüllt, so dass die Salzsäure über den Ammoniak

geblasen wird, erhält man einen zähen Rauch, mit dessen Hilfe Luftwirbel sehr gut sichtbar

gemacht werden können.

Eine „Wirbeltrommel“ ist schnell selbst gebaut: In den Boden einer Kaffeedose oder einer

Waschmitteltrommel wird ein rundes Loch geschnitten, bei einem Blumentopf ist das Loch

am Boden schon da. Als „Trommelfell“ dient bei der Kaffeedose der Plastikdeckel; Wasch-

mitteltrommel oder Blumentopf werden mit einer Plastiktüte bespannt.

Um die Rauchringe zu erzeugen, bläst man Rauch durch das Loch in den Behälter und klopft

sacht mit der Hand auf die

Membran. Es entstehen Rauchringe,

die gemächlich durch den Raum

schweben. Deutlich erkennbar ist die

Struktur der Wirbel, es handelt sich

um filigrane Gebilde, die aus vielen

konzentrischen, um eine

kreisförmige Achse rotierenden

Schichten bestehen.

Alternativversuch „Wirbelringe in Wasser“:

Dieser Versuch ist noch weniger aufwendig und gesünder als das Luftwirbelexperiment. In

eine (möglichst weiße oder Glas-) Schüssel wird Wasser gefüllt. Dann zieht man eine Pipette

oder Injektionsspritze ohne Nadel mit Kalium-Permanganat-Lösung auf. Diese Pipette legt

man ins Wasser und drückt, sobald sich das Wasser beruhigt hat, kurz auf den Ballon oder den

Kolben. Es entstehen kleine Wirbelringe, deren Struktur, Wirbelkern und umgebende kreis-

förmige Schichten sehr gut sichtbar sind.

Weil es so schön ist, noch ein Experiment ...

Abb 1.15: Bauprinzip Rauchmacher

Abb 1.16: Bildfolge: Entstehung eines Wirbelrings (VAN DYKE

1982,66)

3.1 Themenblock „Wirbel“ 213

Versuch „Kaskade“:

Ein hoher Glasbehälter wird eine mindestens eine halbe Stunde vor der Ver-

suchsdurchführung mit Wasser gefüllt, damit es zur Ruhe kommen kann. In

das Wasser träufelt man mit einer Pipette ein Tropfen Tinte. Am Anfang

bleibt der Tropfen zusammen, er fällt fast wie ein Festkörper. Dann bildet

sich ein Wirbelring aus, der langsam wächst. Nach einiger Zeit wird der

Ring instabil, einzelne Segmente lösen sich wie Arme aus dem Ring und

bilden neue Wirbel, die dann wieder in viele kleine Wirbel zerfallen. Nach

und nach entsteht also eine ganze Wirbelkaskade. D'Arcy Thompson, ein

Gestaltforscher, der Anfang dieses Jahrhunderts versuchte, die Formen von

Lebewesen durch physikalische Analogien, z.B. durch Strömungsformen zu

erklären, beschreibt die Bewegung wie folgt: "Aus dem sinkenden Tropfen

entsteht ein vollständiger Wirbelring, er dehnt sich aus und zieht sich zu-

sammen, er wallt umher, und die absinkenden Schlingen verwandeln sich

wieder in neue Wirbel ..." Diese Wirbelkaskaden vergleicht D'Arcy

Thompson mit Quallen und Medusen, deren Gestalt und Form er durch

solche Wirbelexperimente zu erklären versucht.

Bei allen diesen Versuchen ist die Ursache der Wirbelentstehung immer die

unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeit zwischen benachbarten Flüs-

sigkeitsteilchen. Erzeugt wird dieser Geschwindigkeitsunterschied durch den

fallenden Tropfen in ruhender Flüssigkeit oder durch die Haftung an einem

umströmten Körper.

Der äußere Teil der Strömung bleibt zurück, weil die Fluidelemente am Hindernis haften,

während der innere Teil ungehindert weiterströmt. Durch die Reibung der äußeren Elemente

des strömenden Fluids an der Umgebungsflüssigkeit bildet sich zunächst ein Farbpilz, dessen

Ränder sich durch die in der Mitte rasch nachströmende Farbe immer stärker einrollen, der

Wirbel bildet sich aus. Kurze Zeit haftet er noch am Hindernis, dann löst er sich und wandert

mit der Strömung.

Diese Versuche zeigen deutlich: Ohne Reibung in der Flüssigkeit und ohne die Haftung zwi-

schen Flüssigkeit und Hindernis könnten keine Wirbel entstehen, aber auch keine Wirbel

vernichtet werden. Genau das ist die Aussage des ersten Helmholtzschen Wirbelsatzes:

Ohne Reibung können Wirbel weder erzeugt noch vernichtet werden.

Auch den zweiten Helmholtzschen Wirbelsatz können wir unmittelbar mit unseren Ver-

suchen bestätigen. Er lautet:

Die Wirbellinien werden immer aus den gleichen Flüssigkeitselementen gebildet.

Bis sich die Wirbel durch Diffusion und durch Störungen auflösen, wandert der Wirbel „als

Ganzes“ durch die umgebende Flüssigkeit. Es tritt weder Flüssigkeit ein noch aus.

Abb 1.17: Fallen-

der Tropfen

(THOMPSON

1983)

214 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Für den dritten Helmholtzschen Wirbelsatz muss etwas weiter ausgeholt und eine neue

physikalische Größe eingeführt werden: Die „Zirkulation“. Sie ist ein Maß für die Stärke des

Wirbels.

Die Einführung der Zirkulation erfolgt ganz analog zu den Wirbelfeldern um stromdurch-

flossene Leiter. Auch hier entstehen magnetische Feldlinien um den Leiter, die weder Anfang

noch Ende besitzen. Der in Abbildung 1.13 schematisierte Wirbel beschreibt so auch die

Feldlinien um einen Leiter: Der Radius des Wirbelkerns entspräche dem des Leiters, die

Feldstärke H wäre das Analogon zur Bahngeschwindigkeit auf den Stromlinien. Völlig analog

zum Wasserwirbel nimmt auch die Feldstärke H im Inneren des Leiters zu, während sie

außerhalb des Leiters wieder abnimmt.

Zur Berechnung der Zirkulation wird in das

Geschwindigkeitsfeld der Wirbelströmung oder einer

beliebigen anderen Strömung eine geschlossene Kurve

gelegt, die eine beliebige Form haben kann. Diese Kurve

wird in infinitesimal kleine Teilstücke zerlegt

(Abbildung 1.18). Jedes dieser Teilstücke symbolisiert

ein Flüssigkeitselement, das sich mit einer bestimmten

Geschwindigkeit v bewegt. Für die Zirkulation wird nun

die Geschwindigkeit in jedem Teilstück mit der Länge

des Stücks multipliziert und über alle Teilstücke der

Kurve summiert. D.h. man berechnet das Wegintegral

über die geschlossene Kurve C:

Zirkulation � � �� � �

v r dsc

( )

Berechnung der Zirkulation eines idealisierten Wirbels

Annahmen:

� Die Flüssigkeitsteilchen bewegen sich auf konzentrischen Kreisen.

� Die Bahngeschwindigkeit auf jedem Kreis sei konstant, aber sie variiere von Kreis zu

Kreis.

� Einfachste Wegstrecke: Eine der Kreisbahnen um den Kern.

1. Im Wirbel ist in jedem Teilstück �

v parallel zu d�

s . Aus dem Skalarprodukt wird� � � �

vds v ds vds� �cos�

�� ���

cc

ds)r(vsd)r(v���

2. Auf jedem Kreis ist v(r) konstant. v(r) kann vor das Integral gezogen werden.

� � �v r dsc

( )

Abb 1.18: Kurve im Geschwindigkeitsfeld

3.1 Themenblock „Wirbel“ 215

3. Das Linienintegral ist gleich dem Kreisumfang.

r2)r(vrd)r(v

2

0

����� ��

Mit v = �r und der Kreisfläche A = �r2, gilt:

� � �v r r r A( ) ( )2 2� �

Zirkulation eines Wirbels

Über die Zirkulation eines Wirbels besagt das 3. Helmholtzsche Gesetz:

Die Zirkulation für einen beliebigen Weg, der den Wirbelkern einmal umläuft, ist

konstant.

� � �2A =konstant

Dieser Satz findet bei den Wirbelstürmen eine direkte Anwendung: Verjüngt sich die Quer-

schnittsfläche eines Wirbels, muss sich nach dem 3. Helmholtzschen Satz die Winkel-

geschwindigkeit erhöhen, damit die Zirkulation erhalten bleibt. Besonders bei Tornados ist

eine Verringerung des Querschnitts und die damit verbundene Erhöhung der Geschwindigkeit

gefürchtet, da diese Stürme dadurch besonders zerstörerisch werden.

Mit Hilfe des 3. Helmholtzschen Wirbelsatzes kann nun auch die in Abbildung 1.13 dar-

gestellte Bahngeschwindigkeit im Wirbel erklärt werden:

� Für r < a: � = konstant, mit v = � r gilt: v � r.

� Für r > a: � = konstant, vr

��

2��

1

r.

Das heißt im Wirbelkern, der wie ein Festkörper rotiert, nimmt die Bahngeschwindigkeit

proportional mit dem Radius zu, sie wird am Rand des Kerns maximal und nimmt dann

außerhalb mit 1/r ab. Ein Wirbel mit dieser Geschwindigkeitsverteilung wird „Rankinewirbel“

genannt.

Wie bereits gesagt: Die magnetische Feldstärke im Wirbelfeld eines stromdurchflossenen

Leiters nimmt analog zur Bahngeschwindigkeit beim Wasserwirbel im Inneren des Leiters zu:

H�r. Außerhalb des Leiters nimmt sie umgekehrt proportional zu r ab: H�1/r.

In der Originalveröffentlichung seiner Wirbeltheorie formuliert Helmholtz die Wirbelsätze

wie folgt:

„Wirbellinien nenne ich Linien, welche durch die Flüssigkeitsmasse so gezogen sind, daß ihre

Richtung überall mit der Richtung der augenblicklichen Rotationsaxe der in ihnen liegenden

Wassertheilchen zusammentrifft.

Wirbelfäden nenne ich Theile der Wassermasse, welche man dadurch aus ihr herausschnei-

det, dass man durch alle Punkte des Umfangs eines unendlich kleinen Flächenelements die

entsprechenden Wirbellinien construirt.

216 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Die Untersuchung ergiebt nun, dass, wenn für alle Kräfte, welche auf die Flüssigkeit wirken,

ein Kräftepotential existirt,

1. kein Wassertheilchen in Rotation kommt, welches nicht von Anfang an in Rotation

begriffen ist;

2. die Wassertheilchen, welche zu irgendeiner Zeit derselben Wirbellinien angehören, auch

indem sie sich fortbewegen, immer zu derselben Wirbellinie gehören bleiben;

3. dass das Produkt aus dem Querschnitte und der Rotationsgeschwindigkeit eines unendlich

dünnen Wirbelfadens längs der ganzen Länge des Fadens constant ist und auch bei der

Fortbewegung des Fadens denselben Werth behält. Die Wirbelfäden müssen deshalb in-

nerhalb der Flüssigkeit in sich selbst zurücklaufen, oder können nur an ihren Grenzen

endigen.“ (HELMHOLTZ 1858, 4-5)

Versuch „Helmholtz-Wirbel“:

Ganz am Ende seiner Abhandlung beschreibt Helmholtz auch ein

Experiment: „Ich bemerke noch, dass man diese Bewegung der

kreisförmigen Wirbelringe in der Natur leicht studiren kann, indem

man eine halbe eingetauchte Kreisscheibe, oder die ungefähr

halbkreisförmige Spitze eines Löffels schnell eine kurze Strecke

längs der Oberfläche der Flüssigkeit hinführt, und dann schnell

herauszieht. Es bleiben dann halbe Wirbelringe in der Flüssigkeit

zurück, deren Axe in der freien Oberfläche liegt. Die freie Ober-

fläche bildet also eine durch die Axe gelegte Begrenzungsebene der

Wassermasse, wodurch an den Bewegungen nichts wesentliches

geändert wird.“ (HELMHOLTZ 1858, 37)

Die Struktur der Wirbelringe ist noch besser zu sehen, wenn die

Löffelspitze zuvor mit Tinte benetzt wird.

Vergleich der Zirkulation eines Badewannenwirbels mit der eines Hurrikans

a. Zirkulation des Wasserwirbels oder eines Wirbels im Waschbecken

Abstand vom Wirbelzentrum: r � 10 cm

Zeit für einen Umlauf: T�5s => v = 2�r

T

s

m108

T

)r2(

T

r2r2r2)r(v

22

2�

���

��

�����

b. Zirkulation eines Wirbelsturms

v = 220 km/h � 60 m/s bei r �70 km, d.h. am Rande des Auges

� � � � � � � �v r r mm

s

m

s( ) ,2 2 7 10 60 2 6 104 7

2

� � . Die Stärke des Sturms beträgt also das

ungefähr 109-fache der Stärke des Badewannenwirbels.

Abb 1.19: Wirbelring, zur

Hälfte eingefärbt (VAN

DYKE 1982, 44)

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten undStrömungen“

Schritte Materialien

1. Ideale Flüssigkeiten und Strömungen.Beispiel: Das hydrodynamische Para-doxon.

� Vorversuche

� Modellbildung: Kontinuum und idealeStrömungen

� Die Kontinuitätsgleichung

� Druckänderungen längs der Stromlinie.Zwei alternative Herleitungen desBernoullischen Gesetzes

� Druckänderung senkrecht zur Strom-linie

� „Fast unzählige“ Anwendungen

Vorversuche: Papierstreifen, Pappe,Strohhalme

Versuch Zerstäuber: Strohhalme

Versuche „... im Spiel“: Löffel, Münze,Glas, Trichter, Tischtennisball

Versuch „Schiffe“: Spielzeugschiffe,Schüssel, Wasseranschluss mit Schlauch,Faden

Demonstration „Heul-Rohr“: Heulrohrim Spielwarenhandel erhältlich

2. Reale Flüssigkeiten und Strömungen

� Die ViskositätAbhängigkeit von der TemperaturMessung der Viskosität

� Die Haftbedingung

� Newtonsche und nichtnewtonscheFluide

Demonstration „Zähigkeit“: Wasser,Glyzerin, Honig, Motorenöl usw.

Versuch „Kugelfallviskosimeter“: Stand-zylinder, 2 mm Stahlkugel, zu unter-suchende Flüssigkeiten

Demonstration „Nichtnewtonsche

Fluide“ hüpfender Kitt ( z.B. Physik-boutique, Stark Verlag, Pf: 1852, 85318Freising), Slime (Spielwarenläden)

3.2.1 Ideale Flüssigkeiten und Strömungen am Beispiel des hydro-dynamischen Paradoxons

VORBEMERKUNGEN

Dieser Themenblock beginnt mit zwei sehr einfachen, verblüffenden Freihandversuchen,

deren Erklärungen auf einigen einfachen, aber grundlegenden Gesetzen der Hydrodynamik

beruhen. Einer der Vorversuche ist das sog. „hydrodynamische Paradoxon“. Paradoxa nehmen

im Physikunterricht, wie auch in der Physikgeschichte, eine wichtige Rolle ein: Sie regen die

Lernenden an, einer den eigenen Erwartungen widersprechenden Beobachtung auf den Grund

zu gehen. Leider existieren in der Physik nur wenige so leicht zugängliche Paradoxa wie das

hydrodynamische, mit seiner relativ einfachen Erklärung und vor allem seiner Vielzahl von

Anwendungen im täglichen Leben.

218 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Die Gesetzmäßigkeiten dieses Themenblocks basieren ihrerseits auf allgemeinen Überlegun-

gen zur Modellbildung in der Strömungsphysik, der Einführung des Kontinuumbegriffs und

des physikalischen Modells einer idealen Strömung.

Nach der Herleitung der Kontinuitätsgleichung werden zwei alternative Herleitungen der

Bernoulligleichung vorgestellt. Diese Gleichung erlaubt Aussagen über den Druckverlauf

längs einer Stromlinie. Die erste Herleitung über die Energieerhaltung ist in den meisten

Lehrbüchern vertreten und wird deshalb zuerst vorgestellt. Sie hat den Vorteil, dass sie auf

grundlegenden und in der Schule bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten beruht und

mathematisch einfach herzuleiten ist. Ihr Nachteil: Sie verstellt den Blick für den Wirkungs-

mechanismus, der für die Beschleunigung der Flüssigkeitselemente verantwortlich ist. Dies

kann die zweite Herleitung über die Eulerschen Gleichungen leisten, die die Gesetze der

Newtonschen Dynamik für Fluide formulieren. Sie besitzt auch den Vorteil, daß sie den Weg

für die Untersuchung der Druckänderungen senkrecht zur Stromlinie ebnet, die bei ge-

krümmten Stromröhren auftreten.

Diese grundlegenden Gesetzmäßigkeiten erlauben die Erklärung vieler Strömungsphänomene

aus dem Alltag, die im weiteren Verlauf vorgestellt werden. Dieser Themenblock lebt von den

verschiedenen einfachen Versuchen, die mit einem Minimum an Aufwand nachgemacht wer-

den können und den zahlreichen Beispielen aus dem Alltag. Erfahrungsgemäß fallen den

Lernenden selbst eigene Beispiele ein.

Weitere Experimente und Beispiele, vor allem in Hinblick auf den aerodynamischen Auftrieb,

wurde von WELTNER mehrfach veröffentlicht (z.B. WELTNER 1997, WELTNER 1990).

LEHR-UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� die Möglichkeit der Beschreibung von Flüssigkeiten und Gasen im Rahmen einer gemein-

samen Theorie kennen lernen.

� die ideale Strömung als vereinfachtes Modell erkennen und sich anhand dieses Beispiels

die Bedeutung des Modellbegriffs in der Physik vergegenwärtigen.

� die Anwendbarkeit der bekannten Energie- und Impulserhaltungssätze aus der Mechanik

auf Strömungsphänomene erkennen.

� die resultierenden Gleichungen auf einfache Versuche anwenden können.

� eigene Anwendungsbeispiele aus dem Alltag finden können.

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 219

AUSFÜHRUNG

Vorversuche:

1. Ein Streifen Papier wird so vor den Mund gehalten, daß er sich vor dem Mund wölbt und

dann lose nach unten hängt. Nun wird kräftig über das Papier geblasen.

Überraschenderweise wird der Papierstreifen nach oben gesogen.

Abb. 2.1: Vorversuch (KORNECK et al. 1995)

2. Aus nicht zu dünner Pappe oder Bierdeckeln werden zwei gleiche Kreise mit je ca. 10 cm

Durchmesser ausgeschnitten. Eine Scheibe wird in der Mitte mit einem Loch versehen,

dessen Durchmesser so groß sein sollte, dass ein dicker Trinkhalm hindurchpasst. Der

Halm wird an einem Ende in das Loch eingeklebt. Nun werden die beiden Scheiben

übereinander auf die flache Hand gelegt und fest durch den Halm geblasen. Während des

Blasens kann jetzt die untere Scheibe losgelassen werden, ohne dass sie fällt. D.h. die

untere Scheibe wird nicht, wie vielleicht erwartet, weggeblasen, sondern angesogen. Es

muss also neben dem durch das Ausströmen auf die Fläche ausgeübten Druck, dem sog.

Staudruck noch eine zweite, entgegengesetzt gerichtete Kraft geben, die hier überwiegt.

Diesen Effekt nennt man das „hydrodynamische Paradoxon“. Genaugenommen müsste

man hier, da es sich bei dem strömenden Medium um Luft handelt, vom „aerodynamischen

Paradoxon“ sprechen. Das Experiment gelingt genauso mit Wasser und danach wurde das

Experiment auch benannt. Welche Gesetzmäßigkeit steckt hinter diesen Phänomenen?

BEGRIFFLICHER UND THEORETISCHER HINTERGRUND

Was ist ein Modell in der Physik?

Um ein physikalisches Phänomen zu erklären, muss man sich immer zuerst überlegen, welche

physikalischen Größen und Stoffeigenschaften für die Erklärung notwendig sind und welche

begründet ignoriert werden können. Das heißt, man muss sich ein Modell bilden.

Ohne Modelle wäre die Physik nicht so erfolgreich. Allerdings muss man sich immer im kla-

ren sein, dass ein Modell die Realität nur in beschränktem Maß beschreibt. Deshalb können

sich Modelle auch als ungeeignet erweisen und müssen verworfen oder modifiziert werden.

220 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Das bedeutet, dass die Grenzen des gewählten Modells immer im Auge behalten werden müs-

sen.

Für die Erklärung der Vorversuche wird die strömende Luft idealisiert:

Annahmen:

1. Das beobachtete Medium ist ein Kontinuum.

2. Die Strömung ist „ideal“.

Was ist ein Kontinuum?

Jedes Gas und jede Flüssigkeit besteht aus sehr vielen Teilchen, nämlich aus ca.

6,022 � 1023 Teilchen pro Mol. Da wir aber die Flüssigkeit oder das Gas makroskopisch be-

trachten, d.h. in einem Maßstab, der sehr viel größer ist als die Abmessungen einzelner Mole-

küle, erscheinen sie zusammenhängend. Deshalb wählt man ein physikalisches Modell, in

dem nicht das Verhalten der einzelnen Moleküle eine Rolle spielt, sondern lediglich das

statistische Durchschnittsverhalten innerhalb eines gewählten Flüssigkeitselements. In einem

solchen Modell ist der Stoff ein „Kontinuum“.

Ideale Strömungen

Hier handelt es sich, wie der Name schon sagt, um eine Idealisierung, die physikalisch nicht

zu realisieren ist. Trotzdem ist das Modell der idealen Fluide für viele Fälle angebracht, wie

z.B. bei der Betrachtung der Phänomene, die anfangs vorgestellt wurden.

Eigenschaften idealer Fluide:

� Reibungsfreiheit, d.h. zwischen zwei parallel zueinander bewegten Flüssigkeitsschichten

treten keine Kräfte auf. Daher können nach den Helmholtzschen Wirbelsätzen (1. Themen-

block) Wirbel weder entstehen noch vernichtet werden.

� Inkompressibilität, d.h. die Dichte ist unabhängig vom Druck.

Diese Annahme gilt für alle Flüssigkeiten und auch für Gase, solange deren Strömungsge-

schwindigkeit 1/3 der Schallgeschwindigkeit nicht überschreitet.

Auch die Temperatur und damit die Dichte kann in der gesamten idealen Strömung als

gleichbleibend vorausgesetzt werden.

DRUCKÄNDERUNGEN UND BESCHLEUNIGUNGEN - DREI ELEMENTARE GLEICHUNGEN DER

HYDRODYNAMIK

1. Die Kontinuitätsgleichung

Zur Herleitung der Kontinuitätsgleichung betrachtet man eine Flüssigkeit, die durch ein Rohr

strömt. Der Rohrquerschnitt verengt sich im Verlauf des Rohres.

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 221

Folgende Annahmen sollen für die Flüssigkeit und die Strömung gelten:

� Die Flüssigkeit strömt reibungsfrei und füllt das Rohr ganz aus.

� Die Strömung ändert sich nicht mit der Zeit. D.h. die Strömungsbewegung ist stationär.

� Während des Strömungsprozesses fließt Materie weder zu noch ab.

Die Flüssigkeit im Rohr legt, je nach Querschnitt, in der Zeit t verschieden lange Wege zu-

rück:

s1 = v

1t s

2 = v

2t

Das Volumen, das durch die Querschnitte strömt, erhält man mit: V = As

V1 = A

1s

1V

2 = A

2s

2

Wegen der Inkompressibilität muss in einer bestimmten Zeit das gleiche Volumen durch den

großen und den kleinen Querschnitt fließen:

V1 = V

2

A1v

1t = A

2v

2t

v

v

A

A1

2 1

2�

Dies ist die Kontinuitätsgleichung. Sie ist mit m=�V und �=konstant eine besondere Form

des Prinzips der Massenerhaltung.

Aus der Kontinuitätsgleichung folgt also: Für diese Geometrie verhalten sich die Strömungs-

geschwindigkeiten umgekehrt proportional zu den Querschnittsflächen.

Anwendungsbeispiele:

1. Autoverkehr: Unter der Annahme, dass auch der Autostrom inkompressibel sei, d.h. der

Abstand zwischen den Autos immer gleich bleibt, muss bei einer Fahrbahnverengung von

zwei auf eine Spur die Fahrgeschwindigkeit verdoppelt werden, damit die gleiche Auto-

menge passieren kann. In der Praxis aber wird die Geschwindigkeit aus vielen guten Grün-

den verlangsamt.

Abb. 2.2: Zur Kontinuitätsgleichung

222 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

2. Blutkreislauf: Durch eine Arterie mit 0,6 cm Durchmesser fließt Blut mit der Strömungs-

geschwindigkeit von 10 cm /s. Wegen einer Arterienverkalkung ist der Radius der Blut-

bahn an einer Stelle auf 0,4 cm verringert.

Wie groß ist dann die Strömungsgeschwindigkeit in der Verengung?

v vA

A

cm

s

cm

cm

cm

s2 11

2

2

210

0 3

0 222 5� � � �

( , )

( , ),

d.h., wenn sich der Durchmesser um 1/3 verringert, würde die Strömungsgeschwindigkeit

um mehr als das Doppelte ansteigen, wenn man für den Blutkreislauf eine ideale Strömung

annimmt.

2. Druckänderungen längs einer Stromlinie - Zwei alternative Herleitungen desStrömungsgesetzes von Bernoulli

a. Herleitung über den Energiesatz

Nach der Kontinuitätsgleichung ist die Strömungsgeschwindigkeit im engeren Querschnitt A2

höher als im weiteren Querschnitt A1

vA

Av v A2

1

21 1 1� � � v wenn A2 2,

Die Flüssigkeit wird an der Verengung beschleunigt.

Mit Hilfe des Prinzips der Energieerhaltung ist der Druckunterschied zwischen dem engen

und dem weiten Rohrabschnitt berechenbar: Wird das Flüssigkeitsvolumen, wie in Abbildung

2.2 dargestellt, von A1 bis A

1’ verschoben, muss Arbeit W

1 gegen den Druck p

1 an der Stelle

A1’ geleistet werden.

W F s p A s p V1 1 1 1 1 1 1� � �

Im engeren Rohrabschnitt ist die Arbeit durch Verschieben dementsprechend W2.

W F s p A s p V2 2 2 2 2 2 2� � �

Diese Energieterme werden Druckenergie genannt.

Die Differenz zwischen den Druckenergien W1 und W2 an den verschiedenen Stellen der

Röhre wird verwendet, um die Flüssigkeit an der Engstelle zu beschleunigen.

W W W p p V� � � �1 2 1 2( ) .

An dem verschobenen Volumen wird Arbeit verrichtet, die kinetische Energie nimmt zu:

� �W W W V v vkin kin� � � �2 1

1

222

12

� .

Unter der Annahme, dass die Strömung keinen Höhenunterschied überwinden muss, bleibt die

potentielle Energie der Strömung gleich. Auch die innere Energie bleibt längs der Strömung

unverändert, wenn sich die Temperatur der Flüssigkeit nicht ändert, d.h. weder geheizt noch

gekühlt wird.

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 223

Durch Gleichsetzen der Druck- und der Bewegungsenergie und Kürzen des Volumens V

erhält man das Strömungsgesetz von Bernoulli (1738):

p v p v1 12

2 22

� � �1

2

1

2� �

Eges1

= Eges2

Dabei ist p der „statische Druck“, der nach allen Seiten gleichmäßig wirkt und 1

2�v2 der

„dynamische Druck“ oder auch „Staudruck“, der nur in Strömungsrichtung wirkt.

Nach dem Gesetz von Bernoulli ist also längs einer Stromlinie die Summe aus dem statischen

Druck und dem dynamischen Druck überall gleich:

konstantv2

1p 2

���

Je größer die Strömungsgeschwindigkeit, desto kleiner ist der statische Druck an dieser Stelle.

An Engstellen ist somit der statische Druck geringer als an weiten Stellen (HEYWANG et.al.

1978; BOHL 1991, 81).

b. Herleitung über die Eulerschen Gleichungen

Welche Kräfte bestimmen die Bewegung eines Flüssigkeitselements?

� Äußere Kräfte Fä

� Reibungskräfte Fr

� Druckkräfte Fp

� Trägheitskräfte Ft

Wie bereits erwähnt, untersuchen wir das einfachste physikalische Modell einer Strömung:

Eine stationäre Strömung ohne Reibung und äußere Kräfte (z.B. die Schwerkraft). Deshalb

beschränkt sich die Kräftebilanz auf die Trägheitskraft und die Druckkraft:

Ft=Fp

Mit dem Ortsvektor r des Fluidelements ist dessen Trägheitskraft gleich

Ft=dm dv

dt=dm��r .

Die Beschleunigung ��r des Fluidteilchens wird nun in

eine Komponente längs und eine Komponente quer der

Stromlinie zerlegt (Abbildung 2.3).

Zunächst wird nur die Komponente ��s der Beschleu-

nigung längs der Stromlinie betrachtet:

Damit das Flüssigkeitsteilchen beschleunigt wird,

muss der Druck auf einer Seite höher sein als auf der

anderen. Unter der Annahme, dass der Druck in s-

Abb. 2.3: Komponenten der Beschleunigung

längs und quer zur Stromlinie

224 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Richtung abnimmt, ergibt sich folgende Bilanz:

dm ��s = -A(p+dp) +Ap

Mit ��s =dv

dt ergibt sich

dm dv

dt= -Adp.

Dabei ist dp die Druckänderung in s-Richtung.

Mit dm =�A ds und durch Umformen der Gleichung kann diese integriert werden:

�dv

dtds = - dp

� dvds

dtdp� ���

Es ergibt sich das Strömungsgesetz von Bernoulli:

2 22

12

1 2( )v v p p� � �

Oder in der bekannten Formulierung:

p v p v1 12

2 22

� � �1

2

1

2� �

konstantv2

1p 2

���

3. Druckänderungen senkrecht zur Stromlinie

Wie bereits erwähnt, gilt das Strömungsgesetz von Bernoulli nur für Druckänderungen längs

der Stromlinie. Ist aber die Bahn des Flüssigkeitsteilchens - wie in Abbildung 2.3 - gekrümmt,

muss auf der Teilchenoberseite ein höherer Druck herrschen als auf seiner Unterseite, damit es

der gekrümmten Bahn folgt. Unter den gleichen Voraussetzungen wie in 2.b gilt für die

Kräftebilanz in z-Richtung:

dm ��z = A(p+dp) -Ap.

Allgemein wird ein Teilchen, das sich auf einer Bahn mit dem Krümmungsradius R bewegt,

radial nach innen beschleunigt:

��zv

R�

2

Mit dm =�A dz

dmv

R

2

= A(p+dp) -Ap

�A dz v

R

2

=Adp

�v

R

dp

dz

2

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 225

Aus dieser Gleichung ist erkennbar, dass gekrümmte Stromröhren Druckänderungen

senkrecht zu den Stromlinien aufweisen. Je höher die Strömungsgeschwindigkeit und je

kleiner die Krümmung der Stromröhre, desto größer ist die Druckänderung. In einer

gekrümmten Stromröhre herrscht außen ein höherer Druck als innen. Bei geraden Stromlinien,

d.h. für R� � ist die Druckverteilung über den Querschnitt der Strömung gleich (dp

dz� 0)

(WELTNER 1997; BOHL 1991, 90). Diese Komponente der Teilchenbeschleunigung tritt nur

dann auf, wenn Hindernisse in der Strömung gekrümmte Stromlinien erzwingen. Dadurch

entstehen Druckänderungen senkrecht zur Bahn und, je nach Form der Umströmung, Unter-

und Überdruckgebiete.

Im folgenden werden, wie beispielsweise im zweiten Vorversuch, Strömungen vorgestellt, die

Engstellen passieren müssen. Dabei bleiben die Stromlinien aber im wesentlichen geradlinig.

Hier können die Druckdifferenzen in der Strömung durch das Gesetz von Bernoulli erklärt

werden. Sobald aber gekrümmte Stromlinien auftreten, muß die Druckänderung senkrecht zu

den Stromlinien zur Erklärung herangezogen werden. Der erste Vorversuch ist ein Beispiel für

dieses Erklärungsmuster:

Die Erklärung des ersten Vorversuchs

Jetzt kann man das Anheben des Papierstreifens im ersten Vorversuch erklären: Vor dem

Mund wölbt sich das Papier zu einem „Buckel“. Bläst man dieses Hindernis an, folgt die

Strömung unter bestimmten Bedingungen der Form des Hindernisses, ohne sich zu verwir-

beln. Es entstehen gekrümmte Stromlinien (vergleiche Abbildung 2.3) und damit Druck-

änderungen senkrecht dazu. In großer Entfernung oberhalb, sowie unterhalb des Papiers

herrscht Normaldruck, während aufgrund der umgelenkten Strömung der Druck von außen

nach innen abnimmt und deshalb über dem Papier Unterdruck herrscht. Das Papier wird nach

oben, zu diesem Gebiet geringeren Drucks hinbewegt. Der Papierstreifen erfährt einen dyna-

mischen Auftrieb.

Die Erklärung des zweiten Vorversuchs

Wird durch den Trinkhalm geblasen, strömt die Luft durch den

Halm, wird durch die untere Scheibe umgelenkt und strömt

sternförmig nach außen.

Den Zwischenraum zwischen den Scheiben kann man sich aus

Zylindermänteln aufgebaut vorstellen, mit nach außen immer

größer werdenden Radien. Sie werden von der Strömung durch-

flossen. Wegen der Kontinuitätsgleichung muss die Strömungs-

geschwindigkeit nach außen hin abnehmen.

Dementsprechend nimmt der Druck zwischen den Scheiben gemäß dem Gesetz von Bernoulli

nach außen hin zu. Am äußersten Zylindermantel entspricht er dem Atmosphärendruck.

Abb. 2.4: Zwischen parallel

zueinander stehenden

Scheiben wird Luft geblasen

226 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Das Unterdruckgebiet sorgt dafür, dass die untere Scheibe nicht weggeblasen wird. Der Unter-

druck kompensiert nicht nur die Gewichtskraft der Scheibe, sondern auch den im Querschnitt

des Halms herrschenden Überdruck, der durch das direkte Anblasen der Scheibe entsteht

(NEUNASS 1967, 75).

FAST UNZÄHLIGE ANWENDUNGEN ...

... in der Technik

Wasserstrahlpumpe: Abbildung 2.5 zeigt das vereinfachte Prinzip

einer Wasserstrahlpumpe, die in der Technik häufig eingesetzt wird,

z.B. in Vergasern von Ottomotoren. Man benötigt ein Rohr, das sich

in seinem mittleren Teilstück verengt. An der verengten Stelle wird

ein Steigrohr angebracht, das senkrecht in einem Flüssigkeitsbehälter

hängt, aus dem die Flüssigkeit nach oben gepumpt werden soll.

Strömt nun Flüssigkeit durch das waagrechte Rohr, muss nach der

Kontinuitätsgleichung die Strömungsgeschwindigkeit in der Ver-

engung zunehmen. Dementsprechend sinkt der Druck in der Flüs-

sigkeit von p1 auf p2 an der Engstelle.

Durch eine geeignete Wahl von Strömungsgeschwindigkeit und

Rohrdurchmesser kann ein Druck p2 an der Engstelle erreicht werden,

der geringer ist als der Außendruck p0. Dieser Unterdruck bewirkt,

dass die Flüssigkeit im Steigrohr nach oben gepumpt wird.

Zerstäuber: Der Zerstäuber ist nach einem ähnlichen Prinzip aufgebaut

wie die Strahlpumpe, allerdings ragt hier das Steigrohr als Hindernis in

eine freie Strömung. Mit einem einfachen Versuch kann man das

Prinzip des Zerstäubers demonstrieren (Abbildung 2.6):

Versuch „Zerstäuber“:

Ein Trinkhalm wird in zwei Teile geschnitten, die senkrecht zueinander gehalten werden. Ein

Teil des Halms dient als Steigröhrchen, der zweite Teils als Zerstäuber. Mit ihm wird

senkrecht über die Öffnung des im Wasser stehenden Halms geblasen. Das Anblasrohr wird

dabei so gehalten, dass sich die obere Kante des Steigrohrs in der Mitte des anströmenden

Luftstrahls befindet. Auf diese Weise muss die Strömung um das Steigrohr als Hindernis

ausweichen. Es entstehen gekrümmte Stromlinien und dadurch ein Unterdruck über der

Steigrohröffnung. Die Flüssigkeit steigt aus dem Behälter nach oben und wird zerstäubt.

Schornstein: Bei Schornsteinen wird der durch gekrümmte Stromlinien entstehende Unter-

druck ebenfalls ausgenutzt: Der Kamin ragt als Hindernis in die Luftströmung und zwingt

diese auf gekrümmte Bahnen. Dadurch entsteht über seiner Öffnung ein Unterdruckgebiet, das

dafür sorgt, dass der Rauch besser abzieht.

Abb. 2.5: Vereinfachtes

Prinzip einer Strahl-

pumpe

Abb. 2.6: Zerstäuber aus

Strohhalmen

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 227

Natürlich ist der eben beschriebene Mechanismus nicht allein für das Abziehen des Rauchs

zuständig. Vielmehr wird der Haupteffekt beim Schornstein durch den Temperaturunterschied

zwischen dem Rauch und der Umgebungsluft erzielt. Auch kann bei den eben beschriebenen

Phänomenen nicht davon ausgegangen werden, dass die Strömung tatsächlich reibungsfrei

und laminar ist: In einer realen Strömung können Wirbel oder gar Turbulenz entstehen. In

erster Näherung ist diese einfache Erklärung gültig.

... in der Biologie

Turmspinnen: Einige Tierarten

nutzen durch Strömungen verän-

derte Druckverhältnisse aus. Ein

Beispiel ist die mit der Tarantel

verwandte Turmspinne. Sie lebt in

Gebieten mit wüstenähnlichem

Klima in röhrenförmigen Höhlen.

Diese Höhlen sind etwa 30 cm

tief, vertikal in Sand oder lockeres

Erdreich gegraben. Den Ausgang

der Röhre bildet ein Krater, der etwa einen Zentimeter hoch über dem Erdboden aufragt.

Dieser „Turm“ besteht aus Sand, Erde, Pflanzenresten und Spinnfäden. Die linke Zeichnung

in Abbildung 2.7 zeigt einen solchen Turm. Streicht Wind an dem Kraterausgang vorbei, wird

die Strömung auf gekrümmte Bahnen gezwungen und es entsteht am Kraterausgang ein

Unterdruck. Aus der Röhre wird Luft herausgesogen. Zum Ausgleich tritt nun Luft durch die

poröse Erde in die Höhle. Dieses Prinzip hat neben der Sauerstoffversorgung einen weiteren

wichtigen Vorteil: Da die Spinne in sehr heißen Gebieten lebt, würde ihre Höhle den Tag über

austrocknen. Dies wird durch den ständigen Zufuhr an, durch den Erdboden gekühlter,

feuchter Luft verhindert.

Präriehund: Eine andere Tierart, die Druckunterschiede ausnutzt, ist der Präriehund, der in

Nordamerika beheimatet ist. Präriehunde leben in etwa 15 m langen, tunnelförmigen Erd-

höhlen mit zwei unterschiedlich geformten Ausgängen (siehe rechte Zeichnung in

Abbildung 2.7). Ein Ausgang ist von einem hohen, konisch zulaufenden Ringwall umgeben,

der andere Ausgang ist niedriger und flach. Die Form der unterirdischen Gänge ist ungünstig

für eine Sauerstoffversorgung durch Wärmekonvektion. Der Sauerstoffvorrat, der durch Kon-

vektion in die Höhle gelangt, reicht nicht einmal aus, um den Bedarf eines Tieres zu decken.

Da aber mehrere Präriehunde gemeinsam in einer Höhle leben, muss die Sauerstoffversorgung

durch ein anderes Prinzip gewährleistet sein. Dies geschieht, ähnlich wie bei der Turmspinne,

durch Druckunterschiede an den beiden Ausgängen: Streicht Wind über die Ausgänge der

Höhle, muss er den erhöhten Ausgang als Hindernis umströmen. Es entstehen gekrümmte

Abb. 2.7: Bauten von Turmspinne und Präriehund (VOGEL 1979)

228 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Stromlinien und damit am erhöhten Ausgang ein Unterdruckgebiet. Der Druck am höher-

liegenden Ausgang ist niedriger als der Druck am flachen Höhlenausgang. Es entsteht eine

Strömung vom Gebiet des höheren Drucks zum Gebiet niedrigeren Drucks, der Bau wird be-

lüftet. Es reicht eine sehr geringe Windgeschwindigkeit aus, um die Luft im Bau innerhalb

weniger Minuten auszutauschen. Die Belüftung ist unabhängig von der Windrichtung, die

Luft strömt im Bau immer von der Stelle des höheren zur Stelle des niedrigeren Druckes.

Wird die Strömung durch Rauch sichtbar gemacht, sieht man, dass dieser immer aus dem

höheren der beiden Ausgänge steigt.

... im Spiel

Versuch „Münze ins Glas blasen“:

Eine möglichst leichte, großflächige Münze wird auf eine Tischplatte in der Nähe der Tisch-

kante gelegt. Diese Münze soll nun durch Blasen in ein gekipptes Glas gehoben werden. Wird

stark genug horizontal über die Münze geblasen, muss die Strömung um das Hindernis

ausweichen und es entsteht durch die gekrümmten Stromlinien ein Unterdruckgebiet über der

Münze. Ist die Münze einmal ein kleines Stück hochgehoben, kann die Luft auch unter die

Münze strömen. Mit etwas Glück und einem langen Atem kann sie nun in das Glas

„geblasen“ werden.

Versuch „Tischtennisball im Trichter“:

Ein Tischtennisball kann in einem auf dem Kopf stehenden Trichter gehalten werden, wenn

stark in die enge Öffnung des Trichters geblasen wird. Der Ball dient als Hindernis im Luft-

strom, der durch die Verengung zwischen Ball und Trichterwand hindurchströmt. Durch das

Ausweichen der Strömung entstehen gekrümmte Stromlinien und damit ein Unterdruck, der

den Ball im Trichter hält.

Versuch: „Löffel im Wasserstrahl“:

Ein Kaffeelöffel wird, nach unten hängend, locker in die Hand genommen. Nähert man den

Löffel vorsichtig der Oberfläche des fließenden Wasserstrahls, kann man beobachten, dass die

Löffelfläche in den Wasserstrahl gezogen und im Strahl gehalten wird.

... unterwegs

Schirm: Wenn man mit einem Regenschirm bei stürmischem Wetter spazieren geht, kann es

passieren, dass der Schirm umgestülpt wird. Der Wind streicht mit einer hohen Geschwindig-

keit über den Schirm, der als Hindernis wirkt und die Stromlinien umlenkt. Es entsteht ein

Unterdruck, der den Schirm umstülpt.

Schiffe und Züge: Wird ein Schiff auf See mit Treibstoff versorgt oder müssen Postsäcke aus-

getauscht werden, ist es notwendig, dass zwei Schiffe eine Zeitlang parallel nebeneinander

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 229

herfahren. Dabei muss ein bestimmter Mindestabstand eingehalten werden, da man sonst

selbst mit starken Manövrierbewegungen Schwierigkeiten hat, die Schiffe wieder zu trennen.

Zur Erklärung kann das Bernoullische Gesetz herangezogen werden: Das anströmende Wasser

strömt durch die Engstelle zwischen den beiden Schiffen. Dadurch erhöht sich die Strö-

mungsgeschwindigkeit und dementsprechend verringert sich der Druck in der Verengung.

Den gleichen Effekt müssen die Planer der ICE-Strecken beachten: Zwei mit hoher Ge-

schwindigkeit parallel nebeneinander vorbeifahrende Züge ziehen sich wegen des entstehen-

den Unterdruckes im Zwischenraum zwischen den Zügen an. Deshalb muss ein Mindest-

abstand zwischen den Gleisen eingehalten werden.

Auch in der Binnenschifffahrt kann man Phänomene beobachten, die auf das Gesetz von

Bernoulli zurückzuführen sind: In einem Kanal, dessen Wassertiefe den Tiefgang der Schiffe

nur knapp übersteigt, kann es passieren, dass bei schneller Fahrt das Schiff an den Grund des

Kanals gesogen wird. Dies ist die Hauptursache für die baulichen Schäden an Kanälen.

Versuch „Schiffe“:

Schüssel mit Wasser füllen, zwei Spielzeugschiffe draufsetzen, mit Fäden stabilisieren.

Zwischen den Schiffen mit einem Schlauch Wasser durchspritzen => Schiffe bewegen sich

aufeinander zu.

... in der Akustik

„Heulrohr“: Beim Heulrohr handelt sich um

ein quergeriffeltes Kunststoffrohr von ca.

einem Meter Länge, das im Spielzeughandel

erhältlich ist. Dieses Rohr wird an einem

Ende festgehalten und in der Luft

kreisförmig geschwungen. Durch das

Herumschleudern wird die Luft im Rohr,

ähnlich einem herumgeschleuderten Stein,

nach außen gezogen. Es entsteht eine

Strömung im Rohr. Dabei gibt es einen

sehr lauten Heulton von sich.

Wie entsteht dieser Heulton?

Die Luft muss an den Rillen im Rohrinneren vorbeiströmen, dabei entstehen Druckschwan-

kungen, die eine Schallwelle erzeugen.

Durch den Luftstrom wird ein verrauschtes Frequenzspektrum angeregt. Wenn dieses breite

Spektrum auf der Grundfrequenz des Rohres oder der Frequenz eines Obertons liegt, erhält

man einen klaren Heulton (EHRLICH 1985).

Abb. 2.8: Heulrohr. Eigenfrequenzen des Heulrohrs und

darüberliegendes, verrauschtes Spektrum des Luft-

stroms

230 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

3.2.2 Reale, reibungsbehaftete Strömungen - Viskosität und Haft-bedingung

VORBEMERKUNGEN

Dieser zweite Unterrichtsteil zeigt die Grenzen des Modells der idealen Flüssigkeit auf. In der

Natur sind Strömungen immer reibungsbehaftet. Deshalb wird in diesem Unterrichtsteil die

Viskosität als strömungsbeeinflussender Faktor eingeführt, auch im Hinblick auf den dritten,

vierten und sechsten Themenblock dieser Unterrichtsreihe. Des weiteren wird die Abhängig-

keit der Viskosität von verschiedenen Parametern wie Temperatur oder Scherspannung the-

matisiert. Die Erkenntnis, dass die Viskosität nicht als Konstante betrachtet werden kann,

führt zum Begriff der „nichtnewtonschen Flüssigkeiten“. Aus dieser großen Stoffklasse

wurden speziell schubverdickende und -verdünnende Fluide ausgewählt.

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� die Grenzen des Modells einer idealen Flüssigkeit erkennen.

� die Viskosität als physikalische Größe und als wichtigen strömungsbeeinflussenden Faktor

kennen lernen.

� erkennen, dass die Viskosität keine Konstante ist und dass sich manche Substanzen unter

verschiedenen Voraussetzungen einmal wie ein Festkörper, dann wieder wie eine Flüssig-

keit verhalten.

� Schubverdickende von schubverdünnenden Flüssigkeiten unterscheiden können.

AUSFÜHRUNG

Demonstration: Verschiedene Flüssigkeiten werden auf ihre Zähigkeit hin betrachtet.

Beim Vergleich verschiedener Flüssigkeiten wie Wasser, Glyzerin, Honig, Motorenöl usw.

stechen sofort gravierende Unterschiede ins Auge. Schon beim Umschütten der Flüssigkeiten

von einem Gefäß in ein anderes zeigt sich, dass die Flüssigkeiten unterschiedlich zäh sind.

Um das Verhalten dieser Flüssigkeiten realistischer zu beschreiben, muss ihre Zähigkeit be-

rücksichtigt werden. Für die Definition der Zähigkeit stellt man sich die Flüssigkeit aus

Schichten aufgebaut vor, ähnlich wie aufeinandergestapelte Spielkarten. Diese Flüssigkeits-

schichten der Dicke �z befinden sich nun zwischen zwei Platten gleicher Fläche (Abbildung

2.9). Die untere Platte bleibt in Ruhe, während die obere Platte verschoben wird.

Bei einer idealen Flüssigkeit würde die Platte über die Flüssigkeitsschicht gleiten, ohne dass

diese sich bewegt. Bei realen Flüssigkeiten aber wird der Bewegung der Platte eine Rei-

bungskraft entgegengesetzt: Jede Schicht der Flüssigkeit reibt an ihren Nachbarschichten. Auf

diese Weise werden auch von der Platte weiter entfernte Schichten bewegt. Diesen Prozess

nennt man „Scherung“.

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 231

Die Geschwindigkeit v der einzelnen

Schicht ist umso kleiner, je weiter die

Schicht von der oberen, bewegten Platte

entfernt ist. Für die meisten Flüssigkeiten

ändert sich die Geschwindigkeit zwischen

den Platten linear.

Um den Widerstand zu überwinden, der

durch die Reibung der Flüssigkeits-

schichten untereinander entsteht und so

die Geschwindigkeit konstant zu halten,

muss ständig mit einer Kraft F gezogen

werden.

Diese Kraft ist

� proportional zu dem Geschwindigkeitsgefälle �v/�z. D.h. je stärker sich die Geschwindig-

keit mit der Schichthöhe ändern soll, desto größer muss die angreifende Kraft sein.

� proportional zur Fläche A der Schicht.�

F~ Av

z

Der Proportionalitätsfaktor ist die sog. „Zähigkeit“ oder auch „dynamische Viskosität“.

Bezeichnet wird sie mit dem griechischen Buchstaben � (eta).

Ihre Einheit ist Pa s = Ns/m2 = kg /s m.

Damit lautet die Formel für die innere Reibungskraft: F=z

vA

�� . Für sehr dünne Schichten

kann das Geschwindigkeitsgefälle als Differentialquotient geschrieben werden:

dz

dvA

z

vlimAF

0z��

���

��

Diese Beziehung wird auch das „Newtonsche Reibungsgesetz“ genannt.

Die innere Reibung ist der Widerstand, den die Flüssigkeit bei einer Schergeschwindig-

keit dv/dz dem Fließen entgegensetzt.

Tabelle 2.1 zeigt die Viskosität verschiedener Stoffe. Die zusätzliche Angabe der Temperatur

deutet schon darauf hin, dass die Viskosität keine Konstante ist, sondern von der Temperatur

des Mediums abhängt.

Solche Fluide, wie Luft und Wasser, die dem Newtonschen Reibungsgesetz gehorchen und

deren Viskosität lediglich von der Temperatur und dem Druck abhängt, werden auch „ideal

viskos“ genannt. Es handelt sich um die sogenannten „newtonschen Fluide“.

Abb. 2.9: Schichtweiser Aufbau einer Flüssigkeit zwischen

zwei Platten.

232 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Stoff (Flüssigkeiten) Temperatur (°C) Viskosität � (10-3 Pa s)

Äther 20 0,23

Wasser 20 1,006

Petroleum 20 1,46

Terpentin 20 1,49

Quecksilber 20 1,55

Glyzerin 20% 20 1,76

Glyzerin 60% 20 10,8

Glyzerin 100% 20 1,41·103

Pech 20 3·1010

Blut 37 �4

Stoff (Gase) Temperatur (°C) Viskosität � (10-6 Pa s)

Wasserstoff 20 9,5

Ammoniak 20 10,8

Methan 20 12

Kohlendioxid 20 16

Luft 20 18,1

Stickstoff 20 18,4

Sauerstoff 20 20,9

Tabelle 2.1: Viskosität verschiedener Flüssigkeiten und Gase

In der Literatur wird wegen der einfacheren Dimension häufig statt der dynamischen Viskosi-

tät die kinematische Viskosität verwendet. Es handelt sich bei dieser Größe lediglich um die

dynamische Viskosität dividiert durch die Dichte. Die kinematische Viskosität wird mit dem

Buchstaben � bezeichnet:

� = �/�s

m

m/kg

m/Ns

m/kg

Pas 2

3

2

3����

���

Diese Unterrichtsreihe verwendet im weiteren die dynamische Viskosität. Der Einfachheit

halber wird der Zusatz „dynamisch“ weggelassen, weil keine Verwechslungen möglich sind.

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 233

Abhängigkeit der Viskosität von der Temperatur bei Flüssigkeiten

Oft wird im Alltag ausgenutzt, dass Flüssigkeiten beim Erwärmen dünnflüssiger und beim

Abkühlen wieder zäh werden, z.B. Honig bei der Weihnachtsbäckerei oder Asphalt im

Straßenbau. Die Viskosität von Flüssigkeiten nimmt also mit steigender Temperatur ab. Dass

dieses Verhalten aber nicht nur zähe, klebrige Flüssigkeiten an den Tag legen, zeigt die

folgende Tabelle und die dazugehörende Abbildung: Die Viskosität von Wasser sinkt bei

einer Temperaturerhöhung von Raumtemperatur auf 100°C exponentiell auf fast ¼ des

ursprünglichen Wertes (� � Aeb

T ; A und b sind Materialkonstanten).

Wie kann man sich diese Abhängigkeit erklären? Der Widerstand der Flüssigkeit gegen die

Scherung wird vor allem durch intermolekulare Kräfte verursacht. Wenn die Temperatur

steigt, dehnen sich Flüssigkeiten aus, mit Ausnahme des Wassers zwischen 0° und 4°C

(Anomalie des Wassers). Der mittlere Abstand zwischen den Molekülen wächst und die mitt-

lere Anziehungskraft sinkt. Die Viskosität nimmt ab.

Es gibt keine allgemeingültige Formel, die das Temperaturverhalten der Viskosität aller

newtonschen Flüssigkeiten beschreibt. Zwar existieren verschiedene empirisch gefundene Zu-

sammenhänge, allerdings gelten sie nur für begrenzte Temperaturbereiche (SCHADE et al.

1980, 22).

Was passiert, wenn man Motorenöl erwärmt? Eine wichtige Eigenschaft des Motorenöls ist,

dass seine Viskosität über weite Temperaturbereiche konstant bleibt. Dies wird erreicht,

indem dem Öl Polymere zugesetzt werden. Diese Polymere zeigen ein zu den üblichen

Flüssigkeiten komplementäres Verhalten: Ihre Viskosität nimmt mit steigender Temperatur

ab. Durch die Zugabe dieses „Additivs“ kann die Viskosität der Mischung halbwegs konstant

gehalten werden.

Abhängigkeit der Viskosität von der Temperatur bei Gasen

Im Gegensatz zu Flüssigkeiten nimmt bei Gasen die Viskosität mit steigender Temperatur zu,

da die Querbewegung, die thermische Bewegung der Gasmoleküle quer zur Hauptströmung,

Temperatur (°C) Viskosität � (10-3 Pa s)

0 1,79

20 1

40 0,65

60 0,46

80 0,35

100 0,28

Tabelle 2.2: Temperaturabhängigkeit der Viskosität von Wasser

� (10-3 Pa s)

1,5

1

0,5

20 40 60 80

T(�C)

234 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

zunimmt. Die mittlere Stoßzeit, d.h. die Zeit zwischen den

Stößen der Teilchen wird mit zunehmender Temperatur

immer kleiner. Die Stöße bewirken, dass Teilchen be-

schleunigt oder abgebremst werden, es herrscht ein

verstärkter Impulsaustausch zwischen den Molekülen.

Dieser Effekt wirkt sich wie eine zusätzliche Zähigkeit

aus.

Die Viskosität von Flüssigkeiten und Gasen zeigt ein entgegengesetztes Temperaturverhalten.

Bei Flüssigkeiten nimmt die Viskosität mit steigender Temperatur ab.

Bei Gasen nimmt die Viskosität mit steigender Temperatur zu.

Die Viskosität ist nicht nur temperatur-, sondern auch druckabhängig. Im Gegensatz zur

Temperaturabhängigkeit der Viskosität macht sich die Druckabhängigkeit erst bei großen

Drücken bemerkbar.

Haftbedingung

In unserem Gedankenexperiment zur Scherung (Abbildung 2.9) bewegt sich die oberste

Flüssigkeitsschicht direkt an der bewegten Platte mit deren Geschwindigkeit. D.h. sie haftet

an der Berandung. Dasselbe gilt für die Schicht direkt an der unteren Platte: Sie hat wie diese

die Geschwindigkeit null. Diese sog. „Haftbedingung“ konnte man schon in den Versuchen

zum ersten Themenblock „Wirbel“ beobachten: Schwimmer, wie Streichholzköpfe oder Kon-

fetti, hatten direkt an der Wand die Geschwindigkeit null, da die direkt benachbarte Flüssig-

keitsschicht am Glas haftete. Die Haftbedingung ist unabhängig vom Material des Gefäßes.

Messung der Viskosität mit dem Kugelfallviskosimeter

Versuch „Kugelfallviskosimeter“:

Um die Viskosität einer Flüssigkeit zu messen, gibt es eine einfache Methode: Man füllt die

Flüssigkeit in einen hohen Behälter und läßt ein Kügelchen hindurchfallen.

Das bewegte Kügelchen reißt benachbarte Flüssigkeitsschichten mit. Nach der Haftbedingung

hat die erste Schicht direkt an der Kugel deren Geschwindigkeit. Weiter nach außen hin

nimmt die Geschwindigkeit ab. Diesen Bereich der Flüssigkeit, in dem durch die Scherung ein

Geschwindigkeitsgefälle entsteht, nennt man „Grenzschicht“. Sie hat bei der fallenden Kugel

eine Ausdehnung, die ungefähr in der Größenordnung des Kugelradiuses r liegt.

So kann man das Geschwindigkeitsgefälle abschätzen: dv

dz

v

r� � .

� ist ein noch unbekannter Faktor mit der Größenordnung 1.

Abb. 2.10: Temperaturabhängigkeit

der Viskosität von Luft

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 235

Damit gilt für den Widerstand, den die Flüssigkeit der fallenden Kugel entgegensetzt:

F Adv

dzr

v

r� �� �� �4 2 .

Eine genauere, aber wesentlich kompliziertere Herleitung liefert die exakte Beziehung und

damit auch den Wert für � :

vr6F ��� , � =1,5.

Dies ist das Stokes-Gesetz für die laminare Umströmung einer Kugel. Für andere Körper- und

andere Strömungsformen ist es noch schwieriger, den Strömungswiderstand zu finden. Im 4.

Themenblock „Umströmte Körper“ wird genauer darauf eingegangen.

Auf eine Kugel, die in einer Flüssigkeit oder einem Gas fällt, wirken neben der Reibungskraft

FR die Gewichtskraft FG und die Auftriebskraft FA:

mx��= FG -FA -FR.

Am Anfang der Fallbewegung ist die Geschwindigkeit der Kugel und damit auch der Wider-

stand null. Mit der Beschleunigung der Kugel durch die Schwerkraft nimmt auch der Strö-

mungswiderstand durch innere Reibung zu, bis Auftriebskraft und Widerstand die Beschleu-

nigung ausgleichen und der Körper mit konstanter Geschwindigkeit ve fällt. Dann ist

FG -FA = FR

Mit der Dichte der Kugel �K und der Dichte der Flüssigkeit �F gilt:

FG -FA= ( )� �K F Vg� = 4

33

�r g K F( )� ��

und durch Gleichsetzen mit FR erhält man die Sinkgeschwindigkeit ve:4

33

�r g K F( )� �� = 6��v re

ve=2

9

2grK F

�� �( )�

Mißt man nun diese konstante Endgeschwindigkeit der Kugel, kann die Viskosität der Flüs-

sigkeit, in der die Kugel fällt, bestimmt werden:

� � �� �2

9

2gr

ve

K F( ) .

Bei der Durchführung des Versuchs muss darauf geachtet werden, dass der Durchmesser des

Standzylinders wesentlich größer ist als der Durchmesser des Kügelchens, damit keine Stö-

rungen durch die Berandung auftreten. Mit Hilfe dieses Versuchs kann untersucht werden,

dass die Viskositätswerte stark von der Temperatur abhängen.

Nichtnewtonsche Flüssigkeiten

Es existieren Stoffe, deren Viskosität nicht nur von der Temperatur abhängt, sondern zusätz-

lich von anderen Faktoren, wie der Schergeschwindigkeit �v/�z, mit der die Flüssigkeitsteil-

chen gegeneinander verschoben werden.

236 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Demonstration „hüpfender Kitt“: Ein Beispiel für eine

solche Flüssigkeit ist der sog. „hüpfende Kitt“. Es han-

delt sich um eine sehr zähe „Knetmasse“ mit ungewöhn-

lichen Eigenschaften: Ruht der Kitt in einem Gefäß oder

in der Hand, fließt er unter dem Einfluss der Schwerkraft

wie eine Flüssigkeit. Wird er aber zu einer Kugel ge-

formt und gegen die Wand geworfen, springt er zurück

wie ein Ball. Nimmt man den Kitt aber in beide Hände

und reißt ihn auseinander, bricht er und zeigt eine glatte

Bruchstelle. Offensichtlich verhält sich dieses Material

unter veränderter Krafteinwirkung unterschiedlich.

Seine Viskosität nimmt mit der Schergeschwindigkeit �v/�z zu. Die Viskosität ist bei gleich-

bleibender Temperatur nicht mehr konstant. Zwischen der Schergeschwindigkeit und der

inneren Reibung besteht kein linearer Zusammenhang mehr. Das newtonsche Reibungsgesetz

gilt nicht mehr.

Flüssigkeiten, deren Viskosität steigt, wenn die Schergeschwindigkeit zunimmt, nennt man

„schubverdickend“, sie gehören zu der Klasse der „nichtnewtonschen Fluide“.

Der hüpfende Kitt besteht aus Polymerketten, die elektrisch unterschiedlich geladen sind.

Wird der Kitt großen Kräften ausgesetzt, nähern sich diese Ladungen so weit, dass sich Ver-

netzungsstellen bilden. Je größer die Schergeschwindigkeit, desto mehr Vernetzungsstellen,

desto härter ist der Kitt, er verhält sich wie ein Festkörper. Kleine Schergeschwindigkeiten

dagegen reichen nicht aus, um genügend Vernetzungsstellen zu bilden, der Kitt verhält sich

wie eine zähe Flüssigkeit.

Weitere Beispiele für schubverdickende Fluide sind nasser Sand in den man einsinkt, wenn

man stehen bleibt, der jedoch beim raschen Laufen unter den Füßen fest wird oder Teer in

dem ein Stein versinken kann, der aber unter der Einwirkung eines schnellen Schlages

erhärtet. Auch eine Stärke-Wasser-Mischung zeigt ähnliche Eigenschaften: Wenn man mit der

flachen Hand auf die Flüssigkeit schlägt, spritzt sie nicht, sondern verhält sich zäh.

Im Alltag existieren neben schubverdickenden auch

„schubverdünnende Flüssigkeiten“. Ein recht spektaku-

läres Beispiel gibt es im Spielwarenhandel zu kaufen. Es

ist eine klebrige, wackelpuddingartige Masse („Slime“),

die in der Hand eine feste Form hat. Wirft man diese aber

an eine Fensterscheibe oder einen Spiegel (bitte nicht an

die Wand, sie geht nie wieder ab), zerläuft sie wie eine

Flüssigkeit und hinterlässt einen großen runden Fleck be-

vor sie wieder in ihre alte Form zurückspringt. Das heißt,

diese Substanz verringert ihre Viskosität unter dem

Abb 2.11: Abhängigkeit der Viskosi-

tät von der Schergeschwindigkeit

bei schubverdickenden Fluiden

Abb 2.12: Abhängigkeit der Vis-

kosität von der Schergeschwindig-

keit bei schubverdünnenden

Fluiden

3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 237

Einfluss einer erhöhten Schergeschwindigkeit: Je größer diese Geschwindigkeit, desto

dünnflüssiger wird die Substanz.

Blut ist ein weiteres Beispiel für schubverdünnende Flüssigkeiten. Bei Blut handelt es sich um

eine Suspension: Die festen Bestandteile, die Blutkörperchen, schwimmen in dünnflüssigem

Blutplasma. Die roten Blutkörperchen sind scheibenförmig. Bei kleinen Geschwindigkeiten

sind sie zufällig orientiert. Bei großen Geschwindigkeiten aber richten sie sich in Strö-

mungsrichtung aus. Dadurch nimmt die Viskosität ab.

Weitere Beispiele für schubverdünnende Fluide im Alltag: Ketchup wird dünnflüssiger, wenn

man es schüttelt. Kugelschreibertinte darf nur fließen, wenn geschrieben wird. Auch Marga-

rine wird beim Streichen und Wandmalfarbe beim Rühren dünnflüssiger. Der Mechanismus

ähnelt sich bei allen diesen Fluiden: Entweder bestehen sie aus asymmetrischen Molekülen,

die sich unter Einfuß einer erhöhten Schergeschwindigkeit ausrichten, aus langen Molekül-

ketten, die entknäult werden, oder es werden intermolekulare Bindungen aufgebrochen

(WALKER 1979; SCHADE et al. 1980, 19; RITTER et al. 1979, 19; BOHL 1991, 18).

3.3 Themenblock „Übergang von laminarer Strömung zurTurbulenz bei Rohrströmungen“

Schritte Materialien

1. Die Hagen-Poiseuille-Gleichung undihre Anwendung auf den Blutkreislauf

� Vorversuch zum Geschwindigkeits-profil

� Kräfte auf ein Flüssigkeitsteilchen inder Strömung

� Strömungsprofil einer laminar durch-strömten Röhre

� Hagen-Poiseuille-Gleichung

� Anwendung auf den Blutkreislauf

Versuch „Geschwindigkeitsprofil“:Auslaufgefäß (mind. 10 l, Durchmesserder Auslauföffnung mind. 2cm);1 - 1,5m langes Glasrohr; Gummistopfenmit Loch; Hahn; kleines Auslaufgefäß mitHahn für Kalium-Permanganat-Lösung;gebogenes Glasrohr (Innendurchmesser1 mm), Gummischlauch als Verbindungs-stücke, Teflonband oder Gummi-manschette zum Abdichten; Kalium-Per-manganat; Eimer

Demonstation „Hohlzylinder“: Lauch-stange

Versuch „Druckabfall“: Glasrohr mitSteigröhren (s. Abb. 3.4)

2. Der Übergang von laminarer zu turbu-lenter Strömung

� Vorversuch zu laminarer und turbulen-ter Strömung

� Reynoldscher Farbfadenversuch

� Definition der Begriffe „laminar“ und„turbulent“

� Transportvorgänge

� Strömungsprofil einer turbulent durch-strömten Röhre

� Ergänzungen und Anwendungen

Reynoldscher Farbfadenversuch: sieheVersuch „Geschwindigkeitsprofil“

Film „Übergang von laminarer zu turbu-lenter Strömung“; leihbar beim Institutfür den wissenschaftlichen Film IWF,Nonnenstieg 72, 37075 Göttingen,Bestellnr. C 816Film „Die Blutbewegung in der Aorta“;IWF, Bestellnr. C 713

3. Die Reynoldszahl und das Ähnlich-keitsgesetz

� Einführung und Herleitung derReynoldszahl

� Anwendungsbeispiele

240 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

3.3.1 Die Hagen-Poiseuille-Gleichung und ihre Anwendung auf denBlutkreislauf

VORBEMERKUNGEN

In diesem Themenblock der Unterrichtsreihe steht die quantitative Beschreibung einer Strö-

mung, in diesem Fall der Strömung durch ein Rohr, im Mittelpunkt. Interessant wird dieses

Thema durch die Anwendung auf den Blutkreislauf. Für die Herleitung der Hagen-Poiseuille-

Gleichung kann von einer stationären Strömung ohne äußere Kräfte ausgegangen werden. Für

die Berechnung der Strömung durch ein Rohr wird also wiederum bewusst idealisiert. Die

Bilanz der wirkenden Kräfte wird noch einmal im 6. Themenblock zur nichtlinearen Dynamik

benötigt. Dort werden dann die im vorliegenden Themenblock noch vernachlässigten Kräfte

relevant. Dies verdeutlicht besonders die Modellhaftigkeit der physikalischen Beschreibung

der Strömung.

Für diesen Themenblock werden Grundkenntnisse der Integralrechnung benötigt, vorgesehen

in den hessischen Kursstrukturplänen für Jahrgangsstufe 12/I.

Da in den meisten Schulen keine Strömungsapparate vorhanden sind, ist man gezwungen,

diese selbst zusammenzustellen. Der etwas aufwendige Versuchsaufbau zum Geschwindig-

keitsprofil bei einer Rohrdurchströmung im ersten Unterrichtsteil entspricht dem Aufbau des

Reynoldschen Farbfadenversuchs im zweiten Teil, so dass sich der Aufwand lohnt.

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� im Experiment das Strömungsprofil erkennen und als konzentrische Hohlzylinder

abstrahieren können.

� die auf ein Flüssigkeitsteilchen wirkenden Kräfte benennen und eine Kräftebilanz aufstel-

len können.

� den Begriff „stationär“ in diesem Zusammenhang anwenden und die Idealisierung der

Rohrströmung diskutieren und begründen können.

� die berechnete paraboloide Form der Geschwindigkeitsverteilung mit der Beobachtung im

Experiment zur Deckung bringen können.

� die Gleichung der Geschwindigkeitsverteilung interpretieren und die innere Reibung als

Ursache des Druckverlusts erkennen.

� die Hagen-Poiseuille-Gleichung interpretieren und auf den vereinfachten Blutkreislauf an-

wenden können.

3.3 Themenblock „Übergang von laminarer Strömung zur Turbulenz bei Rohrströmungen“ 241

AUSFÜHRUNG

Fast zeitgleich, nämlich 1839 bzw.

1840 untersuchten der deutsche

Ingenieur Hagen und der

französische Arzt Poiseuille das

Durchflußverhalten von

Flüssigkeiten, die durch ein Rohr

strömen. Der Arzt Poiseuille wollte

durch diese Untersuchung

Aufschlüsse über die Strömung von

Blut in den Blutgefäßen erhalten.

Versuch „Geschwindigkeitsprofil“:

Abbildung 3.1 zeigt den Versuchsaufbau, mit dessen Hilfe die Geschwindigkeitsverteilung in

einem zylindrischen Rohr beobachtet werden kann. In die Öffnung eines Auslaufgefäßes, das

mindestens 10 Liter fassen sollte, wird ein 1 bis 1,5m langes Glasrohr gesteckt. Damit die

Verbindung nicht leckt, wird das Rohrende mit Teflonband oder einer Gummimanschette

umwickelt. Das andere Rohrende wird mit einem Gummistopfen, in dem ein Hahn steckt, ver-

schlossen.

Um die Geschwindigkeit in der Strömung sichtbar zu machen, muss man einzelne Flüssig-

keitselemente markieren. Das geschieht am einfachsten durch Anfärben. Dafür wird in die

Ausflußöffnung ein gebogenes Glasrohr gehängt, an dessen oberer Öffnung ein kleines Aus-

laufgefäß mit Hahn angebracht ist. Dieses Gefäß wird mit Kalium-Permanganat-Lösung ge-

füllt. Der Innendurchmesser des gebogenen Glasrohrs sollte zwischen 1 und 2 mm betragen.

Am Ende des Rohrs wird ein Eimer zum Auffangen des Wassers aufgestellt und das große

Auslaufgefäß mit Wasser gefüllt. Es sollte ein paar Minuten Zeit zur Beruhigung haben, bevor

mit dem Versuch begonnen wird.

Bei Versuchsbeginn wird zuerst der Hahn des Auslaufgefäßes der Permanganat-Lösung leicht

aufgedreht. Das Färbemittel staut sich dann am Rohranfang an und färbt über den ganzen

Rohrquerschnitt auf einer kleinen Länge das Wasser an. Nun wird am Rohrende der Hahn sehr

vorsichtig aufgedreht. Das Wasser beginnt zu fließen. Zuerst setzt sich der gefärbte Anteil

komplett in Bewegung. Aber schon nach ein paar Sekunden erkennt man, dass die Flüs-

sigkeitselemente direkt an der Rohrwand zurückbleiben, während die Geschwindigkeit der

Fluidelemente zur Rohrmitte hin immer mehr zunimmt. In der Rohrmitte sind sie dann am

schnellsten. Bei genauem Hinsehen erkennt man sogar, dass das Geschwindigkeitsprofil die

Form eines Paraboloiden hat.

Abb. 3.1: Versuchsaufbau zum Geschwindigkeitsprofil

und zum Reynoldschen Farbfaden

242 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Bei kleinen Strömungsgeschwindigkeiten kann man

sich die Strömung schichtweise aufgebaut denken: Die

Schichten, also Gebiete gleicher Geschwindigkeit sind

bei zylindrischen Rohrströmungen Hohlzylinder. Dabei

hat der erste Zylinder direkt an der Rohrwand wegen der

Haftbedingung (2. Themenblock der Unterrichtsreihe)

die Strömungsgeschwindigkeit null. Dann folgen

Hohlzylinder mit immer kleiner werdenden Radien und

immer größer werdenden Geschwindigkeiten. In der

Mitte ist die Geschwindigkeit maximal.

Demonstration „Hohlzylinder“:

An einer Lauchstange kann dieser schichtweise Aufbau der Strömung demonstriert werden:

Die feinen, zylindrischen Schichten des Lauchs können so gegeneinander verschoben werden,

dass man das Profil modellieren kann. Jeder Lauchring ist ein Hohlzylinder, der jeweils eine

Flüssigkeitsschicht mit einer bestimmten Geschwindigkeit symbolisiert. Wenn man die

Lauchringe vorsichtig auseinanderzieht, kann sogar ein Paraboloid geformt werden. Noch hat

der Paraboloid stufige Ränder, stellt man sich die Stufen aber immer feiner vor, wird der

Paraboloid immer glatter.

Berechnung des Geschwindigkeitsprofils durch ein zylindrisches Rohr

Welche Kräfte wirken auf ein Flüssigkeitsteilchen in einer Strömung?

� Äußere Kräfte Fä (z.B. Erdanziehung, elektrische oder magnetische Kräfte)

� Reibungskräfte dr

dvAFr ���

� Druckkräfte ApFp ��

� Trägheitskräfte dt

dvmmaFt ��

Diese Kräfte bestimmen die Bewegung des Flüssigkeitsteilchens. Kräftebilanz:

ärpt FFFF ��� .

Modellierung der Rohrströmung

Annahmen:

1. Nach einer anfänglichen Beschleunigungsphase werden die Flüssigkeitsteilchen nicht mehr

weiter beschleunigt und die Strömungsgeschwindigkeit ist in jedem Punkt des von der

Flüssigkeit eingenommenen Raumes zeitlich konstant. Die Trägheitskräfte verschwinden.

Solche Strömungen nennt man „stationär“.

Abb. 3.2: Geschwindigkeitsprofil einer

Strömung durch ein zylindrisches Rohr

3.3 Themenblock „Übergang von laminarer Strömung zur Turbulenz bei Rohrströmungen“ 243

2. Äußere Kräfte können bei dieser vertikalen Strömung vernachlässigt werden.

Unter diesen Annahmen reduziert sich die Kräftebilanz auf 0FF rp ��

3. Die Flüssigkeit strömt durch eine kreisrunde Röhre mit dem Radius R.

Die Druckkraft wird bestimmt durch die Druckdifferenz zwischen Wasserhahn und Atmo-

sphärendruck: 212p rpA)pp(F ������

4. Die Reibungskraft Fr wirkt auf die Mantelfläche des Zylinders.

Mit F Adv

drr M� ��

und der Zylindermantelfläche: AM=2prl (l= Länge des Rohrteilstücks):

dr

dvrl2Fr ����

Einsetzen von Fr und Fp in die Kräftebilanz:

2rp�� =dr

dvrl2��

Umformen nach v:

drrl2

rpdv

2

��

���

Integration von einer beliebigen Stelle der Strömung zum Rand:

C)rR(l

p

4

1C

2

r

l

p

2

1rdr

l

p

2

1rdr

l

p

2

1)r(v 22

R

r

2R

r

R

r

���

���

��

��

�� ��

Berechnung der Integrationskonstanten durch Einsetzen der Randbedingung v(r = R) = 0:C = 0

Damit erhält man die Geschwindigkeitsverteilung in einem durchströmten Rohr:

)rR(l

p

4

1)r(v 22

��

��

Dies ist die Gleichung für ein elliptisches Paraboloid, dessen allgemeine Form lautet

(STÖCKER 1993, 356):

b

y

a

xz

22

��

In unserem Fall sind die Querschnitte Kreise, da die Längen der Halbachsen a und b gleich

sind:

a = b = p

l4

�p/l steht für dem Abfall des Drucks über die Länge des Rohrs. Wenn die Flüssigkeit durch

das Rohr strömt, wird durch die Reibung mechanische Energie in Wärme umgewandelt. Man

nennt das „dissipieren“. Der Energieverlust macht sich durch einen Druckabfall bemerkbar.

Abb. 3.3: Aufteilung der Rohr-

strömung in Hohlzylinder

244 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Versuch „Druckabfall im Rohr“:

Dass der Druck tatsächlich über die Länge des Rohrs

abfällt, zeigt dieser Versuch: An einem Glasrohr sind

in gleichen Abständen Steigrohre angebracht. Die

Höhe der Flüssigkeitssäulen in den Steigrohren zeigt

an verschiedenen Stellen des Rohrs den Druck an.

Lässt man eine Flüssigkeit durch das Rohr fließen,

erkennt man, dass der Druck mit der Länge des

Rohrs sinkt. Je höher die innere Reibung der

Flüssigkeit, desto größer auch der Druckverlust entlang der Rohrströmung. Bei reibungsfreien

und ruhenden Flüssigkeiten tritt kein Druckverlust auf, die Flüssigkeit in den Manometern

steht überall gleich hoch.

Die Formel für die Geschwindigkeitsverteilung besagt auch, dass je höher das Druckgefälle

zwischen zwei Stellen im Rohr, desto ausgeprägter ist das Strömungsprofil, die Form des

Paraboloiden.

Welches Volumen strömt pro Zeiteinheit durch die Röhre?

Die Stromstärke bezeichnet das pro Zeiteinheit durch das Rohr strömende Volumen: dt

dVi �

Für einen Zylinder gilt: Volumenstrom vr=Av=dt

dsA=

dt

dVi 2

��

In unserem Modell haben wir viele ineinandergeschachtelte Hohlzylinder, von denen jeder

eine andere Geschwindigkeit hat. Deshalb muss über alle Hohlzylinder von der Rohrachse

(r=0) bis zum Rand (r = R) integriert werden.

Für beliebig dünne Hohlzylinder gilt: dA)r(vdi � .

Mit dA = 2pr dr = Umfang eines Zylinders × Dicke des Zylinders

und der Geschwindigkeitsverteilung v(r) erhält man:

4444R

0

4R

0

22

R

0

3

R

0

R

0

R

0

222

Rl8

p

4

R

l2

p)

4

R

2

R(

l2

p

4

r

2

rR

l2

p

)drrrdrR(l2

prdr2)rR(

l4

prdr2)r(vdA)r(v

dt

dVi

���

����

�����

���

��

���

����

�����

����� ��� � �

Dies ist die Hagen-Poiseuille-Gleichung, die den Zusammenhang zwischen dem Volumen-

strom durch das Rohr und dem Rohrradius darstellt:

4Rl

p

8dt

dVi

���

Abb. 3.4: Druckabfall bei einer Rohrströmung

3.3 Themenblock „Übergang von laminarer Strömung zur Turbulenz bei Rohrströmungen“ 245

Interpretation der Hagen-Poiseuille-Gleichung:

� Das Durchflussvolumen steigt mit der 4. Potenz des Radiuses. Wenn man den Rohrradius

verdoppelt, erhöht sich das Durchflussvolumen auf das 16-fache.

� Das Durchflussvolumen steigt linear mit dem Druckgefälle Dp/l an. Je höher der Druck-

unterschied zwischen den Enden der Röhre, desto größer das Durchflussvolumen.

� Das Durchflussvolumen verhält sich umgekehrt proportional zur Viskosität. Je viskoser die

Flüssigkeit, desto geringer wird das Durchflussvolumen.

Anwendungen auf den Blutkreislauf

Poiseuille erreichte mit dieser Gleichung sein Ziel und fand damit eine wichtige Gesetzmäßig-

keit zur Beschreibung der Strömungen im Blutkreislauf:

� Die Arterienverkalkung oder Arteriosklerose ist eine unserer Zivilisationkrankheiten. Bei

dieser Krankheit ist es nicht ungewöhnlich, dass der Radius eines Blutgefäßes auf ein Vier-

tel seines ursprünglichen Durchmessers sinkt. Das heißt nach dem Hagen-Poiseuille-

Gesetz, dass bei gleicher Druckdifferenz nur ein 256-stel des ursprünglichen Volumens den

Querschnitt passieren kann.

� Gefäße ändern ihren Durchmesser nach Bedarf: So muss z.B. beim Sport die Muskulatur

vermehrt mit Sauerstoff versorgt, d.h. die Blutstromstärke erhöht werden. Das geschieht

durch Erweiterung der unzähligen Kapillaren, den feinsten Blutgefäßen im Körper, die

wegen ihres geringen Durchmessers im Vergleich zu Arterien und Venen auch

„Haargefäße“ genannt werden. Damit genügend Blut für den Kreislauf vorhanden ist,

werden im Fall eines erhöhten Bedarfs die Blutspeicher des Körpers, die Milz und die

Leber angezapft (BERGMANN-SCHAEFER 1974, 321-323).

Mit Hilfe des Hagen-Poiseuille-Gesetzes können also Aussagen über das Durchflussvolumen

pro Zeiteinheit auch in bezug auf den Blutkreislauf gemacht werden. Allerdings wurde der

reale Bluttransport in den Gefäßen für die Herleitung des Gesetzes idealisiert. So wurde z.B.

angenommen, dass es sich beim Blut um eine inkompressible, newtonsche Flüssigkeit

handelt. Dass dies nicht der Fall ist, haben wir schon im 2. Themenblock gesehen. Für die

Bewegung des Blutes in der Aorta muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass die Wände der

Blutgefäße nicht starr sind, wie im Modell angenommen, sondern elastisch. Diese elastischen

„Rohre“ übernehmen beim Bluttransport eine wichtige Funktion: Sie gewährleisten einen

kontinuierlichen Blutstrom durch die Gefäße.

Das Herz pumpt stoßweise Blut in die Adern, mit

jedem Pulsschlag werden etwa 70 ccm Blut trans-

portiert. Wird die Schlagader verletzt, spritzt das

Blut stoßweise. Bei einer Pulszahl von ca. 70

Schlägen pro Minute bei einem ruhenden Menschen Abb. 3.5: Fortpflanzung der Pulswelle

246 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

beträgt der Blutvolumenstrom ungefähr fünf Liter pro Minute. Dieses Volumen kann sich bei

höheren Belastungen steigern, z.B. durch sportliche Betätigung auf 10 bis 30 Liter pro Minute.

Wären die Gefäße starre Rohre, würde sich eine stoßweise eingepumpte Flüssigkeit auch

stoßweise im Rohr bewegen: Immer wenn der Zufluss stoppt, bewegt sich auch die Flüssigkeit

im Rohr nicht weiter. Elastische Wände aber sorgen für eine kontinuierliche Bewegung des

Blutes: Durch den Blutstoß dehnt sich die Gefäßwand aus. Wenn der Zufluss nach Beendi-

gung des Herzschlagen aufhört, zieht sich die elastische Wand wieder zusammen und presst

das Blut weiter. Die Dehnung der Wand sorgt also dafür, dass das Blut auch während der

Pause, in der sich das Herz sich wieder füllt, weiterfließt (SILBERNAGL et al. 1983, 156).

Diesen Effekt kennt man auch von alten Feuerspritzen: Hier ist man ebenfalls an einem konti-

nuierlichen Wasserstrahl zum Feuerlöschen interessiert. Die Funktion der elastischen Wand

übernimmt bei der Feuerspritze der sog. Windkessel. Das ist ein Kessel, in dem sich Luft be-

findet, die durch das Pumpen an dem Schwengel zusammengepresst wird. Wenn die ein-

geschlossene Luft dann langsam expandiert, drückt sie damit das Löschwasser in einem

kontinuierlichen Strahl aus dem Behälter.

Ergänzung: Aspekte der Gestaltforschung

D'Arcy Thompson, ein Naturwissenschaftler und Humanist, veröffentlichte 1917 ein Buch mit

dem Titel: „Über Wachstum und Form“. Darin versuchte er Phänomene aus der Pflanzen- und

Tierwelt durch mathematische Gesetzmäßigkeiten und physikalische Analogien besser zu ver-

stehen und zu beschreiben. Von seinen Zeitgenossen erntete er für diese Herangehensweise

viel Kritik. Die einen waren der Ansicht, dass man nicht mit solch’ „kalten Mitteln“ wie der

Mathematik versuchen dürfe, Lebewesen zu beschreiben, die anderen warfen ihm vor, dass er

zuwenig die modernen Errungenschaften, wie die Biochemie, berücksichtigt hätte.

„Über Wachstum und Form“, schon wegen seines guten literarischen Stils lesenswert, ist

gerade heute wieder besonders aktuell. Denn in jüngster Zeit versuchen Wissenschaftler ver-

schiedener Fachrichtungen die Welt besser zu verstehen, indem sie sich nicht mehr auf die

Beobachtungen im Mikroskopischen beschränken, sondern die Formen und Gestalten im

Makroskopischen vergleichen, um Gemeinsamkeiten zu finden. Genau diese Idee verfolgte

D'Arcy Thompson Anfang des Jahrhunderts.

Auch mit dem Blutkreislauf beschäftigte sich D’Arcy Thompson, er schreibt zur Dimensio-

nierung der Blutgefäße: „Zum Schluss können wir jetzt die Frage der ökonomischen Größe

der Blutgefäße in einem weiteren Sinne angehen. Sie dürfen nicht zu klein sein, sonst wird die

zum Durchtreiben des Blutes nötige Arbeit zu groß; sie dürfen nicht zu weit sein, sonst

würden sie mehr Blut als nötig enthalten - und Blut ist eine kostspielige Sache. Wir verlassen

uns wiederum auf das Poiseuillesche Gesetz, das uns lehrt, wieviel Arbeit geleistet werden

muss, um eine gewisse Menge Flüssigkeit gegen Widerstand durch ein Rohr fließen zu lassen,

3.3 Themenblock „Übergang von laminarer Strömung zur Turbulenz bei Rohrströmungen“ 247

wobei dieser Widerstand durch die Viskosität der Flüssigkeit, den Reibungskoeffizienten und

die Dimension des Rohres bestimmt wird; wir müssen aber das Blut in Betracht ziehen,

dessen Erhaltung einen Teil des Körperbetriebsstoffes erfordert und für das der Aufwand pro

ccm (wenigstens theoretisch) in Kalorien oder Erg pro Tag ausgedrückt werden kann. Es wird

also der Gesamtaufwand für einen gegebenen Ausschnitt der Arterie gemessen 1. durch die

Arbeit, die benötigt wird, um den Widerstand zu überwinden, und 2. durch die Arbeit, die er-

forderlich ist, um ihr das Blut zu verschaffen, das sie füllen soll; wir kommen dabei immer

wieder auf eine Differentialgleichung, die zu einer Gleichung maximaler Wirksamkeit führt.

Das allgemeine Resultat, das durch Einführung bekannter experimenteller Werte etwas

Quantitatives aussagen kann, ist folgendes: Wäre das Blut weniger wertvoll, als es ist, dann

könnten wir erwarten, dass alle Arterien größer wären als in Wirklichkeit, denn dadurch

würde die Belastung des Herzens (bei gleicher Strömung) stark vermindert - wenn also der

Durchmesser der Blutgefäße verdoppelt würde und ihr Volumen dadurch vervierfacht, würde

die Herztätigkeit auf ein Sechzehntel vermindert. Wenn andererseits das Blut eine rarere und

noch kostbarere Flüssigkeit wäre, könnten engere Gefäße das Angebot aufnehmen; jedoch

wäre ein größeres und stärkeres Herz notwendig, um den erhöhten Widerstand zu über-

winden.“ (THOMPSON 1983, 168)

3.3.2 Der Übergang von laminarer zu turbulenter Rohrströmung

VORBEMERKUNGEN

Der Übergang von der idealisierten laminaren Strömung zu der in der Realität wesentlich

häufiger auftretenden Turbulenz untersucht dieser Teil des Themenblocks. Die Begriffe

„laminar“ und „turbulent“ werden anhand des Reynoldschen Farbfadenversuchs eingeführt

und die Transportvorgänge in diesen Strömungsformen thematisiert.

Zum Farbfadenversuch existieren verschiedene Filme, die allerdings ohne Ton und von

schlechter Qualität sind, so dass sie das Experiment nicht ersetzen.

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� laminare und turbulente Strömungen unterscheiden können.

� die Auswirkung der Querbewegung auf die Eigenschaften der turbulenten Strömung er-

kennen.

248 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

AUSFÜHRUNG

Vorversuch „Wasserstrahl“:

Anhand des Wasserstrahls aus dem Hahn kann

sowohl die laminare, als auch die turbulente Strö-

mung demonstriert werden:

� Wird der Hahn nur wenig aufgedreht, damit

man eine kleine Strömungsgeschwindigkeit

erhält, fließt das Wasser in einem gleich-

mäßigen, ganz glatten Strahl. Der Strahl

sieht fast bewegungslos aus. Diese

Strömungsform nennt man laminar.

� Mit ein wenig Glück kann man den Über-

gang von der laminaren Strömungsform zur

Turbulenz einstellen: Wird der Hahn nach

der laminaren Strömung allmählich geöffnet

und damit die Geschwindigkeit langsam er-

höht, dann stellt sich ein periodischer Strö-

mungszustand ein, der Strahl beginnt regel-

mäßig zu pulsieren.

� Wird die Strömungsgeschwindigkeit weiter erhöht, sieht der Strahl milchig, undurch-

sichtig aus. An seinen Rändern spritzt das Wasser weg. Dies zeigt, dass es offensichtlich

noch andere Geschwindigkeitskomponenten quer zur Hauptströmungsrichtung gibt. Diese

Strömungsform nennt man turbulent.

Schon Hagen hat festgestellt, dass das Hagen-Poiseuille-Gesetz nicht für alle im Alltag vor-

kommenden Strömungsformen gilt. Trotzdem dauerte es noch über 40 Jahre, bis die verschie-

denen Strömungsformen systematisch durch Osborne Reynolds (1883) untersucht wurden.

Abbildung 3.6 zeigt den Originalversuch Reynolds, mit dem er die verschiedenen Strö-

mungsformen untersuchte (ACHESON 1990, 301).

Der Reynoldsche Farbfadenversuch

Der Aufbau des Farbfadenversuchs entspricht dem des Versuchs zum Geschwindigkeitsprofil

in einem durchströmten Rohr im ersten Teil dieses Themenblocks.

Abb. 3.6: Originalversuch von Reynolds 1883

3.3 Themenblock „Übergang von laminarer Strömung zur Turbulenz bei Rohrströmungen“ 249

Durchführung „Reynoldscher Farbfadenversuch“:

� Zuerst wird der Hahn am wasserführen-

den Rohr so weit geöffnet, dass sich eine

langsame, laminare Strömung einstellt.

Nun wird auch der Hahn zum Behälter

mit Kalium-Permanganat-Lösung vor-

sichtig geöffnet. Solange das Wasser

laminar strömt, fließt die Farbe als Farb-

faden gleichmäßig mit, ohne zu zerfran-

sen. Nach ca. 20 cm beginnt der Farb-

faden sich langsam aufzulösen.

� Wird die Strömungsgeschwindigkeit er-

höht, indem man den Hahn am wasser-

führenden Rohr weiter öffnet, bleibt der

Farbfaden nur noch auf einer kurzen

Strecke erhalten. Die Strömung ist turbu-

lent. Bei sehr großen Strömungs-

geschwindigkeiten beginnt der Farbfaden

sich sofort am Rohranfang aufzulösen.

� Wird der Hahn nun langsam geschlossen, wechselt die Strömung wieder von turbulent zu

laminar und der Farbfaden, der mit der Strömung mitläuft, bleibt wieder über eine längere

Strecke erhalten.

Ergänzung: Film „Übergang von laminarer zu turbulenter Strömung“: Die erste Sequenz

des Films zeigt die verschiedenen Strömungszustände beim Reynoldschen Farbfadenversuch.

Wie ist laminare und turbulente Strömung definiert?

laminare Strömung:

� Beobachtung: Flüssigkeit strömt in parallelen Schichten, vermischt sich nicht.

� lamina (lat.): die Platte

� Duden: gleichmäßig, schichtweise gleitend, ohne Wirbel, geordnet nebeneinander

herlaufende Strömung.

turbulente Strömung:

� Beobachtung: Flüssigkeit wirbelt ungeordnet durcheinander, starke Vermischung

durch zusätzliche Querbewegungen.

� turbulentus (lat.): unruhig

Abb. 3.7a: Reynoldscher Farbfaden bei laminarer

Strömung (VAN DYKE 1982, 61)

Abb. 3.7b: Reynoldscher Farbfaden bei turbulen-

ter Strömung (VAN DYKE 1982, 61)

250 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

� Duden: Turbulenz

a. Wirbelbildung bei Strömungen und Gasen (phys.)

b. ungeordnete Wirbelströmung (meteor.)

c. Unruhe, wildes Durcheinander, aufgeregte Bewegtheit, ungestümes Wesen

Achtung: Wirbelbewegung ist nicht gleichbedeutend mit Turbulenz! Auch Wirbel können ge-

ordnet verlaufen, wie z.B. die angefärbten Wasserwirbel im ersten Block der Unterrichtsreihe.

Die Strömung in diesen Wirbeln verläuft völlig geordnet in Schichten. Die Bahnen der Flüs-

sigkeitselemente verlaufen wohlgeordnet und berechenbar.

Transportvorgänge bei laminarer und turbulenter Strömung

Bei der turbulenten Strömung findet ein zusätzliche Bewegung quer zur Hauptströmungs-

richtung statt. Diese Bewegung sorgt für einen Quertransport von Masse, Impuls, Energie und

damit für einen raschen Ausgleich von Konzentrations- und Temperaturunterschieden.

Natürlich findet auch in der laminaren Strömung ein Ausgleich zwischen verschiedenen Kon-

zentrationen oder Temperaturen statt. Er erfolgt aber nur durch mikroskopische Bewegungen

der Moleküle und ist dementsprechend ineffektiv. Man spricht bei dieser Art der Transport-

bewegung von „molekularer Diffusion“.

Die Querbewegung bei turbulenter Durchströmung ist wesentlich effektiver: Bei der sog.

„turbulenten Diffusion“ werden ganze Flüssigkeitsvolumina verschiedener Größe bewegt.

Dadurch ist der turbulente Transport um den Faktor 104 effektiver als der molekulare Trans-

port.

Ergänzung: Diffusion in der Atmosphäre

Die Atmosphäre der Erde ist in verschiedene Schichten aufgeteilt: Bis in ca. 10 km Höhe be-

findet sich die Troposphäre, das ist die Schicht, in der wir leben und in der sich auch das

Wetter abspielt. Dann folgt bis 50 km Höhe die Stratosphäre, bis 80 km Höhe die Mesosphäre

und ab 80 km Höhe die Thermossphäre. Sowohl in der Tropo-, als auch in der Strato- und der

Mesosphäre überwiegt die turbulente Diffusion, die für eine Durchmischung aller vorhan-

denen Gase, also für unsere Luft sorgt. Deshalb werden diese Schichten auch zusammen-

fassend „Homosphäre“ genannt. Hier bleibt die Zusammensetzung der Atmosphäre dank der

turbulenten Diffusion annähernd unverändert. Erst ab einer Höhe von ca. 100 km nimmt die

Dichte der Luft so stark ab und damit die freie Weglänge der Moleküle zu, daß die molekulare

Diffusion wieder eine Rolle spielt. Die Luft beginnt sich zu entmischen und Gase kleineren

Molekular- oder Atomgewichts reichern sich in höheren, die Gase größeren Gewichts in

niedrigeren Schichten an. Diese Schicht wird deshalb auch Heterosphäre genannt

(LILJEQUIST 1994, 380).

3.3 Themenblock „Übergang von laminarer Strömung zur Turbulenz bei Rohrströmungen“ 251

Strömungsprofil einer turbulent durchströmten Röhre

In einem laminar durchströmten

Rohr ist das Geschwindigkeits-

profil, wie wir berechnet haben,

ein Paraboloid: Die Geschwin-

digkeit ist in der Mitte des Rohrs

am höchsten und nimmt nach

außen kontinuierlich ab, direkt an

der Rohrwand wird sie null.

Auch beim turbulent durchströmten Rohr gilt die Haftbedingung. Zusätzlich bildet sich eine

dünne Grenzschicht an der Rohrwand aus, in der die Flüssigkeit laminar strömt. In dieser

Schicht nimmt die Geschwindigkeit parabolisch zu. Der größte Teil des Rohrs wird turbulent

durchströmt: Die Flüssigkeitselemente bewegen sich in einer turbulenten Strömung nicht

mehr nur in Hauptströmungsrichtung, sondern auch quer zu ihr. Dadurch wird zwischen den

verschiedenen Schichten der Flüssigkeit Impuls ausgetauscht. Das heißt, die Schichten können

unterschiedliche Geschwindigkeiten ausgleichen und das Geschwindigkeitsprofil wird bei der

turbulenten Strömung flacher als bei der laminaren.

Ergänzungen: Anwendungen auf Blutkreislauf und Atmung

Blutdruckmessung: Der Übergang von turbulenter zu laminarer Strömung wird bei der Blut-

druckmessung ausgenützt: Der Oberarm des Patienten wird mit einer Manschette abgeschnürt,

in der Armarterie fließt kein Blut mehr. Der Druck steigt an. Dann wird die Manschette lang-

sam geöffnet, aufgrund des höheren Drucks fließt das Blut schnell durch die Arterie. Die Blut-

strömung wird turbulent und erzeugt ein zischendes Geräusch, das der Arzt mit Hilfe eines

Hörrohrs abhört. Dabei misst er den Blutdruck (systolischer Druck). Wenn die Manschette

und die Arterie wieder ganz geöffnet sind, strömt das Blut wieder laminar, die Geräusche sind

nicht mehr zu hören. Auch dann wird der Blutdruck (diastolischer Druck) gemessen. Für

einen gesunden Menschen sind Werte von 120 mm Hg für den systolischen und 80 mm

Quecksilbersäule für den diastolischen Druck normal. Sie werden vom Arzt als Wertepaar RR

120/80 (RR für Riva Rocci, dem Erfinder der Methode) angegeben. Der systolische Druck

erlaubt Rückschlüsse auf die Herztätigkeit, der diastolische Druck auf die Abflussgeschwin-

digkeit des Blutes und damit auf die peripheren Gefäße.

Abb. 3.8: Strömungsprofil bei laminarer und turbulenter Strömung

252 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Film „Die Blutbewegung in der Aorta“: Dieser Film wurde 1943 gedreht, er zeigt zuerst eine

laminare und eine turbulente Rohrdurchströmung, wie wir das auch im Farbfadenversuch

gesehen haben. Dann wird die Durchströmung eines Glasmodells einer menschlichen Aorta

vorgeführt, dabei erkennt man den Aortabogen im Anfangsbereich der Aorta als kritische

Stelle. Hier findet der Umschlag von laminar zu turbulent am leichtesten statt. Im herznahen

Bereich der Aorta kommt es bei jedem Puls zu einer turbulenten Strömung. Am Schluss des

Films werden Tierexperimente gezeigt, die bei der Erprobung der Unterrichtsreihe

weggelassen wurden.

Atmung: Die Atmung erfolgt normalerweise laminar. Wenn durch eine krankhafte Erweite-

rung der Atemwege die Nasenkanäle vergrößert sind, kann es passieren, daß die laminare

Strömung der Luft in eine turbulente umschlägt. Das heißt, es entstehen Strömungen quer zur

Hauptströmung. Das wirkt sich wie eine zusätzliche Zähigkeit aus. Dadurch wirkt die Nase

wie andauernd verstopft.

3.3.3 Wann findet der Umschlag von laminar zu turbulent statt?Die Reynoldszahl und die dynamische Ähnlichkeit

VORBEMERKUNGEN

Kennzahlen wie die Reynoldszahl spielen vor allem in den Ingenieurswissenschaften eine

bedeutende Rolle. Sie werden meist empirisch ermittelt und in der Praxis von Strömungsdyna-

mikern bei der Entwicklung von technischen Geräten, im Fahr- und Flugzeugbau und zur

Dimensionierung von Pipelines oder Gebäuden eingesetzt. Diese Kennzahlen werden dann

besonders wichtig, wenn die physikalische Theoriebildung, wie hier in der Strömungsdynamik

die Turbulenztheorie, noch nicht abgeschlossen oder in der Praxis noch nicht anwendbar ist.

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� erkennen, dass die Reynoldszahl als dimensionslose Kennzahl erlaubt, Strömungen von

Flüssigkeiten verschiedener Viskosität, verschiedener Geschwindigkeiten oder verschiede-

ner Größenordnungen miteinander zu vergleichen.

� die Reynoldszahl verschiedener Strömungsformen berechnen und interpretieren können.

3.3 Themenblock „Übergang von laminarer Strömung zur Turbulenz bei Rohrströmungen“ 253

AUSFÜHRUNG

Osborne Reynolds stellte bei seinen Versuchen fest, dass die Strömung immer dann von

laminar zu turbulent umschlägt, wenn das Verhältnis zwischen dem Produkt aus einer charak-

teristischen Länge L, der Dichte �, der Strömungsgeschwindigkeit v und der Zähigkeit � einen

bestimmten Zahlenwert annimmt (REYNOLDS 1883). Beim Farbfadenversuch entspricht der

charakteristischen Länge der Rohrdurchmesser, bzw. der Rohrquerschnitt:

��

LvRe Reynoldszahl

Bei Rohrströmungen findet der Umschlag von laminar zu turbulent bei einer Reynoldszahl

von ca. 2300 statt. Bei diesem Verhältnis zwischen den oben genannten physikalischen Grö-

ßen klingen Störungen nicht mehr ab, sondern verstärken sich und die laminare Strömung

wird instabil. Teilchen bewegen sich nun auch quer zu der Hauptströmung, die Flüssigkeit

strömt nicht mehr in Schichten und die Farbe wird über den gesamten Rohrquerschnitt ver-

teilt.

Auch bei veränderten Versuchsbedingungen, z.B. wenn Flüssigkeiten mit verschiedenen

Dichten und Zähigkeiten das Rohr durchströmen, wenn der Rohrdurchmesser oder die Strö-

mungsgeschwindigkeit variiert, findet der Umschlag bei ca. Re = 2300 statt.

Wird als charakteristische Länge der Rohrdurchmesser gewählt, liegt die kritische Re-Zahl

Rekrit bei 2300. Wählt man den Radius, liegt Rekrit dementsprechend ca. 1150.

Ab der kritischen Reynoldszahl reicht eine kleine Störung aus, um die Strömung in eine turbu-

lente umschlagen zu lassen. Diese Störung kann umso kleiner sein, je höher die Reynoldszahl.

Unterhalb der kritischen Reynoldszahl bleibt die Strömung auch bei größeren Störungen

laminar. In Laborexperimenten gelang, durch vorsichtiges Experimentieren eine Strömung bis

Re = 50.000 laminar zu halten. Solche störungsfreien Strömungen bei großen Reynoldszahlen

kommen in der Natur jedoch nicht vor (SCHADE et. al. 1980, 97-100; KAUFMANN 1954,

64).

Für Rohrdurchströmungen gilt:

Re < 2300: Strömung laminar.

Re > 2300: laminare Strömung wird instabil, turbulent.

Die Re-Zahl hat somit noch eine wichtige Funktion: Sie charakterisiert den Strömungszu-

stand. Zwei Strömungen befinden sich unter gleichen Versuchsbedingungen im gleichen

Strömungszustand, in unserem Fall laminar oder turbulent, wenn ihre Reynoldszahl gleich ist.

Strömungen, deren Re-Zahl gleich, ist nennt man „dynamisch ähnlich“.

254 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Herleitung der Reynoldszahl

An ein Teilchen in einem Strömungsfeld greifen im allgemeinen Druckkräfte Fp und

Reibungskräfte Fr an. Mit der Trägheitskraft Ft ergibt sich die Kräftebilanz Ft = Fp + Fr.

Eine physikalische Ähnlichkeit besteht dann, wenn das Verhältnis jeder dieser Kräfte in zwei

Strömungen gleich ist:

2r

1r

2p

1p

2t

1t

F

F

F

F

F

F��

Wegen der Kräftebilanz reicht es aus, das Verhältnis zwischen zwei Kraftarten zu betrachten:

2r

1r

2t

1t

F

F

F

F�

Um Kennzahlen zu ermitteln, macht man eine sog. „Dimensionsanalyse“. Dazu werden die

physikalischen Größen der Gleichungen in sog. „Basisdimensionen“, in unserem Fall L und v,

ausgedrückt:

Reibungskraft:dr

dvAFr ���

In Dimensionen: �A� =L2

�v

r� = v/L

=> � � LvL

vLF 2

r ������

Trägheitskraft: maFt � = Va�

In Dimensionen: mit � �t

va � und � �

t

Lv � => � �

v

Lt � => � �

L

va

2

und � � 3LV �

=> � � 222

3t vL

L

vLF ����

Einsetzen in 2r

1r

2t

1t

F

F

F

F� :

22

222

21

211

vL

vL

� =

222

111

vL

vL

Kürzen und nach Indizes sortieren: RevLvL

2

222

1

111�

��

Reynoldszahl:�

��

vLRe

3.3 Themenblock „Übergang von laminarer Strömung zur Turbulenz bei Rohrströmungen“ 255

� Die Reynoldszahl Re = Trägheitskraft / Reibungskraft.

� Die Geschwindigkeit v kann sowohl die Strömungsgeschwindigkeit symbolisieren, als

auch die Geschwindigkeit eines Körpers, der sich durch eine ruhende Flüssigkeit bewegt.

� Die Reynoldszahl hat an jedem Punkt der Strömung einen anderen Wert, da in jedem Punkt

andere Kräfte herrschen. Die Reynoldszahl für die gesamte Strömung ist immer ein

Mittelwert.

� Die Reynoldszahl ist dimensionslos: � � 1

ms

kgms

kg

Pasm

kg

s

mm

Re3

���

� Die Reynoldszahl dynamisch ähnlicher Strömungen ist gleich (BOHL 1991, 113).

Reynoldszahlen für verschiedene Strömungsformen und Bewegungen

a. Reynoldszahl für die Durchströmung von Blutgefäßen

Unter der Annahme, Blut sei eine newtonsche Flüssigkeit, d.h. mit konstanter kinematischer

Viskosität �=�/�= 0,04 cm2/s bei 37 °C, können die Reynoldszahlen bei Durchströmungen

von Gefäßen, wie z.B. der Aorta und den Venen, berechnet werden:

Gefäßart Durchfluss-geschwindigkeit v

DurchmesserL

Reynoldszahl

��

��

vLvLRe

Aorta 50 cm/s 2,2 cm2750

04,0

50cm2,2Re

scm

scm

2�

� >2300 =>

turbulente StrömungVenen 30 cm/s 1,6 cm

120004,0

30cm6,1Re

scm

scm

2�

� < 2300 =>

laminare Strömung

Tabelle 3.1: Durchflussgeschwindigkeit, Durchmesser und Reynoldszahl der Durchströmung verschiedenerGefäßarten

Während die Strömung in der Aorta in Herznähe turbulent sein kann, ist die Strömung in den

Venen, aufgrund des geringen Durchmessers und der kleinen Strömungsgeschwindigkeiten,

laminar. Verstärkt wird dieser Effekt durch die nichtnewtonsche Eigenschaft des Blutes, umso

zäher zu werden, je langsamer es fließt.

In den feinen Kapillaren, deren Durchmesser im Bereich von cm109 4�� liegt, strömt das Blut

ganz sicher laminar. Da die Größe der roten Blutkörperchen sich ebenfalls in dieser Größen-

ordnung bewegt, kann man hier nicht mehr von newtonschen Eigenschaften des Bluts aus-

gehen. Vielmehr sind die Blutkörperchen gezwungen, sich hintereinander durch die Kapilla-

ren zu zwängen. Die Fließgeschwindigkeit beträgt dementsprechend in den Kapillaren nur

256 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

noch 0,1 cm/s. Dieses „Durchquetschen“ der roten Blutkörperchen durch die Kapillaren hat

einen wichtigen Effekt: Es fördert den Stoff- und Gasaustausch mit dem umliegenden Ge-

webe.

b. Reynoldszahl einer Schwimmerin

Schulterbreite L� 0,5m

Geschwindigkeit: v� �

min 2

100m 0,83 m/s

kinematische Viskosität:s

m10

m/kg10

Pas10006,1)C20(

26

33

3

Wasser�

��

��

���� , mit Pa s=

kg

ms

Reynoldszahl der Schwimmerin: 5626

104,1100,41/sm10

0,83m/s0,5mLvRe ����

��

c. Reynoldszahl von fliegenden Pilzsporen:

Durchmesser der Sporen: L = m105mm105 63 ��

���

Geschwindigkeit: v = 4,5mm/s = 4.5 s/m10 3��

Dichte und Viskosität von Luft: 3Luft m/kg2,1�� ; Pas107,1 5

Luft�

���

Reynoldszahl: 0,0016101,6kg/ms1071

m/s1054m105mkg1,2Re 3

5

363

�������

������������

��

Abb. 3.9: Geschwindigkeit und Reynoldszahl bei verschie-

denen Organismen (NACHTIGALL 1981, 8; SCHWAIGER

1994, 99)

Je kleiner der umströmte Körper, desto

zäher wirkt auf ihn das Fluid. Bei Pilz-

sporen ist die Zähigkeitskraft groß gegen

die Trägheitskraft, d.h. für Sporen, kleine

Insekten, Blütenpollen ist die Luft zäh,

die Re-Zahl wird sehr klein. D.h. der

Zahlenwert für die Zähigkeit des Medi-

ums allein reicht nicht aus, um eine Aus-

sage über das Verhalten des umströmten

Körpers oder der Strömung selbst machen

zu können. Man braucht immer auch die

Abmessungen und die Geschwindigkeit.

Wo nützt die Reynoldszahl in der Technik?

Die Reynoldszahl ist wichtig, wenn man das Strömungsverhalten um besonders große oder

besonders kleine Objekte untersuchen will. Soll z.B. im Windkanal die Strömung um ein

3.3 Themenblock „Übergang von laminarer Strömung zur Turbulenz bei Rohrströmungen“ 257

Flugzeug untersucht werden, steht man vor dem Problem, dass die Abmessungen des

Originals für jeden Windkanal zu groß sind. Man braucht ein Modell des Flugzeugs. Auch für

die strömungstechnische Untersuchung von Fahrzeugen und Gebäuden ist man auf Modelle

angewiesen.

Diese Modelle müssen maßstabsgerecht sein, d.h. ihre Abmessungen im gleichen Verhältnis

zueinander stehen wie im Original. Solche Modelle nennt man „geometrisch ähnlich“. Das

Windkanalmodell eines Autos ist in Abbildung 3.10 dargestellt. Es handelt sich dabei um eine

Präzisionsarbeit, die das Modell oft dreimal teuerer als das Original werden lässt. Die Modelle

werden mit fluoreszierender Farbe besprüht oder mit Fäden beklebt, um die Strömungen

sichtbar zu machen. Wenig turbulente Strömungen oder Wirbel sind ein gutes Zeichen, denn

dies lässt auf einen geringen Strömungswiderstand schließen.

Damit die Strömung um das Modell der Strömung um das Original entspricht, müssen die

Reynoldszahlen für beide Strömungen gleich sein. Das ist durch Variation der Strömungs-

geschwindigkeit oder der kinematischen Zähigkeit ��

�� zu erreichen.

Aufgabe zum Automodell in Abbildung 3.10:

Das Automodell (Maßstab 1:5) soll im

Windkanal untersucht werden. Wie groß muss

die Anströmgeschwindigkeit des Modells sein,

wenn eine Fahrgeschwindigkeit von 150 km/h

simuliert werden soll?

ReAuto = ReModell

M

MM

A

AA LvLv

�= kin. Viskosität

� A = � M

vL

Lv

km

h

km

h

m

sMA

M

A� � � �

5

1150 750 208

Im Windkanal ist also die fünffache Anströmgeschwindigkeit notwendig.

Bei Flugzeugen treten besondere Schwierigkeiten auf:

1. Man muss das Modell in einem kleineren Maßstab als 1:5 bauen, damit es in den Wind-

kanal passt. Es sei denn, es steht der größte Windkanal der Welt in San Francisco mit 36m

x 24m Grundfläche zur Verfügung. Wenn man das Modell in noch kleinerem Maßstab

bauen muss, muss man die Windgeschwindigkeit dementsprechend erhöhen.

Abb. 3.10: Windkanalmodell eines Autos

(Maßstab 1:5) (DAIMLER 1995)

258 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

2. Die zweite Schwierigkeit ist die hohe Fluggeschwindigkeit (ca. 600 km/h = 166 m/s). Soll

ein Modell im Maßstab 1:5 getestet werden, wird eine Anströmgeschwindigkeit von

3000 km/h = 833 m/s erforderlich. Diese Strömungsgeschwindigkeit entspricht annähernd

der dreifachen Schallgeschwindigkeit. In diesem Bereich gilt das Modell der

inkompressiblen Strömung schon lange nicht mehr.

3. Ein weiteres Problem ist der Energieverbrauch: So benötigt z.B. der Porsche-Windkanal in

Weissach 2,2 MW, um eine Strömung mit einer Maximalgeschwindigkeit von

60 m/s=216 km/h aufrechtzuerhalten. Dies ist eine höhere Leistung als die umliegenden

Orte gemeinsam verbrauchen. Deshalb dürfen die größten Windkanäle zu Spitzenzeiten des

Energieverbrauchs nicht angeworfen werden.

3.4. Themenblock „Umströmte Körper“

Schritte Materialien

1. Leonardo da Vinci als Strömungs-forscher

� Phänomenologische Beschreibung vonStrömungen

Drucke von Bildern und EntwürfenLeonardo da Vincis

2. Von laminarer zu turbulenterStrömung beim umströmten Zylinder

� Übergang von laminarer zu turbulenterStrömung

� Die Kármánsche Wirbelstraße

� Wie entstehen die Wirbel auf derZylinderrückseite?

� Kármánsche Wirbelstraße im Alltag

� Die Strouhalzahl

� Fische nützen Wirbelstraßen

Versuch „laminar bis turbulent“: 2 mög-lichst große Glasschalen, Korkmehl(Phywe) oder Lykopodium, Glyzerin,zylindrischer Körper (z.B. Bleistift)

Versuch „Wirbelstraße“: Wanne mit fla-chem Boden (ca. 1m Länge), Lykopo-diumpulver (Phywe oder Leybold) oderMehl, 1-2 Liter 85%-iges Glyzerin (ca.15.-DM/Liter in der Apotheke), Zeitungs-papier, Trichter

Film „Kármán Vortex Streets in the

Wake of Madeira“, Meteosat imagery,leihbar bei ZEAM; Freie UniversitätBerlin, Malteserstr. 74-100, Berlin,Bestellnr.: SIMPLE 33 (7 min)

Film „Tacoma Narrows Bridge Collapse,

Brücke im Wind“, leihbar beim Institutfür den wissenschaftlichen Film IWF,Nonnenstieg 72, 37075 Göttingen,Bestellnr. W98 (5 min)

Film „Vortices“, de Gruyter Nr. 21(3 min)

Demonstration „Pendel“: Fadenpendel

Demonstration „Hiebton“: Rute

3. Der Strömungswiderstand

� Vorversuche

� Messung des Strömungswiderstands

� Der Widerstandsbeiwert

� Ergänzungen

Renn- und LiegeräderDas Polardiagramm

Vorversuch „Hand im Wind“: regelbarerFön, Windkanal

Vorversuch „Strömungsformen hinter

verschiedenen Körpern“: Kugel, Platte,Stromlinienkörper gleicher Anström-fläche, Wanne, evtl. Glyzerin

260 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Schritte Materialien

Versuch „Messung des Widerstandsbei-

werts“: Zweikomponentenwaage (zweiFederkraftmesser, Waagebalken, Ge-wicht), Körper verschiedener Formen(z.B. Kugel, Halbkugel, Tragflügel)Windkanal, Windgeschwindigkeitsmesser,Wollfäden

Versuch „Polardiagramm“: siehe Ver-such „Messung des Widerstandsbeiwerts“

3.4.1 Leonardo da Vinci als Strömungsforscher

VORBEMERKUNGEN

Die turbulente Strömung ist ein Naturphänomen,

das mathematisch kompliziert und bis heute noch

nicht gänzlich geklärt ist. Aber gerade, weil es

keine mathematisch gut zugängliche Erklärung

gibt, ist man gezwungen, das Phänomen mit

anderen Mitteln genau und anschaulich zu be-

schreiben. Wie informativ und ästhetisch eine

solche Beschreibung aussehen kann, zeigt bereits

Leonardo da Vinci. Er hatte die Fähigkeit, Struk-

turen zu sehen, eine Fähigkeit, die heute in der

Physik, besonders in der nichtlinearen Dynamik,

wieder gefragt ist, wenn es darum geht, Gemein-

samkeiten in völlig verschiedenen Phänomenen

zu entdecken.

In seinem Buch „Naturphänomene sehen und ver-

stehen“ (WAGENSCHEIN 1980, 97) stellt

Wagenschein das Sehen eines Phänomens an den

Anfang des Verstehens. Erst der Umgang mit

Phänomenen schafft den Zugang zur Physik.

Apparaturen, Fachsprache, Mathematisierung und

Modellbildung sollten erst dann herangezogen

werden, wenn es das Phänomen fordert.

Abb. 4.1: Leonardo da Vinci, 1452 - 1519(PIANTANIDA 1955).

3.4 Themenblock „Umströmte Körper“ 261

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� sich von Leonardo da Vinci dazu „verführen“ lassen, zur physikalischen Sichtweise, die

komplementäre künstlerisch-analytische Sichtweise hinzuzufügen.

� versuchen, die Natur des strömenden, wirbelnden Wassers mit ihren eigenen Mitteln und

Begabungen festzuhalten und zu beschreiben. Dies kann durch Zeichnungen und verbale

Beschreibungen geschehen, oder auch mit Hilfe von Fotografien, Videos, Tonbandauf-

nahmen, Plastiken usw.

� Leonardo in eigenen Recherchen als Universalgelehrten und als Vorbild unkonventionellen

Denkens kennenlernen.

AUSFÜHRUNG

„La Gioconda“ (die „Mona Lisa“) und „Das Abend-

mahl“ sind wohl die populärsten Werke des Malers

Leonardo da Vinci, der von 1452 bis 1519 lebte.

Leonardos Werk beschränkt sich nicht auf die

Malerei, sondern er gilt auch als ideenreicher Erfinder

technischen Geräts, wie Flugobjekte, Taucheraus-

rüstungen, Brunnenbohrmaschinen, Kriegsgerät und

als Zeichner detaillierter Anatomiestudien. So ist die

Studie „Kanon der Proportionen“ noch heute ein Vor-

zeigebeispiel für die Vereinbarkeit von Mathematik,

Anatomie und Kunst.

Leonardos Werk bietet eine wahre Fundgrube für den

naturwissenschaftlichen Unterricht (PIANTANIDA

1955).

1995 fand in Speyer eine Ausstellung seiner Skizzen, Entwürfe und vieler nachgebauter

Modelle statt. Im technischen Museum in Mailand existiert eine feste Abteilung, in der

ebenfalls technische Entwürfe und nachgebaute Modelle zu finden sind.

Leonardos Schicksal war, daß Zeitgenossen sein Genie nicht erkannten. Aufgrund seiner

systematischen Denkweise war er der Zeit weit voraus, daher konnten wahrscheinlich viele

seiner Zeitgenossen Leonardos Entwürfe nicht nachvollziehen, geschweige denn umsetzen.

Aus diesem Grund wurden nur wenige seiner Projekte realisiert, obwohl er sehr für sie warb.

Abb. 4.2: Kanon der Proportionen(PIANTANIDA 1955).

262 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

1482 ging Leonardo an den Hof der Sforza in

Mailand. Dort wurde unter seiner Verantwortung

mit dem Bau eines Kanalsystems, stolz die

„Sforzesca“ genannt, begonnen.

Leonardo entwarf zu diesem Zweck verschiedene

Hilfsmittel und Geräte, wie schwimmende Bagger,

Wasserräder, Schleusentore und fahrbare Brücken.

Im Rahmen dieser Entwürfe und Wartungsarbeiten

an den Kanälen, Schleusen und Brücken

entstanden viele Studien zu der Bewegung des

Wassers.

Den Lebensabend verbrachte Leonardo in Frank-

reich. Seine Skizzen und auch die Darstellung der

„Mona Lisa“, die jetzt noch im Louvre hängt,

nahm er mit. In Frankreich arbeitete er u.a. an der

sog. „Sintflutserie“, die seine Version des

Weltuntergangs wiedergibt. In Rahmen dieser

Serie entstanden unter anderem detaillierte Studien

von Luft- und Wasserströmungen.

Abbildung 4.3 zeigt eine aus einer Öffnung strömende Flüssigkeit. Die Wasserbewegung ist

äußerst plastisch wiedergegeben:

Der Betrachter sieht nicht nur die Wasseroberfläche, sondern auch die Wirbel in der Tiefe.

Das ganze Wirbelgebiet ist eingefaßt von einer einzigen großzügigen Bewegung. Die Zeich-

nung wirkt fast übergenau, dabei wird deutlich, daß Leonardo eine Möglichkeit suchte, die

wilden, unüberschaubaren Bewegungen zu systematisieren, indem er immer wiederkehrende

Bewegungsformen einfängt.

Auch in dem zum Bild gehörenden Text versuchte Leonardo, die beobachteten Bewegungen

zu erfassen und wiederum zu systematisieren.

Offensichtlich fiel ihm die verbale Beschreibung wesentlich schwerer als die visuelle. Jeder,

der einmal versucht, die Vielgestaltigkeit der Bewegungen in einem Wasserstrudel, einem

Bach, Fluß oder Brandung genau zu beschreiben, wird merken, daß er schnell an die Grenzen

seiner verbalen Ausdrucksfähigkeit stößt.

Der Text unter Leonardos Skizze (Abbildung 4.3) lautet:

„Es gibt drei Bewegungen beim Einfließen des Wassers in das Becken und eine vierte kommt

noch hinzu, die der Luft, die im Wasser untergeht. Diese Bewegung ist die erste und soll des-

halb als erstes definiert werden. Die zweite ist die der zusammengedrückten Luft, die dritte

bringt die zusammengepreßte Luft wieder zur anderen Luft, wobei das Wasser in Form von

Blasen gehoben wird, um somit Schwere in der Luft zu haben, so daß es von der Wasserober-

Abb. 4.3 (SUKALE 1987, Nr. 81)

3.4 Themenblock „Umströmte Körper“ 263

fläche bis zum Grund hinunterfällt, den es berührt. Die vierte Bewegung ist das Kräuseln auf

der Wasseroberfläche des Wassers, das von seinem Hinunterfall auftaucht, wobei hier die

engste Stelle ist zwischen dem zurückgestoßenen und abprallenden Wasser. Eine fünfte Bewe-

gung wird hinzukommen und diese

wird Quellbewegung genannt,

welche die Bewegung ist, die vom

zurückgestoßenen Wasser erzeugt

wird beim Zurückbringen der

hinuntergedrückten Luft an die

Wasseroberfläche.“ (SUKALE

1987, 88)

Leonardo verwendete einfache

Hilfsmittel, um die Bewegung von

Strömungen systematisch zu unter-

suchen: Abbildung 4.4 zeigt die

Umströmung von Holzbrettern, die

in einen Bachlauf als Hindernisse gestellt wurden. Auch färbte er das Wasser mit Farbstoffen

und Hirsesamen an, um die Bewegung einzelner Flüssigkeitselemente besser beobachten zu

können. Er erklärte: „Und durch dieses Experiment wirst Du in der Lage sein, viele schöne

Bewegungen zu erforschen, die entstehen, wenn ein Element ein anderes durchdringt.“

(SUKALE 1987, 88)

Diese Methode wird heute noch angewendet. Um die Bewegung einer Strömung sichtbar zu

machen, wird Lykopodium in die Flüssigkeit gestreut.

Im Text am Rand seiner Skizze (Abbildung 4.4) analysiert er die beobachteten Bewegungen:

„Beobachte die Bewegung an der Oberfläche des Wassers, die der von Haar gleicht, welches

zwei Bewegungsarten hat; eine hängt vom Gewicht des Haares ab; die andere von der Rich-

tung der Locken; so bildet das Wasser strudelnde Wirbel, von denen ein Teil durch den Im-

puls der Hauptströmung verursacht wird, und der andere durch die Nebenströmungen und

den Rückfluß.“ (SUKALE 1987, 87)

Mit „Rückfluß“ oder „Rückbewegung“ bezeichnet Leonardo die Strömung entgegen der

Hauptströmungsrichtung. Zur Beschreibung der Wasserbewegung hinter dem umströmten

Hindernis sucht Leonardo Analogien, d.h. vergleichbare, einfacher zu verstehende

Phänomene. Die in diesem Bild gewählte Analogie stammt interessanterweise aus einem ganz

anderen Bereich, nämlich dem Fall von Haarlocken.

Strukturelle Ähnlichkeiten von Naturerscheinungen, die auf den ersten Blick keine Gemein-

samkeiten besitzen, regen heute wieder Wissenschaftler an, sich mit interdisziplinären

Arbeitsgebieten zu beschäftigen.

Abb. 4.4 (SUKALE 1987, Nr. 80)

264 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Bei genauer Betrachtung verschiedener von Leonardo gezeichneter Portraits, wie dem Selbst-

portrait in Abbildung 4.1, erinnern die Haare der dargestellten Personen an Wasserwirbel.

D.h. Leonardo zeichnete nicht nur Wasserwirbel in Analogie zu Haaren, sondern auch Haare

in Form verwirbelter Strömungen.

Dieses Blatt (Abbildung 4.5) stammt nicht von Leonardo selbst, sondern von seinem Schüler

Melzi. Auf der linken Bildseite ist ein Fels erkennbar aus dessen Spalte Rauch und Flammen

entweichen. Die rechte Seite zeigt einen entwurzelten Baum. Diese Darstellung ist ein weite-

res Beispiel für die Idee Leonardos, zur Erklärung sehr komplexer Phänomene vergleichbare

Strukturen in völlig verschiedenen Gegenstandsbereichen zu suchen. Deutlich wird hier auf

die strukturelle Ähnlichkeit von Feuer und Wurzeln hingewiesen.

Die Arbeiten von Leonardo zeigen, daß er sich lange mit der Komplexität und der Schönheit

dieser Naturphänomene, besonders mit der Strömung des Wassers, auseinandergesetzt hat.

Für ihn war die Materie, wie auch die antike Physik des Empedokles lehrte, aus vier Elemen-

ten aufgebaut: Dem Wasser, der Luft, der Erde und dem Feuer. In allen vier Elementen sind

Strömungsphänomene beobachtbar.

Ergänzung: Ein besonders schöne Beschreibung von Wasserströmungen stammt von dem

Pädagogen Hugo Kükelhaus (1900 - 1984), der in seinem Buch „Hören und Sehen in Tätig-

keit“ schreibt:

„Wir sitzen am Ufer eines schnell dahinfließenden Wassers, einem Bach, einem Tobel. Stehen

auf einer Brücke und schauen hinunter. Wir verweilen nach einem Regen bei einem Rinnstein

und verfolgen den Verlauf besonders ausgeprägter Strömungsformen. Es freut uns, wenn wir

gewisse Regeln in dem Fließen entdeckt haben. Dort liegen einige Steinchen. In der Nähe

biegt sich die Strömungsrichtung um. Das Wasser zieht wirbelnd in die Gegenrichtung, es

bildet Oberflächenstrudel, ehe es wieder in die allgemeine Richtung einlenkt. Wie hier im

Kleinen, so auch im Großen, wenn wir von der Brücke aus die Strömungsformen unten be-

trachten. Es gibt Formen in dem Geströme, verharrend und fest wie aus poliertem Stahl, wäh-

rend die Wassermassen unentwegt durch dieses Bleibende hindurchschießen.

Abb. 4.5 (SUKALE 1987, Nr.87)

3.4 Themenblock „Umströmte Körper“ 265

Sehr seltsam: Die Form verharrt. Dort an dem Felsblock ist ein Schwall. Seine Grundform

ändert sich gar nicht, nur daß er sich wie atmend hebt und senkt und leicht hin und her

taumelt. Aber die Wasser, die ihn bilden, stürzen hindurch. Das schnelle Schießen und die

ruhig atmende Form scheinen eins zu sein.“ (KÜKELHAUS 1990, 13)

3.4.2 Von laminarer zu turbulenter Strömung beim umströmten ZylinderDie Kármánsche Wirbelstraße

VORBEMERKUNGEN

Am Anfang dieses Themenblocks wird der schrittweise Übergang von laminarer zu turbulen-

ter Strömung bei der Umströmung eines Körpers anhand einfacher Freihandversuche gezeigt.

Wegen ihrer besonderen Schönheit steht die Kármánsche Wirbelstraße im Zentrum. Der vor-

geschlagene Film über den Einsturz der Tacoma-Brücke ist den Schülerinnen und Schülern oft

schon bekannt. Er wird aber meist in der Wellenlehre als Beispiel für eine

Resonanzkatastrophe eingesetzt, während die eigentliche Ursache des Einsturzes unerwähnt

bleibt. Ein Abschnitt aus Theodore von Kármáns Buch „Die Wirbelstraße“ stellt eine ideale

„Untermalung“ des Stummfilms dar. Verblüffende Anwendungsbeispiele runden die Einheit

ab und leiten zum dritten Teil „Strömungswiderstand“ über.

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� Methoden zur Sichtbarmachung von Strömungen kennenlernen.

� den schrittweisen Übergang von laminarer zu turbulenter Strömung beschreiben können

und die Rolle der Reynoldszahl erkennen.

� die Wirbelentstehung hinter umströmten Körpern als Folge der Reibung erklären können.

� die Kármánsche Wirbelstraße als besonders eindrucksvolle Strömung mit vielen verschie-

denen Erscheinungsformen kennenlernen.

� die Strouhalzahl als weitere dimensionslose Kennzahl einsetzen können.

AUSFÜHRUNG

Wie schon erwähnt, wird Leonardos Methode, einzelne Flüssigkeits- oder Luftelemente durch

Bestreuen mit Partikeln oder durch Rauch zu markieren, auch heute noch in der Hydrodyna-

mik angewendet. Ist die Bestreuung dicht genug, fügen sich die Bewegungen der einzelnen

Teilchen zu einem Stromlinienbild zusammen und wir erhalten so ein deutliches Bild von der

Strömung.

Übergang von laminarer zu turbulenter Strömung

Mit diesen Hilfsmitteln kann die Entwicklung einer laminaren zu einer turbulenten Strömung

bei der Umströmung eines glatten Zylinders untersucht werden. Für die Darstellung der

266 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

verschiedenen Strömungsformen wird die Reynoldszahl schrittweise erhöht. In der Praxis

heißt das meist, daß die Strömungsgeschwindigkeit erhöht wird oder die Geschwindigkeit, mit

der sich der Zylinder durch die ruhende Flüssigkeit bewegt. Eine weitere Möglichkeit wäre,

die Viskosität zu variieren.

Zur Erinnerung: �

��

LvRe Reynoldszahl (aus dem 3. Themenblock)

Versuch „laminar bis turbulent“:

Mit Hilfe dieses einfachen Experiments können die verschiedenen Strömungszustände von

laminar bis turbulent dargestellt werden. Als umströmte Zylinder eignen sich Bleistifte oder

andere zylinderförmige Körper verschiedener Durchmesser, die mit unterschiedlicher Ge-

schwindigkeit durch eine Flüssigkeit gezogen werden. Um die Bewegung der Flüssigkeit

hinter dem Körper sichtbar zu machen, wird die Flüssigkeit in eine Glasschale mit flachem

Boden gegeben und mit feinem Korkmehl bestreut. Stellt man die Schale auf den Overhead-

Projektor, können alle Personen im Raum die Strömungen erkennen.

Re < 1: Der Zylinder wird laminar umströmt.

Die Strömung ist stationär, d.h. sie ändert sich nicht mit der Zeit.

Solche kleinen Re-Zahlen erreicht man nur,

wenn die Geschwindigkeit sehr klein oder die

Viskosität sehr hoch ist oder der bewegte

Körper minimale Abmessungen hat.

Am einfachsten ist die laminare Strömungs-

form zu realisieren, indem der Körper langsam

durch eine hochprozentige Glyzerinlösung

gezogen wird. Dann erkennt man, daß sich die

Flüssigkeit symmetrisch um den Körper bewegt: Vor der Körpermitte teilt sie

sich, umströmt den Körper glatt und fließt nach ihm wieder zusammen. In der

Flüssigkeit bleibt hinter dem Körper lediglich einen Strich zurück.

Re �20: Ausbildung von zwei symmetrischen Wirbeln auf der Zylinderrückseite.

Die Strömung ist nach wie vor stationär.

Um eine Umströmung mit dieser Re-Zahl zu

erhalten, kann statt des Glyzerins Wasser

verwendet werden. Deutlich erkennt man das

Wirbelpaar, das an der Rückseite des Zylin-

ders zu kleben scheint.

Abb. 4.6: Laminare Umströmung(FEYNMAN 1974)

Abb. 4.7: Symmetrisches Wirbel-paar (FEYNMAN 1974)

3.4 Themenblock „Umströmte Körper“ 267

Re �100: Kármánsche Wirbelstraße.

Die Wirbel lösen sich periodisch hinter dem Körper ab.

Aus der stationären Bewegung entsteht eine zeitlich periodische.

Wird der Zylinder mit erhöhter

Geschwindigkeit durch die Flüssigkeit

gezogen, lösen sich Wirbel hinter dem

Zylinder nacheinander um 180°

phasenverschoben ab, d.h. abwechselnd der

rechte und der linke Wirbel. Mit der

gleichen Periode bilden sich neue Wirbel an

der Zylinderrückseite aus. Es entsteht eine Reihe von Wirbeln mit entgegenge-

setztem Drehsinn. Dieses Phänomen wurde nach Théodore von Kármán, einem

ungarischen Ingenieur, benannt.

ab Re �104 Die Wirbel zerfallen in kleinere Elemente.

Die Strömung wird turbulent, zuerst weiter vom Zylinder entfernt, dann

direkt am Zylinder.

Die Bewegung ist nicht mehr stationär.

Hinter dem Zylinder bildet sich die

„turbulente Grenzschicht“ aus, ein Bereich,

in dem die Flüssigkeit stark verwirbelt. Die

Geschwindigkeit variiert hier völlig unvor-

hersagbar.

Diese turbulente Strömungsform ist in un-

serem einfachen Experiment kaum noch

darzustellen, allerdings müßte sie aus dem

Alltag bekannt sein: Sie tritt z.B. bei der

Umströmung von Brückenpfeilern auf.

Die Kármánsche Wirbelstraße

Die Wirbelstraße, die aus sich periodisch ablösenden Wirbeln gebildet wird, ist wohl die

schönste der im vorigen Versuch gezeigten Strömungsformen. Deshalb wird sie zunächst im

Mittelpunkt stehen. Die Bezeichnung „Straße“ rührt angeblich von der Ähnlichkeit der Strö-

mungsform mit den gleichmäßig gegeneinander versetzten Fußstapfen von Passanten her.

Abb.4.8: Kármánsche Wirbelstraße(FEYNMAN 1974)

Abb. 4.9: Turbulente Grenzschicht(FEYNMAN 1974)

268 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Versuch „Wirbelstraße“:

Dieser Versuch bietet die Möglichkeit, die Entstehung

und den Aufbau der Wirbelstraße in Ruhe betrachten zu

können. Dazu wird die Bewegung der Flüssigkeits-

teilchen durch Erhöhung der Viskosität der Flüssigkeit

stark verlangsamt. Eine Glyzerin-Wasser-Mischung (2

Teile 85%-iges Glyzerin, 1 Teil Wasser) wird in eine

flache Wanne etwa 4 bis 5cm hoch gefüllt und mit

Lykopodium-Pulver oder Mehl dicht bestreut. Als um-

strömten Körper benutzt man am einfachsten einen

Finger, der mit möglichst gleichmäßiger

Geschwindigkeit durch die Flüssigkeit gezogen wird.

Hinter dem Finger lösen sich ganz gleichmäßig

gegeneinander versetzte Wirbel ab und bilden eine

Wirbelstraße.

Eine Besonderheit dieses Versuchs ist, daß die Wirbel-

straße aufgrund der hohen Viskosität der Flüssigkeit

lange Zeit (bis zu einer halben Stunde) erhalten bleibt

und so tatsächlich in Ruhe betrachtet werden kann.

Da Glyzerin nicht ganz billig ist, sollte die Mischung

immer wieder verwendet werden. Dazu kann das Lyko-

podium mit Hilfe von Zeitungspapier, das auf die Ober-

fläche der Flüssigkeit gelegt und dann abgezogen wird,

entfernt werden. Eventuelle Reste des Pulvers in der

Flüssigkeit stören bei späteren Versuchen nicht.

In der Natur treten solche Wirbelstraßen in Wolken-

feldern auf. Sie sind auf Satellitenbildern gut

erkennbar. Die Ursache für die Ausbildung der

Wirbelstraße kann entweder eine Bergspitze oder die

Auftriebsströmung an einem erwärmten Berghang

sein. Abbildung 4.11 zeigt eine solche Wirbelstraße,

die hinter Madeira in einem Wolkenfeld entstand.

Ergänzung: Film „Kármán Vortex Streets in the

Wake of Madeira“

Abb. 4.10: Wirbelstraße in einemGlyzerin-Wassergemisch (SCHWENK1995)

Abb. 4.11: Satellitenbild einer Wirbelstraßein einem Wolkenfeld

3.4 Themenblock „Umströmte Körper“ 269

Wie entstehen die Wirbel auf der Zylinderrückseite?

Demonstration „Pendel“:

Reibungsfreie, ideale Strömungen: Der Zylinder wird durch die Flüssigkeit gezogen. Dabei

wird durch die Umströmung des Körpers der Druck an der Stelle größten Zylinderdurch-

messers am geringsten (siehe 2. Themenblock). Die Teilchen werden bis zur Mitte des Zylin-

ders beschleunigt, ihre kinetische Energie steigt an. Nach der Zylindermitte steigt der Druck

an und die Geschwindigkeit nimmt ab, bis sie hinter dem Zylinder den Wert der Anström-

geschwindigkeit erreicht hat. In einer idealen Flüssigkeit ist die Strömung symmetrisch: Jedes

einzelne Flüssigkeitsteilchen hat nach der Umströmung die gleiche Geschwindigkeit wie zu-

vor.

Ein Analogon zu der Bewegung der Flüssigkeit um ein Hindernis ist eine Pendelbewegung:

Auch beim Pendel nimmt die Geschwindigkeit des Pendelkörpers bis zur Mittellinie zu und

danach wieder ab. Ohne Reibung erreicht die Kugel immer wieder die gleiche Höhe, die Be-

wegung ist symmetrisch.

Reibungsbehaftete, reale Strömung: Bei Anwesenheit von Reibung sind die Verhältnisse

nicht mehr so einfach: Zwischen dem umströmten Körper und der freien Strömung bildet sich

eine sog. „Grenzschicht“ aus, in der die Geschwindigkeit von Null direkt am Körper

(Haftbedingung, 2. Themenblock) bis zur Geschwindigkeit der freien Umströmung ansteigt.

Diese Grenzschicht ist umso dünner, je kleiner die Viskosität der Flüssigkeit ist. Sie spielt bei

der Ausbildung von Wirbeln eine wichtige Rolle:

Der Energieverlust durch die innere Reibung bewirkt, daß die kinetische Energie des Fluid-

teilchens in der Grenzschicht um den Körper nicht ausreicht, um gegen den Druckanstieg auf

der Rückseite des Zylinders anzulaufen. Deshalb kommt das Fluidteilchen im Bereich hinter

dem Zylinder zum Stillstand oder strömt sogar vom Bereich hohen zum Bereich niedrigen

Drucks zurück. Das heißt, auf der Rückseite des Zylinders strömt die Grenzschicht in der der

äußeren Strömung entgegengesetzten Richtung. Die hinter dem Körper angesammelte Flüs-

sigkeit rollt sich zu Wirbeln auf, genauer, zu einem Wirbelpaar mit entgegengesetztem

Drehsinn. Diese Wirbel werden aufgrund der Reibung von der seitlichen Strömung mitge-

rissen. Es bildet sich eine Wirbelstraße aus.

Abb. 4.12: Ideale Um-strömung eines Zylinders,Analogon Pendelbewegung

phoch pklein phoch

270 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Auch bei der Pendelbewegung bewirkt die Reibung, daß der Pendelkörper umkehrt, bevor er

das theoretische Maximum erreicht hat, die Bewegung wird wie bei der Flüssigkeitsbewegung

asymmetrisch.

Die Kármánsche Wirbelstraße im Alltag

Théodore von Kármán arbeitete 1910 als Assistent Ludwig Prandtls in Göttingen. Dort ent-

deckte er die nach ihm benannte Kármánsche Wirbelstraße, wie er in seinem Buch

„Aerodynamics“ (KÁRMÁN 1956) beschreibt: „... Prandtl hatte einen Doktoranden, Karl

Hiemenz, dem er die Aufgabe gegeben hatte, einen Wasserströmungskanal zu konstruieren, in

dem die Ablösung der Strömung hinter einem Zylinder beobachtet werden könne. Das Ziel

war, experimentell den Ablösepunkt der laminaren Strömung zu überprüfen, der mit der

Grenzschicht-Theorie berechnet werden konnte. Für diesen Zweck war es zuerst notwendig,

die Druckverteilung um den Zylinder herum in einer beständigen Strömung zu kennen. Zu

seiner großen Verwunderung fand Hiemenz, daß die Strömung in seinem Kanal heftig

schwankte. Als er dies Prandtl erzählte, sagte letzterer zu ihm: „Offensichtlich ist ihr Zylinder

nicht absolut rund.“ Aber auch nachdem der Zylinder sehr sorgfältig bearbeitet worden war,

oszillierte die Strömung weiterhin. Dann wurde Hiemenz gesagt, daß der Strömungskanal

möglicherweise nicht symmetrisch sei und er begann auch dies zu korrigieren.

Ich war nicht mit diesem Problem befaßt, aber jeden Morgen, wenn ich in das Labor kam,

fragte ich ihn: „Herr Hiemenz, ist die Strömung jetzt beständig? Er antwortete sehr betrübt:

‘Es oszilliert immer.’...“ (KÁRMÁN 1968).

1911 befaßte sich Kármán näher mit diesem Phänomen und fand Wirbel, die sich ab-

wechselnd hinter dem Körper ablösen. Hätte Herr Hiemenz nicht so sorgfältig gearbeitet und

seinen Zylinder weniger stabil installiert, hätte er sicher beobachtet, daß nicht nur die

Strömung, sondern auch der Zylinder schwankt. Die Wirbel hinter dem Zylinder haben

entgegengesetzte Drehrichtungen, d.h. immer wenn sich ein Wirbel abgelöst hat und sich ein

neuer bildet, wechselt die Strömungsrichtung am Zylinder. Die Ausbildung und Ablösung

alternierender Wirbelpaare verursacht periodisch wirkende Kräfte auf den Zylinder. Diese

können verheerend wirken, wie das folgende Beispiel zeigt:

Abb. 4.13: Ausbildung vonWirbel, Analogon Pendel-bewegung

3.4 Themenblock „Umströmte Körper“ 271

Der Einsturz der Tacoma-Brücke im Staate Washington 1940:

Film „Tacoma Narrows Bridge Collapse“

Theodore von Kármán beschreibt das Unglück in seinem Buch „Die Kármánsche

Wirbelstraße“ (KÁRMÁN 1968):

„Mein bemerkenswertestes ‘Abenteuer’ mit der Aerodynamik hatte ich 1940. Es begann, als

eine Schlagzeile in der Zeitung meine Aufmerksamkeit erregte: Brücke über Tacoma-Sund

eingestürzt. Ich las den Bericht voll Spannung.

Die neue Hängebrücke im Staate Washington, die 6,4 Millionen Dollar gekostet hatte und als

die schönste einspännige Hängebrücke der Welt bezeichnet wurde, war bei mäßigem Sturm

zusammengebrochen und sechzig Meter tief in den Puget Sound gestürzt. ...

Aber vom Tage ihrer Einweihung, dem 1. Juli 1940 an, und sogar schon während des Baues

wurde offenbar, daß mit der Brücke etwas nicht in Ordnung war. Die Fahrbahn schaukelte in

verhältnismäßig schwachen Winden, sie bewegte sich bei Windgeschwindigkeiten von fünf bis

acht Kilometern pro Stunde um mehr als einen Meter auf und ab. Diese Bewegungen waren

manchmal so auffällig, daß die Brücke bald den Spitznamen ‘galoppierende Gertie’ erhielt,

und Besucher kamen von weither, um den Nervenkitzel zu erleben, über diese galoppierende

Achterbahn zu fahren. Die Ingenieure versuchten, die Schwingungen etwas zu dämpfen, in-

dem sie die Fahrbahn mit starken Kabeln zu beiden Seiten an Betonblöcken verankerten.

Auch andere Maßnahmen wurden probiert. Aber nichts schien die Brücke am Galoppieren

hindern zu können. ...

Der Morgen des Einsturzes - der 7. November 1940 - begann ohne jeden Hinweis auf das,

was kommen sollte. Obwohl während der Nacht ein Sturm aufgekommen war, schaukelte die

Brücke nur in der gewohnten Weise. Um zehn Uhr vormittags hatte der Sturm

siebenundsechzig Kilometer pro Stunde erreicht, die höchste Windgeschwindigkeit, die die

Brücke bisher erlebt hatte. Aber außer einer Verstärkung der Schwingungen des Mittelstückes

wurde von Beobachtern noch immer wenig Änderung der Gesamtbewegung der Brücke ge-

meldet. Plötzlich, einige Minuten nach zehn, nahmen die Bewegungen einen neuen Charakter

an. Das rhythmische Auf und Ab wurde unvermittelt von einer heftigen spiraligen Drehbewe-

gung abgelöst. Nach den Berichten der Beobachter sah es aus, ‘als wollte die Brücke sich auf

den Rücken legen’. Die alarmierten Behörden sperrten sie für den Verkehr.

In den nächsten Minuten verstärkte sich diese Korkenzieherbewegung noch mehr. Ein Beob-

achter meldete, daß der eine Rand der Fahrbahn in einem Augenblick um neun Meter höher

lag als der andere. Im nächsten Augenblick lag er neun Meter tiefer. Die Tragkabel im Mit-

telstück bewegten sich nicht gemeinsam auf und ab wie bei der üblichen wippenden Bewe-

gung, sondern zogen und zerrten in entgegengesetzen Richtungen und kippten die Fahrbahn

bis zu fünfundvierzig Grad aus der Horizontalen. Die Laternenpfähle auf der Brücke lagen

fast waagerecht. Eine halbe Stunde lang waren die Stahlträger, die Tragkabel und die Beton-

272 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

fahrbahn diesen schrecklichen Belastungen ausgesetzt. Um elf Uhr konnten sie es nicht mehr

tragen. Die Laternenpfähle gaben nach und fielen um. Der Mittelteil knickte ein, und ein

zweihundert Meter langes Stück Träger und Fahrbahn riß ab und stürzte mit ohrenbetäuben-

dem Lärm in den Sund. Zehn Minuten später folgte der Rest des Mittelteils. Die Seitenteile,

die nun keinen Halt mehr hatten, zerrten an den Kabeltürmen und zwangen sie, sich zum Land

hin zu neigen. So heftig war der Stoß auf die Seitenteile, als der Mittelteil einstürzte, daß

Professor F.B. Farquharsen von der Washington-Universität, der von einem Seitenteil aus

das schreckliche Geschehen gefilmt hatte, auf die Betonfahrbahn geschleudert wurde. Er

konnte sich wieder aufraffen und in Sicherheit bringen.

Nur ein verlassenes Automobil war auf der Brücke, als sie einstürzte. Der Besitzer, ein Zei-

tungsreporter, war herausgeschleudert worden, als die Drehbewegungen der Fahrbahn ein-

setzten. Es gelang ihm, sich einige Minuten an der Bordkante festzuhalten, bis die Brücke sich

vorübergehend etwas beruhigte. Dann kroch er auf allen Vieren in Sicherheit. Es wurde ein

Versuch gemacht, das Auto und den einzigen darin verbliebenen Insassen, einen Hund, zu

bergen, aber es war zu spät. Der Hund stürzte mit dem Wagen und dem Brückenteil ab - das

einzige Leben, das bei dem Unglück zu beklagen war. ...“

Schuld an dem Einsturz der Brücke hatte die Ausbildung einer Kármánschen Wirbelstaße

hinter den Seitenplatten der Brücke. Die periodische Wirbelablösung regte die Brücke zu

Schwingungen an. Bei der Tacomabrücke war unglücklicherweise die Anregungsfrequenz

durch die Wirbel gleich der Eigenfrequenz der Brücke, es trat also der Resonanzfall ein. Die

Schwingungsamplitude wuchs an, bis die Brücke zerstört war. In Nachfolgebauten, wie der

Golden-Gate-Bridge, wurden die Seitenwände mit großen Löchern versehen oder durch ein

Gitter ersetzt. Zusätzlich wurden Schlitze in die Fahrbahn geschnitten, damit sich der Druck-

unterschied über und unter der Fahrbahn ausgleichen kann.

Nach dieser Katastrophe wurde zum ersten Mal erkannt, daß bei der Planung von Brücken

und anderen Bauwerken nicht nur statische, sondern auch dynamische Belastungen, besonders

wenn sie periodische Schwingungen erzeugen, berücksichtigt werden müssen.

Um Schäden an Bauwerken, wie Kühltürmen und Kaminen, durch Kármánsche Wirbelstraßen

zu vermeiden, werden diese mit sog. „Scruton-Spiralen“ umwickelt. Die Spiralen verhindern

die periodische Ablösung der Wirbel und somit die Schwingungsanregung der Bauwerke.

Auch im Fahrzeugbau findet die Scruton-Spirale Anwendung: Antennen von Cabrios werden

mit Draht spiralig umwickelt, um die Ausbildung von Wirbelstraßen und die damit verbun-

denen Pfeiftöne zu verhindern.

3.4 Themenblock „Umströmte Körper“ 273

Die Strouhalzahl

Auch für Wirbelstraßen existiert eine dimensionslose Kenngröße, ähnlich der Reynoldszahl.

Sie wurde nach dem tschechischen Physiker Cenek Strouhal (1850 - 1923) benannt.

Die Strouhalzahl ist proportional zur Ablösefrequenz der Wirbel und der charakteristischen

Länge (in diesem Fall die Breite des Hindernisses oder des Nachlaufs) und umgekehrt propor-

tional zur Anströmgeschwindigkeit. Wie alle Kennzahlen ist sie dimensionslos. Obwohl die

Strouhal-Zahl von der Reynoldszahl abhängig ist, spielt dies im Bereich der Kármánschen

Wirbelstraße, also 40 < Re < 104 keine Rolle, denn hier ist die Strouhalzahl nahezu konstant

(ca. 0,2).

Strouhalzahl: St = f L

v

, für Wirbelstraßen St � 0,2 = konstant

f = Ablösefrequenz der WirbelL = charakteristische Längev = Anströmgeschwindigkeit

Beispiel „Singende Drähte“: Beim Spazierengehen ist oft das „Singen“ des Windes zu hö-

ren, wenn er an Hochspannungsleitungen oder Fahnenmasten vorbeistreicht. Dieses Phäno-

men läßt sich mit der Kármánschen Wirbelstraße erklären, denn beim Umströmen dieser Hin-

dernisse bilden sich Wirbelstraßen aus und die Ablösefrequenz der Wirbel ist als Dauerton zu

hören. Mit Hilfe der Strouhalzahl kann nun berechnet werden, mit welcher Geschwindigkeit

der Wind eine Hochspannungsleitung anströmen muß, damit wir den Kammerton a1 hören.

Kammerton a1: Frequenz f = 440 Hz

Durchmesser der Leitung: L = 5mm

Berechnung der erforderlichen Windgeschwindigkeit:

vf L

St

s mm s km h�

� �

�440 5 10

0 210 4 37

3/

,, / /

Winde mit Geschwindigkeiten von ca. 10 m/s werden in der Meteorologie mit „frischer Brise“

bezeichnet. Sie entsprechen auf der „Beaufort-Skala“ der Windstärke 5 - 6, die 1806 von dem

englischen Admiral Sir Francis Beaufort aufgestellt wurde.

Demonstration „Hiebton“:

Auch beim Schwingen einer Rute, eines Stabs oder einer Peitsche durch die Luft, lösen sich

periodisch Wirbel ab und es ist ein sog. „Hiebton“ zu hören.

274 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Fische nutzen Wirbelstraßen

Fische erzeugen durch ihre Flossenbewegung Wirbelstraßen: Bei jeder Hin- und Herbewe-

gung der Schwanzflosse entsteht ein Wirbelpaar mit gegenläufigem Drehsinn. Das Muster

ähnelt einer Kármánschen Wirbelstraße, allerdings besitzen die Wirbel der „Fischstraße“ eine

entgegengesetzte Rotationsrichtung: Bei der Kármánschen Wirbelstraße drehen sich die

Wirbel zur Mitte hin, bei der Fischstraße rotieren sie von innen nach außen. Deshalb wird sie

auch „umgekehrte Kármánsche Wirbelstraße“ genannt.

Der Schlag der Fischflosse in eine Richtung erzeugt einen Wirbel. Sofort darauf erzeugt der

Rückschlag einen zweiten, gegensinnig drehenden Wirbel, der ein Stück versetzt ist, weil der

Fisch sich vorwärtsbewegt hat. Sind die Wirbel zeitlich gut aufeinander abgestimmt, treffen

sie aufeinander und erzeugen einen rückwärtsgerichteten Wasserstrahl. Wenn das Wasser

nach hinten beschleunigt wird, erhält der Fisch nach dem dritten newtonschen Axiom einen

Schub nach vorn. Manche Fische (z.B. der Hecht) sind sogar in der Lage, diesen Schub zu

verstärken, indem sie den zweiten Wirbel an den ersten drücken. Dies gibt ihnen die Möglich-

keit schnell vorzupreschen.

Auch für die umgekehrte Wirbelstraße kann die Strouhalzahl bestimmt werden. In diesem Fall

ist f die Frequenz des Flossenschlags, L die Breite der Wirbelstraße und v die Geschwindig-

keit des Fisches. Die Analyse der Bewegungen verschiedener Fischarten - vom Goldfisch bis

zum Hai - hat ergeben, daß die Strouhalzahl für diese Arten zwischen 0,25 und 0,35 liegt. In

diesem Bereich ist die Fortbewegung offensichtlich besonders effizient.

Einige Fischarten, vor allem Lachse und Forellen, sind in der Lage ihr Vorankommen noch

weiter zu optimieren, indem sie die im Gewässer vorhandenen Strömungen nutzen. Treffen

z.B. Wirbel der umgekehrten Wirbelstraße auf die gegensinnig laufenden Wirbel einer

Kármánschen Wirbelstraße hinter einem Felsen oder anderen Hindernissen, kann der

rückwärtsgerichtete Wasserstrahl verstärkt werden. Dazu muß jedoch die Lage der Wirbel

zueinander günstig sein.

Abb. 4.14: UmgekehrteKármánsche Wirbelstraße,erzeugt durch die Schwanz-flosse eines Fisches(TRIANTAFYLLOU 1995)

3.4 Themenblock „Umströmte Körper“ 275

Diese Erkenntnisse sollen am MIT (Massachusetts

Institut of Technology) in Cambridge genutzt werden,

um einen neuen Schiffsantrieb zu konstruieren. Eine

Arbeitsgruppe aus Biologen und Maschinenbauinge-

nieuren bauen dort einen künstlichen Thunfisch, den

„Robotuna“. Die Bewegung dieses Fisches soll über 6

Elektromotoren gesteuert werden, die sich außerhalb

des Fisches befinden. Die Bewegung wird durch

Seilzüge übertragen. Mit Hilfe von Farbstoff wurde die

erzeugte Strömung sichtbar gemacht: Genau wie beim

echten Fisch handelt es sich um eine umgekehrte

Wirbelstraße. Damit ist ein Prototyp für ein effektiveres

Wasserfahrzeug geschaffen: Die Autoren haben einen

Wirkungsgrad von ca. 86 % errechnet, bei den üblichen

Schiffsschrauben liegt er bei nur 40 %.

3.4.3 Der Strömungswiderstand

VORBEMERKUNGEN

Der Strömungswiderstand hat vor allem bei der Fahrzeugkonstruktion - vom Liegerad bis zum

ICE - eine große Bedeutung. Einfache Vorversuche führen den Strömungswiderstand als Kraft

ein, die benötigt wird, um einen Körper in seinem Bewegungszustand zu halten. Dabei spielt

keine Rolle, ob der Körper ruhend in der Strömung oder bewegt in der ruhenden Flüssigkeit

gehalten werden soll. Die Messung des Strömungswiderstandes und der -geschwindigkeit

erlauben es, den Widerstandsbeiwert für verschiedene Objekte zu bestimmen. Die Erstellung

eines Polardiagramms für einen Tragflügel nach Lilienthal ist als ergänzendes Experiment

vorgesehen. Der Aufbau dieses Versuchs entspricht fast dem der Widerstandsmessung und ist

dementsprechend wenig aufwendig.

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� in Vorversuchen die Abhängigkeit des Strömungswiderstandes von der Form des umström-

ten Körpers und des Strömungszustands erfahren.

� erkennen, daß der Strömungswiderstand die Kraft ist, die man benötigt, um einen Körper in

einer reibungsbehafteten Strömung in seinem Bewegungszustand zu halten.

� ihre Kenntnisse über den Strömungswiderstand und den Widerstandsbeiwert auf alltägliche

Beispiele anwenden können.

Abb. 4.15: Robotuna (TRIANTAFYLLOU1995)

276 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

AUSFÜHRUNG

Vorversuch „Hand im Wind“: Hält man die Hand in verschiedenen Positionen (z.B. senk-

recht oder waagrecht zur Strömung, als Halbkugel geformt, usw.) in den Luftstrom eines re-

gelbaren Föns, Windkanals oder einfach aus dem Fenster eines fahrenden Autos, kann man

den Strömungswiderstand abhängig von der Form der Hand und der Strömungsgeschwin-

digkeit unmittelbar feststellen. Je größer die Geschwindigkeit und je größer die angeströmte

Fläche, desto mehr Kraft wird benötigt, damit die Hand nicht mitgerissen wird.

Vorversuch „Strömungsformen hinter verschiedenen Körpern“: Die Strömungsformen um

verschiedene Körper (Kugel, Platte, Stromlinienkörper) gleicher Anströmfläche werden in

einer Strömungswanne untersucht, die etwa 5 cm hoch mit Wasser gefüllt ist. Um die Strö-

mungsbewegung zur besseren Beobachtung zu verlangsamen, kann statt des Wassers auch

eine Glyzerin-Wassermischung (etwa 2:1) verwendet werden.

Zieht man die Körper mit gleichbleibender Geschwindigkeit durch eine ruhende Flüssigkeit,

werden verschiedene Körperformen unterschiedlich umströmt: Hinter der Kugel, dem Zylin-

der und der Platte bildet sich ab einer bestimmten Geschwindigkeit Wirbelstraßen aus, wäh-

rend der Stromlinienkörper bei den gleichen Geschwindigkeiten noch laminar umströmt wird.

Laminare Strömung: Bei sehr kleinen Reynoldszahlen (Re < 1) werden alle Körperformen

laminar umströmt. Die Flüssigkeit bewegt sich in Schichten, ohne Wirbel zu bilden oder sich

zu mischen. Der Strömungswiderstand wird vor allem durch die Reibung zwischen den ein-

zelnen Schichten der Flüssigkeit verursacht und ist dementsprechend gering. Trotzdem muß

eine Kraft aufgewendet werden, um die Körper mit gleichbleibender Geschwindigkeit durch

die Flüssigkeit zu bewegen. Diese Kraft entspricht dem Strömungswiderstand, den die

Flüssigkeit dem bewegten Körper entgegensetzt. Für eine laminar umströmte Kugel beschreibt

das Stokessche Gesetz vr6Fw ��� , das im 2. Themenblock hergeleitet wurde, den

Widerstand der Strömung. Dieser sog. „Zähigkeitswiderstand“ ist direkt proportional zur

Strömungsgeschwindigkeit.

Wirbelbehaftete Strömungen: Bei der Bildung von Wirbeln hinter einem umströmten

Körper wird ein Teil der kinetischen Energie der Strömung oder des bewegten Gegenstandes

in die Rotationsbewegung der Wirbel gesteckt. Um den Gegenstand dann mit gleichbleibender

Geschwindigkeit durch die Flüssigkeit zu ziehen, muß mehr Energie zugeführt werden als bei

einer laminaren Umströmung. Durch die Wirbelablösung hinter dem Körper entsteht ein

asymmetrisches Druckprofil: Der Druck hinter dem Körper ist wesentlich geringer als der

Staudruck 221 v� auf der Körpervorderseite. Deshalb wird der Widerstand dieser Strömungs-

form hauptsächlich durch den Staudruck, der auf die Körpervorderseite wirkt, bestimmt. Die

Stokessche Reibung spielt bei dieser Strömungsform kaum noch eine Rolle.

3.4 Themenblock „Umströmte Körper“ 277

Schon in den Vorversuchen konnte man feststellen, daß die Größe der angeströmten Fläche

den Strömungswiderstand beeinflußt: Je größer die Anströmfläche A, desto höher der Strö-

mungswiderstand. Die Anströmfläche ist definiert durch die Projektionsfläche des Körpers auf

eine Ebene senkrecht zur Strömungsrichtung. Es gilt also:

Fw ~ 221 v� A

Die Form des angeströmten Körpers und die Reynoldszahl der Strömung gehen in den Pro-

portionalitatsfaktor, den sog. „Widerstandsbeiwert cW“ ein.

So lautet die Gleichung für den Strömungswiderstand:

Strömungswiderstand: Av2

1cF 2

ww ��

Der Widerstandsbeiwert cw ist eine dimensionslose Größe:

� � ��

���

���

���

�� 1

ms/kg

ms/kg

s/mmm/kg

Nc

Av

F2c

2

2

2223w2w

w

Versuch „Messung des Strömungswiderstands und des Widerstandsbeiwerts“:

Zur Messung des Strömungswiderstands wird der zu unter-

suchende Körper an einer Seite eines Waagenbalkens ange-

bracht, auf der anderen Seite zunächst nur ein Federkraft-

messer und ein Gegengewicht, so daß der Balken genau

waagrecht steht. Wird der Körper mit Hilfe des Windkanals

angeströmt, kann am Federkraftmesser direkt die Kraft ab-

gelesen werden, die man benötigt, um den Körper auf

seiner ursprünglichen Stelle zu halten. Bei zusätzlicher

Messung der Anströmgeschwindigkeit kann der

Widerstandsbeiwert bestimmt werden.

Meßbeispiel für einen Stromlinienkörper:

Dichte von Luft: �Luft = 1,3 kg/m3

Radius des Körpers (gemessen): r = 4 cm

=> Anströmfläche A= 3105 �

� m2

Strömungswiderstand (gemessen): Fw = 2105 �

� N

Anströmgeschwindigkeit (gemessen) v = 6 m/s.

Einsetzen in : 2

ww

Av

Fc

� = 0,21

Dieser Wert entspricht dem Literaturwert für Re = 106

Abb. 4.16: Messung des Strömungs-widerstands und des Auftriebs

278 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Abschätzung der Re-Zahl:

Re/ ,

/,� �

�� �

vL m s m

m s

6 0 08

7 106 8 10

4 26

Werden an den umströmten Körper Wollfäden angeklebt, können die Stellen, an welchen die

Strömung laminar bleibt und an welchen sich Wirbel bilden, identifiziert werden. Diese Me-

thode ist auch heute noch bei Windkanaluntersuchungen üblich: Dort werden die Objekte

ebenfalls mit Fäden beklebt, um die Schwachstellen zu finden, d.h. die Stellen, an denen sich

Wirbel bilden.

Widerstandsbeiwerte für verschiedene Körperformen

Windrichtung�

Körperform Widerstandsbeiwert cW

�Halbkugel ohne Boden

(Fallschirm)1,33

� Halbkugel 0,34

� Platte 1,1

� Kugel 0,45

� Stromlinienkörper l/d=2 0,2

� Auto 0,3 - 0,6

� Hollandrad 0,6

� Liegerad 0,13 - 0,49

Tabelle 4.1: Widerstandsbeiwerte für verschiedene Körperformen

Abhängigkeit des Widerstandsbeiwerts von der Reynoldszahl

Wie schon oben erwähnt, hängt der Widerstandsbeiwert neben der Körperform auch von der

Reynoldszahl ab. Abbildung 4.17 zeigt diese Abhängigkeit am Beispiel eines umströmten

Zylinders und einer umströmten Kugel. Bei diesen Körperformen ändert sich die Form des

Wirbelgebietes hinter dem Körper mit der Reynoldszahl, während bei kantigen Körperformen

dieses Gebiet nahezu seine Form behält.

3.4 Themenblock „Umströmte Körper“ 279

Sowohl für den Zylinder als auch für die

Kugel bleiben die Widerstandsbeiwerte für

103 < Re < 105 nahezu konstant. Ab einer

Reynoldszahl von 2 105� knickt die Kurve

stark ab. D.h. in diesem Bereich sinkt der

Strömungswiderstand.

Verursacht wird dieser Knick durch den

Übergang von der Kármánschen Wirbel-

straße zur turbulenten Strömung. Wie man

auch auf Abbildung 4.8 und 4.9 erkennen

kann, ist die Wirbelstraße breiter als der turbulente Nachlauf, auch „Totwassergebiet“

genannt. Je kleiner dieses Gebiet, desto geringer der Strömungswiderstand.

Diese Tatsache wird in der Natur und auch z.B. im Sport ausgenutzt: Das Gefieder von

Vögeln ist so konzipiert, daß bei einer Erhöhung der Fluggeschwindigkeit der obige kritische

Wert der Reynoldszahl erreicht wird und sie somit weniger Energie aufwenden müssen.

Haifische haben eine leicht rauhe Haut, die gleichfalls für Strömungen mit hohen Reynolds-

zahlen sorgt. Auch z.B. die Oberfläche von Golfbällen hat eine optimierte Struktur, die

gewährleiten soll, daß sie weiter fliegen.

Ergänzung: Renn- und Liegeräder

Ebenso wie in der Automobil-Industrie wird bei der Konstruktion von Renn- und Liegerädern

das Wissen um die Abhängigkeit des Strömungswiderstands von der angeströmten Fläche und

der Reynoldszahl ausgenutzt. Eine Fundgrube für einfache Artikel zur Optimierung der

Zweiräder sind Fahrradmagazine wie „pro velo“ oder die „HPV-Nachrichten“ (HPV= Human

Powered Vehicle). Diese Hefte, erhältlich im „alternativen“ Fahrradhandel, sind so gestaltet,

daß sie für Lernende gut verständlich sind.

Ergänzung: Versuch „Erstellen eines Polardiagramms“

In diesem Versuch soll zusätzlich zum Widerstand eines Tragflügels auch dessen Auftrieb

gemessen werden. Dazu wird ein zweiter Federkraftmesser, wie in Abbildung 4.16 dargestellt,

angebracht. Durch den Auftrieb wird der Flügel nach oben gedrückt. Die Kraft, die man

braucht, um ihn im Gleichgewicht zu halten, kann am Federkraftmesser abgelesen werden.

Sowohl der Widerstand als auch der Auftrieb variiert mit dem Anstellwinkel.

Otto Lilienthal (1848-1896) entwickelte eine Diagrammform, die es erlaubt, den optimalen

Anstellwinkel zu finden. Dazu trägt er in einem Koordinatensystem für jeden Anstellwinkel

die Auftriebskraft Fa über den Widerstand Fw (im Diagramm mit Kleinbuchstaben bezeichnet)

auf. Diese Art der Darstellung nannte er „Polardiagramm“.

Abb. 4.17: cW-Wert eines Zylinders in Abhängigkeit derReynoldszahl (BOHL 1991, 309)

280 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Dieses Diagramm zeigt, daß mit wachsendem

Anstellwinkel sowohl der Auftrieb, als auch der

Widerstand wächst. Der maximale Auftrieb ist bei ca. 15°

erreicht. Werden wieder Fäden auf den Flügel geklebt,

erkennt man, daß das Anwachsen des Widerstandes mit

einer vermehrten Wirbelbildung zusammenhängt. Das

„Totwassergebiet“ hinter dem Flügel wird größer.

Mit Hilfe dieses Polardiagramms können nun die für jedes Flugmanöver geeigneten Anstell-

winkel ausgewählt werden:

ca. 2° Reiseflug mäßiger Auftrieb bei geringem Widerstand

ca. 9° Steilflug hoher Auftrieb bei größerem Widerstand

ca. 15° Start und Landung optimaler Auftrieb bei großem Widerstand

ab ca. -9° Sturzflug negativer Auftrieb

Zusammenfassung:

Der Strömungswiderstand entspricht der Kraft, die man benötigt, um

� einen Körper mit gleichbleibender Geschwindigkeit durch eine ruhende Flüssigkeit zu zie-

hen, oder

� einen Körper in einer Strömung mit konstanter Strömungsgeschwindigkeit in Ruhe zu hal-

ten.

Der Strömungswiderstand einer laminaren Umströmung ist bestimmt durch das Stokessche

Reibungsgesetz: Fw ~ v.

Der Strömungswiderstand einer wirbelbehafteten Umströmung ist proportional

� zum Staudruck 221 v� .

� zur Anströmfläche A.

� und zum Widerstansdsbeiwert cw.

Abb. 4.18: Polardiagramm(BERGMANN-SCHÄFER 1974,341)

3.5. Themenblock „Nichtlineare Dynamik I - Chaotisches Ver-halten einfacher physikalischer Systeme“

Schritte Materialien

1. Charakteristika laminarer und turbu-lenter Strömungen

� Eine Zusammenfassung der ersten vierThemenblöcke

Ergänzungen:Film „Characteristics of laminar andturbulent flow“ (25 Min, Ton), leihbarbeim Institut für den wissenschaftlichenFilm IWF, Nonnenstieg 72, 37075Göttingen, Bestellnr. W 1071

Film „Turbulence“ (28 Min., Ton) leih-bar bei IWF, Bestellnr. W 1135

Film „Übergang von laminarer zu turbu-lenter Strömung“ (11 Min.), leihbar beiIWF, Bestellnr. W 1135

2. Der „Laplacesche Dämon” - DieGrenzen der absoluten Vorhersag-barkeit der Newtonschen Mechanik

� Newtonsche Mechanik - Ist eineabsolute Vorhersage möglich?

� Die starke und schwache Kausalität

� Die sensible Abhängigkeit von denAnfangsbedingungen am Beispiel desMagnetpendels.

Demonstration „Ball“: Ball

Versuch“ Magnetpendel“: 3 Magnete,kleine Eisenkugel (je schwächer die Ma-gnete, desto kleiner sollte die Kugel sein),Stativmaterial, Sekundenkleber, 2Glasplatten, Eisenfeilspäne, evtl. Materialfür Startvorrichtungen

3. Lineare und nichtlineare Kraftgesetze.Welche Folgen hat die Nichtlinearitätder Bewegungsgleichung für das Ver-halten des Systems?

Das ebene Schwerependel für kleine undgroße Auslenkwinkel

Der „Chaosmann“, das Mehrfachpendel

Charakteristika linearer und nichtlinearerSysteme

Versuch „Chaosmann”: Mehrfachpendel,z.B. der „Chaosmann” (erhältlich bei derPhysikboutique, Stark Verlag, Pf: 1852,85318 Freising, 42,90 DM)

282 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Schritte Materialien

4. Welche Gemeinsamkeiten bestehen zwi-schen den einfachen nichtlinearenSystemen und der turbulenten Flüssig-keitsbewegung?

Gemeinsame Eigenschaften einer turbu-lenten Strömung und des Magnetpendels.

Wo ist die Grundgleichung der Strö-mungsdynamik nichtlinear?

Ergänzende Literatur zum deterministischen Chaos: ARGYRIS 1994, KUHN 1992, DEKER

1983, SCHUSTER 1994.

3.5.1. Charakteristika laminarer und turbulenter Strömungen

VORBEMERKUNGEN

Die ersten vier Themenblöcke des Inhaltsbereichs „Strömungen” befassen sich vor allem mit

Themen der traditionellen Strömungsdynamik, wie der Entstehung von Wirbeln, den Helm-

holtzschen Wirbelsätzen und der eindimensionalen Eulergleichung. Der in verschiedenen

Blöcken thematisierte Übergang von laminarer zu turbulenter Strömung stellt ein Grenzthema

zwischen der traditionellen Strömungsphysik und der nichtlinearen Dynamik dar. Letztere ist

eines der aktuellsten Arbeitsgebiete der Physik, das u.a. nach Erklärungskonzepten für bisher

ungelöste strömungsdynamische Probleme, wie z.B. Musterbildungsprozessen in Flüssig-

keiten sucht.

Bevor die nichtlineare Dynamik im Mittelpunkt stehen wird, soll im ersten Teil dieses

Themenblocks zunächst durch eine Gegenüberstellung von laminarer und turbulenter Strö-

mung ein Resümee der bisherigen Themen gezogen werden.

LEHR-UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� die Resultate der letzten Themenblöcke zusammenfassen und ihre Beobachtungen der

laminaren oder turbulenten Strömungsform zuordnen können.

3.5 Themenblock „Nichtlineare Dynamik I“ 283

AUSFÜHRUNG

Charakteristika Laminare Strömung Turbulente Strömung

Bewegungsverlauf Glatt.

Wenn Wirbel vorhanden sind, sind diese

stationär oder lösen sich periodisch ab.

Ungeordnet.

Bewegung nicht mehr stationär.

Flüssigkeitsteilchen wirbeln wild

durcheinander.

Mischverhalten Flüssigkeit strömt in parallelen Schich-

ten, die sich nicht vermischen.

Molekulare Diffusion, d.h. Transport

von Impuls, Energie usw. quer zur

Hauptströmungsrichtung nur durch die

mikroskopische Bewegung der Teilchen

=> ineffektiv.

Bewegungen quer zur Haupt-

strömungsrichtung. Dadurch rascher

Ausgleich von Temperatur- oder Kon-

zentrationsunterschieden usw.

Turbulente Diffusion, d.h. ganze Flüs-

sigkeitsvolumina werden bewegt. => um

Faktor 104 effektiver als molekulare

Diffusion.

Geschwindigkeitsprofil

bei der Durchströmung

eines Rohrs

Profil hat die Form eines Paraboloids. Profil wird wegen des Transports von

Impuls quer zur Hauptströmungsrichtung

flacher.

Druckverhältnisse bei der

Umströmung eines

Körpers

Bei symmetrischer Umströmung:

gleicher Druck vor und hinter dem Kör-

per.

Sobald sich Wirbel ausbilden: Vor dem Körper ist der Druck größer als hinter ihm.

Strömungswiderstand Wird durch die Reibung zwischen den

einzelnen Flüssigkeitsschichten ver-

ursacht.

Nach dem Stokesschen Gesetz gilt:

F v~ .

Bei Wirbelbildung vergrößert sich der

Widerstand.

Steigt mit wachsender Reynoldszahl an,

da sich die Anzahl der sich ablösenden

Wirbel und die Breite des Totwasser-

gebiet vergrößert.

Es gilt F v~ 2 .

Der Widerstandsbeiwert cw fällt bei sehr

hohen Reynoldszahlen (Re ca. 106)

plötzlich ab, weil das Totwassergebiet

schlanker wird und die Grenzschicht

länger am Körper haftet. Danach steigt er

langsam wieder an.

Berechenbarkeit Bewegung eines Flüssigkeitsteilchens ist

vorhersagbar. Die Strömung läßt sich

für jeden zukünftigen Zeitpunkt

berechnen.

Bewegung eines Teilchens ist nicht vor-

hersagbar, scheinbar willkürlich. Die

Bewegung ist weder räumlich noch zeit-

lich stationär.

Übergang von laminar zu

turbulent

Abhängig von der Geometrie und von den Eigenschaften des Fluids und der Strö-

mung:

Rohrdurchströmung: Rekrit = 2300

Umströmter Zylinder: Rekrit = 104

Tabelle 5.1: Vergleich einer laminaren mit einer turbulenten Strömung

284 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

3.5.2 Der „Laplacesche Dämon” - Die Grenzen der absoluten Vorher-sagbarkeit der Newtonschen Mechanik

VORBEMERKUNGEN

Bei vielen physikalischen Systemen ist die Linearisierung ein wichtiges mathematisches

Handwerkszeug, um diese Systeme überhaupt berechnen zu können. Die Tatsache, daß

Linearisierungen nur unter bestimmten Voraussetzungen anwendbar sind, fällt oft unter den

Tisch. Bei den Lernenden entsteht so der Eindruck, als ob alle physikalischen Systeme

berechenbar und damit auch vorhersagbar seien.

Ist eine absolute Vorhersagbarkeit des Verhaltens physikalischer Systeme überhaupt möglich?

Diese Frage, die in der Physikgeschichte in der Schaffung des allwissenden „Laplaceschen

Dämons” gipfelte, steht am Anfang dieses Unterrichtsteils. Er hat zum Ziel, das lineare

Weltbild der Lernenden zu erweitern und Schlüsselbegriffe der nichtlinearen Dynamik, wie

„starke und schwache Kausalität” und die „sensible Abhängigkeit von den Anfangs-

bedingungen” einzuführen. Dafür wenden wir uns für ein paar Stunden von den Flüssigkeits-

systemen ab und beschäftigen uns mit einfacheren Systemen, die weniger Freiheitsgrade

besitzen. Für eine Einführung ist das Magnetpendel vorgesehen, das mit seinen unvorhersag-

baren Bewegungen Anlaß zum Staunen gibt und den Schülerinnen, Schülern und Studieren-

den zeigt, daß Systeme nicht so hochkomplex wie Flüssigkeitssysteme sein müssen, um un-

vorhersagbares Verhalten zu zeigen. Auch schon bei einfachen Systemen können unter be-

stimmten Bedingungen langfristige Vorhersagen über das Systemverhalten nicht mehr ge-

macht werden.

Es hinterläßt den stärksten Eindruck bei Lernenden, wenn sie das Magnetpendel in Gruppen

selbst bauen (mit Büromagneten und kleinen Eisenkügelchen ist das preiswert möglich).

Sollte dies im Unterricht zu viel Zeit beanspruchen, kann das Pendelverhalten gemeinsam mit

der ganzen Klasse am Overhead-Projektor untersucht werden. Die Trennungslinien zwischen

den Anziehungsbereichen der Magnete können in beiden Versuchsanordnungen durch

aufgestreute Eisenfeilspäne visualisiert werden.

Am IPN in Kiel entwickelte eine Arbeitsgruppe um R. Duit und M. Komorek eine

Unterrichtseinheit zum Magnetpendel für die Sekundarstufe I. Dabei verwendeten sie ver-

schiedene Lernhilfen wie die sog. „Berggratanalogie”, eine selbst entwickelte

„Chaosschüssel” und das Computerprogramm „Magpen“, das beim IPN bestellt werden kann.

Erfahrungen mit der Unterrichtseinheit wurden mehrfach veröffentlicht (z.B. KOMOREK et

al. 1993, DUIT et al. 1995).

3.5 Themenblock „Nichtlineare Dynamik I“ 285

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� sich anhand einfacher physikalischer Systeme den Begriff des „Determinismus“ vergegen-

wärtigen.

� den „Laplaceschen Dämon“ als Zuspitzung des mechanistischen Weltbilds Newtons, als

Symbol für die Vorhersagbarkeit allen Geschehens in der Welt und dessen Relativierung

im Lauf der Physikgeschichte kennenlernen.

� die „starke“ und die „schwache Kausalität“ und deren Bedeutung in der Physik diskutieren

können.

� das Magnetpendel als ein Beispiel, bei dem die starke Kausalität nicht mehr in allen Berei-

chen gilt, kennenlernen.

� die sensible Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen erkennen.

� erkennen, daß Unvorhersagbarkeit nicht nur bei komplexen Systemen auftritt, die aus vie-

len wechselwirkenden Teilchen bestehen, sondern auch bei einfachen nichtlinearen Syste-

men.

AUSFÜHRUNG

Im Vergleich zur laminaren Strömung erscheint die turbulente Bewegung willkürlich, denn es

ist nicht vorhersagbar, wie sich ein Flüssigkeitsteilchen im nächsten Augenblick bewegen

wird. Schon Galileo Galilei (1564-1642) bemerkte über die Bewegung des Wassers:

„Ich habe weniger Schwierigkeiten in der Bewegung der Himmelskörper gefunden, unge-

achtet ihrer erstaunlichen Entfernung, als in den Untersuchungen über die Bewegung des

fließenden Wassers, die doch unter unseren Augen vor sich geht.“

Tatsächlich gilt die Turbulenz auch heute noch als eines der schwierigsten Gebiete in der

Physik. Viele große Physiker, wie Heisenberg, von Weizsäcker oder Landau beschäftigten

sich mit der Entstehung und der mathematischen Beschreibung der Turbulenz. Die allge-

meinen Grundgleichungen für laminare und turbulente Flüssigkeitsbewegungen wurden schon

1822 bzw. 1845 von L. Navier und G. Stokes aufgestellt und nach ihren Entdeckern „Navier-

Stokes-Gleichungen“ genannt. Obwohl inzwischen 150 Jahre vergangen sind, ist bis heute

keine allgemeingültige analytische Lösung der Bewegungsgleichungen bekannt. Lediglich

Spezialfälle, wie die Teilchenbewegung in laminaren Strömungen, lassen sich analytisch

lösen.

Die Bewegung der Teilchen in der turbulenten Strömung ist besonders kompliziert, da sie sich

sowohl zeitlich, als auch räumlich auf unvorhersagbare Weise ändert. D.h., es ist weder vor-

herzusagen, wo sich ein Teilchen im nächsten Moment befindet, noch wie sich die Teilchen

286 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

an einem festen Ort im Laufe der Zeit verhalten. Man spricht im Fall der Turbulenz von einem

„raum-zeitlichen Chaos“.

Unvorhersagbares Verhalten zeigen nicht nur solche hochkomplexen Systeme mit sehr vielen

beteiligten Teilchen, sondern auch wesentlich einfachere dynamische Systeme.

Newtonsche Mechanik - Ist eine absolute Vorhersagbarkeit möglich?

Isaac Newton veröffentlichte 1687 in seiner Abhandlung „Philosophiae naturalis principia

mathematica“, die nach ihm benannten universellen Gesetze, die die Grundlagen der klassi-

schen Mechanik bilden. Sie beschreiben den Zusammenhang zwischen der Kraft, die auf

einen Körper wirkt, und dessen Beschleunigung.

Lange Zeit war man der Meinung, daß mit Hilfe dieses Werkzeugs alles Geschehen in der

Welt, zumindest im Prinzip, berechenbar sei. Nach Newton lassen sich alle Prozesse in der

Natur in Bewegungsgleichungen fassen. Es handelt sich dabei um Differentialgleichungen, die

Variable mit ihren zeitlichen Veränderungen verknüpfen.

Ein Beispiel ist die Bewegungsgleichung eines reibungsfreien Federpendels:

a = Beschleunigung

DxmaF �� m = Masse

D = Federkonstante

Hookesches Gesetz x = Auslenkung

Es handelt sich hier um ein lineares Kraftgesetz, denn die Kraft ist direkt proportional zur

Auslenkung.

Mit xdt

xda

2

2

���� und m

D�� erhält man die Bewegungsgleichung des Pendels:

0xx 20 ����� � = Kreisfrequenz

Differentialgleichungen können durch Integration gelöst werden, in schwierigen Fällen durch

numerische Integration, d.h. durch schrittweises Herantasten an die Lösung. In unserem Fall

ist die Lösung einfach zu finden:

Auslenkung: x t A t( ) cos� � harmonische Schwingung

Geschwindigkeit: � ( ) sinx t A t� � � �

Beschleunigung: ��( ) ( cos ) ( )x t A t x t� � � �� � �2 2

Wenn der Zustand des Systems zu einem Zeitpunkt t0 gegeben ist, d.h. wenn der Ort x(t0) und

die Geschwindigkeit �x (t0) bekannt sind, kann die Bewegung des Pendels für jeden anderen

beliebigen Zeitpunkt bestimmt werden. Ein solches System, dessen Zukunft durch die genaue

Kenntnis seines Zustandes zu einem beliebigen Augenblick t0 vorausbestimmt werden kann,

nennt man „deterministisch”.

Abb. 5.1: Federpendel

3.5 Themenblock „Nichtlineare Dynamik I“ 287

Determinismus: Die zeitliche Entwicklung eines Systems läßt sich bei genauer Kenntnis des

Systemzustands zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhersagen.

Beim Federpendel gilt die lineare Beziehung zwischen der Kraft und der Auslenkung aller-

dings nur für einen kleinen Bereich der Auslenkung. Die Feder zeigt bei Überdehnung oder

starker Stauchung kein lineares Verhalten mehr. Im mittleren Bereich der Ausdehnung aller-

dings beschreiben die Lösungen der Bewegungsgleichung das Pendelverhalten sehr genau.

Der Grund für den großen Erfolg der Newtonschen Mechanik ist ihre universelle Anwendbar-

keit. Sie beschreibt sowohl Planetenbewegungen, als auch den Fall des sprichwörtlichen

newtonschen Apfels. Das schürte bei den Physikern den Glauben, daß jeder Prozess für alle

Zeit prinzipiell berechenbar sei, wenn nur der Systemzustand zu einem bestimmten Zeitpunkt

bekannt ist. Das heißt, auch bisher nicht vorhersagbare Systeme, wie das Wetter, wären im

Prinzip berechenbar, wenn genügend Informationen zur Verfügung stünden.

Der französische Mathematiker Pierre Simon de Laplace dachte diese Idee Newtons zu Ende

und schuf den sog. „Laplaceschen Dämon“; eine Art Überwesen, das nur den Zustand aller

Materieteilchen des Universums zu einer bestimmten Zeit wissen muß, um die Zukunft und

die Vergangenheit des gesamten Universums bestimmen zu können: „Eine Intelligenz, die in

einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennte, durch welche die Natur belebt wird, und die

entsprechende Lage aller Teile, aus denen sie zusammengesetzt ist, und die darüber hinaus

breit genug wäre, um alle diese Daten einer Analyse zu unterziehen, würde in derselben Form

die Bewegung der größten Körper des Universums und die des kleinsten Atoms umfassen. Für

sie wäre nichts ungewiß, und die Zukunft ebenso wie die Vergangenheit wäre in ihren Augen

gegenwärtig.” (LAPLACE 1841)

Dieses mechanistische Weltbild Newtons wurde in diesem Jahrhundert durch zwei grund-

legende, neue physikalische Theorien eingeschränkt, durch die Quantentheorie und die nicht-

lineare Dynamik:

a. Erschütterung des mechanistischen Weltbilds durch die Quantenmechanik

1927 formulierte Werner Heisenberg die sog. „Unbestimmtheitsrelation“, die besagt, daß nur

der Ort oder der Impuls eines Teilchens zur gleichen Zeit genau bestimmt werden kann.

Die Unbestimmtheitsrelation legt durch das Plancksche Wirkungsquantum die grundsätzliche

Grenze der Meßgenauigkeit fest. In makroskopischen Systemen ist dieser Effekt vernach-

lässigbar, aber im mikroskopischen Bereich spielt er eine wichtige Rolle: Die Kenntnis von

Ort und Impuls eines Teilchens reichen aus, um seine Bahn vollständig zu bestimmen. Wenn

diese Größen jedoch nicht gleichzeitig genau bestimmt werden können, ist es auch nicht

möglich, die Teilchenbahn genau vorherzusagen.

Viele Physiker, unter ihnen auch Einstein, empfanden diese prinzipielle Indeterminiertheit als

eine Unkenntnis des Zustandes und konnten sich mit diesem Prinzip nicht abfinden. Es hat ihr

gesamtes Weltbild, das auf der klassischen Physik beruhte, durcheinandergeworfen. Von

Einstein stammt in diesem Zusammenhang der berühmte Satz: „Gott würfelt nicht“. Lange

288 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Zeit waren Physiker der Meinung, daß sich diese Indeterminiertheit durch das Prinzip der

Unbestimmtheit nur auf die atomare Welt auswirkt, für die makroskopische Welt aber alles

beim Alten bleibt.

b. Erschütterung des mechanistischen Weltbilds durch die nichtlineare Dynamik

Die Gesetze der Newtonschen Mechanik verknüpfen Ursache und Wirkung miteinander.

Diese Verknüpfung nennt man einen „kausalen Zusammenhang“.

Kausalität: Stellt einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung her.

Bei mechanischen Systemen beschreiben die Newtonschen Gesetze diesen Zusammenhang.

Demonstration: Ball gegenseitig zuwerfen. Dabei soll versucht werden, zweimal das gleiche

Ziel zu treffen.

Die Bahn eines Balls läßt sich mit Hilfe der Newtonschen Mechanik berechnen, wenn die

Anfangsbedingungen und die Kräfte, die auf diesen Ball wirken, bekannt sind. Werden immer

wieder dieselben Anfangsbedingungen gewählt und wirken immer dieselben Kräfte auf den

Ball, muß er sich nach der Newtonschen Dynamik immer auf dieselbe Art und Weise

bewegen und dasselbe Ziel treffen. Die Tatsache, daß die gleiche Ursache auch immer die

gleiche Wirkung hervorruft, nennt man die „schwache Kausalität“ oder „gleiche Kausalität“.

Prinzip der schwachen (gleichen) Kausalität: Gleiche Ursachen rufen gleiche Wirkungen

hervor.

In der Praxis verlangt die Physik nicht nach absolut genauen Versuchsbedingungen, vielmehr

lehrt uns die Erfahrung, daß wir exakt gleiche Anfangsbedingungen nie mehrfach nachein-

ander herstellen können. Trotzdem erhalten wir meist Versuchsergebnisse mit einer guten

Reproduzierbarkeit. Trotz der Abweichungen kann dann aufgrund der Ergebnisse auf eine

allgemeine Gesetzmäßigkeit geschlossen werden. Für den geworfenen Ball bedeutet das: Ihn

zweimal auf die genau gleiche Weise zu werfen, ist nicht möglich. Die einwirkenden Kräfte,

ebenso Ort und Geschwindigkeit am Anfang der Bewegung werden ein wenig variieren.

Obwohl sich die Bedingungen für den zweiten Wurf von den Bedingungen des ersten etwas

unterscheiden, wird der Ball sein Ziel nur um ein kleines Stück verfehlen. Das Prinzip dieses

Verhaltens nennt man „starke Kausalität“ oder „ähnliche Kausalität“. Es besagt, daß ähnliche

Ursachen auch ähnliche Wirkungen hervorrufen. Kleine Veränderungen im Anfangszustand

des Systems haben auch nur kleine Veränderungen im Endzustand zur Folge. Ohne dieses

Prinzip der starken Kausalität wären viele alltägliche Handgriffe, wie z.B. das Autofahren,

nicht möglich. Der geworfene Ball erfüllt sowohl das Prinzip der schwachen, wie auch das

Prinzip der starken Kausalität. Die schwache Kausalität stellt, mit der Forderung nach den

exakt gleichen Anfangsbedingungen wie auch schon der Name sagt, eine schwächere

Bedingung an das System als die starke Kausalität.

Prinzip der starken (ähnlichen) Kausalität: Ähnliche Ursachen rufen auch ähnliche Wir-

kungen hervor.

3.5 Themenblock „Nichtlineare Dynamik I“ 289

Das Magnetpendel - Eine Ausnahme, um die Regel zu bestätigen?

Versuch Magnetpendel: Drei Magnete werden jeweils an den Ecken

eines gleichseitigen Dreiecks auf eine Platte, einen stabilen Karton oder

einfach auf den Tisch geklebt. Die Magnete zeigen mit demselben Pol

nach oben. Der Versuch kann am Overhead-Projektor, unter

Verwendung einer Glasplatte, vorgeführt werden. Eine kleine Eisenkugel, die umso kleiner

sein sollte, je schwächer die Magnete sind, wird genau über der Mitte des Dreiecks

aufgehängt.

Läßt man das Pendel nun im Feld der drei Magnete schwingen, wird es einerseits durch die

Schwerkraft, andererseits durch die Kraftwirkung der Magnete beeinflußt. Am Anfang zeigt

das Pendel durchaus periodische Bewegungsmuster. Wenn wir uns aber gerade an die

Regelmäßigkeit gewöhnt haben und nichts Neues mehr erwarten, verändert sich das Pendel-

verhalten: Es schwingt plötzlich in eine neue Richtung um. Immer wieder verändert es im

Lauf der Pendelbewegung sein Bewegungsmuster willkürlich. In der Bewegung ist keine

Regelmäßigkeit zu erkennen. Erst wenn die Schwingung aufgrund der Luftreibung

kleinräumiger geworden ist, wird das Pendel von einem der drei Magnete eingefangen.

Nach dem Prinzip der starken Kausalität sollte das Pendel auch dann ähnliche Bewegungen

zeigen, wenn es von dicht benachbarten Startpunkten losgelassen wird. Aber selbst unter

Zuhilfenahme von Startvorrichtungen, wie z.B. einem Elektromagneten, können die Anfangs-

bedingungen nicht so genau präpariert werden, daß das Pendel mehrfach hintereinander die

gleiche Bahn zieht und dann auch immer am gleichen Magneten endet. Weder die Bahn des

Pendels, noch sein Zielmagnet ist vorhersagbar.

Wie ist das Verhalten des Pendels zu erklären?

Das Pendel schwingt im Feld der drei Magnete und wird von allen angezogen. Während der

Schwingung verliert es aufgrund von Reibung Energie und kommt nach einiger Zeit über

einem der Magneten zur Ruhe. Jeder dieser Magnete ist also eine sog. „Ruhelage“ des

Pendels.

Ruhelagen sind dadurch charakterisiert, dass sich der Zustand des Systems (im Fall des

Pendels Ort und Geschwindigkeit) nicht verändert.

Genau auf einer Linie zwischen jeweils zwei Magneten heben sich deren anziehende Kräfte

auf. Die Linien laufen in der Mitte des Dreiecks zusammen, hier heben sich die Kräfte aller

drei Magneten auf. Diese Linien können - auch am Overhead-Projektor - ausgezeichnet mit

Hilfe von Eisenfeilspänen sichtbar gemacht werden.

Es wäre also auch möglich, daß das Pendel in der Mitte zur Ruhe kommt und einfach senk-

recht nach unten hängt. Dies ist die vierte Ruhelage des Pendels.

Abb. 5.2: Magnetpendel

290 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Das Pendel besitzt vier Ruhelagen: Über jedem der drei Magnete und genau über dem Mit-

telpunkt zwischen den Magneten.

Beim Experimentieren sieht man sofort, daß die Ruhelagen sich in ihrer Qualität unterschei-

den: Kommt das Pendel über einem der Magneten zur Ruhe, wird es auch bei kleinen Störun-

gen dort verharren. Schwebt es aber über der Ruhelage in der Mitte, reicht eine winzige

Störung aus, um es abzulenken und seine Bewegung endet schließlich über einem der drei

Magnete. Aus diesem Grund nennt man die drei Ruhelagen über den Magneten „stabil“ und

die Ruhelage in der Mitte „instabil“.

Stabile Ruhelage: Auch bei kleinen Störungen bleibt das Pendel in dieser Ruhelage.

Instabile Ruhelage: Kleinste Störungen bewirken, daß das Pendel sich aus der Ruhelage

entfernt.

Läßt man das Pendel genau über einer der Linien zwischen zwei Magneten schwingen, heben

sich deren magnetische Kräfte auf, nur der dritte Magnet zieht den Pendelkörper an. Aus

diesem Grund müßte das Pendel ganz gleichmäßig periodisch schwingen.

Anfangs verhält sich das Pendel wie erwartet. Nach kurzer Zeit aber beginnt es von der vor-

gegebenen Bahn abzuweichen. Schon kleinste Störungen genügen, um das Pendel zu der

einen oder anderen Seite jenseits der Linie auszulenken. Hat sich das Pendel erst einmal von

der Linie wegbewegt, wird es von einem Magneten stärker angezogen als von dem anderen,

schwingt von ihm wieder weg und wird von einem anderen Magneten angezogen, usw. Aus

der vorhersagbaren Bahn wird eine nicht mehr vorhersagbare.

Auf den Grenzlinien zwischen Anziehungsbereichen der Magnete entscheiden zufällige

Schwankungen, auf welche Seite der Pendelkörper abgelenkt wird, wie sich seine zukünftige

Bahn entwickelt und letztendlich an welchem Magneten die Bahn endet.

Folgende Analogie kann helfen, das Pendelverhalten besser zu

verstehen: Eine Kugel rollt entlang eines sehr schmalen

geraden Berggrats, der zwei Täler trennt. Die Täler

symbolisieren die Anziehungsbereiche der Magnete. Die

Kugel wird auf dem Grat zwischen den Tälern weiterrollen,

solange sie nicht gestört wird. Eine minimale Störung kann

bewirken, daß die Kugel in eines der Täler rollt.

Abb. 5.3: Auf den Linien zwischen den

Magneten heben sich deren Kräfte auf

Abb 5.4. Berggrat-Analogie

3.5 Themenblock „Nichtlineare Dynamik I“ 291

In diesem Bild entspricht dem Magnetpendel eine Landschaft aus drei Tälern, die jeweils

durch Berggrate getrennt sind. Die Grate laufen in der Mitte zusammen. Besitzt die rollende

Kugel genügend Energie, kann sie auch, nachdem sie in eines der Täler gerollt ist, dieses

wieder verlassen und über einen zweiten Grat in ein anderes Tal rollen. Sie bewegt sich von

einer Mulde in die nächste, bis ihre Energie durch Reibung aufgebraucht ist und sie in einer

Mulde zur Ruhe kommt (DUIT et al. 1995).

Daß nicht nur Störungen für die Abweichung des Pendels von seiner geregelten Bahn ver-

antwortlich sind, zeigt sich bei dem Versuch, den Pendelkörper immer wieder von der

gleichen Stelle zu starten. Trotz großer Bemühungen um die exakte Anfangsposition weicht

das Pendel schon nach kürzester Zeit von seiner vorherigen Bahn ab. Die Anfangsposition ist

nicht genau reproduzierbar. Eine kleine Störung beim Start verstärkt sich im Lauf der Bewe-

gung und es ist nicht mehr vorher bestimmbar, an welchem der drei Magneten die Bewegung

enden wird.

Um eine Übersicht über das Pendelverhalten zu bekommen, kann eine Art „Landkarte“

berechnet werden: Dazu wird jeder Magnet mit einer Farbe markiert. Nun startet man das

Pendel an verschiedenen Orten und markiert diese Startpunkte in der Farbe des Magneten, bei

dem das Pendel zur Ruhe kommt. Wird so Punkt für Punkt aufgenommen, erhält man eine

Darstellung, in der jede Startposition mit der Farbe des Endmagneten gekennzeichnet ist.

Abbildung 5.5 zeigt eine solche Darstellung. Sie

wurde nicht experimentell erstellt, sondern mit Hilfe

eines Simulationsprogramms berechnet. Zuerst fällt

die exakte Symmetrie ins Auge: Selbst in kleineren

Details wiederholt sich das Muster dreimal (SCHULZ

et. al. 1994).

Einheitlich einfarbige Bereiche markieren die Umge-

bung der Magnete. Startet das Pendel dort, verläßt es

den Anziehungsbereich des Magneten nicht.

Außerhalb dieser großen Bereiche sind immer wieder

kleinere zusammenhängende, ebenfalls einfarbige

Gebiete zu erkennen. Bewegungen, die an benachbar-

ten Startpunkten in diesen Bereichen beginnen,

kommen über dem gleichen Magneten zur Ruhe.

Der größte Teil wird aber von nebeneinanderliegenden

Punkten aller drei Farben eingenommen, die dicht an

dicht beieinandersitzen.

Hier entscheiden kleinste Unterschiede in den Anfangsbedingungen über den Magneten, an

dem das Pendel seine Bewegung beenden wird. Diese minimalen Unterschiede in den

Anfangsbedingungen verstärken sich im Lauf der Bewegung, so daß das Pendel an einem

Abb. 5.5: Jeder Startpunkt des Pendels

wurde mit der Farbe des Magneten, an

dem die Bewegung endet, markiert

(SCHULZ et. al. 1994).

292 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

anderen Magneten endet, als wenn es vom direkt benachbarten Punkt gestartet wäre. Das

heißt, es sind nicht unbedingt Störungen im Laufe der Pendelbewegung nötig, um

unvorhersagbares Verhalten zu erzeugen. Die Empfindlichkeit oder „Sensibilität” des Systems

für die Wahl der Anfangsbedingungen bewirkt, daß direkt benachbarte Startpunkte zu völlig

verschiedenen Bahnen und auch Endpositionen führen.

Trotzdem ist das Verhalten des Systems prinzipiell vorhersagbar: Wenn man in der Lage ist,

das Pendel exakt an einem dieser Punkte immer wieder zu starten, wird es auch immer wieder

am gleichen Magnet zur Ruhe kommen. In der Praxis ist dies nur in den einheitlich gefärbten

Bereichen möglich oder durch Simulation am Computer.

� Das Verhalten des Pendels ist prinzipiell determiniert. Kennt man die exakten Anfangs-

bedingungen, ist sein Verhalten vorhersagbar.

� Winzig kleine Unterschiede in den Anfangsbedingungen können jedoch zu völlig

verschiedenem Verhalten führen. Dies bedeutet im Fall des Magnetpendels, daß die

Endpunkte der Bewegung bei verschiedenen Magneten liegen. Dieses Systemverhalten

nennt man die „sensible Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen”.

� Das trotz deterministischer Gesetze unvorhersagbare Verhalten von Systemen wird

„deterministisches Chaos“ genannt.

3.5.3 Lineare und nichtlineare Kraftgesetze - Welche Folgen hat dieNichtlinearität der Bewegungsgleichung für das Verhalten desSystems?

VORBEMERKUNGEN

Im hessischen Kursstrukturplan ist die Chaosphysik als mögliches Thema im Inhaltsbereich

„Schwingungen und Wellen” für die gymnasiale Oberstufe vorgesehen. Dieser Unterrichtsteil

bietet eine Anbindung an diesen Bereich, indem sie eine Brücke zu bekannten Beispielen aus

der Mechanik schlägt.

In diesem dritten Teil wird das Schwerependel als weiteres nichtlineares System vorgestellt.

Es ist den Schülerinnen und Schülern wohlbekannt, allerdings wird seine Bewegungs-

gleichung zur einfacheren mathematischen Beschreibung im Unterricht linearisiert und ist

deshalb nur für kleine Winkel zulässig. Analog zum Magnetpendel werden die Ruhelagen des

Schwerependels charakterisiert und ihre Rolle für das Pendelverhalten diskutiert.

Dieser Unterrichtsteil wurde anhand eines einfachen physikalischen Spielzeugs, dem sog.

„Chaosmann”, konzipiert. Es handelt sich dabei um ein Stecksystem aus Plastik. Aus ver-

schiedenen Einzelteilen können Mehrfachpendel zusammengesetzt werden. Diese zeigen

dann, aufgrund der vielen instabilen Ruhelagen und des Energieaustauschs zwischen den

einzelnen Teilen, auch ohne äußeren Antrieb unvorhersagbares Verhalten. Das Experiment

3.5 Themenblock „Nichtlineare Dynamik I“ 293

besticht durch seine Einfachheit, denn es ist ersichtlich, daß die Unvorhersagbarkeit nicht von

einer Elektronik oder dem Motor erzeugt wird, sondern tatsächlich eine Systemeigenschaft

des Pendels ist. Mehrfachpendel können natürlich auch, wahrscheinlich viel schöner, selbst

gebaut werden.

Wer das getriebene Chaospendel im Unterricht zusätzlich thematisieren möchte und kein

Pendel zur Verfügung hat, kann auf unterschiedlich luxuriöse Simulationsprogramme zurück-

greifen, stellvertretend sind in der Literaturliste drei genannt (WORG 1993, BOUTHONG

1995, KINZEL et al. 1996).

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� den eingeschränkten Geltungsbereich der linearisierten Bewegungsgleichung des Schwere-

pendels erkennen.

� die stabilen und instabilen Ruhelagen erkennen.

� die Nichtlinearität in der allgemeinen Bewegungsgleichung des Schwerependels erkennen.

� den Begriff des Freiheitsgrads auf verschiedene Mehrfachpendel anwenden können.

� sich im Klaren darüber sein, daß das irreguläre Verhalten eine Folge der Nichtlinearität der

Bewegungsgleichung und der Existenz instabiler Ruhelagen ist.

AUSFÜHRUNG

Das ebene Schwerependel

Abbildung 5.6 zeigt ein Schwerependel, das aus einem Pendelkörper, der an einer Stange be-

festigt ist, besteht. Es bewegt sich nur in einer Ebene. Zunächst suchen wir, wie beim Ma-

gnetpendel, die Ruhelagen des Pendels. D.h. die Zustände, an denen sich Ort und Geschwin-

digkeit nicht ändern.

Das Schwerependel besitzt zwei Ruhelagen:

Untere Ruhelage: Das Pendel hängt senkrecht nach

unten ( 0�� ).

Obere Ruhelage: Das Pendel steht auf dem Kopf( ��� ).

Abb. 5.6: Ebenes Schwerependel

294 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Wird das Pendel aus der unteren Ruhelage ein wenig ausge-

lenkt, beginnt es zu pendeln, verläßt aber die direkte Umge-

bung der Ruhelage nicht. Die untere Ruhelage ist stabil.

Völlig anders verhält sich das Pendel, wenn es nur minimal

aus seiner oberen Ruhelage ausgelenkt wird: Es entfernt sich

sofort aus der Umgebung dieser Ruhelage. Sie ist instabil.

Winzige Auslenkungen um den Winkel ��� entscheiden

über die Richtung der Pendelbewegung und damit über deren

weiteren Verlauf. Wie beim Magnetpendel werden auch hier

kleine Abweichungen verstärkt.

Besitzt das Pendel ausreichend Energie, um die Instabilitätsstelle am Überschlagspunkt im

Verlauf seiner Bewegung immer wieder zu erreichen, können kleine Störungen immer wieder

die Bewegung des Pendels in die eine oder andere Richtung beeinflussen. Die Pendelbewe-

gung wird dadurch unvorhersagbar.

Theoretischer Hintergrund zum ebenen Schwerependel (Reibung vernachlässigt)

Ft = Tangentialkomponente der SchwerkraftFg = Schwerkraftx = Bogenlängel = Pendellänge� = Winkel im Bogenmaß

Die Bewegungsgleichung: F mx mgt � � ��� sin� .

mit x = l� : ���� sinl

g��

Bei der Bewegungsgleichung des Pendels handelt es sich

um ein nichtlineares Kraftgesetz.

Lineares System: Zwischen den Größen, die einen Systemzustand beschreiben, besteht

ein linearer Zusammenhang, d.h. eine direkte Proportionalität (z.B.

lineares Kraftgesetz F~x).

Nichtlineares System: Keine direkte Proportionalität zwischen den Größen, die einen

Systemzustand beschreiben ( z.B. nichtlineare Kraftgesetze F~sinx,

F~x2, F~ x1 usw.).

Abb. 5.7: Instabile Ruhelage � ��

Abb. 5.8: Kräfteparallelogramm

Schwerependel

3.5 Themenblock „Nichtlineare Dynamik I“ 295

a. Lösung der Bewegungsgleichung für kleine Auslenkwinkel (�< 10°):

� ����

��

���� ...!5!3

sin53

=> Reihe kann nach dem 1. Glied abgebrochen werden.

Damit kann der Sinus-Term für kleine Winkel genähert werden: sin� �� .

� Für kleine Winkel (� < 10°) gilt also ein lineares Kraftgesetz: mmg

l��� �� � . Die rück-

treibende Kraft ist proportional zur Auslenkung � .

� Nur für kleine Winkel ist die Bewegungsgleichung des Pendels analytisch lösbar, d.h. sie

kann exakt integriert werden:

����

l

g�� = ���

2

Lösung: � � �( ) cost t� 0 harmonische Schwingung

� 0 �Auslenkungswinkel zur Zeit t = t0

Eigenfrequenz: � �

g

l

b. Lösung der Bewegungsgleichung für große Auslenkwinkel:

� Der nichtlineare Term sin� kann nicht mehr durch � genähert werden.

� Das Kraftgesetz bleibt nichtlinear: �� sin� �� �

g

l

� Die rücktreibende Kraft ist nicht mehr proportional zum Auslenkwinkel� , sondern pro-

portional zu sin� . Sie wächst an bis �/2 und sinkt dann, je mehr sich � dem Wert � nähert.

D.h. im nichtlinearen Fall ist die Rückstellkraft geringer als in der linearen Näherung.

� Die nichtlineare Bewegungsgleichung läßt sich nicht mehr wie im linearen Fall analytisch

lösen, sondern nur durch numerische Integration, d.h. eine schrittweise Annäherung an die

Lösung. Die Lösungen der nichtlinearen Pendelgleichung sind keine Sinusschwingungen

mehr, sie werden als „anharmonische Schwingungen” bezeichnet.

Die Ruhelagen des ebenen Schwerependels

Die Ruhelagen eines Pendels sind dadurch definiert, daß sich seine Zustandsvariablen in

dieser Lage nicht mehr ändern.

Allgemein wird ein System durch Zustandsgleichungen beschrieben, deren allgemeine Form

lautet: )x,...,x(fx n1�� .

Das System befindet sich in einer Ruhelage, wenn �x � 0)x,...,x(f n1 � ist.

Die Zustandsgleichungen des Pendels lauten: v � �� und

����� sinl

gv ��� .

296 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Die Ruhelagen des Pendels liegen also bei v � 0 und sin� � 0 , d.h. bei � = 0 und

� = 2n� , da sich der Pendelkörper auf einer Kreisbahn bewegt.

Es existieren allerdings nur zwei physikalische Ruhelagen: � � 0 und � �� .

Die obere Ruhelage des Pendels ist instabil. Im Experiment verursacht ihre Instabilität allein

keine chaotische Bewegung. Die Reibung verhindert, daß das Pendel den Überschlagspunkt

wieder erreicht. Das Pendel verliert nach und nach seine Energie und kommt schließlich in der

unteren, stabilen Ruhelage zum Stillstand. Um eine chaotische Bewegung zu erreichen, muß

dem Pendel die Energie zugeführt werden, die es durch Reibung verliert. Es muß ständig von

außen angeregt werden. Diese Bedingung macht den Aufbau allerdings aufwendig.

Um einen komplizierten Aufbau zu vermeiden, existiert noch eine andere Möglichkeit,

chaotische Schwingungen zu erzeugen: Durch aneinandergehängte Pendel. Diese

Mehrfachpendel haben eine größere Zahl an Freiheitsgraden (Anzahl der voneinander

unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten, die ein Körper besitzt) und mehr Instabilitätsstellen,

an denen das Pendel jeweils zwischen zwei Richtungen wählen kann.

Versuch „Chaosmann”: Der Chaosmann besteht aus fünf Pendeln, die mit Hilfe einer Steck-

verbindung kombiniert werden können. Neben zwei Einfachpendeln unterschiedlicher Länge

sind zwei identische Doppelpendel mit geraden Enden und ein Doppelpendel mit V-förmigem

Ende vorhanden. Laut der beigelegten Anleitung lassen sich diese Pendel in 68 unterschied-

liche Varianten kombinieren.

Das einfache Doppelpendel besitzt zwei voneinander unabhängige Bewegungsmöglichkeiten,

also zwei Freiheitsgrade. Für kleine Auslenkungen schwingt dieses Pendel noch periodisch

und damit regelmäßig. D.h. unter bestimmten Anfangsbedingungen ist das Doppelpendel

genauso berechen- und vorhersagbar wie das Einfachpendel. Vergrößert man jedoch die

Amplitude, zappelt das Doppelpendel wild. Beide Pendel erreichen mehrfach ihre instabile

Lage. Diese Pendelbewegung ist schon nicht mehr vorhersagbar und ihre Bewegungs-

gleichungen lassen sich nicht mehr analytisch lösen.

Auch das Doppelpendel mit V-förmigem Ende besitzt zwei Freiheitsgrade. Wie das einfache

Doppelpendel zeigt es unter bestimmten Anfangsbedingungen periodische Schwingungs-

formen (die Startpositionen sind in der Anleitung angegeben), bei höheren Schwingungs-

energien aber ist es nahezu unmöglich, zweimal dieselbe Bewegung zu erzeugen. Immer wenn

Abb. 5.9: Einzelteile des „Chaosmanns”: Zwei Einfachpendel, drei Doppelpendel

3.5 Themenblock „Nichtlineare Dynamik I“ 297

ein Pendel den Umschlagspunkt erreicht, können kleine

Schwankungen über die Bewegungsrichtung entscheiden und die

Vorhersagbarkeit sinkt.

Die Kombination zweier Doppelpendel (Abbildung 5.10) erhöht

die Zahl der Freiheitsgrade auf drei und damit auch die Zahl der

instabilen Lagen. Zusätzlich können die Einzelpendel untereinander Energie austauschen, was

die Komplexität des Systems erhöht.

Das Chaosmännchen (Abbildung 5.11) letztendlich besteht

aus drei Doppel- und einem Einfachpendel und besitzt

damit vier voneinander unabhängige Bewegungs-

möglichkeiten bzw. Freiheitsgrade. Das Einfachpendel als

„Kopf” erhöht zwar die Zahl der Freiheitsgrade nicht,

ermöglicht aber, die Geschwindigkeit der Bewegung zu

regulieren.

Achtung: Es ist besonders wichtig herauszuarbeiten, daß

das irreguläre, chaotische Verhalten eine Folge der Nicht-

linearität der Bewegungsgleichung und der Existenz

instabiler Ruhelagen ist und nicht durch die Vielzahl der Freiheitsgrade verursacht wird! Eine

größere Zahl der Freiheitsgrade erhöht lediglich die Komplexität des Systems.

3.5.4. Welche Gemeinsamkeiten bestehen zwischen den einfachen nicht-linearen Systemen und der turbulenten Flüssigkeitsbewegung?

VORBEMERKUNGEN

Zunächst werden die Gemeinsamkeiten eines einfachen nichtlinearen Systems (exemplarisch

am Magnetpendel) und der Turbulenz in Form einer Tabelle zusammengefaßt. Im vorherigen

Unterrichtsteil haben die Schülerinnen und Schüler die Nichtlinearität der Bewe-

gungsgleichung und die Existenz von Instabilitätsstellen als Ursache für unvorhersagbares

Systemverhalten kennengelernt.

Die Grundgleichungen der Hydrodynamik, die sog. „Navier-Stokes-Gleichungen“, sind

partielle Differentialgleichungen und sprengen deshalb den Rahmen der Schulphysik bei

weitem. Aus diesem Grund wird lediglich der nichtlineare Teil dieser Gleichungen, der für

das chaotische Verhalten der turbulenten Strömung verantwortlich ist, schlaglichtartig

beleuchtet. Dafür werden alle Kräfte bilanziert, die auf ein Flüssigkeitsvolumen wirken,

ähnlich wie es schon im 3. Themenblock dieser Unterrichtsreihe zur Herleitung des Hagen-

Poiseuille-Gesetzes praktiziert wurde. Danach steht nur noch der nichtlineare Trägheitsterm

im Mittelpunkt.

Abb. 5.10: Kombination

aus zwei Doppelpendeln

Abb. 5.11: Chaosmännchen

298 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen erkennen, daß

� verschiedene nichtlineare Systeme gemeinsame Eigenschaften besitzen.

� sowohl laminare als auch turbulente Strömungen durch die gleichen Bewegungs-

gleichungen beschrieben werden.

� die Näherung einer stationären Strömung für die turbulente Strömung nicht mehr zutrifft

und der Trägheitsterm nun nicht mehr verschwindet.

� die Strömungsgeschwindigkeit nun vom Ort und der Zeit abhängt und somit zur Berech-

nung der Beschleunigung nach allen Variablen abgeleitet werden muß.

� die Beschleunigung sich aus zwei Termen zusammensetzt, von denen die sog. „konvektive

Beschleunigung“ die Nichtlinearität der Bewegungsgleichung darstellt und für die Unvor-

hersagbarkeit der turbulenten Strömung verantwortlich ist.

AUSFÜHRUNG

Die folgende Tabelle soll in einer Zusammenfassung die Gemeinsamkeiten dieser zwei völlig

unterschiedlichen nichtlinearen Systeme aufzeigen, die auf den ersten Blick wenig Gemein-

sames besitzen. Das Magnetpendel vom Anfang dieses Themenblocks steht als Beispiel für

ein einfaches physikalisches System.

Gemeinsamkeiten Magnetpendel turbulente Strömung

Sensible Abhängigkeit von den An-

fangsbedingungen

Bahnen benachbarter Startpunkte laufen

auseinander und können an verschie-

denen Magneten enden.

Bahnen benachbarter

Fluidelemente laufen

auseinander.

Effektive Durchmischung

durch turbulente Diffusion.

Prinzip der starken Kausalität ver-

letzt

Ähnliche Ursachen führen zu völlig verschiedenen Wirkungen.

Nichtvorhersagbarkeit ... der Bahn des Pendelkörpers und des

Endmagneten.

... der Bahn des Fluid-

teilchens.

Instabilität, Verstärkung kleiner

Störungen

An der instabilen Ruhelage und auf den

Trennungslinien zwischen den An-

ziehungsbereichen zweier Magnete

reicht eine kleine Störung aus, um den

Pendelkörper in die eine oder andere

Richtung auszulenken.

Oberhalb einer kritischen

Re-Zahl wird die Strömung

instabil. Kleine Störungen

werden verstärkt und die

Strömung wird turbulent.

Tabelle 5.2: Gemeinsamkeiten des Magnetpendels als einfaches nichtlineares System und der turbulenten

Strömung als komplexes nichtlineares System

3.5 Themenblock „Nichtlineare Dynamik I“ 299

Ergänzung: Wo ist die Grundgleichung der Strömungsdynamik nichtlinear?

Die auf ein Flüssigkeitsvolumen wirkenden Kräfte - Reibungskräfte Fr, Druckkräfte Fp und

äußere Kräfte Fä - bestimmen dessen Bewegung:

dt

vdmamtF

�� ärp FFF���

���

Zur Herleitung der Hagen-Poiseuille-Gleichung im 3. Themenblock und den Betrachtungen

der eindimensionalen Eulergleichung im 2. Themenblock wurden einige Annahmen gemacht,

die natürlich nicht für jede Strömung zutreffen. So wurde z.B. angenommen, daß die Flüssig-

keitselemente nicht beschleunigt werden, also �

Ft = 0 wird. Für den allgemeinen Fall einer

Strömung wird gerade dieser Trägheitsterm relevant. Jetzt ändert sich die Geschwindigkeit an

einem festen Ort mit der Zeit und zusätzlich bleibt das Teilchen nicht mehr in einer

Stromlinie, sondern kann an einen Ort geführt werden, an dem die Strömungsgeschwindigkeit

eine andere ist. Dies läßt sich auch mathematisch beschreiben.

Die Geschwindigkeit eines Teilchens ist in diesem allgemeinen Fall sowohl vom Ort, als auch

von der Zeit abhängig:)t,z,y,x(vv

��

Zur Berechnung der Beschleunigung müssen alle Komponenten des Geschwindigkeitsvektors

nach der Zeit abgeleitet werden:

dt

)v,v,v(d

dt

vda

zyx��

Da aber alle Komponenten vx, vy und vz sowohl vom Ort, als auch von der Zeit abhängen,

muß nach allen Variablen mit Hilfe der Kettenregel abgeleitet werden. Dieser Schritt wird hier

exemplarisch an der x-Komponente des Geschwindigkeitsvektors ausgeführt:

Mit zyx vt

z und v

t

y,v

t

x�

��

��

� gilt

21xzyxxxxxxx aav)

zv

yv

xv(

t

v

t

z

z

v

t

y

y

v

t

x

x

v

t

v

dt

dv��

��

��

��

��

��

��

��

��

Diese totale Ableitung ist die sog. „substantielle Beschleunigung“ des Flüssigkeitsteilchens.

Sie setzt sich zusammen aus der zeitlichen Änderung der Geschwindigkeit und einem zweiten

Anteil, der durch die Verschiebung des Flüssigkeitsvolumens mit der Geschwindigkeit v

zustandekommt (GREINER et al. 1984, 15).

Die substantielle Beschleunigung besteht also zwei Teilen:

t

va x

1�

��

a1 ist die „lokale Beschleunigung“. Sie ist von null verschieden, wenn sich die Geschwin-

digkeit an einem beliebigen, aber festen Ort des Strömungsfelds mit der Zeit ändert.

300 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

xzyx2 v)z

vy

vx

v(a�

��

��

��

a2 ist die „konvektive Beschleunigung“. Sie kommt zustande, wenn sich das Flüssigkeits-

element mit der Geschwindigkeit vx durch ein Strömungsfeld bewegt, in dem an verschiede-

nen Orten verschiedene Strömungsgeschwindigkeiten herrschen (SCHADE et. al. 1980, 59).

Mathematische Details sind hier zweitrangig. Bemerkenswert an diesem Ausdruck ist, daß die

konvektive Beschleunigung durch ein Produkt aus der Geschwindigkeit und ihrer Ableitung

beschrieben wird. Dieses Produkt macht die Bewegungsgleichung der Flüssigkeitsteilchen

nichtlinear und ist so verantwortlich für die mögliche Ausbildung einer turbulenten Strömung.

Die konvektive Beschleunigung ist der nichtlineare Anteil der Bewegungsgleichung.

Leitet man alle Komponenten des Geschwindigkeitsvektors ab,

xzyxxx v)

zv

yv

xv(

t

v

dt

dv

��

��

��

��

dv

dt

v

tv

xv

yv

zv

y y

x y z y� � � ��

�( )

zzyxzz v)

zv

yv

xv(

t

v

dt

dv

��

��

��

��

erhält man mit )kz

jy

ix

(grad�

��

��

��

Dt

vDv)gradv(

t

vv)

zyx(v

t

v�

��

��

���

����

����

��

��

��

Als Zeichen, daß es sich hier um eine substantielle Ableitung handelt, werden die d's in Groß-

buchstaben geschrieben. Wieder erkennt man den Anteil der lokalen und der konvektiven

Beschleunigung.

Das Auftreten eines nichtlinearen Terms bedeutet nicht automatisch, daß das System unvor-

hersagbares Verhalten an den Tag legt. Unter bestimmten Bedingungen kann es sich durchaus

vorhersagbar verhalten. Beispiel dafür ist das Schwerependel bei kleinen Amplituden, das

Magnetpendel in der direkten Umgebung der einzelnen Magnete oder die laminare Strömung

und die Kármánsche Wirbelstraße. Diese Phänomene gehorchen alle ebenfalls den

nichtlinearen Gleichungen. Damit das „chaotische“ Verhalten auftritt, muß das System in-

stabil werden. Dann reichen kleine Veränderungen der Anfangsbedingungen oder kleine

Störungen aus, damit zwei bisher benachbarte Bahnen plötzlich auseinanderlaufen. Ähnlich

zweier Luftballons, die nebeneinander gestartet werden und innerhalb kürzester Zeit in völlig

verschiedene Richtungen schweben. Nichtlinearität der Bewegungsgleichungen und sensible

Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen verursachen die unvorhersagbare Bewegung.

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II: Selbstorganisationund Strukturbildung“

Schritte Materialien

1. Das Rayleigh-Bénardsystem

� Vorversuch

� Was heißt „Selbstorganisation“?

� Abgeschlossene und offene Systeme

� Das Bénardsystem

� Wie entsteht die Konvektions-strömung?

� Abschätzung der Anzahl beteiligterUntersysteme

� Wie entstehen geordnete Strukturen?Die Synergetik

� Was passiert am Instabilitätspunkt?

� Das Versklavungsprinzip

� Weshalb bilden sich einmal Rollen,einmal Hexagone aus? Kooperationund Konkurrenz

� Der Marangonieffekt

� Selbststrukturierungsprozesse in derNatur

� Symmetriebrechung: Dualismus vonZufall und Determinismus

Versuch „Hexagone“: Pfanne, Bratfett(Biskin o.ä.), Aluflitter (oder Kakao)

Versuch „Rollen“: 2 Kupferplatten(10cm x 7cm x 3mm), Objektträgergläser,2 durchbohrte Plastikwürfel (3mm Kanten-länge) oder Silikon, 1 Aluklotz (10 cm x3cm x 3cm), 2 Folienheizungen à 240�oder eine 30W/22� -Heizung von Dale(beides von conrad electronic), Leitpaste,1 Injektionsspritze, Metallschüssel, Zwei-komponentenkleber, Netzgerät,Ampèremeter, Halogenlampe mit Trafo,Schirm

2. Die Taylor-Couette-Strömung

� Die lineare Couette-Strömung

� Die zylindrische Couette-Strömung

� Wie entsteht ein Taylorwirbel?Erklärung in Analogie zum Rayleigh-Bénard-System.

� Wie geht es weiter? Höhere Instabi-litäten - Der Weg zur Turbulenz.

Versuch „Taylor-Couette“: Standzylinderaus Glas, zylindrisches Rohr,2 durchbohrte Gummistopfen, Glasstab,ein Stück Linoleum, Draht, Schlauch-stück, Elektromotor, Aluminiumflitter,Glyzerin, Spüli

302 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Schritte Materialien

3. Ist die Selbstorganisationstheorie an-wendbar auf biologische und soziale Sy-steme?� Existieren Zusammenhänge zwischen

dem Bénardsystem und der Evolutions-theorie Darwins ?

Die Übertragbarkeit der Synergetik aufandere Wissenschaftsbereiche

3.6.1. Das Rayleigh-Bénardsystem - Geordnete und chaotische Bewegungenin der Strömungsdynamik

VORBEMERKUNGEN

Im fünften Themenblock der Unterrichtsreihe standen Systeme im Zentrum, deren

Entwicklung durch nichtlineare Gleichungen beschrieben werden und die unter bestimmten

Voraussetzungen sensible Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen und unvorhersagbares,

chaotisches Verhalten zeigen. In diesem Themenblock legen wir eine völlig andere Seite

nichtlinearer Systeme frei: Sie sind in der Lage, sich selbst zu organisieren und spontan eine

Ordnung, eine Struktur auszubilden.

Flüssigkeiten zeichnen sich durch diese komplementären Eigenschaften aus: Zum einen tritt

unter bestimmten Bedingungen Turbulenz auf, zum anderen bilden sich in der Flüssigkeit

spontan Muster aus. Hermann Haken entwickelte in den sechziger Jahren eine Theorie zur Be-

schreibung dieser Strukturbildungsprozesse, die sog. „Synergetik“. Diese Theorie ist nicht nur

auf Flüssigkeitssysteme anwendbar, sondern sie gilt universell für Strukturbildungsprozesse in

völlig verschiedenen nichtlinearen Systemen, wie z.B. dem Laser. Deshalb stellt die Anwen-

dung der Synergetik auf den Laser eine mögliche Erweiterung der Unterrichtseinheit dar. Da

Haken ursprünglich aus der Laserforschung stammt, dient ihm der Laser als zweites Muster-

beispiel in der Synergetik. Die Begriffe bleiben die gleichen, so daß das synergetische Kon-

zept relativ problemlos auf den Laser übertragen werden kann (HAKEN et al. 1991, HAKEN

1981).

Die Synergetik basiert, ähnlich wie die Strömungsdynamik, auf einem sehr komplexen

mathematischen Formalismus, der mit Schulmitteln nicht mehr nachvollziehbar ist. Deshalb

wurde auch in diesem Themenblock auf die Mathematisierung fast vollständig verzichtet. Er

orientiert sich an den eher populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen Hakens und

Prigogines (PRIGOGINE et al. 1987). Diese Unterrichtsreihe wurde in Teilen bei verschie-

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 303

denen Tagungen der DPG und der GDCP veröffentlicht und didaktisch reflektiert

(KORNECK 1995, KORNECK 1996 a, KORNECK 1996 b).

Eine weitere Ergänzung bietet das Lorenzsystem, das ein Modell für die atmosphärische Kon-

vektion ist: Die Sonne erwärmt den Erdboden und damit auch die unteren Schichten der At-

mosphäre, die dadurch leichter werden als die höheren Schichten. E. N. Lorenz, ein amerika-

nischer Meteorologe, hat für die Simulation des Problems drei nichtlineare gewöhnliche Dif-

ferentialgleichungen angesetzt und eine verblüffende Entdeckung gemacht: Zwar hat sich sein

Modell der atmosphärischen Strömung als unrealistisch herausgestellt, jedoch hat er 1963 mit

dessen Hilfe die sensible Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen und damit das de-

terministische Chaos wiederentdeckt. Im Rahmen dieser Unterrichtseinheit wird auf das

Lorenzsystem nicht weiter eingegangen, da ein ausführlicher, für die Schule aufgearbeiteter

Unterrichtsvorschlag bereits existiert (SCHLICHTING et al. 1991).

LEHR-UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� die verschiedenen Wärmetransportmechanismen und die Rolle des Kontrollparameters er-

kennen.

� das Einsetzen der Konvektionsströmung erklären können.

� stabilisierende und destabilisierende Faktoren benennen können.

� erkennen, daß viele Teile gemeinsam eine Struktur bestimmen und in diesem Zusammen-

hang den Begriff der „Selbstorganisation“ einordnen können.

� erkennen, daß sich am Instabilitätspunkt nur bestimmte Bewegungsformen durchsetzen

und daß je nach Randbedingungen Moden kooperieren oder konkurrieren können.

� erkennen, daß am Instabilitätspunkt eine kleine Störung sich makroskopisch auswirken

kann.

AUSFÜHRUNG

Bereits 1901 stellte Henri Bénard (BÉNARD 1901) ein

Experiment vor, das 70 Jahre später viele Physiker wieder

neu beschäftigte: Er erhitzte eine Platte von unten mit

Wasserdampf, auf der sich eine dünne Schicht Walfett

befand (Abbildung 6.1).

Versuch „Hexagone“: Diesen aufwendigen Aufbau braucht

man nicht, um dasselbe wie Bénard beobachten zu können.

Es genügt ein einfaches „Rezept“ und eine Bratpfanne:

Flüssiges Biskin wird etwa ein Zentimeter hoch in die

Pfanne gegeben. Einige Messerspitzen Aluminiumpulver

Abb. 6.1: Originalapparatur von

Bénard

304 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

sollen auftretende Strömungen im Fett sichtbar machen. Kakao kann das Alupulver ersetzen,

die Muster sehen dann aber weniger plastisch aus. Diese Mischung wird nun auf einer Herd-

platte von unten erhitzt.

Was wird man beobachten? Zunächst bleibt die Flüs-

sigkeitsschicht in Ruhe. Wird sie aber weiter von un-

ten erhitzt, bricht die Schicht plötzlich an einer Stelle

auf. Flüssigkeit steigt hier vom Pfannenboden zur

Oberfläche. Rund um diese erste Stelle bricht nun an

verschiedenen Orten die Oberfläche auf und allmäh-

lich bilden sich Zellen aus. Eine gleichmäßige Struk-

tur aus Polygonen, meist Hexagonen, ist zu

erkennen. Diese Strukturen werden „Bénardzellen“

genannt. Schließlich hat sich das Muster über die

ganze Pfanne ausgebreitet, nur am Rand bilden sich

statt der Hexagone längliche Zellen aus.

Bei genauem Hinsehen kann man auch die Form der

Strömung ausmachen: In der Mitte der Zellen steigt

die Flüssigkeit nach oben, strömt von der Mitte nach

außen und sinkt dann wieder nach unten. Diese ab-

steigende Bewegung ist als dunkler Rand der einzel-

nen Zelle zu erkennen.

Wo wir eine regellose Bewegung erwarten, bildet die Flüssigkeits-

schicht unter unseren Augen eine regelmäßige Struktur aus, sie or-

ganisiert sich selbst.

Strömungsmuster kann man auch in der Tee- oder Kaffeetasse ent-

decken, wenn vorsichtig Milch in die heiße Flüssigkeit gegossen

wird: Nach kurzer Zeit sind auf der Oberfläche der Flüssigkeit

Zellen zu erkennen, die jedoch nicht ganz so regelmäßig wie die

Zellen in der Pfanne aussehen. Die Milch macht die Strömungen in

der Flüssigkeit sichtbar.

Abb. 6.2: Bénardzellen

Abb. 6.3: Strömungen in

den Bénardzellen

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 305

Was heißt Selbstorganisation?

Selbstorganisation: Durch das Zusammenspiel verschiedener Einflüsse ergibt sich in einem

System spontan eine neue Ordnung oder Struktur.

Voraussetzungen:

1. Das System muß aus vielen Teilen oder Untersystemen bestehen.

2. Diese Teile müssen eine nichtlineare Dynamik besitzen, d.h. ihre Entwicklung muß durch

eine nichtlineare Differentialgleichung beschrieben werden oder die Teile müssen unter-

einander nichtlinear gekoppelt sein.

3. Das System muß dissipativ und offen sein.

Ein offenes, dissipatives System ist dadurch

ausgezeichnet, daß es mit seiner Umgebung

z.B. Energie oder Materie austauscht. Energie

und Teilchenzahl sind also nicht erhalten.

Das System nimmt Energie auf und gibt sie,

oft in einer anderen Form, wieder an die

Umgebung ab. Dieser Energiefluß hält das

System weit weg vom thermodynamischen

Gleichgewicht.

In einem offenen System kann sich ein sog.

„Fließgleichgewicht“ einstellen. Es handelt

sich dabei um einen stationären Zustand, der

durch den Energie- oder Materiefluß aufrecht

erhalten wird.

Energie- oder Materieflüsse sind wichtige Voraussetzungen für das Entstehen geordneter

Strukturen. Wenn von außen keine Energie oder Materie zugeführt wird, geht das System in

den Zustand des thermodynamischen Gleichgewichts über und die Strukturen verschwinden.

Beispiele für offene, dissipative Systeme:

� Die Kerzenflamme: Die Struktur der Flamme bleibt erhalten, solange Energie und Materie

durch sie hindurchströmt.

� Die Biosphäre: Wird durch ständigen Strahlungsaustausch zwischen der Sonne und der

Erde aufrechterhalten.

� Alle Lebewesen (Zellen, Pflanzen, Tiere usw.) befinden sich in einem Fließgleichgewicht:

Wenn sie keine Energie in Form von Nahrung mehr zu sich nehmen, kommen sie tatsäch-

lich in ein Gleichgewicht: Sie sterben.

Abb. 6.4: Offenes, dissipatives Vielteilchensystem

306 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Alle hier aufgezählten Systeme besitzen eine Gemeinsamkeit: Sie sind sehr komplex, d.h. sie

bestehen aus einer Vielzahl von Untersystemen, die miteinander nichtlinear gekoppelt sind

oder eine nichtlineare Dynamik besitzen. Untersysteme der obigen Beispiele sind die Gasteil-

chen in der Flamme, die Lebewesen und Pflanzen in der Biosphäre und die Zellen eines Le-

bewesens. Die von diesen Untersystemen organisierten geordneten Strukturen sind von we-

sentlich höherer Größenordnung als die Untersysteme selbst. Der Energie- oder Materiefluß

durch das System bewirkt eine Verletzung der Gleichgewichtsbedingung, es entsteht ein

Fließgleichgewicht.

Diskussion des Rayleigh- Bénard- Experiments

Im Gegensatz zur Biosphäre oder den Lebewesen ist das Bénardsystem relativ leicht über-

schaubar, weil alle Untersysteme (das sind hier die Flüssigkeitsteilchen), dieselben physikali-

schen Eigenschaften besitzen. Deshalb ist das Bénardsystem hervorragend geeignet, Gesetz-

mäßigkeiten strukturbildender Vielteilchensysteme herauszuarbeiten. Das Ziel ist es, Gesetz-

mäßigkeiten zu finden, die auch für komplexere Systeme ihre Gültigkeit behalten, die univer-

sell sind.

Das System ist offen und dissipativ, es gibt von außen zugeführte Energie wieder an die Um-

gebung ab. Die Randbedingungen können zusätzlich vereinfacht werden, indem man die

Flüssigkeitsoberfläche abdeckt. Dies könnte durch eine Metallplatte geschehen, dann würden

aber bei großen Abmessungen des Behälters Inhomogenitäten in der Temperaturverteilung die

Struktur in der Flüssigkeit beeinflussen. Um sie zu verhindern, müssen Boden und Deckel

dieser Apparatur exakt plan und gleichmäßig

beheizbar sein.

Versuch „Rollen“:

Das Problem wurde an der Universität Bayreuth

auf unkonventionelle Art und Weise gelöst

(WINKLER et. al. 1992, WINKLER 1994): Der

Flüssigkeitsschicht wird von unten durch eine

beheizte Kupferplatte Energie zugeführt. An der

oberen Grenzfläche der Schicht wird dem

System über eine zweite Kupferplatte Energie

entzogen. Diese Kupferplatte gibt ihre Energie

an einen Topf mit Wasser ab, um ein

ausreichendes Temperaturgefälle auf-

rechtzuerhalten.

Das Bénardexperiment mit abgedeckter Flüs-

sigkeitsoberfläche wurde für diese Unter-

richtsreihe etwas vereinfacht nachgebaut: Abb. 6.5: Rayleigh-Bénard-Experiment

(WINKLER et. al. 1992, WINKLER 1994)

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 307

Bauanleitung (siehe Materialliste):

Auf eine der Kupferplatten wird die Heizung aufgeschraubt oder festgeklebt. Vorher sollte

aber zwischen Heizung und Platte zur besseren Wärmeleitfähigkeit Leitpaste aufgetragen

werden. Ein an der Kante der oberen Platte angeschraubter Aluminiumquader bietet genug

Standfläche für die Metallschüssel. Zwischen den Kupferplatten werden die durchbohrten

Plastikklötzchen als Abstandhalter geklebt. Die Durchbohrung der Klötzchen dient der Fül-

lung der späteren Zelle und sollte deshalb den Durchmesser einer Injektionsspritze haben.

Über den entstandenen Zwischenraum werden vorn und hinten Objektträger aufgeklebt.

Zweikomponentenkleber eignet sich dafür sehr gut, wenn er nur dick genug an den Rändern

aufgetragen wird.

Mit Hilfe der Spritze wird nun Wasser in den entstandenen Zwischenraum gefüllt und von

unten erhitzt. Die Heizung auf der unteren Platte wird mit ca. 1 Ampère betrieben.

Das sog. „Schattenverfahren“ macht die Bénardzellen,

die zwar mit bloßem Auge auch zu erkennen sind, besser

sichtbar. Dazu wird mit einer Halogenleuchte die Flüs-

sigkeitsschicht durchleuchtet und so die Strukturen auf

einen Schirm abgebildet (Abbildung 6.6). Hierbei wird

ausgenutzt, daß sich der Brechungsindex von Wasser mit

der Temperatur ändert: Je kühler das Wasser, desto hö-

her ist sein Brechungsindex und desto stärker werden

Lichtstrahlen gebündelt, die diese Stelle der Schicht

passieren. Das heißt, das Bild auf dem Schirm zeigt die

kühleren Stellen der Flüssigkeit hell, die wärmeren

dunkel.

Abb. 6.6: Schattenverfahren zum Sichtbarmachen der Bénardzellen

Was beobachtet man, wenn die Schicht von unten erhitzt wird?

Zu Beginn sind wegen der geringen Temperaturdifferenzen in der Flüssigkeit keine Hellig-

keitsunterschiede bemerkbar. Nach einiger Zeit aber bildet sich bei weiterem Erhitzen lang-

sam ein Muster auf dem Schirm aus: Zunächst erkennt man vage einige äquidistante, senk-

rechte Striche, die sich allmählich immer stärker herausbilden. Dann erkennt man, daß die

untere Hälfte der Flüssigkeitsschicht hell und die obere Hälfte dunkel abgebildet wird. Immer

klarer bilden sich die Formen der Zellen heraus.

308 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Die Flüssigkeit steigt auf der einen Seite einer Zelle auf, kühlt sich ab und sinkt auf der ande-

ren Seite wieder nach unten. Aufsteigende Strömungen sind auf dem Schirm als dunkle, ab-

sinkende Strömungen als helle Striche erkennbar. Zwischen zwei hellen Strichen, die besser

als die dunklen erkennbar sind, befinden sich also immer zwei Rollen mit gegenläufigem

Drehsinn. Wären die Kupferplatten etwas dicker, würden sich bei geschlossener Oberfläche

parallel nebeneinanderliegende Rollen ausbilden, wie in Abbildung 6.8 schematisch dar-

gestellt.

Abb. 6.8: Schematische Darstellung der Bénardzellen

�T = T2 - T1 < �Tc: Bei kleinen Temperaturdifferenzen zwischen der Flüssigkeitsober- und

-unterseite bleibt die Flüssigkeit in Ruhe, es ist keine makroskopische

Bewegung erkennbar. Die Wärme wird von unten nach oben durch

Wärmeleitung transportiert, also durch Stöße zwischen den Molekülen.

�T = �Tc: Wird eine bestimmte kritische Temperaturdifferenz �Tc zwischen dem

Topfboden und der Flüssigkeitsoberfläche erreicht, erkennt man plötzlich

Strukturen auf der Oberfläche. Die Wärmeleitung reicht zum vertikalen

Transport der Wärme nicht mehr aus, deshalb setzt an der Insta-

bilitätsstelle ein zusätzlicher, effektiverer Transportmechanismus ein:

Die Konvektion.

Die Temperatur ist beim Bénardsystem der Parameter, der von außen geregelt wird. Deshalb

wird er auch „Kontrollparameter“ genannt. Mit der Variation des Kontrollparameters ändert

sich an den Instabilitätsstellen sowohl der makroskopische Systemzustand, als auch der Trans-

portmechanismus.

Abb. 6.7: Bénardzellen (WINKLER 1994)

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 309

Wie entsteht diese Konvektionsströmung?

Die folgende Theorie stammt von Lord Rayleigh aus dem

Jahr 1916 (RAYLEIGH 1916):

Fluidelemente am Boden des Topfes werden von unten er-

wärmt, sie dehnen sich aus und werden leichter als die

Fluidelemente an der Oberfläche. Es entsteht ein Dichte-

gradient entgegen der Schwerkraft und damit eine

instabile Schichtung.

Wird nun ein Fluidelement am Boden des Topfes durch eine Störung ein kleines Stück nach

oben verschoben, gerät es in eine dichtere, kältere Umgebung. Es erfährt nach dem Prinzip

von Archimedes eine Auftriebskraft und wird entgegen der Schwerkraft nach oben be-

schleunigt.

Ähnliches passiert einem Fluidelement an der Oberfläche der Schicht, wenn es durch eine Stö-

rung nach unten ausgelenkt wird. Es gerät in eine wärmere, weniger dichte Umgebung und

wird in Richtung der Schwerkraft nach unten beschleunigt.

Einschub: Prinzip von Archimedes

„Die Auftriebskraft, die ein Körper erfährt, ist gleich der Gewichtskraft der verdrängten Flüs-

sigkeitsmenge.“

Auftriebskraft: F Vga um� � um� = Dichte der Umgebung des Fluidelements

Gewichtskraft: F Vgg el� � el� = Dichte des ausgelenkten Fluidelements

F

Fa

g

um

el

Kraft, die auf das Flüssigkeitselement wirkt:

F F F Feff g aum

elg� � � �( )1

a) Die Umgebung ist kälter als das Element: � ��

�um el

um

el

� �, d.h. 1

=> Feff wird negativ, das Element wird entgegen der Schwerkraft nach oben beschleunigt.

b) Die Umgebung ist wärmer als das Element: � ��

�um el

um

el

� �, d.h. 1

=> Feff wird positiv, das Element wird in Richtung der Schwerkraft nach unten beschleu-nigt.

Am Instabilitätspunkt �T = �Tc werden kleine Störungen verstärkt und es entstehenauf- und absteigende Strömungen.

Abb. 6.9: Zur Entstehung der Kon-

vektionsströmung

310 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Weshalb treten Strömungen nicht schon bei einer kleineren Temperaturdifferenz auf?

Stabilisierende Effekte treten der destabilisierenden Schichtung entgegen:

� Viskosität: Die innere Reibung der Flüssigkeit muß überwunden werden.

� Warme Elemente kühlen auf ihrem Weg nach oben ab.

Erst bei einer bestimmten Schwellentemperatur erreichen die Fluidelemente die Oberfläche.

Abschätzung der an einer Bénardzelle beteiligten Untersysteme

Ein System, in diesem Fall die Flüssigkeitsschicht, besteht aus Untersystemen, den Flüssig-

keitselementen. Diese Elemente führen auf mikroskopischer Skala thermische Bewegungen

aus, das heißt auf dieser Längenskala herrscht „mikroskopisches Chaos“. Auf einer höheren

Größenskala aber, im Millimeterbereich, bilden dieselben Elemente ein Muster, das wir mit

bloßem Auge sehen können. Unter der Annahme, daß ein Flüssigkeitselement etwa die Größe

eines Atoms besitzt, der Radius r einer Flüssigkeitsrolle etwa 2mm und die Tiefe h der Kup-

ferplatte 3mm beträgt, kann die Zahl der Flüssigkeitselemente in einer Zelle abgeschätzt wer-

den:

Größe eines Flüssigkeitselements: m10A1 10��

1 10 103 7mm m A� ��

Volumen einer Zelle: V r h A� � �

�2 22 33 76 10, ( )

Bénardzelle besteht aus ca 1022 Teilchen

Ungefähr 1022 Elemente bilden eine Bénardzelle. Diese große Teilchenzahl ordnet sich am In-

stabilitätspunkt �T= �Tc so, daß eine symmetrische Bewegung entsteht. Obwohl im Ang-

strömbereich mikroskopisches Chaos herrscht und auch die intermolekularen Wechselwirkun-

gen in dieser Größenordnung stattfinden, korrelieren die Teilchen im makroskopischen Be-

reich. Jedes Flüssigkeitselement besitzt drei Freiheitsgrade und damit besitzt das Gesamt-

system weit mehr als 1022 Freiheitsgrade. Aber die kollektive, geordnete Bewegung der Teil-

chen am Instabilitätspunkt führt dazu, daß in dessen Nähe die Zahl der Freiheitsgrade ab-

nimmt und sich die Flüssigkeitsbewegung relativ einfach beschreiben läßt.

Ein solches kooperatives Verhalten verschiedener Systemkomponenten, das zu einer kom-

plexen, geordneten Struktur führt, nennt man Selbstorganisation. Wichtig dabei ist, daß die

Struktur nicht von außen vorgegeben ist, sondern von den Teilen des Systems selbst gefunden

wird.

Wie entstehen geordnete Strukturen? - Die Synergetik

Rayleigh konnte sowohl das Entstehen der Konvektion, als auch das Einsetzen dieser Strö-

mung bei einer bestimmten kritischen Temperaturdifferenz erklären. Seine Theorie bietet

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 311

allerdings keine Erklärung für die Ausbildung geordneter Strukturen. Ihr zufolge könnte jede

beliebige Strömungsform, auch eine ungeordnete, auftreten.

Ein Erklärungskonzept für die Strukturbildungen in Vielteilchensystemen wurde erst mehr als

50 Jahre später von Hermann Haken formuliert. Er begründete 1969 die Synergetik, die

Lehre vom Zusammenwirken (gr. syn: zusammen, ergon: Arbeit).

Die Synergetik geht anders vor, als in den Naturwissenschaften üblich. Das zu untersuchende

System wird nicht in Einzelteile zerlegt, die dann untersucht und wieder zusammengesetzt

werden. Vielmehr betrachtet die Synergetik das System als Ganzes, da sie davon ausgeht, daß

„das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile“. Dieser Satz ist inzwischen Sinnbild für die

ganzheitliche Betrachtung von Problemfeldern in den verschiedensten Disziplinen geworden.

Die Synergetik sucht nach Gesetzmäßigkeiten, die das Zusammenwirken der Teile

beschreiben. Dabei spielt die Natur der Einzelteile eine untergeordnete Rolle.

Was passiert am Instabilitätspunkt �T = �Tc?

Durch Fluktuationen wird in der Flüssigkeit ständig ausgetestet, ob der momentane makro-

skopische Systemzustand stabil ist. Solange �T<�Tc klingen Störungen, z.B. lokale Tempera-

turerhöhungen, rasch ab. Der Zustand ist stabil. Erst in der Nähe des Instabilitätspunktes

werden Störungen verstärkt, bis sie sich makroskopisch auswirken. Aber anstatt der erwarte-

ten irregulären Strömungen bilden sich geordnete Muster aus.

Die Flüssigkeitsteilchen können eine Vielzahl von Bewegungsformen, auch „Moden“ ge-

nannt, ausführen. Auch unter der Voraussetzung, daß sich geordnete Muster bilden, erfüllen

viele verschiedene Moden die Bewegungsgleichungen der Stömung und die Randbedingungen

des Experiments. Abbildung 6.10 zeigt einige mögliche Muster. Unter den möglichen Moden

setzt sich nur eine bestimmte durch, in unserem Fall eine Schicht paralleler Rollen. Nur die

Amplitude dieser Bewegungsform wächst an, die Amplituden der anderen klingen ab. So wird

die makroskopische Bewegung der Flüssigkeit nur durch die Amplitude der sich

durchsetzenden Bewegungsform bestimmt. Diese Mode, die den Makrozustand des Systems

festlegt, wird „Ordnungsparameter“ oder einfach „Ordner“ genannt.

Alle Elemente der Flüssigkeit folgen der Bewegung des Ordnungsparameters. So nimmt die

Zahl der Freiheitsgrade am Instabilitätspunkt ab und die Flüssigkeit hat nur noch wenige Be-

wegungsmöglichkeiten. Nun muß das Systemverhalten nicht mehr durch die Bewegung der

Einzelteile beschrieben werden, sondern es reicht aus, das Verhalten des Ordnungsparameters

zu kennen. Das zeitliche Verhalten aller anderen Bewegungsformen wird durch ihn beschrie-

ben.

Abb. 6.10: Einige der möglichen Moden des Bénardsystems

312 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Dies ist das Grundprinzip der Synergetik. Es wird von Haken etwas drastisch als

„Versklavungsprinzip“ bezeichnet, da der Ordnungsparameter alle anderen Moden „ver-

sklavt“.

Das Versklavungsprinzip gilt universell für alle Musterbildungsprozesse.

Es besagt, daß in der Nähe des Instabilitätspunktes nur wenige Ordnungsparameter das makro-

skopische Verhalten der Flüssigkeit bestimmen.

Da alle Untersysteme der Bewegung der Ordnungsparameter folgen, nimmt am Instabilitäts-

punkt die Zahl der Freiheitsgrade ab.

Weshalb ist es möglich, daß ein Parameter die anderen dominiert?

Im letzten Themenblock wurde gezeigt, daß die Grundgleichung der Hydrodynamik nicht-

linear ist. Auch die Strömungen im Rayleigh-Bénardsystem unterliegen dieser Gleichung. Die

Nichtlinearität bewirkt, daß die verschiedenen Bewegungsformen in der Flüssigkeit

untereinander wechselwirken und sich so nicht mehr ungestört überlagern wie im linearen

Fall. Durch diese Wechselwirkung der verschiedenen Moden untereinander kann der

Ordnungsparameter auf die anderen Moden Einfluß nehmen.

Synergetische Systeme zeichnet aus, daß die Ordnung

nicht von außen vorgegeben, sondern durch die

Einzelteile des Systems geschaffen wird. Das

Versklavungsprinzip besagt, daß nur wenige

Ordnungsparameter das Verhalten der Einzelteile

bestimmen. Dies ist aber nur eine Seite der Medaille,

denn gleichzeitig schaffen die Einzelteile durch ihr

kollektives Verhalten die Ordner. Diese Art der

Rückkopplung nennt Haken eine geschlossene oder

„zirkuläre Kausalität“. In der zirkulären Kausalkette

sind Ursache und Wirkung nicht mehr eindeutig

auszumachen, wie das bei offenen Kausalketten der

Fall ist (HAKEN 1996).

Welche Mode wird aber nun zum Ordner? Wie so oft in der Physik setzt sich auch im Bénard-

system die effektivste Bewegungsform durch; die Mode, die dem System am besten angepaßt

ist. Das Strömungsmuster, das sich als Ordner behauptet, gewährleistet den effektivsten

Transport der Wärme von unten nach oben.

Ein selbstorganisiertes System kann mit Schlittschuhläufern auf einer überfüllten Eisbahn

verglichen werden: Anfangs versucht jeder, seine Bahn durchzusetzen, aber so ist ungehinder-

tes Laufen für keinen der Läufer möglich. Deshalb werden verschiedene Bewegungsformen

ausgetestet, bis sich die ideale Form durchsetzt. Auch in diesem Analogon zum Bénardsystem

sorgt die sich letztendlich durchsetzende Bewegungsform für den effektivsten Transport.

Abb. 6.11: Zirkuläre Kausalität

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 313

Weshalb bilden sich einmal Rollen, einmal Hexagone aus?

Am Instabilitätspunkt ändert sich der makroskopische Zustand des Systems: In einer zunächst

strukturlosen Flüssigkeitsschicht bilden sich durch Selbstorganisation der Elemente Muster

aus. Die möglichen Moden, die alle der Bewegungsgleichung der Flüssigkeit und den Randbe-

dingungen genügen, lassen sich durch die Vertikalgeschwindigkeit der Elemente beschreiben.Ansatz:

x x y� ( , )

Wellenzahl k �2�

�.

v x t A t k xzn

n n( , ) ( ) sin�

��

Die Amplituden An sind die Freiheitsgrade des Systems.

Zu jedem n gehört eine Bewegungsform/ Mode. Kennt man

alle Amplituden als Funktion der Zeit, kennt man auch das

Strömungsmuster und dessen weitere Entwicklung. Diese

Gleichungen könnten äußerst kompliziert werden, würden

nicht am Instabilitätspunkt nur bestimmte Amplituden

anwachsen, d.h. einen Wert größer Null bekommen. Alle

anderen Amplituden verschwinden und damit deren Bewegungsform. Die anwachsenden

Amplituden sind die schon bekannten Ordnungsparameter, die das Strömungsmuster fest-

legen.

Bei einem Strukturbildungsprozess gibt es verschiedene Möglichkeiten:

1. Konkurrenz: Am Instabilitätspunkt konkurrieren verschiedene Bewegungsformen. Am

Schluß setzt sich nur ein Ordnungsparameter durch. D.h. nur eine Amplitude verschwindet

nicht und bestimmt das Muster. Unter diesen Umständen entsteht eine einfache Struktur,

wie z.B. parallele Rollen. In diesem Fall wird die Vertikalgeschwindigkeit durch eine

Sinusfunktion beschrieben, analog zu der stehenden Welle einer eingespannten Saite.

A1� 0; A2, A3, ... = 0 A1 ist der Ordnungsparameter

Unter der Annahme, daß sich das Strömungsmuster in y-Richtung nicht ändert, kann die

Beschreibung der Bewegung auf die (x,z)-Ebene beschränkt werden:

v x t A t k xz ( , ) ( ) sin� 1 1

2. Kooperation: Die zweite Möglichkeit besteht darin, daß verschiedene Bewegungsformen

kooperieren, also gemeinsam die Struktur bestimmen. Auf diese Weise kann eine komple-

xere Struktur entstehen.

Die hexagonale Struktur entsteht durch die Kooperation verschiedener Bewegungsformen,

nämlich drei Rollen, die im 60°-Winkel zueinander stehen. In diesem Fall existieren drei

Ordner und dementsprechend wird das Strömungsmuster komplexer:

v x t A t k x A t k x A t k xz ( , ) ( ) sin( ) ( ) sin( ) ( ) sin( )�

� �1 1 2 2 3 3 +

vz

Abb. 6.12: Vertikalgeschwindigkeit

(HAKEN et. al. 1991, 34)

314 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

In Abbildung 6.13 kennzeichnen durchgezogene Linien die auf-

steigende Strömung einer Rolle und gestrichelten Linien die

absteigende Strömung. Die Schnittstellen dreier durchgezogener

Linien sind die Stellen, an denen die Vertikalgeschwindigkeit

am größten ist. Sie liegen im Zentrum des Sechsecks. An den

Schnittstellen mehrheitlich durchbrochener Linien am Rand des

Sechsecks sinkt die Flüssigkeit ab.

Der Marangoni-Effekt

1958 entdeckte Pearson, daß bei Flüssigkeitsschichten mit freier Oberfläche neben der Auf-

triebskraft auch die temperaturabhängige Oberflächenspannung eine Ursache der Konvek-

tionsströmung ist. Wird durch eine Störung eine Stelle der Flüssigkeitsoberfläche kühler als

seine Umgebung, entsteht ein Temperatur- und damit ein Oberflächenspannungsgefälle.

Das Gefälle bewirkt eine Strömung von Stellen niedriger zu Stellen hoher Oberflächen-

spannung. Auf dem Weg über die Oberfläche kühlt das Fluid ab und sinkt nach unten. Es ent-

stehen, wegen der freien Oberfläche Hexagone, wieder Konvektionsströmungen. Diese ober-

flächenspannungsgetriebene Konvektion nennt man „Marangoni-Effekt“.

Abb. 6.13: Konstruktion der

Hexagone (HAKEN et .al 1991,

40)

kalt (hohe Oberflächenspannung)�

warm (niedrige Oberflächenspannung)�

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 315

316 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Abb. 6.14: Unterschiede in der Oberflächenspannung bewirken Konvektionsströmungen

Bei genauerem Betrachten der hexagonalen Strukturen im ersten Experiment erkennt man den

Einfluß der Oberflächenspannung an der veränderten Struktur der Flüssigkeitsoberfläche: An

Stellen niedriger Oberflächenspannung, also in der Zellmitte, ist die Oberfläche nach unten

gewölbt. An Stellen hoher Oberflächenspannung, also am Zellrand, zeigt die Oberfläche eine

Erhebung. Die Flüssigkeit fließt also innerhalb einer Zelle „bergauf“.

Der Marangonieffekt spielt vor allem in der Kristallzucht eine wichtige Rolle, da viele Kri-

stalle im offenem Tiegel gezogen werden. Die einsetzenden Konvektionsströmungen bewir-

ken hier unerwünschte Inhomogenitäten im gewachsenen Kristall. Lange Zeit war man der

Meinung, daß konvektionsfreie Kristallzucht im Weltall möglich sei, da im freien Fall alles

gleichförmig fällt, solange die Gezeitenkräfte vernachlässigbar sind. Aber mit der Entdeckung

der Oberflächenspannung als Mitursache von Konvektionsströmungen mußte man diese

Möglichkeit verwerfen. Sobald an der Oberfläche ein Temperaturgradient vorhanden ist,

treten Konvektionsströmungen auf.

Wo treten nun solche Strukturbildungsprozesse in der Natur auf?

Die Basaltsäulen in Abbildung 6.15 stammen

aus dem Westerwald und stehen jetzt vor dem

Senckenberg-Museum in Frankfurt. Verursacht

durch den Temperaturunterschied zwischen der

freien Oberfläche und der heißen Lava, bilden

sich die Säulen bei der Abkühlung von etwa

1000°C heißer Lava. Die Säulen stehen, wie in

unserem Bénardexperiment senkrecht zu der

Abkühlungsfläche.

Ein weiteres Beispiel sind die Wolkenstruk-

turen in Abbildung 6.16. Sie können entstehen,

wenn kalte Polarluft über das warme Meer

strömt. Dabei entsteht eine labile Luftschicht.

Der freien Oberfläche im Laborexperiment

entspricht eine stabile Luftschicht in 2,5 km

Höhe. Ist die Temperaturdifferenz groß genug,

setzt eine Konvektionsströmung ein.

Die warme Meeresluft hat einen hohen Feuch-

tigkeitsgehalt. Deshalb bilden sich Wolken,

wenn die Luft aufsteigt und dabei abkühlt.Abb. 6.15: Basaltsäulen vor dem Senckenberg-

Museum in Frankfurt/M.

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 317

Abb. 6.16: Hexagonale Wolkenstrukturen (HAKEN et al.

1991, 6)

Die Konvektionsströmung wird von Vögeln

und Segelfliegern ausgenutzt: Ist die

Windgeschwindigkeit sehr klein, segeln

Möven in kreisförmigen Bahnen. Sie zeigen

damit die säulenförmige Thermikströmung

an. Bei höheren Windgeschwindigkeiten än-

dert sich das Muster, die Säulen neigen sich

und es entstehen Rollen parallel zur Meeres-

oberfläche, sog. Wolkenstraßen. Die Möven

segeln entlang der Rollen. Wenn die Luft

wärmer ist als das Meer, segeln die Möven

nicht.

318 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Auch die Granulation in der Photosphäre der Sonne weist eine Struktur auf. Allerdings bilden

sich hier keine regelmäßigen Sechsecke aus, sondern es entsteht eine körnige Struktur, was

nicht weiter verwundert, wenn man bedenkt, daß der Durchmesser einer Granule ca. 1000km

beträgt. Die Photosphäre verhält sich wie eine heiße Flüssigkeit: Gasblasen steigen auf, küh-

len ab und sinken wieder nach unten. Die kälteren Gasmassen sind dunkler als die heißen,

deshalb ist die Struktur zu erkennen.

Strömungen in der Atmosphäre - Konvektion in rotierenden Systemen

Das Bénardsystem ist ein Modell für die Bewegung der Atmo-

sphäre der Erde und auch anderer Planeten. Um die Bewegung

der Planetenatmosphäre zu simulieren, muß die Erdrotation und

die damit verbundene Corioliskraft berücksichtigt werden. Um

diese gewichtigen Einflüsse einzubeziehen, werden Konvektions-

muster in rotierenden Systemen untersucht: Die Flüssigkeit wird

zwischen Kugelschalen gefüllt, die um eine gemeinsame Achse

rotieren. Die innere Schale wird erhitzt. Es entstehen mehrere

Schichten von Konvektionsrollen parallel zur Rotationsachse.

Diese Rollen ähneln den Bänderstrukturen auf dem Jupiter oder

Saturn, wenn man in Gedanken die Kugel vervollständigt. In höheren Breiten werden die

Bänder durch eine granulare Struktur abgelöst. Jupiter und Saturn sind Gasplaneten, deshalb

ist ihre Struktur einfacher zu simulieren als die Struktur der Erdatmosphäre.

Symmetriebrechung - Der Dualismus von Determinismus und Zufall

Wird das Bénardexperiment unter gleichen Randbedingungen mehrfach wiederholt, bildet

sich völlig reproduzierbar bei der kritischen Temperaturdifferenz ein Muster, das dem des

vorigen Versuchs gleicht. Selbst wenn die Flüssigkeit umgerührt wird, bildet sich das Muster

wieder neu, der Systemzustand ist also ober- und unterhalb der kritischen Temperaturdifferenz

stabil. In diesem Sinne ist das System vorhersagbar, deterministisch.

Erst bei genauem Hinsehen zeigt sich, daß das Muster sich nicht exakt reproduziert, sondern

eine Komponente besitzt, die dem Zufall unterliegt: Bei der ersten Instabilität treten im

Bénardexperiment mit geschlossener Oberfläche immer Konvektionsrollen auf, die einen

gegenläufigen Drehsinn besitzen. Welchen Drehsinn aber die einzelne Rolle besitzt, ist nicht

vorhersagbar. Eine kleine Störung am Instabilitätspunkt entscheidet, in welche Richtung die

erste sich ausbildende Rolle dreht. Diese Rollenbewegung reißt andere Flüssigkeitselemente

mit und das Muster breitet sich über das ganze Volumen aus. So wird die Störung am Insta-

bilitätspunkt verstärkt, bis sie sich makroskopisch auswirkt.

Abb. 6.17: Konvektionsmuster in

rotierenden Systemen (BUSSE

1994)

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 319

An der ersten Instabilität sind zwei verschiedene Konfigurationen möglich:

� entweder ...RLRLRL...� oder ...LRLRLR....

Am Instabilitätspunkt kann das System also zwischen zwei gleichwertigen Lösungen ent-

scheiden. Zu diesem Kontrollparameterwert existieren zwei Lösungen.

Symmetriebrechung: Die ursprüngliche räumliche Symmetrie in der Flüssigkeit wird

„gebrochen“, wenn neue Strukturen entstehen.

Bifurkationsstelle: Wert des Kontrollparameters, an dem die Symmetriebrechung erfolgt

und sich die Kurve verzweigt.

lat. bi: zwei, furca: Gabel

Bis zur Bifurkationsstelle existiert eine stabile Lösung, im Fall des Bénardsystems die ruhen-

de Flüssigkeit ohne makroskopische Strömungsbewegungen. Am Instabilitätspunkt wird die

Lösung instabil und durch zwei gleichwertige, stabile Lösungen ersetzt. Hier entscheiden

kleine Störungen über die Wahl des Weges.

Bei Erhöhung der Temperaturdifferenz treten weitere Instabilitätsstellen auf. Im Bifurkations-

diagramm (Vertikalgeschwindigkeit über dem Kontrollparameter aufgetragen), gabeln sich die

Zweige an diesen Stellen wiederum, so daß eine Art „Baum“ entsteht. An jeder Bifurkations-

stelle entscheiden kleine Störungen zwischen gleichwertigen Lösungen.

Systemen mit dieser Fähigkeit zur Bifurkation unterstellt Prigogine eine „historische

Dimension“ (PRIGOGINE 1987). Von der Entscheidung für die eine oder andere Lösung

hängt die gesamte weitere Entwicklung des Systems ab. Störungen entscheiden über ein

Muster, aus dem sich nach einer weiteren Bifurkation neue Muster ergeben, die die

Informationen des Vorläufermusters enthalten. So „erinnert“ sich das System während seines

Weges an alle Entscheidungen, die durch Störung zufällig getroffen wurden. Diese Fähigkeit

besitzen nur Nichtgleichgewichtssysteme, denn in einem Gleichgewichtssystem wirkt sich

eine Störung nie makroskopisch aus. Das System kehrt nach der Störung in seinen ursprüng-

lichen Zustand zurück und „vergißt“ damit das Ereignis wieder.

Abb. 6.18: Bifurkation und

Symmetriebrechung

320 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

3.6.2 Die Taylor-Couette-Strömung

VORBEMERKUNGEN

Die Taylor-Couette-Strömung, ein weiteres Beispiel für musterbildende Prozesse in der

Hydrodynamik, soll in diesem zweiten Teil des Themenblocks der Wiederholung und An-

wendung von Begriffen und Konzepten der Selbstorganisationstheorie dienen. Die Erklärung

der beobachteten Phänomene erfolgt analog zum Bénardsystem, so daß die Lernenden er-

fahrungsgemäß keine Schwierigkeiten haben, die Theorie selbständig zu übertragen.

Das Taylor-Couette-Experiment kann aus Schul- und Bastelbedarf zusammengestellt werden.

Eine Bauanleitung entwickelte J. Braak am IPN in Kiel. Sie kann von dort bezogen werden

(BRAAK 1987).

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� die Konzepte der Synergetik vom Bénard- auf das Taylor-Couette-Experiment übertragen

und die Entstehung der Taylorwirbel erklären können.

� im Experiment höhere Instabilitäten und den Übergang von geordneter zu turbulenter

Strömung kennenlernen.

AUSFÜHRUNG

Lineare Couetteströmung

Eine Flüssigkeit befindet sich zwischen einer ruhenden Platte und einer Platte, die mit einer

konstanten Geschwindigkeit gezogen wird. In der Flüssigkeit bildet sich ein lineares Strö-

mungsprofil aus. Die Kraft, die aufgewendet werden muß, um die innere Reibung der Flüssig-

keit zu überwinden, ist proportional zum Geschwindigkeitsgefälle dv/dz und zur Fläche der

Platte A. Die Propotionalitätskonstante ist die Viskosität (s. 2. Themenblock).

dz

dvAFR ��

Diese Strömung nennt man „lineare Couette-Strömung“.

Zylindrische Couetteströmung

M. Couette entwickelte die Taylor-Couette-Apparatur 1890, um die Viskosität einer Flüs-

sigkeit zu messen, da sich die lineare Couetteströmung zu diesem Zweck als unpraktisch

erwiesen hatte. Sie besteht aus zwei konzentrischen Zylindern, von denen der innere mit einer

festen Drehzahl rotiert. In den Zwischenraum der Zylinder wird die Flüssigkeit gegeben.

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 321

Um den Zylinder mit einer festen Drehzahl rotieren zu lassen, muß ein Drehmoment ausgeübt

werden. Dieses Drehmoment ist umso größer, je viskoser die Flüssigkeit. In handelsüblichen

Viskosimetern wird das Drehmoment mit einer Feder gemessen und kann an einer Skala abge-

lesen werden.

Versuch „Taylor-Couette“

Unsere Apparatur ähnelt dem Gerät von

M.Couette. Wir verwenden sie allerdings nicht

zur Messung der Viskosität, sondern um

Strukturbildung in der Flüssigkeit zwischen

den Zylindern zu untersuchen.

Als Außenzylinder der Couette-Apparatur dient

ein Standzylinder aus Glas, dessen Höhe etwa

seinem vierfachen Durchmesser entsprechen

soll. Ein zylindrisches Rohr, das an beiden

Enden mit durchbohrten Gummistopfen

verschlossen wird, stellt den Innenzylinder dar.

Durch die Bohrungen der Gummistopfen wird

ein Glasstab als Achse gesteckt und ein Stück

Linoleum auf den Boden des Standzylinders eingepaßt, in dessen Mitte ein Loch zur Lagerung

der Achse gestanzt wird. Der Durchmesser des Lochs ist etwa einen halben Millimeter größer

als der Durchmesser der Achse. Ein zweiter Ring aus Linoleum hält am oberen Rand den

Innenzylinder in der Mitte. Der Innendurchmesser des Rings sollte etwas größer sein als der

Durchmesser des Glasrohrs. Damit dieser Ring nicht mitrotiert, muß er durch Draht fixiert

werden. Zum Schluß wird die Achse des Innenzylinders mit Hilfe eines Schlauchstücks mit

der Achse eines Elektromotors verbunden.

Als Strömungsmedium wird ein etwa 50%-iges, mit Aluminiumflitter versetztes Glyzerin-

Wassergemisch in den Zwischenraum gefüllt. Einige Spritzer Spüli verhindern Klümpchen-

bildung. Sollten sich die erwarteten Strukturen nicht zeigen, muß die Viskosität der Flüssig-

keit variiert werden (BRAAK 1987).

a. Couetteströmung bei kleinen Drehzahlen

Zunächst läßt man den inneren Zylinder mit kleinen Drehzahlen

rotieren. In der Flüssigkeit bildet sich zwischen den Zylindern

eine Strömung aus. Die Flüssigkeitsschicht direkt am inneren

Zylinder besitzt wegen der Haftbedingung (siehe 2. Themen-

block) deren Geschwindigkeit. Analog zur linearen Couette-

strömung nimmt die Strömungsgeschwindigkeit von innen nach

außen ab, bis sie am äußeren Zylinder Null wird.Abb. 6.20: Geschwindigkeits-

profil

Abb. 6.19: Taylor-Couette- Experiment

322 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

b. Langsame Erhöhung der Drehzahl

Erhöht man die Drehzahl vorsichtig, entstehen an der oberen und

unteren Berandung zwei Wirbelringe. Hält man nun die Drehzahl

konstant, füllt sich allmählich der gesamte Raum von oben und

unten mit gleichmäßigen Ringwirbeln aus. Die Struktur der

Strömung erinnert an einen Baumkuchen, in der englisch-

sprachigen Literatur wird sie mit Doughnuts verglichen. Diese

Wirbel wurden zum ersten Mal 1923 von G.I. Taylor beobachtet

und nach ihm „Taylor-Wirbel“ genannt (Abbildung 6.21).

Abb. 6.21: Taylorwirbel (VAN

DYKE 1982)

Wie entstehen die Taylorwirbel?

Je näher sich die rotierenden Teilchen am Innenzylinder befin-

den, desto höher ist ihre Geschwindigkeit. Aus diesem Grund

wirkt auf die Flüssigkeitsteilchen der Innenbahn eine größere

Zentrifugalkraft als auf die Teilchen der Außenbahn.

Zentrifugalkraft: 2z v

r

mF �

Die höhere Zentrifugalkraft bewirkt, daß die Teilchen versuchen

von innen nach außen zu gelangen. Dazu müssen aber auch Teil-

chen von außen nach innen verdrängt werden. Es entsteht wie

beim Bénardsystem eine instabile Schichtung. Während aller-

dings beim Bénardsystem die Temperaturdifferenz den Kon-

trollparameter darstellt, spielt bei der Taylor-Couette-Strömung

die Drehzahl diese Rolle. Erst bei einer bestimmten kritischen

Drehzahl entsteht eine Strömung, die sich aus der radialen Strö-

mung in Drehrichtung und der ursprünglichen azimutalen

Couette-Strömung zusammensetzt. Abb. 6.22: Bahn der Flüssig-

keitsteilchen (REHBERG 1981)

Wie bei der Bénardkonvektion reicht am Instabilitätspunkt eine kleine Störung aus, um einen

lokalen Wirbel zu erzeugen. Eine Quelle solcher Störungen ist die obere und untere

Berandung der Zylinder. Dort ist wegen der Haftbedingung die Strömungsgeschwindigkeit

Null, die Strömung wird gestört. Deshalb entstehen an diesen Stellen die ersten Ringwirbel.

Die strömenden Teilchen auf dem Ringwirbel ziehen wegen der Viskosität der Flüssigkeit die

Teilchen der benachbarten Schichten mit. Es entsteht ein zweiter Ringwirbel mit

entgegengesetzter Rotationsrichtung. Auf diese Weise bildet sich ein Ringwirbel nach dem

anderen.

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 323

Aufgrund der Bewegungsgleichungen und der Randbedingungen sind auch beim Taylor-Expe-

riment verschiedene Bewegungsformen möglich. Aber wiederum setzt sich eine Bewegungs-

form durch, der alle Flüssigkeitsteilchen folgen. Alle anderen Moden klingen ab.

Abbildung 6.22 zeigt die Bahnen der Flüssigkeitsteilchen auf den Taylorringen, die einem

verdrehten Strang ähneln. Wie die Bénardzellen haben auch die Taylorwirbel paarweise einen

gegenläufigen Drehsinn.

Weshalb entstehen die Wirbel nicht schon bei einer kleineren Drehzahl?

Wie bei den Bénardzellen verhindert bei geringen Drehzahlen die Viskosität der Flüssigkeit

die radiale Strömungsbewegung. Es besteht zwar eine instabile Schichtung, aber die Zentri-

fugalkraft der inneren Teilchen reicht nicht aus, um die Reibung zu überwinden. Mit der Er-

höhung der Drehzahl steigt die Zentrifugalkraft der Teilchen quadratisch mit der Bahn-

geschwindigkeit, während die Reibungskraft nur proportional zur Geschwindigkeitsdifferenzzwischen benachbarten Flüssigkeitsschichten wächst. Bei einer bestimmten Drehzahl f

C ist die

Zentrifugalkraft groß genug und die Flüssigkeit kann auch von innen nach außen strömen.

c. Weitere Erhöhung der Drehzahl - Höhere Instabilitäten:

Das Taylor-Couette- Experiment eignet sich zur Unter-

suchung des Weges von der laminaren zur turbulenten Strö-

mung. Bei langsamer Erhöhung der Drehzahl wird eine

zweite Instabilität erreicht. Bei dieser kritischen Drehzahl

fc2 ändert sich das Muster der Strömung: Die Taylorrollen

werden durch wellige Wirbel abgelöst. Diese Wirbel sind

deformiert, rotieren aber nach wie vor wie starre Körper um

die Achse.

Mißt man die Strömungsgeschwindigkeit für diese Wirbel an einem festen Punkt der Strö-

mung, variiert sie periodisch mit der Zeit, während die Geschwindigkeit in den Taylorrollen

zeitunabhängig war. Ein Beobachter sieht jetzt nur noch dann ein unveränderliches Strö-

mungsbild, wenn er mit dem System mitrotiert.

Bei weiterer Erhöhung der Drehzahl erreicht man wiederum einen Schwellenwert (fc3), die

dritte Instabilitätsstelle. Die Wirbel beginnen zu schwingen. Zur Umdrehungsfrequenz des

Wirbels kommt eine zweite Frequenz hinzu. In unserem vereinfachten Bild rotieren die

„Fahrradschläuche“ nicht mehr starr um die Achse, sondern es läuft noch zusätzlich eine Art

Welle über sie. Diese Strömungsform nennt man „modulierte wellige Wirbel“. Sie ist nach

wie vor periodisch und vorhersagbar.

Abb. 6.23: Wellige Wirbel bei Dreh-

zahl fc2 (VAN DYKE 1982)

324 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Wie geht es weiter?

Erhöht man die Drehzahl weiter, könnte man erwarten, daß immer mehr Instabilitätstellen er-

reicht werden, an denen neue Frequenzen auftreten. Prinzipiell wäre dann die Strömung zwar

sehr unübersichtlich, aber immer noch periodisch und damit vorhersagbar.

Dieser sanfte Übergang von der laminaren Strömung zur Turbulenz durch eine unendliche

Folge von Instabilitäten wurde 1944 von Lev Davidovich Landau (Nobelpreis 1962 für Theo-

rie des superfluiden Heliums) propagiert. Bis 1971 wurde die Gültigkeit des Übergangs nach

Landau nicht angezweifelt. Verifikation oder Falsifikation durch Experimente war nicht mög-

lich, weil die Meßtechnik noch nicht dazu in der Lage war.

1971 entwickelten die Mathematiker D. Ruelle und F. Takens ein mathematisches Modell, das

den Übergang Landaus widerlegen sollte. Dieses Modell wurde von der Wissenschaftswelt

zuerst abgelehnt, bis zwei Physiker, J.P. Gollub und H.L. Swinney, 1975 den experimentellen

Beweis erbrachten, daß die Strömung nach der vierten Instabilität sofort chaotisch wird, ohne

noch weitere Instabilitäten durchlaufen zu haben. Die Bewegung zeigt plötzlich statt einem

diskreten, ein kontinuierliches Frequenzspektrum.

d. Turbulenz nach der 4. Instabilität im Experiment

Wenn wir mit unserem Versuchsaufbau die Drehzahl so weit

erhöhen, daß eine weitere Instabilitätsstelle erreicht ist, sehen

wir zwar immer noch oszillierende Wirbel, aber sie werden

ständig durch überlagerte turbulente Strömungen gestört.

Mißt man die Strömungsgeschwindigkeit, sieht man, daß sich

die Strömung völlig chaotisch verhält, obwohl noch eine Art

„Struktur“ zu sehen ist. Es handelt sich um einen

Zwischenzustand, bei dem zwei Längenmaßstäbe eine Rolle

spielen: Zum einen die charakteristische Skala der Taylorrolle

und zum anderen die kleinskalige Turbulenz. Die zufälligen

Schwankungen der turbulenten Strömung sind der mittleren

Strömung überlagert.

Dies beobachten wir auch im Experiment nach der vierten Instabilität: Es gibt eine mittlere

Strömung, die auf einer bestimmten Skala auch eine Ordnung aufweist. Auf einer kleineren

Skala aber verhalten sich die Flüssigkeitsteilchen völlig irregulär. Auf dieser Skala erfüllt die

Strömung das Kriterium für chaotisches Verhalten: Das Strömungsbild zeigt eine emp-

findliche Abhängigkeit von kleinsten Störungen. Benachbarte Teilchen entfernen sich sehr

schnell voneinander.

Bei weiterer Erhöhung der Drehzahl erreichen die beiden Längenmaßstäbe die gleiche

Größenordnung und die letzte Struktur verschwindet. Dies ist jedoch mit unserer Apparatur

nicht zu erreichen.

Abb. 6.24: Turbulente Taylor-

Couette-Strömung(VAN DYKE

1982)

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 325

3.6.3 Ist die Selbstorganisationstheorie auf biologische und soziale Systemeübertragbar?

VORBEMERKUNGEN

H. Haken und I. Prigogine setzten sich zum Ziel, universelle Gesetzmäßigkeiten für alle

selbstorganisierten, musterbildenden Prozesse zu finden. Haken sieht die Synergetik nicht als

binnenwissenschaftliche Fachtheorie, sondern möchte deren Strukturformeln auf alle Bereiche

des Lebens anwenden. Deutlich wird dies in seinen Veröffentlichungen: Haken überträgt die

Gesetzmäßigkeiten der Synergetik, die er in rein physikalischen Systemen, wie Flüssigkeiten

und Lasern gefunden und verifiziert hat, auf biologische, soziale, gesellschaftliche oder wirt-

schaftliche Prozesse. In seiner Theorie setzt Haken bewußt eine antropomorphe Sprechweise

(Versklavung, usw.) ein.

Sowohl H. Haken, als auch I. Prigogine und der Biophysiker M. Eigen sehen eine Verbindung

zwischen den vorgestellten Selbstorganisationsprozessen und der Frage, wie Leben entstehen

und sich entwickeln kann. Dieses Grenzthema zwischen Biologie und Physik wird in diesem

Rahmen nur angerissen, bietet jedoch ein Feld interessanter Möglichkeiten des Austauschs

verschiedener Kurse der Oberstufe. Demjenigen, der der Frage nach Übertragbarkeit weiter

nachgehen möchte, sei die Originalliteratur (HAKEN et al. 1991, HAKEN 1981,

PRIGOGINE et al. 1987) und ein Buch mit dem Titel „Entstehung biologischer Information

und Ordnung“ empfohlen, das detaillierter auf die Erklärungskonzepte der Synergetik für

biologische Systeme eingeht (HAKEN et. al. 1989). Die Arbeiten M. Eigens stellt der Artikel

„Am Anfang war der Hyperzyklus“ interessant und, auch für Schülerinnen und Schüler, ver-

ständlich vor (VOLZ 1993).

Ob die Synergetik auf Gebieten wie der Politik, der Linguistik, der Biologie usw. begründet

angewendet werden darf, ist zur Zeit ein sehr aktueller Disput, der auch mit Schülerinnen und

Schülern geführt werden kann. Besonders geeignet ist ein Artikel Hakens, erschienen in der

Zeitschrift „Ethik und Sozialwissenschaften“( HAKEN 1996). Er richtet sich vor allem an

Sozialwissenschaftler, wird aber in diesem Heft von Wissenschaftlern verschiedener Diszi-

plinen diskutiert. Zwar geht der Artikel inhaltlich etwas über die Unterrichtseinheit hinaus,

dafür kommt er fast ohne Mathematik aus und bietet eine Zusammenfassung und einen Ab-

schluß der Unterrichtsreihe. Auch Hakens populärwissenschaftliches Buch

„Erfolgsgeheimnisse der Natur“ zeigt mit Überschriften wie „Sind Revolutionen vorhersag-

bar?“ seine Zielrichtung an.

Bei der Lektüre stellt sich unmittelbar die Frage, in wieweit physikalische Theorien auf

menschliche Systeme übertragbar sind. Bei der Erprobung dieser Unterrichtsreihe in der

Schülerakademie standen die Schülerinnen und Schüler dieser Extrapolation der Synergetik

auf soziale Systeme sehr kritisch gegenüber. Sie löste regelrechtes Unbehagen aus. Trotzdem

326 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

hatte die Beschäftigung mit Hakens Thesen einen interessanten Nebeneffekt: Die Schülerin-

nen und Schüler wendeten in der Diskussion das Konzept der Synergetik auf Systeme an, die

ihnen viel näher liegen als die physikalischen. Dies führte rückwirkend wieder zu einem

besseren Verständnis der physikalischen Beispiele.

LEHR- UND LERNZIELE

Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

� die Grundzüge des synergetischen Konzepts so weit verstanden haben, daß sie über die

möglichen Grenzen dieser Theorie diskutieren können.

� in Diskussion mit ihren Mitschülern oder mit Experten wie Biologie- oder Politiklehrern,

die Grenzen der Synergetik herausfinden.

� ihre eigenen Positionen formulieren und darstellen können.

AUSFÜHRUNG

Selbstorganisationstheorie und Biologie - Existieren Zusammenhänge zwischen demBénardsystem und der Evolutionstheorie Darwins?

Die Evolutionstheorie (lat. evolvere: auseinanderfalten, entwickeln) Darwins besagt, daß die

Vielfalt der heutigen Lebewesen aus wenigen gemeinsamen, einfacheren Vorfahren entstan-

den sind. Sie beruht auf zwei Prinzipien: Der Mutation und der Selektion. Die Mutation ist die

spontane Veränderung des Erbguts durch Fehler beim Kopieren der Nukleinsäureketten

(DNA). D.h. durch die Mutation werden neue genetische Varianten „vorgeschlagen“. Die Se-

lektion testet diese Variationen und sortiert die besten aus. Variationen, die sich nicht bewäh-

ren, werden verworfen. Die Gesetze der Biologie ergeben sich also aus dem Zusammenspiel

der Mutation und der Selektion. M. Eigen nennt die Evolution ein „Spiel mit wenigen festen

Regeln und offenem Ausgang“. (VOLZ 1993)

Was hat dies mit dem Bénardsystem zu tun?

Haken sieht eine direkte Verbindung zwischen der Evolutions- und der Selbstorganisations-

theorie: „Wir erkennen hier ein Selektionsprinzip, das man als den ‘Darwinismus der Laser-

moden’ bezeichnen kann: Diejenige, die am schnellsten wächst oder, mit anderen Worten: die

sich am schnellsten vermehrt, gewinnt den Wettbewerb und überlebt, während alle anderen

unterdrückt werden.“ (HAKEN et al. 1991, 188)

Obwohl einfache physikalische Systeme, wie das Bénardsystem, im Vergleich zu biologischen

Systemen sehr viel geringere Komplexitätsgrade besitzen, sind einige Analogieschlüsse

aktuell in der Diskussion:

� Lebende Systeme sind offene Systeme, die in einem Fließgleichgewicht ihre Ordnung er-

halten.

3.6 Themenblock „Nichtlineare Dynamik II“ 327

� Lebende Systeme zeichnen sich durch zwei komplementäre Eigenschaften aus: Sie sind

einerseits in der Lage bestehende Ordnung zu erhalten, andererseits neue Ordnung zu

schaffen und sich dadurch weiterzuentwickeln.

� Nach der Selbstorganisationstheorie entsprechen Fluktuationen in physikalischen den

Mutationen in biologischen Systemen: Sie schlagen eine Vielzahl neuer Bewegungs-

formen/ genetischer Variationen vor.

� Die Ordnungsparameter erfüllen danach die Selektionsfunktion: Sie wählen die Bewe-

gungsform/ genetische Variation, die den äußeren Gegebenheiten am besten angepaßt ist.

Im Fall des Bénardsystems die Form, die Wärme am besten transportiert. Im Fall der bio-

logischen Systeme, die Lebensform, die der Umwelt am besten angepaßt ist.

� An der Instabilitätsstelle geht das System in einen komplexeren Zustand über. Damit

durchläuft jedes offene System bei der Erhöhung des Kontrollparameters eine Entwicklung

zum Komplexeren. Auch in der Evolution ist die neue Ordnung immer komplexer als die

vorherige (aus Einzellern entstehen Mehrzeller usw.) und der Umgebung besser angepaßt.

� Jeder Zustand des Systems enthält in seiner Struktur immer die gesamte Entwicklungs-

geschichte. Jede Entscheidung, die einmal getroffen wurde, ist im augenblicklichen Sy-

stemzustand dokumentiert. In jedem Muster sind immer auch die Vorgängermuster ent-

halten.

Selbstorganisationstheorie und gesellschaftliche Prozesse

In seinem Artikel „Synergetik und Sozialwissenschaften“ (HAKEN 1996) versucht Haken,

Sozialwissenschaftler und Wissenschaftler anderer Disziplinen von der Synergetik als

mögliches Hilfsmittel zur Beschreibung und Erklärung sozialer Systeme zu überzeugen. Da-

bei verwendet er viele Beispiele aus dem Alltag vom Fußgängerstrom bis zum Wirtschafts-

geschehen. Dazu benennt er die Ordner und die zugehörigen versklavten Teile für verschie-

dene soziale Systeme.

Beispiele:

Ordner Teile

Sprache

Staatsform

Kultur

Gesetze

Betriebsklima

Wirtschaft

Menschliche Individuen

Mitarbeiter

Teilnehmer am Wirt-

schaftsprozeß

In diesem Zusammenhang hat der Begriff „Versklavung“ natürlich einen bitteren Beige-

schmack. Da er gerade von Sozialwissenschaftlern und Philosophen im Vorfeld häufig kriti-

siert wurde, relativiert Haken den Begriff und verwendet ihn in diesem Artikel nur selten.

328 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

Trotzdem geht Haken davon aus, daß die menschlichen Individuen in seinen Systemen, eben

gerade keine Individuen mehr sind. Ihnen werden alle Eigenschaften abgesprochen, die einen

Menschen auszeichnen, wie freier Wille oder Handlungskompetenz. Denn um die Synergetik

anwenden zu können, darf die Natur der Untersysteme keine Rolle mehr spielen. Hier fängt

das Problem der Übertragbarkeit an.

Bei der Betrachtung der Tabelle hat man das Gefühl, daß die Ordner beliebig, vielleicht nach

„gesundem“ Menschenverstand, ausgewählt wurden, denn keines der angeführten Beispiele

wird von Haken unter synergetischen Gesichtspunkten genauer beleuchtet. Es scheint, als be-

nutze er die Begriffe der Synergetik lediglich als Metaphern. Daher stellt sich die Frage, in-

wieweit seine Theorie die Vorgänge in der Natur und der Gesellschaft wirklich erfaßt und

damit auch relevante Aussagen liefern kann. Zweifellos ist die Synergetik, auf physikalische

Systeme angewendet, außerordentlich aussagekräftig und stellt eine neue Sichtweise dar. Ob

in der Zukunft dies aber auch für soziale Systeme zutrifft, muß abgewartet werden. Auf jeden

Fall sollte eine physikalische oder mathematische Theorie nicht unkritisch auf gesellschaft-

liche Prozesse übertragen werden.

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