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TITO TETTAMANTIAufsteiger: Tito Tettamanti hat sich in den Siebzigerjahren als Baulöwe und Fi-nancier einen Namen gemacht. Bei seinem Kampf um Sulzer, Sauber und Rieterhat er sich mit dem gesamten Schweizer Wir tschafts-Establishment angelegt.Doch Tettamanti versteht sich vor allem als Visionär: Als Hauptaktionär derJean-Frey-Gruppe kämpft er gegen politische Korrektheit und für mehr Streit-kultur. Gegenüber “persönlich” erklär t er, was einen “Tessiner Parvenü”antreibt. Interview: Matthias Ackeret Fotos: Peter Tillessen, Bilanz

Herr Tettamanti, wie gut kennen Sie Jürg Wildberger?

“Ich kenne Herrn Wildberger nicht persönlich.”

Haben Sie mit ihm im Vorfeld seiner Ernennung zum Weltwoche-

Chefredaktor gesprochen?

“Nein.”

Die Weltwoche hat bereits den dritten Chefredaktorenwechsel

innert vier Jahren. Stört Sie diese Unbeständigkeit nicht?

“Es klingt paradox: Viele, die die Weltwoche heute nichtmehr lesen oder ihr Abonnement gekündet haben, teilenzwar deren Einstellung und Ausrichtung, geben dies abernicht zu. Sie begründen ihre Kündigung mit denKommentaren von SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli,stören sich aber nicht an den Kolumnen von WoZ-Redaktor Constantin Seibt. Ist dies ein Zeichen vonbewusster oder unbewusster Intoleranz? Typisch für den‘pensiero unico’. Wir verlieren enttäuschte Leser, dieglauben, eine Zeitung wie die Weltwoche sollte linkssein.Was das heisst, wissen sie vielleicht nicht einmal undvergessen, dass viele neue originelle und kulturelleStrömungen heutzutage sicher nicht von links kommen.Das erklärt unter anderem, warum die Aufgabe nichtleicht ist. Übrigens sollte nicht vergessen werden, dassHerr Köppel gekündigt hat, weil er von der Welt eineOfferte bekommen hat, die er nicht ausschlagen konnte.”

Das würde bedeuten, dass die Weltwoche mit diesem Konzept

gescheitert wäre ...

“Nein, aber wir benötigen eine gewisse Zeit, um unsereLeser zu überzeugen, dass eine Zeitung, die weder linksnoch political correct ist, erfrischend, interessant,modern, manchmal irritierend und keineswegs dummsein kann.”

Dann nehmen Sie in Kauf, dass die Auflage der Weltwoche hin-

ter diejenige von Facts fällt?

“Nein, überhaupt nicht. Vielmehr gehört es zu denGesetzmässigkeiten des Wirtschaftsdarwinismus, dassFacts geschlossen wird und die Weltwoche überlebt(lacht). Im Ernst, Weltwoche und Facts sind zwei ver-schiedene Zeitungen mit zwei verschiedenenAusrichtungen. Ich sehe auch keine Synergien, um diebeiden Blätter zusammenzulegen. Die Frage ist eineandere: Gibt es in der Schweiz mehr als hunderttausendLeser, die eine Zeitschrift wie die Weltwoche kaufenund lesen wollen? Um eine solche Zeitung lesenswertzu machen, benötigt man jeweils vier provokative, erre-gende, gut recherchierte Artikel, die Gesprächsstoff inder Zivilgesellschaft, bei den Politikern sowie an denStammtischen oder im Zug liefern.”

Und dies gelingt?

“Oft, aber es sollte öfter sein. Viele Artikel, wie bei-spielsweise derjenige von Eugen Sorg über dieBabysoldaten in Afrika oder die Drogen in Kolumbienwie auch die Hintergrundberichte von Hanspeter Bornüber die Strategie der USA gegenüber dem Iran er-füllen diesen Anspruch. Diesen Anspruch erfüllen auchdie Wirtschaftsanalysen von Markus Schneider oder diegut recherchierten Politartikel von Markus Somm undUrs Paul Engeler aus dem Bundeshaus. Sehr gut hat mirzum Beispiel Markus Schärs Experiment gefallen, als ermit seiner Frau während eines Monats auf demExistenzminimum zu leben versuchte. Auch SergeGaillards Kommentare lese ich mit grösstem Interesse,obwohl ich seine Meinungen nicht immer teile. Zudemschätze ich die Artikel von Professor Born, ProfessorSchiltknecht, Dr. Brunetti oder die Medienkommentare

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von Kurt W. Zimmermann, wobei ich viele andere ver-gessen habe.”

Was zeichnet einen erfolgreichen Weltwoche-Chef aus?

“Ein guter Weltwoche-Chef sollte einerseits dieFrechheit und Aggressivität der Jugend besitzen, ande-rerseits auch über eine gewisse Reife und Aus-gewogenheit verfügen. Sein grösstes Talent besteht aberdarin, die Redaktion zu führen. Ein guter Journalist istnicht notwendigerweise ein guter Manager. Noch einWort zu Roger Köppel. Wie Sie vielleicht wissen, habeich grosse Achtung vor und Sympathie für Köppel, weiler intellektuell sehr begabt und kein Konformist ist,gute Ideen hat und zuweilen über eine gewisseExzentrik verfügt. Zudem haben wir ähnlicheAnsichten. Es ist nicht leicht, ihn zu ersetzen. Leider hatuns Roger Köppel zu früh verlassen.”

Wollen Sie sich langfristig vom Jean-Frey-Verlag zurückziehen?

“Nein, ich habe dies nicht vor. Ich hege auch keineVerkaufsabsichten. Mit Gerhart Isler haben wir einenweiteren Grossaktionär gefunden, der mit seinerErfahrung Kontinuität garantieren soll. Ich bin Charlesvon Graffenried und Peter Kleiner vom St. GallerTagblatt dankbar, dass sie sich bei der Neu-strukturierung des Jean-Frey-Verlags beteiligt haben.Obwohl sie eigene Verlagshäuser vertraten und sicheiner späteren Konkurrenzsituation bewusst waren,haben sich die beiden Grandseigneurs zur Verfügunggestellt, um ein unabhängiges Verlagshaus zu retten. AlsPräsidenten habe ich 2002 Adriano Agosti vorgeschla-gen, einen intelligenten Arbeitsmenschen und Turn-around-Spezialisten, mit dem ich zusammenarbeite.Nach dem geglückten Turn-around hat er sichzurückgezogen und darf diesen Erfolg stolz in seinemLebenslauf vermelden. Diese Phase ist nun abgeschlos-sen.”

Das heisst, der Verlag wird nun neu strukturiert?

“Die neue Struktur existiert schon. Da es sich beimJean-Frey-Verlag um ein kleines Unternehmen handelt,sollten auch Doppelspurigkeiten vermieden werden.Man benötigt deswegen nur zwei Parteien. So habenwir die Verantwortung Filippo Leutenegger übertragen,der als CEO und Delegierter des Verwaltungsrates denechten Verleger spielen muss, während auf der anderenSeite die Journalisten stehen. Es gibt in diesem Kons-trukt keine unnötigen Zwischenstufen. Herr Leu-tenegger hat die Vollmacht aller Aktionäre und wirsehen jeweils erst Ende des Jahres, wie es gelaufen ist.Ein guter Chef benötigt Autonomie. So ruft mich HerrLeutenegger auch nur gelegentlich an.”

Stört Sie Leuteneggers politisches Engagement?

“Nein, ich sehe Filippo als Unternehmer und nicht alsJournalisten. Er ist ein Unternehmer, der in die Politik

gegangen ist. Bei Wirtschaftsführern war dies früherviel stärker der Fall. Aber natürlich ist auchLeutenegger ein Mann mit Licht und Schatten. Bei mirist dies nicht anders.”

Nehmen Sie Einfluss auf das Verlagsgeschäft?

“Nein, überhaupt nicht. Ich verstehe nichts vonJournalismus, sondern bin lediglich ein begeisterterLeser der Weltwoche sowie der Bilanz und desBeobachters. Dieser letzte vertritt die Bedürfnisse derso genannten Schweiz profonde. Ich erachte es als not-wendig, Bedürftigen, zu denen ich keineswegs dieParasiten zähle, ohne ideologische und moralischeAmbitionen zu helfen. Ich denke beispielsweise anallein stehende Mütter, die keine Alimente bekommen,sowie an einsame Leute, die für ihre LebensproblemeUnterstützung benötigen.”

Nehmen Sie wirklich keinen Einfluss?

“Nein. Gleichzeitig weiss ich auch, dass Journalisten zurGattung der Primadonnen gehören und notfalls auchgegen ihren Eigentümer schreiben. In welchem anderenBeruf gibt es das? Setzen Sie einen Journalisten deswe-gen vor die Tür, so stilisieren Sie ihn zu einem Märtyrer.Als mir Werner K. Rey Ende der Achtzigerjahre erklär-te, dass er den Jean-Frey-Verlag gekauft habe, antwor-tete ich nur: ‘Herr Rey, das ist die grösste Dummheit,die Sie machen konnten. Meinen Sie, deswegen hättenSie die Presse im Griff? Sie können 99 Prozent allerSchweizer Medien besitzen, die restlichen ein Prozentmachen sich eine Freude daraus, Sie zu bekämpfen.’”

Apropos Werner K. Rey. Früher wurden Sie und er von den

Schweizer Medien in den gleichen Topf geworfen. Die Bilanz hat

sie jeweils als “dubiosen Raider” aus dem Tessin dargestellt.

(Lacht.) “Ich habe dies vergessen. Aber auch Jour-nalisten müssen von etwas leben. Die Dummheiten, dieüber mich publiziert wurden, füllen Bände. DerjenigeJournalist, der mich als nett, sympathisch, aber ein biss-chen langweilig beschreibt, verkauft keine Zeitungen.”

Das tönt sehr grossmütig. War Ihnen Ihr Image wirklich egal?

“Ich bin von den amerikanischen Verhältnissengeprägt. Ein kleines Beispiel: Vor drei Jahren kämpftenwir in den USA mit Sterling gegen den Verwaltungsratund das Management einer wichtigen kotiertenGesellschaft. Wir wollten einen Teil des Verwal-tungsrates ersetzen, was uns auch gelungen ist. EinigeTage vor der Generalversammlung hat die Firma einganzseitiges Inserat mit meinem Foto im Wall StreetJournal erscheinen lassen, in welchem die Aktionärevor mir gewarnt wurden. Sollte die Firma an mich aus-gehändigt werden, so der Inhalt des Inserates, würde ichdas Geld der Aktionäre im Casino von Monte Carloverspielen. Das ist Amerika! In den Achtzigerjahrenwar ich an einer Firma beteiligt, die das Management

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von Gillette hart kritisierte. Dabei kam sogar zu einergerichtlichen Auseinandersetzung, nicht zuletzt wegender absurden Behauptungen, welche das Managementüber mich in der dortigen Presse veröffentlichte.Während des Verfahrens stellte sich heraus, dass michdie Firma während einiger Zeit von zwei ehemaligenFBI-Detektiven beschatten liess, um etwas Negativesund Kompromittierendes über meine Person zu entde-cken. Selbstverständlich hat man nichts gefunden.Mittlerweile behaupte ich aber, das diese Beschattungmein bestes Leumundszeugnis darstellt. Auch so istAmerika: hart und gleichzeitig aufregend.”

Woher stammt dieses Misstrauen, gegen welches Sie vor allem

in der Schweiz anzukämpfen haben?

“Mein ganzes Leben spielt sich immer nach demselbenMuster ab. Wer als unbekannter und mittelloserParvenü ins Rampenlicht drängt, gilt vorerst alssuspekt. Obwohl ich keinen Minderwertigkeitskomplexhabe, muss ich mich als Tessiner, der auch noch mitItalien geschäftlich verbandelt ist, dauernd beweisen.Neureiche sind immer verdächtig. Psychologisch durch-wegs verständlich, schliesslich glaubten und hofftenwohl einige, dass ich wie Tapie in Frankreich hätteenden können.”

Glauben Sie aber, dass Sie heute vollständig etabliert sind?

“Mein Image hat sich in den letzten Jahren sichergewandelt. Diejenigen, denen ich nicht sympathischbin, hoffen wohl auch, dass ich nicht mehr allzu langeim Zirkus mitmischen werde. Obwohl ich mich keines-wegs verändert habe, werde ich mittlerweile akzeptiert,wie ich bin. Ich gelte immer noch als harter Fighter.Nur eines können meine Kritiker nicht behaupten, dassich unseriös oder gar ein Bluffer bin.”

Sie sind auch schon mit Silvio Berlusconi verglichen worden.

Stört Sie dies?

“Der Vergleich hinkt. Berlusconi ist ein typischer Sohnseines Landes mit genialen Zügen. Die Wende, welcheer in Italien ausgelöst hat, konnte er aber aus verschie-denen Gründen, wie dem Fehlen des notwendigen poli-tischen Personals oder seiner ungelösten Interes-senkonflikte, nicht konkretisieren. Obwohl Berlusconiin viele Justizverfahren involviert war, ist er auch dasOpfer einer Persekution. In den letzten Jahren mussteer Hunderte Haus- und Geschäftsdurchsuchungen übersich ergehen lassen. Ich persönlich wäre gar nichterfreut, in die Hände der italienischen Justiz zu geraten.Obwohl ein Grossteil der Richter ehrlich agiert, han-deln immer noch viele aus politischen Motiven, indemsie sich als Neuauflage von Robespierre verstehen.Andere sind korrupt oder den Politikern hörig. Ichmöchte denjenigen italienischen Industriellen kennen,der in den Siebziger- und Achtzigerjahren keinSchmiergeld bezahlt hat. Dabei handelte es sich keines-

wegs um Korruption, sondern sie wurden meistenserpresst.”

Werden Sie auch bedroht?

“Nein, nur einmal wurde ich im Tessin wegen einerlächerlichen Angelegenheit erpresst. Bei der vermeint-lichen Geldübergabe konnte der Täter festgenommenund der Staatsanwaltschaft übergeben werden.Anschliessend musste er einige Jahre im Gefängnisabsitzen.”

Gab es in Ihrem Leben ein Schlüsselerlebnis?

“1959 wurde ich jüngster Tessiner Regierungsrat, trataber bereits nach eineinhalb Jahren wegen unberechtig-ter Anschuldigungen wieder zurück. Die Rolle desStaatsmannes behagte mir nicht. Dies markierte einenWendepunkt. Ich wollte danach nicht mehr als norma-ler Anwalt in Lugano arbeiten. Deswegen habe ich imgleichen Jahr die Treuhandgesellschaft Fidinam gegrün-det, an der ich heute immer noch als Ehrenpräsidentund Hauptaktionär beteiligt bin. Zwei Faktoren habenmeine Karriere bestimmt: Einerseits verfügte ich oftüber den Faktor G – also Glück –, andererseits habe ichoft im richtigen Moment am richtigen Ort die richtigeTätigkeit ausgeübt. So war ich in den SechzigerjahrenTreuhänder im Tessin. Ich sage ironisch, dass es damalssogar bei den reichen Italienerinnen Mode war, nichtnur Pelzmäntel zu besitzen, sondern auch eineSchweizer Aktiengesellschaft, ohne zu wissen warum.Anschliessend kam der Immobilienboom. Mein erstesdirektes Geschäft war folgendes. Ich wollte von einemTessiner Baumeister ein Grundstück im Süden Luganoskaufen. Im gleichen Moment kam ein MünchnerRechtsanwalt in mein Büro und fragte mich, ob er michdabei begleiten könne. Der Deutsche sprach keinItalienisch, der Tessiner kein Deutsch. Ich habe dasGrundstück im gleichen Moment, in dem ich es gekaufthabe, mit Gewinn an den Anwalt, der über dieTransaktion orientiert wurde, weiterverkauft. Damalshabe ich realisiert, wie wichtig Sprachen sind.”

Warum haben Sie das Tessin verlassen?

“Das Tessin war für meine Geschäfte zu klein, was sichaber auch als Glücksfall erwies. In Zürich oder Genfwäre dies möglicherweise nicht der Fall gewesen. Dieszwang mich, im Ausland neue Geschäftsfelder zusuchen. Auf einer Liste habe ich jene Länder aufge-führt, die für Immobilieninvestitionen interessantwären. So bin ich auf Kanada gestossen. Obwohl diemeisten Europäer zu dieser Zeit nur Montreal kannten,bevorzugte ich Toronto wegen seines amerikanischenFeelings. Ich gründete eine Tochtergesellschaft derFidinam, die später bis zu 400 Angestellte beschäftigte.So erstellten und besassen wir wichtige Gebäude wiedas Holiday Inn Downtown in Toronto, das HudsonBay Center usw. In den Siebzigerjahren verwalteten wir

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in Kanada, den USA, Australien und HongkongImmobilien im Wert von 1,5 Milliarden Dollar. Endeder Siebzigerjahre wurde die Konkurrenz der amerika-nischen Immobilienfirmen gefährlich. Aus Angst voreiner spekulativen Blase habe ich unseren Im-mobilienpark in Nordamerika verkauft, was sich alsweiterer Glücksfall erwies.”

Was trieb Sie an? Geld hatten Sie bereits genug.

“Sicher meine intellektuelle Neugier, das Interesse,neue Länder zu bereisen – aber nicht als Tourist – sowieneue Herausforderungen zu finden. Aber zum Spasserkläre ich meine Karriere mit der Notwendigkeit, eineTätigkeit auszuüben, die zunehmend salonfähig undvornehm war. Vom Baulöwen – gesellschaftlich nicht sobegeisternd – über den Financier – schon besser, abermanchmal berüchtigt – und den Industriellen – derschon als viel ernsthafter gilt – zum Buchautor –, weil esdas Maximum ist, als Intellektueller zu gelten. Ich habeIhnen hiermit meine Eitelkeit verraten (lacht). So habeich mich nach dem Verkauf der Immobilien entschie-den, nach New York zu gehen und als Financier tätig zusein, oder besser das Metier zu erlernen.In den Achtzigerjahren hatte die Reorganisation vonKonglomeraten begonnen, und es entwickelten sichgrössere profitable Möglichkeiten, in strategischeAktienblöcke von unterbewerteten kotierten Gesell-schaften zu investieren. Ich war im richtigen Momentam richtigen Ort. Mit einer Firma, an der ich beteiligtwar und die in diesem Feld tätig war, waren wir zumBeispiel die grössten Aktionäre einer kotierten US-Holding, die ihrerseits 100 Prozent von United Airlines(seinerzeit die grösste Fluggesellschaft in den USA),von Hertz Rent-a-Car, von Hilton International undWest-Inn (Hotelkette) besass. Es ist uns gelungen, dasunnötige und kostspielige Konglomerat mit einem riesi-gen Gewinn für alle Stakeholder aufzulösen. Ich erlern-te von den Amerikanern die grosse Professionalität, dasstrategische Denken und die Härte in den Verhand-lungen.”

Anschliessend kehrten Sie in die Schweiz zurück.

“Nach dem Crash von 1987 kehrte ich in die Schweizzurück. Ein weiterer Karriereschritt: Nun wollte ichErfahrungen in der Industrie sammeln. Eine SchweizerBank empfahl mir, Sulzer-Aktien zu kaufen, da dieseweit unterbewertet seien. Am Ende besass ich mitFreunden rund 35 Prozent der Aktien. Diese Präsenzstörte das Establishment (nicht zu vergessen, dass zudiesen Zeiten Sulzer eine heilige Kuh war). Wenigehaben sich über die Gründe unseres Vorgehens Fragengestellt. Der Schweizer Konformismus war zu stark.Zwei Ausnahmen: Hansjörg Abt mit seinen mutigenund gut recherchierten Artikeln in der NZZ und FrankA. Meyer, der mich zu einem Vis-à-vis im Fernseheneingeladen hat. Es prallten in diesem Fall zwei

Mentalitäten aufeinander. Ich erinnere mich noch, wielustig es war, als ich bei der Kreditanstalt eingeladenwar, um mit der Firma das Problem zu besprechen. Dortfand ich einen Generaldirektor der Bank, Rudloff, dermich mit grossen Allüren zu erschrecken versuchte.Dabei war er so gnädig und offerierte uns, das in dasAktienpaket investierte Geld zurückzuzahlen. Gemässseinen Überlegungen hätten wir damit einen grossenVerlust vermieden. Das war lustig, aber sehr bezeich-nend für die damalige Arroganz der Banken und desEstablishments. Die beiden Kulturen traten auch wäh-rend der weiteren, erfolglosen Verhandlungen zu Tage,welche die Firma anschliessend mit mir führte.”

Wodurch zeichnet sich dann die Schweizer Geschäftsmentalität

aus?

“Im Militär musste man die ganze Ochsentour vom ein-fachen Soldaten bis zum Obersten zurücklegen, bevorman überhaupt den Mund öffnen durfte, um angehörtzu werden. Dies galt auch für die Wirtschaft. Es wäreaber für die Schweizer Wirtschaft einige Milliarden bil-liger geworden, hätte man die Mentalität früher geän-dert. Obwohl dieses System auch seine Berechtigunghatte, waren nun andere Zeiten angebrochen. MeineStärke war es, dass ich im Gegensatz zu Werner K. Reyweder Schulden hatte, noch zum Establishment gehö-ren wollte, was mir eine gewisse Narrenfreiheit ermög-lichte. Werner K. Rey, dem ich meine Aktien mit gros-sem Gewinn verkauft habe, wurde schliesslich in denSulzer-Verwaltungsrat aufgenommen, sicher, weil erweit weniger widerspenstig und unabhängig war als ich.Da ich bei Sulzer nicht zum Zug kam, hat man michSaurer kaufen lassen: eine Firma in grossenSchwierigkeiten. Damals hatte sie einen Umsatz von250 Millionen Franken, als ich sie verlassen hatte, warsie die weltweite Nummer eins in der Spinnma-schinenbranche und erzielte einen jährlichen Umsatzvon 2 Milliarden Franken.”

Ihre Karriere als Regierungsrat dauerte nur kurz. Erklärt dies

Ihren Frust gegenüber der Politik?

“Nein, ich bin keineswegs frustriert, nur als Liberalerbin ich kein Freund staatlicher Interventionen.Aufgrund meiner Erfahrungen als Gross- undRegierungsrat betrachte ich heute die Politik und diepolitischen Freunde viel nüchterner, aber es war einespannende und lehrreiche Periode, in welcher ichFreundschaften geschlossen habe, die bis heute nochandauern.”

Politische Freunde?

“Die politischen Freunde sind nicht nur gefährlicheKonkurrenten, sondern auch die Freunde jener Partei,welcher man angehört. Bei mir war es die CVP. DiePolitik war für mich eine harte und lehrreiche Zeit. AlsDreissigjähriger war ich bereits Ex-Regierungsrat,

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hatte aber die Erfahrung eines Vierzigjährigen. Wie alleJungen war ich überheblich und arrogant, ein Voll-blutpolitiker ohne die Attitüden eines Staatsmannes.Die Unterscheidung zwischen echten und interessiertenFreundschaften ist sehr spannend – und auch äus-serst lehrreich. Dieselben Personen, die mich zu meinenPolitzeiten noch unterwürfig als ‘Herrn Regierungsrat’begrüssten, wechselten nach meinem Abgang dieStrassenseite und schauten verlegen auf den Boden. AlsPolitiker wäre ich viel zu ungeduldig, weil man dauerndvermitteln muss. Das ist der Unterschied zur Wirtschaft.Hier kann man Verantwortung übernehmen, raschEntscheidungen treffen und muss zu befehlen wissen.”

Bekommen Sie noch Rente als Regierungsrat?

“Nein. Ich habe nie etwas bekommen. Nicht einmal diedrei Monate Salär, die man üblicherweise den demissio-nierenden Regierungsräten gab.”

Wenn Sie die aktuelle Schweizer Politik angucken, müssen Sie

glücklich sein. Der Bundesrat verfolgt nach der Wahl der

Bundesräte Merz und Blocher eine rechte Politik.

“Das ist eine Illusion. Die heutige Politik, welche derBundesrat verfolgt, ist durch die beiden sozialdemokra-tischen Bundesräte und Herrn Deiss zentrum-linksgeprägt. Das ist weder ein Drama noch eine Schande,sondern lediglich die Realität. Leider ist das politischeKlima durch die Rivalitäten zwischen den HerrenCouchepin und Blocher getrübt. Meiner Meinung nachsind die Zeiten der Konkordanz und der Konsenspolitikdefinitiv vorbei. Das hat noch funktioniert, als dieSchweiz von wenigen Leuten regiert wurde, die sichgegenseitig vertrauen konnten. Dazu zähle ich dieVertreter des Vororts, des Arbeitgeberverbands, desGewerkschaftsbundes, des Bauernverbands sowie einpaar Bundesräte. Heute ist das vorbei. Da man sich imgleichen Club befand, war man gezwungen, sich zubenehmen. Dies hat sich geändert. Die Zivilgesellschaftist viel komplizierter geworden. So spielen mittlerweileauch Gruppierungen wie die Grünen oder dieKonsumentengesellschaften, Verkehrsclub, Nichtre-gierungsorganisationen (NGOs) usw. eine grosse Rolle.Die Politik kann gar nicht mehr alle Bedürfnisse derBevölkerung abdecken, was zu einem grossenUnbehagen führt. Dabei sollten wir nicht vergessen,dass die Anfangserfolge des Faschismus in dem erfolg-reichen Kampf gegen den Parlamentarismus, derangeblich die Vermittlung der Bedürfnisse derBevölkerung nicht mehr wahrnehmen könne, lag. Dochdies ist nur das eine: Auch die Konsensfähigkeit ist hierzu Lande ein Auslaufmodell. In der Schweiz wird einVorschlag nur gemacht, sofern man glaubt, er seikonsensfähig. Ich glaube nicht, dass Galileo Galilei sichzuerst um die Konsensfähigkeit gekümmert hat, bevorer seine Ideen durchzubringen versuchte. Ich vermissein der Schweiz eine Streitkultur, in welcher man für

seine Ideen hart und mit Überzeugung kämpft, bevordie Lösung gefunden wird.”

Aber im Bundesrat herrscht eine Streitkultur?

“Nein, das ist kein konstruktiver Streit. Ich halte meineMeinung aber zurück, weil ich gegenüber demBundesrat keineswegs unhöflich sein möchte.”

Was halten Sie eigentlich von Christoph Blocher?

“Ich bewundere Christoph Blocher aus folgendenGründen. Er ist in armen Verhältnissen aufgewachsen,wollte studieren und hat studiert. Später hat er ohneGeld eine defizitäre Firma übernommen und ist einerfolgreicher Industrieller geworden. Er hat eine Parteiübernommen, die er von 15 auf 27 Prozent gebracht hat.Er ist ein sehr guter, volkstümlicher und humorvollerRhetoriker und indem er auf intellektuelle Reden ver-zichtet, verstehen ihn die Leute besser und folgen ihm.Und zuletzt: Blocher wollte immer Bundesrat werdenund ist es auch geworden. Dazu darf man seine familiä-ren Verhältnisse und die erfolgreiche Erziehung seinerKinder nicht vergessen. Obwohl ich nicht in allenPunkten mit ihm einverstanden bin, ist er sicher einhart arbeitender, guter Bundesrat.”

Gab Ihre politische Gesinnung den Ausschlag, beim Jean-Frey-

Verlag einzusteigen?

“Es wäre unaufrichtig, dies zu verneinen. Die Tatsache,dass der Jean-Frey-Verlag an einen grossen Verlag ver-kauft werden könnte, der sich vor allem durch politicalcorrectness auszeichnet, hat meinen Entscheid mitbe-einflusst.”

Hatten Sie mit dem Ringier-Verlag negative Erfahrungen

gemacht?

“Nein, ich schätze Michael Ringier sehr. Er ist einbegabter Verleger, der seine Sache sehr gut macht, nurteile ich die politische Ausrichtung und das Be-lehrenwollen seiner Zeitungen nicht. Die herrschendeAuffassung, wonach ein guter Schweizer links sein soll-te, widerstrebt mir. Ich bin überzeugter Kapitalist undglaube auch, dass der Kapitalismus das beste System ist,um Reichtum zu schaffen. Viele der heutigenJournalisten sind Alt-Achtundsechziger. Auch dies istnormal. In der Jugend sollte man auch linke Idealeverfolgen, ansonsten ist etwas falsch gelau-fen. Aber mit dem Alter sollte man reifen …”

Sie selbst waren ein Anhänger von Fidel Castro ...

“Das ist zu viel gesagt. Ich habe nur gesagt, als Kubanerhätte ich für Castro gegen Diktator Batista gekämpft.Aber das ist verständlich. Ich war beispielsweise nie einAnhänger von Pol Pot.”

Nochmals zum Jean-Frey-Verlag. Ist man auf Sie zugekommen,

oder haben Sie den Kontakt gesucht?

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“Ich wurde durch die Swissfirst Bank auf die ganzeGeschichte aufmerksam. Ich habe das Angebot geprüftund kam zum Schluss, dass man beim Jean-Frey-Verlagohne übermässiges Risiko in eine gute Sache investie-ren kann, bei welcher in kürzester Zeit auch ein Turn-around möglich sein sollte.”

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

“Ja, sicher. Wir haben uns drei Jahre gegeben. Nacheinem Jahr haben wir bereits den Break-even erreicht.Seither geht es nur noch aufwärts.”

Obwohl Sie sich gedanklich immer wieder mit der Schweiz

beschäftigen und auch Bücher darüber schreiben, zahlen Sie

einen Grossteil Ihrer Steuern in England.

“Ich zahle auch Steuern im Tessin, bin aber in Londonsesshaft, weil es für meine internationalen Kontakte einviel besserer Standort ist. Trotzdem bin ich einKosmopolit mit Schweizer Pass und Tessiner Wurzeln.So veranstalten wir alljährlich in meinem Haus inLugano ein Boccia- und Jassturnier oder überquerenmit den ehemaligen Mitgliedern des Schwimmclubs denSee, wobei aber nur noch drei – darunter ich – schwim-men. Sie sehen, ich habe meine romantische Aderbehalten.”

Womit beschäftigen Sie sich am meisten?

“Das Präsidium der Sterling beansprucht mich viel.Momentan verfolge ich mit grösstem Interesse auch diewirtschaftliche Entwicklung im Fernen Osten. Wirbesitzen Immobilien in Shanghai, eine unserer Haupt-tätigkeiten ist aber die Produktion von elektrischerEnergie in China. Daneben präsidiere ich den VereinZivilgesellschaft, welchen ich mitinitiiert habe und derunter anderem alle zwei Jahre ein Kolloquium mit aus-gewählten Vertretern der Schweizer Zivilgesellschaftorganisiert. Das diesjährige Kolloquium wird sich mitdem Thema ‘Sind unsere westlichen Werte in Gefahr?’beschäftigen.”

Was macht Ihnen momentan am meisten Bauchweh?

“Bauchweh bekomme ich nur, wenn ich abends zu vielKäse esse. Meine Stimmung wäre viel schlechter, wennich bei allem, womit ich mich beschäftigte, sogleichSchmerzen bekäme. Geschäfte sind keine An-gelegenheit des Bauches, sondern der Nerven. Mit demAlter sollten die Nerven noch besser werden. Businessist wie Golf spielen; wirklich erfolgreich ist nur derjeni-ge, der alle 18 Löcher zufrieden stellend absolviert hat.”

Rückblickend gesehen, was war Ihr grösster Fehler?

“Es mag überheblich klingen, doch ich kann mich ankeinen grossen Fehler erinnern. Das ganze Lebenbesteht aus plus und aus minus. Fehler machen wir alletäglich. Möglicherweise war es falsch, aufgrund einesfreundschaftlichen Tipps, in eine südamerikanische

Goldmine zu investieren. Dabei hat sich die Erkenntnisvon Mark Twain, wonach eine Goldmine ein Loch miteinem Lügner an der Spitze sei, voll bewahrheitet.”