Text and performance analysis Shakespeare - Gibt es ein Romeo und Julia Indiens?

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I NHALTSVERZEICHNIS 1. EINLEITUNG 2. TEXTSEMIOTISCHE ANALYSE 3. GIBT ES EIN „ROMEO UND JULIA“INDIENS? 3.1. das Aufeinandertreffen zweier gegensätzlicher Welten Parallelen in der Darstellung der jeweiligen Familien 3.2. Szenenvergleich 3.3. Parallelen im Bereich der Kostüme 3.4. Parallelen in der Kinesphere 4. KONKLUSION 5. BIBLIOGRAPHIE

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Term paper for the subject: text and performance analysis: language: german / mark: 1 (= A)If we look very closely we will find Shakespear's main idea of Romeo and Juliet everywhere: two persons who love each other but can't be together because of their family. That's what this work is about: it's a comparison between the Film "Romeo & Juliet" from Baz Luhrman and the Bollywood - Movie "Khabie Kushi Khabi Gham".Wenn wir genau hinsehen finden wir Shakespeares Romeo & Julia - Idee überall: zwei Liebende die aufgrund ihrer Familie nicht zusammen sein können. Darum geht es in dieser Arbeit. Es ist ein Vergleich des Hollywood-Movies: Romeo & Juliet von Baz Luhrmann und dem Bollywood-Movie: Khabi Kushi Khabi Gham.

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II NN HH AA LL TT SS VV EE RR ZZ EE II CC HH NN II SS

11.. EEIINNLLEEIITTUUNNGG

22.. TTEEXXTTSSEEMMIIOOTTIISSCCHHEE AANNAALLYYSSEE

33.. GGIIBBTT EESS EEIINN „„RROOMMEEOO UUNNDD JJUULLIIAA““ IINNDDIIEENNSS??

3.1. das Aufeinandertreffen zweier gegensätzlicher Welten

Parallelen in der Darstellung der jeweiligen Familien

3.2. Szenenvergleich

3.3. Parallelen im Bereich der Kostüme

3.4. Parallelen in der Kinesphere

44.. KKOONNKKLLUUSSIIOONN

55.. BBIIBBLLIIOOGGRRAAPPHHIIEE

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11 EEIINNLLEEIITTUUNNGG

„Indien ist eine multi-ethnische, multi-linguale und multi-religiöse Gesellschaft1.“

Um den Subkontinent Indien als großen Ganzen zu erfassen und die teilweise noch

heute gelebten Traditionen sowie den indischen Film verstehen zu können, muss

man zumindest die Grundlagen der verschiedenen Religionen, der Riten und

Mythen sowie die ältesten religiösen Schriften und den geschichtlichen Hintergrund

dieser Jahrtausende alten Nation kennen. Die wichtigsten Werke sind hierbei das

Ramayana, das Mahabharata und die Veden. Spricht man vom Subkontinent Indien,

so ist die Rede vom Schmelztiegel der religiösen Strömungen und Kulte, der

Sprachen, der Traditionen, Riten und Mythen.

Die Frage „Wie viel >>Romeo & Julia<< steckt im indischen Bollywood-Film der

Gegenwart?“ mag wohl anfangs etwas ungewöhnlich klingen, doch bei näherer

Betrachtung wird man feststellen, dass viele der Handlungen der Bollywood-

Blockbuster schon mal da gewesen sind. Meist handelt es sich dabei um eine

altbewährte Geschichte, welche in ein neues Gewand – bestehend aus den indischen

Traditionen, den eben erwähnten Mythen und Riten, den Gegebenheiten des heute

vorherrschenden indischen Alltags sowie bunt geschmückten Tanzszenen – verpackt

wurden. Nach wie vor kreist das religiöse Leben um die Familie und die eigene

Kaste, was natürlich in beinahe jedem Bollywood Blockbuster in Form von Pujas,

Andachts- und Gebetszeremonien, filmisch dargestellt wird und starke Parallelen zu

den Standesunterschieden in der Zeit des Klassikers „Romeo & Julia“ erinnern. Ein

Beispiel dafür ist der Film Khabi Kuschi Khabi Gham, auf welchen ich nachher noch im

Detail eingehen werde. Bei genauerer Betrachtung wird der aufmerksame Rezipient

sich sicherlich wundern woher er die eine oder andere Szene kennt und dann

erstaunt festzustellen, dass es hier tatsächlich Parallelen zwischen dem westlichen

Kino Europas bzw. Amerikas sowie dem östlichen Kino des indischen Subkontinents

gibt. Er wird sogar feststellen können, dass viele der heute populären Filme, auf

Elemente aus Shakespeares „Romeo und Julia“ zurückgreifen und diese in eine für

Indien gültige Form bringen. Für manche Zuschauer mag dies nun wie eine Kopie

1 Uhl, Matthias / Kumar, Keval J.: Indischer Film. Eine Einführung. Bielefeld: Transcript, 2004. S. 56

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einer bereits da gewesenen Idee aus dem Westen wirken, doch betrachtet man den

geschichtlichen Hintergrund des indischen Filmbusiness etwas genauer, so wird man

rasch feststellen, dass die Wurzeln jener Branche sehr eng verknüpft sind mit den

Wurzeln der Entstehung des Films in Europa. Aufgrund der Anbindung an die

Kolonialmacht Großbritannien, verfügte Indien bereits zum Zeitpunkt der ersten

Filmvorführung über exzellente internationale Verbindungen.

Wie viel „Romeo und Julia“ steckt nun aber im populären indischen Bollywoodfilm

der Gegenwart? Obwohl das Ende des ausgewählten indischen Bollywoodfilms eher

einem Happy End entspricht, lassen sich viele Parallelen zur Verfilmung des

Shakespeareklassikers „Romeo und Julia“ finden. Daher werde ich dieser Frage,

anhand des indischen Filmes „Khabi Kushi Khabi Gham“, im nun folgenden Text auf

den Grund gehen.

22 TTEEXXTTSSEEMMIIOOTTIISSCCHHEE AANNAALLYYSSEE

Zu Beginn widme ich mich dem Prolog aus Baz Luhrmanns „Romeo und Julia“ sowie

mit dem Prolog bzw. der ersten musikalischen Tanzszene aus Karan Johars „Khabi

Kushi Khabi Gham“ um die Parallelen zu verdeutlichen und deren Bedeutung im

Vergleich zu analysieren.

Betrachten wir zunächst den eben erwähnten Prolog aus der Originalfassung des

Hollywoodfilms von 1996.

Zwei Häuser, beide an Ansehen gleichEntfach neuen Streit aus altem Hass

Im lieblichen Verona, dem Schauplatz unseres StückesUnd Bürgerblut beschmutzet BürgerhändeAus unheilvollem Schoß der beiden FeindeEntspringt ein Liebespaar, unsternbedroht

Und es begräbt welch jammervoll und furchtbar traurig LosDer Väter fortdauernden Streit ihr Tod.

Von dieser Liebe, die vom Tod gezeichnet,der Wut der Eltern, die von neuem stets entbranntund durch den Tod der Kinder erst ihr Ende fand.

Davon soll hier berichtet werden.

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Die erste sowie die letzte Zeile setzen die Rahmenhandlung für den Rezipienten fest.

Es wird deutlich klar gemacht warum es in diesem Film geht: „Zwei Häuser, beide

an Ansehen gleich […] Davon soll hier berichtet werden“. Der Rezipient weiß nun,

dass es sich um die Geschichte zweier Familien handelt. In den darauf folgenden

Zeilen treffen mehrere Isotope aufeinander. Einerseits wird hier von der Liebe bzw.

einem Liebespaar gesprochen, andererseits jedoch vom Hass, von Streit, von Feinden

sowie vom Tod. Man kann davon ausgehen, dass diese Isotope von Shakespeare,

und in weiterer Folge von Baz Luhrmann, verwendet wurden um dem Rezipienten

den krassen Gegensatz der Geschichte klarzumachen, der hier vorherrscht.

Kommen wir nun zu dem Bollywoodfilm „Khabi Kushi Khabi Gham“. Um hier

Parallelen zu Shakespeares „Romeo & Julia“ bzw. zu Baz Luhrmanns Hollywood-

Verfilmung des gleichnamigen Stückes ziehen zu können, bedarf es der Analyse des

Prologs, mit welchem ich nun beginnen werde, sowie der Analyse des ersten Songs

aus der Eingangszene. Gesprochen wird dieser Prolog von Yash und Nandini

Raichand, den Eltern des Protagonisten Rahul Raichand.

Warum kann ein Vater seinem Sohn nicht sagen, wie sehr er ihn liebt?

Warum nimmt er ihn nie in den Arm und sagt: Ich liebe dich, mein Sohn.

Und die Mutter?

Sie sagt es ohne Unterlass, ob er es nun hören will oder nicht.

Was aber nicht heißt, dass der Vater den Sohn weniger liebt.

Niemand kann ermessen, wie sehr eine Mutter ihren Sohn liebt.

Auch sie nicht, denn ihre Liebe ist unermesslich.

Die Gefühle einer Mutter muss man selbst verspüren…

Rahul, mein Sohn, mein Leben.

It’s all about loving your parents.

Hier ist festzustellen, dass es sich bei dem – abwechselnd von Yash und Nandini –

gesprochenen – Dialogen um die Beziehung einer Familie geht. Dem Rezipienten

wird spätestens mit dem letzten Satz: „It’s all about loving your parents.“ bewusst,

wovon dieser Film handelt: um die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern. Dieser

Satz deutet dem Rezipienten nicht nur den Rahmen der Handlung an, sondern

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entspricht auch dem bereits vorhin erwähnten Eingangssatz aus „Romeo und Julia“:

„Zwei Häuser, beide an Ansehen gleich […] Davon soll hier berichtet werden“ im

Kontext der indischen Traditionen. Wie bereits erwähnt, wird bei „Romeo und Julia“

auch damit die Rahmenhandlung bekannt gegeben. Noch unerwähnt bleiben hier,

im indischen Pendant, genauere Details über die Familie selbst, um die es sich hier

handelt, sowie um den Handlungsort des Dargestellten. Was uns die Worte des

Prologs vorenthalten, liefern uns die im Film nachfolgenden Bilder. Es handelt sich

dabei um eine narrative Abfolge von Bildern die uns das Leben der Familie Raichand

näher bringen, uns ihr Haus zeigen, den Lebensstandard präsentieren den sie führen,

sowie uns mit den Riten und Traditionen der indischen Kultur vertraut machen.

Doch wo lassen sich hier Parallelen zu Shakespeares „Romeo und Julia“ finden? Wo

wird das Aufeinandertreffen von Isotopen aufgezeigt und was soll damit

ausgedrückt werden? Um dies näher zu betrachten, müssen wir tiefer in die

Handlung des Films eintauchen und die erste musikalische Tanzszene untersuchen.

Bei dieser Szene handelt es sich um die Darstellung des indischen Lichterfests

„Diwali“. Es handelt sich um eine Binnenhandlung, welche eingebettet ist in die

Rahmenhandlung. Um dem Rezipienten diese Handlung klar zu machen, bedient

man sich hier einer Ellipse, die mit der Darstellung des Anwesens der Familie

Raichand so wie den Worten: „Raichand House. Diwali, 10 years ago“ beginnt.

In guten wie in schweren Tagen.Nichts vermag uns zu entzweien, nicht im Glück, nicht im Leid.

Ich spüre dich in jedem Atemzug, mein Leben gehört dir allein. (2 x)Ich bete dich an, mein Leben lang.

Alles liegt in deiner Hand, in guten wie in schweren Tagen.Nichts vermag uns zu entzweien, nicht im Glück, nicht im Leid.

Ich spüre dich in jedem Atemzug, mein Leben gehört dir allein. (2 x)Ich bete dich an, mein Leben lang.

Alles liegt in deiner Hand, in guten wie in schweren Tagen.Nichts vermag uns zu entzweien, nicht im Glück, nicht im Leid.

Zu deinen Füßen entzünden wir der Liebe Licht. In allem, was wie sehen, sehen wir nur dich … (2x)

Dein Name soll für immer auf unseren Lippen sein.Deine Liebe soll unsere Herzen erfüllen.

Alles liegt in deiner Hand, in guten wie in schweren Tagen.Nichts vermag uns zu entzweien, nicht im Glück, nicht im Leid.

In guten wie in schweren Tagen.Nichts vermag uns zu entzweien, nicht im Glück, nicht im Leid.

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Dieses Lied wird vorgetragen von Nandini (der Mutter des Protagonisten Rahul).

Wie bereits im Prolog von Baz Luhrmanns „Romeo & Julia“ treffen auch hier mehrere

Isotope aufeinander. Bereits in der ersten Zeile des Liedes ist dies deutlich erkennbar:

„In guten wie in schweren Tagen“. Diese Zeile zieht sich durch das ganze Lied und

wird mehrfach wiederholt. Genauso verhält es sich mit den beiden Isotopen Glück

und Leid, die das erste Mal in der zweiten Zeile des Liedes vorkommen. Die

Parallelen zu „Romeo und Julia“ finden sich in den Worten Liebe und Leid. Obwohl

letzteres in dieser Form natürlich nicht in der Hollywoodverfilmung vorkommt,

vermittelt es dem Rezipienten dennoch die wichtige Information: es handelt sich hier

auch um Liebe und dadurch entstandenes Leid, wie dies bereits in „Romeo und Julia“

der Fall war, durch die Vermittlung der Worte Liebe und Tod.

33 GGIIBBTT EESS EEIINN „„RROOMMEEOO UUNNDD JJUULLIIAA““ IINNDDIIEENNSS??Betrachtet man beide Verfilmungen voneinander getrennt, würde man die eben

erwähnte Frage wohl auf den ersten Blick verneinen. Befasst man sich allerdings

etwas genauer mit dieser Thematik bzw. geht man in die Tiefen beider Filme und

versucht gewisse Aussagen – die uns Wörter, Bilder, Gesten und Mimik vermitteln –

so sind sehr wohl eindeutige Parallelen zu entdecken. Um dies zu verdeutlichen

werde ich zunächst das Aufeinandertreffen zweier Isotope – Montagues vs. Capulets

bzw. Raichands vs. Khans, näher beleuchten, mich danach den Parallelen im Bereich

der Kostüme bzw. der Szenen (anhand ausgewählter Szenen) widmen und

abschließend auf die Parallelen in der Kinesphere näher eingehen.

33..11.. ddaass AAuuffeeiinnaannddeerrttrreeffffeenn zzwweeiieerr ggeeggeennssäättzzlliicchheerr WWeelltteenn

Als besonders interessant stellt sich für mich die Tatsache dar, wie die jeweiligen

Familien dem Rezipienten präsentiert werden. Gibt es Parallelen? Gibt es

Unterschiede in der Darstellung der Familie? Ist es für den Rezipienten eindeutig

erkennbar welches dargestellte Mitgliede welcher Familie angehört? Diese Fragen

werde ich nun anhand der nachfolgenden Punkte behandeln und werde dabei

insbesondere auf Details in der Darstellung der Hauptfiguren Romeo Montague und

Julia Capulet bzw. Rahul Raichand bzw. Anjali Khan eingehen um interessante

Parallelen bzw. auch Unterschiede erkennbar zu machen.

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Parallelen in der Darstellung der Familie Capulet bzw. der Familie Raichand

Sowohl die Capulets als auch die Raichands werden dem Rezipienten als äußerst

wohlhabend präsentiert. Von besonderem Interesse ist die Einführung des

Beobachters in die beiden Familien, die sehr starke Parallelen aufweist. Bei der ersten

Vorstellung dieser, fällt der Blick des Zuschauers zunächst unweigerlich auf das

Anwesen beider Familien, das sich als sehr ähnlich erweist. Bei beiden Häusern

handelt es sich um prachtvolle große Villen, die von einem überaus großzügigen

Park umgeben werden. Der große Unterschied in der Darstellung beider Familien

liegt darin, dass sowohl Familie Capulet als auch Familie Montague in der

Hollywoodverfilmung bereits vor dieser Szene präsentiert wird, ihre indischen

Pendants jedoch erst im Laufe des Filmes näher gebracht werden. Baz Luhrmann hat

sich für die direkte Vorstellung beider Familien entschieden, in dem er gleich zu

Beginn des Filmes die eigentlich letzte Szene zeigt, die Trauer um die verstorbenen

Kinder. Bereits zu diesem Zeitpunkt wird der Rezipient mit den einzelnen

Mitgliedern der Familie durch das Einblenden des Namens und des

Verwandtschafts-Bezuges vertraut gemacht (z.B.: der Zuschauer sieht das Bild von

Julias Vater und liest darunter „Fulgencio Capulet, Julia’s Father“). Dies bringt uns

jedoch bereits zur nächsten Parallele. Um den Zuschauern die Familie und die

Umstände, die schlussendlich bei „Romeo und Julia“ zum Tod der Kinder bzw. bei

„Khabi Kushi Khabi Gham“ zur Entzweiung der Familie geführt haben, näher zu

bringen, bedienen sich beide Regisseure einer Ellipse. Dies wird besonders deutlich

durch das Präsentieren von Szenen aus den fortgeschritteneren Teilen des Filmes

und dem darauf folgenden „Sprung in die Vergangenheit“ mittels der eben

erwähnten Filmtechnik. Interessant gelöst ist auch der für den Rezipienten sichtbare

Unterschied zwischen den Capulets und Montagues bzw. den Raichands und Khans.

Sowohl die westliche als auch die östliche Verfilmung des Klassikers lassen keinen

Zweifel daran, welche der gezeigten Personen welcher Familie angehören. Im Film

wird der Unterschied wie folgt gelöst. Die Darstellung der „Capulet-Boys“ stellt ein

krasses Gegenteil zur Darstellung der „Montague-Boys“ dar. Während erstere im

„Latino-Outfit“ gezeigt werden, entsprechen letztere eher dem „Sunny-Boy-Image“.

Ebenso präzise ist auch die Darstellung der Raichands bzw. Khans. Die Unterschiede

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sind durch die klassischen indischen Gewänder der jeweiligen Gesellschaftsschichten

deutlich zu sehen. Doch darauf werde ich später noch genauer eingehen. Nun

möchte ich jedoch nochmals auf den vorhin angesprochenen Reichtum beider

Familien zurückkommen. Dieser wird sowohl in der Hollywood- als auch in der

Bollywoodproduktion durch kleine Details stark deutlich. Im gewählten Beispiel von

Baz Luhrmann zeigt sich dieser Prunk bzw. das „zur Schau stellen“ von Macht

zunächst durch die Kameraeinstellung, die uns einen Blick auf den Firmensitz der

Montagues gewährt. Genauso wie in Karan Johars Werk ist dies ein Hochhaus im

Zentrum der Stadt. Ein weiteres Beispiel für den finanziellen Einfluss beider

Familien wird durch pompöse Feste (in „Romeo und Julia“ ist dies der Maskenball, in

„Khabi Kushi Khabi Gham“ ist dies eine große Geburtstagsfeier von Yash Raichand)

verdeutlicht. In der Darstellung der Eltern hat sich Karan Johar jedoch nicht ganz an

die „Vorgaben“ des westlichen Vorbildes gehalten. Während Gloria Capulet in der

Hollywoodverfilmung als überhebliche, affektierte Person der Oberschicht, welche

mehr um das Ansehen der Capulets als um ihre eigene Tochter besorgt zu sein

scheint, dargestellt wird, so zeigt das Bild von Nandini Raichand, der Mutter Rahuls,

eine eher stille, zurückhaltende, liebevolle Mutter die sich, zum Wohle aller, den

Regeln der patriarchalisch geführten Familie beugt. Dies mag vermutlich jedoch

deshalb so sein, da die Umsetzung des altbekannten Stoffes, in dieser neuen

indischen Version, immer im traditionellen und religiösen Kontext des indischen

Subkontinents zu sehen ist, der natürlich heute wie damals besonderes Augenmerk

auf die Vermittlung von (möglicherweise bereits überholten) Werten ist. Was die

Darstellung von Fulgencio Capulet bzw. Yash Raichand, den Vätern, betrifft, so wird

dem aufmerksamen Beobachter jedoch nicht entgehen, dass das indische Pendant

beinahe exakt der westlichen Vorgabe entspricht. Beide Männer strahlen Reichtum,

beruflichen Erfolg und nicht zuletzt Macht aus, die sie letzten Endes benützen um

ihren Kindern ihren Willen aufzuzwingen (è „Heiratsvermittlung“ beider Väter

gegen den Willen ihrer Kinder).

Von besonderem Interesse ist jedoch die Darstellung der beiden Hauptfiguren dieser

Familie: Julia Capulet und Rahul Raichand. Wenn man die beiden Figuren betrachtet,

mag man zunächst mehr Unterschiede als Parallelen finden, doch dem ist durchaus

nicht so. Rahul Raichand wird als erfolgreicher, moderner, junger Inder dargestellt,

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der vor Selbstbewusstsein strotzt. Julia hingegen verkörpert eher die zurückhaltende,

schüchterne Seite, was jedoch vermutlich auf ihr junges Alter zurückzuführen ist.

Trotz dieser Unterschiede gibt es allerdings eine starke Gemeinsamkeit der beiden,

die mehr ihre Erziehung als ihr Alter betrifft. Hierbei handelt es sich um den Respekt

vor den Eltern bzw. ihre Willenskraft. Zwar sind sowohl Julia als auch Rahul alles

andere als begeistert von der Idee ihrer Väter, sie mit jemandem verheiraten zu

wollen den sie gar nicht lieben, dennoch akzeptieren beide schlussendlich die

Entscheidung und drücken dies mit Worten aus, die deutlich den Respekt vor den

Eltern zeigen. Julia tut dies zwar in einer etwas impulsiveren Art, die so gar nicht

ihrer sonstigen Darstellung entspricht, dennoch ist das Ergebnis das Selbe: sie

akzeptieren den Wunsch ihrer Eltern, heiraten aber schließlich doch ihre Geliebten

gegen den Willen bzw. ohne das Wissen ihrer Eltern.

Schlussendlich mag dem Zuschauer wohl noch ein erwähnenswerter Unterschied in

der Darstellung der Familien auffallen. In der Hollywoodproduktion ist Julia das

einzige Kind ihrer Eltern, im indischen Bollywoodfilm hat Rahul jedoch noch einen

jüngeren Bruder namens Rohan, der in weiterer Folge noch einen wichtigen Part

einnehmen wird. Die Tatsache, dass Rahul nicht als Einzelkind bzw. seine Familie als

eine Familie, die reich an Mitgliedern ist, präsentiert wird, kann darin begründet

werden, dass auch dies eine Tradition des indischen Subkontinents ist. Selten gibt es

filmische Familien die lediglich über ein Kind verfügen bzw. bei welchen nicht

mindestens drei Generationen unter einem Dach leben. Genau so verhält es sich auch

im Fall der Anjali Khan und ihrer Familie, die ich nun im Vergleich mit den

Montagues genauer betrachten werde. Die Parallelen in der Darstellung der Khans

bzw. der Montagues sind durchaus nicht so groß wie bei ihren „verfeindeten“

Pendants, dennoch gibt es auch hier einige die ich nun anhand einiger Beispiele

verdeutlichen möchte.

Parallelen in der Darstellung der Familie Khan und der Familie Montague

Bereits das 6. Kapitel zeigt die lebenslustige Anjali Khan, wie sie – als Ausdruck der

Freude über den Sieg des indischen Kricket-Teams – auf offener Straße die Fahne

Indiens schwingt und dort auch gemeinsam mit Bekannten feiert. Sie trägt einen

farbenprächtigen Suit, welcher den aufmerksamen Betrachter natürlich sofort

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erkennen lässt, welcher Gesellschaftsschicht Anjali angehört, doch darauf werde ich

später noch näher eingehen. Ganz im Gegenteil zur Darstellung des Romeo, der dem

Rezipienten als moderner junger, nachdenklicher, sogar ein wenig schwermütiger,

Mann präsentiert wird, stellt das Auftreten Anjalis eine Fröhlichkeit bzw. eine

Unbesorgtheit dar. Ebenso wie Rahul Raichand, ist auch Anjali Khan kein

Einzelkind. Ihre Geschwister heissen Ruksha und Pooja (letztere übernimmt genauso

wie Rohan Raichand in weiterer Folge noch eine wichtige Rolle im Film). Warum

dies so vom Regisseur Karan Johar in dieser Art und Weise dargestellt wurde, wurde

bereits vorhin erläutert.

Die Vorstellung des Vaters der Familie Khan entspricht, in gewissem Maße, wieder

der Darstellung des Ted Montague. Es mag den Rezipienten vermutlich etwas

überraschen, da er – ganz im Gegensatz zu Yash Raichand – seine Familie nicht

patriarchalisch führt. Dies wird deutlich erkennbar durch die Art und Weise wie er

mit seiner Frau spricht bzw. durch die Worte, die er zu seiner Tochter Anjali sagt:

„Auch du wirst eines Tages heiraten mein Kind. Das einzige worum ich Gott bitten

möchte ist, dass der Mann, den du heiratest, dich noch mehr liebt, als ich“. Hier gibt

es im Gegensatz zur Ansprache von Yash Raichand an seinen Sohn, keine Rede von

Ehre, Schande als Zeichen der Macht und drückt für mich damit eindeutig die

Stellung der Familienmitglieder zueinander aus, die in diesem Fall eine Herzlichkeit

ausdrückt, welche beim Vater von Rahul Raichand, in dieser Art und Weise, im

Umgang mit den Mitgliedern seiner Familie nicht so deutlich zu erkennen war.

Genauso verhält es sich auch im Falle der Eltern Romeos. Zwar werden diese in der

Hollywoodverfilmung nicht so exakt präsentiert wie die Eltern der Familie Khan im

indischen Pendant, dennoch zeigt sie uns eine eindeutige Parallele die man

unmöglich übersehen kann. Beide Väter führen ihre Familie nicht in patriarchalischer

Weise. Ganz im Gegenteil, ihre Bemühungen stehen ganz im Zeichen des Wohles

ihrer Kinder. So wird Ted Montague gleich zu Beginn des Filmes gemeinsam mit

seiner Frau in einer Szene gezeigt, in der sich beide Elternteile große Sorgen um ihren

Sohn machen, der immer deprimierter und zurückgezogener wirkt. Ach die Sorge

von Anjalis Vater gilt nicht in erster Linie der Sorge wen sie heiratet, sondern der

Tatsache, dass er sich für die Zukunft seiner Tochter einen Schwiegersohn wünscht,

der diese in erster Linie glücklich macht. Wie bereits vorhin erwähnt ist eine

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eindeutige Unterscheidung der Familien Montague und Capulets bzw. Khans und

Raichands durch die Kleidung der beiden Familien möglich, welche dem

Rezipienten durchaus hilfreich ist.

33..22.. SSzzeenneennvveerrgglleeiicchh

Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass ein „Romeo & Julia“ Indiens tatsächlich

existiert. Doch nicht nur die Darstellung der Familien (und deren Umfeld) an sich,

zeigt uns bereits eindeutige Parallelen sowie deutliche Unterschiede in der

Verfilmung von Shakespeares Klassiker. Auch im Vergleich einzelner Szenen wird

der aufmerksame Beobachter feststellen, dass Gemeinsamkeiten durchaus

vorhanden sind, die ich nun wie kurz darstellen werde.

Kostümball in der Villa der Capulets vs. Volksfest von Chadni Chowk

Die Begegnung der beiden Hauptfiguren, der Liebenden, stellt abermals eine

unübersehbare Parallele zwischen Baz Luhrmanns „Romeo und Julia“ und Karan

Johars „Khabi Kushi Khabi Gham“ dar. In beiden Produktionen ist es der Bräutigam,

der seine Geliebte in deren Haus kennen lernt. In Baz Luhrmanns

Hollywoodverfilmung des Klassikers „Romeo und Julia“ trifft Romeo das erste Mal

auf Julia, als er zu Gast in ihrem Haus ist und am Kostümball der Familie Capulet

teilnimmt. In Karan Johars Bollywoodfilm „Khabi Kushi Khabi Gham“ trifft Rahul auf

seine Geliebte auf dem Volksfest von Chadni Chowk, wo er sich in Anjalis Haus

befindet. Alle Darsteller – sowohl Romeo und Julia als auch Anjali und Rahul – sind

vom Anblick ihres Pendants überwältigt ohne jedoch im ersten Augenblick zu

wissen wer ihnen gegenübersteht.

Die Eltern teilen ihren Kindern mit, dass ihre Hochzeit beschlossene Sache ist

Teil beider Geschichten ist die Tatsache, dass die Eltern über das Glück bzw. die

Zukunft ihrer Kinder entscheiden oder dies zumindest versuchen, wie es die

Tradition dieser Zeit vorschreibt. Der Unterschied darin besteht jedoch in der

Tatsache, dass dies in Baz Luhrmanns Hollywoodverfilmung des Klassikers zu

einem Zeitpunkt geschieht, an dem Romeo und Julia bereits vermählt sind. Im

Gegensatz dazu, fasst Rahuls Vater diesen Entschluss bevor eben erwähnter seine

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Geliebte Anjali heiratet. Dennoch besteht die eindeutige Parallele in der Tatsache,

dass weder Julia noch Rahul äußerst angetan von der Idee ihrer Eltern sind. Dies

gestaltet sich in den zu untersuchenden Filmen unterschiedlich. Während Julia außer

sich ist, ja beinahe verzweifelt wirkt und dies auch durchaus ihrer Mutter so mitteilt,

zeigt Rahuls Gesichtsausdruck eher Schockmomente als ihm der Entschluss

mitgeteilt wird. Die beiden teilen jedoch abermals eine Gemeinsamkeit: den bereits

zuvor erwähnten Respekt der Eltern mit der sie die Entscheidung ihrer Eltern

annehmen. Beide wissen um die Traditionen der vorherrschenden Gesellschaft

Bescheid und akzeptieren daher die von ihren Vätern getroffene Entscheidung

(zumindest vorerst).

Die Hochzeit von Julia & Romeo bzw. Anjali und Rahul

Auch die Tatsache, dass die Eltern nicht mit der Wahl ihrer Kinder einverstanden

sind, diese sich dennoch entschließen eine Eheschließung mit den von den Familien

ungewünschten Partnern vorzunehmen, deutet eine Parallele an. In diesem Fall ist es

zwar umgekehrt (in „Khabi Kushi Khabi Gham“ ist es der Bräutigam der gegen seinen

Willen seiner Eltern verheiratet werden soll, in „Romeo und Julia“ ist es die Braut),

dennoch ist das Ergebnis das Selbe: sie heiraten ohne die Einwilligung ihrer Eltern.

Die Eheschließung selbst erfolgt in beiden Filmen nach den Traditionen der

jeweiligen Kultur. In Fall des Filmes „Romeo & Julia“ wird dem Rezipienten eine

kirchliche Trauzeremonie präsentiert, an welcher lediglich die Amme Julias als

einziges Familienmitglied, teilnimmt. Wie es bei solchen Zeremonien üblich ist, wird

auch die Szene des Ringtausches gezeigt, welche sich als wichtige Parallele zum

ausgewählten indischen Bollywoodfilm darstellt. Auch im Film „Khabi Kushi Khabi

Gham“ heiraten Rahul und Anjali nach der Hindi-Tradition in einem Hindu-Tempel.

Eine erwähnenswerte Parallele stellt dabei die indische Tradition des Verknüpfens

des Schals des Bräutigams mit dem Schal der Braut dar. Sie entspricht etwa der

vorhin erwähnten Tradition der Ringzeremonie. Anders als beim Hollywoodfilm, ist

nur die Familie der Braut in die Eheschließung des Liebespaares involviert. Die

Familie des Bräutigams erfährt erst im Nachhinein davon.

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33..33.. PPaarraalllleelleenn iimm BBeerreeiicchh ddeerr KKoossttüümmee

Eine weitere erwähnenswerte Tatsache ist wohl, dass sowohl Kym Barrett als auch

Adesh Shrivastava (Kostümdesigner der beiden Filme) auf die farbliche Gestaltung

bzw. auf die einheitliche Verteilung der Kostüme zur Unterscheidung der Familien,

geachtet haben um damit in weiterer Folge eine bestimmte Wirkung beim

Rezipienten hervorzurufen. Denn auch wenn es im ersten Moment nicht den

Anschein haben mag, so ist die farbliche Gestaltung der Kostüme von besonderer

Wichtigkeit, da diese durch ihre Farben, die vom Regisseur gewünschte Wirkungen

noch verstärken. Dies möchte ich nun anhand der Szene, in welcher die Geliebten

das erste Mal aufeinander treffen verdeutlichen.

Anjali Khan trägt bei ihrer ersten Begegnung mit Rahul Raichand einen reich

verzierten Suit2 in den Farben und rot und blau. Zunächst muss gesagt werden, dass

rot die klassische Farbe des Hochzeitssaris in Indien ist. Des Weiteren ist Rot die

Farbe der Energie, der Emotionen, der Freude sowie der Sexualität. Da das Thema

Sexualität im Bollywoodfilm der Gegenwart nach wie vor ein Tabuthema ist, suchen

sowohl Kostümdesigner als auch Regisseure immer wieder neue Mittel um dieses

Thema dennoch in ihren Filmen zu verdeutlichen. Auch Rahul Raichands Stellung in

der Gesellschaft wird durch die farbliche Gestaltung seines Kostüms eindeutig

hervorgehoben. Er trägt einen hellblauen Anzug und dazu einen weißen Pullover.

Da blau die Farbe der Treue, der Beständigkeit und nicht zuletzt die Farbe des Adels

ist wird sein gesellschaftlicher Rang damit sehr gut unterstrichen. Die Farbe weiß, als

ein Synonym für Weisheit, Tugend, Unschuld sowie Friede, unterstützt den

gewünschten Ausdruck nochmals. Doch wie verhält sich dies bei den „Romeo und

Julia“? Kym Barrett hat sich dafür entschieden, die beiden Protagonisten in neutralen

Farben auf dem Ball erscheinen zu lassen. Juli trägt ein weißes Engelskostüm, womit

abermals der Ausdruck der Reinheit, aber auch die Tugend und Unschuld

unterstrichen werden soll. Dies entspricht in gewisser Weise dem Kostüm von Rahul

Raichand. Romeo hingegen, trägt einen Brustpanzer in der Farbe Silber (= grau).

Grau wird vom Rezipienten als Farbe vollkommener Neutralität wahrgenommen. Es

ist jedoch auch die Farbe der Kompromissbereitschaft, was in diesem Sinne eine

weitere Parallele zu Anjali Khans rotem Suit darstellt. Denn wie bereits erwähnt ist

2 Suit = klassisches Gewand der weiblichen Mittelschicht

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Rot die Farbe der Energie. Auch wenn dies im ersten Augenblick nicht so scheinen

mag, so ist es doch erstaunlich dass sowohl die Farbe Rot als auch die Farbe Grau

dasselbe Ziel ansteuern. Anjali Kahns rotes Kostüm symbolisiert die Energie, die sie

im Laufe des Filmes benötigen wird um auch schwere Situationen zu meistern, vor

allem wegen der nicht gebilligten Ehe zu Rahul Raichand. Romeos graues Kostüm

hingegen zeigt die Kompromissbereitschaft einen neuen Lebensabschnitt

einzugehen, die Eheschließung mit Julia, welche ebenfalls nicht von den Eltern

gebilligt wird. Da sowohl die Farbe Weiß als auch Grau die Farbe der Neutralität ist,

symbolisieren sowohl Julias als auch Romeos Kostüm, dass sie der Fehde ihrer Väter

überlegen sind und damit im Grunde nichts zu tun haben.

33..44.. PPaarraalllleelleenn iinn ddeerr KKiinneesspphheerree

Wieder stellt der aufmerksame Beobachter fest, dass es sich auch hier so verhält wie

im Bereich der Kostüme. Baz Luhrmanns Hollywoodverfilmung weist durchaus

Parallelen zu Karan Johars Bollywoodproduktion auf. Bereits in der ersten Szene der

Begegnung der beiden Liebespaare ist dies deutlich erkennbar. Die Parallelen in der

Kinesphere möchte ich anhand der zuvor beschriebenen Szenen (erstes

Aufeinandertreffen, Ehevermittlung sowie Trauungszeremonie) nun verdeutlichen.

Im Film „Romeo und Julia“ sieht das wie folgt aus. Romeo trifft das erste Mal auf

Julia als er zu Gast in ihrem Haus ist. Bereits darin besteht die erste Verletzung der

Kinesphere. Romeo dringt damit in die Kinesphere Julias ein, zu diesem Zeitpunkt

allerdings noch unwissentlich. Er befindet sich, als er auf Julia trifft, in der

Herrentoilette die nur durch ein Aquarium von der Damentoilette getrennt ist.

Vorerst ist nur Romeo zu sehen. Er steht vor dem Aquarium und beobachtet die

Fische, unwissend, dass dahinter gleich Julia erscheinen wird (Bild 1). Zu diesem

Zeitpunkt befindet er sich also noch in seiner Kinesphere.

ç Bild 1

Bild 2 è

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Plötzlich erscheint Julia auf der anderen Seite des Aquariums (Bild 2) Nach wie vor,

befinden sich beide Figuren in deren eigener Kinespherenkugel. Doch dies wird sich

schlagartig ändern, wie die unterhalb angeführten Bilder zeigen.

Bild 3

Da Juli schnell wieder auf den Ball zurück muss,

zu Paris – dem Mann den ihre Eltern für Sie

ausgewählt haben, macht sich Romeo nun auf die

Suche nach Julia (Bild 3). Nach wie vor befinden

sich beide noch in deren Kinespherenkugel.

Der junge Adelsmann Paris bemerkt nichts von der

sich nun anbahnenden Situation. Dies ist ihm jedoch in diesem Moment auch nicht

möglich, da Romeo sich noch hinter einer Säule versteckt hält (siehe Bild 4). Julia

befindet sich in diesem Moment im Off-Bereich der Kamera, lediglich ein Teil ihres

Flügels kann gesehen werden. Romeo hat Julia gefunden und nähert sich ihr immer

weiter. Die Entfernung der beiden Kinespherenkugeln ist praktisch nicht mehr

vorhanden. Die Kinesphere der beiden wird sich in Kürze überschneiden bzw.

verschmelzen und somit zu einem Kinespherenbruch führen (siehe Bild 5). Ein

derartiges Verschmelzen der Kinesphere ist jedoch nur durch die gezielte

Kameraführung für den Rezipienten ersichtlich. Denn blickt man auf Bild 6, so wird

man feststellen, dass sich sowohl Romeo als auch Julia wieder in deren eigener

Kinespherenkugel befinden.

ç Bild 4

Bild 5 è

ç Bild 6

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Um Julias Eltern bzw. dem jungen adeligen Paris zu entgehen, fliehen die beiden in

den nahe liegenden Fahrstuhl. Die Szene zeigt auch hier wieder einen eindeutigen

Kinespherenbruch, der nochmals durch das „Händehalten“ des Liebepaares

verdeutlicht wird (Bild 7).

ç Bild 7

Der abermalige Rückgang in die eigene Kinesphere (Julia löst sich von Romeo, siehe

Bild 8) stellt sich dann schlussendlich ein, als Julia wieder von ihrer Amme gerufen

wird um zurück auf den Ball zu kommen (siehe Bild 9). Romeo befindet sich zu

diesem Zeitpunkt im Off-Bereich der Kamera und ist nur für Julia zu sehen. Durch

das ständige Verschmelzen und den immer wieder kehrenden Rückgang in die

eigene Kinesphere wird dem Rezipienten die Unsicherheit eines Liebespaares

vermittelt, das es eigentlich in dieser Konstellation nicht geben dürfte.

ç Bild 8

Bild 9 è

Im Film „Khabi Kushi Khabi Gham“ verhält sich die Situation ganz ähnlich, wie nun

anhand nachfolgender Bilder gezeigt werden soll.

Zunächst werden die beiden Figuren – Anjali Khan und Rahul Raichand getrennt

voneinander gezeigt. Sie befinde sich zwar am selben Ort, doch soll damit

ausgedrückt werden, dass sie sich noch nicht begegnet sind.

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Beide befinden sich noch in ihrer eigenen Kinespherenkugel (siehe Bild 10 und 11)

und werden durch abwechselnde Shots gezeigt, obwohl auch hier ein eindeutiges

Eindringen Rahuls in die Kinesphere Anjalis (durch die Tatsache, dass er sich vor

und dann in ihrem Haus befindet) deutlich wird. Ebenso wie im vorhin erwähnten

Beispiel „Romeo und Julia“ geschieht dieser Einschnitt jedoch unwissentlich, da Rahul

bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung hat von Anjalis Existenz hat.

ç Bild 10

Bild 11 è

Im Gegensatz zu Romeo und Julia bleibt das Liebespaar des indischen Films über

eine etwas längere Distanz in deren eigener Kinesphere und beobachtet sich nur von

weitem. Dies mag wohl, an der für Bollywoodproduktionen typischen, Darstellung

von Gesangs- und Tanzszenen liegen. Anjali tanzt auf offener Straße und sieht Rahul

bereits (siehe Bild 12). Dieser verlässt wiederum gerade das Haus seines ehemaligen

Kindermädchens (= Anjalis Mutter) und sieht beim hinab gehen der Treppe die

tanzende Anjali (siehe Bild 13).

ç Bild 12

Bild 13 è

Die Auflösung bzw. Verschmelzung der beiden Kinespheren geschieht erst als Rahul

Anjalis Süßwarenladen betritt. Anfangs befinden sich noch beide in der eigenen

Kinesphere (siehe Bild 14), doch langsam nähert sich Rahul Anjali (siehe Bild 15) bis

es schließlich zur Verschmelzung der Kinespheren kommt (siehe Bild 16). Ebenso

wie zuvor in „Romeo und Julia“ ist auch hier (Bild 15) der Abstand praktisch nicht

mehr vorhanden. Auch dieses zaghafte Verhalten deutet eine gewisse Parallele zur

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westlichen Hollywoodverfilmung an, wenn auch die Mimik bzw. Gestik ein wenig

differiert. Dies ist jedoch wieder auf die Umsetzung der Thematik im indischen

Kontext zurückzuführen.

ç Bild 14

Bild 15 è

ç Bild 16

Beide Liebespaare kennen sich nun bereits, haben sich lieben und schätzen gelernt.

Der nächste Schritt der Liebenden, den ich nun im direkten Vergleich untersuchen

werde ist die Situation, in welcher Julia bzw. Rahul die Entscheidung ihrer Eltern,

dass sie mit jemandem verheiratet werden sollen den sie nicht lieben, erfahren. Für

mich ist dabei von besonderem Interesse, wie sich die vorhin erwähnten Personen

verhalten. Wie reagieren sie auf ihre Eltern? Wie wird dies von Julia und Rahul bzw.

deren Eltern mimisch bzw. gestisch dargestellt? Gibt es dabei Parallelen bzw.

Unterschiede?

Zunächst werde ich das Aufeinandertreffen Julias mit ihren Eltern untersuchen. Die

Szene beginnt mit dem Eintritt der Mutter in Julias Schlafzimmer. Anfangs ist nur

Julias Amme im Hintergrund (grüner Kreis) und Julias Mutter im Vordergrund

(roter Kreis) zu sehen (Bild 17). Julia selbst befindet sich im Off-Bereich der Kamera

und wird erst durch den Schwenk der Kamera sichtbar (Bild 18). Sowohl Julia als

auch ihre Mutter befinden sich in diesem Moment noch in deren eigener

Kinespherenkugel. Dies ist vom Regisseur möglicherweise so gewählt worden, um

die Wichtigkeit des Abstandes zu demonstrieren, der in dieser Situation absolut

notwendig ist. Mimisch zeigt Julia bereits, dass sie mit der Entscheidung, die ihre

Mutter ihr mitteilt, nicht einverstanden ist. Ihr Gesichtsausdruck zeigt, dass sie

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unter der Entscheidung leidet. Die Amme Julias wird im Hintergrund als stille

Beobachterin gezeigt.

ç Bild 17

Bild 18 è

Julias Mutter dringt mit der „Führung“ ihrer Tochter (die sich durch die Hand auf

Julias Rücken zeigt) sichtbar in die Kinesphere ihrer Tochter ein (Bild 19). Diese

beinahe freundschaftliche Geste drückt aus, dass Gloria Capulet zwar die Zweifel

und Ängste ihrer Tochter versteht, für sie jedoch eindeutig feststeht, dass die Heirat

ihrer Tochter beschlossene Sache ist. Die Verschmelzung beider Kinespheren wird

jedoch bereits im nächsten Bild wieder aufgelöst, als Julia die Hochzeit mit dem

adeligen Paris eindeutig verweigert (Bild 20). Betrachten wir nun die Mimik von

Julias Mutter, so ist deutlich erkennbar, dass sich der Ausdruck von Freundschaft in

den Ausdruck von Entsetzen gewandelt hat.

ç Bild 19

Bild 20 è

Nun ist es die Aufgabe von Julias Mutter, ihrem Mann Fulgencio Capulet die

Verweigerung ihrer Tochter beizubringen (Bild 21). Eindeutig zeigt sich hier, dass

auch Familie Capulet patriarchalisch geführt wird. Gloria Capulet blickt auf zu

ihrem Mann, mit einem Ausdruck von überheblichem Stolz, aber auch einem

Ausdruck von Verachtung für die Verweigerung ihrer Tochter. Sie symbolisiert

damit, dass sie nun nichts mehr mit der Entscheidung Julias zu tun hat bzw. zu tun

haben möchte, worüber Fulgencio Capulet natürlich nicht erfreut ist. Dies zeigt seine

Mimik in Bild 22. Er wirkt nicht enttäuscht, sondern verärgert, dass die von ihm

gewünschte Entscheidung nicht wie gewöhnlich akzeptiert, sondern ganz im

Gegenteil angefochten, wird.

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ç Bild 21

Bild 22 è

ç Bild 23

Es kommt abermals zu einem Bruch in der Kinesphere, als Julia sich gegen die

Entscheidung ihres Vaters wehrt und diesen anbettelt noch einige Wochen bzw. Tage

mit der Hochzeit zu warten (die sie vermutlich nutzen möchte um eine angemessene

Lösung für dieses Problem zu finden). Fulgencio Capulet hingegen reagiert auf die

für ihn angemessene Art und Weise. Er zeigt Julia deutlich wer hier in der Familie

das Sagen hat und akzeptiert ihre Verneinung nicht. Seine Mimik zeigt Verärgerung,

jedoch nicht über die Verweigerung seiner Tochter, sondern über die Tatsache, dass

man es wagt seine Entscheidung anzuzweifeln.

Die Frage ist nun, wie sich das bei den Raichands verhält. Reagiert Rahul genauso

impulsiv auf die Entscheidung seines Vaters? Wie reagiert der Vater bzw. die Mutter

auf die Bestürzung Rahuls? Dies werde ich nun anhand der nachfolgenden Bilder

verdeutlichen.

Die Entscheidung über die bevorstehende Hochzeit Rahuls wird getroffen während

er sich am Volksfest in Chadni Chowk befindet, bei Anjali – der Frau die er liebt. Er

kehrt zurück ins Haus seiner Eltern und erzählt seiner Mutter von den Gefühlen

Anjalis. Sofort danach, wird Rahul von seinem Vater in dessen Arbeitszimmer

gerufen um ihm die „freudige“ Nachricht mitzuteilen. Yash Raichand fragt seinen

Sohn ob er verliebt sei (Bild 24). Beide, sowohl Vater und Sohn befinden sich noch in

deren Kinespherenkugel, im Hintergrund sieht man Nandini, die Mutter, so wie

Naaina (die vom Vater gewählte Braut) und deren Vater die als stumme Beobachter

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Zeuge dieser Szene werden. Rahul bejaht diese Frage in dem Glauben, dass seine

Mutter mit seinem Vater über Anjali gesprochen hat (Bild 25). Es handelt sich hier

allerdings um ein Missverständnis, denn Yash geht davon aus, dass sein Sohn von

Naaina spricht, d.h. in Naaina verliebt ist und ist sichtlich erfreut darüber (Bild 26).

Es kommt hierbei zu einem Bruch der Kinesphere. Deutlich sichtbar ist, dass Yash in

die Kinespherenkugel seines Sohnes eintritt. Dies kann in etwa mit Bild 19 (= das

Eindringen von Julias Mutter in deren Kinespherenkugel) verglichen werden und

zeigt damit eindeutige Parallelen auf.

ç Bild 24

Bild 25 è

Erst als Rahul einen Blick auf die zukünftige Braut wirft, sieht er dass es sich hier um

ein Missverständnis handelt und ist sichtlich bestürzt, was seine Mimik sehr gut zum

Ausdruck bringt (Bild 26). Dies verhält sich zwar mimisch anders als bei Julia,

dennoch ist das Ergebnis das Selbe: beide zeigen deutlich durch ihre Mimik, dass sie

mit der Wahl ihrer Eltern nicht übereinstimmen und dass sie unter dieser

Entscheidung leiden. Anders als bei der Hollywoodverfilmung zeigt die Mimik von

Rahuls Mutter (Bild 27) sichtliche Bestürzung über die Entscheidung ihres Mannes.

Sie, die ja um die Gefühle ihres Sohnes Bescheid weiß, scheint sich sichtlich Sorgen

um diesen zu machen. Dies entgeht auch der zukünftigen Braut Naaina nicht, die

hier – anders als im westlichen Pendant – beim Verkünden der Nachricht anwesend

ist.

ç Bild 26

Bild 27

Trotz der Entscheidung ihrer Eltern, entschließen sich die Liebenden beider Filme

ihren eigenen Weg zu gehen. Hier gibt es sehr starke Parallelen. Karan Johar hat sich

bei der Umsetzung dieser Szene sehr stark am westlichen Vorbild orientiert.

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Dennoch gibt es kleinere Unterschiede in der Darstellung die natürlich äußerst

erwähnenswert sind.

Zunächst stellt die Darstellung der Trauungszeremonie eine eindeutige Parallele dar.

In beiden Versionen des Shakespeareklassikers finden die Trauungen im Rahmen

der Tradition statt, d.h. im Fall von „Romeo und Julia“ in einer Kirche (Bild 28, 29, 30)

und im Film „Khabi Kushi Khabi Gham“ in einem Hindu-Tempel (Bild 31).

Bild 28 Bild 29 Bild 30

Damit soll dem Rezipienten gezeigt werden, dass sich

sowohl Romeo und Julia als auch Rahul und Anjali,

trotz der nicht gebilligten Hochzeit, an die Tradition

ihrer Kultur halten, diese respektieren und ehren.

ç Bild 31

Verbunden mit diesen Traditionen sind typische Handlungsweisen beider

Trauungszeremonien und auch hier lassen sich wiederum Parallelen feststellen.

Wird in der katholischen Tradition das Tauschen von Ringen (Bild 32) als Zeichen

der Zugehörigkeit angesehen, so existiert dieses Zeichen im Hinduismus durch das

Verknüpfen der Schals der Brautleute (Bild 33). Als Zeichen der Liebe und ewigen

Treue fordert der Pfarrer dann den Bräutigam gemäß der katholischen Tradition auf,

die Braut zu küssen. In der hinduistischen Trauungszeremonie findet dies auf andere

Art und Weise statt. Hier muss die Braut dem Bräutigam sieben Mal um eine

Flamme folgen. Die Schals sind dabei nach wie vor verknotet (Bild 34).

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ç Bild 32

Bild 33 è

ç Bild 34

44 KKOONNKKLLUUSSIIOONN

Hiermit komme ich nun zum Schluss dieses Vergleiches der beiden Versionen des

Shakespeareklassikers. Zu Beginn war es mir nicht möglich die Frage: „Gibt es ein

>>Romeo und Julia<< Indiens“ eindeutig zu beantworten. Ganz im Gegenteil, auf den

ersten Blick hätte ich wohl – wie jeder – diese Frage verneint, da es doch äußerst

absurd scheint, dass sich ein Klassiker von solcher Größe in einer modernen

Produktion des östlichen Indiens widerspiegelt. Wie die genauere Betrachtung

beider Werke nun aber gezeigt hat, ist nicht immer alles so wie es auf den ersten

Blick scheint. Oftmals muss man hinter die Kulissen blicken, sich mit den

Traditionen der jeweiligen Kultur sowie dem Klassiker selbst beschäftigen um dann

erstaunt festzustellen, dass man mit der anfänglichen Vermutung falsch lag. Daher

ist es wichtig Filme immer nach mehreren Gesichtspunkten zu beurteilen, sie nicht

oberflächlich als „guten Film“ bzw. „schlechten Film“ zu bewerten, sondern zu

versuchen festzustellen, was der jeweilige Regisseur, die Kostümbildner, die

Bühnenbildner sowie die Drehbuchautoren damit ausdrücken wollten bzw. ob sie

dies dann in der Art und Weise auch geschafft haben. In diesen beiden Fällen lässt

sich abschließend nur noch sagen, dass die Umsetzung der Grundlagen des alten

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Klassikers im jeweiligen Kontext der Kulturen und Traditionen, aufgrund der großen

Parallelen aber auch vorhandenen Unterschiede, sehr gut gelungen ist und sich

daher nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen. „Romeo und Julia“ war immer ein

beliebtes Thema und es ist davon auszugehen, dass weder die westliche

Hollywoodverfilmung noch die indische Version die letzten Filme waren, welche die

Grundlagen des Klassikers in einem neuen Gewand präsentieren. Ebenso wie bei

diesen Filmen ist davon auszugehen, dass zukünftige Produktionen nicht minder

erfolgreich sein werden. Die Isotope Liebe, Hass, Freude, Streit, Glück und Leid

haben die Menschheit seit jeher begleitet und ich bin davon überzeugt dass sich dies

vermutlich nie ändern wird.

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