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Theorien und Methoden der Sprachwissenschaft Teil 10: Strukturalistische Schulen in den USA Willkommen zu dieser Vorlesung!

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Theorien und Methoden

der Sprachwissenschaft

Teil 10:

Strukturalistische Schulen in den USA

Willkommen

zu dieser Vorlesung!

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Wiederholung

Gerhard Helbig (1929-2008): drei Schulen

1. Prager funktionale Linguistik

2. Kopenhagener Glossematik

3. Amerikanischer Deskriptivismus

Strukturalismus → strukturelle Lin-

guistik

(3) Der amerikanische Deskriptivismus

(a) Der „Linguistic Cercle of New York“

(als Zweigstelle der Prager Schule)

André Martinet Roman Jakobson

(1908-1999) (1896-1982)

(b) Die Yale-School

Edward Sapir Leonard Bloomfield

(1884-1939) (1887-1949)

L. Bloomfield: „Language“ (1933)

= Standardwerk des amer. Strukturalismus

• Entwurf der „Linguistik“ als Wissenschaft

bzw. Abgrenzung von der „Sprachwiss.“

→ Funktion von Sprache

im gesellschaftlichen Kontext.

• Grundlage: behaviorist. Psy-

chologie mit Reiz-Reaktions-

Schema (stimulus-response/In-

put-Output-Methode)

Sprache = Sprechakt:

„Ein Sprechakt ist eine sprachliche Ersatzre-

aktion auf einen außersprachlichen Stimulus

(Reiz) und kann seinerseits wieder Stimulus für

weitere Reaktionen werden.“

→ Spr. = Ersatzreaktion u. Ersatzstimulus ‒ als

Brücke zw. den Reizen des Sprechers u. den

Reaktionen d. Hörers.

Kein Rückgriff auf innere mentale Faktoren

(wie Wille, Vorstellung, Gedanke), so: vermit-

telndes Bewusstsein ≠ berücksichtigt.

• Konzentration auf objektiv erfassbare Daten,

d.h. ling. Kategorien = rein formal bestim-

men,

→ Ausschalten von ,meaning‘; nur eine au-

ßerspr. Deutung von ,meaning‘: Situation, in

der sich ein Sprecher äußert + die Reaktion,

die in einem Hörer hervorgerufen wird, also:

Bedeutung =

als beobachtbare Verhaltensweise

• Bedeutungen = Verhalten, das A nach einer

Äußerung von S zeigt.

• Funktion: aus der strukturellen Position im

Satz heraus bestimmt →

„[…] privileges of occurence make up […] the

grammatical function“.

Leonard Bloomfield:

Die Sprache. Übersetzt,

kommentiert u. hrsg. v.

Peter Ernst.

Wien: Praesens 2001.

Zellig S. Harris (1909‒1882)

Begründer der Distributionslehre

Lehrer von Noam Chomsky und (eigentlicher)

Entdecker der Transforma-

tionsgrammatik.

„Methods in Struc-

tural Linguistics“

(1951)

• Distribution = Verteilung v. sprachl. Zeichen

in einem Wort/Satz

• Sprachliche Einheiten (Phoneme, Morphe-

me) ≠ mentalistisch gesehen → rein physika-

lisch u. distrubutionalistisch: durch die Fest-

stellung der möglichen Umgebungen einer

spr. Einheit (unter Ausschaltung ihrer Bedeu-

tung)

• Forschungsauftrag: Indianersprachen.

Vorgehensweise:

- Segmentierung d. Redeflusses mittels Sub-

stitution und damit: Ermittlung der kleinsten

Einheiten.

- Klassifizierung d. Elemente aufgr. v. Distribu-

tionsanalysen.

- Beschreibung der durch Distribution gefun-

denen Klassen.

Vorteile

• analytische Wissenschaftstheorie,

• gewährleistet Prozeduren/Methoden mit der

Möglichkeit, alle subjektiven Faktoren zu ver-

meiden,

• Distributionsbegriff = allgemein und deshalb

auf alle Sprachen anwendbar.

Nachteile

• operationalistische Reduktion,

• 'meaning' schleicht s. durch die Hintertür ein,

• empirisch unmöglich: das mögliche Vorkom-

men jedes Elements in jeder Umgebung zu

ermitteln.

• Distribution = notwendige, aber keine hin-

reichende Bedingung für die Gleichheit von

Bedeutungen.

↓ Transformationsanalyse: Noam Chomsky

(1928‒)

GTG

Generative Grammatik

• W. von Humboldt: „Sprache macht von end-

lichen Mitteln unendlichen Gebrauch“.

Generative Grammatik

• Weniger poetisch: Menge der gramm. Sätze

einer jeden natürlichen Sprache ist unendlich

↔ sprachliches Wissen (mentale Gramm.

der Sprachbenutzer) ist aber endlich.

• N. Chomsky: Mathematische Modellierung

durch rekursives Regelsystem, das jeden

Satz generieren kann,

z.B. Ersetzungssysteme.

Chomsky: alles, was vor ihm = prätheoretisch

(„praetheoretical“) → jetzt: eher erklären!

Philologen: schreiben, beschreiben ↔ „echte“

Linguisten: alles erklären

A. Stechow: Wasser beschrei-

ben, wie es aussieht ↔ H2O =

Theorie; dies sehen wir nicht

gleich → Theorie = wenn wir

hinter Oberflächenstrukturen

schauen → coverte Strukturen.

Ziel:

Abbildung des dem aktuellen Sprachgebrauch

zugrunde liegenden expliziten Wissens durch

ein System expliziter Regeln.

Gegenstandbestimmung:

Sprache als kognitive Fähigkeit

Grundfrage der Generativen Grammatik:

Was weiß jemand oder was hat jemand im

Kopf, der eine Sprache, z.B. die deutsche

Sprache, beherrscht?

Nicht-/un-/anti-

cartesianische

Sprachwissen-

schaft

Humboldt:

Sprache = bilden-

des Werkzeug des

Geistes

Cartesianische

Linguistik

Chomsky:

Sprache = Menta-

les = primär Geist

= individualpsy-

chologisch-gene-

tisch kodiertes

Programm

→ Chomsky: linke Hemisphäre, Sprachmodul im menschlichen Gehirn.

Die Grammatik-Kompetenz ist der Gegenstand

der GG → Revidierte Grundfragen der GG:

• Was weiß jemand oder was hat jemand im

Kopf, der fähig ist, alle ‒ und nur die wohl-

geformten ‒ Ausdrücke einer Sprache her-

vorzubringen?

• Was weiß jemand oder was hat jemand im

Kopf, der fähig ist, sämtliche

sprachlichen Ausdrücke auf ih-

re Wohlgeformheit hin zu beur-

teilen?

Inhaltliche Grundsätze d. GG:

• Grammatiken sollen deskriptiv, nicht prä-

skriptiv sein.

• Nicht mehr nur Beschreibungsaqäquatheit,

sondern Erklärungsadäquatheit. Im Fokus =

koverte, kryptotypische Merkmale, die den

overten od. phänotypischen Merkmalen zu-

grunde liegen.

• Grammatiken beschreiben die sprachliche

Kompetenz, nicht die Performanz der

Sprachbenutzer.

Grundsätze weiter:

• Grammatiken sollen vollständig explizit for-

muliert sein.

• Linguistische Analysen sollen

maximal allgemein sein.

• Die Theorie der Grammatik

sollte Aussagen zur Universal-

grammatik machen.

• Grammatiken sollen psycholo-

gisch relevant sein.

Kompetenz vs. Performanz

• Kompetenz: sprachliches Wissen des kom-

petenten Muttersprachlers

Linguistic theory is concerned primarily with an ideal

speaker-listener, in a completely homogeneous speech-

community, who know its (the speech community’s)

language perfectly and is unaffected by such gramma-

tically irrelevant conditions as memory limitations,

distractions, shifts of attention and interest, and errors

(random or characteristic) in applying his knowledge of

this language in actual performance. (Chomsky, 1965,

p. 3).

• Performanz: tatsächliches sprachl. Verhalten.

Explizitheit

Tradi t ionel le Grammatik-Beschreibungen

• sind informell formuliert

• setzen ling. Grundwissen d. Nutzers voraus

• streben keine Vollständigkeit an.

Anspruch der Generat iven Grammatiken

• formalisiert

• strebt (zumindest im Prinzip) Vollständig-

keit an

• kann (im Prinzip) in ein Computerpro-

gramm umgesetzt werden, setzt also kein

intuitives Vorverständnis voraus.

Allgemeinheit

• Grammatik (i.S.v. formale Grammatikbe-

schreibung) sollte möglichst allgemein sein.

• Wenn zwei Modelle dieselbe Menge von Sät-

zen beschreiben, ist die einfachere Variante

(die weniger Regeln/Symbole bzw. allgemei-

nere Regeln benutzt) vorzuziehen.

• Beispiel (vgl. Wasow 2001/

Postal 1964): tag questions

im Englischen.

Universalgrammatik

• die Gesamtheit des grammatischen Wis-

sens, das angeboren ist.

• Eine gute generative Gramma-

tik einer Einzelsprache sollte

Aussagen darüber machen,

welche Aspekte universal-

grammatisch und welche ein-

zelsprachlich sind.

Psychologischer Realismus

• Korrekte Grammatikbeschreibung sollte kor-

rekte Vorhersagen machen, bezüglich

- Sprachverarbeitung

- Spracherwerb.

Methodologie der GG

• Hypothetisch-deduktive Methode

• Erklärungsadäquatheit.

Grundlage: von kompetenten Sprechern be-

wertete Daten (Intuition)

• Durch Lexikonregeln er-

zeugte Tiefenstruktur (TS)

• Durch Transformationen er-

zeugte Oberflächenstruktur

(OS).

Frage:

Wie kann ein Sprecher einer beliebigen Spra-

che mit einer endlichen Anzahl von Regeln ei-

ne unendliche Anzahl von Sätzen produzieren

und ein Hörer Sätze verstehen, die er zuvor nie

gehört hat?

Chomsky: Mit unserer Sprache kodieren wir −

nach bestimmten Regeln − Erfahrungen. Diese

Regeln zu beschreiben = Aufgabe der Trans-

formationsgrammatik.

Werden diese Regeln bei der Transformation

verletzt → Satz = fehlgeformt ↔ im Gegensatz

zum wohlgeformten Satz (dieser = nach der

Transformation syntaktisch u. semantisch kor-

rekt). Eine weitere Bedeutung

der Wohlgeformtheit hat drei

Komponenten:

(a) syntaktisch korrekt,

(b) semantisch korrekt und

(c) die OS gibt ausreichend die

TS wieder.

Der Prozess: (a) Erzeugungsteil: TS-en gene-

riert, (b) diese – im Transformationsteil nach

einzelsprachlich unterschiedlichen Transforma-

tionen (z.B. englisch, deutsch) – in OS-en

überführt. Beim Hörer: zunächst eine phonolo-

gische u. eine semantische Interpretation.

Basis dieser Grammatik = syntaktisch. Eine

solche TG liefert also für jeden Satz, den sie

generiert, eine TS u. eine OS + die Bedeutung

und die lautliche Realisation.

Hörer eines Satzes: dekodiert nach denselben

Regeln wieder = Derivation (Oberflächenstruk-

tur/OS → Tiefenstruktur/TS).

• Evtl. anschließend: Verbindung d. TS mit d.

eigenen Erfahrung = transderivationale Su-

che.

• Jedem Satz (OS) liegt eine TS zugrunde.

Sie enthält alle Informationen, die für die se-

mant. Interpretation des Satzes wichtig

sind. Damit ist die TS als gesprochener

Satz sehr lang.

• Um im Gespräch übersichtliche Sätze bilden

zu können, kürzen wir diese TS ab u. erzeu-

gen (mittels Löschungen, Verallgemeine-

rungen u. Verzerrungen) eine vereinfachte

Version unserer Gedanken. Dieser Prozess

= Transformation; das erzeugte Ergebnis =

OS.

• Hat eine OS mehrere

mögliche TS → Ambi-

guität (Mehrdeutigkeit).

Ich grüße den Mann mit dem Hut.

Eine OS ← zwei TS.

(= Der Mann, den ich grüße, trägt einen Hut.) (= Ich nehme den Hut zum Gruß ab.)

ich grüße den Mann mit dem Hut ich grüße den Mann mit dem Hut

Art

NP

NP

N Präp Art N

NP

VPron

NP VP

S

Pron V

Art N Präp Art N

NP NP

VPNP

S

Hauptaufgabe der GG = Analyse eines Satzes.

Jeder Satz (S) besteht aus einer Nominal-

phrase (NP) und einer Verbalphrase (VP).

Zusammenfassung (1)

Generative Grammatik

• Familie von Grammatik-Modellen

• Meistens Erweiterung/Modifikation des kon-

textfreien Formats.

• Nicht-reduktionistische Wissenschaftstheo-

rie; Algorhitmisierung (Automatentheorie)

• Hoher Grad an Präzision und Feinkörnigkeit

der Grammatik-Beschreibung

• Basis für viele computerling. Anwendungen.

Zusammenfassung (2)

Generative Grammatik: Grenzen

• Empirische Basis sind introspektive binäre

Grammatikalitätsurteile→ z.T. unzuverlässig, können

durch behaviorale und Kor-

pus-Daten ergänzt werden.

• Logisches Problem der Lern-

barkeit von Grammatik nach

wie vor ungelöst.

Zusammenfassung (3)

Weitere Grenzen

• Nur Syntax, genauer: Satzsyntax

• GTG = einzige Lösung? ↔ Alternativen: Uni-

versaltypologie (auch ein erklärender Ansatz)

→ es gibt (Sprach-)Universalien (durch Em-

pirie, empirische Evidenz)

Joseph Greenberg (1915-2001):

42. Universale = Sprachen mit

freier Wortstellung haben ein

Kasussystem ( ← Tendenz).

Aktueller Paradigmenwechsel in der Ling.

• N. Chomsky hat viele Jahrzehnte lang die

gesamte Sprachwissenschaft geprägt. Be-

rühmt machte ihn seine Theorie der Univer-

salgrammatik.

• N. Chomskys Idee: Das Gehirn sei mit einer

mentalen Schablone für

Grammatik ausgerüstet,

wird jedoch zunehmend

durch linguist. Feldstu-

dien in Frage gestellt.

• So postuliert die „gebrauchsbasierte Lin-

guistik“: Kinder nutzen beim Spracherwerb

allgemeine kognitive Fähigkeiten – und kei-

ne Universalgrammatik. Insbesondere kön-

nen sie erraten, was andere Menschen ih-

nen mitteilen möchten.

Literaturempfehlungen zum Thema

• CRYSTAL, David: Die Cambridge Enzyklopä-

die der Sprache. Frankfurt a.M.: Tolkemitt

2010.

• FLEISCHER, Wolfgang/HELBIG, Gerhard/

LERCHNER, Gotthard (Hrsg.): Kleine Enzyklo-

pädie Deutsche Sprache. Frankfurt/Main:

Peter Lang 2001.

• HELBIG, Gerhard: Geschichte der neueren

Sprachwissenschaft. Unter dem besonderen

Aspekt der Grammatik-Theorie. Leipzig: Bib-

liogr. Inst. 1970.

• JUNGEN, Oliver/LOHNSTEIN, Horst: Geschichte

der Grammatiktheorie: von Dionysios Thrax

bis Noam Chomsky. München: Fink 2007.

• ROLF, Eckard: Sprachtheorien: von Saussu-

re bis Millikan. Berlin/New York: De Gruyter

2008 (De-Gruyter-Lexikon).

• SEUREN, Pieter, A.M.: Sprachwissenschaft

des Abendlandes. Eine Ideengeschichte von

der Antike bis zur Gegenwart. Baltmanns-

weiler: Schneider-Verl. Hohengehren 2001.