Therapie der Demenz

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ärztemagazin 49/2006 7. Dezember 2006 10 medizin D as vorliegende Konsensus-Statement 1 ) der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Bio- logische Psychiatrie (ÖGPB) deckt Diagnostik, Differenzialdiagnose, Epidemi- ologie, Verlauf, Symptomatik, Ätiologie, Neurophysiologie, Therapie und Substanz- klassen, Indikationsstellung und Therapie- vereinbarung sowie nicht medikamentöse Maßnahmen ab und nimmt auch Stellung zur Diskussion über existierende, jedoch umstrittene internationale Leitlinien. Der Schwerpunkt des Konsensus-Statements liegt jedoch auf der medikamentösen Thera- pie. Der folgende Text beschränkt sich auf die Darstellung der pharmakologischen Therapie von Demenzerkrankungen. 1. Therapie und Substanzklassen 1.1 Cholinesterasehemmer (AChE-Hemmer) Auf dem Markt sind drei Substanzen, Do- nepezil, Galantamin und Rivastigmin, die sich durch die Art ihrer Hemmwir- kung auf die Azetylcholi- nesterase (AChE) bzw. die Butyrylcholinesterase un- terscheiden. Mittlerweile liegen für alle drei Substan- zen Langzeitstudien über vier bis fünf Jahre vor, die zeigen, dass es auch unter AChE-Hemmern nach ei- ner anfänglichen Stabilisie- rungsphase zwar zu einer Verschlechterung kogni- tiver und anderer Funkti- onen kommt, diese jedoch bei behandelten Patienten später beginnt und langsamer verläuft als bei unbehandelten. Die Ansprechrate auf AChE-Hemmer liegt bei etwa 50%. Die meisten Therapieabbrüche erfolgen we- gen Nebenwirkungen, wie z.B. Diarrhoe, Übelkeit, Muskelkrämpfen oder Müdig- keit. Entwickelt ein Patient auf eine be- stimmte Substanz Nebenwirkungen, sollte ein Präparatewechsel erfolgen, wobei die andere Substanz dann häufig gut vertra- gen wird. Die höchstmögliche Dosierung ist anzustreben (s. Tab. 1). Sichere Prädiktoren für eine Therapieant- wort existieren nicht. Auch die empfohlene Therapiedauer wird nach wie vor diskutiert – es ist aber von einer Langzeittherapie aus- zugehen. Wahrscheinlich wirken AChE- Hemmer länger, wenn sie frühzeitig gege- ben werden. Für die Kombination AChE- Hemmer/Memantin gibt es Hinweise auf ein Ansprechen auch bei gemischten For- men vaskuläre Demenz/Alzheimer-Demenz (AD). Diese Kombination wird von den So- zialversicherungsträgern in Österreich der- zeit jedoch nicht erstattet. 1.2 Memantin Memantin ist ein nicht kompetitiver span- nungsabhängiger NMDA-Rezeptoranta- gonist. Die Tagesdosis liegt in der ersten Woche bei 5mg, ab der zweiten Woche bei 10mg, ab der vierten Woche bei 20mg; dies ist auch die anzustrebende Tagesdosis für eine Dauertherapie. Es sind zwei Ein- zeldosen zu geben, wobei die zweite Do- sis nicht nach 14 Uhr genommen werden soll. Ein Wirkungseintritt ist etwa nach vier Wochen zu erwarten. Die Zulassung wurde vor kurzem von der schweren auch auf die mittelschwere Form der Alzheimer-Demenz ausgedehnt (MMSE ≤ 10 bis 19 Punkte). Studien über bis zu zwölf Monate zeigten signifikante Verbesserungen in der Kogni- tion, der Alltagskompetenz, dem klinischen Globalurteil und der Pflegebedürftigkeit durch Memantin. In einer Vergleichsstudie zeigte sich die Kombination Meman- tin/Donepezil hinsichtlich Kognition, Funktion und klinischem Gesamteindruck der Therapie mit Donepe- zil alleine signifikant über- legen. Hinsichtlich Neben- wirkungen war bei Agitati- on, unabsichtlicher Verlet- zung und Diarrhoe in der Kombinationsgruppe eine Verbesserung gegenüber Donepezil alleine feststell- DFP-PSYCHIATRIE Therapie der DEMENZ Die ÖGPB hat ein Konsensus- Statement zur medikamentösen Therapie der Alzheimer-Demenz vorgelegt. Tab. 1: Dosierung von AChE-Hemmern Donepezil Galantamin ret. Rivastigmin Dosierung 1 x tägl. 1 x tägl. 2 x tägl. Beginn mit 5mg/d 8mg/d 3mg/d Auf Dauer mindestens 5mg/d 16mg/d 6mg/d höchstens 10mg/d 24mg/d 12mg/d Dosis- steigerung auf 10mg/d nach 4–6 Wochen auf 16mg/d nach 4 Wochen, auf 24mg/d nach wei- teren 4 Wochen in 3mg- Schritten in 4-wöchigem Abstand Quelle: ÖGPB-Konsensus Foto: BananaStock

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Das vorliegende Konsensus-Statement1)der Österreichischen Gesellschaft fürNeuropsychopharmakologie und BiologischePsychiatrie (ÖGPB) decktDiagnostik, Differenzialdiagnose, Epidemiologie,Verlauf, Symptomatik, Ätiologie,Neurophysiologie, Therapie und Substanzklassen,Indikationsstellung und Therapievereinbarungsowie nicht medikamentöseMaßnahmen ab und nimmt auch Stellungzur Diskussion über existierende, jedochumstrittene internationale Leitlinien.

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ärztemagazin 49/2006 • 7. Dezember 200610

medizin

D as vorliegende Konsensus-Statement1) der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Bio-logische Psychiatrie (ÖGPB) deckt

Diagnostik, Differenzialdiagnose, Epidemi-ologie, Verlauf, Symptomatik, Ätiologie, Neurophysiologie, Therapie und Substanz-klassen, Indikationsstellung und Therapie-vereinbarung sowie nicht medikamentöse Maßnahmen ab und nimmt auch Stellung zur Diskussion über existierende, jedoch umstrittene internationale Leitlinien. Der Schwerpunkt des Konsensus-Statements liegt jedoch auf der medikamentösen Thera-pie. Der folgende Text beschränkt sich auf die Darstellung der pharmakologischen Therapie von Demenzerkrankungen.

1. Therapie und Substanzklassen1.1 Cholinesterasehemmer (AChE-Hemmer)Auf dem Markt sind drei Substanzen, Do-nepezil, Galantamin und Rivastigmin, die sich durch die Art ihrer Hemmwir-kung auf die Azetylcholi-nesterase (AChE) bzw. die Butyrylcholinesterase un-terscheiden. Mittlerweile liegen für alle drei Substan-zen Langzeitstudien über vier bis fünf Jahre vor, die zeigen, dass es auch unter AChE-Hemmern nach ei-ner anfänglichen Stabilisie-rungsphase zwar zu einer Verschlechterung kogni-tiver und anderer Funkti-onen kommt, diese jedoch bei behandelten Patienten

später beginnt und langsamer verläuft als bei unbehandelten. Die Ansprechrate auf AChE-Hemmer liegt bei etwa 50%. Die meisten Therapieabbrüche erfolgen we-gen Nebenwirkungen, wie z.B. Diarrhoe, Übelkeit, Muskelkrämpfen oder Müdig-keit. Entwickelt ein Patient auf eine be-stimmte Substanz Nebenwirkungen, sollte ein Präparatewechsel erfolgen, wobei die andere Substanz dann häufig gut vertra-gen wird. Die höchstmögliche Dosierung ist anzustreben (s. Tab. 1).

Sichere Prädiktoren für eine Therapieant-wort existieren nicht. Auch die empfohlene Therapiedauer wird nach wie vor diskutiert – es ist aber von einer Langzeittherapie aus-zugehen. Wahrscheinlich wirken AChE-Hemmer länger, wenn sie frühzeitig gege-ben werden. Für die Kombination AChE-Hemmer/Memantin gibt es Hinweise auf ein Ansprechen auch bei gemischten For-men vaskuläre Demenz/Alzheimer-Demenz

(AD). Diese Kombination wird von den So-zialversicherungsträgern in Österreich der-zeit jedoch nicht erstattet.

1.2 MemantinMemantin ist ein nicht kompetitiver span-nungsabhängiger NMDA-Rezeptoranta-gonist. Die Tagesdosis liegt in der ersten Woche bei 5mg, ab der zweiten Woche bei 10mg, ab der vierten Woche bei 20mg; dies ist auch die anzustrebende Tagesdosis für eine Dauertherapie. Es sind zwei Ein-zeldosen zu geben, wobei die zweite Do-sis nicht nach 14 Uhr genommen werden soll. Ein Wirkungseintritt ist etwa nach vier Wochen zu erwarten.

Die Zulassung wurde vor kurzem von der schweren auch auf die mittelschwere Form der Alzheimer-Demenz ausgedehnt (MMSE ≤ 10 bis 19 Punkte).

Studien über bis zu zwölf Monate zeigten signifikante Verbesserungen in der Kogni-

tion, der Alltagskompetenz, dem klinischen Globalurteil und der Pflegebedürftigkeit durch Memantin. In einer Vergleichsstudie zeigte sich die Kombination Meman-tin/Donepezil hinsichtlich Kognition, Funktion und klinischem Gesamteindruck der Therapie mit Donepe-zil alleine signifikant über-legen. Hinsichtlich Neben-wirkungen war bei Agitati-on, unabsichtlicher Verlet-zung und Diarrhoe in der Kombinationsgruppe eine Verbesserung gegenüber Donepezil alleine feststell-

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Therapie derDemenz

Die ÖGPB hat ein Konsensus-Statement zur medikamentösen

Therapie der Alzheimer-Demenz vorgelegt.

tab. 1: Dosierung von AChE-Hemmern

Donepezil Galantamin ret. Rivastigmin

Dosierung 1 x tägl. 1 x tägl. 2 x tägl.

Beginn mit 5mg/d 8mg/d 3mg/d

Auf Dauer mindestens

5mg/d 16mg/d 6mg/d

höchstens 10mg/d 24mg/d 12mg/d

Dosis-steigerung

auf 10mg/d nach 4–6 Wochen

auf 16mg/d nach 4 Wochen, auf 24mg/d nach wei-teren 4 Wochen

in 3mg-Schritten in 4-wöchigem Abstand

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bar, während sich der Prozentsatz an Ver-wirrtheit in der Kombinationsgruppe ge-genüber der Monotherapie vergrößerte.

Verhaltensstörungen – insbesondere Agitation und Aggression – sind häufige und belastende Demenzsymptome. Me-mantin zeigte sowohl in Monotherapie als auch in Kombination signifikante Vorteile in den Bereichen Agitation/Aggression und illusionäre Verkennungen. Weitere Bereiche wie Reizbarkeit, gestörtes Ess-verhalten und andere Verhaltensauffällig-keiten werden ebenfalls signifikant positiv beeinflusst. Memantin ist somit eine ge-eignete Therapieoption sowohl für ko-gnitive als auch für nicht kognitive Beein-trächtigungen bei mittelschwerer bis schwerer AD. Bei Lewy-Body-Demenz und Parkinson-Demenz ist jedoch Vor-sicht geboten.

1.3 Ginkgo biloba & Cerebrolysin®

Für Ginkgo biloba liegen kontrollierte, den derzeitigen wissenschaftlichen Anforde-rungen standhaltende Studien vor, die Ver-besserungen bei Kognition, Alltagskompe-tenz und neuropsychiatrischen Symp-tomen belegen. Die Tagesdosierung bei demenziellem Syndrom beträgt gemäß Fachinformation 120 bis 240mg Spezial-extrakt EGb 761.

Mögliche sehr selten auftretende Ne-benwirkungen sind Kopfschmerzen, Schlaf-störungen, Schwindel, Hitzegefühl, Nausea und gastrointestinale Störungen.

Für Cerebrolysin® (eiweißfreies Schweine-hirn-Hydrolysat) liegen klinische Studien vor, die eine signifikante Verbesserung der kognitiven Leistungen und des globalen klinischen Eindrucks belegen.

1.4 NootropikaNootropika sind Substanzen, die aufgrund verschiedener – teils nicht geklärter –Wirk-mechanismen bei Störungen des intellektu-ell-verstandesmäßigen Bereichs therapeu-tische Effekte zeigen. Dazu gehören z.B. Mutterkornalkaloide, Nicergolin, Pirace-tam, Mannit, Sorbit, Dextran oder Nimodi-pin. Der Einsatz dieser Substanzen kann je-doch wegen der aus heutiger Sicht unzurei-chenden Datenlage nur bei Unwirksamkeit bzw. bei Unverträglichkeit von AChE-Hemmern und Memantin in Einzelfällen in Erwägung gezogen werden.

1.5 AntidepressivaDie so genannten BPSD („Behavioral and Psychological Symptoms of Dementia“) sind in der Demenztherapie schon des-halb relevant, weil ihre Lebenszeitpräva-lenz bei Dementen an die 100% beträgt, jeder Demenzkranke also irgendwann da-von betroffen ist.

Was die Behandlung depressiver Symp-tome betrifft, so ist neueren Antidepressiva (SSRI, SNRI, NARI, NaSSA) gegenüber Trizyklika schon aufgrund der geringeren Nebenwirkungen der Vorzug zu geben. Bei Schlafstörungen können sedierende Anti-depressiva wie Trazodon oder Mirtazapin eingesetzt werden.

1.6 AntipsychotikaAuch hier wird zwischen typischen (äl-teren) und atypischen (neueren) Substan-zen unterschieden. Leitsubstanz der älteren Antipsychotika ist Haloperidol, dessen Ef-fekt bei Aggression in Metaanalysen nach-gewiesen ist, das jedoch eine höhere Mor-talität als atypische Antipsychotika auf-

weist. Bei Lewy-Body-Demenz dürfen ty-pische Antipsychotika wegen schwerer extrapyramidaler Nebenwirkungen nicht eingesetzt werden. Trotzdem sind sie in der klinischen Praxis schon wegen der intrave-nösen Verfügbarkeit manchmal die einzige Option bei schwerer Agitation/Aggression und Wahnbildung.

Unter den neueren Substanzen ist der-zeit nur Risperidon für die Behandlung von BPSD zugelassen, jedoch haben in Studien auch Olanzapin und Quetiapin gute Wirkung gezeigt – allerdings bei ge-genüber Placebo erhöhter Inzidenz zere-brovaskulärer Ereignisse.

Derzeit sind die Studiendaten zur Wirk-samkeit und Verträglichkeit atypischer An-tipsychotika in der Indikation BPSD auf-grund unterschiedlicher Patientenpopula-tionen, unterschiedlicher Testinstrumente und nicht äquivalenter Dosen zwischen den einzelnen Substanzen nicht vergleichbar.

1.7 BenzodiazepineBei Demenzpatienten treten zwar häufig Symptome auf, bei denen grundsätzlich Ben-zodiazepine (BD) indiziert wären (wie Angst, Unruhe, Schlafstörungen); dennoch stellen BD keinesfalls Medikamente der ersten Wahl bei Demenzpatienten dar. Gründe da-für sind unter anderem die Gefahr paradoxer Wirkungen, Kumulationsgefahr mit konse-kutiver Übersedierung sowie Ataxie mit Ge-fahr von Stürzen und Frakturen, Verschlech-terung der kognitiven Leistungen, antero-grade Amnesie und Antriebsverminderung.

Richtlinien für die Therapie geriatrischer Patienten mit BD zeigt Tab. 2 (S. 12). Gene-rell sollten nur BD verwendet werden, die keine aktiven Metaboliten haben und durch

Abb. 1: Algorithmus der therapie von Agitation bei Demenz

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Agitation

Mit DepressionMit PsychoseMit Angst Unspezifisch Nächtlich

Cholinesterasehemmer/Memantin

Antidepressiva

+ Antipsychotika

Alternative Antidepressiva

+ BenzodiazepineAngstlösende

Benzodiazepine statt Buspiron

+ Benzodiazepine Benzodiazepine

+ Stimmungs­stabilisierer

+ Antipsychotika+ Stimmungs­stabilisierer

Hypnotika

AntipsychotikaBuspiron Antipsychotika Tradozon

Interaktionen von Medikamenten:  Ein systematisches  Monitoring hilft Qu

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Glukuronidierung abgebaut werden. In Fra-ge kommen Lorazepam, Oxazepam, Broma-zepam, Lormetazepam und Nitrazepam.

1.8 schlafmittelIn der Behandlung der verschiedensten Schlafstörungen bei Demenz sind zumin-dest die folgenden Problemkreise zu be-rücksichtigen.n Insomnie: Hier haben sich z.B. Zolpidem (10mg), die Antidepressiva Trazodon (75–150mg) und Mirtazapin (15–30mg) sowie das Antipsychotikum Quetiapin (25–100mg) bewährtn Exzessive Tagesmüdigkeit kann mit Moda-finil behandelt werden.n Parasomnien wie REM-Verhaltensstö-rungen können z.B. mit Clonazepam (0,5–2mg) erfolgreich therapiert werden.n Psychotische Symptome, Verhaltensstörungen, nächtliche Agitiertheit und nächtliches Wan-dern können einerseits mit AChE-Hem-mern und Memantin, andererseits mit aty-pischen Antipsychotika wie Risperidon (1–2mg), Quetiapin (50–100mg) und auch mit Antiepileptika wie z.B. Valproinsäure (300–500mg) behandelt werden.n Weiters zu berücksichtigen sind schlafbezo-gene Atmungsstörungen (obstruktives Schnar-chen, Hypopnoe, Apnoe) und nächtliche mo-torische Störungen (Restless-Legs-Syndrom, periodische Beinbewegungen etc.).

2. Indikationsstellung, Wirksamkeit, Therapiedauer und –resistenz

2.1 AkuttherapieGrundsätzlich sollte eine antidementive Therapie möglichst frühzeitig begonnen werden. Nach der bisherigen Evidenz ist keinem AChE-Hemmer eindeutig der Vor-zug zu geben. Auch ein Head-to-Head-Vergleich zwischen AChE-Hemmern und Memantin existiert nicht. Die Kombinati-onstherapie von Memantin und AChE-Hemmern zeigte in klinischen Studien ge-genüber Monotherapie überlegene Wirk-samkeit; sie ist bei Patienten mit schwerer oder mittelschwerer AD anzustreben.

Bei Demenzpatienten sollte ein systema-tisches Monitoring hinsichtlich Medika-menteninteraktionen durchgeführt werden. Eine gleichzeitige Therapie von AChE-Hemmern und Betablockern sollte wegen des möglichen Auftretens einer Bradykardie mit besonderer Vorsicht erfolgen.

Medikamente mit anticholinerger Wir-kung oder Wirkungskomponente sollten bei AD generell vermieden werden. Um-gekehrt sind bei Patienten mit Risiko für Bradykardie, COPD oder gastrointesti-nale Probleme AChE-Hemmer mit Vor-sicht zu verwenden.

Die Erfolgskriterien für eine antidemen-tive Therapie (die über mindestens drei Mo-nate laufen muss, um beurteilbar zu sein)

sind zumindest eine Stabilisierung bzw. eine Besserung der kognitiven Symptomatik. Im Einzelfall kann auch eine Verlangsamung des kognitiven Abbaus bzw. eine Abschwä-chung von Alltagsbeeinträchtigungen als Erfolg gewertet werden. Als Misserfolg zu betrachten sind eine plötzliche kognitive Verschlechterung sowie, von Einzelfällen abgesehen, eine fehlende Besserung der nicht kognitiven Symptomatik und ein Feh-len eines positiven Effekts auf die Führung des Alltagslebens. Einen Algorithmus für die Therapie von BPSD liefert Abb. 1 (S. 11).

2.2 LangzeittherapieDie Frage, ob eine einmal als erfolgreich eingeschätzte antidementive Therapie le-benslang weitergegeben werden sollte, wird unterschiedlich bewertet. Jedenfalls ist eine solche Therapie auch in schweren Demenzstadien noch sinnvoll, wobei zu berücksichtigen ist, dass es in diesen Stadi-en andere Erfolgskriterien gibt als in früheren Krankheitsphasen.

Auch die Frage, wie lange eine symptom- oder syndromorientierte Pharmakothera-pie nicht kognitiver Störungen (BPSD) beibehalten werden sollte, ist letztlich of-fen. Dabei sollte jedoch das Zeitfenster der höchsten Wahrscheinlichkeit für ein Auf-treten von BPSD beachtet werden. Nach einer gewissen Zeit können vorsichtige Re-duktionsversuche z.B. der Antipsychotika erwogen werden.

2.3 Auswahl der MedikationDie Auswahl der Medikation hängt vom kognitiven Zustand, aber auch von Fak-toren wie Einfachheit der Handhabung, Komorbidität und Potenzial von Medi-kamenteninteraktionen sowie natürlich von Häufigkeit und Schwere von Neben-wirkungen ab.

2.4 therapieresistenzMögliche Gründe für eine Resistenz gegen antidementive Therapie sind falsche Dia-

gnose, Verwendung eines falschen Test-instruments, fortgeschrittenes Demenz-stadium, Medikamentenunverträglichkeit, Wechselwirkungen des Antidementivums mit anderen Medikamenten und subjek-tives Empfinden der Unwirksamkeit.

Sowohl ein Präparatewechsel innerhalb der Gruppe der AChE-Hemmer als auch ein Wechsel auf Memantin kann sinnvoll sein, obwohl es vor allem zu letzterer Um-stellung wenig Daten gibt.

3. existierende internationale Leitlinien (nICe) in Diskussion

Anfang 2006 veröffentlichte das britische „National Institute for Health and Clini-cal Excellence“ (NICE) Empfehlungen, die einen recht restriktiven Umgang mit AChE-Hemmern fordern und die Ver-wendung von Memantin überhaupt aus-schließen. Dies würde sowohl leicht (MMSE > 20) als auch schwer dementen Patienten (MMSE ≤ 10) eine medikamen-töse Therapie de facto verweigern.

Diese Vorgangsweise ist medizinisch nicht vertretbar, entspricht nicht den kli-nischen Erfahrungen der Experten und auch nicht der Datenlage. Sie wird daher im vorliegenden Konsensus-Statement – in Übereinstimmung mit den Forderungen vieler anderer österreichischer und inter-nationaler Demenzexperten – abgelehnt. n

O. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Siegfried KasperLeiter der Klinischen Abteilung

für Allgemeine Psychiatrie, Med.-Uni WienKorrespondenz-E-Mail:

[email protected]

Univ.-Prof. Dr. Bernd SaletuSchlaflabor, Univ.-Klinik für Psychiatrie,

Med.-Uni Wien

Dir. Dr. Marion KalousekÄrztliche Direktion, SMZ Baumgartner Höhe

Otto-Wagner-Spital, Wien

tab. 2: therapierichtlinien – Benzo-diazepine bei geriatrischen Patienten

1. Strenge Indikationsstellung (Benzodiazepine bei Demenz nie erste Wahl)

2. Berücksichtigung der pharmakokinetischen Eigenschaften: vorzugsweise Präparate mit mittellanger Halbwertszeit ohne aktive Metaboliten, die durch Glukuronidierung abgebaut werden

3. Cave: paradoxe Wirkung und Kumulation4. Beachtung der Wechselwirkung mit anderen

Medikamenten5. Vorsicht bei obstruktiven Lungenerkrankungen6. Vorsichtige, einschleichende Dosierung7. Keine Dauerverschreibung8. Ausschleichendes Absetzen

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1) Das Konsensus-Statement der Öster-reichischen Gesellschaft für Neuropsy-chopharmakologie und Biologische Psy-chiatrie (ÖGPB) „Demenzerkran-kungen – Medikamentöse Therapie“ ist online bei der Medizinakademie erhält-

lich unter http://www.medizin-akade-mie.at/mm/mm003/Demenz-Konsen-sus_korr_low.pdf bzw. kann dort unter der Telefonnummer: 01-546 00-511, Fr. Mag. Andrea Budin, angefordert werden.

Reviewboard:n Univ.-Prof. Dr. Peter Hofmann, Medizinische

Universität Grazn OA Dr. Georg Psota, PSD Wienn Prim. Dr. Andreas Walter, Geriatriezentrum a.

Wienerwald, Wienn Prim. Dr. Andreas Winkler, Haus d. Barmherzig-

keit, Wien

Anamnese und aktuelle situationFrau S. B., 99 Jahre alt, kommt zunächst (im September 2006) stationär an eine geronto-psychiatrische Abteilung des Otto-Wagner-Spitals in Wien, da sie akute Verwirrtheits-zustände zeigt. Angehörige sind nicht vor-handen, die Patientin wird besachwaltert. Anamnestisch ist wenig zu erheben. Aller-dings dürfte sie jüdischer Abstammung sein. Sie musste wahrscheinlich 1938 aus Öster-reich fliehen und ist erst in den siebziger Jahren zurückgekehrt. Eine nach diesen Er-eignissen bestehende und nie behandelte posttraumatische Belastungsstörung kann vermutet werden, was vielleicht auch die ins-tinktive Abwehr von Frau B. gegen psycho-logische Tests erklärt. Ihre Standardantwort ist: „Warum soll ich diese blöden Fragen be-antworten?“ Aus diesem Grund ist auch kein Mini-Mental-Test möglich. Nach der kli-

nischen Einschätzung besteht ein Level 5 auf der „Global Deterioration Scale“, also eine mittelschwere Demenz.

therapeutische ErsteinstellungDie Patientin wird nach wenigen Wochen ohne Einstellung auf eine regelmäßige Phar-makotherapie ins Pflegeheim der Caritas so-cialis transferiert. Es ist allerdings zu vermu-ten (und wird später auch bestätigt), dass sie im Krankenhaus, vor allem nachts, mit „bei Bedarf“-Medikation (v.a. Benzodiazepinen) sediert wurde. Im Pflegeheim ist die Patien-tin zunächst sehr renitent und widerspens-tig. Es wird eine Therapie mit 2mg Risperi-don und 10mg Memantin begonnen. (Die Memantin-Dosis kann wegen einge-schränkter Nierenfunktion nicht höher an-gesetzt werden. Letzter Kreatininwert: 1,3mg/dl, Körpergewicht 45kg.)

Weiterer VerlaufDie Patientin will unbedingt wieder nach Hause – sie hat eine Katze, die sie sehr liebt und die inzwischen in einem Tier-heim gelandet ist. Die Sachwalterin ist kooperativ, und für eine Heimbetreuung sind auch die finanziellen Mittel vorhan-den. Deshalb wird das Ziel, die Patientin für eine Heimentlassung zu rehabilitie-ren, angestrebt.

Nach wenigen Wochen ist, nicht zuletzt mit Hilfe der medikamentösen Einstel-lung, tatsächlich eine Entlassung möglich. Sogar die Katze wird im Tierheim gefun-den und kann zur Patientin zurückkehren. Die Heimeinstellung der Medikamente besteht in Risperidon 0,5 – 0 – 1mg; Memantin: 10 – 0 – 0mg. Die finanzielle Situation erlaubt eine 24-Stunden-Heim-betreuung.

KommentarDer Fall dieser alten Frau illustriert wun-derbar, dass mittels einer Kombination aus einer – allerdings kostspieligen – Heimbetreuung und der richtigen Phar-makotherapie auch schwerer demente Pa-tienten wieder für eine Entlassung nach Hause rehabilitierbar sind. n

OA Dr. Georg PsotaPSD, Wien

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Hoffnung für schwerer DementeOA Dr. Georg Psota

Diese Kasuistik zeigt die Rehabilitation einer sehr alten Patientin mit Demenz mithilfe der richtigen medikamentösen Einstellung.

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ärztemagazin 11/2005 • 16. Juni 200614

n So machen Sie mit: Entsprechend den Richtlinien der ÖÄK fin-den Sie im Anschluss an den Fortbildungsartikel Multiple-Choice- Fragen. Eine Frage gilt dann als richtig beantwortet, wenn Sie von den vorgegebenen Antworten alle richtigen angekreuzt ha-ben. Für eine positive Bewertung ist erforderlich, dass Sie 4 der insgesamt 6 Fragen richtig beantworten.

n Zwei DFP-Punkte werden bei positiver Bewertung im Fach „Psychiatrie“ angerechnet.

n Fax & Post: Schicken Sie diese Seite bitte per Fax (01/546 00-730) oder Post an: ärztemagazin-Redaktion, Wiedner Haupt-str. 120–124, 3. Stock, 1050 Wien

n Einsendeschluss: 3.1.2007 (für Fax u. Post)n Internet: Fortbildungsartikel und Test stehen hier zwei Jahre zur

Verfügung – unter www.aerztemagazin.at oder auf der Plattform

„DFP online“ der „österreichischen akademie der ärzte“ unter www.arztakademie.at.

n Ihre Teilnahmebestätigung erhalten Sie per E-Mail direkt von der „akademie der ärzte“ oder – so Sie per Post oder Fax mitge-macht haben – seitens der Redaktion zugeschickt. Für den Be-arbeitungszeitraum von zirka 8 Wochen ab Einsendeschluss bitten wir Sie um Verständnis, da Ihre Antworten erst in den Computer eingegeben werden müssen.

n Auflösung 47/06: „Herzinsuffizienz – Diagnostik & Therapie“: 1. Frage: b, c, e; 2. Frage: a, b, c; 3. Frage: a, d, e; 4. Frage: b, c, d; 5. Frage: c, d, e; 6. Frage: a, c, d „Herzinsuffizienz – Entstehung & Klinik“: 1. Frage: a, b, d: 2. Frage: b, c, e; 3. Frage: c, d, e; 4. Frage: a, b, e; 5. Frage: a, c, e; 6. Frage: b, c, d

DFP-Literaturstudium im ärztemagazin – alle 2 Wochen!

„Therapie der Demenz“ – ärztemagazin 49/2006 (Die Anzahl der richtigen Antworten ist in Klammern angegeben.)

Bitte gut leserlich ausfüllen:

Name

Anschrift

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sehr gar nicht

2 3 4 51

q Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizinq Facharzt/Fachärztin fürq Ich besitze ein gültiges DFP-DiplomAltersgruppe q < 30 q 31–40 q 41–50 q 51–60 q > 60

Beurteilung der Fortbildungsarbeit:

Beinhaltet die Arbeit für Sie neue Erkenntnisse?

Ist der Inhalt für Ihre Praxisarbeit relevant?

Anzahl der richtig beantworteten Fragen:

1. Für Azetylcholinesterasehemmer (AChE-Hemmer) gilt (3 Richtige):a) Etwa 50% aller Patienten sprechen auf AChE-Hemmer an.

b) Zwar kommt es mit der Zeit auch unter AChE-Hemmern zu einer kognitiven Verschlechterung, die jedoch später beginnt und langsamer verläuft als bei nicht behandelten Patienten.

c) Zu den Nebenwirkungen von AChE-Hemmern, die zu Therapie-abbrüchen führen können, zählen z.B. Diarrhoe oder Müdigkeit.

d) Wenn auf einen AChE-Hemmer Nebenwirkungen auftreten, ist es sinnlos, auf ein anderes Präparat zu wechseln.

e) Es gibt sichere, in einen Score gefasste Prädiktoren für ein therapeutisches Ansprechen auf AChE-Hemmer.

2. Für den NMDA-Rezeptorantagonisten Memantin gilt (3 Richtige):a) Die anzustrebende Tagesdosis für eine Dauertherapie liegt

bei 20mg.

b) Bei Lewy-Body-Demenz und Parkinson-Demenz ist Vorsicht bei der Anwendung von Memantin geboten.

c) Eine Kombination von Memantin mit Donepezil hat sich nicht bewährt.

d) Memantin darf laut Zulassung bei einem MMSE unter 10 nicht gegeben werden.

e) Neben der Kognition verändern sich unter Memantin auch verschiedene Verhaltensauffälligkeiten positiv.

3. Für Ginkgo biloba, Cerebrolysin und Nootropika gelten folgende Aussagen (3 Richtige):

a) Der Einsatz von Nootropika kann aus heutiger Sicht als echte Alternative zu AChE-Hemmern jederzeit empfohlen werden.

b) Für Ginkgo biloba liegen kontrollierte Studien vor, die Verbesserungen bei Kognition, Alltagskompetenz und neuropsychiatrischen Symptomen belegen.

c) Für Cerebrolysin® (eiweißfreies Schweinehirn-Hydrolysat) liegen klinische Studien vor, die eine signifikante Verbesserung der kogni-tiven Leistungen und des globalen klinischen Eindrucks belegen.

d) Alle Nootropika wirken über eine Beeinflussung des Serotonin-Stoffwechsels.

e) Zu den Nootropika gehören z.B. Mutterkornalkaloide, Nicergolin, Piracetam, Mannit, Sorbit, Dextran und Nimodipin.

4. Über den Einsatz von Antidepressiva und Antipsychotika ist Folgendes zu sagen (3 Richtige):

a) Der Einsatz von typischen Antipsychotika wie Haloperidol ist heute in der klinischen Praxis völlig obsolet.

b) Bei Schlafstörungen sind die Antidepressiva Mirtazapin und Trazodon streng zu vermeiden.

c) Neueren Antidepressiva wie SSRI, SNRI, NARI oder NaSSA ist gegenüber Trizyklika der Vorzug zu geben.

d) Unter den neueren, atypischen Antipsychotika ist derzeit nur Risperidon für die Therapie von BPSD zugelassen.

e) Quetiapin und Olanzapin haben in Studien gute Wirksamkeit bei BPSD gezeigt.

5. Für die Therapie geriatrischer Patienten mit Benzodiazepinen (BD) gelten u.a. folgende Regeln (3 Richtige):

a) BD sind grundsätzlich bei Demenzpatienten nicht erste Wahl.

b) Präparaten mit langer Halbwertszeit und aktiven Metaboliten ist der Vorzug zu geben.

c) Auf mögliche paradoxe Wirkungen sowie auf Kumulation von BD ist zu achten.

d) BD-Dauerverschreibungen für geriatrische und Demenzpatienten sind abzulehnen.

e) Lorazepam, Oxazepam und Nitrazepam sind für ältere Patienten ungeeignet.

6. Folgende allgemeinen Aussagen zur medikamentösen Therapie Demenz-kranker sind richtig (3 Richtige):

a) Bei Demenzpatienten sollte ein systematisches Monitoring hinsichtlich Medikamenteninteraktionen erfolgen.

b) Anticholinerge Medikamente werden von Demenzkranken immer problemlos vertragen.

c) Um den Erfolg einer antidementiven Therapie beurteilen zu können, muss diese mindestens drei Monate gelaufen sein.

d) Bei Patienten mit Bradykardie sollte zu einem AChE-Hemmer immer auch ein Betablocker gegeben werden.

e) Eine medikamentöse antidementive Therapie ist auch in schweren Demenzstadien (allerdings bei veränderten Erfolgskriterien) noch sinnvoll.

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