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339 Untere Extremität 8 aus: Baumgartner u.a., Amputation und Prothesenversorgung (ISBN 9783131361530), 2008 Georg Thieme Verlag KG Badeprothese Die Badeprothese sieht äußerlich wie eine normale Borg- greve-Prothese aus, ist aber in Schalen- und nicht in Mo- dularbauweise hergestellt. Das bedeutet, dass der Unter- schenkel innen hohl ist und beim Baden das Wasser in den Hohlraum fluten kann. Die äußere Schale ist tragende Wand und Kosmetik zugleich (Abb. 8.117). Der Oberschenkelschaft besteht aus 2 Teilen: Ein inne- rer Schaft mit ringförmiger Einfassung des proximalen Abb. 8.116 Nichtbelastbare Interimsprothese zur Tarnung während der Dauer der Chemotherapie. Abb. 8.117 Wasserfeste Borggreve-Prothese in Schalenbau- weise. Das Unterschenkelteil lässt sich über ein Loch im Fuß flu- ten als auch entleeren. Oberschenkelkosmetik als feste Schale, seewasserfeste Gelenkschienen. DAW-Skin-Überzug. Oberschenkelanteils und mediolateraler Führung des Un- terschenkelanteils, an dem die seitlichen wasserfesten Gelenkschienen angebracht sind, und eine formgebende feste Außenschale, die dem kosmetischen Ausgleich dient und über das Knie reicht. Vorteil dieser Bauart ist das ge- ringe Auftriebverhalten im Wasser, da keine geschäumten Materialien verwendet werden. Mit dieser Prothese kann der Patient im Nassbereich gehen (barfuß oder mit Bade- schuhen) und im Wasser stehen und schwimmen. c b a 8.5 Knie Synonyme: Knieexartikulation, transgenikuläre Amputa- tion, transkondyläre Amputation. 8.5.1 Allgemeines Knieexartikulationen mit ihren Varianten haben mit den Amputationen am Rückfuß vieles gemeinsam. Obwohl seit Urzeiten bekannt, schlagen Chirurgen einen weiten Bogen drum herum. Lehrbücher der Chirurgie und Ortho- pädie erwähnen sie, wenn überhaupt, nur am Rande. Sie sind die Stiefkinder zwischen den Unter- und Oberschen- kelamputationen. Zu einem guten Teil liegt die Ursache bei den Orthopä- dietechnikern. Der „überlange“ Stumpf nimmt einem Pro- thesenknie, das für Oberschenkelstümpfe gebaut ist, den Platz weg. Mindestens 12 Zentimeter brauche es, und die Chirur- gen mögen sich bitte daran halten. Erst recht, seit die In- dustrie im 1. Weltkrieg 1914 – 1918 Kniepassteile für Ober- schenkelstümpfe produziert. Aus dieser Zeit stammt der Vorschlag von Gritti, distal im Oberschenkel abzusetzen und die Markhöhle mit der Kniescheibe abzudeckeln. Zur Verth (1941) bezeichnet in seinem Amputationsschema die Femurkondylen schlichtweg als „hinderlich“. Nur die Kniescheibe kommt mit „minder wertvoll“ etwas besser weg als Teil der Operation nach Gritti. Seit über 40 Jahren sind Prothesenknie erhältlich, die ei- gens auf den Exartikulationsstumpf zugeschnitten sind. Trotzdem ist der Gritti-Stumpf „nicht umzubringen“. Heute noch wird vor allem in frankophonen Landen nach wie vor nach seiner Methode operiert mit der Begrün- dung, der lange Knieexartikulationsstumpf sei ein Hinder- nis für eine funktionell und kosmetisch befriedigende Pro- thesenversorgung (Bonnel u. Lamoudi 1989). 2005 kom- men Durand u. Mitarb. auf die glorreiche Idee, das Knie zu Allgemeines

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Badeprothese

Die Badeprothese sieht äußerlich wie eine normale Borg-greve-Prothese aus, ist aber in Schalen- und nicht in Mo-dularbauweise hergestellt. Das bedeutet, dass der Unter-schenkel innen hohl ist und beim Baden dasWasser in denHohlraum fluten kann. Die äußere Schale ist tragendeWand und Kosmetik zugleich (Abb. 8.117).Der Oberschenkelschaft besteht aus 2 Teilen: Ein inne-

rer Schaft mit ringförmiger Einfassung des proximalen

Abb. 8.116 Nichtbelastbare Interimsprothese zur Tarnungwährend der Dauer der Chemotherapie.

Abb. 8.117 Wasserfeste Borggreve-Prothese in Schalenbau-weise. Das Unterschenkelteil lässt sich über ein Loch im Fuß flu-ten als auch entleeren. Oberschenkelkosmetik als feste Schale,seewasserfeste Gelenkschienen. DAW-Skin-Überzug.

Oberschenkelanteils und mediolateraler Führung des Un-terschenkelanteils, an dem die seitlichen wasserfestenGelenkschienen angebracht sind, und eine formgebendefeste Außenschale, die dem kosmetischen Ausgleich dientund über das Knie reicht. Vorteil dieser Bauart ist das ge-ringe Auftriebverhalten imWasser, da keine geschäumtenMaterialien verwendet werden. Mit dieser Prothese kannder Patient im Nassbereich gehen (barfuß oder mit Bade-schuhen) und imWasser stehen und schwimmen.

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8.5 Knie

Synonyme: Knieexartikulation, transgenikuläre Amputa-tion, transkondyläre Amputation.

8.5.1 Allgemeines

Knieexartikulationen mit ihren Varianten haben mit denAmputationen am Rückfuß vieles gemeinsam. Obwohlseit Urzeiten bekannt, schlagen Chirurgen einen weitenBogen drum herum. Lehrbücher der Chirurgie und Ortho-pädie erwähnen sie, wenn überhaupt, nur am Rande. Siesind die Stiefkinder zwischen den Unter- und Oberschen-kelamputationen.Zu einem guten Teil liegt die Ursache bei den Orthopä-

dietechnikern. Der „überlange“ Stumpf nimmt einem Pro-thesenknie, das für Oberschenkelstümpfe gebaut ist, denPlatz weg.

Mindestens 12 Zentimeter brauche es, und die Chirur-gen mögen sich bitte daran halten. Erst recht, seit die In-dustrie im 1.Weltkrieg 1914–1918 Kniepassteile für Ober-schenkelstümpfe produziert. Aus dieser Zeit stammt derVorschlag von Gritti, distal im Oberschenkel abzusetzenund die Markhöhle mit der Kniescheibe abzudeckeln. ZurVerth (1941) bezeichnet in seinem Amputationsschemadie Femurkondylen schlichtweg als „hinderlich“. Nur dieKniescheibe kommt mit „minder wertvoll“ etwas besserweg als Teil der Operation nach Gritti.Seit über 40 Jahren sind Prothesenknie erhältlich, die ei-

gens auf den Exartikulationsstumpf zugeschnitten sind.Trotzdem ist der Gritti-Stumpf „nicht umzubringen“.

Heute noch wird vor allem in frankophonen Landen nachwie vor nach seiner Methode operiert mit der Begrün-dung, der lange Knieexartikulationsstumpf sei ein Hinder-nis für eine funktionell und kosmetisch befriedigende Pro-thesenversorgung (Bonnel u. Lamoudi 1989). 2005 kom-men Durand u. Mitarb. auf die glorreiche Idee, das Knie zu

Allgemeines

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exartikulieren und dafür das Femur zu kürzen, umPlatz zumachen für ein Prothesenknie für Oberschenkelstümpfe.Schon 40 Jahre früher waren andere völlig entgegenge-

setzter Meinung. In der Erkenntnis, die Technik habe sichnach der Anatomie zu richten und nicht umgekehrt, hatLyquist in Kopenhagen 1968 das erste, eigens für die Knie-exartikulation geschaffene OHC-Vierachsgelenk entwi-ckelt und Botta in der Schweiz eine Schafttechnik, welchedie Vorteile des Stumpfes voll zur Geltung bringt. Dazu ge-hört auch ein operatives Vorgehen,welche die Bedürfnisseder Prothetik gebührend berücksichtigt (Baumgartner2006).Nicht von ungefähr sind Athletenmit Knieexartikulatio-

nen im Behindertensport den Oberschenkelamputiertenhaushoch überlegen (s. Abb. 5.27 l, S. 152). Der knieexarti-kulierte Earl Connor ist mit 12,4 Sekunden über 100Metermehr als 2 Sekunden schneller als die Oberschenkelampu-tierten (Belitz 2004).

MERKE

Der Knieexartikulationsstumpf ist dem Oberschenkel-stumpf haushoch überlegen, von der operativen Technikbis zur Rehabilitation.

Vorteile:➤ Der Eingriff ist für jede Ätiologie geeignet, ausdrück-lich auch bei arteriellen Verschlusskrankheiten (s.u.).

➤ Der Stumpf ist voll endbelastbar. Das Femurende istvon der Natur so konstruiert, dass es alle axialen Kräfteauf das Tibiaplateau übertragen kann und umgekehrt.

Das Femur braucht also „nur“ eine Unterlage, welchedieselben Eigenschaften hat wie das Tibiaplateau, undschon ist er wieder in seinem Element. Diese volle End-belastbarkeit hat gleich mehrere Vorteile:– keine Abstützung am Becken erforderlich. Das Hüft-gelenk bleibt frei beweglich in allen Ebenen. JedeKraftübertragung am Becken erübrigt sich, wie wirsie für Oberschenkelstümpfe benötigen:

– Die volle axiale Belastung bremst die Inaktivitätsos-teoporose von Femur und Becken und stimuliert au-ßerdem das Wachstum (s. Abb. 3.6, S. 76).

– Die distalen Epiphysenfugen bleiben erhalten. Siesind für 80–90% des Wachstums verantwortlich.Werden sie geopfert, kommt das weitereWachstumpraktisch zum Stillstand. Aus dem langen Ober-schenkelstumpf des Kleinkindes wird am Ende desWachstums ein schmales, kurzes und spitz zulau-fendes Gebilde (s. Abb. 3.7, S. 76).

– Nur bei voller Endbelastung kann die Vollhaut überdem Stumpfende die propriozeptiven Funktionender Fußsohle übernehmen.

– Nach doppelseitiger Amputation ermöglicht die vol-le Endbelastung das „Barfuß“-Stehen und -Gehen,also ohne Prothesen oder Stubbies. Wie nach dop-pelseitigen Amputationen im Rückfuß benötigt derAmputierte einen Stock als drittes „Standbein“ zumStehen, nicht aber zum Gehen (Abb. 8.118).

➤ Die operative Technik ist ausgesprochen atraumatisch:Keine Muskulatur ist zu durchtrennen und auch keinKnochen bei der Exartikulation. Daher kann es garnicht zur Ausbildung von Exostosen, zu Kronenseques-tern (s. Abb. 2.50, S. 56) oder zur Zuspitzung desStumpfendes kommen wie nach einer Amputation imOberschenkel. Auch die Gefahr von Nachblutungen istweit geringer als bei der großenWundfläche am Ober-schenkel.

➤ Infektionen treten seltener auf, da den Bakterien derWeg in die Muskulatur und in den Knochen versperrtbleibt. Oder sie heilen leichter, wenn nach dem Entfer-nen einer infizierten Knietotalprothese das Femurdurch die Kondylen abgesetzt und die ausgefrästeMarkhöhle mit einem gestielten Muskellappen aufge-füllt wird (s. Kap. 8.5.2.4, S. 353).

➤ Prothesenschaft: Dank seiner Birnenformmit dreiecki-gem Querschnitt (s. Abb. 8.134 u. 8.141 a) sitzt derStumpf fest und drehstabil im Vollkontakt-Containermit Weichwandschaft. Jede Verschmächtigung derKondylen verringert die Standfläche (Jensen 1996). Vonorthopädietechnischer Seite her besteht kein plau-sibler Grund, um einer einfacheren und eleganterenProthesenversorgung willen die Kondylen zurechtzu-stutzen. Ein Übergreifen des Schaftes auf das Beckenoder eine Abstützung am Tuber wie an einem Ober-schenkelstumpf ist auf keinen Fall nötig.Abb. 8.118 Knieexartikulationsstümpfe sind voll endbelast-

bar. „Barfußgang“ bei doppelseitiger angeborener Fehlbil-dung, einer Knieexartikulation entsprechend (Technische Or-thopädie Münster, Prof. Dr. med. G.G. Kuhn).

8.5 Knie

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Nachteile:➤ Bei dem nur aus Haut und Knochen bestehendenStumpf die Dekubitusgefahr weit größer als am Ober-schenkelstumpf. Ihr ist von Anfang an bewusst zu be-gegnen. Besonders gefährdet ist die Haut über der Pa-tella und unter dem lateralen Kondylus.

Tabelle 8.3 Knieexartikulation im Vergleich zur Oberschenkel-amputation: Vor- und Nachteile

Parameter Knieexartiku-lation

Oberschenkelamputa-tion

Operations-technik

einfach,atraumatisch

einfach bis schwierig

Wundfläche klein groß

Durchtrennung von:� Haut� Muskulatur� Knochen

� ja� keine� keine

� ja� viel� Femurdiaphyse

Postoperative Komplikationen� Nachblutung� Exostosenbil-

dung� Infektrisiko� Dekubitus-

gefahr

� selten� keine

� gering� groß

� häufig� häufig

� groß� klein (Gesäß?)

Stumpf� Form

� Endbelastbar-keit

� Muskelgleich-gewicht

� Wachstum

� Hüftbeweg-lichkeit

� Beugekontrak-tur

� Femur:– Inaktivitäts-

osteoporose– Zuspitzung

des Kno-chens

� birnenför-mig

� vollständig

� bleibt erhal-ten

� bleibt erhal-ten

� bleibt vollerhalten

� keine

– keine

– keine

� konisch

� höchstens teilweise

� immer gestört

� praktisch gestoppt

� immer beeinträch-tigt

� zunehmend mitjeder Kürzung

– immer

– häufig

Prothese� Schaft

� Abstützungam Becken

� Kniepassteile

� Auswahl

� Weichwand-schaft, Liner

� nein

� polyzen-trisch

� klein

� hart (Liner)

� immer

� mono- und poly-zentrisch

� groß

Doppelseitige AmputationGehfähigkeit� barfuß � möglich � unmöglich� mit Prothesen � nur bei jungen sportlichen Patienten

Abb. 8.119 „Angeborene Knieexartikulation“. Die dysplasti-schen Femurkondylen sind beide endbelastbar. Die Patientinkann darauf stehen, ohne und mit Prothesen (Klinik Balgrist,Zürich).

➤ Eine Überlänge im Sitzen ist nicht ganz zu vermeiden.Mit polyzentrischen Prothesengelenken und speziel-len Adaptern lässt sie sich auf 3cm reduzieren. Es seidenn, der Stumpf hätte aus medizinischen Gründenverkürzt werden müssen (s. Kap. 8.5.2.2, S. 350).

Um die Vorteile richtig einschätzen zu können, vergleichtdie Tab. 8.3 die Vor- und Nachteile der Knieexartikulationmit denjenigen der Oberschenkelamputation.

Indikationen und Kontraindikationen

Dieses Thema ist bereits in Kap. 3, S. 71ff abgehandeltworden. Bei Amputationen im Kniebereich lohnt es sich,darauf zurückzukommen und zu zeigen, wie viel weiterman gehen darf als gemeinhin angenommen wird.

Angeborene Fehlbildungen.Hier ist zu unterscheiden zwi-schen angeborenen transversalen und longitudinalenFehlbildungen. Transversale (Peromelien) können funktio-nell einer Exartikulation im Kniegelenk entsprechen. DieFemurkondylen sind halbkugelig angelegt (Abb. 8.119).Bei den longitudinalen Fehlbildungen des Unterschen-

kels, also beim Fehlen von Tibia oder Fibula, ist die Knieex-artikulation das Ergebnis einer Resektion von Fuß und Un-terschenkel. Die Alternative zu diesem verstümmelndenEingriff ist die kalkaneofemorale Fusion nach Ernst Mar-quardt (s. Kap. 8.3.2.12, S. 317). Bei longitudinalen Fehlbil-dungen des Femurs steht der Fuß auf Höhe des Knies, istvoll endbelastbar und prothetisch wie eine Knieexartiku-lation zu versorgen (PFFD, Kap. 8.6.5, S. 388).

Arterielle Verschlusskrankheiten. Selbst bei einem Ver-schluss beider Femoralarterien ist die Knieexartikulationeine gangbare Alternative zur Amputation im Oberschen-

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Abb. 8.120 a – c Allgemeine Arte-riosklerose. Stumpfrevision nachKnieexartikulation.a u. b Entfernen der obliterierten

Gefäßprothese.c Kürzen des zu lang belasse-

nen, mit der Umgebung ver-wachsenen Ischiasnervs.

Abb. 8.121 a u. b Allgemeine Arteriosklerose. Infizierte Gefäß-prothese mit multiplen Abszessen in der Leiste. A. femoralissuperficialis verschlossen. Die Knieexartikulation ist primär abge-heilt. Die temporäre Fixation der Patella mit 2 Kirschner-Drähtenerwies sich als überflüssig und wurde bald danach verlassen(Baumgartner, Orthop. Univ.-Klinik Genf, 1968).

Abb. 8.122 a – c Allgemeine Arteriosklerose. Gangrän an Fußund Unterschenkel. Transkondyläre Amputation, Stumpf vollendbelastbar (Klinik für Technische Orthopädie, Münster, 1989).

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a

b

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8.5 Knie

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kel. Sie ist der weit schonendere Eingriff und bietet demPatienten viel die besseren Rehabilitationsaussichten. Da-bei sind verschlossene Gefäßprothesen total zu entfernenund infizierte Wunden zu débridieren und per secundamoffen zur Abheilung zu bringen (Abb. 8.120–8.122).Zurückhaltung ist geboten bei der rasch progredienten

Winiwarter-Buerger-Krankheit (s. S. 32).Beugekontrakturen von Hüfte und Knie mahnen zur

Vorsicht (Abb. 8.123). Dennoch lohnt auch in solchen Fäl-len der Versuch, erst im Knie zu exartikulieren. Das Abset-zen des Lig. patellae vermag indirekt die Beugekontrakturder Hüfte zu verringern. Eine Amputation im Oberschen-kel würde daran nicht viel ändern, außermit einer zusätz-lichen Desinsertion der Beugesehnen und einer vorderenKapsulotomie der Hüfte.

Trauma. Nach schwerer Traumatisierung des Unterschen-kels stellt sich die Frage einer Exartikulation erst dann,wenn es nicht möglich ist, bei einem intakten Knieeinen ultrakurzen Unterschenkelstumpf zu erhalten(Abb. 8.124).Bei Kindern ist alles daran zu setzen, das Femur und da-

mit die distale Wachstumsfuge zu erhalten. Hier genügteine Hautdeckung mit Meshgraft (s. Abb. 4.11, S. 102). Siewird möglichst von der rasierten Kopfhaut entnommen,um Keloide an der Entnahmestelle zu vermeiden.

Infekt nach Knietotalprothesen und Femurosteosynthesen.Die Indikation zur Amputation nach anders nicht be-herrschbarer Osteomyelitis nach Implantation einer Knie-prothese oder sogar nach einem intraartikulären Eingriffist so selten auch wieder nicht, jedoch von einer erhebli-chen Dunkelziffer belastet (Abb. 8.125).Im Bestreben, alles infizierte Gewebe radikal zu entfer-

nen, erfolgt die Absetzung in der Regel imOberschenkel inrespektvollem Abstand vom Implantat. Werden dagegennur Prothese und Zement entfernt und das Wundbett dé-

Abb. 8.123 Kontrakturen von Hüfte und Knie bei einem bett-lägrigen Patienten. Kontraindikation.

Abb. 8.124 Knieexartikulationen nach Trauma. 22-jährigerPatient, Motorradunfall. Offene Unterschenkeltrümmerfrakturmit Luxation des Knies. Erst Exartikulation im Knie, dann Nach-amputation transkondylär wegen Weichteilproblemen. Auch 30Jahre später voll funktionstüchtiger Stumpf (Baumgartner, KlinikBalgrist, Zürich, 1977).

Abb. 8.125 Chronisch-rezidivierende Osteomyelitis der Tibianach mehrmaligem Wechsel einer Totalprothese. Im Femurab-schnitt ist sie fest einzementiert, mit Zementstopper. Transkon-dyläre Amputation mit gestieltem Gastrocnemius- und Vastus-lateralis-Muskellappen (s. Abb. 8.140, S. 355) (mit Dr. A. Staubli,Kantonsspital Luzern, 2006).

Allgemeines

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bridiert, vermag eine transkondyläre Amputation den In-fekt ebenso gut zum Stillstand zu bringen. Das Ergebnis istein endbelastbarer Stumpf mit langem Hebelarm undintakt gebliebener Oberschenkelmuskulatur (s. Kap.8.5.2.4).Analoge Überlegungen stellen sich bei einer anders

nicht beherrschbaren Osteomyelitis nach Osteosynthesenam Femur. Anstelle einer hohen Oberschenkelamputationoder gar einer Exartikulation der Hüfte bietet sich hier die

Abb. 8.126 a u. b Knieexartikulation bei Osteosarkom desTibiakopfes bei 9-jährigem Jungen. Ergebnis nach Chemothera-pie: schwere Osteoporose und Atrophie der Weichteile. Patellek-tomie wegen Nekrose. Wachstumsfuge ausgeschaltet (Orthop.Uni.-Kliniken Münster, 1987).

Abb. 8.127 a – c Morbus Ollier mit sarkomatöser Entartung amUnterschenkel. Exartikulation des ebenfalls deformierten Knie-

gelenkes. Stumpf nicht vollständig endbelastbar (Dr. R. Kellenber-ger, CH-Fribourg, 2002).

a b c

a b

8.5.2 Operative Techniken

Die verschiedensten Verfahren werden vorgeschlagen(Jensen 1996). Die meisten sind, wie die Amputation nachGritti, Orthopädietechnikern zuliebe entwickelt worden,welche sich außerstande sehen, ein intaktes, nur mit Voll-haut bedecktes Femur samt Patella prothetisch zu versor-gen. Den Vogel abgeschossen haben Autoren, welche ausdem gleichen Grund empfehlen, den Knochen diaphysärzu kürzen (Durand 2005).Bei der Technik nachKlaes und Eigler (1985) bedeckt ein

hinterer Haut-Muskel-Lappen die Femurkondylen, ähn-lich wie bei der Unterschenkelamputation nach Verduynund Burgess (s. Kap. 8.3.2.2, S. 302). Diese Technik hat denVorteil eines gut gepolsterten Stumpfes. Der Preis ist je-doch eine Überlänge umdie Dicke desMuskellappens. Au-

Umkippplastik nach Sauerbruch an: Der betroffene Teildes Femurs wird samt Osteosynthesematerial entfernt.Den Defekt füllt der auf den Kopf gestellte Unterschenkelaus. Statt auf den Femurkondylen steht der Amputiertenun auf dem nach unten gerichteten Tibiaplateau (s. Kap.8.5.2.3, S. 351).

Tumoren. Maligne Knochentumoren im Tibiakopf sindideale Indikationen für die Knieexartikulation(Abb. 8.126 a u. b). Eine onkologische Nachbehandlungschädigt auch dieWachstumsfugen. Die daraus entstehen-de Längendifferenz kann durch die Operationstechniknach Klaes und Eigler ausgeglichen werden (s.u.).

Systemerkrankungen. An einem Fall von Morbus Ollierwird gezeigt, dass auch ein schwer deformiertes, osteopo-rotisches Knie exartikuliert werden kann (Abb. 8.127 a – c).

8.5 Knie

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ßerdemmuss man sich fragen, ob es denn, ausgenommenbei Tumoren der Tibia, nichtmöglich gewesenwäre, einenultrakurzen Unterschenkelstumpf zu schaffen, wenn derlange Hinterlappenmit den Gastrocnemii doch so vital ge-blieben ist.Bowker u. Mitarb. (2000) haben 80 Exartikulationen

nach dieser Technik durchgeführt. Sie resezieren zudemdie Patella und verschmälern die Kondylen nach Mazet,aber nur dann, wenn eine Prothesenversorgung vorgese-hen ist.Wennnicht, lassen sie sie stehen und vernähen dasLig. patellae mit den Kreuzbändern bei gestreckter Hüfte,um eine Beugekontraktur zu vermeiden.Immer stellt sich die Frage, was mit der Patella gesche-

hen soll. Es ist nahe liegend, das Lig. patellae mit denKreuzbändern zu vereinigen und so eine Muskelschlingezu bilden wie bei der Oberschenkelamputation. Nur hatdie Natur an dieses Vorhaben nicht gedacht. Die Bändersind einfach zu kurz, oder aber die Patellamussmehr oderweniger stark nach unten geschlagen werden. Damitkommt sie in die Belastungszone zu liegen. Im Gegensatzzu den Kondylen ist die Patella nicht endbelastbar. Eineheruntergeschlagene, fixierte Kniescheibe verkleinert dienatürliche Belastungsfläche der Femurkondylen und ver-längert dazu noch den Stumpf (s. Abb. 8.133).Diesen Modifikationen können wir nichts abgewinnen,

mögen sie noch so gut gemeint sein. Sie beruhen auf dengleichen Überlegungen wie die Technik nach Gritti ausdem 1. Weltkrieg (s. Abb. 8.129 c). Alle sind das Werk vonChirurgen, die sich von Technikern über den Tisch habenziehen lassen, die mit der Prothesentechnik nicht genü-gend vertraut sind.Die seit 1968 von Botta entwickelte Schafttechnik und

die eigens für die Knieexartikulation geschaffenen Gelen-ke (s. Kap. 5.4.3.5) beweisen seit 40 Jahren, dass mit derExartikulation im Kniegelenk und mit erhaltener Patellaohne jeden zusätzlichen Eingriff am Knochen hervorra-gende Ergebnisse erzielt werden können.Wir versuchendaher, es bei einer Exartikulation imKnie

bewenden zu lassen. Die Belastungsfläche des Stumpfeskönnte physiologischer nicht sein. Außerdem ist keine an-dere Technik derart gewebeschonend, ein weiterer Vorteilvor allem bei Patienten in prekärem Allgemeinzustand(Abb. 8.128 a u. b). Die Patella trägt bei zur Drehstabilität(Abb. 8.134 b).

Abb. 8.128 a u. b Exartikulation des Kniegelenkes bei arteriellerVerschlusskrankheit. Technik nach Baumgartner: Femur undPatella bleiben intakt, das Lig. patellae wird entfernt.a Postoperatives Röntgenbild. Die Patella steht an ihrem ange-

stammten Platz. Die verkalkten Arterien sind gut sichtbar.b 2 Jahre postoperativ. Birnenförmiger, verschmächtigter

Stumpf. Trägt Prothese nach Botta mit sperrbarem Vierachs-Kniegelenk.

Abb. 8.129 a – c Amputationshöhen im Kniebereich.a Exartikulation.

b Transkondyläre Amputation. Schnittführung leicht stempelför-mig exakt in der Transversalebene, quer zur Längsachse des Bei-nes, nicht des Femurs. Knochenkanten abrunden, auch dorsal(s. a. Abb. 8.135, S. 350).

c Technik nach Gritti. Fusion zwischen Femur und Patella.

� � �

Nur wenn die erforderliche Weichteildeckung nichtausreicht, sind wir gezwungen, die Patella zu entfernenund die Schnittfläche transkondylär zu legen (Abb. 8.129 bund 8.135 a u. b ).

8.5.2.1 Knieexartikulation undtranskondyläre Amputation –eigene Technik

Prinzipien

➤ Der Stumpf ist nur mit Vollhaut bedeckt, um die Über-längeminimal zu halten und die sensorische Innervati-on auf der ganzen Fläche zu gewährleisten. Sie musszur Unterlage verschieblich sein.

➤ Um dieses Ziel zu erreichen, kann eine transkondyläreAmputation indiziert sein, oder die Vollhaut kann zurDeckung des Stumpfendes dank Verkürzungsosteoto-mien des Femurs nach distal verlagert werden (s. Kap.8.5.2.2).

Operative Techniken

a b

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➤ Die Operationsnarbe kommt, wenn möglich, außer-halb der Belastungszone zu liegen, umden Stumpf baldendbelasten zu können. Die dorsale Haut ist stärker alsdie ventral gelegene (Abb. 8.130 a – c) Wenn es andersnicht geht, kann sie auch in die Belastungszone gelegtwerden. Nur verzögern sich dann der Beginn der End-belastung und damit die Mobilisation.

➤ Freie gefäßgestielte Vollhauttransplantate sind aufDauer der mechanischen Belastung so wenig gewach-sen wie an der Fußsohle. Außerdem haben sie keinepropriozeptiven Eigenschaften.

➤ Die Gastrocnemii werden vollständig oder bis auf3–4cm entfernt, je nach der verfügbaren Haut.

➤ Die Femurkondylen bleiben voll erhalten, auch der Ge-lenkknorpel.

➤ Bei guter Durchblutung können sogar die Meniskenstehen bleiben.

➤ Die Patella bleibt am Ort. Sie wird höchstens entfernt,wenn dies für eine spannungsfreie Hautdeckung nötigist, oder wenn die Kondylen transkondylär abzusetzensind, wo sich der Knochenquerschnitt bereits ver-schmälert. Lässt man die Patella in Ruhe, zieht sie sichhöchstens um 1cm zurück. Die Retinakula halten sieim patellofemoralen Gleitlager zurück.

➤ Das Lig. patellae, die Kreuz- und die Seitenbänder wer-den an ihrer Basis reseziert.

➤ Hautverschluss spannungsfrei in Neutralstellung desHüftgelenkes.

➤ Steht für einen spannungsfreien Verschluss nicht ge-nügend Haut zur Verfügung, kann der Defekt proviso-risch durch Meshgraft gedeckt werden. Die Entnahmedarf auf keinen Fall am Stumpf erfolgen, sondern aufder Gegenseite oder, vor allem bei Kindern, von der be-haarten Kopfhaut. Dieses Transplantat wird mit derZeit nur bei Kindern tragfähig. NachWundheilung undAtrophie der Weichteile lässt es sich bei Erwachsenennachträglich entfernen und der Defekt durchMobilisa-tion der benachbarten Haut unter Ausnützen ihrer er-höhten Elastizität decken.

➤ Gegebenenfalls ist das Entfernen der Patella, ein Kür-zen oder Verschmächtigen der Kondylen erforderlich.Genügt auch dies nicht, ist die Verkürzungsosteotomiedes Femurs indiziert, diaphysär oder suprakondylär (s.Kap. 8.5.2.2).

Abb. 8.130 a – c Lappenbildungmit Hautverschluss außerhalb derBelastungszone.a Langer Hinterlappen nach vorne

(wie an Fuß, Unterschenkel,Hüfte).

b Vorderlappen nach hinten.c Seitliche Lappen, nach zirkulärem

Schnitt S-förmig zugerichtet. Ver-schluss hinten zwischen den Kon-dylen.

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MERKE

Obliterierte Gefäßprothesen sind vollständig zu entfernenbis zum Abgang von der Arterie. Sie stören die Wundhei-lung und bieten den Bakterien eine willkommene „Him-melsleiter“ an (s. Abb. 8.120 a u. b).

Vorbereitungen

➤ Lagerung. Die Knieexartikulation kann sowohl in Rü-ckenlage wie in Bauchlage durchgeführt werden. Wirziehen die Rückenlage vor, schon für den Fall, dass dieAmputation in den Oberschenkel zu verlegen ist. Ein5cm dickes Kissen aus Schaumstoff unter dem ganzenGesäß hebt den Stumpf an und schafft Platz, um eineNierenschale unter das Operationsgebiet zu legen.Hüfte und Knie müssen beweglich bleiben.

➤ Blutsperre, Blutleere. Der Eingriff kann in Blutleere er-folgen. Nur ist dieManschettemöglichst proximal, alsounmittelbar unterhalb des Leistenbandes anzulegen.Die Blutsperre muss sich während des Eingriffes auchentfernen lassen, ohne dass das gesamte Operations-feld neu abzudecken ist. Zum Beispiel dann, wenn dieManschette nicht funktioniert oder die Amputationstatt im Knie im Oberschenkel erfolgen muss.

Operatives Vorgehen

Vorbereitungen

➤ Ziel ist ein spannungsfreier Hautverschluss außerhalbder Belastungszone.

TIPPS UND TRICKS

Die Haut im Kniebereich ist überaus elastisch und zieht sichwährend des Eingriffes zurück. In der Regel braucht mandaher längere Vollhautlappen als angenommen.

➤ Auch dem Routinier sei geraten, die Schnittführung zumarkieren und dabei Narben zu exzidieren oder in denSchnitt miteinzubeziehen (s. Abb. 8.130)

8.5 Knie

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Zugang

➤ Ein zirkulärer Hautschnitt etwa 5–7cm unterhalb desTibiaplateaus ist am einfachsten. Am Ende des Eingrif-fes ist dann dieHaut so zuzuschneiden, dass dieNaht inder Längsrichtung hinten zwischen die Kondylen zuliegen kommt. Gleichwertige Alternativen sind langedorsale oder ventrale Lappen. Wie am Unterschenkelist die hintere Haut besser belastbar als die vordere. Esist jedoch kein Unglück, wenn die Narbe quer darüberzieht, sollte nur so ein Kürzen des Stumpfes zu vermei-den sein. Dann dürfen Belastungsübungen etwas spä-ter einsetzen. Der Mercedes-Stern in Ehren, aber bittenicht an einem Stumpf (Abb. 8.131).

➤ Der Hautschnitt geht in einem Zug durch Haut undSubkutis. Anschließend gleich Versorgen der Venen.

OP-Schritte

➤ Nachdem der Hautschlauch oder die Hautlappen gebil-det sind, erfolgt als erstes die Desinsertion des Lig. pa-tellae von der Tuberositas tibiae. Wir schlingen es miteinem Faden an und ziehen es hoch, um den Zugangzum Tibiaplateau freizuhalten (Abb. 8.132 a).

TIPPS UND TRICKS

Da später das Lig. patellae reseziert wird, macht es nichtsaus, wenn die Patellarsehne statt angeschlungen mit einerKocher-Klemme gefasst und hochgezogen wird.

➤ Nun kippen wir das Skalpell in die Transversalebeneund durchtrennen entlang dem Tibiaplateau nachei-nander Kapsel, Seiten- und Kreuzbänder. Diesewerdendauernd unter Spannung gehalten, indem der Assis-tent das rechtwinklig gebeugte Knie nach ventral zu lu-xieren sucht, als ginge es ihm darum, die Schublade zuprüfen (Abb. 8.132 b).

➤ Bei ungestörter Durchblutung lohnt es sich, die Menis-ken stehen zu lassen. Dazumüssen aber alle Strukturenauf Höhe des Tibiaplateaus durchtrennt werden. DieMenisken müssen ihre proximalen Verbindungen zurGelenkkapsel und den Bändern behalten. Sie dienen alsPolster und vergrößern zusätzlich die Belastungsflächedes Femurs.

TIPPS UND TRICKS

Bei Gefäßpatienten haben uns Nekrosen dieser bradytro-phen Gewebe gelehrt, alle Menisken und Bänder vollstän-dig zu entfernen.

➤ Ist schließlich auch die hintere Kniekapsel durch-trennt, lässt sich der Unterschenkel nach ventral luxie-ren. Am rechtwinklig gebeugtemKniewird die „Schub-

Abb. 8.131 Wundheilungsstörung nach Knieexartikulation. Die3 Hautlappen wurden zu kurz gewählt. Eine primäre Kürzung desFemurs hätte die Situation gerettet.

lade weiter geprüft“ und so der Hinterlappen unterSpannung gehalten.

➤ Der Reihe nach kommen in der Kniekehle die großenGefäße und Nerven zum Vorschein und lassen sichleicht identifizieren und präparieren (Abb. 8.132 c).

MERKE

Keine Massenligatur von A. und V. poplitea und N. tibialis!

➤ Bei ungestörter Durchblutung sind Arterie und Venegetrennt mit resorbierbarem Material zu ligieren, dieArterie doppelt. Bei arterieller Durchblutungsstörungbedarf die Arterie (hoffentlich) keiner Ligatur mehr. Je-der derartige Versuch am untauglichen Objekt erhöhtdie Zahl der Fremdkörper in derWunde und begünstigtWundheilungsstörungen.

MERKE

Ist aber auch die Vene thrombosiert, wird dringend emp-fohlen, die Amputationshöhe unverzüglich auf das mittlereDrittel des Oberschenkels zu verlegen.

➤ Nach durchgeführter Exartikulation durchtrennen wirin allen Fällen das Lig. patellae am unteren Pol derKniescheibe.

➤ N. tibialis und N. peronaeus sind, anders als die Gefäße,mindestens 5cm weiter proximal abzusetzen. IhreStümpfe liegen proximal der Kondylen. Während derN. fibularis glatt durchtrennt werden kann, bedarf derN. tibialis einer Ligatur wegen seiner Arterie.

➤ Die Absetzung wird vervollständigt durch das Lösender Mm. gastrocnemii vom Femur und die Bildung deshinteren Hautlappens. Von den beiden Muskeln kön-

Operative Techniken

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Abb. 8.132 a – d Exartikulation desKnies nach Baumgartner.a Zirkulärer Hautschnitt 5 – 7 cm

unterhalb des Tibaplateaus. Knierechtwinklig gebeugt halten,„Schublade prüfen“. Lig. patellaeanschlingen und hochschlagen.

b Unter ständigem „Schubladen-zug“ Kapsel und Ligamentedurchtrennen bis zur hinterenGelenkkapsel zur vollständigenLuxation nach ventral. Bei unge-störter Durchblutung können dieMenisken stehen gelassen wer-den.

c Präparieren und Versorgen derpoplitealen Gefäße und des N.tibialis. Exartikulation vervollstän-digen.

d Stumpf von distal: Meniskenbelassen, Ligamente durchtren-nen, Gastrocnemii auf 3 – 4 cmkürzen. N. peronaeus, ischiadicusund suralis kürzen.

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nen die proximalen Anteile durchaus erhalten bleiben,falls ihre Durchblutung gewährleistet ist. Dagegen hal-ten wir es für überflüssig, mit den Gastrocnemii dasStumpfende zu polstern und die heruntergeschlagenePatella dazwischen zu nehmen (Abb. 8.132 d).

RISIKEN UND GEFAHREN

Nach den geltenden Regeln wäre das Lig. patellae mit denKreuzbändern und die Beugesehnen mit der hinteren Kap-sel zu vernähen, um das Muskelgleichgewicht zwischenden Antagonisten wiederherzustellen, so wie es am Ober-schenkel üblich ist. Bei der Knieexartikulation birgt diesnun aber einige Gefahren:

➤ Die heruntergeschlagene Patella kommt in die Belas-tungszone zu liegen. Die Kniescheibe ist aber überhauptnicht endbelastbar. Entsprechend verringert sich die be-lastbare Fläche der Femurkondylen. Zudem verlängertsie den Stumpf (Abb. 8.133).

➤ Die Nähte durch die bradytrophen Gewebe der Sehnenund Kapseln können Fadengranulome verursachen. AlsFremdkörper erhöhen sie das Infektrisiko.

➤ Wir ziehen es vor, die Patella in ihrer angestammtenLage zu behalten und damit auch ihre Funktion als fe-moropatellares Gleitlager. Am schonendsten erreichenwir dieses Ziel, wenn wir das Lig. patellae entlang desunteren Pols der Kniescheibe entfernen. Die Retinakula

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beidseits der Kniescheibe sorgen dafür, dass sie sichnichtmehr als 1–2cmnach proximal hin verlagert. Diean ihrem angestammten Ort belassene Kniescheibe istabsolut kein Hindernis für die Prothesenversorgung.Im Gegenteil erfüllt sie einewichtige Funktion. Ihr Pro-fil erleichtert die rotationsstabile Einbettung desStumpfes. Außerdem schätzen es die Patienten, ihreKniescheibe aktiv auf- und abbewegen zu können, so-fern der Prothesenschaft dafür Platz bietet.

TIPPS UND TRICKS

Es ist auch nicht notwendig, die Patella mit dem Femur zuarthrodesieren. Wir haben Pseudarthrosen und gelockertedruckempfindliche Schraubenköpfe erlebt. Auch die vo-rübergehende Fixierung der Patella mit Spickdrähten ha-ben wir längst aufgegeben.

➤ Sowenigwie die Entfernung der Patella haltenwir eineSynovektomie für notwendig. Das femoropatellareGleitlager mit dem Recessus suprapatellaris ist ja wei-terhin auf Synovialflüssigkeit angewiesen. Anders beieiner rheumatischen Synovialitis. Hier ist es angezeigt,die überschießenden und entzündlich gereiztenGewe-be zu entfernen. Eine anfänglich überschießende Se-kretion von Synovialflüssigkeit hört imNormalfall baldvon selbst auf, wenn nichtnekrotische Gewebeteileund Fremdkörper zurückgelassen wurden. Kommt eszu einer Gelenkfistel, dürften ihreUrsachen eher in sol-chen Nekrosen oder aber in einem Wundinfekt zu su-chen sein. Das Wunddébridement erstreckt sich dannauch auf die Synovialis.

➤ Die Reduktion an Länge kommt vor der Verschmächti-gung. Die Knieexartikulationwird zur transkondylärenAmputation. Auch dieser Stumpf ist endbelastbar biszum Übergang in die Diaphyse. Besondere Aufmerk-samkeit ist der Schnittfläche zu schenken. Sie liegtexakt in der Transversalebene, also quer zur Längsach-se des Beines und nicht des Femurschaftes. Der stehtzur Ebene der Kondylen in einemWinkel von etwa 95 �.

➤ Entgegen unserer früheren Schemata legen wir sienicht mehr quer, exakt in der Transversalebene, son-dern wiegenförmig, wie ein Stempel. Diese Form ver-teilt die auf das Stumpfendewirkenden Kräfte „physio-logischer“.

➤ Je mehr von den Kondylen abgesetzt wird, umso schär-fer stehen die Knochenkanten seitlich und vor allemhinten vor. Sie sind sparsam zu brechen, lieber wiedermit der oszillierenden Säge als mit der traumatisieren-den Feile (s. Abb. 8.135).

➤ Osteophyten bei Gonarthrose werden mit der oszillie-renden Säge entfernt und die Kanten gleich damit ab-gerundet.

➤ Ein Kürzen des Femurs ist dann gegeben, wenn nur soder Stumpf mit Vollhaut gedeckt werden kann, ausge-nommen bei Kindern.

Abb. 8.133 Beim Vernähen von Lig. patellae mit den Kreuzbän-dern wird die Kniescheibe nach unten geschlagen. Sie ist nichtendbelastbar, verkleinert die belastbare Fläche der Kondylen undverlängert außerdem den Stumpf.

➤ Der Knorpel bildet den natürlichen Abschluss des Kno-chens. Er wirkt als Polster und vor allem als natürlicheBarriere gegen Infekte. Wird er entfernt, vergrößernsich die Wundfläche und Blutverlust (s. Kap. 4.3.6,S. 112). Wir lassen den Knorpel lieber stehen, es seidenn, der Knochen müsse zugerichtet werden, um ei-nem spannungsfreien Hautverschluss zu ermöglichen.

Wundverschluss

➤ Eröffnen der Blutleere, Blutstillung, ausgiebiges Spü-len.

➤ Zuverlässige Drainage, am besten mit doppelten di-cken Redon-Drains für 24–48 Stunden.

➤ Zurichten der Hautlappen für einen spannungsfreienVerschluss in einer Linie (keine Dreiecke!), mit tiefenRückstichnähten etwa alle 2cm. Dazwischen Steri-strips oder oberflächliche Hautnähte.

Verbandtechnik

➤ Patella und Femurkondylen (der laterale vor allem)sind die „Achillesfersen“ des Stumpfes und dürfen da-her auf keinen Fall zu stramm und ohnewirksame Ent-lastung gewickelt werden (Abb. 8.134). Zu empfehlensind weiche elastische Zweizugbinden, wie sie für dieBehandlung von Krampfadern verwendet werden oderdie speziellen Seton-Stumpfbinden. Jeder Kompressi-onsverband ist mindestens einmal täglich zu erneuern,beim Schmerzen und Fieber jederzeit. Die gleichenVorsichtsmaßnahmen gelten natürlich auch für festeVerbände.

➤ Es ist das kleinere Übel, auf jedes Wickeln und Gipsenzu verzichten, wenn die Voraussetzungen dazu nichtvorhanden sind. Nur wird man verlangen dürfen, dieKondylen durch ein Kissen unter dem Oberschenkelanzuheben.

Operative Techniken

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Abb. 8.134 a u. b Lagerung: Entlasten der druckempfindlichenStellen durch gezielt gepolsterten elastischen oder festen Ver-band: Patella, Femurkondylen (vor allem den lateralen Kondylus).Der Querschnitt ist dreieckig (s. a. Abb. 8.141 a).

Abb. 8.135 Transkondyläre Amputation. Röntgenaufnahmena. – p. und seitlich. Schnitt leicht wiegenförmig, Ebene quer zurBeinachse, Kanten gebrochen (s. a. Abb. 8.129).

8.5.2.2 Verkürzungsosteotomien des Femurs

Indikationen

➤ Femurtrümmerfraktur. Eine Trümmerfraktur des Fe-murschaftes ist noch lange kein Grund für die Amputa-tion im Oberschenkel, wenn das distale Femur ver-schont geblieben ist. Selbst bei massiver Verkürzungbehält der Exartikulationsstumpf seine großen Vortei-le. Nebenbei ermöglicht das Ergebnis eine Prothesen-versorgung ohne störende Überlänge.

➤ Mangel an Vollhaut.Nach Ausrissverletzungenmit Ver-lust der Weichteile um die Kondylen ist es möglich,durch Kürzen des Knochens und Mobilisation derWeichteile den Stumpf mit Vollhaut zu schließen(Baumgartner 1994).

Kontraindikation

Eine Verkürzungosteotomie an der Femurdiaphyse ausdem einzigen Grunde, Platz zu schaffen für ein bestimm-tes Passteil für Oberschenkelprothesen, schießt über dasZiel hinaus. Die Schwere des Eingriffes und der Aufwandan Zeit bis zur Belastbarkeit stehen in keinem Verhältnis

zum Ziel einer optimalen Prothesenversorgung, das auchohne diese Operation erreicht werden kann.

Operative Verfahren

Der Oberschenkelknochen lässt sich verkürzen, indementweder aus der Diaphyse oder aus den Kondylen einStück Knochen entnommen wird.

Transdiaphysäre Verkürzung (Abb. 8.136 a – c). Nach derResektion eines nekrotisch gewordenen Fragmentes wer-den die angefrischten Knochenstümpfe aufeinander ge-stellt und gehalten, erst durch externe Fixation, dann mitPlattenosteosynthese (Baumgartner 1979). Unabhängigdavon empfehlen Wendt und Zimmerman (1994) dassel-be Vorgehen am Übergang vom unteren in das mittlereDrittel zum Decken des Stumpfendes mit Vollhaut.

Abb. 8.136 a – c Transdiaphysäre Verkürzungsosteotomie desFemurs. 32-jährige Patientin, Motorradunfall. Offene Femur-trümmerfraktur. Osteosynthese mit Marknagel und Fixateurexterne.a Mittleres Fragment nekrotisch und sklerosiert.b Resektion des Fragmentes. Diaphysäre Verkürzungsosteoto-

mie, erst Osteosynthese mit Fixateur externe, dann mitPlatte. Materialentfernung 2 Jahre später.

c Voll endbelastbarer, um 10 cm verkürzter Exartikulations-stumpf (Baumgartner 1979, Klinik Balgrist, Zürich).

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Transdiaphysär lässt sich das Femur um 8–10cm ver-kürzen. Diese massive Verkürzung hat einen ÜberschussanWeichteilen zur Folge, der die Prothesenversorgung er-heblich erschwert. Die Weichteile weichen in die Breiteaus und machen die für die Verankerung des Schaftes un-erlässliche Birnenform zunichte. Es gehört zur Pflicht desOperateurs, die überschießenden Weichteile zu kürzenund am Femur zu reinserieren. Erst mit der Zeit atrophiertdie „überlang“ gewordenen Muskulatur, unterstütztdurch äußere Kompression im anpassbaren Weichwand-schaft, und die Birnenform kommtwieder zum Vorschein.

Transkondyläre Verkürzung (Abb. 8.137 a – e). Falls eineVerkürzung um 3–5cm ausreicht, ist die Osteotomie amÜbergang der Kondylen in die Diaphyse die weit schonen-dere Methode. Die Osteotomiefläche ist größer und gehtdistal durch spongiösen Knochen. Der knöcherne Durch-bau erfolgt schneller als transdiaphysär und die Gefahrvon Pseudarthrose und Infekt ist geringer. DieMuskulaturdes Oberschenkels bleibt fast in voller Länge erhalten. DerFixateur externe für 4Wochen hält die Osteotomieflächenständig unter Kompression. Für die Entfernung braucht eskeinen neuen Eingriff (Baumgartner 1994, Greitemann,Baumgartner u. Schüling 1994).

8.5.2.3 Exstirpation des Femurs mitUmkippplastik des Unterschenkelsnach Sauerbruch, modifiziert nachOchsner/Baumgartner

Nach multiplen misslungenen Versuchen, bei einer chro-nisch-rezidivierenden Osteomyelitis oder bei Femurtu-moren das Femur zu erhalten, stellt sich die Frage einerAmputation im Oberschenkel im proximalen Drittel. DasErgebnis wäre ein kurzer Stumpf mit kurzem Hebelarmund Beugekontraktur mit ungünstigen Voraussetzungenfür Prothesenversorgung und Rehabilitation.1922 beschrieb Sauerbruch an 2 Fällen seine Alternative

der Umkippplastik des Unterschenkels als Femurersatz.Der erste betraf ein 13-jähriges Mädchen mit Zerstörungdes Femurs in den distalen beidenDritteln nach einer offe-nen infizierten Trümmerfraktur im Alter von 7 Jahren.Sauerbruch resezierte die beiden Drittel und ersetze siedurch die um 180 � umgekippte Tibia. Der zweite Patientwar an einem „chondro- oder osteoblastischen Sarkom“im proximalen Femurdrittel erkrankt. Hier ersetzte er denganzen Femur und stellte die Tibia in das Hüftgelenk ein.Nach der zirkulären Amputation des Fußes kippte Sau-

erbruch den Unterschenkel um 180 � in der Sagittalebene

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Abb. 8.137 a – e TranskondyläreVerkürzungsosteotomie.a Schema.b Posttraumatische Weichteilnek-

rose, darunter inakte Femurkon-dylen.

c Osteotomie und Patellektomienach Débridement der Weichteile.

d Oben: Osteosynthese mit Fixateurexterne, unten: Hautverschluss.

e Ergebnis 1 Jahr später.(Baumgartner, Technische Ortho-pädie Münster, 1993).

Operative Techniken

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um. Die Idee derMarknagelung nahm er vorweg, indem erdie Fibula in einen intramedullären Bolzen umwandelteund die Markhöhlen von Femur und Tibia darüber auffä-delte.Das Ziel war erreicht: Anstelle einer hohen Oberschen-

kelamputation kamen die Patienten zu einem langen, vollendbelastbaren Stumpf mit gleichen biomechanischen Ei-genschaften wie ein Knieexartikulationsstumpf.Begeistert von den Vorteilen der Knieexartikulation (s.

Tab. 8.3, S. 341) hatten Ochsner und Baumgartner 1992 beieinem Fall von posttraumatischer Femurosteomyelitis dieIdee von Sauerbruchwieder aufgenommen. Ochsner stell-te nun die Tibia nicht in der Sagittal-, sondern in der Fron-talebene auf den Kopf und vereinigte Tibia und Femur miteiner Plattenosteosynthese (Abb. 8.138 a u. b).2001 kam ein zweiter Fall von chronisch-rezidivieren-

der Osteomyelitis mit pathologischen Frakturen und mul-tiplen Rettungsversuchen hinzu, ausgegangen von einerhämatogenen Osteomyelitis Typ Garré vor 20 Jahren(Abb. 8.138 a und 8.139 a).Das Umkippen in der Frontalebene hat einige Vorteile:

➤ Die Poplitealgefäße beschreiben eine lockere Schlinge,während sie in der Sagittalebene Gefahr laufen, unterSpannung zu geraten beim Lappenverschluss und un-ter Druck beim Belasten des Stumpfendes.

➤ Die meist lateral gelegenen Narben und Verwachsun-gen lassen sich breit exzidieren und schaffen einenleichten Zugang zum Femur (Abb. 8.139 b).

➤ Die ventralen, meist nicht betroffenen Gewebemit denwichtigen Gefäßen bleiben verschont.

Abb. 8.138 a u. b Umkippplastiknach Sauerbruch, modifiziert nachOchsner/Baumgartner.a Röntgenpause von Fall 2 (Ochs-

ner): die um 180 � in der Frontal-ebene gekippte Tibia wird miteiner Plattenosteosynthese an dasFemur „angedockt“. Dahinter diepräoperativen Umrisse mit derAchsenfehlstellung des Femurund der Beinverkürzung. Die Ver-kürzung im Oberschenkel beträgtetwa 10 cm (vgl. Abb. 8.139 a).

b Fall 1: links: infizierte Femur-pseudarthrose 8 Jahre nach offe-ner Trümmerfraktur und 12 Ope-rationen. Rechts: postoperativeAufnahmen.

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Operatives Vorgehen

➤ Nachdem das zu ersetzende Stück des Femurs entferntwurde, ist das „Nest“ für die Tibia zu einem guten Teilschon vorbereitet. Der Schnitt wird seitlich verlängertbis auf die geplante Höhe der Absetzung des Fußes.

➤ Vorher wird die exakte erforderliche Länge des Unter-schenkelteils in situ geprüft (Abb. 8.139 c u. d).

➤ Die Fibula wird in toto ausgeschält, freigelegt und ent-fernt, um dann in der Knochenmühle als Spongiosaer-satz zubereitet zu werden.

➤ Der Oberschenkel wird im Vergleich zur Gegenseiteverkürzt. Das umgekehrte Tibiaplateau kommt8–10cm höher als die Femurkondylen zu stehen, zurFreude des Orthopädietechnikers, der hier genug Platzhat für ein Kniepassteil für Oberschenkelstümpfe.

➤ Tibia und Femur werden mit einer gekröpften Plattemiteinander verbunden, ausgerichtet auf die medialenRänder der beiden Knochen (Abb. 8.138 b und 8.139 e).

➤ Knochenbrei aus der zermalmten Fibula wird um dieOsteosynthese eingelegt.

➤ Zurichten des langen seitlich gelegenen Haut-Muskel-Lappens. M. soleus und Extensoren sind zu entfernen.Spannungsfreier Hautverschluss (Abb. 8.139 f u. g).

Die Ergebnisse hätten besser nicht sein können. Die Osteo-myelitis war beseitigt, der kräftige Stumpfmit seinem lan-genHebelarm voll endbelastbar. Mit einer Knieexartikula-tionsprothese versorgt, konnten beide jungen Männer ih-reweitere soziale und berufliche Laufbahn gestalten, ohneimmer wieder Infektrezidive, Spontanfrakturen, weitereOperationen und lange Klinikaufenthalte befürchten zumüssen (Kalwa 2005) (Abb. 8.139 h).

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Abb. 8.139 a – h Fall 2: chronisch-rezidivierende Osteomyelitismit pathologischen Frakturen nach einer hämatogenenOsteomyelitis Typ Garré.a Präoperatives Röntgenbild (vgl. Abb. 8.138 a).b Markieren der bestehenden Narben, dann Exzision bis auf

den Knochen und Resektion des betroffenen Femurs.c Präparat.d Nachdem der Fuß „à la guillotine“ abgesetzt worden ist,

wird der in der Frontalebene umgekippte Unterschenkelteilseitlich an den Oberschenkel gelegt, um die benötigteLänge der Tibia zu bestimmen.

e Osteosynthese mit gekröpfter Platte und Schrauben.Medial stehen die Ränder von Tibia und Fibula übereinan-der. Um die Osteosynthese Knochenbrei aus der Fibula.

f u. g Ansicht von lateral: zugerichteter Weichteillappen, post-operativ (f) und 2 Jahre später (g) (Prof. Dr. med. P. Ochsner,Kantonsspital Liestal).

h Prothesenversorgung mit Liner nach Maß und C-Leg (OTMFleischer, Fa. Sumser, Bad Rothenfelde)

a

b c

d e

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8.5.2.4 Transkondyläre Amputation beiFemurosteomyelitis nachKnietotalendoprothese –Gastrocnemiusplastik nachBaumgartner

Nach Jahren missglückter Eingriffe, eine chronische Os-teomyelitis verbunden mit der Lockerung einer Knietotal-endoprothese zu beherrschen, stellt sich unweigerlich die

Frage, ob eine Beinamputation nicht die bessere und defi-nitive Lösung wäre. Den Ausschlag gibt meist ein akutesRezidiv der Osteomyelitis mit lebensbedrohender Sepsis(s. Abb. 8.125, S. 343).Die Überlegungen sind die gleichen wie bei der Um-

kippplastik (s.o.). Eine Amputation hoch im Oberschenkelwäre für die älteren und geschwächten Patienten einschwerer Eingriff und bedeutete das Ende der Gehfähig-keit.

Operative Techniken

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Gelingt es dagegen, die Osteomyelitis zur Abheilung zubringen unddabei das Femur in seiner ganzen Länge zu er-halten, ist das Ergebnis ein transkondylärer und damit vollendbelastbarer Stumpf mit weit besseren Rehabilitations-aussichten.Prinzip:

➤ Débridement der Markhöhle und der angrenzendenKortikalis,

➤ Auffüllen des Defektes mit gestielten Muskellappen (s.a. Kap. 8.6.2.6, S. 368).

An einem Femurstumpf reicht ein halber Knochen aus, umdie mechanischen Kräfte auf den Schaftboden der Prothe-se und umgekehrt zu übertragen.Statt Knochenzement und Zementspacer mühsam der

Markhöhle „par morcellement“ abzuringen, wird das vor-dere Drittel des Femurs als Deckel abgehoben. Von diesemZugang her lassen sich Fremdkörper und Sequester über-sichtlich, rasch und atraumatisch entfernen.Wie bei der Unterschenkelamputation nach Burgess

wird ein langer Hinterlappen gebildet, welcher den Um-rissen des M. triceps surae entspricht (s. Kap. 8.3.2.2,S. 302). Nach vorne geschlagen, bedeckt er das Stumpfen-de und füllt obenrein die Rinne im Femur aus.

Operatives Vorgehen

Vorbereitungen

➤ Planungsskizze: proximales Ende der Prothese messenund damit die Länge des Deckels bestimmen.

➤ Rückenlage, Gesäß erhöht, keine Blutsperre.➤ Schnittführung markieren. Bestehene Narben mitein-beziehen. Vorderlappen quer über dem Femurende,dann Umschwenken um 90 � zum Hinterlappen. Derlange Lappen entlang der Grenze des M. triceps suraebenötigt eine genügend breite Basis.

➤ Fistel: Abstrich zur bakteriologischen Untersuchung,dann Anfärbenmit Blau. Alle angefärbten Gewebe sindradikal zu entfernen.

Zugang

➤ Inzision von Haut und Subkutis, beginnend mit demVorderlappen quer am oberen Rand der Patella, dannder Hinterlappen. V. saphena magna versorgen.

➤ Quadrizepssehne durchtrennen, Patella zurückschla-gen. Eingehen auf die Prothese. Gelenk breit eröffnen.Abstrich, absaugen, spülen.

OP-Schritte

➤ Wennmöglich, Prothese vom Oberschenkelteil abkop-peln. Wenn nicht möglich, Vorderseite des Femurs freipräparieren.

➤ So weit der Prothesenstiel hinaufreicht, Eröffnen derMarkhöhle mit einem vorderen „Drittelrohrdeckel“.

Die Umrisse des Deckels werden mit demMeißel mar-kiert, die proximale Umschlagsstelle mit zwei 4–5mmdicken Bohrlöchern. Die Schnittfläche verläuft nichtsenkrecht zur Kortikalis, sondern etwas tangential inRichtung Frontalebene. Mit der oszillierenden Sägewird nun der Deckel gebildet und abgehoben. Er wirdnicht wieder verwendet.

➤ Luxation der Knieprothese nach vorne aus dem Femur.Unterschenkel um 90 � flektieren.

➤ Präparation und Versorgen der Poplitealgefäße unter-halb der Äste zu den Mm. gastrocnemii.

➤ Provisorisch Nn. tibialis und peronaeus durchtrennenund mit Klemmen markieren.

➤ Hinterlappen in 90–120 � Flexion in der Längsrichtungunter Spannung setzen. In dieser Stellung trennt daslange Amputationsmesser in Sekundenschnelle denlangen Hinterlappen und vervollständigt damit dieAmputation. Folgt der Weg des Messers genau der be-reits gemachten Hautinzision, entfallen zeitraubendeanatomische Überlegungen (s. a. Abb. 8.76 g, S. 304).

➤ Blutstillung, Vitalität des Hinterlappens prüfen, N. su-ralis identifizieren und kürzen.

➤ Wennnicht schon geschehen: Eröffnen des Femurs vonvorne, wie oben bereits beschrieben.

➤ Präparation der Femurrinne: Entfernen aller Fremd-körper und Sequester, auch in alten Bohrlöchern undFisteln mit dem scharfen Löffel und mit Kugelfräsen.Auch der noch intakte Teil der Markhöhle ist auszufrä-sen.

➤ Eventuell erneut Abstrich. Ausgiebig spülen (Jet-Lava-ge).

➤ Knochenkanten mit zylindrischer oder konischer Fräseglätten. Wieder spülen.

➤ Den langen Hinterlappen nach vorne schlagen und vo-raussichtliche Länge prüfen. Überlegungen zum Haut-lappen anstellen: Weitere Narben exzidieren? Wieweit hinauf wird er reichen?

➤ Präparation von N. tibialis und peronaeus und definitivkürzen proximal der Femurkondylen.

➤ Den medialen M. gastrocnemius schonend freilegenbis an den Gefäßstiel und probeweise einlegen. DerMuskellappen füllt die Rinne aus und quillt ein wenigheraus. Es dürfen keine Hohlräume zurückbleiben.

➤ In die Rinne bis in die Markhöhle hinauf wird eineSeptopal-Kette mit 30 Perlen eingelegt (Abb. 8.140 a).

➤ Darüber kommt der Muskellappen zu liegen(Abb. 8.140 b). Es ist nicht unbedingt nötig, ihn mitNähten zu fixieren. Es genügt, wenn er bis zum Haut-verschluss ohne Unterbrechung in seiner endgültigenLage gehalten wird (Abb. 8.140 c).

➤ Ist der hintere Lappen zu kurz, um die Markhöhle aus-zufüllen, ist ein gestielter Muskellappen aus dem M.vastus lateralis indiziert (s. S. 369).

➤ Spülen, Blutstillung, offene oder zuverlässige Saug-drainage.

8.5 Knie

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Abb. 8.140 a – e Gastrocnemiusplastik bei Osteomyelitis nachKnietotalprothese (Baumgartner).a In die ausgefräste Rinne wird zuerst eine Septopal-Kette einge-

legt.

b Ausfüllen der Rinne mit dem gefäßgestielten Gastrocnemiusmedialis.

c Das Stumpfende bedeckt der lange hintere Weichteillappen.d Hautverschluss.e Röntgenbild a. – p. (mit Dr. A. Staubli, Kantonsspital Luzern,

2006).

Wundverschluss

➤ Hautlappen zurichten, bei gestreckter Hüfte span-nungsfrei verschließen (Abb. 8.140 d). Röntgenkontrol-le (Abb. 8.140 e).

Postoperative Behandlung

➤ Diagonaler Kompressionsverband.➤ Stumpf leicht erhöht lagern. Keine Gefahr einer Beuge-kontraktur der Hüfte.

➤ Der Muskellappen polstert das Stumpfende aus. EineteilweiseaxialeBelastbarkeit ist trotzdergeringenKno-chenfläche bei der Schaftgestaltung voll auszureizen.

Operative Techniken

a b

c d e

8.5.3 Prothesenversorgung

8.5.3.1 Technik nach Botta

Die Merkmale eines Stumpfes nach Knieexartikulationsind ein langer, sehr stabiler, kräftiger Hebelarmmit einertotalen Endbelastbarkeit und eine vollständig intakteOberschenkelmuskulatur. Die Birnenform des Knieex-stumpfes ist das Herzstück dieser Amputation. Die Ana-tomie des Stumpfendes bietet eine großflächige, schmerz-freie Endbelastbarkeit. Dazu ermöglicht sie eine einwand-freie Verbindung mit der Prothese (s. Abb. 8.141, S. 357).

Mit geeigneter Schaft- und Aufbautechnik und mit spe-ziellen Kniegelenken lässt sich für jeden Patienten einefunktionelle, leistungsfähige Prothese herstellen. Für denälteren Menschen bietet die Prothese Sicherheit und einleichtes An- und Ausziehen.Die vielen Vorteile sind schon in Kap. 8.5.1, S. 339 aus-

führlich vorgestellt worden. Hier nochmals die wichtigs-ten:➤ Verbesserte Propriozeption: Rückschlüsse auf die Be-schaffenheit des Bodens lassen sich weit besser ziehenals mit einem Oberschenkelstumpf.

➤ Geringere Inaktivitätsosteoporose dank voller axialerBelastung. Ganz zu vermeiden ist sie nicht. Dem Femurfehlen die Krafteinwirkungen von der Seite her.

➤ Die distale Wachstumsfuge bleibt erhalten.➤ Die axiale Belastung stimuliert das Wachstum. Ober-schenkelstümpfe bei Kindern wachsen dagegen kaumnoch weiter, spitzen sich zu und sind überhaupt nichtendbelastbar.

➤ Ungestörte arterielle, venöse und lymphatische Zirku-lation. Im Gegenteil: Der Rückfluss wird durch dennach proximal hin abnehmenden Druck des Schaftesvon außen her in gleicher Weise unterstützt wie beimKrampfaderstrumpf.

➤ Die Kniescheibe bringt nur dann Vorteile, wenn sie anihrem natürlichen Ort belassen wird, als würde dasKnie gestreckt gehalten. Sie bringt Nachteile, wenn siein der Belastungszone fixiert wird (s. Abb. 8.133,

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S. 349). Der Verzicht auf eine Fixation der Patella in ir-gendwelcher Form (auch durch eine knöcherne Fusionmit dem Femur) hat lediglich eine bescheidene Retrak-tion des Kniescheibe um 1–11/2 cm zur Folge. Orthopä-dietechnisch gesehen besteht keine Notwendigkeit, diePatella zu entfernen. Im Gegenteil leistet sie einenwichtigen Beitrag zur dreieckigen Konfiguration desStumpfes und damit zu seiner Rotationsstabilität(Abb. 8.141 a u. 8.134 b, S. 350). Der Einzige Grund zurEntfernung ist ein Mangel an Weichteilen für einenspannungsfreien Hautverschluss.

Gipstechnik

Bei der Gipsabnahme müssen die spezifischen Trümpfeeines Knieexartikulationsstumpfes voll zur Geltung kom-men. Dies ist paradoxerweise nur möglich, wenn derStumpf nicht belastet wird. Den Stumpf im Stehen undunter Belastung auf ein Kissen oder auf die Hand des Tech-nikers abzugipsen, hat gewichtige Nachteile:➤ Die Muskulatur des Patienten und besonders seinesStumpfes ist mehr oder weniger verspannt.

➤ Die Achsenstellung des Stumpfes entspricht derjeni-gen im Einbeinstand, nicht im Zweibeinstand. BeimBelasten des Stumpfes prägen wir diese falsche Stel-lung in das Gipsnegativ hinein.

Nur im Liegen ist es möglich, eine genaue Abformung destragenden Stumpfendes, den beiden asymmetrischenFemurkondylen und der Furche zwischen beiden Kondy-len zu erzielen. Jedes Drücken, Belasten oder Manipulie-ren zerstört sein subtiles, tragfähiges Relief.

Die Muskelmasse lässt sich gezielt ihrer neuen Bestim-mung zuführen, nämlich den Prothesenschaft exakt zuführen, ohne jedes Weggleiten zur Seite.Nur im Liegen ist der Patient völlig entspannt und kann

seinen Kopf bequem auf einem Kissen abstützen. Er hältseinen Stumpf um etwa 30 � angewinkelt. Und wir habendie volle Sicht auf das einmalige Relief der Femurkondylenund die so unterschiedlichen Muskelgruppen des Ober-schenkels.

Gipsnegativ

➤ Wir bereiten einen formgerechten, distal birnenförmi-gen Schlauchstrumpf aus Tubigrip vor, um das Stumpf-ende exakt umschließen zu können (Abb. 8.141 b).

➤ Proximal schneiden wir den Schlauch nach dem Vor-bild einer Strumpfhose zu, um auf keinen Fall den obe-ren Rand des Stumpfes einzuengen oder gar einzu-schnüren. Der Patient liegt auf dem oberen Rand desStumpfes und hält ihn unter Spannung (Abb. 8.141 c).

➤ Zuerst wird das Stumpfende abgegipst. Das knöcherneRelief bringt es mit sich, dass zwischen und oberhalbder Kondylen sowie an den Rändern der KniescheibeDellen vorhanden sind. Diese sind mit Gipslonguettenaufzufüllen, bevor der Stumpf mit Gipsbinden umwi-ckelt wird (Abb. 8.141 d u. e). Besonders wichtig ist dasModellieren des oberen Randes der beiden Kondylen.Das findet einzig und allein am oberen Rand statt, undnicht darüber oder irgendwo weiter oben am Femur.Diese Form ist entscheidend für eine komfortable undzuverlässige Aufhängung der Prothese, ohne Pumpbe-wegung und ohne Fenster, Klappen oder Gurten.

➤ Ist das Stumpfende einmal abgegipst, besteht dienächste Aufgabe darin, einen Behälter zu formen, der

Abb. 8.141 a – r Prothesentechniknach Botta.a Kondylen und Patella bilden ein

Dreieck.b Vorbereitung: zugenähter

Schlauchstrumpf aus elastischemTubigrip und Gipslonguetten.

c Der Strumpf wird unter Spannunggehalten.

d Rinnen mit den zugeschnittenenGipsstreifen ausfüllen.

e Modellieren des Stumpfendes(Pierre Botta 1985).

f Wir bitten den Patienten, seinenStumpf zu strecken und fest andas gesunde Bein zu adduzieren.

Fortsetzung �

a b c

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die ganze Muskulatur des Oberschenkels umschließt.Dabei darf sich nicht der geringsteWulst bilden, wederventral, noch medial, noch dorsal. Wiederum nur imLiegen können wir die natürliche, längsovale Form desStumpfesmit unseren Gipsbinden abformen. Entschei-dend ist, dass wir den kräftigen, vom Sitzbeinhöckernach distal ziehenden Sehnen und Muskeln sorgfältigund ausreichend Platz geben.

➤ Ist der Stumpf mit Gipsbinden umwickelt, legen wirdie eine Hand dorsal hohl um den Sehnenstrangam Sitzbeinhöcker und die andere Hand um den Tro-chanter. Nun bitten wir den Patienten, seinen Stumpfvollständig zu strecken und fest an das gesunde Bein zupressen, und so seine Adduktoren anzuspannen(Abb. 8.141 f).

➤ In dieser Stellung bleiben die Hände auf dem Gips undmodellieren weiter die Adduktoren und das Trochan-termassiv. Das Ergebnis ist ein leicht längsovales Gips-negativ, mit ausgeprägten Formen, die wir nachmodel-lieren müssen (Abb. 8. 141 g).

Gipspositiv

Wir müssen den knöchernen Anteilen gezielt Raum ge-ben, so dass in der Stossrichtung kein Schmerz entstehtund trotzdemder Vollkontakt erhalten bleibt! Die Form istentscheidend, nicht das Material.Bei denWeichteilen müssen die Kniestrecker und -beu-

ger, Quadrizeps und Flexoren, gemäß ihrer Anatomie ent-sprechend Raum haben, um sich ausdehnen zu können,wenn sie sich kontrahieren.Wirmüssenhier gezielt genugGips abtragen, damit die ganze Muskulatur präzise um-hüllt ist und weder nach distal noch proximal hin gescho-ben wird.

Schaft

Soft-Socket (Weichwandschaft)

Der Weichwandschaft hat verschiedene Aufgaben zu er-füllen:➤ Er wandelt die birnenförmige Form des Stumpfes in ei-ne annähernd zylindrische, konische um.

➤ Er dient als Kissen.➤ Er bildet mit dem Gießharzschaft eine funktionelleEinheit.

Der Soft-Socket dient als Riegel, wenn seine von ventralher gesehene, distale Breite A–B wenige Millimeter mehraufweist als die Breite C–D, welche 3cm über dem oberenRand des medialen Kondylus gemessen wird(Abb. 8.141 h).Mit dieser Technik erreichen wir eine absolut zuverläs-

sige Verriegelung ohne zusätzliche Fenster, Klappen, Gur-ten, Knöpfe.Wurden die Kondylen operativ reduziert, muss der Soft-

Socket weniger oder überhaupt nicht kompensiert wer-den.Wie lang muss ein Soft-Socket sein?

➤ Die Breite auf der Höhe der Kondylen bestimmt das Hi-neinschlüpfen des Stumpfes in den Schaft. Die Längewird von den Weichteilen bestimmt. Um das Hinein-schlüpfen eines schlanken Stumpfes zu ermöglichen,muss zwangsläufig der Umfang des Soft-Sockets mehrkompensiert werden und ist deshalb länger als bei ei-nem voluminösem Stumpf.

➤ Entspricht der Soft-Socket exakt der Birnenform desStumpfendes, ist es zwingend erforderlich, ihn zu

Abb. 8.141 a – r Fortsetzung.g Der Querschnitt ist längsoval

wie beim Oberschenkelschaft.h u. i Der Soft-Socket dient als Rie-

gel, wenn seine von vornegesehene distale Breite A – Bwenige Millimeter mehr auf-weist als die Breite C – D, wel-che 3 cm über dem oberenRand der Kondylen gemessenwird.

j Wenn der Soft-Socket genauder Birnenform des Stumpfesentspricht, ist es zwingenderforderlich, ihn zu schlitzen.Durch die Formgebung sinddie Kondylen geschützt, dieÜberlänge reduziert, der Auf-bau der Prothese wird erleich-tert.

k u. l Der Sitzbeinhöcker wird nichtumgriffen, die ganze Muskula-tur ist im Container unterge-bracht.

Fortsetzung �

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Prothesenversorgung

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schlitzen.Wir schlitzen ihn nur vorne auf. Genau verar-beitet, wird er zum angenehmen Kissen und zum zu-verlässigen Riegel. Damit wird das Tragen der Protheseentscheidend aufgewertet.

➤ Wir schleifen den Boden flach, exakt in der Transver-salebene, entsprechend der natürlichen Adduktions-stellung des Stumpfes. Durch diese Formgebung sinddie Kondylen geschützt, wird die Überlänge reduziertund der Aufbau des Containers auf das Kniegelenk er-leichtert (Abb. 8.141 i).

Schaft oder „Container“

Bei der Versorgung von Knieexartikulationen benötigenwir Container und nicht Schäfte.„Schaft“ ist für uns mit einigen negativen Merkmalen

verbunden:➤ Tuberbank, um Gewicht zu übertragen,➤ Gegendruck vorne auf das Scarpa-Dreieck,➤ katastrophaleWülste, an denen Kraft übertragen wird,ganz besonders am medialen Rand des Schaftes.

Aufgaben des Containers:➤ Der Container muss die subtile Form des Beckens be-rücksichtigen und trotzdem jeden Kontakt mit ihmvermeiden. Der Sitzbeinhöcker wird weder umgriffennoch als Abstützpunkt missbraucht. Die ganze Musku-latur ist in den Container eingeordnet, weder vorge-dehnt noch gestaucht, sondern entspannt (Abb. 8.141 j)

➤ So kann sie jetzt dank des hydrostatischenDruckes ihrevornehmste Aufgabe erfüllen: die Prothese in derSchwungphase aktiv fest und harmonisch führen, inder Standphase jedes Weggleiten zur Seite hin verhin-dern.

Container-Merkmale:➤ Umden Kontakt des Containers beim Sitzen zu verbes-sern, ist die Hinterwand weitgehend flexibel zu gestal-ten (Abb. 8.141 m). Dazu verwenden wir das Platten-material Erkoflex, das wir auf der Rückseite des Gips-negativs tief ziehen. Es ist genügend breit und lang zuwählen, damit sich keine Sitzfläche störend bemerkbarmacht. Für einen Reiter habenwir diemediale Seite fle-

xibel gestaltet, um einenmöglichst guten Kontakt zwi-schen Prothese und Sattel herzustellen.

➤ Der Container spiegelt genau unseren Gipsabdruckwieder. Sein Querschnitt ist leicht längsoval. Die kräfti-gen vom Tuber nach distal ziehenden Sehnen habengenug Raum.

➤ DieMuskelmassen arbeiten in ihrer anatomisch vorge-gebenen Lage.

Statischer Aufbau

Für den Aufbau einer Knieexartikulationsprothese geltendieselben Gesetze wie für die Oberschenkelprothese.Am Bein bilden die Zentren von Hüft, Knie- und oberem

Sprunggelenk eine gerade Linie. Diese Linie ist für denAufbau in der Frontalebene zwingend. Zu prüfen ist den-noch eine Parallelverschiebung von Knie und Unterschen-kelteil nach lateral (s. Abb. 5.21, S. 144). Wenn der Con-tainer den ganzen Stumpf harmonisch umgreift, ist esmöglich, die physiologische Adduktion des Oberschenkel-knochens beim Aufbau der Prothese voll auszunützen.Dann kann auch unter Belastung die Prothese gar nicht

zur Seite ausbrechen. Von Bedeutung ist, dass es keineDruckstellen geben darf, weder am oberenmedialen Randnoch an den Kondylen, weder medial noch dorsal noch la-teral.

Passteile

Siehe S. 150 u. 153.Im Gegensatz zum Aufbau gelten für die Passteile nicht

dieselben Gesetze wie für die Oberschenkelprothese:➤ Die große Kraft eines Knieexstumpfes verlangt nach ei-

ner leistungsfähigen Schwungphasensteuerung undnicht nach einer Bremse.

➤ Am langenKnieexstumpf darf diemechanischeVerbin-dung nicht mehr als die unbedingt notwendigen30mm Bauhöhe aufweisen. Dazu sind Bauhöhe undBreite des Gelenkes auf ein Minimum zu beschränken.

➤ In Beugestellung muss sich der Körper des Prothesen-knies nach hinten unter den Oberschenkel einordnen.Nur so ist es möglich, eine noch bessere Kosmetik zuerreichen. Mit monozentrischen Gelenken ist dies

Abb. 8.141 a – r Fortsetzung.Forts. k u. l: Für den Aufbau derKnieexprothesen gelten in derFrontalebene dieselben Gesetzewie für den Aufbau einer Ober-schenkelprothese.

m Die Hinterwand des Containersist weitgehend flexibel.

n, o Der Körper des Prothesenkniesmuss sich unter den Oberschen-kel einordnen, damit die Über-länge noch mehr von ihren Nach-teilen verliert.

p Kosmetische Verkleidung.Fortsetzung �

8.5 Knie

m n o p

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nicht zu schaffen. Nun sind die auf demMarkt erhältli-chen polyzentrischen den Beanspruchungen im Mobi-litätsgrad 3 und 4 nicht immer gewachsen. EinweiteresProblem ist die Überlänge. Die Firma Botta & Söhne hatdaher seit 1997 eigene Konstruktionen entwickelt(s. S. 153) (Abb. 8.141 o).

Kosmetik

Die Kosmetik der Knieexprothese kommt mit den beson-deren Vorteilen des Stumpfes zur Geltung:➤ ein sehr gutes, harmonisches, sicheres Gangbild.➤ Der proximale Rand der Prothese ist dünn und damitder Übergang zum Körper diskret.

➤ Beim Stehen ist eine harmonische Formgebung mög-lich.

MERKE

Die Überlänge des Oberschenkelteils ist auf das absolutmögliche Minimum zu reduzieren. Ein sachgerechtes Knie-gelenk, eine entsprechende Formgebung und die totaleFreiheit beim Sitzen relativieren den zu sehr angepranger-ten Nachteil einer geringen Überlänge.

Um die Überlänge des Oberschenkelteils beim Sitzen sau-ber zu meistern, bietet sich dem Techniker die Bauweisemit PE-Schaum an. Die PE-Schaum-Wade ist auf der Vor-derfront des Kniegelenkes nur 3mm dick. So ist es mög-lich, ein schönes Knie und eine naturgetreueWade zu for-men,mit einer natürlichen, nicht dachrinnenähnlichen Ti-biakante. Damit verliert die Überlänge viel von ihrenNachteilen (Abb. 8.141 p u. q).Es ist uns bewusst, dass die Bauweise hintenund seitlich

offen ist. Diese Option entspricht nicht dem Begriff „Kos-metik“. Viele unserer Patienten wünschen trotzdem dieseAusführung und schätzen die markanten Vorteile gegen-über derjenigen mit PUR-Schaumstoff.Die Passform lässt sich mit der Lippenstiftprobe ein-

wandfrei prüfen (Abb. 8.141 r).

8.5.3.2 Liner-Techniken

Auch bei Knieexartikulationen ist eine Linerversorgungmöglich, sowohl mit Silikon- als auch mit Gellinern. Beinur geringer Weichteildeckung ist der PU-Liner eine sinn-volle Lösung.Um eine Überlänge durch den Pin-/Raster-Mechanis-

mus zu vermeiden, eignen sich hier dann entweder proxi-male Dichtlippen oder ein Einzug bzw. Arretierung überein Kordelzugsystem (s. Abb. 8.170 b, S. 385).Die Inkongruenz der Belastungsfläche des Stumpfes

und dem Trichter des Linerbodens verunmöglicht jedocheine gleichmäßige Kraftübertragung, solange der Linernicht nach Maß hergestellt wird.Gottinger baut Knieexprothesen aus einem Karbonrah-

menschaft, der hinten geöffnet ist. Im distalen Bereichsetzt er ein Ausstoßventil ein. Der Patient rollt über denStumpf einen Oberschenkel-Alpha-Liner und steigt in denSchaft ein. Danach rollt er eine Standard-Kniekappe ausSilikon oder PU über. Die Prothese hält ohne Kondylenfas-sung: Kein Druck auf die Kondylen, kein Pumpen der Pro-these. Ein Nachteil ist die respektable Überlänge(Abb. 8.142).

Abb. 8.141 a – r Fortsetzung.q Ergebnis.r Passformprobe mit Lippenstift.

Abb. 8.142 Liner-Technik nach Gottinger.

Prothesenversorgung

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