Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

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Universität zu Köln Philosophische Fakultät Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln Magisterarbeit im Fach Musikwissenschaft; Fachbereich Systematische Musikwissenschaft Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition von Thomas B. Ibrahim 2012 Betreut durch Prof. Dr. Uwe Seifert

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Universität zu Köln

Philosophische Fakultät

Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln

Magisterarbeit im Fach Musikwissenschaft;

Fachbereich Systematische Musikwissenschaft

Embodiment und Musik:

Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

von

Thomas B. Ibrahim

2012

Betreut durch Prof. Dr. Uwe Seifert

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Erklärung

Hiermit versichere ich, dass ich diese Magisterarbeit selbständig verfasst und keine anderen

als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen meiner Arbeit, die dem

Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen sind, habe ich in jedem Fall unter

Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht. Dasselbe gilt sinngemäß für Tabellen,

Karten und Abbildungen. Diese Arbeit hat in dieser oder einer ähnlichen Form noch nicht im

Rahmen einer anderen Prüfung vorgelegen.

Köln, den 08 Juni 2012 Thomas B. Ibrahim

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Inhaltsverzeichnes

Seite

Einleitung 1

1. Sensumotorik 4

1.1. Embodiment: Sensumotorische Interaktion mit der Umwelt 4

1.2. Korrelation von Sensorik und Motorik 6

1.3. Das Zentrale Nervensystem 8

1.3.1. Gliederung und Lage des menschlichen ZNS 9

1.3.2. Willkürmotorik & sensumotorische Regelkreise 10

1.3.3. Sensorische Assoziationskortizes 12

1.3.4. Die Integration sensorischer und motorischer Funktionen: 17

Sensumotorische Assoziation und kognitive Fähigkeiten

1.3.5. Sensumotorik in der Großhirnrinde: Der prämotorische Kortex 18

2. Sensumotorische Simulation als Grundlage menschlicher Kognition 25

2.1. „Off –line“ Kognition ist körperbasiert 25

2.2. Prädiktoren /Vorwärtsmodelle 26

2.3. Simulation nicht reproduzierbarer Ereignisse 31

2.4. Kognition: Multimodal oder Supramodal? 35

3. Musikkognition 39

3.1. Das Gehirn durch Musik, die Musik durch das Gehirn verstehen 39

3.2. Musik als Ereignissequenzen: Das Erkennen von Regelmäßigkeiten 40

und Unterschieden

3.3. Musikkognition als „Motor Cognition“ 42

3.4. Im Takt Nicken: Rhythmus & „Beat Perception / Beat Induction“ 45

3.5. Amusie 50

Fazit 52

Literaturverzeichnis 56

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Einleitung “Perception is understood as perceptually guided action. We explore our environments with our bodies and our senses, learning to correlate multisensory input with our bodily experience. […][Cognitive] structures emerge from the recurrent sensorimotor patterns that enable the perceiver to guide his or her actions in the local situation; the emergent, learned neural connections between the senses and the motor system form the basis for cognition.” (Iyer, 2002, S. 389)

Dieses Zitat von Vijay Iyer fasst bereits die wesentlichen Punkte der Perspektive Embodiment

bzw. embodied cognition zusammen. Hierbei handelt es sich um eine Sichtweise auf kogniti-

ve Prozesse, die behauptet, dass der Körper den Geist („mind“) formt und dass kognitive Pro-

zesse eines Lebewesens tief in den körperlichen Interaktionen mit der Umwelt verwurzelt

sind. Somit steht dieser Ansatz in einem starken Kontrast zu traditionellen, als Kognitivismus

bezeichneten Ansätzen, die davon ausgehen, dass der Geist ein amodales, arbiträres und ab-

straktes System ist, welches schlichtweg Symbole verarbeitet (Haugeland, 1978). Über die

Beziehungen zwischen Wahrnehmung, motorischem Handeln und Kognition werden im Zuge

dieser traditionellen Ansätze zwei Behauptungen aufgestellt: Erstens, „low-level“ (d. h. sen-

sumotorische) Prozesse sind strikt von „high-level“ (d. h. kognitiven) Prozessen getrennt.

Sensorik und Motorik sind lediglich Ein- und Ausgabeeinheiten, die in einem peripheren

Verhältnis zu „zentralen“, kognitiven Prozessen stehen. Zweitens, Wahrnehmung und motori-

sches Handeln sind ebenfalls strikt getrennt. Wahrnehmung geht stets dem Handeln voraus

und ereignet sich unabhängig von der zu erwartenden motorischen Antwort. Was wahrge-

nommen wird ist somit unabhängig von Bewegungen und dem motorische Wissen das not-

wendig ist um motorische Handlungen zu erzeugen. Daher hat das motorische System in der

kognitivistischen Denkweise lediglich Funktionen in der Ausführung motorischer Handlun-

gen (Borghi, 2007). Kritiker dieses Ansatzes wiesen jedoch darauf hin, dass diese Sichtweise

bestimmte Facetten menschlicher Kognition nur unzulänglich bzw. gar nicht erklären kann,

besonders im Bereich der sprachlichen Bedeutung wurden diese Problem herausgearbeitet

(siehe „symbol grounding problem“ Harnad, 1990; Searle, 1983).

Ein alternativer Ansatz, der auch Aufgrund dieser Probleme immer stärkere Aufmerksamkeit

erhält, ist die Überlegungen einer körperbasierten Kognition: Embodiment bzw. embodied

cognition. Vorläufer dieser Überlegungen lassen sich bereits im 19. Jahrhundert, in den soge-

nannten ideomotorischen Theorien, finden (Herbart, 1825; Lotze, 1852; Harleß, 1861; James,

1890; für eine Zusammenfassung siehe Stock & Stock 2004). Eine grundlegende Behauptung,

die Embodiment unterliegt, ist dabei laut Glenberg (2010), dass alle psychologischen Prozes-

se1 von der Morphologie des Körpers, sensorischen und motorischen Systemen sowie Emo-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!1 Das umfasst natürlich alle kognitiven Prozesse.

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tionen beeinflusst werden. Glenbergs Argumentation zufolge besteht eine an Sicherheit gren-

zende Wahrscheinlichkeit, dass psychologische Prozesse oder die ihnen unterliegenden kör-

perlichen Aktivitäten evolutionär entstanden sind. Die beiden entscheidenden evolutionären

Triebfedern, Überleben und Reproduktion, verlangen dabei nach einer direkten Interaktion

mit der physikalischen und sozialen Umwelt, welche nur mittels des Körpers zu verwirklichen

ist. Somit kommt der Umwelt eine zentrale Rolle in der Entstehung und folglich in der Be-

schaffenheit unserer kognitiven Architektur zu (Glenberg, 2010). Stimmt man diesem Grund-

gedanken von Embodiment zu, folgt daraus zwangsläufig, dass der menschliche Körper und

seine Reaktion auf Musik, von zentralem Interesse für die Untersuchung dieser menschlichen

Eigenschaft ist. Trotz dieses grundlegenden Gedankengangs, der allen Theorien, die sich auf

Embodiment bzw. embodied cognition beziehen, gemein ist, umfasst Embodiment mehrere

Behauptungen.

Ein Organ, das Zentrale Nervensystem (ZNS), ist dabei in alle kognitiven Prozesse eingebun-

den, die zur Wahrnehmung von Musik notwendig sind. Des Weiteren ist das ZNS an allen

Prozessen beteiligt, die der Produktion der Bewegungen dienen, die für das Musizieren not-

wendig sind. Natürlich ist das Musizieren weder die einzige noch die vorrangige Funktion

dieses Organs, doch ohne das ZNS wäre Musik nicht möglich. Die zentrale Funktion eines

Nervensystems ist die Kopplung sensorischer und motorischer Einheiten des Körpers, in an-

deren Worten, die Sensumotorik. Embodiment Theorien sehen in diese Kopplung eine not-

wendige Voraussetzung für die kognitiven Eigenschaften des Menschen und somit auch für

Musik.

Der Gedanke, der dieser Arbeit zugrunde liegt ist daher, dass Musikwahrnehmung und Mu-

sikkognition körperliche Aktivitäten sind, d. h. sie sind embodied. Folglich sind diese Aktivi-

täten an die Möglichkeiten und Beschränkungen des menschlichen Körpers, genauer gesagt

des menschlichen Nervensystems, gebunden. Um sich der grundlegenden These dieser Arbeit

zu nähern werden im ersten Kapitel zwei Gedanken aufgegriffen. Zunächst soll der Leser an

das die Überlegungen, die Embodiment impliziert, herangeführt werden. Hierzu wird ein Text

von Margeret Wilson (2002) herangezogen, in dem die Autorin sechs unterschiedliche Sicht-

weisen auf Embodiment erläutert hat. Fünf der von Wilson dargestellten Ansätze werden in

diesem ersten Kapitel kurz dargestellt. Diese fünf Aspekte von embodied cognition beleuch-

ten dabei alle vorrangig was die Autorin als „on-line“ Aspekte von Kognition bezeichnet. Der

Rest des ersten Kapitels wird dann genauer darstellen was unter Sensumotorik verstanden

wird und das diese Kopplung sensorischer und motorischer Einheiten in allen Teilen des Zen-

tralen Nervensystems vorzufinden ist, folglich auch im Gehirn.

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Dabei sollte der Leser nicht vergessen, dass die Interaktion mit der Umwelt die treibende

Kraft hinter der Entstehung und der spezifischen Ausformung eines jeden Nervensystems ist.

Der sechste Standpunkt von embodied cognition auf den Wilson eingeht wird dann im zwei-

ten Kapitel ausführlich dargestellt.

Das zweite Kapitel der Arbeit befasst sich mit dem Simulationsgedanken. Mit Simulation ist

genauer gesagt die sensumotorische Simulation gemeint. Diesem Gedanken zufolge unterlie-

gen sensumotorische Regionen des ZNS, die im ersten Kapitel besprochenen werden, unseren

kognitiven Fähigkeiten. Es ist der sechste Punkt in den von Wilson dargestellten Sichtweisen

auf embodied cognition, durch welchen verdeutlicht wird, dass Einheiten, denen lediglich

exekutive Funktionen zugeschrieben wurden, wahrscheinlich eine weitaus größere Bedeutung

für unsere mentalen Fähigkeiten haben als lange vermutet wurde. Beispielsweise wird eine

Verankerung von sprachlichen Bedeutungen in diesen Bereichen des Gehirns vermutet. Be-

sonders die Aspekte menschlicher Kognition, die Wilson als „off-line“ bezeichnet, finden in

diesem Ansatz eine mögliche Erklärung. Im Hinblick auf das finale Kapitel der Arbeit liegt

der für Musik relevante Schwerpunkt des zweiten Kapitels auf dem Entstehen von Erwartun-

gen bei der Wahrnehmung von Sequenzen. Genauer gesagt wird die Rolle des motorischen

Systems und vor allem die des prämotorischen Kortex in diesem Zusammenhang beleuchtet.

Das dritte Kapitel dieser Arbeit wird sich mit Forschungen bezüglich Musikkognition befas-

sen, in denen die in Kapitel eins und zwei dargestellten Überlegungen aufgegriffen werden.

Vor allem wird die Rolle des motorischen Systems für die Wahrnehmung von Musik in den

Fokus gerückt und es wird betrachtet in wie Fern Musikkognition dieses System einbezieht.

Da Musik in dieser Arbeit als Ereignissequenz angesehen wird, besteht ein direkter Bezug

zum zweiten Kapitel der Arbeit. Aufgrund des Umfangs dieser Arbeit können natürlich nicht

alle für Musik relevanten Aspekte aufgegriffen werden, daher wird nur auf einen grundlegen-

den Aspekt der Rhythmuswahrnehmung eingegangen: Beat perception.

Diese Arbeit ist als eine Übersicht von Sachverhalten zu lesen, die für die Forschung von Mu-

sikkognition relevant sind, wenn man Embodiment als Grundlage kognitiver Eigenschaften

auffasst. Der Mensch wird in diesem Zusammenhang als das für Musik relevante kognitive

System angesehen. Daher soll die Bedeutung von Überlegungen und Studien aus den Neuro-

wissenschaften für die Musikforschung dargestellt werden.

Da die Quellen dieser Arbeit überwiegend in englischer Sprache verfasst sind werden der

Begriff Embodiment bzw. embodied cognition nicht übersetzt, da eine Übersetzung dieser

Begriffe mit Verkörperung bzw. verkörperter Kognition m. E. nicht hilfreich für ein besseres

Verständnis dieser Überlegungen ist.

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1. Sensumotorik

1.1. Embodiment: Sensumotorische Interaktion mit der Umwelt

Ebenso wie der Begriff Embodiment ist der Begriff Sensumotorik in dieser Arbeit von zentra-

ler Bedeutung. Embodiment bzw. embodied cognition hebt unter anderem Aspekte der Inter-

aktion des Organismus mit seiner Umwelt hervor. Eben diese Anbindung des Körpers an sei-

ne Umwelt zeigt sich in der Sensumotorik eines jeden sich bewegenden lebenden Systems.

Sensumotorik lässt sich dabei schon in primitiven Lebensformen beobachten. Auf den folgen-

den zwei Seiten wird zunächst der Text „Six Views of Embodied Cognition“ von Margeret

Wilson (2002) im Vordergrund stehen. In ihrem Aufsatz grenzt die Autorin sechs Sichtweisen

von embodied cogntition, die sie in der Literatur ausmachen konnte, voneinander ab und be-

wertet sie.

Die ersten Fünf der von Wilson vorgestellten Behauptungen bezüglich embodied cognition

beziehen sich mehr oder weniger alle auf die Umwelt als einen zentralen Faktor in der Entste-

hung unserer kognitiven Architektur. Aspekte, die aus dem Umstand resultieren, dass wir in

unserer Umwelt eingebettete Wesen sind, werden dabei stets als treibende und formende

Kraft hinter der Entstehung und der Funktionsweise unserer kognitiven Architektur angeführt.

I) Kognition ist Situiert: Dies ist eine Behauptung, die in der Literatur zu embodied cognition

weit verbreitet ist. An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass das Konzept von

Situiertheit selbst relativ dürftig definiert ist (vgl. Ziemke, 2001).2 Hervorgehoben wird hier-

bei, dass kognitive Aktivität im Kontext der echten Umgebung bzw. der realen Welt stattfin-

det und daher automatisch Wahrnehmung und Handlung einbezieht. Wilson selbst unter-

scheidet jedoch zwischen „on-line cogniton“ und „off-line cogniton“. Wobei erstere im Kon-

text von aufgabenrelevantem Input und Output steht und letztere davon abgekoppelt ist. Die

folgenden Punkte II-V sind m. E. alle dem Aspekt der Situiertheit geschuldet und zielen auf

on-line Facetten unseres kognitiven Apparates ab.

II) Kognition unterliegt Zeitdruck: Dieser Punkt verweist darauf, dass Kognition durch die

Anforderung in Echtzeit mit der Umwelt interagieren zu müssen beschränkt ist. Ein Problem,

welches diese Ansicht vorangetrieben hat ist das „representational bottleneck“. Ändert sich

die Umwelt sehr rapide, mag schlichtweg nicht genügend Zeit sein um ein detailliertes menta-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!2 Wilsons Auffassung ist daher nicht unumstritten. Clancey (1997) hat Unterscheidungen zwischen den Auffas-sungen von situierter Kognition getroffen, die auf Funktion, Struktur und Verhalten basiert.

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les Modell der Umwelt zu erstellen auf dessen Basis agiert bzw. reagiert werden kann. Dies

ist auch ein Einwand gegen die in der Einleitung erwähnten amodalen Systeme, welche davon

ausgehen, dass alle geistigen Prozesse die auch zum Handeln notwendig sind auf der Verar-

beitung abstrakter Symbole basieren (sieh hierzu Clark, 1997, Kap. 1.3).

III) Das Auslagern kognitiver Arbeit auf die Umwelt: Hiermit wird eine Strategie bezeichnet

um unseren kognitiven Beschränkungen zu begegnen. Eine solche Beschränkung wäre bei-

spielsweise der soeben erwähnte Zeitdruck. Ein Beispiel für ein solches Auslagern wurde von

Krish & Maglio (1994) in einer Studie zu epistemischen Handlungen (‚epistemic actions’) –

d. h. Handlungen die ein bestimmtes Wissen generieren – beim Computerspiel Tetris unter-

sucht. Beobachtet wurde die Ausführung von Handlungen, welche eine Entscheidung vorbe-

reiten. Jeder der bereits Tetris gespielt hat kennt das Phänomen, man rotiert die herunterfal-

lenden Bauklötze so lange, bis man sieht das der Stein passend positioniert ist, anstatt die Lö-

sung im Kopf zu berechnen bevor die Handlung ausgeführt wird. Natürlich kann auch letztere

Strategie angewandt werden, aber wenn der Zeitdruck immens zunimmt und keine Zeit für

ausschweifende Überlegungen bleibt ist die erste Strategie von Vorteil. Dementsprechend

konnten die Forscher feststellen, dass gerade geübte Spieler diese Strategie anwenden. Sie

vermuteten, dass die Spieler so ihre internen Berechnungen reduzieren. Die Elemente die ma-

nipuliert werden repräsentieren dabei nichts außer sich selbst. Sie zu manipulieren führt nicht

zu einem Lösungsweg, der dann angewendet werden kann, die Manipulation ist der Lösungs-

weg und erzeugt den angestrebten Zustand.

IV) Die Umwelt ist Bestandteil des kognitiven Systems: Die Einsicht, dass das Mitwirken von

Körper und Umwelt für kognitive Aktivitäten von Bedeutung ist (bzw. sein kann) liegt der

Behauptung einige Forscher zugrunde, dass die Kräfte, welche die kognitive Aktivität voran-

treiben nicht ausschließlich innerhalb des Kopfes des Individuums zu verorten sind, sondern

sich auf das Individuum und die Situation verteilen, während sie interagieren („distributed

cognition“). Der Versuch Kognition zu verstehen, muss daher die Situation und das Indivi-

duum („cognizer“) zusammen untersucht werden. In manchen Beispielen zu distributed co-

gnition werden beispielsweise die Instrumente in einem Cockpit als Teil des kognitiven Sy-

stems (vgl. Hutchins, 2005).3

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!3 Wilson weist allerdings darauf hin, dass nahezu kein Forscher an dieser Idee in ihrer Gänze festhält.

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V) Kognition dient unserem Handeln („action“): Diese Behauptung führt schon weiter in die

Richtung einer Auffassung von embodied cognition, welche den Körper bzw. die Verkörpe-

rung von kognitiven Fähigkeiten in einem autonomen Agenten, in den Fokus rückt. Hierbei

ist wichtig in welcher Umwelt sich der Agent bewegt und welche Ereignisse und Gegenstände

aus dieser Umwelt der Körper registrieren und in der Umwelt produzieren kann. In anderen

Worten, unser Wissen ist embodied, da es aus sensumotorischen Informationen besteht, über

diejenigen Interaktionen die Objekte oder gewisse Ereignisse, denen wir ausgesetzt sind, zu-

lassen. Andy Clark (1997) spricht hier von einem Wechsel in der Auffassung von Geist und

Kognition. Er beschreibt diesen Wechsel als Übergang von Modellen in denen Repräsentatio-

nen als Spiegelung der Umwelt verstanden werden, zu Modellen, die Repräsentationen als

Kontrolleinheiten beschreiben. Der Gedanke dahinter ist, dass das Gehirn weniger als Ort der

Beschreibung äußerer Zustände und Ereignisse betrachtet werden sollte. Viel mehr sollte es

als Ort innerer Strukturen angesehen werden, die, durch ihre Rolle in der Festlegung von

Handlungen, als Bedienfunktionen für die Umwelt fungieren (Clark, 1997, Kapitel 2.6).

Die soeben geschilderten Punkte aus Wilsons Aufsatz, argumentieren alle auf einer Ebene, die

das Augenmerk auf den Umstand der Interaktion zwischen Organismus und Umwelt legt.

Diese Aspekte kognitiver Aktivität, die sich in einer aufgabenrelevanten externen Situation

eingebettet vollziehen, bezeichnet Wilson als „on-line aspects of embodied cognition“. Wie

bereits erwähnt wird dabei unterstrichen, dass der Geist in diesen Fällen im Dienste eines au-

genblicklich mit der Umwelt interagierenden Körpers und dessen momentanen Bedürfnissen

steht. Diese Interaktion zwischen Körper und Umwelt wird durch unsere Sensorik und Moto-

rik erst ermöglicht. Doch wie verhält es sich in Situationen in denen wir nicht direkt mit der

Umwelt interagieren, in denen wir unsere kognitiven Fähigkeiten off-line verwenden? Die

sechste Behauptung in Wilsons Darstellung versucht genau diese Aspekte zu erklären. Doch

bevor wir uns diesem Punkt zuwenden, ist es nötig genauer darzustellen in welchem Verhält-

nis Sensorik und Motorik zueinander stehen.

1.2. Korrelation von Sensorik und Motorik

Ganz offensichtlich ist die Sensibilität eines Lebewesens für bestimmte Einflüsse aus dem es

umgebenden Milieu, von großer Bedeutung für die Regulation, nicht nur von Stoffwechsel-

prozessen, sondern vor allem für die Regulation und Koordination von Bewegungen und da-

mit für das Verhalten des Organismus. In ihrem Buch „Der Baum der Erkenntnis“ zeigen Ma-

turana & Varela (1987, S. 162-164) am Beispiel von Einzellern wie grundlegend das Zusam-

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! (!

menspiel sensorischer und motorischer Einheiten für lebende Systeme und damit für diejeni-

gen Ereignisse ist, die ein Beobachter als Verhalten bezeichnet.4 Dabei demonstrieren die

Autoren an drei Beispielen, dass die Bewegung von Einzellern - d. h. ihr Verhalten bei Stand-

ortverlagerung - auf einer speziellen Korrelation zwischen ihren für bestimmte Einflüsse aus

der Umwelt sensiblen Flächen und den für Bewegung verantwortlichen bzw. motorischen

Flächen beruht. In allen drei von ihnen genannten Beispielen besteht prinzipiell derselbe

Kreislauf. Wird die sensorische Fläche durch Perturbationen5 aus dem sie umgebenden Milieu

stimuliert, zieht dies eine Erregung der motorischen Fläche nach sich, was wiederum die Sti-

mulierung der sensorischen Fläche beeinflusst, usw. Ein Kreislauf, der permanent erhalten

wird und in dem motorische und sensorische Flächen unterschiedliche Formen annehmen

können. Diese Korrelation ergibt sich durch die Prozesse im Inneren der Zelle, „vermittels der

Stoffwechseltransformationen, die den zellulären Einheiten eigen sind.“ (Maturana & Varela,

1987. S. 165)

Doch wie kommt diese Korrelation bei komplexeren mehrzelligen Lebewesen, den Metazoen,

zustande. Zu solchen Lebewesen gehört natürlich auch der Mensch. Wir sind aus einer Viel-

zahl differenzierter und spezialisierter Zellen aufgebaut. Doch ein Organismus, der aus mehr

als einer Zelle besteht muss nicht zwangsläufig über sensorische und motorische Flächen ver-

fügen. Organismen, die sich nicht bewegen kommen auch ohne diese Einheiten aus. Pflanzen

sind ein offensichtliches Beispiel für diesen Sachverhalt. Zellverbände, welche sich hingegen

aktiv in ihrer Umwelt bewegen sollen, müssen über motorische und sensorische Flächen ver-

fügen und wie bei den Einzellern müssen diese gekoppelt werden, um die Aktivität des Orga-

nismus im Milieu zu steuern (Llinás, 2001, S. 15). Die Kopplung, die zur Erzeugung einer

Korrelation zwischen sensorischer und motorischer Fläche notwendig ist, erfolgt in Vielzel-

lern durch Nervenzellen (Neuronen). So können diese beiden Einheiten in der Topographie

des Organismus auch sehr weit auseinander liegen und trotzdem miteinander interagieren. Die

Situation die wir vorfinden ist daher im Grunde genommen dieselbe wie bei Einzellern. Es

gibt sensorische Flächen und motorische Flächen, welche miteinander verschaltet sind. Der

Unterschied liegt nun darin, dass diese Verbindung nicht unmittelbar besteht, sondern, wie !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!4 In diesem Zusammenhang zeigen die Autoren ebenfalls, dass auch Pflanzen über „Verhalten“ verfügen und dass die Grenze zwischen ihnen und sich bewegenden Lebewesen fließend sind. „Der Baum der Erkenntnis.“ S. 164. 5 „Der von den Autoren [Maturana & Varela] verwendete Begriff perturbación bezeichnet (anders als disturba-ción, was eher negativ konnotiert ist) Zustandsveränderungen in der Struktur eines Systems, die von Zuständen in dessen Umfeld ausgelöst (d. h. nicht verursacht) werden. Insofern ist die Übersetzung dieses Begriffs etwa mit Störeinwirkung oder Störung problematisch, zumal diese Begriffe im Deutschen eher kausal oder gar negativ benutzt werden. Im Bereich sozialer Phänomene ist hierfür der Begriff «Verstörung» bereits eingeführt worden. Er erscheint jedoch für die Verwendung im organischen und physikalischen Bereich weniger geeignet. Deshalb wird in Abstimmung mit F. Varela im folgenden von «Perturbation» und in der Verbform von «perturbieren» gesprochen. (Anm. d. Übers.)“ in: H. Maturana, F. Varela, „Der Baum der Erkenntnis.“, S. 27.

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erwähnt, mittels des neuronalen Netzwerks erfolgt. Das Verhalten eines Tieres das über ein

neuronales Netzwerk, ein Nervensystem, verfügt ergibt sich demnach aus den verschiedenen

Arten, in denen die vielschichtigen Verflechtungen des ZNS sensorische und motorische Ein-

heiten miteinander verschalten. Aufgrund der vielfältigen Verbindungen mit diversen Zellar-

ten ist dieses Netz in den Organismus eingebettet und die Interaktionen die das neuronale Sy-

stem den Zellen dabei erlaubt sind äußerst präzise (Maturana & Varela, 1987. S. 155-171).

Die sensorischen und motorischen Systeme in diesem Netzwerk haben unterschiedliche Funk-

tionen.

Sensorik ist afferent: Funktional beginnt das sensorische System an den speziell ausgebildeten

Strukturen peripherer Nervenzellen (peripher aus Sicht des ZNS). Diese Strukturen reagieren

auf bestimmte Einflüsse aus dem sie umgebenden Milieu und diese Reaktionen werden ge-

wandelt und als elektrische Signale über Nervenfasern in das zentrale Nervensystem geleitet.

Einmal ins ZNS eingespeist werden die durch Erregung der Rezeptorzellen hervorgerufenen

Signale durch mehrfache Verschaltungen von Neuronen übertragen und bis in die Hirnrinde

projiziert. Dieser Prozess ermöglicht eine bewusste Wahrnehmung und Empfindung der Um-

welt.

Motorik ist efferent: Das motorische System arbeitet in umgekehrter Richtung. Die neuronale

Aktivität hat ihren Ausgang im Gehirn und die Signale werden, unter Einbeziehung der Groß-

hirnrinde, über mehrere Neuronen ins Rückenmark vermittelt von wo aus es mit einem peri-

pheren Nerv direkt zur der Muskulatur gelangt. Nur durch Muskelaktivität kann der Organis-

mus Handlungen in der Umwelt ausführen und somit auf sie einwirken. (Saltuari & Mayr,

Sensomotorik, 2007)

Ist eine dieser Beiden Funktionen nicht defekt, kann der Organismus nicht selbständig überle-

ben.

1.3. Das Zentrale Nervensystem

Das Zusammenspiel der beiden soeben beschriebenen Systeme, Sensorik und Motorik, ist

unerlässlich um Wahrnehmung, Planung und motorische Reaktion der Situation anzupassen.

Dies wird, wie bereits erwähnt, mittels der neuronalen Verknüpfungen des Zentralen Nerven-

systems (ZNS) bewerkstelligt, welches die sensumotorische Koordination durchführt (Milieu

(http://www.med-college.hu/de/wiki/artikel.php?id=1598). Embodiment besagt, dass dieses

Zusammenspiel, welches unerlässlich für die Bewegung des Organismus im Milieu ist ebenso

unerlässlich für das Entstehen eines Geistes (‚mind’) ist. Im speziellen interessiert uns in die-

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ser Arbeit natürlich das ZNS des Menschen und eben dieses soll auf den Folgenden Seiten

genauer umrissen werden.

1.3.1. Gliederung und Lage des menschlichen Nervensystems

Auch wenn die grundlegende Aufgabe eines Nervensystems in jedem Tier die gleiche ist

(Kopplung sensorischer und motorischer Flächen), nimmt es in unterschiedlichen Tierarten

unterschiedliche Gestalt an. Bei primitiveren Lebewesen wie z. B. einer Hydra ist es gleich-

mäßig im ganzen Körper Verteilt. Bei Säugetieren verhält es sich jedoch anders. Maturana &

Varela beschreiben in der Geschichte der Lebewesen zwei grundlegende Tendenzen in der

Transformation des Nervensystems. „1) die Vereinigung der Nervenzellen in einem Kompar-

timent (Nervenstrang); 2) die Konzentration eines großen Aggregats von Neuronen am cepha-

lischen Ende (Cephalisation).“ (Maturana & Varela, 1987, S. 181) Der Mensch gehört in letz-

tere Kategorie und ist das Tier mit der am stärksten ausgeprägten Cephalisation im Tierreich.

Diese massive Konzentration von Nervenzellen am Kopfende bildet den größten Teil des

ZNS, das Gehirn. Doch wenn von den enormen Leistungen des Gehirns die Rede ist, wird

zumeist nicht nur das Gehirn, sondern das gesamte ZNS gemeint, welches außer dem Gehirn

auch das verlängerte Rückenmark, die Medulla oblongata, umfasst. Das ZNS lässt sich auf-

grund morphologischer, entwicklungsgeschichtlicher und funktioneller Aspekte in sechs Be-

reiche unterteilen:

1. Telencephalon (Groß- oder Endhirn),

2. Cerebellum (Kleinhirn),

3. Diencephalon (Zwischenhirn),

4. Mesencephalon (Mittelhirn),

5. Pons (Brücke),

6. Medulla oblongata (verlängertes Mark).

Die letzten drei dieser sechs Segmente bilden den Hirnstamm (Saltuari & Mayr, Sensomoto-

rik, 2007, S. 23). Betrachtet man das Gehirn von der Seite sieht man vorwiegend das Groß-

hirn, welches wiederum aus der linken und der rechten Hemisphäre besteht. An der Großhirn-

hemisphäre unterscheidet man vier Teile: Frontallappen (Lobus frontalis), Parietallappen (Lo-

bus parietalis), Okzipitallappen (lobus occipitalis) und Temporallappen (lobus temporalis).

Außerdem werden noch drei weitere in der Tiefe des Gehirns gelegene Strukturen zu den Ce-

rebralen Hemisphären gezählt: die Basalganglien, der Hippocampus und die Amygdala.

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Abbildung 1: Die vier wesentlichen Regionen des ZNS (Telencephalon [hier Cerebrum], Cerebellum, Hirnstamm und Diencephalon) sowie die vier Lappen der Großhirnrinde. (Quelle: Kenney et al., 1994, S. 78).

Als Großhirnrinde (cortex cerebralis) wird die äußere aus Nervenzellen bestehende Schicht

des Großhirns bezeichnet. Sie ist durch Furchen (sulci) gegliedert, durch welche einzelne

Windungen des Großhirns (gyri) voneinander getrennt sind. Zwei dieser Furchen sind beson-

ders wichtig, sowohl funktional als auch zur Orientierung wenn das Organ betrachtet wird.

Einerseits die Zentralfurche (sulcus centralis), welche Frontal- und Parietallappen voneinan-

der trennt; andererseits sulcus lateralis, welche Temporal- von Frontal- und Parietallappen

trennt.

Als größter Bestandteil des ZNS ist das Gehirn für alle spezifisch menschlichen kognitiven

Fähigkeiten und damit auch für Musik, zwingend notwendig. In allen Teilen des ZNS tau-

schen sensorische und motorische Einheiten Informationen aus und nehmen Einfluss aufein-

ander, so auch im Gehirn. Somit besteht auch in der Großhirnrinde solch eine sensumotori-

sche Kopplung. Auf den folgenden Seiten steht ein Gedanke bezüglich der Arbeitsweise des

Gehirns im Hintergrund. Dieser besagt, dass unterschiedliche Bereiche des ZNS verschiedene

Funktionen ausführen.

1.3.2. Willkürmotorik & sensumotorische Regelkreise

Motorische Handlungen lassen sich hierarchisch in Stufen unterschiedlicher Komplexität

gliedern (http://neuropsychologie.sapvitam.de/willkuermotorik.htm.pdf).

a. Muskelkontraktion: Hervorgerufen durch Aktivität der Motoneuronen, welche die je-

weiligen Muskelfasern innervieren.

b. Bewegung: Ist das Resultat koordinierter Muskelkontraktionen von agonistischen und

antagonistischen Muskelgruppen über ein oder mehrere Gelenke.

c. Motorisches Handeln: Ist das Resultat koordinierter Bewegungen zum Erreichen eines

Zieles oder zum Lösen eines Problems.

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Diese Gliederung soll verdeutlichen, dass willkürliche Bewegungen aus mehreren Stufen be-

stehen und das motorisches Handeln zwangsläufig sensorische Prozesse einbezieht, da alle

drei Stadien durch sensorische Stimulierung hervorgerufen werden können und alle drei Sta-

dien sensorische Effekte nach sich ziehen.

Das sensorische System ist die Quelle der integrativen und kognitiven Funktionen des Groß-

hirns sowie das Steuerorgan des Muskelapparates. Das motorische System dient der Bewe-

gung des eigenen Körpers und anderer Körper bzw. Objekte im Milieu (http://www.med-

college.hu/de/wiki/artikel.php?id=1598). Wie direkt die Verbindungen zwischen den Beiden

Systemen (Motorik & Sensorik) sein können zeigt der Pattellarsehnenreflex.6 Dies ist ein Ei-

genreflex, was bedeutet, dass eine Reaktion im gleichen Körperteil hervorgerufen wird der

zuvor stimuliert wurde. Zudem ist dieser Reflex monosynaptisch, d. h. das sensorische und

motorische Neuronen im Rückenmark direkt über nur eine Synapse miteinander verschaltet

sind. Die Regulierung solch einfacher automatischer Muskelkontraktionen geschieht über das

Rückenmark. Um einen motorischen Effekt hervorzurufen müssen daher die sensorischen

Informationen nicht zwangsläufig die Aktivität in der Hirnrinde modulieren. In der medizini-

schen Literatur ist hier von einem sensumotorischen Regelkreis die Rede (SMRK; Haus,

2010, S. 54). Das ZNS besteht jedoch aus Milliarden von Nervenzellen, die miteinander Ver-

schaltet sind. Daher reichen die Kopplungen zwischen Sensorik und Motorik von sehr sim-

plen bis zu sehr vielschichtig Varianten. Innerhalb dieser komplexen Verschaltung lassen sich

insgesamt fünf Regelkreise ausmachen, welche unser sensorisches und motorisches System

koordinieren. Sie steuern jegliche Motorik. Der 1. SMRK wirkt auch beim erwähnten Patel-

larsehenreflex und dient der Kontrolle der Muskelläng und der Muskelspannung. Propriozep-

tive (tiefensensible) Sinneszellen nehmen hierbei die Perturbationen aus dem sie umgebenden

Milieu auf und erregen durch ihre Aktivität Motoneuronen die zum Muskel führen. Diese

Anpassung des Muskeltonus geschieht permanente und erfolgt zu einem Großteil reaktiv

(Haus, 2010, S. 54 f.). Die anderen vier Regelkreise wirken zeitgleich kontrollierend bzw.

hemmend auf den 1. SMRK. Die Regelkreise sind hierarchisch angeordnet, der fünfte Regel-

kreis kann regulierend auf die restlichen vier SMRK wirken. Sie verarbeiten dabei die durch

die verschiedenen Sinneszellen aufgenommenen Reize in einem fortwährenden zirkulären

Prozess von „Reizaufnahme, Verarbeitung, Beantwortung, erneuter Aufnahme und wieder

angepasstem Outcome, und zwar solange, bis das Ergebnis dem inneren Ziel entspricht.“

(Schaefgen, 2007, S. 84.) Die Hierarchische Gliederung dieser Regelkreise ist in der folgen-

den Tabelle zusammengefasst: !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!6 Der Patellarsehenenreflex oder auch Kniesehnenreflex kann durch einen leichten Schlag auf die Kniesehne unterhalb der Kniescheibe hervorgerufen werden.

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Tabelle 1: Sensumotorische Regelkreise. Die ersten drei Spalten von Links benennen das funktionelle System, die Regionen des ZNS und die Rezeptoren die in den jeweiligen SMRK zusammen wirken. Die vierte Spalte benennt die Art der Motorik die durch das Wirken des jeweiligen SMRK hervorgerufen wird (Quelle: Schaefgen, 2007, S. 82).

Die kognitiven Fähigkeiten über die Menschen verfügen sind auf die funktionellen Systeme

angewiesen, die auch der vierte und fünfte SMRK beanspruchen. Eine sensumotorische

Kopplung ist also auf allen Ebenen des ZNS festzustellen, auch im Neokortex. Viele Bewe-

gungsabläufe beziehen wenn sie neu erlernt werden den fünften SMRK ein. Sind sie einmal

gefestigt und automatisiert beziehen sie nur noch den vierten Regelkreis ein.

1.3.3. Sensorische Assoziationskortizes

Der Stellenwert sensumotorischer Prozesse für die Untersuchung von Musikkognition ergibt

sich schon allein aus dem Umstand, dass ein Mensch beim Spielen von Musik schlichtweg

auf das Zusammenspiel von Sensorik und Motorik angewiesen. Dabei ist es unstrittig, das

diejenigen neuronalen Prozesse, die für menschliche kognitive Fähigkeiten zwingend not-

wendig sind sich innerhalb der Großhirnrinde vollziehen, bzw. auf diese angewiesen sind

(Kandel, 2000, S. 9) und wie in Tabelle 1 zu sehen ist, liegt eine Kopplung von Sensorik und

Motorik auch in der Großhirnrinde vor.

Die funktionale Organisation des Kortex zu verstehen, wirkt auf den ersten Blick nahezu un-

möglich. Doch die Organisation des Gehirns wirkt nicht mehr ganz so undurchschaubar, wenn

man sich drei anatomische Gegebenheiten vergegenwärtigt. Erstens, es gibt relativ wenige

Typen von Neuronen. Einzelne Neuronen ähneln sich in ihrer Struktur und Arbeitsweise.7

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!7 Eine Nervenzelle besteht aus Soma (Zellkörper), Dendriten (kurze verästelte Fortsätze der Zelle, welche neura-le Impulse empfangen) und Axon (einem Fortsatz der Zelle, welcher neurale Impulse ausgehend von der Zelle wegleitet). An der Zellmembran entstehen geringe elektrische Potentiale aufgrund von unterschiedlicher Kon-zentrationen von Ionen innerhalb und außerhalb der Zelle; im Zellinneren überwiegen negativ geladene Teil-

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Zweitens, Neuronen im Gehirn und im Rückenmark bilden Cluster diskreter Zellgruppen die

als Nuclei bezeichnet werden und die verbunden sind um funktionale Systeme zu bilden. Drit-

tens, bestimmte Regionen der Großhirnrinde sind auf sensorische, motorische oder assoziati-

ve Funktionen spezialisiert (Amaral, 2000, S. 337). In diesem Kapitel soll diese drei anatomi-

sche Prinzipien im Zusammenhang mit der Wahrnehmung taktiler Reize erläutert werden. Die

Verarbeitung sensorischer Informationen in der somatosensorischen Modalität bildet einen

guten Ausgangspunkt um nachzuvollziehen was unter sensumotorischer Kopplung in der

Großhirnrinde zu verstehen ist.

Viele der Überlegungen bezüglich Embodiment stammen aus der Forschung zu künstlicher

Intelligenz (KI). Dieser Forschungszweig hat gezeigt, dass die Art und Weise in der das ZNS

Objekte selbstständig erkennt und autonome Handlungen in der Umwelt steuert für heutige

Computer und Roboter noch nicht zu erreichen ist. Eine scheinbar einfache Fähigkeit wie das

Sehen, d. h. auf die Welt zu blicken und Objekte, z. B. ein Gesicht zu erkennen, oder der auf-

rechte Gang sind extrem ausgefeilte Prozesse die eine immense Rechenleistung vollbringen.8

Das ZNS kann diese Meisterleistungen vollbringen da seine vielen Komponenten, die Ner-

venzellen, sich in sehr genauer Art und Weise miteinander verschalten können (Amaral, 2000,

S. 337). Einige Prinzipien, dieser Verschaltung, die essentiell für das Verständnis von Wahr-

nehmung und Handlung sind, lassen sich gut anhand des Tastsinnes verdeutlichen, einerseits

weil das somatosensorische9 System besonders gut verstanden wird und andererseits weil der

Tastsinn besonders gut die Interaktion von Sensorik und Motorik illustriert – wie Information

von der Körperoberfläche über die verschieden Interneuronen des Nervensystem bis zur

Großhirnrinde aufsteigen und in die Planung und Ausführung motorischer Handlungen ein-

fließen, die dann über das Rückenmark zu den Muskeln gesendet werden um Bewegungen

auszuführen (Amaral, 2000, S. 338).

Den somatosensorischen & somatomotorischen Homunculus (Abb. 2), eine Methode die kor-

tikale Fläche, die bestimmten sensorischen oder motorischen Funktionen zukommt, zu illu-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!chen. Diese Differenz besteht auch im Ruhezustand der Zelle, das sog. Ruhepotential. Eine Zelle wird dann ‚aktiv’, wenn durch die Membran massiv positiv geladene Ionen einfließen und die innere Polarität der Zelle kurzzeitig in eine positive Ladung umschlägt – es entsteht ein Aktionspotetnial (AP), das entlang des Axon wei-tergeleitet wird. Die Übertragung eines AP von einer Nervenzelle auf eine andere geschieht an den Synapsen. Als Synapse wird der Spalt zwischen dem Ende eines Axons und einer anderen Nervenzelle oder einem Muskel bezeichnet. In der Regel ist die Übertragung neuraler Impulse über den synaptischen Spalt ein chemischer Vor-gang. Die Feisetzung chemischer Substanzen in den synaptischen Spalt wird am ende des Axons durch einen neuralen Impuls angestoßen. Auf der Empfängerseite des Spaltes gewährleisten diese Substanzen die Weiterlei-tung des Impulses. Vgl. Duus’ Neurologisch-topische Diagnostik, S. 3. 8 Der aufrecht gehende Roboter Asimo verdeutlicht eindrucksvoll wie schwierig es ist nur eine dieser Fähigkei-ten in einem Roboter nachzustellen. Allein unsere aufrechte Haltung ist bereits auf die Kopplung von Sensorik und Motorik angewiesen (siehe 1. sensumotrischer Regelkreis). 9 Die körperliche Sensibilität, d. h. propriozeptive und taktile Empfindungen von Haut, Muskeln und Gelenken.

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strieren, ist m. E. ein guter Ausgangspunkt um sich dem Zusammenspiel von Sensorik und

Motorik im menschlichen Gehirn zu nähern.

Der somatosensorische Kortex befindet sich hinter (posterior) und der primäre motorische

Kortex befindet sich vor (anterior) der Zentralfurche. Die Körperoberfläche ist in einer geord-

neten Ansammlung von somatosensorischen Eingängen zum Kortex repräsentiert.

Abbildung 2: Größenverhältnisse der kortikalen Repräsentation einzelner Körperteile der primären so-matosensiblen (A) und der motorischen (B) Rindenfelder beim Menschen nach Penfield. (Quelle: http://brain.oxfordjournals.org/content/132/7/1693/F1.expansion.html)

Wie groß der Bereich des Kortex ist, in dem die somatosensorischen Informationen aus einem

bestimmten Körperteil verarbeitet werden, steht dabei nicht im Verhältnis zu dessen Masse,

sondern reflektiert die Innervierung des jeweiligen Körperteils. Daher kommt dem sensori-

schen Input der Lippen und Hände ein größerer Bereich des Kortex zu als, z. B. dem der Ell-

bogen.

Der primäre motorische Kortex ist ähnlich organisiert. Die Größe der kortikalen Oberfläche,

welche der Kontrolle eines bestimmten Körperteils dient, steht im Verhältnis zum Ausmaß

motorischer Kontrolle, die über diesen Körperteil ausgeübt werden kann. Ein Großteil des

primären motorischen Kortex dient daher z. B. der Bewegung der Finger und der Gesichts-

muskulatur. Diese somatotopische Organisation von Sensorik und Motorik wurde von Wilder

Penfield festgestellt (Penfield & Rasmussen, 1950). Er stimulierte bei Patienten, die am offe-

nen Gehirn operiert wurden, den Kortex mit leichten elektrischen Strömen und konnte, an-

hand der hervorgerufenen Effekte (Muskelzucken, Bewegungen, Berührungsempfinden), die

einzelnen Körperregionen zuordnen (Amaral, 2000, S. 344).

Da diese Bereiche diejenigen Regionen der Großhirnrinde sind, die durch die Aktivität der

Sinneszellen aus der Haut als erstes aktiviert werden, bzw. die letzten kortikalen Bereiche

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sind, die vor der Aktivierung der im Rückenmark gelegenen Motoneuronen aktiv sind, be-

zeichnet man sie „primären somatosensorischen“ bzw. als „primären motorischen Kortex“.

A B C

Abbildung 3: Verarbeitungen somatosensorischer Informationen. (Quelle: Amaral, 2000, S. 345.) Die Verarbeitung sensorischer Informationen in der Großhirnrinde beginnt in den primären

sensorischen Kortizes, wird fortgeführt in den unimodalen Assoziationskoritzes und findet

ihren Abschluss in den multimodalen sensorischen Assoziationsbereichen. In jeder Abbildung

des Gehirns die hier (Abb. 3) zu sehen ist, kennzeichnen die dunkler unterlegten Regionen

den Ursprung einer Projektion und die heller unterlegten Regionen deren Ziel. Sensorische

Systeme projizieren dabei auch in Teile des motorischen Kortex. Im somatosensorischen Sy-

stem z. B. projiziert der somatosensorische Kortex außer in die in den unimodalen somatosen-

sorischen Assoziationskortex auch in den motorischen Kortex (Abb. 3 A). Der somatosensori-

sche Assoziationskortex projiziert wiederum in somatosensorische Assziationsgebiete höherer

Ordnung und in den prämotorischen Kortex (Abb. 3 B). Die Informationen aus den unter-

schiedlichen sensorische Modalitäten laufen in den multimodalen sensorischen Assoziations-

regionen zusammen (Abb. 3 C). Lokalisiert wurden diese Regionen im lymbischen, präfronta-

len und pariotemporalen Kortex (Amaral, 2000, S. 350-351). Diese Bereiche sind stark mit

dem Hypocampus verbunden und scheinen für zwei Vorgänge besonders wichtig zu sein: (1)

Die Produktion einer zusammengefügten, ganzheitlichen Empfindung wahrgenommener Ge-

genstände und Ereignisse und (2) die Repräsentation dieser Empfindungen im Gedächtnis

(Amaral, 2000, S. 345). Von einem mechanischen Druck auf Rezeptorzellen in der Haut bis

zu einer ganzheitlichen Wahrnehmung, z. B. dass der eigene Finger von einem Freund berührt

wurde, durchlaufen die somatosensorischen Informationen von der Erregung der Sinneszelle

bis zur Wahrnehmung, eine Reihe von Schritten. Die sensorische Informationen steigen in

seriellen und parallelen Leitungen10 von den Rezeptoren über Rückenmark, Stamm- und Mit-

telhirn bis zum somatosensorischen Kortex auf. Eine der vorrangigen Aufgaben der somato-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!10 Nicht alle Arten taktiler Stimuli werden durch die gleichen Leiterbahnen vermittelt. So gelangen z. B. soma-tosensorische Informationen schmerzhafter Stimuli über andere Leitungen bis in den somatosensorischen Kortex als die Informationen herkömmlichern taktilen Stimulus (Amaral, 2000, S. 348).

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sensorischen Information ist dabei die Führung von Bewegungen.11 Die direkte Projektion des

somatosensorischen Kortex in den primären motorischen Kortex lässt bereits die enge Kopp-

lung von Sensorik und Motorik erahnen (Amaral, 2000, S. 345).

Eine der wichtigsten Funktionen, wenn nicht sogar die wichtigste Funktion, der Sinnesmoda-

litäten ist es sensorischen Informationen, die für die erfolgreiche Ausführung zielgerichteter

Bewegungen benötigt werden, bereitzustellen, in anderen Worten die Führung motorische

Handlungen. Willkürmotorik wird dabei durch direkte Verbindungen zwischen der Großhirn-

rinde und dem Rückenmark ermöglicht, von denen die meisten durch den Kortikospinaltrakt

(Pyramidenbahn, Tractus corticospinalis) verlaufen. Abgesehen von der erwähnten Projekti-

on direkt aus dem somatosensorischen Kortex (Abb. 3 A), modulieren sensorische Informa-

tionen die vom motorischen Kortex ausgegebenen Signale noch im Kortikospinaltrakt bevor

sie die Motoneuronen im Rückenmark erreichen. Zusätzlich ist das Signal in dieser zentralen

Nervenstrang dem Einfluss von anderen motorischen Regionen des Gehirns ausgesetzt, z. B.

dem Cerebellum und den Basalganglien, beides Strukturen die essentiell für geschmeidige,

flüssige Bewegungen sind. Große Teile des Neokortex projizieren in die Basalganglien und

versogen diese mit sensorischen und motorischen Informationen. Das Cerebellum erhält so-

matosensorische Informationen sowohl direkt aus afferenten Teilen des Rückenmarks als

auch von Axonen die aus dem Neokortex herabsteigen. Aufgrund seiner Verbindungen zum

Thalamus kann das Cerebellum großen Einfluss auf die Muskelaktivität nehmen, denn zwi-

schen Thalamus und motorischem Kortex bestehen direkte Verbindungen (Amaral, 2000, S.

347).

Die unterschiedlichen sensorischen Informationen werden im Gehirn also auf mehreren sepa-

raten Leitungen verarbeitet die sich in ihrer Funktion unterscheiden und simultan aktiv sind.

Jede dieser Leitungen besteht aus der Verbindung mehrerer erkennbarer Nuclei, wobei jedes

dieser Neuronencluster zunehmend komplexere bzw. speziellere Informationen verarbeitet.12

Die Sinnesorgane erschaffen im ZNS keinen gänzlich neuen Zustand, vielmehr überlagern

und modulieren sie die bereits bestehende fluktuierende Gesamtaktivität. Das Gehirn konstru-

iert eine interne Repräsentation externer physikalscher Ereignisse bzw. der Umwelt nachdem

es zunächst diverse Eigenschaften dieser Ereignisse automatisch analysiert. Halten wir z. B.

einen Gegenstand in der Hand, werden Form, Bewegung und Textur des Gegenstandes simul-

tan aber separat entsprechend der Arbeitsweise des ZNS analysiert und die Ergebnisse dieser

Analysen werden in einer bewussten Erfahrung integriert (Amaral, 2000, S. 348). Die Integra-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!11 http://youtu.be/B1uO_d3hi5w (ab min 14). Die somatosensorischen Sinneszellen des hier gezeigten Patienten sind zerstört. Er ist nicht mehr in der Lage einfachste Bewegungsabläufe auszuführen. 12 Unsere bewussten Sinneseindrücke sind daher eine Abstraktion, keine Replikation der Umwelt.

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tion unterschiedlicher sensorischer Informationen ist natürlich auch für die Wahrnehmung

und Produktion von Musik unerlässlich. Doch die Frage, die im Zusammenhang dieser Arbeit

beschäftigt ist wie sensorische und motorische Funktionen im Kortex zusammen wirken.

1.3.4. Die Integration sensorischer und motorischer Funktionen: Sensumotorische Assoziation

und kognitive Fähigkeiten

Der Umstand, dass die elektronische Stimulation des Kortex, je nach Region, sensorische

oder motorische Effekte hervorruft war, wie erwähnt, bereits in den 1950er Jahren nachge-

wiesen. Unterschiedliche motorische und sensorische Effekte konnten durch elektronische

Stimulierung in den unterschiedlichen Teilen der Großhirnrinde nachgewiesen werden (Pen-

field & Rasmussen, 1950).

In den Forschungen seit dieser Entdeckung ist deutlich geworden, dass komplexe mentale

Funktionen die Integration vielfältiger Informationen aus mehreren kortikalen Bereichen be-

nötigen, jedoch gibt es auch Regionen die einen besonderen Stellenwert für manche höheren

mentalen Fähigkeiten haben (z. B. Broca’s und Wernicke’s area für die Generierung und Ver-

arbeitung Sprache; siehe Kandel, 2000, S. 12). Hierdurch wurde die Frage aufgeworfen, wie

und in welchen kortikalen Regionen sich die Integration der unterschiedlichen funktionalen

Systeme vollzieht.

Eine frühe Antwort auf diese Frage stammt von John Hughlings Jackson, der andeutete, dass

der Kortex hierarchisch organisiert sei und dass einige Regionen der Hirnrinde, wenigstens

teilweise wie ein Reflex-Apparat funktionieren. Mit dieser Vermutung unterstrich er schon

damals, dass das Gehirn nicht alleine dem Denken und dem Geist vorbehalten ist, sondern

auch sensumotorische Funktionen erfüllt (Düweke, 2001, S. 73–85). Die sensumotorischen

Regionen des Kortex dienen der Assoziation eingehender sensorischer Informationen mit mo-

torischen Funktionen, sie intervenieren folglich zwischen sensorischer Afferenz und motori-

scher Efferenz. Mentale Prozesse, die Jackson schon ende des 19. Jahrhunderts in diesen Re-

gionen vermutet hat sind Fähigkeiten wie z. B. die Interpretation sensorischer Informationen,

die Assoziation wahrgenommener Ereignisse und Objekte mit vorausgegangenen Erfahrungen

oder das Fokussieren der Aufmerksamkeit. Dies Behauptungen untermauerte Jackson mit

klinischen Befunden über bestimmte kortikale Verletzungen, die, obwohl sie von geringem

Ausmaß waren, bemerkenswert komplexe Störungen hervorriefen (Saper et al., 2000, S.

350).13 Ein weiterer wichtiger Gedanke Jacksons, der auch heutzutage wieder aufgegriffen

wurde, besagt, dass in den einzelnen motorischen Gehirnzentren nicht einfach nur Muskeln

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!13 Die zuvor beschriebene Amusia wäre m. E. auch ein solch komplexes Phänomen.

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repräsentiert sind, sondern Bewegungen. Ist eine Muskelgruppe z. B. in der Lage 10 Bewe-

gungen auszuführen, so repräsentiert das dazugehörige Zentrum diese 10 unterschiedlichen

Bewegungen (Düweke, 2001, S. 73–85).

Wie zuvor dargestellt (Abb. 3) projizieren die primären sensorischen Regionen in unimodale

Assoziationskortizes, in denen die Informationen der jeweiligen Sinnesmodalität integriert

werden. Die Visuelle Assoziationskortex verarbeitet z. B. Informationen über Form, Farbe

und Bewegung, welche auf unterschiedlichen Leitungsbahnen das Gehirn erreichen. Die Ak-

tivität in den unimodalen Regionen projiziert wiederum in die multimodalen sensorischen

Assoziationsbereiche, die dann die Signale der unterschiedlichen Sinnesmodalitäten zu einer

einheitlichen Empfindung zusammenfügen. In dieser Sichtweise geschieht die Kopplung sen-

sorischer Informationen, aus den multimodalen sensorischen Assoziationsgebieten, mit moto-

rischen Kortexareale im präfrontalen Kortex (PFC). Diesem Gedankengang zufolge fließen

die sensorischen Informationen auf diesem Wege in die Planung und Berechnung der motori-

schen Programme ein, die daraufhin in den prämotorischen Kortex (PMC) und den primären

motorischen Kortex (M1) weiter geleitet und umgesetzt werden.

Der Ausdruck primärer Kortex hat daher zwei verschiedene Bedeutungen: Die primären sen-

sorischen Kortizes sind die erste Stelle der Verarbeitung sensorischer Informationen im Kor-

tex, wohingegen der primäre motorische Kortex die finale Stufe der kortikalen motorischen

Prozesse darstellen. Doch gerade die motorischen Kortexareale scheinen in weitaus komple-

xere Funktionen eingebunden zu sein als lediglich die Initiierung von Muskelaktivität, dem-

nach erfüllt der PMC nicht ausschließlich motorischen Funktionen (Schubotz, 2004, S. 21).

Es scheint so als ob die strikte Trennung, besonders der motorischen Kortexareale von höhe-

ren mentalen Aktivitäten nicht in einer solchen Art und Weise besteht.

1.3.5. Sensumotorik in der Großhirnrinde: Der prämotorische Kortex

In den letzten Jahren hat sich vermehrt die Idee durchgesetzt, dass prämotorischer und primä-

rer motorischer Kortex (M1), keineswegs einfach als eine simple Karte des Körpers angese-

hen werden können, in der benachbarte Muskeln und Gelenke in benachbarten kortikalen Re-

gionen repräsentiert sind (Krakauer & Ghez, S. 778). Diese Idee stimmt mit der Behauptung

von Embodiment überein, dass jegliches Verhalten eines bewegungsfähigen Organismus und

damit auch die abstrakten kognitiven Fähigkeiten des Menschen, aus grundlegenderen sensu-

motorischen Funktionen hervorgehen. Demnach sind kognitive Funktionen keine zentralen,

einheitlichen und amodale Systeme, welche Wahrnehmung und Handlung zwar regulieren,

anatomisch und funktionell jedoch von den spezialisierten peripheren Mechanismen getrennt

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sind, welche in den sensorischen und motorischen Verarbeitung zum Einsatz kommen. Statt-

dessen, werden die neuronalen Strukturen, welche diesen spezialisierten Mechanismen dienen

als wesentlicher Bestandteil kognitiver Leistungsfähigkeit erachtet. Daher Werfen soll nun

eine genauerer Blick auf eine dieser Regionen geworfen werden, die sich im Zuge neurowis-

senschaftlicher Forschungen der letzten 20 Jahre als besonders interessant erwiesen hat, den

prämotorische Kortex (PMC) (Golde, 2010, S. 2). Eine Rolle des PMC in der Vorbereitung,

Speicherung und Kontrolle von Bewegungen und motorischen Handlungen ist offensichtlich

und steht hier außer Frage (Duus’, 2003, S. 386). In jüngerer Vergangenheit ist jedoch ein

gesteigertes Interesse am PMC und dessen möglichen nicht-motorischen Funktionen zu beo-

bachten. Der Grund hierfür liegt in der Beobachtung, dass jede Bewegung, die absichtlich und

offen ausgeführt wird, zwar durch Aktivität im PMC eingeleitet wird, jedoch gleichzeitig eine

gesteigerte Aktivität in dieser Region nicht zwangsläufig zu einer Bewegung führen muss.

Durch das Aufkommen und die Weiterentwicklung bildgebender Verfahren, wie z. B. PET

und fMRI, konnte bei diesen Aufgaben und mentalen Prozessen, die keine Bewegung der

Versuchsperson einbezogen, die also off-line ablaufen, gesteigerte Aktivität im PMC beo-

bachtet werden, wodurch die Vermutung aufkommt, dass der PMC eine unterstützende Rolle

in nicht-motorischen, ausschließlich kognitiven Funktionen spielt (Golde, 2010, S. 1).

(1) Lokalisation und Einteilung des prämotorischen Kortex

Der PMC umfasst einen großen Teil des Frontallappens. Zwischen PMC und Zentralfurche

befindet sich der primärmotorischen Areale (M1, s. o. Abb. 1 B). Auf der anderen Seite grenzt

der PMC an den präfrontalen Kortex (siehe Abb. 3a).

(a) (b)

Abbildung 4: (a) Aufteilung der motorischen Kortexareale in das supplementärmotorische Areal, pri-märmotororischen und prämotorischen Kortex nach Brodmanns Kortexeinteilung. (b) Humunculus des primärmotorischen Kortex.

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Eine der ältesten Einteilungen des PMC geht auf die Beschreibungen der Cytoarchitektur14

des menschlichen Kortex durch Korbinian Brodmann (1909) zurück. Auf Basis der Gewebe-

eigenschaften, unterteilte Brodmann den gesamten Kortex in 52 Regionen, die heute Brod-

mann-Areale (BA) genannt werden (diese Einteilung liegt auch der Nummerierung in Abb. 4

a zugrunde; Kandel, 2000, S.12). Der PMC selbst ist wiederum in vier Segmente eingeteilt,

einen dorsalen (PMd) und einen ventralen (PMv) Teil, welche jeweils in einem rostralen

(PMDr, PMVr) und einen kaudalen (PMDc, PMVc) Segment bestehen (Krakauer & Ghez,

2000, S. 757). Eine weitere motorische Region auf der mesialen Oberfläche des Kortex heißt

‚supplementary motor area’ (SMA) (Maria Golde, S. 3).15

(2) Gemeinsamkeiten und Unteschiede zwischen prämotorischem & primären motorischem

Kortex

Eine der Hauptannahmen über das motorische System, die durch die neueren, hier berücksich-

tigten Forschungen in Frage gestellt wird, ist das es in sich hierarchisch aufgebaut sei. In die-

ser Sichtweise projiziert der prämotorische Kortex in den primären motorischen Kortex (M1)

und kontrolliert diesen. Von dort wird ein Signal weiter ins Rückenmark gesendet, wodurch

die dortigen Motoneuronen kontrolliert werden kann (Schubotz, 2004, S. 21). Doch ein Groß-

teil der weiteren motorischen Regionen, die seit der Beschreibung der Großhirnrinde durch

Wilder Penfield und seine Kollegen (s. o.) entdeckt wurden, senden direkte Projektionen ins

Rückenmark oder ins Stammhirn, nicht ausschließlich M1. Daher mag es zwar durchaus sein,

dass die Verbindungen zwischen kortikalen Motoneuronen und denen im Rückenmark in M1

am stärksten ausgeprägt sind und dieses Kortexareal daher die direkteste bzw. größte Muskel-

kontrolle ausüben kann, jedoch ist es nicht der einzige kortikale Bereich, der die Aktivität der

Motoneuronen im Rückenmark moduliert. Es gibt keine einzelne, alleinstehende motorische

Region, welche die kortikale Aktivität an das Rückenmark weiterleitet (Schubotz, 2004, S.

21).

Ein weiterer Umstand, der keineswegs ausschließlich M1 vorbehalten ist, ist dessen somato-

topische Organisation. Diese ist ebenfalls im PMC vorzufinden. Ein Unterschied anhand des-

sen sich die beiden Regionen (PMC & M1) jedoch unterscheiden lassen, ist die Beobachtung,

dass ein höherer elektrischer Strom benötigt wird um durch Stimulation von BA 6 (siehe Abb.

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!14 Cytoarchitektur = Beschaffenheit des Zellgewebes. 15 An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Struktur des PMC am intensivsten an nichtmenschlichen Pri-maten – am häufigsten an Makaken – untersucht wurde. Die Ergebnisse dieser Forschungen fließen auch stark in Überlegungen zur Einteilung des menschlichen PMC ein (Schubotz, Habil). Diese gestaltet sich jedoch wesent-lich schwieriger und ist stärker umstritten als die Einteilung für das Gehirn des Makaken (Golde, 2010, S. 3).

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4) Bewegungen auszulösen (Golde, 2010, S. 12), hinzu kommt der erwähnte Unterschiede in

der Zellstruktur des jeweiligen Gewebes (s.o. Brodmann).

Eine weitere motorische Region, sprich eine Region, durch dessen Stimulation Bewegungen

hervorgerufen werden, ist das Supplementär-motorische Areal (SMA). Interessanterweise

konnten die beiden Forscher hier bislang keine klare somatotopische Organisation ausma-

chen, wohingegen bei Affen diese Region sehr wohl eine somatotopische Repräsentation des

Körpers aufweist (Luppino et al., 1991; Woolsey et al., 1952). Seit der ersten Entdeckung der

motorischen Areale gab es mehrere Vorschläge zu ihrer topographischen Organisation. Eine

Vielzahl jüngerer Studien hat die Ansicht bestärkt, dass in den lateralen (PMC) und mesialen

(SMA, pre-SMA) motorischen Regionen nicht nur eine, sondern mehrere somatotopische

Repräsentationen des Körpers existieren, die einander überlappen. Dieser Umstand würde,

falls er zutrifft, erklären, warum die Feststellung einer somatotopischen Unterteilung des

PMC sich als so schwierig erweist (siehe hierzu Graziano & Aflalo, 2007; Schubotz, 2004, S.

22-26).

(3) Funktionen des PMC: Motorische Planung und Bewegungsausführung

In den unterschiedlichen Teilen des PMC (siehe S. 20) scheinen verschiedene Bewegungen

repräsentiert zu sein.16 Durch Stimulation des PMC ausgelöste Bewegungen unterscheiden

sich dabei je nach Region. Die Regionen in Richtung der Zentralfurche, die leichter zu erre-

gen sind, rufen schnelle und simple Bewegungen hervor die meist nur ein Gelenk einbezie-

hen. Die schwerer erregbaren Regionen, die rostralen Teile des PMC, rufen langsamere, kom-

plexere und natürlicher wirkende Bewegungen hervor, die mehrere Körperteile und Gelenke

einbeziehn (Graziano et al., 2002). Eine somatotopische organisation, wie man sie in BA 4

vorfindet, ist im PMC weitaus schwieriger zu erkennen, zudem scheinen Unterschiede zwi-

schen einzelnen Individuen bestehen (Graziano & Gandhi, 2000).17

Die vom PMC und M1 ausgegebenen Signale überlagern sich im Rückenmark. Interessant ist

jedoch, dass jeder dieser beiden Bereiche von unterschiedlichen Regionen angesprochen wird.

An Makaken konnte nachgewiesen werden, dass die folgenden Regionen in den primären

motorischen Kortex (M1) projizieren: PMC, SMA und der somatosensorische Kortex. Folg-

lich besteht in BA 4 eine direkte Verbindung zu sensorischen Regionen (Abb.3). Die prämo-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!16 Dies ähnelt der Überlegung von John Hughlins Jackson, der nicht die Repräsentation bestimmter Muskeln sondern von Bewegungen vermutete (s.o.). 17 Wieder stammen die meisten Ergebnisse hierzu aus Studien an Makaken (für eine Zusammenfassung siehe Schubotz, 2004), doch beim Menschen existiert wahrscheinlich eine ähnliche Einteilung, die sowohl aufgrund ethischen Richtlinien in der Forschung und aufgrund der höheren Komplexität schwieriger als bei den etwas simpleren Gehirnen der Affen auszumachne ist (Krakauer & Ghez, 2000, S. 760).

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torischen Gebiete hingegen erhalten von anderen Regionen Eingaben: Vom präfrontalen Kor-

tex (BA 46) und dem parietalen Kortex (BA 5 & 7), zwei Regionen, die als multimodale As-

soziationsregionen angesehen werden. Über den Thalamus projizieren zudem noch Basalgan-

glien und Cerebellum sowohl in den prämotorischen als auch in den primären motorischen

Kortex. Des Weiteren projizieren diese beiden Bereiche auch direkt ins Rückenmark. Die

Verbindungen der motorischen Regionen untereinander und zu weiteren Bereichen des Kor-

tex sowie ins Rückenmark, Klein- und Stammhirn sind also stark ausgeprägt. Das der PMC

eine wichtige Stellung im motorischen System eines Primaten inne hat steht also außer Frage

(Krakauer & Ghez, 2000, S. 760). Doch von besonderem Interesse in dieser Arbeit ist der

Umstand, dass der PMC auch sensorische Komponenten umfasst. Wie soeben beschrieben

wurde ist die Kopplung des PMC mit sensorischen Komponenten bzw. kortikalen Regionen,

die auch sensorische Informationen verarbeiten, wesentlich stärker ausgeprägt als in M1.

(4) Der PMC reagiert auf sensorische Stimuli

Während M1 (BA 4) eher kinematische und dynamische, d. h. somatosensorisch wahrnehm-

bare Aspekte einer Bewegung zu kontrollieren scheint, sieht es so aus als ob die prämotori-

schen Regionen Informationen mehrerer Sinnesmodalitäten einbeziehen um Bewegungen aus-

zulösen und zu leiten. Diese Erkenntnisse stammen aus Experimenten an Makaken, bei denen

die Forscher (Graziano & Gandhi, 2000) in unterschiedlichen Teilen des PMC Aktivität fest-

stellen konnten, wenn den betäubten Affen einem visuellen, taktilen oder auditorischen Sti-

mulus dargeboten wurden. Bestimmte Neuronen waren sowohl bei der Ausführung einer Be-

wegung als auch bei rein sensorischen Ereignissen aktiv (Graziano & Gandhi, 2000). Folglich

ist der prämotorische Kortex keine ausschließlich motorische sondern eine sensumotorische

Region.18 Einige Neuronen in motorischen Bereichen des Kortex, sind also sowohl bei moto-

rischen Handlungen, als auch bei der Darbietung rein visueller, taktiler und auditiver Stimuli

aktiv (Rizzolatti et al., 1981b; Rizzolatti et al., 2002; Chen et al., 2009). Es ist daher nachge-

wiesen, dass der prämotorische Kortex von Makaken motorische, unimodale visuelle, auditive

und somatosensorische, bimodale visuell-somatosensorische und trimodale visuell-auditiv-

somatosensorische Neuronen gibt (eine Übersicht bieten Fadiga et al., 2000). Diese mit senso-

rischen Eigenschaften bestückten Neuronen wurden vermehrt in den rostralen Regionen des

PMC gefunden, wohingegen Neuronen mit ausschließlich motorischen Eigenschaften ver-

mehrt in kaudalen Bereichen des PMC zu finden waren (Wise et al. 1997). Diese Beobach-

tung deckt sich mit der Feststellung, dass einerseits zwischen rostralen PMC und präfrontalem

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!18 Eine genauere Erläuterung dieser Aussage erfolgt im nächsten Abschnitt.

Page 26: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! #$!

Kortex und andererseits zwischen kaudalem PMC und primären motorischem Kortex direkte

Verbindungen bestehen. Diese beiden Umstände deuten darauf hin, dass die rostralen Teile

des PMC evtl. eine ähnliche Funktion wie dem präfrontalen Kortex zukommt, wohingegen

die kaudalen Teile als „wirkliche“ motorische Regionen (d. h. vorrangig in die Bewegungs-

ausführung eingebunden) verstanden werden können. Die genaue Verteilung sensorischer

Neuronen im PMC wird jedoch noch erforscht.

Diese sensorische Neuronen im PMC werden als „canonical“, „mirror“ und „space coding“

Neuronen bezeichnet. Die Frage nach ihrer Funktion liegt dabei auf der Hand (Schubotz,

2004, S. 27). Canonical neurons feuern wenn der Affe ein Objekt sieht, welches er greifen

kann, Spiegelneureonen („mirror neurons“) feuern, wie erwähnt sowohl wenn der Affe eine

bestimmte Handlung durchführt als auch wenn der Affe ein anderes Individuum beobachtet

das diese Handlung durchführt. Space coding neurons sind aktiv wenn sich ein Gegenstand in

der Reichweite des Affen befindet (Rizzolatti & Craighero, 2004).

Diesen sensorischen Neuronen des PMC wird eine wichtige Rolle in der sensumotorischen

Transformation zugeschrieben. So werden z. B. die visuellen Eigenschaften eines Objektes in

die unterschiedlichen Möglichkeiten es zu greifen übersetzt, diese Arbeitsweise lässt sich auf

alle Arten zielgerichteter Handlungen anwenden (Golde, 2010, S. 19). Die Idee die sich mitt-

lerweile aus diesen Beobachtungen entwickelt hat, ist die eines „Vokabular“ von möglichen

motorischen Handlungen, welches sich in der prämotorischen Hirnregion befindet (Fadiga et

al., 2000). Das würde bedeuten, dass der prämotorische Kortex nicht nur in die Ausführung

motorischer Handlungen einbezogen ist, sondern diese Handlungen in Form ‚motorischer

Ideen’ intern repräsentiert. Dieses Vokabular wird entweder durch externe Stimuli – betrach-

tete Objekte und motorische Handlungen – oder interne Stimuli – Vorbereitung, Planung ei-

ner motorischen Handlung – abgerufen. Es wird sogar vermutet, dass es die neurobiologische

Basis für Repräsentationen von Räumlichkeit, Imitation, Verständnis von beobachteten moto-

rischen Handlungen anderer Personen sowie für die semantische Kategorisierung von Objek-

ten sein könnte (Golde, 2010, S. 21).

Der Nachweis solcher Neuronen bei Menschen gestaltet sich auch in diesem Fall schwieriger

als bei Affen, was sich in der Literatur spiegelt. Doch einige der Studien die diesbezüglich

unternommen wurden legen nahe, dass der menschliche PMC ähnlich funktioniert wie bei

anderen Primaten (Golde, 2010 S. 21). Bei Menschen scheint die Aktivität im linken PMC

speziell durch handlungsspezifische Geräusche moduliert zu werden (Pizzamiglio et al., 2005;

Galati et al., 2008), eine Entdeckung die für Musik und Sprache von ungeheurem Stellenwert

ist. Das bedeutet, dass Bereiche des PMC Aktivität zeigen während die Versuchsperson Ge-

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! #%!

räusche von Handlungen mit der Hand oder Handlungen mit dem Mund anhört (Golde, 2010,

S. 21). Die Forscher vermuten eine somatotopische Organisation, so dass die Geräusche der

Handlung mit dem Mund Aktivität in Regionen, die näher an den Bewegungszentren des

Mundes liegen, hervorruft (Gazzola, Aziz-Zadeh & Keysers, 2006).

Zwei Funktionen wurden den Spiegelneuronen seit ihrer Entdeckung zugeschrieben: Einer-

seits sollen dass Spiegelneuronen Imitation ermöglichen (Jeannerod, 2001) und andererseits,

sollen sie die Grundlage für das Verstehen von Handlungen bilden (Rizzolatti et al., 2001).

Die zugrundeliegende Überlegung ist relativ simpel. Jedes Mal, wenn ein Individuum eine

Handlung sieht, die ein anderes Individuum durchführt, werden Neuronen im PMC des Beob-

achters aktiviert, welche sich auch dann entladen, wenn er selber die Handlung ausführt. So

wird automatisch eine motorische Repräsentation der beobachteten Handlung erzeugt.19 Das

Resultat bzw. die Wirkung dieser motorischen Repräsentation ist dem Individuum bewusst,

daher transformiert das System aus Spiegelneuronen beim Beobachten einer objektgerichteten

Handlung die visuellen Informationen in ein motorisches Wissen (Rizzolatti et al., 2001).

Somit korreliert Aktivität von Spiegelneuronen mit dem Verstehen bzw. dem Erkennen von

Handlungen. Sie kann abhängig von der Handlung, die sie repräsentieren, sowohl durch visu-

elle als auch durch akustische Stimuli hervorgerufen werden (Rizzolatti & Craighero, 2004).

Ein Experiment in diesem Zusammenhang hat getestet, ob die Spiegelneuronen auch feuern,

wenn die für ihre Aktivierung entscheidenden Bewegungen nicht zu sehen sind (Umiltà et al.,

2001). Interessanterweise ergab dieses Experiment, dass die Spiegelneuronen20 nur dann feu-

ern, wenn der Affe den Gegenstand der gegriffen wird, sieht bzw. wenn er gesehen hat wie er

hinter dem Sichtschutz platziert wurde. Die visuellen Eigenschaften einer beobachteten Hand-

lung sind also nur insofern ausschlaggebend für die Aktivierung der Spiegelneuronen, als das

sie das Verständnis der beobachteten Handlung ermöglichen müssen. Falls das Verständnis

einer Handlung auf der Basis anderer sensorischer Reize

möglich ist (z. B. das Geräusch einer Handlung), feuern

Spiegelneuronen auch in Abwesenheit visueller Stimuli

(Rizzolatti & Craighero, 2004). Abbildung 5: Die Bilder zeigen die Bewegung, die der Affe beo-bachtet, die Diagramme über den Bildern zeigen die Feuerrate der untersuchten Spiegelneuronen. (Quelle: Ultimà et al., 2001.) Die Entdeckung dieser sensumotorischen Neuronen im

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!19 Weil die Spiegelneuronen in beidenFällen (Beobachten der Handlung, Durchführen der Handlung) feuern. 20 In diesem Fall waren es Spiegelneuronen die auf beim Greifen und Halten eines Gegenstandes feuern.

Page 28: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! #&!

PMC von Makaken21 ist der Ehrgeiz entfacht einen ähnlichen Mechanismus im menschlichen

Gehirn nachzuweisen. Studien mit Transkranieller Magnetstimulation (TMS) legen dabei den

Schluss nahe, dass ein System aus Spiegelneuronen auch im Menschen existiert. Jedoch

scheinen die menschlichen Spiegelneuronen über Eigenschaften zu verfügen, die bei Affen

bislang nicht beobachtet werden konnten. So rufen beispielsweise auch „bedeutungslose“

Bewegungen, d. h. Bewegungen, die kein Ziel, d. h. keinen direkt ersichtlichen Zweck haben,

in menschlichen Spiegelneuronen Aktivität hervor.22 Des Weiteren scheinen beim Menschen

auch die einzelnen Bewegungen, welche eine motorische Handlung bilden, Aktivität in den

Spiegelneuronen hervorzurufen (Rizzolatti & Craighero, 2004). Schubotz & v. Cramon (2001,

2002a, b) haben gezeigt, dass auch die Vorhersage abstrakter, serieller, visueller Stimuli Ak-

tivität in prämotorischen und parietalen Regionen auslöst (siehe Kapitel 2.2.). Diesen Autoren

zufolge spielen die Spiegelneuronen im menschlichen PMC auch eine zentrale Rolle in der

Repräsentation sequenzieller Informationen, unabhängig davon ob diese in perzeptuellen oder

motorischen Prozessen verwendet werden.

2. Sensumotorische Simulation als Grundlage menschlicher Kognition

2.1. „Off –line“ Kognition ist körperbasiert

An dieser Stelle soll der sechste Punkt von Wilsons (2002) Aufsatz über embodied cogntion

dargestellt werden. Diejenigen Bereiche der menschlichen Kognition die Wilson als „off-line“

bezeichnet umfassen alle mentalen Aktivitäten, bei denen sensorische und motorische Res-

sourcen eingebunden werden um mentale Aufgaben zu bewältigen, deren Bezüge räumlich

und zeitlich entfernt oder komplett imaginär sind. Daher wird hier die zentrale Rolle des Kör-

pers für unsere Kognition und besonders deren off-line Aspekte in den Vordergrund gerückt.

Der Schlüsselgedanke ist die sensumotorische Simulation. Dieser Gedanke wird im Rahmen

dieser Arbeit auch als zentraler für die Entstehung von Erwartungen bei der Musikwahrneh-

mung erachtet. Die in Kapitle 1.1. geschilderten Punkte I-V sind, wie erwähnt, alle von Be-

deutung für die Entstehung bzw. die Ausformung unserer motorischen, sensorischen und ko-

gnitiven Systeme und widersprechen dem Simulationsgedanken nicht. Im Gegenteil, die Si-

mulations-Idee besagt, dass die erwähnten Systeme, die sich im Laufe der Zeit und durch die

Interaktion mit der Umwelt entwickelt haben, ‚zweckentfremdet’ werden und nicht aus-

schließlich der Interaktion des Körpers mit seiner Umwelt dienen, sondern auch off-line ver-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!21 (Rizzolatti et al. 1988: Functional organization of inferior area 6 in the Macaque monkey. II. Area F5 and the control of distal movements. In: Exp. Brain Res., Nr. 71, S. 491-507.) 22 Das heißt die Spiegelneuronen für das Greifen und Halten eines Gegenstandes feuern auch wenn gar kein Gegenstand gegriffen wird, sondern die Handlung nur gemimt wird.

Page 29: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! #'!

wendet werden. Laut Wilson (2002) kommen sensumotorische Simulationen externer Situa-

tionen in einer ganzen Reihe menschlicher kognitiver Eigenschaften zum tragen.23 Da die

Simulation durch das ZNS ausgeführt wird, ist sie an die Funktionsweise und an die Be-

schränkungen dieses Systems gebunden.

Ausschlaggebend für die Simulationstheorie ist die, durch bildgebende Verfahren erlangte,

Erkenntnis, dass (motorische) Handlungen verdeckte Zustände bzw. Prozesse einbeziehen

(Jeannerod, 2001). Kausal betrachtet sind diese verdeckten Prozesse Repräsentationen eines

zukünftigen Zustandes, welche das Ziel der Handlung, die Mittel dieses Ziel zu erreichen

(Motorik) sowie die sich daraus ableitenden Konsequenzen für den Organismus und das (un-

mittelbare) externe Milieu (Sensorik) einbeziehen. Die verborgenen und die offen zu Tage

tretenden Stufen einer motorischen Handlung formen somit ein Kontinuum. Jede offen ausge-

führte Handlung wird von diesen verdeckten Prozessen vorbereitet bzw. begleitet (Jeannerod,

2001). Ein Kernpunkt im Denken von Marc Jeannerod (2006, S. 1), einem prominenten Be-

fürworter der sensumotorischen Simulation, ist, dass sich die verborgenen mentalen Prozesse

die einer Handlung vorausgehen bzw. diese begleiten, sich von der effektiven Ausführung

dieser Handlung abkoppeln lassen und somit die interne Simulation ermöglichen. In den fol-

genden Abschnitten sollen eben diese Prozesse erörtert werden und wie sie dazu dienen könn-

ten motorischer Handlungen nachzuvollziehen bzw. Ereignissequenzen zu antizipieren. Eben

diese Fähigkeit Ereignisse zu antizipieren bildet die Grundlage für die Entstehung von Erwar-

tungen und Musik ist m. E. ein Spiel mit Erwartungen. Diesem Punkt widmen sich die fol-

genden Seiten.

2.2. Vorwärtsmodelle / Prädiktoren

Schubotz & v. Cramon (2003) haben die Idee vorgestellt, dass prädikative Modelle des moto-

rischen Systems sich von motorischen Handlungen auf andere Ereignisse ausweiten und da-

mit generalisieren lassen. Die Autoren argumentieren, dass die Vorhersage von Ereignissen in

wahrgenommenen Sequenzen auf sensumotorisch getriebenen Vorwärtsmodellen fußt (Wol-

pert & Flanagan, 2001). Die Frage nach der Art und Weise in der wir die Handlungen unsere

Artgenossen vorhersagen können hat dabei durch die Entdeckung der Spiegelneuronen ge-

steigertes Interesse erfahren (siehe S. 22-25). Die Konzepte Simulation und Emulation liefern

zudem mögliche Antworten auf die Frage wie wir Ereignisse, die wir nicht selber reproduzie-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!23 In ihrem Text erörtert sie explizit, „motor imagery“, „working memory“, „episodic memory“ und „implicit memory“ sowie “reasoning and problem solving“, für die genauen Zusammenhänge zwischen diesen kognitiven Domänen und sensumotorischer Simulation siehe Wilson, 2002.

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! #(!

ren können antizipieren. Bevor genauer auf diese Vorwärtsmodelle oder Emulatoren, wie

Grush (2004) sie nennt, eingegangen werden kann, ist jedoch eine kurze Erläuterung Theorien

motorische Kontrolle nötig.

Es gibt zwei konkurrierende Modelle, die motorischer Kontrolle entweder durch „Feed-

forward control“24 oder durch „Feedback control“ verwirklicht sehen. Die Art der Interakti-

on zwischen den motorischen Zentren des ZNS und dem Feedback vom Körper während

schneller, zielgerichteter Bewegungen, ist dabei ein andauernder Streitpunkt (van der Meulen

et al. 1990). „Feed-forward control“ bedeutet dabei laut Grush (2004), dass die motorischen

Zentren die komplette motorische Sequenz (d. h. die neuronalen Impulse, die an die Motoneu-

ronen im Rückenmark gesendet werden) einer Bewegung festlegen. Diese motorische Se-

quenz wird auf der Grundlage von Informationen über den gegenwärtigen Zustand und ange-

strebten Zustandes des Körpers generiert. Das Resultat dieser Salven neuronaler Impulse ist

die Bewegung des Körpers um den angestrebten Zustand zu erreichen. Erst am Ende der Be-

wegung, wenn detaillierte Anpassungen vorgenommen werden müssen, wird das visuelle und

das kinästhetische Feedback einbezogen, der Großteil der motorischen Sequenz wird dem-

nach ohne Feedback festgelegt und ausgeführt (Grush, 2004).

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die davon ausgehen, dass die Bewegungskontrolle

durch Feedback verwirklicht wird. Diese Überlegung beruht auf der Behauptung, dass es

zwar einen Zielzustand gibt der durch die Bewegung herbeigeführt werden soll, jedoch be-

steht bevor die Bewegung ausgeführt wird kein motorischer Plan. Vielmehr vergleichen die

motorischen Zentren kontinuierlich den Angestrebten Zielzustand mit dem gegenwärtigen

Zustand (die Informationen für diesen Vergleich werden durch visuelle und kinästhetische

Sensoren bereitgestellt) bis die beiden sich decken. Das sensorische Feedback kontrolliert und

steuert demnach die Bewegung (Grush, 2004).

In beiden Fällen unterteilt sich laut Grush (2004) der Kontrollprozess in zwei Teilprozesse,

das ‚inverse mapping’ und das ‚forward mapping’. Letzteres ist der Teil des Kontrollprozes-

ses, der letztendlich die Muskeln aktiviert. Zukünftige Zustände treten ein, wenn die motori-

schen Befehle des ‚forward mappings’ ausgeführt werden. Die finale Muskelaktivitäten wer-

den daher auf Basis solcher ‚forward mappings’ kontrolliert. Das ‚inverse mapping’ hingegen,

erhält als Input eine Spezifikation des zukünftigen Zustandes, in anderen Worten den Zielzu-

stand. Auf der Basis dieser Spezifikation werden die motorischen Befehle bestimmt, die not-

wendig sind um den angestrebten Zielzustand herzustellen. Diese Zuordnung ist damit eine

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!24 An dieser stelle ist anzumerken, dass der Ausdruck feed-forward in unterschiedlichen Bereichen zum Einsatz kommt. Die hier verwendete Auffassung von „feed-forward“ entspricht der Verwendung dieses Ausdruckes in der Regelungstheorie.

Page 31: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! #)!

Umkehrung des ‚forward mappings’. Werden ‚inverse mapping’ und ‚forward mapping’ in

Reihe geschaltet entsteht Grush (2004) zufolge ein sogenanntes ‚identity mapping’ (Abb. 6),

durch welches das System sich von Zielzustand zu Zielzustand übergeht.

Abbildung 6: Forward und inverse mapping in Reihe geschaltet. (Quelle: Grush, 2004)

Der Unterschied zwischen Feed-forwad und Feedback Kontrolle besteht nun darin wie die

Steuereinheit (contoller) das ‚inverse mapping’ umsetzt um das Kontrollsignal zu erzeugen.

Feed-forward Überlegungen gehen, wie erwähnt, davon aus, dass der Großteil der motori-

schen Befehle festgelegt wird bevor die Bewegung beginnt. In den Überlegungen, die von

Feedback Kontrolle ausgehen ergeben sich die motorischen Befehle aus der Interaktion zwi-

schen Steuereinheit (controller) und zu kontrollierendem System (plant). Doch in beiden Fäl-

len generiert die Steuereinheit ein motorisches Kontrollsignal welches vom Körper, genauer

gesagt dem Muskel-Skelett-System, ausgeführt wird um den Zielzustand zu erreichen (Grush,

2004, S. 378).

Neuere Überlegungen kombinieren dieses ‚identity mapping’ mit weiteren Rückkopplungs-

schleifen (Abb. 7), die auf internen Vorwärtsmodellen beruhen (Schubotz, 2010). Ein Vor-

wärtsmodell oder wie Grush (2004) es nennt, Emulator25, ist in diesem Zusammenhang eine

funktionale Einheit, die schlichtweg dieselben (oder sehr ähnliche) Input-Output Funktionen26

wie das zu Muskel-Skelett-System (plant) umsetzt. Wenn den Emulator also eine Effernzko-

pie27 des motorischen Befehls durchläuft (der Emulator erhält also dasselbe neuronale Input

wie das zu kontrollierende System), erzeugt er ein Output Signal. Dieses Emulator Feedback

entspricht bzw. ähnelt dem sensorischen Feedback, das durch die effektive Ausführung des

Kontrollsignals durch das Muskel-Skelett-System erzeugt werden würde.

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!25 Ich folge in dieser Hinsicht Rick Grush (2004) und verwende die Ausdrücke „Emulator“ und „Vorwärtsmo-dell“ synonym. 26 Die Korrelation von Input und Output ist erlernt. 27 Die Kopie eines motorischen Befehls.

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Abbildung 7: Dieses Schema zeigt wie eine Kopie des Kontrollsignals durch den Emulator geschickt

wird. Dieser ahmt die input-output Korrelationen des zu kontrollierenden Systems (Plant) nach. Da der

Emulator dasselbe Input wie das zu kontrollierende System erhält ist das Output ähnlich. (Quelle:

Grush, 2004).

Vorwärtsmodelle simulieren somit das dynamische Verhalten von Körper und Umwelt, wo-

durch sie den Kausalzusammenhang zwischen körpereigenen Bewegungen und den durch sie

verursachten sensorischen Konsequenzen erfassen. Die Idee, dass wir die sensorischen Effek-

te unserer motorischen Befehle antizipieren ist dabei für alle Aspekte sensumotorischer Kon-

trolle von großer Bedeutung (Schubotz, 2010, S. 110). Antizipation bedeutet dabei im Allge-

meinen das wir zukünftige Zustände eines Objektes oder Körpers abschätzen können, wenn

dieses oder dieser sich bewegt. Es handelt sich also nicht um keine definitive Vorhersage,

eher um eine Einschätzung. Diese Vorwärtsmodelle oder Prädiktoren dienen vorrangig einer

verbesserten und schnelleren Bewegungskontrolle. Denn wenn der Organismus einen Fehler

in der Ausführung motorischen Handlung im Vorhinein detektieren kann, lassen sich die Be-

wegungen korrigieren bevor der Fehler eintritt.

Abbildung 8 (Quelle: Schubotz, 2010).

Wie in der Abbildung 8 dargestellt durchläuft eine Efferenzkopie das Vorwärtsmodell (Prä-

diktor). Auf Basis der Efferenzkopie generiert der Prädiktor eine Vorhersage über zu erwar-

tenden sensorischen Rückkopplungen, welche die Bewegung hervorrufen wird. Diese werden

mit den sensorischen Rückkopplungen die tatsächlich entstehen abgeglichen. So können die

Page 33: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! $+!

Emulatoren, wenn sie on-line zum Einsatz kommen genutzt werden um Bewegungen zu op-

timieren.

Wenn diese Prozesse off-line ablaufen, d. h. ohne das vom Individuum eine echte Bewegung

ausgeführt wird, in anderen Worten, wenn eine Efferenzkopie den nur Emulator durchläuft,

dann können die in ihm generierten antizipierten sensorischen Rückkopplungen (Feedback)

dazu genutzt werden um die Effekte unterschiedlicher Handlungen abzuschätzen und um mo-

torische Pläne zu entwickeln und zu bewerten (Grush, 2004). „Der Simulations-Idee nach

sagen wir vorher, was andere tun, indem wir unser eigenes motorisches System als internes

Modell bzw. als Emulator verwenden. Dergestalt durch Handlungsbeobachtung hervorgeru-

fene motorische Aktivation koppelt an Wahrnehmungsprozesse zurück, erzeugt damit Erwar-

tungen und schränkt weitere Vorhersagen ein […].“ (Schubotz, 2010, S. 110)

Wie Schubotz jedoch betont wird durch diese Darstellung die Frage aufgeworfen, warum wir

in der Lage sind Verhalten anderer Spezies vorherzusagen oder den Bewegungsverlauf von

unbelebten Gegenständen. Wie ist es also möglich das Menschen Ereignisse antizipieren kön-

nen, die nicht Teil ihres motorischen Repertoires sind? Ist Simulation eventuell die Grundlage

für diverse prädikative Phänomene menschlicher Wahrnehmung und Kognition (Grush,

2004)?

Wie genau solch eine Simulation funktionieren könnte wird untersucht, aber selbst das Er-

kennen relativ simpler Arten von Objektbewegungen scheint höhere mentale Fähigkeiten ein-

zubeziehen (Hubbard, 2005) und viele täglich wahrgenommene Ereignisse, einschließlich der

meisten akustischen Phänomene, beinhalten sehr komplexe Veränderungsmuster, die nicht

nur durch Bewegung charakterisiert sind (Schubotz, 2010, S. 110). Schubotz vertritt die Auf-

fassung, dass die Vorwärtsmodelle (Prädiktoren, Emulatoren) des sensumotorischen Systems

von „Handlungs- auf Ereigniswahrnehmung ausgeweitet werden können und sollten.“ (Schu-

botz, 2010, S. 111) Das hieße, das sensumotorische System wird für die Simulation beobach-

teter Ereignisse jeder Art verwendet, auch jener Ereignisse, die nicht innerhalb unseres moto-

rischen Repertoires liegen.28 Einer der wichtigsten kortikalen Bereiche in diesem Zusammen-

hang ist der prämotorische Kortex.

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!28 Simulation und Sprachverständnis: Auch in der Linguistik gibt es Vertreter des Simulationsgedanken. Demzu-folge entsteht der bedeutungsvolle Inhalt eines Wortes dadurch, dass Teile derjenigen sensorischen und motori-schen Aktivität nachgeahmt werden, die während des Erlebens des beschriebenen Umstandes, erzeugt worden wären. Die Simulationen sind dabei abhängig von den Inhalten die sie simulieren. Das soll bedeuten, dass Wör-ter die eine Bewegung beschreiben, so wie Steigen oder Fallen, diejenigen sensorischen Systeme ansprechen, die an der Wahrnehmung dieser Bewegungen beteiligt sind. Wörter die motorische Handlungen bezeichnen, z. B. „Treten“ oder „Gehen“, sprechen in derselben Art und Weise diejenigen motorischen Kortexareale an, die zur Ausführung dieser Handlungen benötigt werden (Meteyard & Vigliocco, 2008). Anders ausgedrückt, die sensu-motorische Neuronen im motorischen System werden für Simulationen genutzt. Diese Sichtweise wird durch bildgebende Verfahren bestätigt. Das Lesen von Handlungswörtern die mit einem Bein oder einem Arm assozi-

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! $"!

Beobachten wir einen anderen Menschen, können wir das Verhalten, das wir sehen und hören

reproduzieren, wenn wir jedoch eine Ereignissequenz wahrnehmen, die nicht Teil unseres

motorischen Repertoires ist, weil sie abstrakt ist oder ein Naturereignis, ist dies nicht der Fall.

Rein intuitiv läge daher die Vermutung nahe, dass ein erheblicher Unterschied zwischen der

Vorhersage menschlichen Verhaltens und der Vorhersage abstrakter Phänomene und abstrak-

ter Ereignisse besteht. Schubotz (2010, S. 112) argumentiert jedoch, dass dieser Unterschied

kleiner ist als es zunächst scheint. Im nächsten Abschnitt soll dargestellt werden, wie die sen-

sumotorische Simulation auch die Grundlage für die Antizipation von Ereignissen bildet, die

wir nicht reproduzieren könne, entweder weil uns das motorische Know-how fehlt oder weil

es sich schlichtweg um bewegte Ereignisse handelt, die nichts mit menschlichen motorischem

Handeln zu tun haben, z. B. anbrandende Meereswellen oder den Bewegungen eines Tieres

(Schubotz, 2010).

2.3. Simulation nicht reproduzierbarer Ereignisse

In Experten-Novizen-Studien wurde beobachtet, dass Reproduzierbarkeit einen Effekt auf das

sensumotorische System hat (Landau & D’Esposito, 2006). Wenn eine beobachtete Handlung

durch den Beobachter reproduziert werden kann, ist seine Vorehrsage dieser Handlung z.B.

genauer (Schubotz, 2010, S. 112). Das bedeutet jedoch nicht, dass Reproduzierbarkeit eine

notwendige Voraussetzung für die Beteiligung des sensumotorischen Systems ist.

Vielmehr zeigen fMRI Messungen, dass durch die Beobachtung produzierbarer und nicht

produzierbarer Sequenzen ähnliche Regionen des (sensu-)motorischen Systems aktiviert wer-

den. Die reproduzierbaren motorischen Handlungen rufen jedoch eine stärkere Aktivierung

hervor. Schubotz (2010) unterteilt reproduzierbare Handlungen noch in zwei weitere Katego-

rien, faktisch produzierbare und prinzipiell produzierbare Handlungen. Letztere sind Hand-

lungen für dessen Ausführung wir zwar den geeigneten Körper haben, jedoch nicht das not-

wendige Know-how.

Prinzipielle Reproduzierbarkeit ist innerhalb der Vorhersage bzw. Einschätzung von Ereignis-

sen von großem Nutzen. Schubotz verdeutlicht dies an einem Beispiel das gerade im Zusam-

menhang dieser Arbeit interessant ist:

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!iert werden (z. B. „treten“ oder „pflücken“) ruft demnach Aktivität in eben denjenigen Hirnregionen hervor, die an der Bewegung dieser Körperteile beteiligt sind (Hauk et al., 2004, Tettamanti et al., 2005). Die Symbole mit denen das System hantiert, sprich die Aktivitätszustände der unterschiedlichen neuronalen Schaltkreise, sind in den körperlichen Voraussetzungen des Systems verankert. So erlegt uns Beispielsweise jeder unserer Sinne ein gewisses Spektrum physikalischer Ereignisse auf, das wahrgenommen werden kann. !

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„Nehmen wir einen begeisterten Glenn Gould Fan, der die Goldbergvariationen immer und immer wie-der anhört. Während sich seine prädikativen Fähigkeiten im Laufe dieses angenehmen Trainings der Perfektion nähern, bleibt seine Reproduktionsfähigkeit des Werkes klar beschränkt. Als Klavierlaie kann unser Glenn Gould Fan nicht auf eine mentale Simulation von Glenn Goulds Fingerbewegungen zurückgreifen, weil er kein Gedächtnis für die entsprechenden akustischen Effekte seiner Fingerbewe-gungen erwerben konnte. Wie aber kann er dann die Melodie, der er lauscht, überhaupt intern simulie-ren?“ (Schubotz, 2010, S. 113)

Als Antwort auf die, am Ende dieses Zitates, gestellte Frage vermutet die Autorin, dass durch

das wiederholte Hören einer Melodie in unserem prämotorischen Kortex, durch die eingehen-

den Projektionen aus den parietal und temporal gelegenen unimodalen Assoziationskortizes

eine sensumotorische Repräsentation dieser Melodie entsteht (zu möglichkeiten der Imple-

mentierung dieses Prozesses vgl. Doya, 1999, unsupervised learning).29 Die so erzeugte Re-

präsentation entspricht jedoch nicht einer Bewegung, die bei der Ausführung, den sensori-

schen Teil erzeugen würde. Die originale sensumotorische Repräsentation der Bewegungen,

über die im oben genannten Beispiel nur Glenn Gould verfügt, erzeugt bei der Ausführung,

sowohl auditive als auch visuelle, propriozeptive und motorische Reize. Die Repräsentation,

die im Gehirn des Fans durch das wiederholte Hören einer Melodie erzeugt wurde, umfasst

lediglich audiomotorische Anteile einer solchen Bewegung. Sowohl die sensorischen als auch

die motorischen Anteile der sensumotorischen Repräsentation der Melodie sind also nicht so

ausgeprägt und umfassend wie bei Glenn Gould (Schubotz, 2010, S. 113). Schubotz zufolge

wird so im PMC ein internes Modell der Melodie generiert, welches ebenso wie die internen

Modelle für faktisch produzierbare Bewegungen als Vorwärtsmodell bzw. Emulator genutzt

werden kann um zukünftige Ereignisse in der Melodie vorherzusagen, in der gleichen Art in

der auch Bewegungsvorstellungen30 Vorwärtsmodelle verwenden (Schubotz, 2010, S. 113).

Der Prädiktor erhält die Efferenzkopie31 die zur Vorhersage der Melodie benötigt wird wahr-

scheinlich aus der SMA („supplementary motor area“). Vermutlich stellt diese Projektion aus

der SMA in den lateralen PMC den Beginn des Simulationsprozesses dar. Da der Simulati-

onsprozess off-line erfolgt – es sollen also keine Bewegungen generiert werden – wird die

neuronale Aktivität gehemmt, bevor sie Aktivität im primären motorischen Kortex (BA 4)

auslösen kann. Somit wird die Bewegung unterdrückt (Schubotz, 2010, S. 113-114). Die Effe-

renzkopie, die in diesem Fall den Emulator durchläuft, ist kein „motorischer Befehl“ im ei-

gentlichen Sinne. Die Autorin weist darauf hin, dass Efferenz in diesem Fall „lediglich bedeu-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!29 Hierbei ist anzumerken, dass sich die grobe Struktur der Neuronalen Verbindungen im ZNS sich in gesunden Individuen nicht großartig unterscheidet. Nichts desto trotz ist jedes Gehirn anders, denn die synaptischen Verbindungen zwischen einzelnen Nervenzellen werden durch Aktivität und Lernprozesse geändert. Wir lernen und erinnern uns an bestimmte Ereignisse weil die Struktur und funktion der Verbindungen zwischen den Nervenzellen durch diese Ereignisse modifiziert werden (Kandel, 2000, S. 382). 30 Ereignisvorhersage ist jedoch nicht mit Bewegungsvorstellung gleichzusetzen. 31 Die motorische Komponente der sensumotorischen Repräsentation.!

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! $$!

tet, dass ein Signal von der SMA ausgeht, ganz unabhängig von seiner funktionellen Bedeu-

tung.“ (Schubotz, 2010, S. 114) Durch die Efferenz wird der Emulator aktualisiert und der

nächste Eintrag im Vorwärtsmodell der Melodie ausgelöst. Der neue Eintrag entspricht dabei

Vorhersage des Hörers bzw. seiner Erwartung über den weiteren Verlauf der Melodie. Diese

Erwartung kann nun durch das echte Ereignis entweder bestätigt oder widerlegt werde. Bei

motorischen Handlungen drückt sich die Bestätigung einer Erwartung in der Dämpfung der

erwarteten sensorischen Aktivität aus (siehe Anmerkung Abb. 8). In Schubotz Bespiel des

Glenn Gould Fans „entstammt die Erwartung jedoch nicht einer Körperbewegung, sondern

einer extern generierten Wahrnehmung.“ (Schubotz, 2010, S. 114) In anderen Worten, die

Erwartung wird durch die gehörte Melodie erzeugt. Die Vorhersage und die Wahrnehmung

einer Melodie können somit parallel ablaufen, da keine Bewegung generiert werden muss.

Somit wird die Wahrnehmung eines Tons von der Erwartung begleitet und der Vergleich der

Beiden ist unmittelbar. Besteht eine Diskrepanz zwischen dem wahrgenommenen Ton und

der durch den Emulator generierten Erwartung, ist die Interpretation dieser Diskrepanz ab-

hängig vom Lernstadium, sprich vom Grad der Robustheit des Vorwärtsmodells32, über das

der Hörer verfügt. Ist das Vorwärtsmodell noch nicht sehr robust wird eine Abweichung zu-

meist als Fehler in der Erwartung interpretiert. Das System schreibt der Wahrnehmung eine

höhere Bedeutung zu als der eigenen Erwartung. Ist die sensumotorische Repräsentation je-

doch gefestigt, wird eine Abweichung der Wahrnehmung von der Vorhersage als tatsächlicher

‚Fehler’ bzw. ‚Alternierung’ in der Melodie gewertet, da bereits ein Wissen über die ‚richtige’

Melodie besteht (Schubotz, 2010, S. 114).

Die sensumotorische Repräsentation wird durch die sensorischen Informationen des Schaller-

eignisses hervorgerufen und äußert sich durch Aktivität im motorischen System. Den motori-

schen Anteil der Repräsentation beim Hörer beschreibt Schubotz als Simulierung durch das

vokalisatorische bzw. artikulatorische System (eine funktionale Region im PMC). Die Per-

son, die das Stück auf der Aufnahme jedoch gespielt hat, im genannten Beispiel also Glenn

Gould, würde beim Hören der Musik eine vielschichtigere Aktivierung im motorischen Sy-

stem aufweisen. Die motorischen Anteile der sensumotorischen Repräsentation würden in

diesem Fall ein größeres Ausmaß an Aktivierung zeigen. Nicht nur das artikulatorische Sy-

stem, sondern auch die anderen interozeptiven und exterozeptiven Systeme die beim Spielen

eingebunden sind und daher auch über Emulatoren verfügen wären aktiv, die sensumotorische

Repräsentation wäre somit robuster.

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!32 In anderen Worten, von der Robustheit der sensumotorischen Repräsentation der Melodie.

Page 37: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! $%!

Einen entsprechenden Prozess nimmt die Autorin auch für die Vorhersage unbelebter Erei-

gnisse an (Schubotz, 2010, S. 115). Welcher Teil des motorischen Systems diese Ereignisse

simuliert ist eine Frage, die Schubotz mit dem Modell einer habituellen pragmatischen Ereig-

niskarte (Habitual Pragmatic Event Map, HAPEM) erklärt (Schubotz & v. Cramon, 2003). „Das HAPEM Modell besagt, dass Vorhersage eines Ereignisses, das im Hinblick auf eine Eigenschaft E strukturiert (und damit vorhersagbar) ist, standardmäßig dasjenige laterale prämotorische Feld be-ansprucht, das am besten darauf angepasst ist, seinen motorischen Output im Rahmen dieser Eigen-schaft zu spezifizieren.“ (Schubotz, 2010, S. 115)

Ein musikalisches Ereignis ist im Hinblick auf zwei Eigenschaften strukturiert: Rhythmus und

Melodie. Das prämotorische Feld, das von Natur aus am besten angepasst ist seinen motori-

schen Output im Rahmen dieser beiden Eigenschaften zu spezifizieren ist das vokalisatorische

bzw. artikulatorische System. Doch auch ein anderes Ereignis, das diese Parameter einbezieht

würde standardmäßig diese Bereiche im motorischen System ansprechen. Zusammengefasst

besagt die von Schubotz vorgestellte Theorie, dass „der prämotorische Kortex sensumotori-

sche Vorwärtsmodelle [Emulatoren] realisiert, die nach den Transformationsstilen geordnet

sind, die sie beschreiben.“ (Schubotz, 2010, S. 116)

Anmerkung: Der laterale prämotorische Kortex wird sowohl durch den Stil der Veränderung (Transformation) moduliert, die ein Teil der Umgebung oder ein Körperteil durchläuft (linke Seite), als auch durch das Körperteil selbst, das diese Veränderung erfährt (rechte Seite).

Abbildung 8 (Quelle: Schubotz, 2010).

Diese Transformationsstile beziehen sich auf die Veränderungen, die sich durch Bewegung

des Körpers in den unterschiedlichen Körperteilen vollziehen lassen. Gewisse Parameter der

Transformationen die wir mit unserem Körper ausführen können, ähneln den Veränderungen,

die wir wahrnehmen wenn wir Ereignisse und Objekte beobachten. Daher korrespondieren

„räumliche Vorhersagen und Arm-Bewegungen, objekt-basierte Vorhersagen und Hand-

Bewegungen sowie rhythmische Vorhersagen und Vokalisations- bzw. Artikulations-

Bewegungen neuroanatomisch entlang des lateralen prämotorischen Cortexes miteinander

[…].“ (http://www.nf.mpg.de/index.php?id=287; siehe Abb. 8)

Laut Schubotz (2010, S.116) kann durch die Kombination mehrerer solcher Transformations-

stile eine rudimentäre sensumotorische Beschreibung der meisten Ereignisse generiert wer-

Page 38: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

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den. Auf Basis dieser Beschreibung lassen sich Voraussagen über die für ein Ereignis relevan-

ten Dynamiken33 treffen (Schubotz et al., 2010, S. 407). Wie erwähnt kann bei der Beobach-

tung von Bewegungen die wir selber ausführen können im prämotorischen Kortex eine robu-

stere Aktivierung festgestellt werden. Die sensumotorische Beschreibung des wahrgenomme-

nen Ereignisses ist in solch einem Fall detaillierter, da die Anzahl an Transformationsstilen,

die sich kombinieren lassen, größer ist.34

Die Kopplung sensorischer und motorischer Aktivität im prämotorischen Kortex ist dabei

keineswegs unveränderlich: Welche Teile des motorischen Systems durch welche sensorische

Aktivität angesprochen werden, also die Verknüpfung von Reiz und Reaktion im PMC, ist,

wie auch das Beispiel des Glenn Gould Fans, zeigt, durch Trainings- und Lernprozesse modi-

fizierbar bzw. erweiterbar. Doch jenseits eines spezifischen Trainings beschreibt das HAPEM

Modell den Ausgangszustand sensumotorischer Kopplungen im PMC (Schubotz, 2010, S.

114).

Aber nicht alle Arten von Vorhersage zielen auf ein bestimmtes Ereignis ab oder erinnern

daran. Ereignisvorhersage und Handlungsvorhersage gleichen sich zwar darin, dass beide das

sensumotorische System beanspruchen, doch nur Handlungen (nicht Ereignisse anderer Art)

konstruieren Ziele und Absichten, die verborgen sein können (Jeannerod, 2001). Die Vorher-

sage dieser (verborgenen) Handlungsabsichten (vor allem bei längeren Zeitabschnitten auch

ein Aspekt der Handlungsvorhersage) geschieht eher indirekt als nur durch die Auswertung

(unmittelbarer) auditorischer und visueller Hinweise. Im Gegensatz zur Vorhersage von Er-

eignissen erfordert die Handlungsvorhersage also nicht nur die Einschätzung physikalischer

Änderungen, auch ‚unsichtbare’ Handlungsziele müssen einbezogen werden. Sie beschreibt

den prämotorischen Kortex als relevante Region für die Vorhersage von Veränderungen. Die

Vorhersage von Zielen scheint BA 44/45 (auch bekannt als Broca’s area) einzuschließen

(Schubotz, 2010, S. 117).

2.4. Kognition: Multimodal oder Supramodal?

Wenn von der integrativen Aktivität des Gehirns die Rede ist, wird damit die in der Regel

simultane Aktivität diskreter neuronaler Sektionen gemeint (Kandel, E. R., S. 382). Unsere

Empfindungskomplexe Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Fühlen bezeichnet man als

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!33 Die Entwicklung der Tonhöhe, des Rhythmus und des Timbre wären im Zusammenhang eines musikalischen Schallereignisses z. B. relevante Dynamiken. 34 Es ist wichtig anzumerken, dass wir (fast) nie über eine vollständige Repräsentation aller erwarteten sensori-schen Konsequenzen einer Transformation verfügen (Schubotz, 2010, S. 116).

Page 39: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

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Sinnesmodalitäten. Jedes Sinnesorgan vermittelt dabei eine Vielzahl an Informationen. So

schließt z. B. das Fühlen den Tastsinn, das Temperaturempfinden, Schmerz-, Lage- und Stel-

lungssinn ein.35 Diese Differenzierungen innerhalb einer Modalität werden als Submodalitä-

ten oder Qualität bezeichnet. Reizungen des Sinnesorgans führen stets zu einer der Sinnes-

modalität entsprechenden Wahrnehmung (z. b. das Sehen eines Lichtblitzes bei einem Schlag

aufs Auge. Huppelsberg, S. 242).36 Hierbei ist es jedoch wichtig Multimodalität von Supra-

modalität zu unterscheiden. Laut Gallese & Lakoff wird letzteres zumeist wie folgt verwen-

det:

“It is assumed that there are distinct modalities characterized separately in different parts of the brain and that these can be brought together via ‘association areas’ that somehow integrate the information from the distinct modalities.” (Gallese & Lakoff, 2005, S. 459)

Die Behauptung eine Handlung (z. B. das Greifen) sei supramodal, bringt demnach zum Aus-

druck, dass sich diese Handlung durch Aktivität der Neuronen in einem supramodalen Asso-

ziationskortex auszeichnet. Diese Aktivität integriert das sensorische Input mit dem motori-

schen Output. Demzufolge verknüpft dieser Assoziationskortex Informationen unterschiedli-

cher sensorischer Modalitäten mit Informationen des motorischen Systems. Ein weiterer Um-

stand, den diese Überlegung einbezieht, ist das diese Assoziationsregionen sich vom sensu-

motorischen System unterscheiden. Die Kernidee dabei ist, dass Supramodale Regionen nicht

in die Verarbeitungsschritte der unterschiedlichen Modalitäten involviert sind, jedoch Infor-

mationen verwenden, die aus den unimodalen Assoziationskortizes stammen (siehe Kap.

1.3.3.). Das heißt es handelt sich um die Regionen die im Zuge dieser Arbeit zunächst als

multimodale sensorische Assoziationsregionen bezeichnet wurden. So vermuten einige For-

scher Beispielsweise, dass Broca’s area eine solche supramodale Verarbeitungseinheit für

Hierarchien im weitesten Sinne ist (Tettamanti & Wengler, 2006).

Die Behauptung, Handlungen (z. B. das Greifen) seien multimodal, bringt hingegen zum

Ausdruck, dass sie (1) durch neuronale Substrate37 umgesetzt werden, die sowohl für Hand-

lung als auch für Wahrnehmung verwendet werden und (2) das die ‚Modalitäten’ Handlung

und Perzeption auf der Ebene des sensumotorischen Systems integriert werden und nicht mit-

tels eines höheren Assoziationskortex (Gallese & Lakoff, 2005).

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!35 All diese Informationen werden auf unterschiedlichen Wegen in den Rezeptorzellen bis in die Großhirnrinde geleitet, was eine parallele Verarbeitung ermöglicht. 36 An dieser Stelle sollte kurz darauf hingewiesen werden, dass die Sinnesmodalitäten nicht gänzlich unabhängig voneinander sind. Prozesse, die mehrere Modalitäten einbeziehen schließen Interaktionen und den Austausch von Informationen untereinander ein (Oxford Handbook to Philosophy and Cognitive Science, Kap. 4 Perception and Multimodality. S. 18) 37 Ein neuronales Substrat wird hier als eine Gruppe von Gehirnstrukturen verstanden, die einem bestimmten Verhalten oder psychologischen Zustand zugrunde liegen bzw. mit diesem korrelieren.

Page 40: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

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Der Unterschied zwischen supramodalen und multimodalen Theorien beruht auf letzterem

Punkt. Multimodale Ansätze vermuten die Verarbeitung, d. h. die Integration bzw. Assoziation

sensorischer und motorischer Informationen, im Zusammenhang abstrakter mentaler Prozes-

se mittels des sensumotorischen Systems (in welchem der PMC eine zentrale Rolle spielt; sie-

he Kap. 1.3.5.). Supramodalität betont zwar auch den Stellenwert des sensorischen und moto-

rischen Systems, aber für die Bildung abstrakter Konzepte wird die Integration dieser beiden

Einheiten in separaten Verarbeitungseinheiten vermutet. Dadurch ähneln sie zwar abstrakten,

amodalen, arbiträren Theorien (Kognitivismus, siehe Einleitung), unterscheiden sich von die-

sen jedoch in der Annahme, dass die Verbindungen zwischen der semantischen Verarbeitung,

also denjenigen Prozessen, die einem Symbol oder einem Ereignis Bedeutung verleihen und

den sensumotorischen nicht arbiträr (nicht willkürlich) sonder modal sind (Meteyard & Vigli-

occo, 2008, S. 295). Somit ließe sich also sagen, dass ein System, welches sensorisch und

motorische Symbole verarbeitet, verbleibt. Im Gegensatz zu den amodalen Theorien werden

direkte Verbindungen zwischen den sensumotorischen Systemen und der symbolverarbeiten-

den Ebene vermutet. Die Symbole, die auf dieser Ebene verarbeitet werden (d. h. unterschied-

liche neuronale Zustände), entstehen durch die spezifische Aktivität, die in unserm sensumo-

torischen Systemen, durch unterschiedliche Handlungen und Wahrnehmungen, ausgelöst

wird. Die wiederholte Wahrnehmung bzw. Erfahrung ähnlicher Handlungen und Objekte

führt zu der Stabilisierung der Repräsentation auf der kognitiven Ebene (neuronaler Zustand

im Supramodalen Bereich). Ist die Repräsentation erst einmal stabil genug, ist die Aktivierung

der sensumotorischen Systeme nicht mehr notwendig um den Zustand im Assoziationskortex

hervorzurufen und so das entsprechende Ereignis oder Objekt zu repräsentieren (Meteyard &

Vigliocco, 2008, S. 295). Diese drei unterschiedlichen Theorien (amodal, multimodal & su-

pramodal) über Kognition sowie Vertreter der jeweiligen Auffassung sind in der folgenden

Tabelle zusammengefasst: Abbildung 9: Meteyard & Vigliocco, 2008, S. 296. Schematische Darstellung der unter-schiedlichen Theorien bezüglich Kognition von amodal (links) bis modal (rechts).

Page 41: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

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Die amodale Sichtweise wurde in der Einleitung dieser Arbeit kurz angesprochen. An dieser

Stelle soll sie jedoch ausklammert werden.38 Es verbleiben demnach die supramodalen und

multimodalen Theorien. Wie erwähnt gehen die supramodalen Überlegungen nach wie vor

von einer Zweiteilung in zwei separate Module für Handlung und Perzeption aus, die immer

noch miteinander assoziiert werden müssen. Die Idee einer strikt getrennten Modalität besteht

demnach weiterhin, wohingegen multimodale Ansätze die Existenz solch separater Module

verneinen (Gallese & Lakoff, 2005, S. 459).

Die in Abbildung 9 dargestellten Theorien die sich in dem Spektrum ganz rechts befinden

verneinen die Existenz supramodaler Assoziationsregionen gänzlich. Ihrer Meinung nach er-

füllt die Multimodalität im sensumotorischen System bereits alle Ansprüche um kognitive

Funktionen zu bewerkstelligen (Gallese & Lakoff, 2005). Spiegelneuronen und kanonische

Neuronen, welche eine Evidenz für die Multimodalität besser gesagt für die sensumotorischen

Eigenschaften des PMC sind, deuten Gallese & Lakoff zufolge darauf hin, dass es keine rei-

nen Assoziationskortizes gibt, deren einzige Aufgabe es ist die angeblich getrennten Hirnre-

gionen (oder ‚Module’, Motorik und Sensorik) miteinander zu verbinden, in denen so Kon-

zepte bzw. Bedeutungen entstehen (Gallese & Lakoff, 2005, S. 459).

In ihrem Aufsatz „The Brain’s Concept’s“ zeigen Gallese & Lakoff (2005), wie ein sensumo-

torisches System ein sensumotorisches Konzept charakterisieren kann und eventuell auch an-

dere abstrakte Konzepte. Wie bei den zuvor erwähnten Überlegungen von Schubotz (siehe

HAPEM) spielt der Simulationsgedanke auch in Gallese & Lakoffs Hypothese die zentrale

Rolle. So betrachtet sie sensumotorische Simulationen für das Verstehen konkreter Konzepte

– z. B. physische Handlungen, physikalische Objekte etc. – zwingend notwendig. Da diese

mentalen Simulationen mittels des sensumotorischen Systems durchgeführt werden, ist die-

ses, zumindest für das Verstehen konkreter Konzepte, eine zwingende Voraussetzung (Galle-

se Lakoff, 2005). Um z. B. zu wissen was ein Ball ist muss man sich mittels seiner Sensumo-

torik mit dem Ball auseinandersetzen um zu erfahren welche Eigenschaften ihn von anderen

Gegenständen unterscheiden.

Welche Verbindungen genau zwischen Systemen die in sensumotorische Erfahrungen invol-

viert sind und Repräsentationen abstrakter Konzepte besteht ist noch zu klären, aber die Evi-

denz für eine enge Verbindung zwischen Sensumotorik und abstrakten Denken häufen sich

(Golde, 2010). Ob eher die supramodalen oder die multimodalen Theorien zutreffen bleibt

bislang ebenfalls unbeantwortet. Möglicherweise sind auch beide Arbeitsweisen innerhalb

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!38 Zur Begründung siehe Searles Chinese Room Argument (1983), Harnads The Symbol Grounding Problem (1990).

Page 42: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! $*!

unseres ZNS umgesetzt.39 Für die Untersuchung von Musik scheint jedoch der multimodale

Ansatz sehr vielversprechend, da das Musizieren eine sensumotorische Handlung ist und sich

die entscheidenden sensorischen Effekte daher wahrscheinlich gut mittels des sensumotori-

schen Kortexareale simulieren lassen, da musikalische Ereignissequenzen im ZNS sehr kon-

krete sensumotorische Zustände hervorrufen. Genau diese sensumotorischen Zustände sollen

im nächsten und letzten Kapitel dieser Arbeit besprochen werden.

3. Musikkognition

3.1. Das Gehirn durch Musik, die Musik durch das Gehirn verstehen

Wie in jedem koordinierten Bewegungsablauf erfordert auch das Musizieren eine effiziente

Verarbeitung und Koordination sensorischer Reize und motorischer Befehle. Für einen Musi-

ker sind sensorische40 Rückmeldungen offensichtlich unerlässlich um die Motorik zu koordi-

nieren und das gewünschte Ergebnis (das Erzeugen, des gewünschten Schallereignisses) zu

ermöglichen. Der Umstand, dass strukturelle und funktionale Veränderungen der Großhirn-

rinde durch musikalisches Training nachgewiesen werden konnten (Watanabe et al., 2007;

Zatorre et al., 2007) ist bereits ein Bezug zu Embodiment. In dieser Beobachtung zeigt sich

einer der Grundgedanken von Embodiment: Unsere Interaktion mit dem uns umgebenden

Milieu formt unsere kognitive Architektur! Dies geschieht nicht nur in den längeren Zeitab-

schnitten in denen sich genetische Mutationen vollziehen, sondern, aufgrund der neuronalen

Plastizität des Gehirns, auch schon bei jedem Menschen während seiner Lebzeit

(http://www.neuralplasticitylab.de/).

Die Kombination von ebenso speziellen wie ausgezeichneten Fertigkeiten, sowohl im sensori-

schen (besonders im auditorischen) als auch im motorischen Bereich machen die kortikalen

bzw. neuronalen Prozesse professioneller bzw. sehr gut trainierter, Musiker zu einem interes-

santen Untersuchungsgegenstand um der Interaktion und Koordination von Sensorik41 und

Motorik, in Abhängigkeit von einem menschlichen kognitiven Phänomens, wie Musik, nach-

zugehen (Baumann et al., 2007). Zudem stellt der Vergleich von Nicht-Musikern und Musi-

kern eine Möglichkeit dar neuronale Korrelate dieser kognitiven Fähigkeit zu bestimmen bzw.

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!39 Trotz des Pochens der Autoren (Gallese & Lakoff, 2005) auf den Unterschied zwischen Supra- und Multimo-dalität gibt es m. E. keinen Grund warum diese Beiden Ansätze einander ausschließen sollten. Eventuell käme eine Kombination beider Ansätze gelegen um menschliche Intelligenz im Vergleich mit Lebewesen, die über geringere kognitive Fähigkeiten verfügen, zu betrachten. 40 Der Umstand das Musik nicht nur mittels des Gehörs, sondern auch mit anderen Sinnesmodalitäten „gehört“ werden kann, wird eindrucksvoll von der gehörlose Percussionistin Evelyn Glennie demonstriert. (http://www.ted.com/talks/evelyn_glennie_shows_how_to_listen.html)

Page 43: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

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welche Bestandteile des menschlichen ZNS zwingend notwendig sind um Musik wahrzuneh-

men und zu genießen. Dabei ist Musik laut Robert Zatorre die Nahrung der Neurowissen-

schaften (Zatorre, 2005). So schreibt er: “We tend to consider art and culture from a humanistic or historical perspective and not from a biologi-cal one. Yet these products of human cognition must have their origin in the human nervous system. As such they should be able to yield valuable scientific insights. This line of reasoning is nowhere more evident than in the contemporary interest in the neuroscience of music.” (Zatorre, 2005)

Im Anschluss soll vor allem die Wahrnehmung von Musik betrachtet werden und die Einbin-

dung Bestandteile des motorischen Systems in diesen Prozess. Dass Teile dieses Systems

während des Spielens von Musik aktiv sind ist naheliegend, doch die ausgeprägte Aktivität

dieser Hirnareale während der ausschließlichen Wahrnehmung von Musik ist ein weiterer

Beleg dafür, dass große Teile des motorischen Systems in weitaus mehr als nur die Bewe-

gungskontrolle eingebunden sind. Um diesen Zusammenhang genauer zu beleuchten bedarf

es zunächst einer genaueren Definition des Begriffes ‚Musik’, wie er im Zuge der vorliegen-

den Arbeit verstanden wird.

3.2. Musik als Ereignissequenzen: Das Erkennen von Regelmäßigkeiten und Unterschieden

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird das Wahrnehmen und Produzieren von Regelmä-

ßigkeiten,42 sowohl in einer zeitlichen Dimension (Synchronisation, beat perception) als auch

in einer klanglichen43 Dimension (relative pitch, timbre), als zentrale Eigenschaft von Musik

erachtet. Zwei Definitionen liegen diesem Verständnis von Musik zugrunde. Charles Limb

(2006) definiert Musik wie folgt: “We will […] consider music to be sound that is organized according to principles of pitch, rhythm, and harmony […] and that employs musical timbres that allow us to differentiate between musical sound sources and identify musical instruments, such as violin, piano, and flute.” (Limb, 2006)

Eine etwas andere aber nicht widersprüchliche Definition liefern Janata & Grafton (2003):

“Music can be thought of as sequences of events that are patterned in time and in ‚feature space’. The feature space is multidimensional and consists of both motor and sensory information.” (Janata & Graf-ton, 2003)

Der von Janata & Grafton (2003) erwähnte ‚feature space’44 (frei übersetzt Merkmals- oder

Eigenschaftsraum) besteht sowohl aus motorischen als auch aus sensorischen Informationen,

folglich ist er sensumotorisch. Die motorischen Schemata oder Befehle eines Musikers bedin-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!42 Das Erkennen von Regelmäßigkeiten impliziert, dass auch eine Abweichung von diesen Regelmäßigkeiten erkannt wird. 43 Mit diesem doch etwas schwammige Begriff sind Tonhöhe (pitch), Timbre gemeint. 44 Unterschiedliche wahrnehmbare Eigenschaften so wie Tonhöhe, Lautheit, Timbre, usw. sind Eigenschaften (feature) die beim Spielen von Musik Sequenzen bilden.

Page 44: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

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gen, wenn sie ausgeführt werden, die Positionierung seiner Effektoren im Raum zur richtigen

Zeit. Hierdurch werden bestimmte Melodien und Rhythmen erzeugt. Die motorischen Kom-

ponenten sind somit zwangsläufig an sensorische Informationen, vor allem auditorischer Na-

tur, gebunden. Die sensorischen Muster45 reflektieren die Organisation bzw. die Beschaffen-

heit der unterschiedlichen Schallereignisse („auditory objects“), z. B. einzelne Tönen oder

mehrere Töne die vom Musiker selbst oder einer anderen Schallquelle zu einem bestimmten

Zeitpunkt gespielt werden.46

Unser auditorisches System ist dabei die auf Schallereignisse spezialisierte Sinnesmodalität.

Jede Verarbeitung eines Klanges in diesem System beginnt im peripheren auditorischen Ap-

parat. Durch diesen werden die in Schallwellen bis zu den inneren Haarzellen der Cochlea

weitergeleitet. Die Rezeptorzellen der Chochlea reagieren tonotopisch, d. h. frequenzabhän-

gig, auf akustische Schwingungen. Diese Reaktionen lösen afferente Nervenimpulse aus, die

dann über den Chochleanerv ins Stammhirn gelangen, von wo aus eine Reihe subkortikaler

Verarbeitungsstufen die Nervenimpulse bis in den auditorischen Kortex leitet (Limb, 2006, S.

436; für eine ausführliche Beschreibung der menschlichen auditorischen Systems siehe

Hudspeth, 2000, S. 590 ff.).

Während des Musizierens sind bei einem Musiker die Wahrgenommenen Sequenzen sensori-

scher Informationen abhängig von seinem motorischen Handeln. Die sensumotorische Korre-

lation ist besonders ausgeprägt, denn das Ziel musikalischer Handlungen besteht darin zur

richtigen Zeit den gewünschten Klang bzw. die gewünschte Wahrnehmung zu erzeugen. Die

Bezugnahme auf vorangegangene sensorische und motorische Ereignisse ist hierfür von aus-

schlaggebender Bedeutung. Somit bedingen motorische Handlungssequenzen und die Se-

quenzen sensorischer Informationen sich gegenseitig. Janata & Grafton (2003) zufolge sind

drei Forschungsfelder der Neurowissenschaften und der Psychologie besonders relevant für

das Verständnis der neuronalen Basis sequenzierter Verhaltensweisen beim Spielen und

Wahrnehmen von Musik: Timing, Aufmerksamkeit und das Lernen von Sequenzen.

Im zweiten Kapitel dieser Arbeit wurde bereits erläutert das wir auch eine Sequenz wahrneh-

men können, mehr noch wir können Ziele von Bewegungssequenzen erkennen und verstehen,

die wir selber nicht ausführen können. Sogar über die Ereignisse abstrakte Sequenzen oder

solcher, die lediglich leblose Gegenstände einbeziehen, können wir Erwartungen bilden (siehe

Kap. 2.3.; Schubotz, 2010). Wie Ricarda Schubotz Beispiel des Glenn Gould Fans verdeut-

licht haben sollte, kann ein Mensch daher auch lediglich über perzeptuelle Expertise verfügen

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!45 Die neuronale Aktivität, die im auditorischen System durch die Stimulierung der Cochlea hervorgerufen wird. 46 Mit der im zweiten Kapitel dieser Arbeit erwähnten Kopplung von Feedbackmechanismen und Vorwärtsmo-dellen können auch diese Prozesse erklärt werden.

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(s. o. Kap. 2.3.). Dabei spielt das unüberwachte Lernen (unsupervised learning, Doya, 1999)

einer Sequenz, z. B. einer Melodie (bzw. das Lernen der Muster nach denen diese Sequenzen

am häufigsten strukturiert sind) die zentrale Rolle für das Entstehen einer soliden sensumoto-

rischen Repräsentation und damit auch für das Entstehen von Erwartungen. Wie zuvor be-

schrieben involviert die Vorhersage von Ereignissequenzen das motorische System, genauer

gesagt den PMC, eine Region die wie zuvor erläutert wurde, besser als sensumotorische an-

statt als motorische Region beschrieben werden kann. Die Frage ist also: Wie wirkt sich Mu-

sik auf die (sensu)motorischen Hirnregionen aus? Ist der PMC der Bereich des ZNS in dem

erwähnte ‚feature space’ umgesetzt wird, der neben der Zeit die zweite Ebene ist auf der sich

musikalische Sequenzen laut Janata & Grafton ereignen?

3.3. Musikkognition als „Motor Cognition“

Motor cognition ist ein Ansatz in der Kognitionswissenschaft, der eindeutig Embodiment zu-

geordnet wird. Dieses relative junge Forschungsfeld untersucht die Art und Weise in der (mo-

torische) Handlungen erdacht, geplant, organisiert, wahrgenommen, verstanden, gelernt, imi-

tiert oder anders gesagt repräsentiert werden (Jeannerod, 2006). Eine genauere Definition gibt

das „Max-Planck-Institut für neurologische Forschung“: „Kognition der Motorik wird hier definiert als alle kognitiven Fähigkeiten, die unser motorisches Sy-stem beanspruchen, beispielsweise Bewegungsvorstellung und Handlungsbeobachtung, aber auch ab-strakte Aufgaben wie serielle Vorhersage oder Sequenzlernen. Diese Definition schließt hingegen alle motorischen Aufgaben aus, also solche, die die Vorbereitung und/oder Ausführung von Körperbewe-gungen oder Handlungen erfordern.“ (http://www.nf.mpg.de/index.php?id=658)

Befunde die dafür sprechen, dass Musik unter diese Definition fällt soll in diesem Abschnitt

erläutert werden. Die Aktivität des motorischen Systems spielt eine zentrale Rolle in der be-

wussten Wahrnehmung von Musik. Das Hören von Musik ist so gesehen als eine „Hand-

lungsbeobachtung“ zu verstehen47 oder, unter Berücksichtigung von Kapitel 2.3., als Vorher-

sage serieller Ereignisse. Eine Behauptung hier ist, dass wir automatisch die musikalischen

Sequenzen48 bzw. die ihnen zugrunde liegenden Regelmäßigkeiten lernen denen wir wieder

und wieder ausgesetzt sind.

Die Wahrnehmung von Musik beginnt mit der auf der vorangegangenen Seite beschriebenen,

Verarbeitung des akustischen Stimulus durch das Hörorgan (Außen-, Mittel- und Innenohr)

und wird im primären auditorischen Kortex (A1) fortgesetzt. Die Forschung zeichnet derzeit

das Bild, dass mehrere verschiedene Leiterbahnen aus A1 hervorgehen und in unterschiedli-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!47 Auch wenn die Beobachtung hier mit den Ohren und nicht mit den Augen durchgeführt wird. 48 Genauer gesagt die Gesetzmäßigkeiten, die diesen Sequenzen zugrunde liegen.

Page 46: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

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che Regionen der Großhirnrinde projizieren. Dabei konnten wenigstens zwei Leiterbahnen

ausgemacht werden. Die sogenannte ventrale Leiterbahn, die in den temporalen Neokortex

führt und die sogenannte dorsale Leiterbahn, die eher in parietale Regionen führt. Welche

genaue Funktion diesen Bahnen zukommt wird noch erforscht. Erste Ergebnisse weisen auf

eine Rolle sowohl in der audiomotorischen als auch in der visuomotorischen Transformation

hin (Zatorre et al., 2007; Hickok & Poeppel, 2004). Aufgrund des begrenzten Rahmens dieser

Arbeit kann hier jedoch nicht weiter hierauf eingegangen werden.

Doch auch ohne die genauen Verbindungswege zu kennen, ist eine Verbindung zwischen

Musikwahrnehmung und dem motorischen System zu erkennen. Sowohl den Basalganglien

(BG) als auch dem Supplementär-motorischen Arealen (SMA) wird eine Funktion in der

Wahrnehmung musikalischer Rhythmen zugeschrieben (Grahl & Rowe, 2012), hierzu mehr

im nächsten Abschnitt. Zudem zeigen auch PMC und Cerebellum während der Wahrnehmung

musikalischer Rhythmen Aktivität. Hinzu kommt, dass bei geübten Musikern diese Regionen

anscheinend stärker eingebunden sind als bei Nicht-Musikern (Grahn & Brett, 2007). Auch

Chen, Zatorre & Penhune (2006) vermuten, dass dem PMC eine entscheidende Funktion in

der Interaktion des motorischen und des auditorischen Systems zukommt, besonders dem dor-

salen PMC. Diese Beobachtung deckt sich, ebenso wie das angesprochene Modell von Hic-

kok & Poeppel, mit Ricarda Schubotz Überlegungen, die von der Bildung sensumotorischer

Repräsentationen unter vorrangiger Beteiligung des PMC ausgehen (siehe Kap. 2, Schubotz,

2010).

Auch ‚musical imagery’49, d. h. das Vorstellen von Musik, aktiviert prämotorische Hirnregio-

nen und die SMA, sowohl bei Musikern als auch bei Nicht-Musikern. Erstere weisen auch

Aktivität im PMC auf wenn sie sich vorstellen Musik zu spielen (Zatorre & Halpern, 2005).50

Die Ergebnisse der Forscher zeigen, dass das Vorstellen von Musik sowohl sensorische als

auch motorische Systeme direkt einbindet (Zatorre et al., 2007). Zatorre et al. (2007) sind

daher der Meinung, dass ‚musical imagery’ eine Konsequenz dieser engen Kopplung zwi-

schen dem auditorischen Kortex und Teilen des PMC sowie SMA sei. Das motorische System

ist somit in alle mentalen Aspekte von der Musikwahrnehmung eingebunden.

Des Weiteren scheinen, abgesehen von musikalischen Rhythmen, auch Melodien, prämotori-

sche Regionen anzusprechen. Dies haben Brown & Martinez (2007) in der Unterscheidung

verschiedener Melodien und Harmonien51 nachgewiesen. Die Forscher kommen in ihrer Stu-

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!49 Das Äquivalent zu motor-imagery, also Bewegungsvorstellungen, die besonders in den Forschungen zu motor cognition von Marc Jeannerod untersucht wurden (siehe Jeannerod, 2006, S. 32 ff.). 50 Es ließe sich vielleicht etwas überspitzt sagen ‚musical imagery = motor imagery’. 51 Interessanterweise aktivierten ausschließlich Harmonien Teile des Thalamus und des Mesencephalon (siehe Brown & Martinez, 2007, S. 67).

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die zu dem Schluss, dass harmonische Verarbeitung innerhalb eines grundlegenderen melodi-

schen Systems bewerkstelligt wird und sich aus diesem entwickelt habe. Es scheint eine Spe-

zialisierung der rechten Hemisphäre auf Melodien zu bestehen. Aufgrund des Umfangs dieser

Arbeit lässt sich dieser Punkt hier jedoch nicht weiter ausführen.

Das passive Hören monophoner Melodien aktiviert in einer fMRI Studie von Brown, Marti-

nez & Parsons (2006) nahezu ausschließlich das planum temporale52 (bilateral) aber keine

motorische Regionen. Dies deckt sich mit anderen Studien, die das passive Hören von musi-

kalischen sowie sprachlichen Stimuli untersucht haben und nahezu ausschließlich Aktivierung

in temporalen kortikalen Bereichen feststellten (Hickok & Poeppel, 2000). „There is thus a

strong precedent in the literature for arguing that passive listening to music or speech (i. e., in

the absence of some kind of active cognitive processing like discrimination, recognition, gen-

eration, etc.) principally activates primary and secondary auditory areas.“ (Brown & Marti-

nez, 2006) Die Studie, der dieses Zitat entstammt, untersuchte jedoch die Hirnaktivität beim

Hören von Musik während eine aktive kognitive Verarbeitung durchgeführt werden musste,

die Versuchspersonen mussten die ihnen vorgespielten Melodien voneinander unterscheiden.

Dieser Versuchsaufbau erbrachte eine ausgeprägte Aktivität im vokalisatorischen Bereich des

PMC (siehe HAPEM Kap. 2.3.). Auch in den Texten von Schubotz ist zu lesen, dass allein

der Versuch ein vorhersagbares Muster in einer Stimulusabfolge zu detektieren schon Aktiva-

tionen im lateralen prämotorischen Kortex hervorruft. Die tatsächliche Vorhersagbarkeit, also

ob es sich bei einer wahrgenommenen Stimulusabfolge tatsächlich um eine vorhersagbare

Sequenz handelt, ist also nicht entscheidend (Schubotz, 2010, S. 111). Wenn Musik, wie es in

der vorliegenden Arbeit der Fall ist, als Ereignissequenz verstanden wird und das Entstehen

von (sensumotorischen) Erwartungen als eine zentrale Eigenschaft von Musik angesehen

wird, muss das motorische System und dessen Einbindung in kognitive Leistungen dringend

berücksichtigt werden. Die Aktivität motorischer Bereiche des ZNS während des Hörens von

Musik unterstreicht diesen Punkt.

Musikkognition ist also, wie in diesem Abschnitt erörtert wurde, eine kognitive Eigenschaft,

die auf das motorische System angewiesen ist, eine kognitive Eigenschaft bzw. Fähigkeit des

Menschen die belegt, dass dem sogenannten motorischen System keineswegs ausschließlich

Funktionen in der Verbareitung und Ausführung von Bewegungen zukommen. Ein Bereich in

dem diese Verbindung zwischen Musik und dem motorische System relativ deutlich ist, ist

die Fähigkeit sich spontan zu einem musikalischen Puls bzw. Beat zu synchronisieren.

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!52 Diese Region liegt im Kern der Wernicke-Region (Duus’ Neurologisch-topische Diagonostik, S. 383)

Page 48: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! %&!

3.4. Im Takt Nicken: Rhythmus & „Beat Perception / Beat Induction“

Die zeitlichen Muster, die Musik umfasst sind vielfältig, nahezu endlos. Sie reichen von iso-

chronen Sequenzen, in denen die Zeitabstände zwischen den einzeln erklingenden Tönen

gleichmäßig sind bis zu polyrhythmischen Sequenzen, in denen mehrere zeitliche Intervalle

unterschiedlicher Länge enthalten sind.

Die Fähigkeit die eigenen Bewegungen zu einer wahrgenommener musikalischen Sequenz zu

synchronisieren, den Puls der ihr unterliegt zu erkennen, ist zwingend notwendig um in einer

Gruppe zu musizieren. Eine solistische Darbietung offenbart hingegen die Notwendigkeit ein

internes Tempo zu generieren und alleine aufrecht zu erhalten. Wie zeitliche Informationen

(generell) in der Wahrnehmung und bei motorischen Handlungen repräsentiert werden ist

noch ungeklärt, es existieren mehrere Ansätze (Ivry & Spencer, 2004). Doch auch bei Men-

schen, die keine Musik spielen können, erregt Musik den PMC (Chen et al., 2008) und in der

Regel ist auch eine gesunde, erwachsene Person, die kein Instrument spielen kann, in der La-

ge sich zu einem simplen Rhythmus zu synchronisieren. Die Fähigkeit zu musizieren ist, wie

jeder musikalische Laie weiß, nicht zwingend erforderlich um Musik genießen zu können.

Das zuvor beschriebene HAPEM-Modell (Schubotz, 2004) liefert uns einen Erklärungsansatz

für diesen Umstand (Abb. 8). Diesem Modell zufolge korrespondieren rhythmische Vorhersa-

ge und Vokalisations- bzw. Artikulations-Bewegungen neuroanatomisch entlang des lateralen

prämotorischen Kortex. Anders gesagt, dieselben Regionen des PMC, die während artikulato-

rischer Bewegungen53 aktiv sind, zeigen auch während der Wahrnehmung eines (musikali-

schen) Rhythmus Aktivität.

Dabei ist nur wenig über das neuronale System bekannt, welches der Integration von auditori-

schen und motorischen Einheiten in einem „musikalischen“ Synchronisationsverhalten dient

(Chen et al., 2008). In einer experimentellen Studie suchten Chen et al. (2008) nach eben den-

jenigen neuronalen Mechanismen, welche der Synchronisation zu verschieden komplexen

Rhythmen unterliegen und untersuchten wie diese Mechanismen durch Training modifiziert

werden. Die Autoren definierten in diesem Zusammenhang einen Rhythmus als Muster von

Zeitintervallen, welche durch sensorische und/oder motorische Ereignisse voneinander abge-

grenzt werden. Eine sensumotorische Repräsentation von Rhythmen ist dieser Definition zu-

folge naheliegend. Auch wenn die Synchronisation von Bewegungen zu akustischen Stimuli

präziser ist als zu optischen Stimuli (Patel et al., 2005), ist wenig über die neuronalen Substra-

te und Mechanismen dieser audiomotorischen Integration bekannt. Ein interessantes und rela-

tiv gut beschriebenes Phänomen in diesem Zusammenhang ist der negative Synchronisations-!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!53 Bei der Artikulation von Sprache bzw. bei dem Gezielten Einsatz der Stimme im allgemeinen sind Motorik und Sensorik (auditives System) aufs engste miteinander verbunden sind.

Page 49: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! %'!

fehler. Dieser Fehler ist bei Versuchspersonen zu beobachten, die darum gebeten werden syn-

chron zu einem isochronen Metronom mit dem Finger oder einem anderen Effektor auf einen

Sensor zu tippen. Im Durchschnitt tippen die Versuchspersonen 20-80ms bevor der Stimulus

erklingt (Aschersleben, 2002). Eine Studie von Toiviainen und Snyder (2003) zum Synchro-

nisationsverhalten zu Aufnahmen von echter Musik hat interessanterweise hervorgebracht das

sich die Abweichung in diesem Fall signifikant verringert (Toiviainen & Snyder, 2003).

Chen et al. (2008) konnten demonstrieren, dass die Fähigkeit, motorische Handlungen relativ

genau auf ein akustisches Leitsignal (eine Sequenz) zu synchronisieren, davon abhängt, wie

gut die jeweilige Versuchsperson die zeitliche Struktur der wahrgenommenen Sequenz de-

konstruieren kann. Diese Fähigkeit ermöglicht es einem Menschen den Beat aus einer musi-

kalischen Sequenz zu extrahieren. Dies wird als ‚beat perception’ oder ‚beat induction’ be-

zeichnet. Musikalische Rhythmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie meist beatbasiert sind.

Wenn eine Person ihre Bewegungen zu einer gehörten Musik synchronisiert, synchronisiert

sie sich demnach zu dem Beat, der dieser Musik unterliegt.

Doch zunächst sollte erläutert werden, was genau unter Beat verstanden wird? Sinngemäß

lässt Beat sich am besten mit Puls oder Pulsieren ins Deutsche übersetzen. Es handelt sich

dabei um das Empfinden bzw. Erkennen eines gleichmäßigen, periodischen Pulses, welcher

spontane Bewegungen in Menschen auslösen kann (Haueisen & Knösche, 2001). Die Fähig-

keit solch einen Puls, einen Beat, wahrzunehmen und zu erkennen, ist elementar für jegliche

Wahrnehmung eines musikalischen Rhythmus. Eine offensichtliche Funktion des Beats in

einem musikalischen Zusammenhang ist die Synchronisation bzw. Koordination von Bewe-

gungen zu diesem Puls. So liefert der Beat eine gemeinsame zeitliche Referenz wenn eine

Gruppe von Menschen musiziert, sozusagen einen gemeinsamen Nenner.54 Doch auch für

Hörer, die keine Musiker sind, ist die Wahrnehmung eines Pulses in der Musik oft mit der

spontanen Synchronisation der Bewegungen zu diesem Puls verbunden.

Patel verwies in seinem Buch „Music, Language, and the Brain“ noch darauf, dass der

Mensch das einzige Lebewesen sei, das in der Lage ist, sich spontan zu einem Beat zu syn-

chronisieren (Patel, 2008, S. 100). Diese Aussage musste der Wissenschaftler jedoch kurz

nach Veröffentlichung seines Buches revidieren, da der Kakadu „Snowball“ sein Statment,

auf höchst unterhaltsame Art und Weise, widerlegte (http://youtu.be/Xxcoy58yElo). Die Vi-

deoaufnahmen dieses Tieres waren für Patel der ersten dokumentierte Nachweise für eine

Synchronisation zu einem musikalischen Beat durch eine andere Tierart als dem Menschen.

Eine Entdeckung die bei Patel freudige Erregung verursachte und zugleich einige Fragen !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!54 Menschen haben ein Problem damit einem Beat zu folgen, der schneller pulsiert als alle 200ms ein Schlag und langsamer als alle 1.2s ein Schlag.

Page 50: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! %(!

aufwarf55: Wie unterscheidet sich das Verhalten dieses Kakadus von anderen Vorgängen in

denen sich Tiere in einem nicht-musikalischen Zusammenhang synchronisieren? Welche Tie-

re sind in der Lage sich zu einem musikalischen Beat zu synchronisieren, was haben sie ge-

mein (Patel et al., 2008)?

Diesbezüglich haben Schachner et al. (2009) die Theorie getestet, dass lediglich Tiere die in

der Lage sind mit ihrer Stimme andere Geräusche nachzuahmen („vocal mimicry“), sich zu

einem Beat synchronisieren können. Diese Vermutung hatte auch Patel (2006) bereits geäu-

ßert bevor er von Snowball erfuhr. Diesem Gedanke liegt die Überlegung zugrunde, dass das

Lernen bzw. das Nachahmen akustischer Sequenzen mit der Stimme einer engen Kopplung

von auditorischem Input und motorischem Output bedarf. Patel spricht von der „vocal lear-

ning and synchronization hypothesis“ (Patel, 2008, S. 411). Während des Prozesses des

stimmlichen Lernens müssen das motorische und das auditorische (sensorische) System mit-

einander integriert werden, wodurch das ZNS auf eine spezielle Art und Weise gefordert

wird. Neurophysiologische Untersuchungen an Vögeln deuten darauf hin, dass stimmliches

Lernen zu einer Veränderung in den Basalganglien (BG) führt. So zeigt sich an Gehirnen von

Vögeln56, welche die Steuerung ihres Vokalapparates mittels sensorischer Rückmeldungen

erlernen, dass ein bestimmter Teil ihrer neuronalen Verschaltungen zwischen BG und Kortex

auf das Lernen und die Produktion von Gesang spezialisiert ist (Doupe et al., 2005). Diese

enge Kopplung zwischen auditorischem Input und vokalisatorischem Output ist wahrschein-

lich eine notwendige Bedingung für die Fähigkeit die eigenen Bewegungen zu einem Beat zu

synchronisieren.

Nicht nur in der auditorischen Domäne wird die Wahrnehmung eines periodischen Pulses in

einer Sequenz zeitlicher Intervalle mit Aktivität der BG assoziiert.57 Dieser subkortikal gele-

gene Teil des Gehirns ist in die Erzeugen von Bewegungssequenzen und die Kontrolle moto-

rischer Handlungen involviert (Janata & Grafton, 2003). Schubotz et al. (2000) haben darge-

stellt, dass das neuronale Netzwerk, welches die Perzeption von Zeit unterstützt, die gleichen

Hirnregionen einbezieht, die auch für die zeitliche Planung und Koordination von Bewegun-

gen verantwortlich sind, d. h. große Teile des motorischen Systems (Schubotz et al., 2000, S.

5-7). Grahn und Brett (2007) schreiben dementsprechend: “Timing, duration perception, and rhythm perception and production tasks consistently activate the same brain areas, including the premotor and supplementary motor areas (SMAs), cerebellum, and basal

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!55 http://www.nytimes.com/2010/06/01/science/01conv.html 56 Genauer gesagt Singvögel die in der Lage sind Geräusche mit ihrer Stimme nachzuahmen. 57 Unter anderem wegen der positiven Effekte von Musik auf die Bewegungsfähigkeit von Patienten, die an Parkinson leiden (http://www.youtube.com/watch?v=9nnLTPPDRXI). Eine Krankheit die mit Schädigungen der Basalganglien verbunden wird (Grahn & Brett, 2009).

Page 51: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! %)!

ganglia. Damage to these areas also impairs timing abilities […] It is thus reasonably clear that the tim-ing processes that underlie both perception and production involve these areas.” (Grahn & Brett, 2007)

Den Autoren zufolge ist es jedoch unwahrscheinlich, dass alle genannten Teile des motori-

schen Systems dieselben Funktionen erfüllen. Daher unterscheiden sie ‚automatisches Ti-

ming’, das sie als kontinuierliche Messung von Intervallen im Millisekundenbereich ansehen,

welche durch Bewegungen definiert sind von ‚kognitiv kontrolliertem Timing’, das sie als

Messung von Intervallen in Zeitabschnitten die mindestens eine Sekunde andauern verstehen,

welche nicht durch Bewegungen definiert sind und als einzelne Abschnitte auftreten (Grahn

& Brett, 2007).

Das Wahrnehmen eines musikalischen Beats zeigt Eigenschaften sowohl von automatischem

als auch von kognitiv kontrolliertem Timing, da der Bereich in dem musikalische Rhythmen

auftreten ungefähr zwischen 200 -2000 ms liegt (Parncutt, 1994) und der Beat durch eine Be-

wegung markiert werden kann aber nicht markiert werden muss. Die Beteiligung der unter-

schiedlichen motorischen Hirnregionen ist daher wahrscheinlich nicht auf diesen Unterschied

in der Art des Timing zurückzuführen (Grahn & Brett, 2007).

Eine alternative Begründung für die ausgeprägte motorische Aktivität während der Wahr-

nehmung musikalischer Rhythmen sehen Grahn & Brett in der Rolle bestimmter motorischer

Regionen für die Extraktion des regelmäßigen Beats aus einem eingehenden zeitlichen Stimu-

lus. Die Entdeckung direkter Verbindungen zwischen Bewegung und der Wahrnehmung mu-

sikalischer Beats bei Neugeborenen (Phillips-Silver & Trainor, 2005) unterstreicht diese

Vermutung. Ein bilaterales Netzwerk motorischer Hirnregionen (Abb. 10) ist aktiv wenn mu-

sikalische Rhythmen wahrgenommen werden. Dieses umfasst prä-SMA/SMA, den dorsalen

prämotorischen Kortex, die Basalganglien, das Cerebellum, die superioren temporalen Gyri

und den ventrolateralen präfrontalen Kortex (Grahn & Brett, 2007). Den Autoren zufolge un-

terliegt dieses Netzwerk der Wahrnehmung und Produktion von Rhythmen. Gerade diese

Aussage ist m. E. sehr naheliegend, denn das motorische System des menschlichen Körpers

dient der Bewegung des Organismus im Milieu. Damit diese Aufgabe erfolgreich ausgeführt

werden kann ist es zwingend notwendig die Aktivität der unterschiedlichen Muskeln zeitlich

zu organisieren bzw. sie zu koordinieren. Wenn also die motorische Kontrolle ohnehin zeitli-

cher Informationen einbezieht und das motorische System über Einheiten verfügt, die für die

Umsetzung zeitlicher Strukturen für die effektiven Bewegungen zuständig sind, liegt es nahe

das diese Strukturen auch bei der Wahrnehmung zeitlicher Ereignisse, wie z. B. einem musi-

kalischen Rhythmus, zur Anwendung kommen. Die Extraktion des Beats aus einem musikali-

schen Rhythmus muss diesem Gedanken zufolge Teile des motorischen Systems einbeziehen.

Page 52: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! %*!

Die Perzeption rhythmischer Sequenzen denen ein regelmäßiger Beat unterliegt bezieht dabei

ins besondere die Basalgangilien ein. Deren Hauptkerngebiete sind der Nucleus caudatus, das

Putamen sowie der Globus pallidus. Diese subkortikalen Regionen sind an der Initiierung und

Modulation von Bewegungen sowie an der Regulation des Muskeltonus beteiligt. Durch ihre

Einbindung in komplexe Schaltkreise können die Basalganglien den motorischen Kortex er-

regend oder hemmend beeinflussen (Duus, 2001, S. 330). In einer aktuellen Studie kommen

Grahn & Rowe (2012) zu dem Schluss, dass das Putamen für die Generierung eines inneren

Pulses58 zuständig ist, der fortläuft nachdem die zeitliche Struktur des Leitsignals extrahiert

wurde.59 Sie interpretieren ihre Forschungsergebnisse wie folgt: “In conclusion, the basal ganglia show a specific response to the beat during rhythm perception, regardless of musical training or how the beat is indicated. We suggest that a cortico-subcortical network, including the pu-tamen, SMA, and PMC, is engaged for the analysis of temporal sequences and prediction or generation of pu-tative beats, especially under conditions that require internal generation of the beat.” (Grahn & Rowe, 2012, S. 7547)

Abblildung 10: Die von Grahn & Rowe (2012) mittels fMRI ermittelten Zentren der Hirnaktivität während der Wahrnehmung eines Beats. Suplementär motorisches Areal (SMA), prämotorische Kortizes bilateral (PMC), suplemantäre temporale Gyri bilateral (STG), Putamen bilateral (Teil der Basalganglien). (Quelle: Grahn & Rowe, 2012

Für diese Sichtweise spricht auch eine weitere Beobachtung die im

Rahmen der genannten Studie gemacht wurde. Demnach hängt der in

einem musikalischen Stimulus wahrgenommene Beat auch von der

musikalischen Prägung des einzelnen Hörers ab, jeder Hörer findet sozusagen seinen eigenen

Beat. Und auch der Kakadu Snowball wies eine Präferenz für bestimmte Tempi der musikali-

schen Stimuli auf (Patel et al., 2009).

Eine weitere Studie zu beat perception die hier erwähnt werden muss, stammt von Winkler et

al. (2009). Die Forscher untersuchten in dieser Versuchsreihe, mittels EEG, ob die Gehirnak-

tivität neugeborener Säuglinge auf den Beat eines Schlagzeug Groove, der ihnen während sie

schliefen vorgespielt wurde, reagieren würden. Tatsächlich ließ sich eine mismatch negativity

an den von den Forschern erwarteten Stellen feststellen. Die Wissenschaftler interpretierten

ihre Ergebnisse dahingehend, dass die Wahrnehmung des Beats in Musik eine angeborene

Eigenschaft ist.60

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!58 Dieser Interne Puls kann m. E. als Emulator / Vorwärtsmodell des wahrgenommenen Beats angesehen werden (für sensumotorische Emulatoren siehe Kap. 2.3). 59 Meinem Verständnis nach entspricht dies einem Vorwärtsmodell/Emulator/Prädiktor (siehe Kapitel 2.2.). 60 Henkjan Honing, ein er der Forscher aus der Gruppe um Winkler erklärt das Experiment. http://youtu.be/EU7HcV83RXc (ab 9:00 min)

Page 53: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

! &+!

Doch beat perception bleibt ein offenes Feld für musikwissenschaftliche Forschungen und die

hier erwähnten Forschungen werfen mindestes genauso viele neue Fragen auf, wie sie beant-

worten. Laut Patel (2008) birgt die Erforschung dieser Eigenschaft jedoch das Potenzial für

die Untersuchung und eventuelle Beantwortung mehrere Fragestellungen. Beispielsweise er-

möglicht das Studium des menschlichen Synchronisationsverhaltens zu einem Beat die Art

und Weise zu Untersuchung in der unterschiedliche funktionale Einheiten des ZNS gekoppelt

werden (im Fall von Musik ist das die Kopplung des motorischen auf das auditorische Sy-

stem). Seiner Meinung nach ist beat perception ein komplexes Phänomen, dem wahrschein-

lich hochentwickelte kognitive und neuronale Prozesse unterliegen (Patel, 2008, S. 102).

3.5. Amusie

Einen akustischen Stimulus als Musik zu erleben verlangt nach der Wahrnehmung bzw. dem

Erkennen dreier Komponenten: Rhythmus, Melodie und Klangfarbe. Eine Störung in der

Wahrnehmung einer dieser drei Komponenten kann zu einer Amusie führen, d. h. zu einem

Unvermögen einer Person einen musikalischen Stimulus als etwas angenehmes, etwas ‚sy-

stematisches’ oder zusammenhängendes zu erleben. Da für das Verständnis und die Produkti-

on von Musik, wie im Laufe dieser Arbeit deutlich geworden sein sollte, viele Areale des Ge-

hirns in beiden Hemisphären benötigt werden, können die Ursachen für eine Amusie vielfältig

sein. Doch es scheint als ob die Verarbeitung dieser Komponenten weit im Gehirn verbreitet

ist, so führen unterschiedliche kortikale Läsionen zu unterschiedlichen Formen der Amusie

(Sacks, 2008, S. 118-141). Manche Hirnschädigungen beeinträchtigen speziell musikalische

Fähigkeiten, während alle anderen kognitiven Fähigkeiten, einschließlich Sprache, weitge-

hend funktionsfähig bleiben.61 Genauer noch, die musikalischen Fähigkeiten müssen nicht

alle gleich stark beeinträchtigt sein (Peretz et al., 2003). Beeinträchtigungen der Melodie-

wahrnehmung sind für gewöhnlich mit Läsionen der rechten Hemisphäre verknüpft. Die Re-

präsentation des Rhythmus hingegen scheint weitaus robuster und großflächiger im Gehirn

verbreitet zu sein und nicht nur auf eine Hemisphäre beschränkt. Das Rhythmusempfinden

bezieht, wie im letzten Abschnitt erörtert wurde, subkortikale Systeme in den Basalganglien,

dem Cerebellum ein (Hyde & Peretz, 2004). Ob bei Patienten tatsächlich eine Amusie vor-

liegt wird dabei mittels der „Montreal Battery of Evaluation of Amusia“ getestet (Peretz et al.

2003).

Der Verlust der Fähigkeit Musik als solche wahrzunehmen, ist m. E. eine weitere Evidenz

dafür, dass Musikwahrnehmung embodied ist. Das sensumotorische System scheint, wenn ein

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!61 Oft ist Amusie jedoch auch eine Begleiterscheinung einer Apraxie.

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! &"!

solcher Defekt vorliegt, nicht mehr in der Lage zu sein Erwartungen bezüglich einer der bei-

den Säulen aus Janata & Grafton’s (2003) Musikdefinition zu bilden. Die unterschiedlichen

Ausformungen einer Amusie, können die einzelnen Verarbeitungsstufen musikalischer Stimu-

li verdeutlichen. Beim Hören von Musik sind viele neuronale Systeme beteiligt, die alle mit

der Wahrnehmung, Entschlüsselung und Synthese von Lauten und Zeit befasst sind. Beson-

ders ein Fall den Oliver Sacks in seinem Buch „Der einarmige Pianist“ (2008) beschreibt

zeigt, dass das menschliche Gehirn beim Hören von Musik eine aktive Rolle spielt. „Ende

2006 machte mich Peretz mit D. L. bekannt […] die noch nie Musik «gehört» hat, obwohl sie

offenbar andere Geräusche und Sprache ohne Schwierigkeiten hören, erkennen, erinnern und

genießen kann.“ (Sacks, 2008, S. 123) Die meisten körperlichen Voraussetzungen für Musik-

wahrnehmung scheinen bei dieser Patientin also durchaus vorhanden zu sein, doch die Verar-

beitung vieler parallel erklingender Töne ist, wie Sacks beschreibt, wozu D. L. nicht in der

Lage ist. Sowohl die Unterscheidung von Tonhöhen als auch Klangfarben sind bei dieser Pa-

tientin defekt. Es reicht also wenn die Wahrnehmung eines Aspektes der komplexen Klang-

konstruktionen welche Musik erzeugen gestört ist um das ganze Klanggebilde zum Einsturz

zu bringen. Die automatische Aufbereitung akustischer Informationen, die der Bewussten

Wahrnehmung vorausgeht ist folglich eine zwingende Voraussetzung für Musik. Bei dieser

automatischen Verarbeitung handelt es sich um sehr konkrete (d. h. nicht abstrakte) körperli-

che Prozesse.

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! &#!

Fazit

Der vorliegenden Arbeit liegt die These zugrunde, dass Musikwahrnehmung und Musikko-

gnition embodied, also körperliche Aktivitäten sind. Um diesen Punkt zu verdeutlichen wurde

zunächst eine Erläuterung des Begriffes Sensumotorik und eine damit einhergehende Über-

sicht über das Zentrale Nervensystem vorgenommen. Dabei sollte deutlich geworden sein,

dass die Kopplung von Sensorik und Motorik in jedem Lebewesen, das sich bewegen kann

eine zwingend notwendige Voraussetzung für die Interaktion des Lebewesens mit seiner

Umwelt darstellt. Jedes mehrzellige Tier verfügt dabei über ein Nervensystem. Da das Ver-

halten eines jeden Lebewesens von dessen sensumotorischer Kopplung abhängt, basiert dem-

entsprechend das Verhalten eines Tieres, das über ein Nervensystem verfügt, auf der Arbeits-

weise dieses Systems. Da Musik ein genuin menschliches Phänomen ist, ist das Zentrale Ner-

vensystem des Menschen der für Musikkognition relevant Untersuchungsgegenstand. Es ist

das einzige kognitive System, welches Musik produziert und wahrscheinlich auch das einzige

kognitive System, welches Musik als solche wahrnehmen kann.62 Dass unterschiedliche Re-

gionen des Gehirns unterschiedliche Funktionen haben wurde in der vorliegenden Arbeit an-

hand des Tastsinnes verdeutlicht. Des Weiteren kam in diesem Zusammenhang zum Aus-

druck wie das Gehirn sensorische und motorische Informationen parallel und dezentralisiert

verarbeitet. Folglich umfassen viele motorische, sensorische als auch kognitive Funktionen

mehr als einen einzigen Verarbeitungsweg. Wenn eine funktionale Region oder Leiterbahn

beschädigt ist, kann es daher unter Umständen dazu führen, dass andere Regionen den Verlust

der an diese Regionen gebundenen Funktionen teilweise kompensieren (Kandel, 2000, S. 9).

Ein Umstand, der den Überlegungen der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt ist, dass die

Großhirnrinde der Bereich des ZNS ist, der zwingend notwendig für alle menschlichen kogni-

tiven Fähigkeiten ist. In diesem Zusammenhang wurde versucht, besonders eine der grundle-

genden Eigenschaften des Gehirns, die für Musik von entscheidender Bedeutung ist, zu erläu-

tern: Die prädikative Natur des menschlichen Gehirns. In anderen Worten, der Mensch kann

Ereignisse vorhersagen (http://www.psychofonie.ch/Events/Vortrag%20HG%20Wieser%

20V1_1.pdf). Besonders der prämotorische Kortex (PMC; Kapitel 1.3.5.) scheint für diese

prädikativen Funktionen von besonderer Bedeutung zu sein. Bis zur Entdeckung der sensori-

schen Eigenschaften dieses motorischen Kortexareals spielten die motorischen Bereichen des

ZNS lediglich eine Rolle in der Ausführung, Kontrolle und Vorbereitung von Bewegungen.

Da jedoch mittlerweile sensorische Eigenschaften des PMC nachgewiesen sind (Rizzolatti et

al., 2004), wird der Rolle des motorischen Systems in kognitiven Aktivitäten nachgegangen !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!62 Die Fähigkeit sich zu einem musikalischen Beat zu synchronisieren, ist wie Kapitel 3.3. dargestellt wurde auch in anderen Tieren vorzufinden.

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(Schubotz, 2000). Die Überlegung, dass im Zuge der Bewegungskontrolle sensorische Dyna-

miken wahrgenommen und antizipiert werden müssen, bildet dabei die Grundlage für den

zentralen Punkt in Embodiment Ansätzen: Aufgrund dieser Notwendigkeit ist sensorische

Aktivität nämlich an motorische Aktivität gekoppelt. Diese Kopplung ist die Grundlage für

sensumotorische Simulation, einen Erklärungsansatz, der unter anderem für die prädikative

Natur des Gehirns relevant ist und die Grundlage für die Entstehung von Erwartungen bildet.

Die Forschungen von Ricarda Schubotz zur Ereignisvorhersage innerhalb wahrgenommener

Sequenzen, bergen dabei für die Musikwissenschaft großes Potenzial, denn gerade im Zu-

sammenhang mit sensumotorischen Erwartungen ist der Schnittpunkt von Embodiment mit

der Musikkognition zu sehen. Die Bestätigung oder das Abweichen von einer Erwartung ist

der Grund dafür, dass Musik bei einem Hörer überhaupt eine Reaktion hervorrufen kann. Die

meisten auditorischen Erwartungen sind dabei erlernt und entstehen durch die Beschaffenheit

unserer akustischen Umgebung (Huron, 2006).63

Die ‚Vorrichtung’ für diesen Lernprozess und somit für das Entstehen von Erwartungen, ist

jedoch in jedem gesunden Menschen vorzufinden, es ist unser (sensu)motorisches System.

Gerade im Bereich beat perception wird dies deutlich. Die zentrale Rolle der Basalganglien

und deren Verbindung mit der Großhirnrinde (Abb. 9) in diesem Zusammenhang, wird unter

anderem durch das Synchronisationsvermögen einiger Vögel unterstrichen, bei denen ähnli-

che Verschaltungen gefunden wurden (Doupe, 2005; Patel et al., 2009; Grahn & Rowe,

2012). Die musikalischen Fähigkeiten sogenannter ‚vocal learner’, stellen eine vielverspre-

chende Perspektive für zukünftige Forschungen.

Da das motorische System in der Embodiment Sichtweise nicht nur für die Ausführung von

Bewegungen relevant ist, sondern auch für kognitive Leistungen, ergeben sich natürlich neue

Fragen, auf die aufgrund des Umfangs dieser Arbeit nicht eingegangen werden konnten. Vor

allem die Frage danach, wie genau die für sensumotorische Simulation notwendigen Lernpro-

zesse funktionieren, ist ein Punkt, dem in zukünftigen Forschungen weiter nachgegangen

werden sollte und mit Sicherheit auch nachgegangen werden wird. Des Weiteren ist es mo-

mentan Strittig, ob abstraktes, menschliches Denken eine supramodale oder eine multimodale

Grundlage hat (Meteyard & Vigliocco, 2008). Gerade der multimodale Ansatz scheint für

Musik vielversprechend zu sein, da das Spielen eines Instrumentes mehrere sensorische Mo-

dalitäten einbezieht. Daher bietet Musik einen guten Ansatz den Auswirkungen dieses multi-

modalen Trainings auf das ZNS nachzugehen (Lappe et al., 2008). Die unterschiedlichen

Funktionen der beiden Hemisphären des Gehirns, ist ein Punkt der außer Acht gelassen wur-!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!63 So lässt sich auch erklären, dass ein Mensch für gewöhnlich einen besseren Zugang zu musikalischen Sequen-zen bzw. deren Gesetzmäßigkeiten hat, die ihn schon sein ganzes leben umgeben.

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! &%!

de. Doch gerade in der Melodiewahrnehmung scheint vor allem die rechte Hirnhälfte von

großer Bedeutung zu sein (Steinke et al., 2001).

Das Verhältnis zwischen Sprach und Musik ist ein weiterer Punkt, der in der vorliegenden

Arbeit nicht aufgegriffen wurde, obwohl der Vergleich dieser beiden menschlichen Fähigkei-

ten das Potenzial birgt, das Verständnis der kognitiven Leistungen des menschlichen Gehirns

voranzutreiben. Beispielsweise bestehen zwischen Musik und gesprochener Sprache eindeuti-

ge Überschneidungen: Die Wahrnehmung sowohl von Musik als auch von Sprache stützt sich

auf das sensumotorische System. In beiden Fällen ist das auditorische System die wichtigste

sensorische Modalität. Zudem sind beides Fähigkeiten, die in allen menschlichen Kulturen

anzutreffen sind. Der Ansatz von Hickok & Poeppel (2004) bezüglich der Sprachwahrneh-

mung, der in Kapitel 3.3. kurz erwähnt wurde, scheint in deisem Zusammenhang aussichts-

reich zu sein, um die Beziehung zwischen diesen beiden Domänen besser zu verstehen. Ihre

Überlegungen bezüglich des sogenannten dorsalen und ventralen Streams lassen sich mögli-

cherweise auch auf die kortikale Verarbeitung von Musik übertragen (Zatorre et al. 2007).

Anhand dieses Modells ließe sich eventuell die Frage beantworten, welchen Stellenwert ein

konzeptuelles System in der Musikwahrnehmung hat. Die Notwendigkeit einer Kopplung

auditorischer und motorischer Einheiten ist dabei ein Umstand, der beiden kognitiven Phäno-

menen gemein ist.

Außerdem wurde, in der Vorliegenden Arbeit, nicht auf die soziale Dimension von Musik

eingegangen. Ein Faktor, welcher der ausschlaggebende Grund für die große Bedeutung zu

sein scheint, die Musik im Leben so vieler Menschen einnimmt. Musik ist ein soziales Phä-

nomen, da sie immer einen Zuhörer benötigt. Besonders die emotionale Wirkung, die Musik

haben kann bzw. hat, hängt möglicherweise gerade mit dieser sozialen Komponente von Mu-

sik zusammen. Für jeden Ansatz, der sich mit dem kommunikativen Charakter auseinander-

setzt, sollte diese soziale Dimension m. E. Dreh- und Angelpunkt der Überlegungen sein.

Robert Zatorre begann einen Vortrag, den er im Juni 2011 an der „Shepard School of Music“

hielt (http://youtu.be/k0GYTKZaIzA) damit auf die Möglichkeiten hinzuweisen, die eine Un-

tersuchung von musikalischer Verarbeitung für die Hirnforschung bereithält. Sein Abstract

(http://www.rice.edu/mindandmusic/faculty_abstracts.shtml) zu diesem Vortrag enthält fol-

genden Satz: “Since music touches upon almost all of the higher mental functions, it provides

us with a rich source of material to understand how the brain works.“ Gerade dieser Aspekt-

verkörperte beim Erstellen dieser Arbeit eine große Herausforderung. Da das Spielen und das

Hören von Musik all diese hoch entwickelten mentalen Funktionen einbezieht (z. B. alle un-

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! &&!

terschiedlichen Formen des Gedächtnis, das Aufmerksamkeitsvermögen, Emotionen, Ästheti-

sche Bewertung, etc.), wobei all diese Eigenschaften für sich höchstens rudimentär verstanden

werden, waren Überlegungen aus unterschiedlichen Forschungsfeldern von Bedeutung. Diese

Fülle von Überlegungen und Studien erschwerte es den Überblick zu behalten und festzule-

gen, welche in der Literatur geschilderten Gedankengänge für die vorliegende Arbeit relevant

sind und welche nicht. Besonders große Schwierigkeiten bereitete dabei zunächst die Ent-

wicklung eines Verständnisses der Unterschiede zwischen der traditionellen kognitivistischen

Sichtweisen auf die menschliche Kognition und der hier nachgegangenen Idee von Embodi-

ment. Hinzu kam die unterschiedliche Verwendung von Begrifflichkeiten wie „Repräsentati-

on“, die in verschiedenen Texten unterschiedliche Aspekte implizieren.

Die Gliederung des menschlichen Kortex in funktionale Systeme hingegen war wesentlich

leichter nachzuvollziehen, da die Beziehung zwischen elektronischer Stimulation des Kortex

und sensorischer bzw. motorischer Effekte äußerst gut nachgewiesen ist. Hinzu kamen die

Berichte von den Ausfallerscheinungen, die kortikale Läsionen hervorrufen können. Durch

diese wurde deutlich, dass die kognitiven Eigenschaften des Menschen weit im Gehirn ver-

breitet sind und dass erst das Zusammenspiel unterschiedlicher funktionaler Regionen die

beeindruckenden Leistungen des Gehirns ermöglicht.

Die Fähigkeit, Musik wahrzunehmen und Musik zu spielen, ist eine dieser beeindruckenden

Leistungen, die das Mitwirken einer Vielzahl der funktionalen Bereiche des Gehirns benötigt.

Eine Untersuchung dieser Fähigkeit ist daher immer auch eine Untersuchung der generellen

Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Diese biologische Grundlage von Musik sollte im

Hintergrund aller Forschungen zu Musikkognition stehen.

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Page 71: Thomas B. ibrahim: Embodiment und Musik: Zur Rolle der Sensumotorik in der Musikkognition

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Max-Plank-Institut für Neurologische Forschungen: HAPEM-Modell. –

URL: http://www.nf.mpg.de/index.php?id=287

Zugriffsdatum: 08.06.2012

Max-Plank-Institut für Neurologische Forschungen: Definition Motor Cognition –

URL: http://www.nf.mpg.de/index.php?id=658

Zugriffsdatum: 08.06.2012

Neuro Plasticity Lab, Ruhruniversität Bochum –

URL: http://www.neuralplasticitylab.de/

Zugriffsdatum: 08.06.2012

Oliver Sacks: Der Effekt von Musik auf Parkinson Patienten. –

URL: http://www.youtube.com/watch?v=9nnLTPPDRXI

Zugriffsdatum: 08.06.2012

Patel, A. D.: Interview in der New York Times, Mai 2010 –

URL: http://www.nytimes.com/2010/06/01/science/01conv.html

Zug riffsdatum: 08.06.2012

Prof. Dr. Heinz-Gregor Wiesers: Vortrag Psychofonie-Symposium «Musik und Gehirn» -

URL: http://www.psychofonie.ch/Events/Vortrag%20HG%20Wieser%20V1_1.pdf

Zugriffsdatum: 08.06.2012

Somatomotorischer und Somatosensorischer Humunculus nach Penfiled –

URL: http://brain.oxfordjournals.org/content/132/7/1693/F1.expansion.html)

Zugriffsdatum: 08.06.2012

Thomas M. Jessell: Vortrag über die Bewegungskontrolle durch das Rückenmark –

URL: http://youtu.be/B1uO_d3hi5w

Zugriffsdatum: 08.06.2012