Tiger-Tourismus in Indien: Wirksamer Schutz vor der Ausrottung?

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14 Integra 2/08 er Königstiger hat schon bes- sere Zeiten erlebt. Laut der letzten amtlichen Erhebung gibt es in Indien noch knapp über 1.400 Exemplare. Zehntausende sol- len es noch vor einem Jahrhundert gewesen sein. Der Tiger war so gegen- wärtig, dass er als Symbol von Würde, Ausdauer und enormer Stärke zum Nationaltier von Indien ernannt wur- de. Beliebt war er vor allem bei den Reichen und Mächtigen, für die die Trophäenjagd ein beliebtes Freizeitver- gnügen darstellte. Von den „einfachen Leuten“ in den indischen Dörfern wurde der Tiger als Nachbar respek- tiert und verehrt, aber auch gemieden und gefürchtet. Eine Begegnung zwi- schen Menschen und der Großkatze hatte jedenfalls in den meisten Fällen einen tödlichen Ausgang – für die eine oder die andere Seite. Die Jagd auf den Tiger ist mittlerwei- le international geächtet. Die Spezies steht auf der Liste der bedrohten Ar- ten, und der Handel mit Tiger-Teilen wie Fell oder Zähnen ist verboten. Viele der einstigen Jagdgebiete wurden zu Schutzreservaten erklärt, um dem schrumpfenden Bestand an Wildtieren einen Rückzugsort in ihrer natürlichen Umgebung zu erhalten. 29 Reservate In Indien wurde die Rettung des Ti- gers 1973 durch die Errichtung des „Project Tiger“ auf höchster staatlicher Ebene angesiedelt, um eine existenzfä- hige Tigerpopulation für wissenschaft- liche, wirtschaftliche, ästhetische, kulturelle und ökologische Zwecke sicherzustellen. Weiterhin sollten für alle Zeiten Gebiete von biologischer Bedeutung als Naturerbe zum Nut- zen, zur Bildung und zur Freude der Menschen bewahrt bleiben. 2006 um- fassten die 29 Tiger-Reservate Indiens eine Fläche von 38.620 Quadratkilo- metern – etwas mehr als ein Prozent der Gesamtfläche Indiens (und etwa 90 Prozent der Fläche der Schweiz oder der Niederlande). Und im Janu- ar 2008 wurde gemeldet, dass für den Tigerschutz bis 2013 sechs Milliarden Indische Rupien aufgewendet wer- den sollen. Trotz dieser beachtlichen Maßnahmen stellen die rasante wirt- schaftliche Entwicklung des Landes, der explosionsartige Bevölkerungszu- wachs und soziale Disparitäten He- rausforderungen für einen effektiven Artenschutz dar. Während sich eine steigende Anzahl von indischen Bür- gern/innen aus der städtischen Mit- telschicht einen Freizeitbesuch in einem Tiger-Reservat leisten kann, sind immer noch viele Menschen auf die natürlichen Ressourcen in den Schutzgebieten als Lebensgrundlage angewiesen. Tourismus hat Ausgleichsfunktion In dieser Situation verspricht man sich vom Tourismus eine Ausgleichsfunk- tion. Von Besuchern/innen einge- nommenes Geld soll das Parkmanage- ment beim Naturschutz unterstützen und den Anwohnern/innen des Parks zu alternativen Einkommen verhelfen. Durch so genannte „Eco-Development Commitees“ wird in den Dörfern im Umfeld des Parks die Bevölkerung ausgebildet und gefördert. Anwoh- Tiger-Tourismus in Indien: Wirksamer Schutz vor der Ausrottung? Kann das verstärkte Interesse von Touristen/innen den bengalischen Tiger vor der Ausrottung bewahren? Von Marcus Bauer Tiger sind die einzigen Katzen, die gern schwimmen D Foto: Martin Harvey, WWF Canon

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Kann das verstärkte Interesse von Touristen/innen den bengalischen Tiger vor der Ausrottung bewahren? Von Marcus Bauer

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14 Integra 2/08

er Königstiger hat schon bes-sere Zeiten erlebt. Laut der letzten amtlichen Erhebung

gibt es in Indien noch knapp über 1.400 Exemplare. Zehntausende sol-len es noch vor einem Jahrhundert gewesen sein. Der Tiger war so gegen-wärtig, dass er als Symbol von Würde, Ausdauer und enormer Stärke zum Nationaltier von Indien ernannt wur-de. Beliebt war er vor allem bei den Reichen und Mächtigen, für die die Trophäenjagd ein beliebtes Freizeitver-gnügen darstellte. Von den „einfachen Leuten“ in den indischen Dörfern wurde der Tiger als Nachbar respek-tiert und verehrt, aber auch gemieden und gefürchtet. Eine Begegnung zwi-schen Menschen und der Großkatze hatte jedenfalls in den meisten Fällen einen tödlichen Ausgang – für die eine oder die andere Seite.

Die Jagd auf den Tiger ist mittlerwei-le international geächtet. Die Spezies steht auf der Liste der bedrohten Ar-ten, und der Handel mit Tiger-Teilen wie Fell oder Zähnen ist verboten. Viele der einstigen Jagdgebiete wurden

zu Schutzreservaten erklärt, um dem schrumpfenden Bestand an Wildtieren einen Rückzugsort in ihrer natürlichen Umgebung zu erhalten.

29 Reservate

In Indien wurde die Rettung des Ti-gers 1973 durch die Errichtung des „Project Tiger“ auf höchster staatlicher Ebene angesiedelt, um eine existenzfä-hige Tigerpopulation für wissenschaft-liche, wirtschaftliche, ästhetische, kulturelle und ökologische Zwecke sicherzustellen. Weiterhin sollten für alle Zeiten Gebiete von biologischer Bedeutung als Naturerbe zum Nut-zen, zur Bildung und zur Freude der Menschen bewahrt bleiben. 2006 um-fassten die 29 Tiger-Reservate Indiens eine Fläche von 38.620 Quadratkilo-metern – etwas mehr als ein Prozent der Gesamtfläche Indiens (und etwa 90 Prozent der Fläche der Schweiz oder der Niederlande). Und im Janu-ar 2008 wurde gemeldet, dass für den Tigerschutz bis 2013 sechs Milliarden Indische Rupien aufgewendet wer-den sollen. Trotz dieser beachtlichen

Maßnahmen stellen die rasante wirt-schaftliche Entwicklung des Landes, der explosionsartige Bevölkerungszu-wachs und soziale Disparitäten He-rausforderungen für einen effektiven Artenschutz dar. Während sich eine steigende Anzahl von indischen Bür-gern/innen aus der städtischen Mit-telschicht einen Freizeitbesuch in einem Tiger-Reservat leisten kann, sind immer noch viele Menschen auf die natürlichen Ressourcen in den Schutzgebieten als Lebensgrundlage angewiesen.

Tourismus hat Ausgleichsfunktion

In dieser Situation verspricht man sich vom Tourismus eine Ausgleichsfunk-tion. Von Besuchern/innen einge-nommenes Geld soll das Parkmanage-ment beim Naturschutz unterstützen und den Anwohnern/innen des Parks zu alternativen Einkommen verhelfen. Durch so genannte „Eco-Development Commitees“ wird in den Dörfern im Umfeld des Parks die Bevölkerung ausgebildet und gefördert. Anwoh-

Tiger-Tourismus in Indien: Wirksamer Schutz vor

der Ausrottung?Kann das verstärkte Interesse von Touristen/innen den bengalischen

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ner/innen arbeiten als Gästeführer/innen, Jeep-oder Boot-Fahrer oder als Elefantenführer. Sie halten die Wege innerhalb der Parks frei, patrollieren die Außengrenzen der Schutzgebiete, produzieren Kunsthandwerksprodukte und / oder bieten Lebensmittel und Verpflegung an. Für ihre Tätigkeiten erhalten sie eine Vergütung – entwe-der von der Parkverwaltung oder di-rekt aus dem Verkauf – und profitie-ren so von ihrer Umwelt, ohne sie zu schädigen. Mit wachsender Intensität zieht der Tourismus vor allem im Beherber-gungsgewerbe auch Kapital und In-teresse von außerhalb des originären Einflussbereiches an. Nun gilt es, diese arbeitsintensiven Betriebe in die Regi-onalentwicklungsmaßnahmen einzu-binden, damit der Tourismus auch in größerem Maßstab seiner Verteil- und Ausgleichsfunktion gerecht wird und damit als Mittel des Naturschutzes wirksam werden kann.

Travel Operators for Tigers: Touristiker/innen mit Verantwortung

Diesem Gedanken fühlen sich die „Travel Operators for Tigers“ (TOFT) verpflichtet, ein Zusammenschluss von Reiseveranstaltern und Beherbergungs-betrieben mit engen Verbindungen zu Indien. Für sie stellt der Schutz des bengalischen Königstigers und seiner natürlichen Umgebung auch ein wirt-schaftliches Interesse dar. Die relative Wahrscheinlichkeit, in den Schutzge-bieten Wildtiere zu sichten sowie der regelmäßige und problemlose Zugang zu den Parks sind in ihrem Fall ökono-misch relevante Faktoren. Und da mit höherem Standard im Beherbergungs-sektor auch die Investitionsdauer steigt und teilweise mehrere Jahrzehnte um-fasst, ist die nachhaltige Nutzung der Schutzgebiete hier eine betriebswirt-schaftliche Basiskompomente. Das Engagement von TOFT konzen-

triert sich momentan auf sechs Parks. Diese Schutzgebiete liegen entlang der touristischen Routen im Zen-trum Nordindiens. Ein Großteil des indischen Tiger-Tourismus findet hier statt, die Reservate sind integraler Bestandteil vieler Rundreisen. Als In-teressenvertretung übt TOFT durch Medien-, Kampagnen- und Lobby-Arbeit Einfluss auf die öffentliche und politische Wahrnehmung aus. Der Dachverband fordert und unterstützt verantwortungsvollen Tiger- und Natur-Tourismus. So werden mithil-fe eines Zertifizierungs-Systems, PUG

Rating genannt, teilnehmende Betriebe hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit, ihres Respekts für die Umwelt – in-nerhalb und außerhalb des Betriebes – und ihrer sozialen Verantwortung klassifiziert. Bisher beschränkt sich die Zertifizierung auf Beherbergungsbe-triebe. Das Rating wird als Instrument verstanden, das es Besucher/innen und Geschäftspartnern/innen ermög-licht, die Nachhaltigkeit touristischer Leistungen in ihre Buchungsentschei-dung einfließen zu lassen. Umgekehrt bietet es touristischen Leistungsträ-gern einen Anreiz, sich verstärkt mit

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den drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung auseinander zu setzen und ihr Engagement auch nach außen möglichst gewinnbringend zu kom-munizieren.

Große Herausforderungen durch Gesellschafts- entwicklung

Durch die große Dynamik auf dem Subkontinent ist der Schutz und da-mit der dauerhafte Erhalt des Natio-naltieres vor große Herausforderungen gestellt: Wirtschaftlicher Aufschwung verbunden mit dem Ausbau von Infra-struktur; eine rasant wachsende Bevöl-kerung, die sich innerhalb der letzten 50 Jahre verdreifacht hat und weiter rapide anwächst; ein geringer Entwick-lungsstand der besonders in ländlichen Gebieten meist nach wie vor eine al-ternativlose Abhängigkeit von natür-lichen Ressourcen bewirkt, um nur einige wichtige Faktoren zu nennen. Der Tiger ist keine Schmusekatze: Es gilt ein Neben- und Miteinander von Mensch und gefährlichem Raubtier zu ermöglichen. Das ist keine einfache Aufgabe in einem Land, in dem viele Menschen vor unmittelbareren Pro-blemen stehen als dem Artenerhalt.

Tourismus – wertvolles Instrument für den Artenschutz?

Wenn verantwortungsbewusster Tou-rismus glaubhaft, nachweislich und dauerhaft eine Brücke schlagen kann zwischen dem Selbsterhaltungstrieb von Menschen in der Nachbarschaft von Schutzgebieten und dem dau-erhaften Schutz dieser Ökosysteme, dann ist er ein wertvolles Instrument für den Artenschutz. Diese Ansprüche an den Tiger-Tourismus sind aller-dings nicht leicht zu erfüllen: Längst nicht alle Anbieter von Tiger-Touren

stellen kurzfristigen Profit zugunsten einer langfristigen Schutzstrategie zu-rück. Nicht alle Leistungsträger sind dazu fähig, den Touristen/innen ein unvergessliches Erlebnis in einem Reservat zu bieten, auch wenn bei ei-ner Tour kein Tiger entdeckt werden kann, was vorkommt! Und nicht alle Touristen/innen haben die Kraft, eine solche „Enttäuschung“ wegzustecken.

Eines steht fest: Der Tiger ist ein Aus-hängeschild des indischen Tourismus. Die aktive Einbindung des Tourismus in den Tigerschutz hat zumindest das Potenzial, dem bengalischen Tiger das Schicksal seiner balinesischen, javane-sischen und kaspischen Artgenossen zu ersparen – diese Arten sind bereits ausgestorben beziehungsweise konn-ten der Bejagung und dem Konkur-renzdruck durch die menschliche Be-siedlung nicht standhalten.

Dazu ist allerdings aktives Engage-ment der Touristiker/innen für den langfristigen Schutz ihrer Ressourcen, in dem Fall der Tiger und ihrer Le-bensräume, Voraussetzung. Denn falls die Begegnung Tiger – Tourismus für

eine Seite schlecht ausgeht sollte, dann vermutlich nicht in erster Linie für den Tourismus …

u Autor Marcus Bauer ist freiberuflicher Tou-rismus-Berater und Journalist mit Schwerpunkt Südasien. Seit 2005 über die indische Organisation Help Tourism am Aufbau und der Entwick-lung mehrerer Tourismus-Projekte und Destinationen beteiligt.Er ist Absolvent des Masterstudien-ganges „Nachhaltiges Tourismusma-nagement“ an der Fachhochschule Eberswalde.

u [email protected]

u Mehr Informationen:Travel Operators for Tigers:http://www.toftigers.org/Project Tiger Official Website:http://projecttiger.nic.in/Wildlife Protection Society of India WPSI: http://www.wpsi-india.org/wpsi/index.php

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Junger Tiger: Blick in eine ungewisse Zukunft