Ätiologie, Pathogenese und Therapie des Nierenzellkarzinoms

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C.G. Fischer · Urologische Universitätsklinik, Gießen Ätiologie, Pathogenese und Therapie des Nierenzellkarzinoms steigt weltweit mit etwa 2% pro Jahr an. Männer sind 1,5mal so häufig be- troffen als Frauen; das Praedilektions- alter liegt mit durchschnittlich 62 Jah- ren in der 6. Lebensdekade [6]. Ätiolo- gisch gesicherte Ursachen sind nur in Ausnahmefällen für die Erkrankung verantwortlich. Prädisponierend sind für etwa 5% der Fälle vor allem die chronische Niereninsuffizienz, eine positive Familienanamnese und die in diesem Kontext zu sehende hereditäre Form des Nierenzellkarzinoms im Rahmen eines von-Hippel-Lindau- Syndroms. Bis auf diese seltenen Fälle tritt das Nierenzellkarzinom in der Re- gel in seiner sporadischen Form auf. Epidemiologische Erkenntnisse beru- hen größtenteils auf Fall-Kontroll-Stu- dien, in denen einem Kollektiv von Er- krankten ein solches von hospitalisier- ten, vergleichbaren Patienten gegen- übergestellt wird. Die Analysen aus diesen Vergleichen sind z.T. wider- sprüchlich und stoßen bei bestimmten Fragestellungen (z.B. Einfluß von Me- dikamenten bei Niereninsuffizienz) auch schnell an methodisch bedingte Grenzen. Wahrscheinlich ist das Rau- chen ein ätiologisch möglicher Faktor, obwohl neue Ergebnisse dies auch in Frage stellen [1, 20]. Kritisch anzumer- ken bleibt für diesen Faktor, daß die Inzidenz des Nierenzellkarzinoms in den Zeiträumen mit starker Zunahme der Raucher viel geringer angestiegen Das Nierenzellkarzinom wird heute, bedingt durch den flächendeckenden Einsatz von Sonographie und Compu- tertomographie, mehr und mehr in den lokal begrenzten Stadien endeckt. In den letzten 15 Jahren hat sich der Anteil von fortgeschrittenen bzw. metastasier- ten Tumoren eindeutig zugunsten der kleinen, auf die Niere begrenzten Tu- moren verringert. Sonographie und Computertomographie bilden die Stan- darddiagnostik des Nierentumors; an- dere bildgebende Methoden haben an Bedeutung verloren und kommen nur noch bei speziellen Indikationen zum Einsatz. Etwa 95% der soliden Raum- forderungen der Niere werden durch ein Nierenzellkarzinom verursacht. Die- se histologische Diagnose beinhaltet jedoch Subtypen, die z.T. mit ganz unterschiedlichen biologischen Eigen- schaften einhergehen. Daher ist auch die individuelle Prognose oft nicht vor- herzusagen; ein latentes, hohes Meta- stasierungspotential führt oft stadien- unabhängig zur Progression. Die The- rapie ist primär chirurgisch, überwie- gend standardisiert und kann einen Teil der Fälle heilen. Der fortgeschritte- ne und metastasierte Tumor bedarf einer systemischen Therapie, die zur Zeit intensiv experimentell und kli- nisch evaluiert wird. Epidemiologie Das Nierenzellkarzinom ist mit 1–2% aller soliden Malignome ein seltener Tumor; pro Jahr ist in Deutschland mit etwa n=11000 Neuerkrankungen zu rechnen. Die Inzidenz des Tumor Der Radiologe 5·99 | 343 Nierendiagnostik Radiologe 1999 · 39:343–349 © Springer-Verlag 1999 Zusammenfassung Das Nierenzellkarzinom ist mit einem Anteil von 1–2% an allen soliden Malignomen eher ein seltener Tumor,aber für fast alle Nieren- tumoren verantwortlich; benigne Läsionen sind die Ausnahme. Bis heute liegen um- fangreiche zytogenetische und molekular- biologische Daten zu diesem Thema vor,aber die Ursache und Kanzerogenese dieses Tumors bleibt weiterhin unklar,wenn auch einige epidemiologischen Faktoren bekannt sind. Entscheidend bleibt der individuell oft nicht vorhersehbare Verlauf,bedingt durch die hohe Progressionsneigung und Metasta- sierungstendenz des Nierenzellkarzinoms. Etwa ein Drittel aller Patienten entwickelt ir- gendwann Metastasen, und es sind weitere klinische Anstrengungen notwendig, um die Ergebnisse der systemischen Immuntherapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms zu verbessern. Schlüsselwörter Nierenzellkarzinom · Pathologie · Kanzerogenese · Chirurgische Therapie · Immuntherapie Priv.-Doz. Dr. C.G. Fischer Urologische Klinik, Justus Liebig-Universität, Klinikstraße 29, D-35385 Gießen& / f n - b l o c k : & b d y :

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C.G. Fischer · Urologische Universitätsklinik, Gießen

Ätiologie, Pathogeneseund Therapie des Nierenzellkarzinoms

steigt weltweit mit etwa 2% pro Jahran. Männer sind 1,5mal so häufig be-troffen als Frauen; das Praedilektions-alter liegt mit durchschnittlich 62 Jah-ren in der 6. Lebensdekade [6]. Ätiolo-gisch gesicherte Ursachen sind nur inAusnahmefällen für die Erkrankungverantwortlich. Prädisponierend sindfür etwa 5% der Fälle vor allem diechronische Niereninsuffizienz, einepositive Familienanamnese und die indiesem Kontext zu sehende hereditäreForm des Nierenzellkarzinoms imRahmen eines von-Hippel-Lindau-Syndroms. Bis auf diese seltenen Fälletritt das Nierenzellkarzinom in der Re-gel in seiner sporadischen Form auf.Epidemiologische Erkenntnisse beru-hen größtenteils auf Fall-Kontroll-Stu-dien, in denen einem Kollektiv von Er-krankten ein solches von hospitalisier-ten, vergleichbaren Patienten gegen-übergestellt wird. Die Analysen ausdiesen Vergleichen sind z.T. wider-sprüchlich und stoßen bei bestimmtenFragestellungen (z.B. Einfluß von Me-dikamenten bei Niereninsuffizienz)auch schnell an methodisch bedingteGrenzen. Wahrscheinlich ist das Rau-chen ein ätiologisch möglicher Faktor,obwohl neue Ergebnisse dies auch inFrage stellen [1, 20]. Kritisch anzumer-ken bleibt für diesen Faktor, daß dieInzidenz des Nierenzellkarzinoms inden Zeiträumen mit starker Zunahmeder Raucher viel geringer angestiegen

Das Nierenzellkarzinom wird heute,bedingt durch den flächendeckendenEinsatz von Sonographie und Compu-tertomographie, mehr und mehr in denlokal begrenzten Stadien endeckt. Inden letzten 15 Jahren hat sich der Anteilvon fortgeschrittenen bzw. metastasier-ten Tumoren eindeutig zugunsten derkleinen, auf die Niere begrenzten Tu-moren verringert. Sonographie undComputertomographie bilden die Stan-darddiagnostik des Nierentumors; an-dere bildgebende Methoden haben anBedeutung verloren und kommen nurnoch bei speziellen Indikationen zumEinsatz. Etwa 95% der soliden Raum-forderungen der Niere werden durchein Nierenzellkarzinom verursacht. Die-se histologische Diagnose beinhaltetjedoch Subtypen, die z.T. mit ganzunterschiedlichen biologischen Eigen-schaften einhergehen. Daher ist auchdie individuelle Prognose oft nicht vor-herzusagen; ein latentes, hohes Meta-stasierungspotential führt oft stadien-unabhängig zur Progression. Die The-rapie ist primär chirurgisch, überwie-gend standardisiert und kann einenTeil der Fälle heilen. Der fortgeschritte-ne und metastasierte Tumor bedarfeiner systemischen Therapie, die zurZeit intensiv experimentell und kli-nisch evaluiert wird.

Epidemiologie

Das Nierenzellkarzinom ist mit 1–2%aller soliden Malignome ein seltenerTumor; pro Jahr ist in Deutschland mitetwa n=11000 Neuerkrankungen zurechnen. Die Inzidenz des Tumor

Der Radiologe 5·99 | 343

NierendiagnostikRadiologe1999 · 39:343–349 © Springer-Verlag 1999

Zusammenfassung

Das Nierenzellkarzinom ist mit einem Anteil

von 1–2% an allen soliden Malignomen eher

ein seltener Tumor, aber für fast alle Nieren-

tumoren verantwortlich; benigne Läsionen

sind die Ausnahme. Bis heute liegen um-

fangreiche zytogenetische und molekular-

biologische Daten zu diesem Thema vor, aber

die Ursache und Kanzerogenese dieses

Tumors bleibt weiterhin unklar, wenn auch

einige epidemiologischen Faktoren bekannt

sind. Entscheidend bleibt der individuell oft

nicht vorhersehbare Verlauf, bedingt durch

die hohe Progressionsneigung und Metasta-

sierungstendenz des Nierenzellkarzinoms.

Etwa ein Drittel aller Patienten entwickelt ir-

gendwann Metastasen, und es sind weitere

klinische Anstrengungen notwendig, um die

Ergebnisse der systemischen Immuntherapie

des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms

zu verbessern.

Schlüsselwörter

Nierenzellkarzinom · Pathologie ·

Kanzerogenese · Chirurgische Therapie ·

Immuntherapie

Priv.-Doz. Dr. C.G. FischerUrologische Klinik,

Justus Liebig-Universität, Klinikstraße 29,

D-35385 Gießen&/fn-block:&bdy:

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C.G. Fischer

Etiology, pathology and therapy of renal cell carcinoma

Summary

Renal cell carcinoma (RCC) of the kidney

accounts für 1–2% of all cancers and is the

most common cancer arising in the adult

kidney.The cause of RCC is not known. Sever-

al studies have shown a greater risk in smo-

kers. Other factors are long-term dialysis and

obesity, e.g.The morphological types of RCC

have characteristic cytogenetic changes, but

the details of genetic changes in renal tu-

morigenesis are not well understood. Appro-

ximately 13%–18% of patients with RCC

have metastatic disease at initial presentati-

on, and their prognosis remains unfavorable,

because RCC is resistant to chemotherapy

and radiotherapy. Only one-third of patients

with RCC cured, and strenous efforts are

being made to optimize immunotherapy in

patients with advanced or metastatic dis-

ease.

Key words

Carcinoma, renal cell · Cell transformation ·

Surgical procedures · Immunotherapy

Die pathologisch-anatomische Be-schreibung des Nierenzellkarzinomsbeinhaltet neben der Stadienerfassung(Staging) die Kriterien Typisierungund histopathologische Differenzie-rung (Grading). Zytomorphologischlassen sich drei Hauptgruppen unter-scheiden, die auch bestimmte Wachs-tumsformen (kompakt, tubulopapilläroder zystisch) bevorzugen [28].

In den meisten Fällen (80%) han-delt es sich um ein hellzelliges Nieren-zellkarzinom, oft schon makroskopischan seiner gelblichen Schnittfläche er-kennbar, das mit verschiedenen Wachs-tumsformen einhergehen kann undinsgesamt eine schlechte Prognose hat.Das chromophile Karzinom wächst oftmultifokal oder bietet makroskopischden Aspekt großer, weicher Tumormas-sen, oft mit nekrotischen Anteilen. Die-se beiden Typen machen zusammen biszu 95% der Karzinome aus; ihnen ge-meinsam ist ihr Ursprungsort vom pro-ximalen Tubulus.

Prognostisch günstiger ist der sel-tene chromophobe Typ zu sehen; er gehtvom distalen Tubulus aus und hat einebessere Prognose. Lichtmikroskopischist er oft nur durch eine Spezialfärbungvom Onkozytom zu unterscheiden, dasebenfalls vom distalen Tubulus ausgehtund makroskopisch gelegentlich durchseine bräunliche Schnittfläche auffällt.Das Onkozytom metastasiert nicht; diePrognose ist sehr gut. Das Onkozytomnimmt daher wegen seines benignen

ist als die Inzidenz für solche Erkran-kungen, bei denen die kausalen Be-deutung des Rauchens nachgewiesenist. Kein Zweifel besteht an der Bedeu-tung hormoneller Faktoren und demÜbergewicht [3]. Demnach haben ins-besondere übergewichtige Frauen undMultipara ein bis zur 4fach erhöhtesrelatives Risiko für die Ausbildung ei-nes Nierenzellkarzinoms. Eine chroni-sche Niereninsuffizienz begünstigt of-fensichtlich die Entstehung des Tu-mors; inwieweit darüber hinaus diearterielle Hypertonie oder Antihyper-tensiva bzw. Diuretika einen eigen-ständigen prädominierenden Effekthaben, kann möglicherweise nie ge-klärt werden.

Pathologie

Das Nierenzellkarzinom nimmt seinenUrsprung von den Tubuluszellen undist für etwa 95% aller solider Tumorender Niere verantwortlich. Differential-diagnostisch kommen als maligne Lä-sionen selten Sarkome, Lymphome undmetastatische Läsionen (v.a. bei Bron-chialkarzinom und malignem Mela-nom) in Frage, als benigne Tumorenvor allem das Angiomyolipom. In die-sem Zusammenhang sei zusätzlichnoch auf das Adenom verwiesen, des-sen fehlendes Metastasierungspotentialnur bei definierter Größe (<0,5 bis ma-ximal 1,5 cm) und sehr guter Differen-zierung gegeben ist.

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Nierendiagnostik

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Radiologe1999 · 39:343–349 © Springer-Verlag 1999

Tabelle 1

Histopathologische Typisierung des Nierenzellkarzinoms

Histologischer Typ Häufigkeit Mikroskopisches Bild

Hellzelliges Karzinom 75–80% Optisch leeres Zytoplasma, glykogenreich; bei solidenWachstumsmuster hohe maligne Potenz, bei zystischen Formen geringere Metastasierungsneigung

Chromophiler Typ 10–15% Basophiles oder eosinophiles Zytoplasma, glykogenarm;oft multifokal

Chromophober Typ <5% Transparentes Bild mit Retikulierung des Zytoplasmas,dem Onkozytom ähnlich

Onkozytischer Typ <4% Große Tumorzellen mit intensiver Eosinophilie des granulären Zytoplasmas, Mitochondrienreichtum

Ductus Bellini-Typ <1% Helles, blasses Zytoplasma mit schwacher Eosinophilie,polymorphes Bild

Metanephroider Typ <1% Blastemisches Bild mit kleinen, strukturlosen Zellen,kaum Mitosen

Neuroendokriner Typ <1% Mitosereicher Tumor, dem Bronchialkarzinom ähnlich,starke Proliferationstendenz

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Wachstumsverhaltens eine Sonderrolleunter den Nierentumoren ein und solltemöglicherweise gar nicht mehr zu denNierenzellkarzinomen gezählt werden.

Die übrigen Subtypen (Ductus Bel-lini-Typ, metanephroider und neuroen-dokriner Typ) spielen zahlenmäßig kei-ne Rolle, zeichnen sind aber durch einesehr schlechte Prognose mit geringerÜberlebenswahrscheinlichkeit aus.

Kerngrading und nukleoläres Gra-ding können die Progressionstendenzdes Nierenzellkarzinoms hinreichendgut erfassen und liefern damit relativverläßliche prognostische Daten; fürdie klinische Arbeit sind sie jedoch wiedie Typisierung und das Wachstums-muster ohne Bedeutung, da aus demGrading keine therapierelevanten Ent-scheidungen abgeleitet werden.

Kanzerogenese

Zytogenetik

Die Erforschung der Kanzerogenese desNierenzellkarzinoms nimmt ihren Ur-sprung in zytogenetischen Untersu-chungen. Inzwischen lassen sich vierzytogenetische Grundmuster [14] un-terscheiden (Tabelle 2). Die häufigsteForm stellt das nichtpapilläre Karzinomdar. Sein Prädilektionsalter liegt zwi-schem dem 60. und 70. Lebensjahr, essind 1,5mal mehr Männer als Frauen be-troffen. Bei der Hälfte der Fälle zeigensich bestimmte Trisomien; fast immerist ein 3p-Verlust nachzuweisen. Vomder papillären Form sind Männer sehrviel häufiger als Frauen betroffen; dieseTumoren neigen zu einem multifokalenWachstum. Typisch sind auch hier be-stimmte Trisomien, vor allem für dasChromosom 17. Zytogenetisch werdenauch sehr große Tumore noch als papil-läre Adenome angesehen; erst beimAuftreten weiterer Trisomien (8, 12, 16)liegt nach der zytogenetischen Definiti-on die maligne Form dieses Tumors vor.Das seltene chromophobe Karzinomzeigt Chromosomenverluste in wech-selnder Ausprägung, für das Onkozytomsind vor allem Translokationen kenn-zeichnend sowie Dearrangements dermitochondrialen DNA (mtDNA).

Molekularbiologie

Den genannten zytogenetischen Ereig-nissen entsprechen typische moleku-

blieben [18]. Es herrscht auch noch kei-ne Einigkeit über die Frage, ob das zy-togenetisch als hellzellig typisierte Kar-zinom wirklich immer der nicht-papi-llären genotypischen Form entsprichtund ob eine 3p-spezifische Mikrosa-telliteninstabilität ein genotypischesMerkmal des hellzelligen Karzinomsist. Die Hypothese, nach der der Verlusteines Tumorsuppresssorgens auf 3pden Tumor initiert, ist bisher nicht aus-reichend bewiesen. Weitere, detaillierteMapping-Untersuchungen sind not-wendig, um das kleinste gemeinsam de-letierte Segment nachzuweisen.

Es kann also heute noch nicht entschie-den werden, ob eine bestimmte Abbe-ration ursächlich für die Tumorentste-hung oder nur eine Folge im weiterenVerlauf der Tumorpromotion ist odergar auf einer klonalen Evolution be-ruht.

Onkogene und Tumorsuppressorgene

Malignes Zellwachstum unterliegt prin-zipiell der Kontrolle durch förderndeoder inhibierende Gene, die sog. Proto-Onkogene bzw. die Tumorsuppressor-gene. Deren Bedeutung für die In-itierung, maligne Transformation undProgression des Nierenzellkarzinomsist bisher nur unvollständig geklärt.Ausder Vielzahl der möglichen Gene bzw.ihrer Produkte sind bisher ein Teil aufihre Bedeutung für die Onkogenese des Nierenzellkarzinoms hin unter-sucht worden, z.T. allerdings mit wider-sprüchlichen Ergebnissen. Tumorent-stehung und -wachstum drücken sichauf zellulärer Ebene u.a. durch Proli-feration, Dedifferenzierung, Verlust vonZell-Zell-Adhäsion und Verhinderungder Apoptose, des programmierten Zell-tods aus.Als Schlüsselprotein der Apop-tose gilt das Proto-Onkogen bcl-2. Seine

larbiologische Phänomene. Beim nicht-papillären Karzinom finden sich LOH-Phänomene („loss of heterozygosity“)auf dem Chromosom 3p in bis zu 97%der Fälle. Tatsächlich ist auf 3p14 derGenlocus für ein Tumorsuppressorgennachgewiesen worden, dessen beide Al-lele verändert sein müssen, um die Tu-morentstehung zu begünstigen. Es han-delt sich dabei um das VHL-Tumorsup-pressorgen, das bei angeborenen undsporadischen nicht-papillären Tumo-ren eine Rolle spielt. Bei der angebore-nen, seltene Form (1%) des hereditärenTumors bei von-Hippel-Lindau-Syn-drom (VHL) finden sich Keimzellmuta-tionen und die Tumoren treten im Rah-men dieses Syndroms beidseitig undmultipel auf. Bei der häufigen, sporadi-schen Form des Nierenzellkarzinomszeigen sich zu 60% somatische VHL-Mutationen. Diese Tumorform tritt da-her einseitig und unifokal auf, weil ihreine Mutation einer Tubuluszelle zuGrunde liegt. Für die papilläre Formsind vor allem Mikrosatelliteninstabili-täten des p53-Gens (auf Chromosom 17)beschrieben, deren Bedeutung zur Zeitjedoch fraglich erscheint. Der chromo-phobe Typ zeigt ähnlich wie der onko-zytäre Typ LOH-Phänomene auf 14qund dokumentiert damit einen engenZusammenhang bzw. Ursprung dieserbeiden Tumortypen.

Eines der Hauptanliegen der Zyto-gentik besteht darin, zu unterscheiden,welche Veränderungen primärer Naturund damit vielleicht ausschlaggebendfür den initialen Vorgang der Tumorge-nese sind, und welche sekundär anderebiologische Eigenschaften des Tumorsmodulieren. So konnte beispielsweisegezeigt werden, daß das Ausmaß derzytogenetischen Veränderungen mit ei-nem schlechteren klinischem Verlaufkorrelieren kann [5]; diese Ergebnissesind jedoch nicht unwidersprochen ge-

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Tabelle 2

Genotypen des Nierenzellkarzinoms

Genotyp Häufigkeit Zytogenetische Phänomene

Nichtpapillär 80% 3p-Verlust,Trisomie (5q)

Papillär 10% Trisomie (7,17),Y-Verlust u.a.

Chromophob 5% 13-, 17-, 21-Verluste u.a.

Onkozytär 5% Translokationen und mtDNA-Veränderungen

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Rolle bei der Progression des Nieren-zellkarzinoms scheint aber nicht so be-deutsam zu sein, wie dies für anderesolide Tumoren nachgewiesen wurde.Entsprechendes gilt für die Proto-On-kogene der HER-2/neu-Onkogen-Fami-lie, deren funktionelle Bedeutung fürdie Onkogenese bei diesem Tumor nochumstritten ist.

Tumorwachstum kann auch durchden Fortfall einer hemmenden Wirkunggefördert werden. Diese Wachstumsbe-schränkung kann verloren gehen, in-dem beide Allele eines Tumorsuppres-sorgens inaktiviert werden. Das zytoge-netische Korrelat hierzu stellt die Dele-tion dar. Ein bekanntes Beispiel ist dasp53-Tumorsuppressorgen (Wächter desGenoms), das allerdings beim Nieren-zellkarzinom nur eine untergeordneteBedeutung zu haben scheint. Auch dieprognostische Bedeutung anderer sol-cher Gene (Retinoblastomgen, NM23,p16, p21 u.a.) kann zur Zeit noch nichtbeurteilt werden.

Auf der molekularbiologischen Ebeneliegen vielversprechende Ansätze zumVerständnis der Biologie des Nieren-zellkarzinoms. Trotzdem konnte bis-her kein übergreifendes Tumormodelletabliert werden, das zytogenetischeund molekularbiologische Erkennt-nisse integriert und somit die Onko-genese dieses Tumors beschreibenkönnte. Daher ist es auch noch unklar,inwieweit eine diskrete Mutation einenbestimmten prognostischen Aussage-wert hat.

Angioneogenese

Angioneogenese kommt beim gesun-den Erwachsenen nur bei der Wund-

Zell-Zell-Interaktion und Proliferation

Ist ein Tumor manifest, kann sich dieTumorzellen aus ihrem Verband lösen,die Basalmembran durchbrechen undin die Gefäßsysteme invadieren, um dieMetastasierung einzuleiten. Diese Vor-gänge werden über Zelladhaesionsmo-leküle vermittelt, die als Oberflächen-proteine auf einer Vielzahl von Zellty-pen exprimiert werden können. Einenpositiven Effekt auf den Erhalt des Zell-verbands übt das E-Cadherin aus,ein kalziumabhängiges transmembra-nes Glykoprotein. Es vermittelt denZell-Zell-Kontakt in epithelialem Ge-webe; daher geht seine Expression aufmetastasierenden Tumorzellen verlo-ren [16]. Ursache für den E-Cadherin-Verlust können Konfirmationsände-rungen im Bereich der extrazellulärenDomäne sein, ausgelöst durch Mutatio-nen im Genlocus auf 16q [2]. Für dasNierenzellkarzinom konnte gezeigt wer-den, daß die Expression von E-Cadhe-rin in Abhängigkeit vom histologischenTyp des Tumors bei zunehmender Ent-differenzierung verloren geht [27]. Esist noch nicht eindeutig geklärt, ob die-ser Expressionsverlust auch in Zusam-menhang mit dem klinischen Verlaufdes Nierenzellkarzinoms steht, wie diesfür das Blasen- und Prostatakarzinomanzunehmen ist [19].

Einen negativen Effekt auf den Er-halt des primären Tumorzellverbandsübt das CD44-Antigen aus, das alstransmembranes Glykoprotein ubiqui-tär auf mesenchymalen und epithelia-len Zellen nachgewiesen werden kann.CD44 ist an Zell-Zell- und Zell-Matrix-Interaktionen, „Lymphozytenhoming“und schließlich an der Metastasie-rung beteiligt [9]. Das Standardmole-kül CD44s wird von zehn verschiede-nen Exons kodiert (11p) und kanndurch differentielles Spleißen in der Ex-pression der varianten CD44-Formen(CD44v) münden [19]. In-vitro-Studienkonnten zeigen, daß die Metastasie-rungspotenz mit einer starken CD44-Expression einhergeht und mit dementsprechenden Antikörper unterbun-den werden kann [9]. Die Expressionder CD44-Moleküle korreliert beimNierenzellkarzinom mit dem Ausmaßder histologischen Dedifferenzierung[27] und möglicherweise auch mit demAusmaß der Progression der Erkran-kung [7].

heilung oder bsw. im weiblichen Re-produktionstrakt vor. Das Nierenzell-karzinom ist aber auf eine ausreichendeGefäßversorgung angewiesen und bil-det ein gutes Modell für die Angio-neogenese, das allerdings noch nichtvollständig verstanden wird. Der Über-gang von hyperplastischem zu mali-gnen Zellwachstum geht dabei parallelmit der Initiierung der Angiogenese.Stimuli können die Tumorzellen selbstsein, tumorinfiltrierende Leukozytenoder die extrazellulären Matrix. Eskommt zur Aktivierung des Endothe-liums, zu einer erhöhten Kapillar-durchlässigkeit, zur Migration der En-dothelzellen aus den Kapillaren nachStromazerstörung durch proteolyti-sche Enzyme, zur Endothelzellprolife-ration und zur Neubildung von Kapil-larschleifen. Dieser Prozeß ist Aus-druck eines gestörten Gleichgewichtszwischen Angiogenese-stimulierendenund hemmenden Faktoren. Hemmstof-fe sind z.B. Angiostatin, das von man-chen Tumoren sezerniert wird undmöglicherweise die Beobachtung er-klären könnte, nach der es nach Entfer-nung des Primärtumors zu einembeschleunigten Wachstum von Meta-stasen kommen kann. Ein weitererwichtiger Hemmstoff ist das Thrombo-spondin, das der Kontrolle durch dasTumorsuppressorgen p53 unterliegt.Hier ist eine Assoziation zwischen fort-geschrittenen Tumoren und verstärk-ter Angiogenese durch einen p53-Ver-lust denkbar. Tatsächlich ist die Bedeu-tung der Angioneogenese für das Nie-renzellkarzinom noch nicht geklärt,Korrelationen zum histologischen Sub-typ oder zum klinischen Verlauf gelan-gen bisher nicht oder sind wider-sprüchlich [4, 13, 15].

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Nierendiagnostik

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Abb. 1 m Modell für die Tumorgenese des Nierenzellkarzinoms (RCC) unter Einschluß zytogenetischerund molekularbiologischer Erkenntnisse: oben fördernde Faktoren, unten hemmende Faktoren

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Weitere Informationen über dieindividuelle Progressionstendenz desNierenzellkarzinoms können aus denProliferationseigenschaften der Tumor-zellen gewonnen werden. Dazu kanndie Bestimmung des Proliferating CellNuclear Antigens (PCNA) dienen, dasals Protein der DNA-Polymerase-δwährend der G1- und S-Phase des Zell-zyklus synthetisiert wird. Möglicher-weise stellt es einen unabhängigen Vor-hersageparameter für solide Tumorendar [10]. Die PCNA-Expression stehtbeim Nierenzellkarzinom nicht nur inenger Beziehung zum histologischenGrading und zum Tumorstadium [24], sondern korreliert möglicher-weise ebenfalls mit einer erhöhtenProgressionstendenz [26].

Staging

Das Staging des Nierenzellkarzinomserfolgt nach dem TNM-System derUICC (Tabelle 3). Für die Zuordnungzur T-Kategorie ist die Größe bzw.die Infiltration von Nachbarstrukturenausschlaggebend; für die N-Klassifika-tion muß bekannt sein, ob mehr als einregionärer (hiliärer, paraaortaler undparakavaler) Lymphknoten befallenist. Die M-Klassifikation bezieht sichwie bei anderen Tumoren auch auf dasVorhandensein von Fernmetastasen.Als Besonderheit im Vergleich zur vor-angegangenen Version des TNM-Sys-tems (4th ed. UICC, gültig bis 1997) istanzumerken, daß nunmehr die T-1-Ka-tegorie nicht mehr wie früher Tumorenbis 2,5 cm Durchmesser abdeckt, son-dern solche mit bis zu 7 cm Größe. Die-se Einteilung wird auch kritisch gese-hen; es ist bereits vorgeschlagen wor-den, die T-1-Kategorie in die Klassen T-1a (<4 cm) und T-1b (4 bis 7 cm) zuunterteilen.

Die häufigsten Metastasierungs-lokalisationen sind die Lunge (31%),das Knochensystem (26%), nicht-regio-näre Lymphknoten (10%) und die Le-ber (9%). Waren vor Einführung derflächendeckender Sonographie nochetwa ein Drittel aller Fälle zum Zeit-punkt der Diagnose bereits metasta-siert, so ist dieser Anteil heute auf etwa13% abgefallen. Trotzdem entwickelnauch heute noch etwa ein Drittel allerPatienten mit vermeintlich kurativ re-seziertem Primärtumor innerhalb von5 Jahren Fernmetastasen.

des Vorgehen mit lokaler Resektion desTumors diskutiert. Dies bezieht sich aufdie elektive Indikation bei Vorliegen ei-ner gesunden Gegenniere.Aus der orga-nerhaltenden Tumorchirurgie unter im-perativer Indikation (fehlende oderfunktionsbeeinträchtigte kontralateraleNiere, bilaterale Tumoren) ist bekannt,daß die onkologischen Ergebnisse unterVerzicht auf die Entfernung des ganzenOrgans teilweise hervorragende Er-gebnisse mit 5-Jahres-Überlebenswahr-scheinlichkeiten von 80–98% erbringenkönnen. Inzwischen existieren retro-spektive Serien, die vergleichbare Er-gebnisse für dieses Verfahren auch unterelektiver Indikation implizieren; der Be-weis durch eine prospektiv-vergleichen-de Studie steht jedoch noch aus. DieProblematik besteht in der Multifokali-tät des Nierenzellkarzinoms; kleinsteTumoren können sich präoperativ derbildgebenden Diagnostik entziehen undUrsache für ein Lokalrezidiv sein (beibis zu 4% der Fälle), das dann die radi-kale Operation erfordert. Es ist bisherauch noch nicht geklärt, bis zu welchemTumordurchmesser (der einen unab-hängigen Prognosefaktor des Nieren-zellkarzinoms darstellt) dieses Konzeptverfolgt werden soll; die Angaben in derLiteratur variieren von 2 bis 5 cm. DieOrientierung an der neuen TNM-Klas-

Operative Therapie

Das Ziel der operativen Therapie desNierenzellkarzinoms besteht in derEntfernung des Tumors mit der Niere,der anhängenden Fettkapsel, der Ne-benniere, der Faszia Gerota und der re-gionären Lymphknoten (Radikale Tu-mornephrektomie). Der Zugangswegist nicht standardisiert und kanntransabdominal, retroperitoneal oderauch thorakoabdominal erfolgen. Die-se von Robson beschriebene Technik[23] wird heute differenziert eingesetztund wird häufig stadienabhängigmodifiziert. Nach der Ausdehnung desPrimärtumors kann unterschieden wer-den zwischem dem kleinen Nierenzell-karzinom als lokal begrenztem Tumor,dem lokal fortgeschrittenen Tumor,ggf. mit Lymphknotenbefall oder In-vasion der Vena kava und dem Pri-märtumor in der metastasierten Situa-tion.

Operative Therapie des kleinen Nierentumors

Prinzipiell kann der kleine Nierentumor(bis etwa 4 cm Durchmesser) weiterhinradikal unter Mitnahme der Niere ent-fernt werden. Seit einigen Jahren wirdaber für diese Fälle ein organerhalten-

Der Radiologe 5·99 | 347

Tabelle 3

TNM-Klassifikation des Nierenzellkarzinoms (5th ed. UICC, 1997)

T-Primärtumor

T0 Kein Anhalt für Primärtumor

T1 Tumor maximal 7 cm in seiner größten Ausdehnung, begrenzt auf die Niere

T2 Tumor über 7 cm in seiner größten Ausdehnung, begrenzt auf die Niere

T3 Tumor breitet sich bis in Hauptvenen aus oder infiltriert Nebenniere oder perirenales Fettgewebe, aber nicht außerhalb der Gerota’schen Faszie

T3a Tumor infitriert Nebenniere oder perirenale Fettkapsel, aber nicht Gerota’sche Faszie

T3b Ausgeprägte Tumorausdehnung in Nierenvenen oder V. kava unterhalb des Zwerchfells

T3c Tumorausdehnung in V. kava oberhalb des Zwerchfells

T4 Tumorausdehnung über Gerota’sche Faszie hinaus

N-Regionäre Lymphknoten

N0 Kein Anhalt für regionäre Lymphknoten

N1 Metastase in einem regionärem Lymphknoten

N2 Metastase in mehr als einem regionärem Lymphknoten

M-Fernmetastasen

M0 Kein Anhalt für Fernmetastasen

M1 Fernmetastasen

Page 6: Ätiologie, Pathogenese und Therapie des Nierenzellkarzinoms

sifikation ist dabei wenig hilfreich, weildie größeren, als T-1- klassifiziertenKarzinome (bis zu 7 cm Durchmesser)für eine elektive Indikation häufig nichtmehr in Frage kommen.

Operative Therapie des lokal fortgeschrittenen Tumors

Handelt es sich um einen größeren Tu-mor, so kommt nur die Radikale Tu-mornephrektomie in Betracht. Auch indiesen Fällen ist allerdings das ur-sprüngliche Konzept der radikalen Tu-morchirurgie modifiziert worden, undzwar in Hinblick auf die Notwendigkeitder ipsilateralen Adrenalektomie. Tat-sächlich ist die direkte Tumorinvasionin die Nebenniere ein sehr seltenes Er-eignis und auch die als Ausdruck dersystemischen Ausbreitung zu interpre-tierende synchrone Metastasierung indie ipsilaterale Nebenniere bildet mitdeutlich unter 4% der Fälle die Ausnah-me. Zudem wird sie in der Regel prä-operativ regelmäßig erkannt; die Sensi-tivität der Computertomographie be-trägt hier nahezu 100% [8]. Darauswird heute größtenteils das Konzept ab-geleitet, die Nebenniere routinemäßignur noch bei bildgebendem Nachweiseines Befalls oder bei größeren Tumo-ren, insbesondere des Oberpols mit zuentfernen. Die isolierte Metastasierungin die kontralaterale Nebenniere isthingegen ein extrem seltenes Ereignisund kein Argument für die prophylak-tische Belassung des ipsilateralen Or-gans.

Bei etwa 10% der Fälle liegt einLymphknotenbefall vor; dieser ist einstarker, negativer Prognosefaktor. Esherrscht aber größtenteils Einigkeitdarüber, daß eine routinemäßige, aus-gedehnte Lymphadenektomie im Ge-gensatz zu anderen Tumoren die Pro-gnose nicht verbessern kann. Daherwird heute standardmäßig nur dieEntfernung der paraaortalen und pa-racavalen Lymphknoten in einemhandbreiten Bereich in Höhe desNierenstiels gefordert; bei befallenenLymphstationen werden diese aller-dings so weit als möglich reseziert. DerNachweis von suspekten oder befalle-nen Lymphknoten in der Computerto-mographie bedingt also prinzipiellkeine Änderung in der Indikation zurOperation bzw. in der Wahl des Ver-fahrens.

Palliative systemische Therapie

Die Chemotherapie, mit einzelnenSubstanzen oder als Polychemothera-pie hat in ihren Ergebnissen enttäuschtund ist heute keine Therapieoptionmehr. Ursache für die schlechten Er-gebnisse ist sicher auch die Multi-Drug-Resistence (MDR) als intrinsische Ei-genschaft der Tumorzellen des Nieren-zellkarzinoms.Nachgewiesen sind meh-rere Mechanismen der MDR; die be-kannteste beruht auf der Existenz ei-ner membranständigen Effluxpumpefür bestimmte Zytostatika, die einezytoplasmatische Akkumulation derZytostatika verhindern (MDR-1-Gen re-guliert). Ansätze zur Durchbrechungder MDR liegen vor, ein klinischer Ein-satz ist bisher noch nicht zu realisieren[17]. Da das Nierenzellkarzinom aberals ein sehr immunkompetenter Tumorgilt, liegen inzwischen unzählige The-rapieversuche mit Immuntherapeutikavor. In den letzten Jahren haben sichdabei Interleukin-2 und Interferon-alpha-2a als die am besten dokumen-tierten Substanzen erwiesen. In weitverbreiteten Behandlungsschemata wer-den diese Substanzen subkutan appli-ziert, die Therapie wird in der Regelambulant durchgeführt und kann mitChemotherapeutika (vor allem 5-Fluor-ouracil) kombiniert werden. Die Durch-führung dieser Therapie erfordert al-lerdings umfangreiche Erfahrungen,da die potentiellen Nebenwirkungen(vor allem „vascular leakage syndrome“,immer aber grippeähnliche Sympto-me) rechtzeitig erkannt und behan-delt werden müssen. Bei Lungenmeta-stasen kann Interleukin-2 auch inha-liert werden, dadurch lassen sich mög-licherweise Nebenwirkungen verrin-gern [12]. Die Ansprechraten dieserTherapie liegen bei bis zu 38%, im Ein-zelfall sind echte Lebensverlängerun-gen dokumentiert [11]. Die Ergebnissesind aber stark von der Patientenselek-tion abhängig [21]: Patienten in gutemAllgemeinzustand mit Lungenmeta-stasen zeigen ein deutlich besseresAnsprechen als Patienten in einemschlechten „performance status“ mitSkelettmetastasen. Trotz des relativweit verbreiteten Einsatzes dieser Be-handlungsschemata kann noch nichtvon einer etablierten Standardtherapiegesprochen werden; z.Z. werden dieseKonzepte urologischerseits in multi-

Im Unterschied hierzu ist derpräoperative Nachweis einers Tumor-thrombus in der Vena renalis bzw. Venakava (bei bis zu 5% der Fälle) von gro-ßer Bedeutung für die Operationspla-nung. Kann der Venenthrombus in derNierenvene in der Regel noch einfachausgeklemmt werden, so erfordert dertumoröse Kavazapfen ein aufwendigesoperatives Vorgehen [25]. In Abhängig-keit von der Höhenausdehnung ist hierinsbesondere bei atrialen Thrombenein interdisziplinäres Vorgehen, ggf.unter Einsatz der Herz-Lungenmaschi-ne notwendig. Die Morbidität und Mor-talität dieser Eingriffe kann realtiv hochsein; die Indikation darf nur bei fehlen-der Fernmetastasierung gestellt wer-den. Dann können solche Patientenaber von der Operation profitieren, dadie alleinige Veneninvasion zwar Aus-druck eines lokal fortgeschrittenen Ge-schehens ist, an sich aber keinen un-abhängigen, negativen Prognosefaktordarstellt.

Operative Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms

Die Entfernung des Primärtumors inder metastasierten Situation erfolgtprinzipiell unter palliativer Indikation,insbesondere bei starken Schmerzenoder Blutungen, die konservativ nichtbeherrschbar sind. Im Einzelfall kannhier die perkutane Embolisation sinn-voll sein. Ausnahmen von diesem Kon-zept sind dann angezeigt, wenn derPatient systemisch behandelt werdensoll (Immun-/chemotherapie). Unterder immunologisch eingängigen, je-doch nicht bewiesenen Vorstellung derReduzierung der Tumorlast wird dieResektion des Primärtumors im Rah-men eines Studienprotokolls in derRegel gefordert.

Systemische Therapie des fortgeschrittenen Nieren-zellkarzinoms

Für die medikamentöse Therapie desfortgeschrittenen Nierenzellkarzinomsergeben sich zwei Indikationen: Diepalliative Indikation bei Fernmetasta-sierung und die adjuvante Indikationnach vermeintlich kurativer Resektiondes Primärtumors bei Vorliegen vonRisikofaktoren (z.B. Lymphknotenbe-fall).

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Nierendiagnostik

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Adjuvante systemische Therapie

Die Progressionsneigung des Nieren-zellkarzinoms ist stadienabhängig; prin-zipiell kann der Tumor aber aus jedemStadium heraus metastasieren. Beson-ders gefährdet sind jedoch die Fälle mitlokal fortgeschrittenem Tumor (ab pT-2), bzw. die Fälle mit positiven Lymph-knoten. Sie stellen sogar eine Hochrisi-kopopulation dar, für die dringend einadjuvantes systemisches Konzept benö-tigt wird. Es gibt aber bis heute keineadjuvante Therapie dieser Tumoren. Inder Literatur finden sich unterschied-liche Verfahren; relativ viel Erfahrungbesteht mit immuntherapeutischenAnsätzen unter Verwendung einerVakzinierungsstrategie. Diese Therapiekommt der Forderung nach möglichstgeringen Nebenwirkungen einer adju-vanten Behandlung sehr nahe, hat je-doch ihre Wirksamkeit in prospektiv-randomisierten Studien bisher nichtausreichend unter Beweis stellen kön-nen. Hinzu kommt, daß es die Vakzinie-rung nicht gibt; es handelt sich viel-mehr um teilweise sehr unterschiedli-che wissenschaftliche Konzepte, dienicht vergleichbar sind [22]. Zur Zeitwerden experimentell neue Vakzine-konzepte erarbeitet, vor allem unterVerwendung dentritischer Zellen bzw.Peptidvakzine oder molekulare Vakzi-ne. Ob diese aber einmal als adjuvanteTherapie erfolgreich eingesetzt werdenkönnen, kann heute noch nicht abge-schätzt werden. Prinzipiell könnenauch die Substanzen aus der palliativenTherapie (Interleukin-2, Interferon-al-pha-2a) verwendet werden; auch diesist Aufgabe jetzt anlaufender multizen-trischer Protokolle.