TITEL AUSSTELLUNGEN 10 RADAR LOUISA CLEMENT …

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50 BILL TRAYLOR 62 MONOLITHEN 74 VERENA LOEWENSBERG LINN SCHRÖDER 86 ANNE IMHOF 22 40 LOUISA CLEMENT 4 ANNE IMHOF IM INTERVIEW: Die Performance-Künstlerin in Paris ESSAY: Das Kunstmuseum auf dem Weg ins 21. Jahrhundert DIGITALES ICH Wie Louisa Clement mit künstlicher Intelligenz experimentiert DAS KUNSTMAGAZIN // JULI 2021 JULI AUGUST SEPTEMBER OKTOBER 2021 SAISON Die wichtigsten Kunst-Termine E in Wal versinkt mit seiner Schnauze im Boden des saarlandmuseums, seine imposante Fluke ragt in das rund 15 Meter hohe Atrium auf. Das Tageslicht, das durch die Glasdecke fällt, durchdringt seinen Körper, der aus Tausenden, an feinen Nylonfäden hängenden blauen Plastikfetzen zu- sammengesetzt ist. In einem abge- dunkelten Raum wiederum schießt eine Schleiereule durch einen schwe- benden Würfel aus Distelsamen und Schmeißfliegen, lässt sie durch ihren Flügelschlag zur Seite stoben und erstarrt – kurz bevor sie mit ausge- breiteten Schwingen ihre Beute kral- len kann. Wal und Eule, ebenso wie Katzen, Hirsche, Hasen, Mäuse, Füch- se und Schmeißfliegen gehören zum geheimnisvollen Kosmos, den die nordirische Künstlerin Claire Morgan in ihrer Soloschau »Joy in the Pain« auferstehen lässt. Dabei scheint die 40-Jährige für einen Moment lang die Zeit anzuhal- ten. Sie friert Tiere in ihren Bewegun- gen ein wie Naturfotografen ihr Motiv. Dazu hüllt sie die Körper in geometri- sche Volumen wie Kuben und Kugeln aus Kunststofffetzen, setzt den orga- nischen Silhouetten also gerade Li- nien entgegen und weist so die Wild- heit in ihre Schranken. Zugleich gibt sie den Tieren damit auch Schutz- zonen, die uns ihre fragile Schönheit, ihre Bedrohung und Vergänglichkeit vor Augen führen – bis hin zum Tod. Der begegnet einem besonders drastisch auf ihren Kohlezeichnungen, Tuschemalereien und Vorstudien für ihre Installationen: Denn oft nutzt sie das Bütten, auf denen sie die Tiere präpariert, als Malgrund und platziert filigranste Zeichnungen hinabstürzen- der Vögel auf Blutlachen und Körper- säften. Das könnte man falsch ver- stehen. Als Lust am Blutrünstigen, Brutalen. Das Gegenteil ist der Fall: Das Anliegen der ausgebildeten Tier- präparatorin und Tierliebhaberin ist es, auf die Verletzlichkeit der Fauna hinzuweisen – jedoch nie mit entwür- digenden Darstellungen. So ver- wendet Morgan, die in einem pitto- resken Wohnatelier im Nordosten Englands umgeben von Katzen ar- beitet, nur »Roadkill«, also tierische Verkehrsopfer. Dabei handelt es sich um sogenannte Kulturfolger wie Eulen und Füchse, die vom Wald Richtung Stadt ziehen. »Spannend ist, dass sich Morgan nicht auf Zivilisationskritik reduziert«, sagt Andrea Jahn, Direktorin des saarlandmuseums. »Statt Betroffen- heit erzeugen zu wollen, lässt sie das Poetische, Märchenhafte ihrer Wer- ke zu und fasziniert mit handwerkli- cher Feinheit und Akribie.« Übrigens taucht der Wal, den die Künstlerin für die Halle des Erweiterungsbaus kon- zipiert hat, nun dauerhaft durch das Museum. // Im Bann der Schleiereule Die Nordirin zeigt eine Welt zwischen Schönheit und Schrecken Claire Morgan: Joy in the Pain, Saarbrücken, Saarlandmuseum, 10.07.2021—06.02.2022 AUSSTELLUNGEN DIE HÖHEPUNKTE IM JULI TITEL LOUISA CLEMENT Was passiert, wenn man sich selbst als mit künstlicher Intelligenz ausge- stattete Puppe vervielfältigt und in die Welt entlässt? Ein Porträt der Bonner Künstlerin, die Skulpturen zu scheinbarem Leben erweckt 40 RADAR BILDER DES MONATS Versöhnliche Lanzen in Venedig, Heather Phillipson in der T aTe BriTain, Schaum-Performance in Linz. KUNST AUS DEM OFF Gästekartei eines Grandhotels. KUNST FÜR EINE BESSERE WELT Erdhäuser aus dem 3-D-Drucker. AKTUELL ÜBER- SCHÄTZT Der alte Kunstmarkt 10—20 THEMEN ANNE IMHOF 2017 gewann sie mit ihrer Faust-Performance in Venedig den Goldenen Löwen, jetzt hat sie im Pariser Palais de Tokyo ihre größte Schau – ein Interview 22 MUSEEN IM 21. JAHRHUNDERT Zwischen Tempel und öffentlichem Diskursraum: ein Essay darüber, wie das Kunstmuseum heute seine Rolle sucht 34 BILL TRAYLOR Er wurde noch als Sklave ge- boren, schlug sich dann als Randexistenz durchs Leben – und schuf dabei als Straßen- maler ein faszinierendes, kraſtvolles Werk 50 MONOLITHEN Erst tauchte in der Wüste von Utah eine rätselhaſte glänzende Stele auf, dann plötzlich vielerorts in der Welt. Eine kurze Geschichte der vertikalen Kunst 62 BILDSEMINAR Wolfgang Ullrich über die missglückten Inszenierungen des Medien- kanzlers Gerhard Schröder 72 VERENA LOEWENSBERG Lange galt die konkrete Kunst als reine Männerdomäne. Mit Loewensberg werden nun eine ganze Reihe Künstlerinnen entdeckt, die mathematisch basierte oder geometrische Bilder malten 74 LINN SCHRÖDER Mit einem sehr persönli- chen Fotoprojekt verknüpft die Berliner Künst- lerin die Erinnerungen über Generationen 86 MEILENSTEINE Ein Bronzerelief aus dem Königreich Benin 94 STARTER Diesmal Mary Audrey Ramirez 100 AUSSTELLUNGEN SAARBRÜCKEN Claire Morgan 110 AACHEN Dürer war hier 112 ESSEN Tobias Zielony 113 BREGENZ Anri Sala 114 BERLIN Diversity United 115 FRANKFURT/M. Neu sehen – Die Fotografie der 20er und 30er Jahre 116 AMSTERDAM Sklaverei 118 VENEDIG Architekturbiennale 119 WIEN Lois Weinberger 120 LONDON Paula Rego 121 KALENDER Die internationalen Kunsttermine im Überblick 122 JOURNAL BENIN-BRONZEN Interview mit der Kölner Museumsleiterin Nanette Snoep 134 DIA ART FOUNDATION Wiedereröffnung der New Yorker Institution nach Renovierung 136 HONORAR Künstler fordern gerechtere Vergütung bei Museumsausstellungen 137 UNTERWASSERKUNST Wie Italien sein Kulturerbe im Meer schützen will 138 AUSSER HAUS Hommage an den Brasilianer Paulo Mendes da Rocha 139 IM FILM Vergessene Künstlerinnen, Weltverbesserer und Racheengel 140 VERMARKTUNG Hollywood-Agenturen vertreten jetzt auch bildende Künstler 141 FOTOFESTIVAL Interview mit renconTres d’arles-Direktor Christopf Wiesner 142 VIEL HOLZ Die ehrliche Buchkolumne 143 KINDER ERKLÄREN KUNST Quentin Massys’ Eine groteske alte Frau 146 RUBRIKEN Editorial 3 Betreff: arT 6 Leserservice, Impressum, Fotovermerke 144 Im nächsten Heft 145 TITELBILD: Louisa Clement (links) mit ihrer künstlichen Doppelgängerin FOTO: JULIA SELLMANN 110 AUSSTELLUNGEN 134 JOURNAL 10 RADAR Wir müssen sprechen Obwohl die Konstruktion aus spitz in den Himmel aufragenden Lanzen martialisch aussieht, ist der Sinn dieser Konstruktion ein friedlicher: Der runde Holzbau, den der chileni- sche Architekt Alejandro Aravena auf der noch bis 21. November in Venedig stattfindendenarchitektur- biennaleim Arsenale errichtet hat, soll ein Ort der Versöhnung und Aus- sprache sein. Damit thematisiert er den seit Staatsgründung 1818 in Chile herrschenden Konflikt zwischen dem indigenen Volk der Mapuche und dem chilenischen Staat. Das Land der Mapuche wurde enteignet, das Volk wird bis heute unterdrückt. Mit dieser Arbeit bezieht Aravena Stellung für die Rechte der Mapuche und setzt die Leitfrage der Biennale, »Wie werden wir zusammen leben?«, drastisch und gekonnt in Szene. RADAR BILDER+THEMEN DES MONATS EXTRA-HEFT Die wichtigsten Ausstellungen im Sommer und Herbst P lötzlich geht alles ganz schnell. Schon nächstes Jahr will Deutschland die ersten Benin-Bronzen an Nigeria zurückgeben. Mit dem Vorstoß überholt es sogar Frank- reich, wo sich nur wenig be- wegt hat, seit Emmanuel Macron 2017 die unbedingte Restitu- tionsbereitschaſt für koloniales Raubgut verkündete. Auch Nanette Snoep, von 2015 bis 2018 Direktorin der Staatlichen ethnografiSchen Sammlun- gen SachSen, stieß mit ihrem Aktivismus zur Rückgabe von Exponaten zunächst auf we- nig Resonanz. Seit Anfang 2019 leitet sie das Kölner rauten- Strauch-JoeSt-muSeum und erlebt jetzt den enormen Erfolg ihrer Bemühungen. art: Was ist in Köln anders als in Dresden, was ist 2021 anders als 2018? Nanette Snoep: Die Debatte wird heute von der Bundespoli- tik geführt, weit öffentlicher als noch vor einigen Jahren. Zu- dem ist den Museen viel klarer, dass es hier um ein europäi- sches Problem geht und nicht um ein deutsches. Und Köln ist sowieso eine sehr weltoffene Stadt. Das rautenStrauch- JoeSt muSeum ist kein so kom- plexes Gebilde wie der staatli- che Museumsverband in Sach- sen und funktioniert daher ein- facher. Zudem war es jedem hier sofort klar, wie ich ticke. Man wusste ganz genau, dass ich heikle Themen angehe. Mit der aktuellen Ausstellung »Resist!« beleuchten wir ge- rade den antikolonialen Wider- stand im Globalen Süden, wobei wir die Konzeption und Vermittlung eben nicht nur weißen Museumsmitarbei- tern überlassen, sondern Ak- teuren aus der hiesigen Dia- spora. Wir sehen uns nicht als neutrale Institution, sondern setzen auf Emotionalität, per- sönliche Erzählungen und interdisziplinäre Teams. Die Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, hat neulich geradezu enthusias- tisch für eine Rückführung der Kölner Bronzen plädiert. Ihr Bekenntnis war einfach umwerfend. Das hat sich in Windeseile international ver- breitet. Sogar Godwin Obaseki, der Gouverneur von Benin City, hat Frau Rekers Aussagen auf Twitter kommentiert. Es sind spannende Zeiten, und Welche Häuser werden mit der Rückführung beginnen? Ich denke, das wird zuerst die Berliner und Hamburger Bestände betreffen, kleinere Einrichtungen werden folgen. In Köln sind wir bereit; Ge- spräche mit Stadtrat und Kul- turausschuss zu rechtlichen und verwaltungstechnischen Bedingungen starten schon. Momentan kursiert der bedrohliche Begriff des »Ent- sammelns«. Müssen die traditionellen Sammlungen um ihre Zukunſt fürchten? In deutschen Museen allein existieren 1,5 Millionen Kultur- güter aus dem Globalen Süden, wovon gerade einmal fünf Pro- zent gezeigt werden. Millionen an Speeren, Töpfen, Körben oder Sakralobjekten bezeugen unsere Mentalität des Akkumu- lierens. Das muss sich ändern, denn eine Reparatur des Un- rechts, eine Heilung muss auch schmerzen. Trotzdem werden die Häuser niemals leer werden. Wir sollten genauso darüber nachdenken, was wir alles nicht gesammelt haben: Zeugnisse der Unabhängigkeitsbewegun- gen, Objekte, die von transkul- turellen Einflüssen berichten oder afrikanische Filmplakate aus dem 20. Jahrhundert. Hier sehe ich die spannende Zukunſt unserer Museen, die wir auf Au- genhöhe mit Akteuren, etwa aus Nigeria oder Ghana gestalten. // Reparatur des Unrechts INTERVIEW Die Anthropologin Nanette Snoep über Deutschlands Vorreiterrolle bei der Rückgabe der »Benin-Bronzen«, Heilungsschmerzen und neue Perspektiven für die ethnologischen Museen »Wir sehen uns nicht als neutrale Institution, sondern setzen auf Emotionalität, persönliche Erzählungen und interdisziplinäre Teams« Deutschland spielt hier wirk- lich die absolute Vorreiterrolle. Sie haben bis 2014 überwie- gend in Frankreich gearbeitet, wo es bislang nur Absichts- erklärungen gibt. Wie erklären Sie sich das günstige Klima in Deutschland? Frankreich hat ja eine deutliche koloniale Vergangenheit, und der Neokolonialismus ist dort immer noch sehr präsent. Das findet man in Deutschland aus historischen Gründen nicht in diesem Ausmaß, hier herrsch- te eher eine diesbezügliche Am- nesie – oder besser Aphasie. Das Thema wird von der Aufar- beitung der NS-Vergangenheit überlagert. Mit der Restitutions- geste stellt sich Deutschland international in ein günstiges Licht. Das übt natürlich Druck auf die anderen Länder aus, auch auf die Niederlande oder Großbritannien. Wir werden sicherlich noch viele bisher un- bekannte Bronzen finden; die Büchse der Pandora ist geöffnet. JOURNAL NACHRICHTEN UND DEBATTEN JOURNAL NACHRICHTEN UND DEBATTEN 5 INHALT // JULI 2021

Transcript of TITEL AUSSTELLUNGEN 10 RADAR LOUISA CLEMENT …

50BIL L TR AYL OR

62MONOL I THEN

74VERENA L OEWEN SBERG

L INN S C HRÖDER

86

ANNE IMHOF

22

40L OU I SA C L EMEN T

4

4 190108 414000

07

A N N E I M H O F I M I N T E R V I E W : Die Performance-Künstlerin in Paris

E S S AY : Das Kunstmuseum auf dem Weg ins 21. Jahrhundert

D I G I TA LE S I C H Wie Louisa Clement mit künstlicher Intelligenz experimentiert

DA S K U N S T M AG A Z I N // J U L I 2 0 2 1

D € 14,00 // A € 15,50 // CH sfr 22,00 // P (cont.), I, E € 18,00 // B, NL, LUX € 16,00

JULIAUGUSTSEPTEMBEROKTOBER

2021

S A I S O N

Die wichtigsten Kunst-Termine

07_Saison_Titel.indd 207_Saison_Titel.indd 2 03.06.21 11:1803.06.21 11:18

Ein Wal versinkt mit seiner Schnauze im Boden des saarlandmuseums, seine imposante Fluke ragt in das

rund 15 Meter hohe Atrium auf. Das Tageslicht, das durch die Glasdecke fällt, durchdringt seinen Körper, der aus Tausenden, an feinen Nylonfäden hängenden blauen Plastikfetzen zu-sammengesetzt ist. In einem abge-dunkelten Raum wiederum schießt eine Schleiereule durch einen schwe-benden Würfel aus Distelsamen und Schmeißfliegen, lässt sie durch ihren Flügelschlag zur Seite stoben und erstarrt – kurz bevor sie mit ausge-breiteten Schwingen ihre Beute kral-len kann. Wal und Eule, ebenso wie Katzen, Hirsche, Hasen, Mäuse, Füch-se und Schmeißfliegen gehören zum geheimnisvollen Kosmos, den die nordirische Künstlerin Claire Morgan in ihrer Soloschau »Joy in the Pain« auferstehen lässt.

Dabei scheint die 40-Jährige für einen Moment lang die Zeit anzuhal-ten. Sie friert Tiere in ihren Bewegun-gen ein wie Naturfotografen ihr Motiv. Dazu hüllt sie die Körper in geometri-sche Volumen wie Kuben und Kugeln aus Kunststofffetzen, setzt den orga-nischen Silhouetten also gerade Li-nien entgegen und weist so die Wild-heit in ihre Schranken. Zugleich gibt sie den Tieren damit auch Schutz-zonen, die uns ihre fragile Schönheit, ihre Bedrohung und Vergänglichkeit vor Augen führen – bis hin zum Tod.

Der begegnet einem besonders drastisch auf ihren Kohlezeichnungen, Tuschemalereien und Vorstudien für ihre Installationen: Denn oft nutzt sie das Bütten, auf denen sie die Tiere präpariert, als Malgrund und platziert filigranste Zeichnungen hinabstürzen-

der Vögel auf Blutlachen und Körper-säften. Das könnte man falsch ver-stehen. Als Lust am Blutrünstigen, Brutalen. Das Gegenteil ist der Fall: Das Anliegen der ausgebildeten Tier-präparatorin und Tierliebhaberin ist es, auf die Verletzlichkeit der Fauna hinzuweisen – jedoch nie mit entwür-digenden Darstellungen. So ver-wendet Morgan, die in einem pitto- resken Wohnatelier im Nordosten Englands umgeben von Katzen ar- beitet, nur »Roadkill«, also tierische Verkehrsopfer. Dabei handelt es sich um sogenannte Kulturfolger wie Eulen und Füchse, die vom Wald Richtung Stadt ziehen.

»Spannend ist, dass sich Morgan nicht auf Zivilisationskritik reduziert«, sagt Andrea Jahn, Direktorin des saarlandmuseums. »Statt Betroffen-heit erzeugen zu wollen, lässt sie das Poetische, Märchenhafte ihrer Wer- ke zu und fasziniert mit handwerkli- cher Feinheit und Akribie.« Übrigens taucht der Wal, den die Künstlerin für die Halle des Erweiterungsbaus kon-zipiert hat, nun dauerhaft durch das Museum. // CAMILLA PÉUS

Im Bann der SchleiereuleDie Nordirin zeigt eine Welt zwischen Schönheit und SchreckenClaire Morgan: Joy in the Pain, Saarbrücken, Saarlandmuseum, 10.07.2021—06.02.2022

V O R B E R I C H T

Der Katalog zur Ausstellung erscheint im Kerber Verlag und kostet rund 38 Euro.

Gegen Vorlage ihrer artCard erhalten unsere Abonnenten ermäßigten Eintritt.

Die präparierte Eule schwebt in einem riesigen Würfel aus Distelsamen und Schmeißfliegen, die auf Nylonfäden aufgezogen sind

HERE IS THE END OF ALL THINGS, 2011

Für den Affen eine gefährliche Begegnung

SNAKE, 2018, 183 X 184 CM

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AUSSTELLUNGEND I E H Ö H E P U N K T E

I M J U L I

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TITEL

LOUISA CLEMENT Was passiert, wenn man sich selbst als mit künstlicher Intelligenz ausge-stattete Puppe vervielfältigt und in die Welt entlässt? Ein Porträt der Bonner Künstlerin, die Skulpturen zu scheinbarem Leben erweckt 40

RADAR

BILDER DES MONATS Versöhnliche Lanzen in Venedig, Heather Phillipson in der TaTe BriTain, Schaum-Performance in Linz. KUNST

AUS DEM OFF Gästekartei eines Grandhotels. KUNST FÜR EINE BESSERE WELT Erdhäuser aus dem 3-D-Drucker. AKTUELL ÜBER-

SCHÄTZT Der alte Kunstmarkt 10—20

THEMEN

ANNE IMHOF 2017 gewann sie mit ihrer Faust-Performance in Venedig den Goldenen Löwen, jetzt hat sie im Pariser Palais de Tokyo ihre größte Schau – ein Interview 22

MUSEEN IM 21. JAHRHUNDERT Zwischen Tempel und öffentlichem Diskursraum: ein Essay darüber, wie das Kunstmuseum heute seine Rolle sucht 34

BILL TRAYLOR Er wurde noch als Sklave ge-boren, schlug sich dann als Randexistenz durchs Leben – und schuf dabei als Straßen-maler ein faszinierendes, kraftvolles Werk 50

MONOLITHEN Erst tauchte in der Wüste von Utah eine rätselhafte glänzende Stele auf, dann plötzlich vielerorts in der Welt. Eine kurze Geschichte der vertikalen Kunst 62

BILDSEMINAR Wolfgang Ullrich über die missglückten Inszenierungen des Medien- kanzlers Gerhard Schröder 72

VERENA LOEWENSBERG Lange galt die konkrete Kunst als reine Männerdomäne. Mit Loewensberg werden nun eine ganze Reihe Künstlerinnen entdeckt, die mathematisch basierte oder geometrische Bilder malten 74

LINN SCHRÖDER Mit einem sehr persönli-chen Fotoprojekt verknüpft die Berliner Künst-lerin die Erinnerungen über Generationen 86

MEILENSTEINE Ein Bronzerelief aus dem Königreich Benin 94

STARTER Diesmal Mary Audrey Ramirez 100

AUSSTELLUNGEN

SAARBRÜCKEN Claire Morgan 110

AACHEN Dürer war hier 112

ESSEN Tobias Zielony 113

BREGENZ Anri Sala 114

BERLIN Diversity United 115

FRANKFURT/M. Neu sehen – Die Fotografie der 20er und 30er Jahre 116

AMSTERDAM Sklaverei 118

VENEDIG Architekturbiennale 119

WIEN Lois Weinberger 120

LONDON Paula Rego 121

KALENDER

Die internationalen Kunsttermine im Überblick 122

JOURNAL

BENIN-BRONZEN Interview mit der Kölner Museumsleiterin Nanette Snoep 134

DIA ART FOUNDATION Wiedereröffnung der New Yorker Institution nach Renovierung 136

HONORAR Künstler fordern gerechtere Vergütung bei Museumsausstellungen 137

UNTERWASSERKUNST Wie Italien sein Kulturerbe im Meer schützen will 138

AUSSER HAUS Hommage an den Brasilianer Paulo Mendes da Rocha 139

IM FILM Vergessene Künstlerinnen, Weltverbesserer und Racheengel 140

VERMARKTUNG Hollywood-Agenturen vertreten jetzt auch bildende Künstler 141

FOTOFESTIVAL Interview mit renconTres d’arles-Direktor Christopf Wiesner 142

VIEL HOLZ Die ehrliche Buchkolumne 143

KINDER ERKLÄREN KUNST Quentin Massys’ Eine groteske alte Frau 146

RUBRIKEN

Editorial 3

Betreff: arT 6

Leserservice, Impressum, Fotovermerke 144

Im nächsten Heft 145

TITELBILD: Louisa Clement (links) mit ihrer künstlichen Doppelgängerin

FOTO: JULIA SELLMANN

110 AUSSTELLUNGEN

134 JOURNAL

10 RADARWir müssen sprechenObwohl die Konstruktion aus spitz in den Himmel aufragenden Lanzen martialisch aussieht, ist der Sinn dieser Konstruktion ein friedlicher: Der runde Holzbau, den der chileni-sche Architekt Alejandro Aravena auf der noch bis 21. November in Venedig stattfindenden architektur-biennale im Arsenale errichtet hat, soll ein Ort der Versöhnung und Aus-sprache sein. Damit thematisiert er den seit Staatsgründung 1818 in Chile herrschenden Konflikt zwischen dem indigenen Volk der Mapuche und dem chilenischen Staat. Das Land der Mapuche wurde enteignet, das Volk wird bis heute unterdrückt. Mit dieser Arbeit bezieht Aravena Stellung für die Rechte der Mapuche und setzt die Leitfrage der Biennale, »Wie werden wir zusammen leben?«, drastisch und gekonnt in Szene.

R ADARBILDER+THEMENDES MONATS

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EXTRA-HEFT

Die wichtigsten Ausstellungen im Sommer und Herbst

Hat keine Angst vor heiklen Themen: Nanette Snoep ist seit Anfang 2019 Direktorin des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums

Plötzlich geht alles ganz schnell. Schon nächstes Jahr will Deutschland

die ersten Benin-Bronzen an Nigeria zurückgeben. Mit dem Vorstoß überholt es sogar Frank- reich, wo sich nur wenig be-wegt hat, seit Emmanuel Macron 2017 die unbedingte Restitu-tionsbereitschaft für koloniales Raubgut verkündete. Auch Nanette Snoep, von 2015 bis 2018 Direktorin der Staatlichen ethnografiSchen Sammlun-gen SachSen, stieß mit ihrem Aktivismus zur Rückgabe von Exponaten zunächst auf we- nig Resonanz. Seit Anfang 2019 leitet sie das Kölner rauten-Strauch-JoeSt-muSeum und erlebt jetzt den enormen Erfolg ihrer Bemühungen. art: Was ist in Köln anders als in Dresden, was ist 2021 anders als 2018?Nanette Snoep: Die Debatte wird heute von der Bundespoli-tik geführt, weit öffentlicher als noch vor einigen Jahren. Zu-dem ist den Museen viel klarer, dass es hier um ein europäi-sches Problem geht und nicht um ein deutsches. Und Köln ist sowieso eine sehr weltoffene Stadt. Das rautenStrauch- JoeSt muSeum ist kein so kom-plexes Gebilde wie der staatli-che Museumsverband in Sach-sen und funktioniert daher ein-

facher. Zudem war es jedem hier sofort klar, wie ich ticke. Man wusste ganz genau, dass ich heikle Themen angehe. Mit der aktuellen Ausstellung »Resist!« beleuchten wir ge- rade den antikolonialen Wider-stand im Globalen Süden, wobei wir die Konzeption und Vermittlung eben nicht nur weißen Museumsmitarbei-tern überlassen, sondern Ak-teuren aus der hiesigen Dia-spora. Wir sehen uns nicht als neutrale Institution, sondern setzen auf Emotionalität, per-sönliche Erzählungen und interdisziplinäre Teams.Die Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, hat neulich geradezu enthusias-tisch für eine Rückführung der Kölner Bronzen plädiert. Ihr Bekenntnis war einfach umwerfend. Das hat sich in Windeseile international ver-breitet. Sogar Godwin Obaseki, der Gouverneur von Benin City, hat Frau Rekers Aussagen auf Twitter kommentiert. Es sind spannende Zeiten, und

Welche Häuser werden mit der Rückführung beginnen?Ich denke, das wird zuerst die Berliner und Hamburger Bestände betreffen, kleinere Einrichtungen werden folgen. In Köln sind wir bereit; Ge- spräche mit Stadtrat und Kul-turausschuss zu rechtlichen und verwaltungstechnischen Bedingungen starten schon.Momentan kursiert der bedrohliche Begriff des »Ent-sammelns«. Müssen die traditionellen Sammlungen um ihre Zukunft fürchten?In deutschen Museen allein existieren 1,5 Millionen Kultur-güter aus dem Globalen Süden, wovon gerade einmal fünf Pro-zent gezeigt werden. Millionen an Speeren, Töpfen, Körben oder Sakralobjekten bezeugen unsere Mentalität des Akkumu-lierens. Das muss sich ändern, denn eine Reparatur des Un-rechts, eine Heilung muss auch schmerzen. Trotzdem werden die Häuser niemals leer werden. Wir sollten genauso darüber nachdenken, was wir alles nicht gesammelt haben: Zeugnisse der Unabhängigkeitsbewegun-gen, Objekte, die von transkul-turellen Einflüssen berichten oder afrikanische Filmplakate aus dem 20. Jahrhundert. Hier sehe ich die spannende Zukunft unserer Museen, die wir auf Au-genhöhe mit Akteuren, etwa aus Nigeria oder Ghana gestalten. // INTERVIEW: SUSANNE ALTMANN

Reparatur des Unrechts INTERVIEW Die Anthropologin Nanette Snoep über Deutschlands Vorreiterrolle bei der Rückgabe der »Benin-Bronzen«, Heilungsschmerzen und neue Perspektiven für die ethnologischen Museen

»Wir sehen uns nicht als neutrale Institution, sondern setzen auf Emotionalität, persönliche Erzählungen und interdisziplinäre Teams«

Eine von 94 »Benin-Bronzen« aus der Sammlung des Ethnologen Wilhelm Joest (1852 bis 1897), die den Grundstock des Kölner Rauten-strauch-Joest- Museums bildet

GEDENKKOPF EINER KÖNIGINMUTTER, 44 X 24 X 27 CM, 16./17. JH.

Deutschland spielt hier wirk-lich die absolute Vorreiterrolle. Sie haben bis 2014 überwie-gend in Frankreich gearbeitet, wo es bislang nur Absichts-erklärungen gibt. Wie erklären Sie sich das günstige Klima in Deutschland?Frankreich hat ja eine deutliche koloniale Vergangenheit, und der Neokolonialismus ist dort immer noch sehr präsent. Das findet man in Deutschland aus historischen Gründen nicht in diesem Ausmaß, hier herrsch-te eher eine diesbezügliche Am- nesie – oder besser Aphasie. Das Thema wird von der Aufar-beitung der NS-Vergangenheit überlagert. Mit der Restitutions-geste stellt sich Deutschland international in ein günstiges Licht. Das übt natürlich Druck auf die anderen Länder aus, auch auf die Niederlande oder Großbritannien. Wir werden sicherlich noch viele bisher un- bekannte Bronzen finden; die Büchse der Pandora ist geöffnet.

Ihr Großvater war König von Benin, ihre Mutter die erste Frau, die in Nigeria Bronzeskulpturen herstellte: Die Künst- lerin Peju Layiwola erinnerte 2014 in Benin City mit dem Projekt »Whose Centenary?« an den Raub der Benin-Bronzen. Es ist Teil der Ausstellung »Resist!« im Rautenstrauch-Joest-Museum (bis 5. September 2021)

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J O U R NA LNAC HRIC HTEN

UND DEBATTEN

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UND DEBATTEN

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