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Tobias Michael Schmid Florence Simonetta

Masterstudent in Angewandter Psychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, Zürich

Masterstudentin in Angewandter Psychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, Zürich

[email protected] [email protected] Dieses Trainingshandbuch wird im Rahmen der Masterarbeiten der Autoren in Angewandter Psychologie an der ZHAW in Zürich empirisch untersucht (Schmid, in Vorbereitung; Simonetta, in Vorbereitung). Das vorliegende Werk ist urheberrechtlich geschützt. Ganz herzlichen Dank für die u.a. inhaltliche Unterstützung an: Herbert Assaloni (Praxis zum beherzten Leben, Winterthur) Claudia Faller (Charmant Ambulant, Basel) Jan Martz (Praxis zum beherzten Leben, Winterthur) Ukaegbu Okere (Institut für Angewandte Psychologie IAP, ZHAW, Zürich) Stefan Wagler (Deutsche Gesellschaft für Kontextuelle Verhaltenswissenschaften DGKV, Berlin) Und fürs Gegenlesen ein herzliches Dankeschön an: Roland Schönholzer, Priska Simonetta und Isabelle Zuber Zeichnungen (inkl. Umschlag) und Grafiken: © Tobias M. Schmid Umschlaggestaltung: Gerri Schmid, Basel Satz: Florence Simonetta 1. Auflage 2020 © Tobias Michael Schmid und Florence Simonetta

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Inhalt

Einleitung .............................................................................................................................. 1 Wie genau funktioniert das ACT4Care-Training? ........................................................................ 1 Wo soll es für Sie hingehen? ....................................................................................................... 4 Sind Sie bereit? ........................................................................................................................... 5 Was ist ACT? ............................................................................................................................... 6 Die 3 ACT-Prozesse ..................................................................................................................... 7

Kapitel 1 – Präsent sein ....................................................................................................... 10 Überall scheint es besser zu sein, als hier ................................................................................. 11 Mit Achtsamkeit durch den Sturm des Lebens navigieren ........................................................ 12 Wir beobachten, also sind wir mehr als unsere Empfindungen ................................................ 14 Trockenüben für den Ernstfall .................................................................................................. 16

Kapitel 2 – Offen sein .......................................................................................................... 18 Die Monster auf unserem Weg ................................................................................................. 19 Was ist Akzeptanz? ................................................................................................................... 23 Wenn uns die Monster packen ................................................................................................. 25 Mit Akzeptanz die Monster zu unseren Freunden werden lassen ............................................ 26

Kapitel 3 – Tun, worauf es ankommt ................................................................................... 34 Werte als Navigations-Hilfsmittel ............................................................................................. 35 Was tun, wenn wir vom Weg abkommen und der Wert aus dem Blick gerät? ......................... 40

Wünsche von Herzen ........................................................................................................... 44 Literatur............................................................................................................................... 45

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Einleitung

Herzlich Willkommen zum ACT4Care-Training! Wir freuen uns sehr, dass Sie sich für die Teilnahme an unserer Studie entschieden haben. Wir sind Florence Simonetta und Tobias M. Schmid und begleiten Sie durch dieses Training. Wir werten auch die Fragebögen aus, die Sie online ausfüllen.

Unser Ziel mit dieser Studie ist ja, herauszufinden, wie sich das Training auf Ihr Befinden und auf Ihr Stresserleben auswirkt. Bestimmt haben Sie auch Wünsche an das Training und Ihre guten Gründe, weswegen Sie sich dazu entschieden haben. Damit möchten wir uns später noch befassen. Zuerst geben wir Ihnen einen Überblick darüber, wie das Training genau ablaufen wird.

Wie genau funktioniert das ACT4Care-Training?

Das ACT4Care-Training besteht aus diesem Trainingshandbuch, dazugehörigen Audioübungen sowie weiteren (Übungs-)Materialien, welche Sie im Down-loadbereich unter folgendem Link finden: https://dgkv.info/aktuelle-forschung/act4care/

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Mit dem Training begeben Sie sich gleichsam auf eine Reise in ein neues, unbekanntes Land. Dabei sind die Audioübungen vergleichbar mit einem Reiseleiter und das Trainingshandbuch mit einem Taschenreiseführer. Idealerweise nutzen Sie beide Angebote. Das Training unterteilt sich in die drei Teile «Präsent sein», «Offen sein» und «Tun, worauf es ankommt». Das heisst, Sie befassen sich alle zwei Wochen mit einem der drei Kapitel. In der folgenden Grafik sehen Sie eine Übersicht über das Training.

Audioübungen sind im Handbuch mit dem folgenden Bild gekennzeichnet:

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Wir stellen Ihnen für die ersten beiden Kapitel jeweils zwei Audioübungen zur Verfügung. Sie müssen nicht beide machen, sondern können diejenige Übung wählen und durchführen, die Ihnen mehr zusagt. Es ist jeweils eine Übung von einer männlichen und eine Übung von einer weiblichen Stimme gesprochen. Wir möchten Sie gerne dazu anhalten, sich voll und ganz auf das jeweilige Kapitel einzulassen, ohne bereits weiterzuarbeiten. Dies ermöglicht es Ihnen, die einzelnen Prozesse vertieft zu lernen und zu trainieren, was für die folgenden Wochen und weiteren Prozesse wiederum sehr hilfreich ist. Sie müssen nicht das ganze Kapitel auf einmal lesen, sondern können sich dies, je nach Ihren zeitlichen Ressourcen, auch aufteilen. Wochen 1 und 2

Lesen Sie das erste Kapitel «Präsent sein» im Handbuch und trainieren Sie mit der Audioübung Nr. 1 «Innehalten und Ankommen» oder mit der Audioübung Nr. 2 «Ankommen im gegenwärtigen Moment». Die Audioübung Nr. 3 «Übung zum Selbstmitgefühl» befasst sich mit dem Thema des Selbstmitgefühls und ist nicht Bestandteil des eigentlichen Trainings, sondern als «Supplement» für Interessierte gedacht. Wochen 3 und 4

Lesen Sie das zweite Kapitel «Offen sein» und trainieren Sie mit der Audioübung Nr. 4 «Akzeptanzübung» oder Nr. 5 «Annahme und Akzeptanz von Gefühlen». Wochen 5 und 6

Lesen Sie das dritte Kapitel «Tun, worauf es ankommt» und führen Sie einmalig die Audioübung Nr 6. «Werteimagination» durch. Die Audioübung Nr. 7. «ACT-Übung» beinhaltet alle ACT Prozesse, die Sie bis dahin gelernt haben und ist für die tägliche Praxis geeignet. Wenn Sie das Gefühl haben, das Training tue Ihnen nicht gut oder wenn Sie sich Sorgen um Ihre Gesundheit machen, können Sie sich gerne bei uns melden: bei Florence Simonetta unter [email protected] oder Tobias Schmid unter [email protected].

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Durch die nächsten sechs Wochen werden Sie von uns begleitet. Sie begegnen aber auch anderen Reiseleitenden – oder zumindest deren Stimmen in den Audioübungen. Es sind dies Claudia Faller, diplomierte Pflegefachfrau sowie Herbert Assaloni, Psychiater.

Wir alle freuen uns, dass Sie sich mit uns auf diesen Weg machen und wünschen Ihnen dafür alles Gute, viel Mut und Freude.

Wo soll es für Sie hingehen?

Wir möchten Ihnen gerne die Möglichkeit geben zu überlegen, weshalb und wofür Sie dieses Training machen. Sie können sich die folgenden Fragen stellen: • Wieso habe ich mich dazu entschieden, dieses Training zu machen? Welches sind meine Gründe? • Warum könnte es sich für mich lohnen, meine Zeit in das Training zu investieren? • Angenommen, das Training wirkt bei mir: Welchen Effekt hätte es auf mein Leben? Woran würde ich das merken? Wie würde sich das in

meinem Alltag anfühlen?

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Sie sind sich Ihrer Gründe bewusst geworden, warum es für Sie lohnenswert ist, Ihre Zeit und Kraft in dieses Training zu investieren. Um die Effekte des Trainings zu spüren, ist es nötig, dass wir uns regelmässig damit befassen – dass wir dran bleiben.

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Manchmal ist es aber so, dass wir uns zwar etwas vornehmen, es aber einfach nicht umzusetzen schaffen. Es stellen sich uns Hindernisse in den Weg. Zum Beispiel haben wir zu viel Stress, keine Lust, haben Angst oder sind zu unruhig. Schwierige Gedanken oder Emotionen wollen wir meist sofort loswerden. Teils auch mit Strategien, die auf lange Sicht schädlich sind. Wir nennen diese schwierigen Gedanken oder Gefühle «Hindernisse», weil sie uns meist davon abhalten ein selbstbestimmtes und glückliches Leben zu führen. In dem Training lernen Sie einen anderen Umgang mit diesen schwierigen Gedanken und Gefühlen. Sich eine neue Fähigkeit anzueignen, braucht einiges an Übung. Deshalb fragen wir Sie:

Sind Sie bereit?

Jetzt, da Sie wissen, wo Sie mit diesem Training hin möchten, warum Sie es machen und Ihnen auch bewusst ist, dass sich Ihnen auf dem Trainings-Weg Hindernisse entgegenstellen können, geht es darum, sich für den Weg zu entscheiden. Wenn Sie wissen, warum es für Sie wertvoll sein kann, den Weg zu gehen, fällt es Ihnen leichter, dabei zu bleiben, auch wenn Widerstände auftreten.

Sind Sie bereit, den Weg zu gehen? Und sind Sie bereit, mit sich selber die Verabredung einzugehen, dass Sie regelmässig üben wollen? Sind Sie dafür auch bereit, Schwierigkeiten und Anstrengungen an- und mitzunehmen, anstatt das Training aufzugeben?

Wochenübersicht

Um Ihnen das Dranbleiben ein wenig zu vereinfachen, haben wir für Sie eine Wochenübersicht gestaltet, auf der Sie an jedem Tag, an dem Sie mit ACT4Care trainiert haben, ein Häkchen setzen können. So sehen Sie auf einen Blick, wo Sie sich auf dem Weg befinden. Falls Sie diesen Trainingsplan verwenden möchten, können Sie ihn im Download-Bereich auf der Seite «Ihre Trainingsmaterialien» herunterladen und digital oder von Hand ausfüllen. Sie finden ihn auch unter folgendem Link: Ihr ACT4Care-Trainingsplan.

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Mit den Fragen, die Sie sich vorhin gestellt hatten, sind wir schon mitten in den ACT-Prozessen. Da stellt sich natürlich die Frage, was ACT denn eigentlich ist? Schauen wir uns den Begriff mal etwas näher an.

Was ist ACT?

ACT ist ein Akronym (Kürzel) und steht für «Akzeptanz- und Commitment-Training» und wird ausgesprochen wie das englische Wort «act», was auf Deutsch «handeln» bedeutet. Grob gesagt, geht es darum, trotz unangenehmen Gefühlen und Zuständen, die sich uns in den Weg stellen können, zu handeln – und dies in einer für uns wertvollen Art und Weise. Wir möchten gerne versuchen, anhand Ihres Berufsalltags in der Pflege aufzuzeigen, was ACT ist. In Ihrem Berufsalltag sind Sie bereit, sich auch in stressigen Situationen gut um die Patienten und Patientinnen zu kümmern. Sie bleiben ruhig und fokussiert trotz Stress, wenig Schlaf und hohen Anforderungen. Etwas an Ihrem Beruf ist es Ihnen wert, all das anzunehmen und durchzuhalten. Vielleicht ist es das Lächeln einer Patientin oder die Tatsache, dass Sie Menschen helfen können. Dies kann Ihren Job zu einem für Sie wertvollen Job machen. Und wenn Ihnen manchmal nicht danach ist, beispielsweise wenn Sie eine Spätschicht hatten und am nächsten Morgen wieder zum Frühdienst erscheinen müssen, so nehmen Sie möglicherweise Müdigkeit oder Unlust wahr. Die Müdigkeit oder Unlust lässt Sie vielleicht grantig reagieren. Dies kann dazu führen, dass Sie Ihre Arbeit nicht so ausführen können, wie es Ihnen wichtig wäre. Langfristig kann Sie das unzufrieden machen. Wenn Sie sich aber entscheiden, die Müdigkeit und Unlust anzunehmen und trotzdem zu tun, was für Sie wichtig ist (z.B. freundlich und wertschätzend sich selbst und den Patientinnen und Patienten begegnen), betreiben Sie im Grunde ACT. Dies trägt langfristig zu einem sinnerfüllten Leben bei. Dazu werden drei Fertigkeiten benötigt: «Präsent sein», «Offen sein» und «Tun, worauf es ankommt». Diese drei Fertigkeiten lernen Sie im ACT4Care-Training.

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Die 3 ACT-Prozesse

Präsent sein

Meist reagieren wir automatisch auf all unsere Gedanken und Gefühle. Damit wir uns dessen bewusst werden, müssen wir einen kleinen Moment innehalten und registrieren, was sich in uns im Hier und Jetzt abspielt. Wir haben alle eine innere Wortmaschine in uns, welche Gedanken erzeugt. ACT üben heisst, Gedanken, Gefühle und Handlungsimpulse zu beobachten – ohne sofort darauf zu rea-gieren. Diese Art der Präsenz trainieren Sie mit den Achtsamkeitsübungen. Offen Sein

Häufig geht es uns, wie in dem Bild unten. Wir befinden uns eingesperrt und blockiert durch Metallstäbe, welche uns von der schönen Welt abtrennen und uns einengen. Halten wir einen Moment inne und nehmen einen gewissen Abstand, merken wir, dass wir es selbst sind, die uns an den Käfigstäben festhalten. Wir könnten diese auch aus Distanz beobachten und so merken, dass der Käfig nur ein paar Stangen sind. Die Käfigstäbe sind unsere Gedanken und Bewer-tungen wie: Was denken die anderen wohl über mich? Ich habe so viel zu tun und darf mir keine Zeit nehmen für die Patienten. Ich bin viel zu schwach und müde, um gut zu mir zu schauen. Wir können die Stäbe nicht wegmachen, doch wir können entscheiden, ob wir uns an den Stäben festhalten und die Welt durch dieses Gedanken-Gitter hindurch sehen, oder ob wir uns davon lösen und es einfach da-sein lassen wollen.

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Tun, worauf es ankommt

In den nachfolgenden Bildern sehen Sie einen Weg, der zu einem wertvollen Leben führt. Vielleicht haben Sie bereits eine Ahnung davon, was für Sie ein wertvolles Leben ist. Sie haben zuvor gelesen, dass sich uns auf dem Weg zu einem wertvollen Leben Hindernisse, in Form von Gedanken und Gefühlen, in den Weg stellen können. Solche Hindernisse sind in den Bildern als «Monster» dargestellt. Die Monster sagen Ihnen Dinge wie: Du hast keine Zeit fürs Training. Du bist jetzt gerade zu müde und hast zu wenig Energie. Es wird bestimmt ganz unangenehm, wenn Du Dich so mit Dir selbst befassen musst. Wir tendieren dazu, vor den Monstern wegzulaufen und den Weg der Vermeidung einzuschlagen.

Auf dem Bild rechts sehen Sie, wie die Person ihre Monster an der Hand nimmt und ihren Weg fortsetzt. Die Person hat sich entschieden, ihre Gedanken und unangenehmen Gefühle an die Hand zu nehmen und statt des Weges der Vermeidung den Weg in Richtung eines wertvollen Lebens zu gehen. Sie tut, worauf es ihr ankommt.

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Mögliche Hindernisse

Welche Monster könnten sich Ihnen in den Weg stellen? Was sagen sie Ihnen? Womit wollen sie Sie vom Training abhalten? Nehmen Sie sich nochmals ein paar Sekunden Zeit, um sich zu überlegen, welche Gedanken und Gefühle (Hindernisse) sich Ihnen in den Weg stellen könnten, wenn Sie sich täglich dem ACT4Care-Training widmen wollen. Begegnen Sie doch mal neugierig all diesen kritischen Ge-danken und unangenehmen Gefühlen und schreiben Sie diese auf.

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Wenn wir präsent sind, uns für unsere inneren Hindernisse öffnen und tun, worauf es uns ankommt, dann haben wir das Ziel dieses Trainings erreicht: Wir haben unsere «Psychologische Flexibilität» erhöht. Psychologische Flexibilität ist eine Fertigkeit, die sehr hilfreich ist, wenn es darum geht, ein qualitätsvolles Leben zu führen. Sie setzt sich aus den drei Prozessen zusammen, die wir in diesem Training lernen1.

Nun haben Sie einen ersten Überblick über ACT und dieses Training erhalten und sind gut gerüstet für die nächsten Wochen. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Training – wir sind davon überzeugt, dass Sie Wertvolles entdecken können, wenn Sie sich darauf einlassen. Und keine Sorge: Sie werden alles Schritt für Schritt lernen.

1 Nach Harris (2011)

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Kapitel 1 – Präsent sein

“Im Stress effektiv zu arbeiten, sich wohlzufühlen, gesünder, entspannter und glücklicher zu werden: Dies alles sind nennenswerte Gründe, um sich immer wieder zu sammeln.” Jon Kabat-Zinn

Audioübung Nr. 1: «Innehalten und Ankommen» (10 min), zur täglichen Übung oder Audioübung Nr. 2: «Ankommen im gegenwärtigen Moment» (10 min), zur täglichen Übung Zusatz-Audioübung Nr. 3: «Übung zum Selbstmitgefühl» (10 min), zur täglichen Übung geeignet

Sie kennen sicher die Situation: Sie haben noch eine Menge zu tun und die Zeit drängt. Sie registrieren bei sich den Gedanken: Wenn ich dies nicht alles bis zum Dienstende hinkriege, dann muss sich die Folgeschicht darum kümmern. Und darauf folgt bereits der nächste Gedanke: Was werden die wohl über mich denken, wenn die Arbeit liegen bleibt? Sie verspüren Stress, leichte Angst und quasi automatisch verschnellern Sie Ihren Schritt, fragen die Patientinnen und Patienten nicht mehr neu-gierig, wie es ihnen heute gehe, sondern bringen nur noch knapp ein gut geschlafen? heraus und hören die Antwort kaum ab, sondern hasten weiter. In Ihrem Automatismus erkennen Sie nicht genau, was Sie stresst oder belastet. Sie vergessen zu trinken und haben irgendwann Kopfschmerzen. Kommt Ihnen das bekannt vor? Häufig reagieren wir auf diese Du-hast-keine-Zeit-Monster automatisch mit Stress, dabei ist der Gedanke Wenn ich dies nicht alles hinkriege, dann… vorerst nur ein Gedanke. Wenn wir präsent und achtsam sind, können wir immer wieder innehalten, uns sammeln und uns fragen, was jetzt gerade in uns vor sich geht. Dadurch erfahren wir ganz viel über uns. Darüber, wie wir funktionieren, welche Gedanken und Gefühle wir haben, welche Mechanismen sich in unserer Psyche abspielen. Wenn wir uns so gut kennen, können wir schneller Automatismen feststellen, die sich abspielen, zum Beispiel wenn wir in Stress geraten. Und wir können uns bewusst entscheiden, ob wir dem Automatismus nachgeben oder ob wir unser Handeln in eine andere Richtung lenken wollen. Ob wir beispielsweise trotz Stress mitfühlend und offen den Patientinnen und Patienten begegnen. Damit dies gelingt, möchten wir uns in diesem Kapitel vertiefter mit dem Thema «Präsent sein» auseinandersetzen. Mit den beiden Audioübungen können Sie diese Fertigkeit täglich trainieren.

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Überall scheint es besser zu sein, als hier

Wann haben Sie das letzte Mal einen Moment völlig bewusst erlebt? Die meisten Handlungen in unserem Alltag führen wir völlig automatisiert durch und sind dabei in Gedanken ganz woanders. Häufig nehmen wir auch unseren Körper gar nicht bewusst wahr, ausser wir sind krank und die normalen Abläufe schmerzen plötzlich. Auch im Alltag, während wir beispiels-weise einen Bericht über den einen Patienten schreiben, sind wir gedanklich schon bei der nächsten Aufgabe oder noch bei der vorherigen Aufgabe. Vielleicht haben Sie auch schon beim Lesen in diesem Trainings-Handbuch irgendwann gemerkt, dass Sie gar nicht wirklich dabei sind, sondern an ganz andere Dinge denken? Beim Einschlafen denken wir über anstehende Herausforderungen nach und machen uns Sorgen. Kriege ich das hin? Was, wenn ich einen Fehler mache? Wir verspüren bereits Angst, obwohl die Situation noch gar nicht eingetroffen ist. Wir ängstigen uns schon nur wegen der gedanklichen Bewertung – in den Worten Epiktet’s gesprochen: «Nicht die Dinge selbst beunruhigen den Menschen, sondern die Vorstellung von den Dingen»2.

Grund für diese vielen Vorstellungen und Gedanken, die wir haben, ist unsere «Plappermaschine» im Kopf, also unser Verstand, welcher sich unablässig über die Vergangenheit oder die Zukunft Gedanken macht und diese bewertet und kommentiert. Vielleicht kennen Sie die Szene: Sie sind bei der Arbeit und wünschen sich frei zu haben und denken: Wenn ich nur nicht arbeiten müsste, dann ginge es mir besser.

Dann sind Sie wirklich mal in den Ferien und denken: Der Sonnenuntergang war letztes Mal schöner. In beiden Situationen sind Sie nicht vollkommen im realen Moment präsent. Um diese Verbindung zum gegenwärtigen Moment zu stärken (auch wenn Ihre Gedanken Sie im-mer wieder wegtragen oder Sie in Ihren Gefühlen drohen unterzugehen), üben wir Achtsamkeit.

2 Aus Kraus (1996)

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Mit Achtsamkeit durch den Sturm des Lebens navigieren

“Sich des Atems bewusst zu werden ist eine Möglichkeit, im gegenwärtigen Moment anzukommen.»

Thich Nhat Hahn Durch Achtsamkeit gelangen wir zu einer neuen, grosszügigen Art von «Kontrolle» über unser Leben. Mit Kontrolle ist dabei nicht ein Im-Griff-haben von Gefühlen oder Ereignissen gemeint, sondern eine Haltung, welche wir gegenüber der Innen- und Aussenwelt einnehmen können. Kontrollverlust löst häufig Angst aus und umso häufiger handeln wir dann kopflos. Vieles in unserem Leben entzieht sich jedoch unserer Kontrolle, beispielsweise unsere Gefühle, Gedanken und das Leben selbst, ähnlich wie auch Wind und Wetter. Teilweise gelingen Dinge nicht, die wir anstreben, wir scheitern oder trauern um Verluste. Doch die Haltung, welche wir dazu einnehmen und ob wir wissen, die Winde und Wellen geschickt auszunutzen, Segel zu setzen, den Kurs auszurichten – dies alles entzieht sich nicht unserer Kontrolle. Es braucht Kenntnisse und Geschick, um gut und heil durch die inneren und äusseren Stürme hindurch zu manövrieren: dafür brauchen wir viel Training und Schlechtwetterfahrungen. In der Summe des Lebens erleben wir Glück und Leid, Schmerz und Freude, wir fühlen uns verletzlich und manchmal stark. Leben heisst auch fliessen lassen, geschehen lassen, denn es beinhaltet andauernde Veränderungen. Der Zweck der Achtsamkeitsmeditation ist, die kleineren oder grösseren Stresssituationen nicht mehr vermeiden zu müssen, sondern sie als Übungsfelder für unsere innere Haltung von Stabilität, Offenheit und Mitgefühl zu sehen. Es geht darum, einen Umgang mit diesen Wellen und Stürmen zu erlernen, quasi sturmerprobt zu werden, um im Sturm gelassener zu bleiben. Durch Achtsamkeit lernen wir, mit unseren Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen bewusst umzugehen. Wir können all dies als Rohmaterial zum persönlichen Wachstum betrachten – Moment für Moment. Denn jeder Augenblick ist wertvoll, auch wenn er Trauer oder unangenehme Gefühle mit sich bringt. Indem wir uns diesen öffnen, lernen wir, einen Ort der inneren Mitte zu finden3.

3 Nach Kabat-Zinn (2011)

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Das Jetzt, der gegenwärtige Moment, ist der einzige, den wir wirklich haben. Die Zukunft ist noch nicht da. Die Vergangenheit schon vorüber. Unserem Leben steht nur die Gegenwart wirklich zur Verfügung. Wir haben keine andere Zeit, um wirklich wahrzunehmen, wirklich zu handeln. Ver-bringen wir unsere Zeit beschäftigt mit Sorgen oder Sehnsüchten nach der Zukunft oder nach einer anderen Gegenwart, verpassen wir den jetzigen Augenblick. Das Annehmen von Situationen, Gedanken und Gefühlen, so wie sie jetzt sind, ermöglicht uns, ganz präsent zu sein. Die innere Einstellung bei Achtsamkeitsübungen ist wie die Erde, in die wir einen Samen legen. Sie ist das Fundament des Trainings. Eine Haltung geprägt von Offenheit, Geduld, Akzeptanz, Nicht-Greifen und Loslassen sind dabei wichtig. Diese Haltung kann aufgebaut werden durch das «Beobachter-Selbst» 4, welches im nächsten Kapitel näher erläutert wird.

4 Nach Harris und Aisbett (2013)

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Wir können uns darin beobachten, wie wir immer alles bewerten und meinen, Dinge zu wissen, anstatt offen zu sein für neue Lösungen; wie wir immer versuchen an Angenehmem festzuhalten anstatt es zu geniessen und dann wieder loszulassen; wie wir ungeduldig werden mit unseren Mitmenschen (oder uns selber), anstatt mitfühlend und geduldig zu sein; wie wir schmerzliche und unangenehme Dinge nicht erleben wollen, anstatt uns auch diesen zu öffnen und sie anzunehmen5.

Wir beobachten, also sind wir mehr als unsere Empfindungen

Alles, was wir sehen, hören, riechen, berühren, empfinden, denken und tun, kann vom Beobachter-Selbst wahrgenommen werden. Sie können sich zum Beispiel selbst dabei beobachten, wie Sie gerade diese Zeilen lesen. Das Beobachter-Selbst ist nicht ein Gefühl oder ein Gedanke. Es ist der stetige Ort in uns, von dem aus wir uns selbst und die Aussenwelt wahrnehmen können. Es kann beschrieben werden als «reines Gewahrsein», denn das Beobachter-Selbst bewertet oder kritisiert die Wahrnehmungen nicht und es verändert sich auch nicht. Das Beobachter-Selbst ist einfach da. Von unserer Geburt bis zu unserem Tod. Es ist die Quelle bedingungsloser Selbstakzeptanz, da es uns er-möglicht, auszutreten aus den selbstkritischen Gedanken und einzutreten in eine reine Wahrnehmung dessen, wie und was wir Moment für Moment erleben. Dies geschieht dadurch, dass das Beobachter-Selbst einfach wahrnimmt. Egal, ob wir nun gut oder schlecht über uns denken, oder unangenehme oder angenehme Erfahrungen machen6.

5 Nach Kabat-Zinn (2011) 6 Nach Harris (2008)

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Sie können sich das Beobachter-Selbst als Bergmassiv vorstellen. An dem Berg ziehen immer wieder verschiedene Arten von Wolken vorbei, es ist sonnig, es regnet oder schneit, es ist warm oder kalt. Aber der Berg bleibt vollkommen stabil an Ort und Stelle und beobachtet das Wetter- und Klimageschehen rundherum. So können auch Sie aus dieser Beobachter-Perspektive betrachten, was in Ihnen und in Ihrem Leben abläuft.

Das Beobachter-Selbst bleibt immer gleich, während es sonst in Ihrem Leben fortwährend Veränderungen gibt. Durch das Beobachter-Selbst können wir einen Schritt zurücktreten und all dem Treiben in und um uns gelassen zuschauen. Wir verbinden uns mit dem weiten, offenen Raum unseres Ge-wahrseins. Achtsamkeit zu üben, braucht Entschlossenheit und Disziplin. Ihre Entschlossenheit ist Ihre stärkste Verbündete. Ähnlich einem Hochleistungssportler, welcher auch bei schlechtem Wetter trainiert, lohnt es sich, gerade bei Stress und Stürmen den Ort der inneren Ruhe aufzusuchen und Achtsamkeit zu trainieren – ob es Ihnen danach ist oder nicht. Belohnt werden Sie mit der Fähigkeit, in Stresssituationen gelassener, toleranter und selbstsicherer zu werden. Und Sie tun einen ersten essentiellen Schritt auf dem Weg zu Ihren ganz persönlichen Zielen, die Sie zu Beginn der Einleitung niedergeschrieben haben7.

7 Nach Kabat-Zinn (2011)

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Trockenüben für den Ernstfall

Damit wir auch in der Hektik des Berufsalltags achtsam sein können, hilft es, wenn wir uns regelmässig an einem ungestörten Ort Zeit dafür nehmen. Acht-samkeit zu üben, ist wie Krafttraining.

Zu Beginn fällt es Ihnen schwer, achtsam und offen im gegenwärtigen Moment verankert zu sein und häufig werden Sie sich in Gedanken und Gefühlen ein wenig verlieren. Gedanken sind manchmal wie Angelhaken, an denen wir uns festbeissen und die uns aus dem gegenwärtigen Moment heraus ziehen. Indem Sie sich immer wieder sanft zurückbringen, stärken Sie mit der Zeit Ihren «Achtsamkeitsmuskel» und werden immer mehr in der Lage sein, im gegenwärtigen Moment verankert zu bleiben. So gelingt es Ihnen, sich immer wieder vom Haken der Gedanken befreien zu können.

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Deshalb finden Sie diese Woche eine Achtsamkeitsübung in der Audiodatei, die Sie wenn möglich täglich oder so oft wie möglich durchführen. Und falls Ihre «Plappermaschine» im Kopf wieder sehr laut wird, denken Sie daran: Das ist völlig normal. Sie können sich zurücklehnen und zuschauen, wie es plappert und sich anfühlt. Und seien Sie liebevoll mit sich selbst. Mit fortschreitender Übung tritt eine Ruhe ein, die zulässt, dass wir Gedanken und Gefühlen Raum geben können, ohne dass wir auf diese reagieren müssen. Und gleichzeitig bleiben wir verbunden mit uns selbst, unserem Körper und dem gegenwärtigen Moment.

Exkurs8 In helfenden Berufen sind Menschen, welche sehr mitfühlend und sensibel sind, stark vertreten. Diese Sensibilität führt häufig zu Stress, da die Emotionen der anderen intensiver miterlebt werden. Psychologen sprechen von Mitgefühlserschöpfung, welche bei allen helfenden Berufen, auch Pflegenden, häufig vorkommt. Deswegen ist es wichtig, dass Sie gut zu sich schauen und nicht nur mitfühlend mit Ihren Patientinnen und Patienten umgehen, sondern auch mit sich selbst. Wir können diese Fähigkeit der Sensibilität gut dazu nutzen. Nehmen Sie wahr, was Ihnen gut täte, was Sie benötigen, damit Ihnen wohl ist, und versuchen Sie sich dies zu geben. Sie können sich im Alltag selbst eine mitfühlende Begleitperson werden. Mehr dazu haben Sie im Kapitel zum Beobachter-Selbst gelesen. Eine Audioübung zum Thema Selbstmitgefühl finden Sie im Downloadbereich des ersten Kapitels.

8 Nach Neff (2012)

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Kapitel 2 – Offen sein

“Wie ein Anker ein Boot vor dem Abdriften bewahrt, sorgt die bewusste Atmung dafür, dass wir uns auf den Moment

konzentrieren und unser wahres Selbst nicht aus den Augen verlieren.” Thich Nhat Hanh

Audioübung Nr. 4: «Akzeptanzübung» (10 min), zur täglichen Übung Audioübung Nr. 5: «Annahme und Akzeptanz von Gefühlen» (10 min), zur täglichen Übung

Die vergangenen Wochen haben Sie gelernt, was es bedeutet, im Hier und Jetzt verankert zu sein. Dabei haben Sie gelernt, sich auf Ihre Atmung zu fokussieren und immer wieder dahin zurückzukehren, wenn Ihre Gedanken oder Gefühle Sie weggetragen haben. Sie haben sich auch mit dem Beobachter-Selbst befasst, aus dessen Position Sie beobachten können, was in Ihnen von Moment zu Moment geschieht. Sie haben sich dadurch geöffnet, um wahrzunehmen, was Ihr Verstand – Ihre «Plappermaschine» – Ihnen alles so erzählt, und Sie haben gelernt, Gedanken und Gefühle da sein zu lassen und – anstatt unmittelbar auf sie zu reagieren – sich wieder auf die Atmung zu fokussieren.

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In diesem Kapitel wollen wir uns noch mehr damit beschäftigen, wie Sie auch unangenehmen Empfindungen und Gedanken Raum geben, ja sie akzeptieren können. Es macht uns nicht dauerhaft glücklich, wenn wir stets ver-suchen, negative Erlebnisse zu vermeiden und nur positive Gefühle und Gedanken zulassen. Unangenehmes gehört ganz natürlich zum Leben dazu, genauso wie Angenehmes Teil davon ist. Es gilt nun zu üben, auch das Unangenehme anzunehmen, zu akzeptieren und uns in solch schwierigen Situationen bewusst zu werden, dass dies nur ein Aspekt unseres facettenreichen Lebens ist und nur einen Moment in unserem umfassenden Leben darstellt.

Die Monster auf unserem Weg

Wir haben zu Beginn des Handbuches schon ganz viel von Hindernissen gesprochen, welche uns im Weg stehen, wenn wir nach unseren Werten handeln wollen. In den Zeichnungen haben wir diese Hindernisse als Monster dargestellt. Monster verkörpern symbolisch die hinderlichen, negativistischen, Angst machenden Gedanken, die wir haben. Vielleicht haben Sie währenddessen auch ein paar Ihrer Gedankenmonster kennen gelernt, beispielsweise das Stress- oder das Unlustmonster oder das Du-bist-nicht-gut-genug-Monster. Einen guten Umgang mit den Monstern zu finden, ist wichtig. Denn diese Monster lösen in uns unangenehme Gefühle aus. Sie stressen uns, entmutigen uns oder machen uns Angst. Als Resultat laufen wir häufig vor ihnen davon oder versuchen gar nicht erst in Situationen zu geraten, in denen diese Monster aktiv werden. Wir versuchen sie zu vermeiden.

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Vielleicht kennen Sie die folgende Szene: In einer interdisziplinären Visite berichten Sie davon, dass Sie das Laborblatt bereits angeschaut haben und infor-mieren die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen über einen verbesserten Laborwert. Die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen fragen noch nach anderen Werten. Leider haben Sie nicht auf die anderen Werte geachtet und können über diese nichts sagen. Schon taucht bei Ihnen das Du-bist-nicht-gut-genug-Monster auf und trifft Sie mit harter Kritik. Als Folge fühlen Sie sich weniger wert und schämen sich vielleicht. Um diese Gefühle nicht nochmals zu erleben, schweigen Sie bei der nächsten Visite lieber, denn es könnte ja sein, dass Sie wieder etwas nicht wissen und sich dann noch schlechter fühlen. Sie vermeiden Situationen, in denen das Du-bist-nicht-gut-genug-Monster auftauchen könnte. Dies ist dann sehr schade, wenn sie eigentlich gerne initiative und aktive interdisziplinäre Mitarbeit pflegen wollen. Kommen Ihnen ähnliche Situationen in den Sinn? Situationen in denen eines Ihrer Gedankenmonster auftaucht? Wenn wir vor Situationen flüchten oder Situationen meiden, in denen sich unsere Gedankenmonster zeigen könnten, laufen wir auch vor uns selbst davon. Wir lassen die Angst vor diesen Monstern unser Leben diktieren und können nicht mehr frei entscheiden, was wir als nächstes tun. Wenn wir ein Leben voller Sinn und Bedeutung aufbauen wollen, lohnt es sich, unsere Monster gut kennen zu lernen. Deswegen wollen wir uns genauer mit ihnen beschäftigen. Das ACT4Care-Training ist sozusagen der sichere Spielplatz, auf dem Sie ihre Monster kennen lernen können, bevor Sie im Alltag die ACT-Techniken anwenden. Es könnte zum Beispiel sein, dass Sie, während Sie in diesem Handbuch lesen, denken: Das langweilt mich ja total, das weiss ich ja schon alles. Und wenn Sie die Übungen machen wollen, taucht plötzlich das Stress-Monster auf, das Ihnen sagt, dass Sie nun keine Zeit hätten, um innezuhalten. Wenn Sie diese Gedanken unmittelbar für wahr halten, sind Sie nicht mehr offen für das Geschriebene oder die Übung. Zudem lösen solche Gedanken unangenehme Gefühle wie Stress, Ungeduld oder Langeweile aus. Langeweile verlangt automatisch nach unmittelbarer Ablenkung. Deswegen surfen Sie dann lieber im Internet oder schauen Serien. Doch genau solche Reaktionen auf unsere Gedankenmonster sind Hindernisse, wenn es darum geht, die ACT4Care-Übungen häufig zu machen. Vielleicht haben Sie auch hohe Ansprüche an sich selbst und wollen jeden Tag die Übungen machen. Sie hören sich sagen: Wenn Du die Übungen nicht jeden Tag mit vollster Konzentration machst, wirst Du nie profitieren. Dann fühlen Sie sich schlecht, wenn Sie die Übung mal ausgelassen haben. Dieses Gedankenmonster kann genauso hinderlich sein, wenn es darum geht, dran zu bleiben am Training. Schenken Sie diesem Perfektionismus-Monster Glauben, so kann es sehr ermüdend sein, weil Sie den hohen Ansprüchen nie gerecht werden. Dann sind Sie von sich selbst enttäuscht und beschäftigen sich schon gar nicht mit dem ACT4Care-Training.

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Wenn Ihnen das Training wichtig ist, dann ist es essenziell, einen Weg zu finden, mit diesen Gedankenmonstern gut umzugehen. Ein guter Weg könnte sein, dass Sie während den Übungen und im Alltag freundlich mit sich und den Gedankenmonstern sind. Vielleicht können Sie das Stress-Monster das nächste Mal nett grüssen, wenn es auftaucht, während Sie sich für das Training Zeit nehmen wollen. Denn vermeiden lassen sich diese Monster letztlich nicht.

Gedanken, ob angenehm oder weniger angenehm, sind einfach da. Wir haben in uns eine innere Wortmaschine, welche unablässig Gedanken produziert. Diese innere Wortmaschine entstand mit der Entwicklung unserer Gehirne seit der Steinzeit (näheres dazu im Exkurs unten). Die innere Wortmaschine ist meist negativistisch, sieht alles schwarz und sieht überall Gefahren. Sie richtet sich sowohl nach aussen (Da kommt eine Gefahr auf uns zu), wie auch nach innen (Ich bin bestimmt nicht so beliebt wie xy). Die innere Wortmaschine denkt meist in Bezügen. Deswegen denken wir ganz häufig Sätze wie: Ich bin schlechter als xy oder Andere sind schneller als ich. Wir können gar nicht nicht denken. Deswegen macht es wenig Sinn, gegen Gedanken anzukämpfen. Wir können jedoch entscheiden, ob wir Gedanken glauben und sie verdrängen oder ob wir sie als Worte bzw. Gedanken einfach stehen lassen. Wenn wir lernen, Gedanken Raum zu geben (auch solchen, die für uns unangenehm sind und die wir am liebsten nicht mehr hätten), kann das sehr entlastend sein. Wenn wir aufhören können, automatisch auf Gedanken zu reagieren, gegen sie anzukämpfen, uns vor ihnen zu verkriechen oder zu flüchten, kann das zu mehr Ruhe und Zufriedenheit führen. Wir können uns aus dem Käfig unserer Gedanken und festgefahrenen Reaktionen auf die Gedanken befreien. Wir können so beispielsweise mitfühlend zu dem Patienten sein und den Gedanken in uns haben, dass wir den Menschen unsympathisch finden. Wir können der Kollegin vorbehaltlos zuhören und die Erinnerung an die schwierigen interdisziplinären Erfahrungen in uns tragen. Wir können der Patientin aufmerksam begegnen und ein Gefühl von Stress spüren.

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Eine schöne Metapher verdeutlicht diese Haltung: Wenn Sie Buschauffeur oder -chauffeurin sind, ist es Ihre Aufgabe, die Passagiere zu transportieren. Bei jeder Haltestelle steigen Passagiere ein und aus. Die Passagiere stehen für Ihre Gedanken, Gefühle und Handlungsimpulse. Es gibt immer Passagiere, die angenehm und Ihnen sympathisch sind und andere, welche Ihnen unangenehm erscheinen oder Ihnen sogar Angst machen. Die Frage ist nun, wer am Steuer des Busses sitzen soll? Sie oder einer Ihrer Passagiere? Würden Sie die Steuerung Ihren (unangenehmen) Fahrgästen bzw. Gedanken übergeben? Sicherer wäre es, das Steuer selbst in der Hand zu halten und so den geplanten Kurs oder Weg – den Weg zu dem, was Ihnen wichtig ist – einzuhalten. Die Fahrgäste bleiben auf ihren Plätzen, steigen ein und aus, während Sie das Steuer im Griff haben.

In diesem Kapitel lernen wir, solche unangenehmen Gedankenmonster und die negativen Gefühle als Reaktion darauf zu akzeptieren.

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Was ist Akzeptanz?

Aber was heisst «Akzeptanz»? Heisst es, dass ich alle Dinge so akzeptiere, wie sie sind und mich dabei zurücklehne und aufgebe, ja resigniere? Heisst das, dass ich alles Negative hinnehmen und still vor mich hin leiden soll? Akzeptanz im Sinne von ACT heisst, annehmen was ist. Akzeptanz bezieht sich dabei nicht nur auf äussere Situationen, sondern auch auf uns selbst, darauf was sich in unserem Inneren abspielt. Akzeptanz heisst, die jetzige Situation anzuerkennen – es heisst aber nicht untätige Resignation. Akzeptanz heisst, die Bereitschaft zu haben, unangenehme Gefühle, beängstigende Gedanken oder Situationen wahrzunehmen und zu erleben. Diese Bereitschaft, die Situation anzuerkennen und wahrzunehmen, gibt uns die Möglichkeit, bewusst zu entscheiden, ob wir bereit sind, in der Situation zu verbleiben (mit all den Gedanken und Gefühlen, die die Situation mit sich bringt), oder ob wir daran etwas ändern wollen. Egal was wir tun, diese Bereitschaft, zu erleben was wir erleben, das Anerkennen und Annehmen der jetzigen Situation ist der erste Schritt9.

Doch Akzeptanz und Annahme fällt uns generell sehr schwer. Das Verhalten von uns Menschen ist danach ausgerichtet, dass wir angenehme Situationen aufsuchen und unangenehme Situationen vermeiden. Das ist in allen Lebewesen so angelegt. Dieses Verhalten geschieht meist unbemerkt und macht auf der körperlichen Ebene sehr Sinn. So ziehen wir automatisch bei einem Schmerzreiz, beispielsweise bei einer brennenden Kerze, die Hand zurück. Doch auch auf seelischer Ebene möchten wir Angenehmes aufsuchen und Unangenehmes vermeiden. Und in gewissen Situationen macht das auch sehr Sinn. Wenn wir aus

Angst in der Nacht nicht in den Wald gehen, weil wir denken, dass es gefährlich sein könnte, bewahrt uns das womöglich vor einer Gefahr. Obwohl die Chance, dass etwas Schlimmes passieren könnte, in Realität sehr klein ist. Es ist eher unsere innere Wortmaschine, welche uns vor allen Gefahren, welche wir in Horrorfilmen, Zeitungen und Dokumenta-tionen je gesehen haben, warnen möchte. Hören wir auf diese innere Wortmaschine, verpassen wir die Chance, eine wunderbare Entdeckung zu machen, den Mond zu sehen, nachtaktiven Tieren zu lauschen. Doch den Wald bei Nacht zu meiden, ist der einfachere Weg, das unangenehme Gefühl der Angst loszuwerden.

9 Nach Wengenroth (2016)

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Wir tendieren also dazu, sehr häufig auf unsere innere Wortmaschine zu hören, und dem Impuls nachzugeben, wegzulaufen, wenn etwas unan-genehm oder gefährlich sein könnte. Wir neigen dazu, mittels einer Vielzahl von Strategien unangenehme Gedanken und Gefühle zu vermeiden. Und gleichzeitig geben wir den inneren Impulsen nach, wenn etwas angenehm ist und unsere Wortmaschine sagt, dass wir dieses oder jenes bräuchten, sei dies beispielsweise noch ein Stück Torte, die neuste Smartwatch oder ähnliches10.

Exkurs11 Alles Unangenehme zu meiden und Angenehmes aufzusuchen ist evolutionär betrachtet sehr sinnvoll. Es sichert das Überleben. Aber wie kommen die innere Wortmaschine oder die «Gedanken-Monster», welche unablässig alles Schwarz sehen, zustande? Die Fähigkeit, überall Gefahren zu sehen, konnte für unser Überleben als Urmenschen entscheidend sein. Gefahren frühzeitig zu sehen, gab uns einen Überlebensvorteil. Wir trainierten unseren Verstand, immer und überall Gefahren zu sehen, um möglichst schnell reagieren zu können. Doch nicht hinter jedem Busch sprang ein Säbelzahntiger hervor und nicht alles was klapperte, war eine Schlange. Auch wenn unsere Gedanken uns dies glauben liessen. Gedanken wie Bin ich beliebt? sind auch verständlich, denn aus der Gruppe ausgestossen zu werden, war für uns im Steinzeitalter als Menschen enorm gefährlich. Sicherer war es, sich unentwegt selbst zu hinterfragen, um sich bestmöglich in die Gruppe einfügen zu können. Unser Verstand wurde über die vielen Jahre hinweg zu einer gefahrensuchenden, selbstkritischen Plappermaschine. Es ist schlicht nicht möglich, die vielen unangenehmen Gedanken, die er produziert, zu vermeiden. Kämpfen Sie also nicht weiter gegen die Plappermaschine an. Lassen Sie sie reden.

10 Nach Waadt und Acker (2008) 11 Nach Waadt und Acker (2008)

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Wenn uns die Monster packen

Lassen Sie uns eine kleine Übung machen. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, schliessen Sie Ihre Augen und versuchen Sie, für die nächsten paar Augenblicke NICHT an einen blauen Elefanten zu denken! Und? Hat es geklappt? So wie die meisten Menschen bei dieser Übung erst recht an einen blauen Elefanten denken, können wir auch unseren eigenen Gedanken nicht ausweichen – haben diese für uns angenehme oder unangenehme Konsequenzen. Gedanken, welche unangenehme Gefühle auslösen, wollen wir in der Regel vermeiden. Vermeidungsstrategien können dabei ganz unterschiedlich aussehen, sind aber häufig auf die Dauer unwirksam. Wir konsumieren beispielsweise viel Süsses, Alkohol, Medien oder ziehen uns zurück. Aber auch einfach indem wir potenziell bedrohlichen oder unangenehmen Situati-onen aus dem Weg gehen, können wir die angstmachenden Gedanken vermeiden. Tauchen die Gedanken trotzdem auf und es entstehen beunruhigende Gefühle, können wir versuchen, diese zu unterdrücken oder das Erleben dieser unangeneh-men Gefühlssituation zu vermeiden. Solches Verhalten kann früher oder später zu psychischen Problemen und Belastungen führen oder uns unglücklich machen. Zu-sätzlich führt das Vermeiden des Unangenehmen meist dazu, dass die negativen Emotionen und Gedanken noch präsenter werden und hartnäckiger und drängen-der erlebt werden. Angewendet auf negative Erfahrungen bedeutet dies, dass das Nicht-Akzeptieren, Unterdrücken und Loswerden von Gedanken und schmerzlichen Gefühlen zu noch mehr Schmerz führt und die Gedanken umso häufiger und drängender erlebt werden, was wiederum den Schmerz vergrössert12.

12 Nach Kingston, Clarke und Remington (2010)

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Wenn wir die Gedanken nicht kontrollieren können oder die Kontrollversuche unserer Gefühle auf lange Sicht sogar schädlich sind, dann stellt sich die Frage, was wir denn stattdessen tun sollen? Der Umkehrschluss aus dem oben Gelernten wäre ja, dass wir Unangenehmes nicht mehr vermeiden, sondern annehmen sollten, damit es uns gut geht. Je eher wir bereit sind, zu fühlen was wir fühlen, desto eher wechseln sich angenehme und unangenehme Gedanken und Gefühle auf natürliche Weise ab – wie Ein- und Ausatmen. Der Theologe Theodor Litt brachte es mit dem Satz auf den Punkt: «Nicht das Wegsehen, sondern das Hinsehen macht die Seele frei» 13. Und Hinsehen heisst auch, die Bereitschaft zu entwickeln, zu sehen, was sich zeigt und damit den Monstern auf unserem Weg in die Augen zu blicken.

Mit Akzeptanz die Monster zu unseren Freunden werden lassen

Mit Akzeptanz entwickeln wir die Bereitschaft, auch unangenehme, vielleicht widersprüchliche Gedanken und Gefühle anzunehmen. Wir können so Ange-nehmes und Unangenehmes gleichzeitig in uns halten: Furcht vor dem dunklen Wald und das Wagnis, hineinzugehen und möglicherweise etwas Kostbares zu entdecken; Angst, die eigene Meinung zu sagen und die Bereitschaft, womögliche Kritik zu akzeptieren; Frust-ration über einen schlechten Tag und die Vorfreude auf das Abendbrot mit der Familie. Angst zu haben, hat nichts damit zu tun, nicht etwas Mutiges wagen zu können. Wut zu haben, heisst nicht, nicht lieben zu können. Das eine schliesst das andere nicht aus und durch Akzeptanz schaffen wir Raum, so dass beides Platz hat. Wir können dann eher aufhören, durch Vermeidung selbstgemachtes Leid anzuhäufen und sind freier, Handlun-gen zu tun, welche uns wertvoll erscheinen. Akzeptanz können wir genauso einüben wie Achtsamkeit. Mit der Übung der vorigen Wochen haben Sie gelernt, einen Anker im gegenwärtigen Moment zu halten und dabei Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, ohne von diesen eingenommen oder weggetragen zu werden. Mit der Audioübung dieser Woche lernen Sie, Raum zu schaffen für diese Gedanken und Gefühle.

13 Aus Pilger (2019)

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Wenn wir auch diesen Gedanken und Erlebnissen Raum geben, können wir erkennen, dass wir mehr sind als unsere (manchmal hinderlichen, angstmachenden) Gedanken und Gefühle. Meistens glauben wir ganz automatisch alles, was unser Verstand uns erzählt. Wir verschmelzen geradezu mit seinen Worten.

Gedanken haben einen starken Einfluss auf uns, denn obwohl sie nicht die Wirklichkeit sind, konstruieren sie ein Bild von der Wirklichkeit, welches täuschend echt aussieht und unser Erleben prägt. Unsere Gedanken sind wie die Brillen, durch die wir die Welt betrachten, und mit denen wir die Welt begreifen, sie vorhersagbar machen. Doch so gut und nützlich unser Verstand und seine Gedanken in manchen Situationen sind, so schädlich ist es auch, wenn wir alles glauben, was uns in den Sinn kommt. Wenn wir so mit unseren Gedanken verschmolzen sind, haben wir Schwierigkeiten, unser Verhalten zu ändern oder unser persönliches Potenzial auszuschöpfen. Wir werden unglücklich, weil uns die Gedanken daran hindern, ein gutes Leben zu leben14.

14 Nach Harris (2008)

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Und meistens sind wir unseren Gedanken ausgeliefert, weil wir sie für wahr halten und ihnen alles glauben. Aus diesem Grund können Gedanken für uns so bedrohlich werden. Denn bedrohliche Gedanken lösen bedrohliche Gefühle aus, die wir nicht fühlen wollen. Um die unangenehmen Gefühle nicht zu haben, versuchen wir, unsere Gedanken zu kontrollieren. Die Strategien dazu muten meist ein bisschen steinzeitlich an: Wir kämpfen dagegen an oder wir flüchten. Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass wir krampfhaft versuchen, die Gedanken nicht zu denken oder wir uns von ihnen ablenken, indem wir gerne mal zu viel trinken oder aber wir uns den Gedanken anpassen, indem wir tun, was sie uns sagen. Wir möchten diese Strategien gerne an einem Beispiel verdeutlichen: Vielleicht kennen Sie den Gedanken: Du hast bestimmt einen Fehler gemacht! Du musst unbedingt alles mehrmals kontrollieren. Ein solcher Gedanke löst vermutlich recht unangenehme Gefühle aus. Sie fühlen sich vielleicht minderwertig und haben Angst davor, einen Fehler zu machen. Nur schon der Gedanke daran, möglicherweise einen Fehler zu machen, löst Angst aus. Meistens wollen wir solche Gefühle nicht haben und fahren deshalb automatisch eine Vermeidungsstrategie. In diesem Fall könnte eine solche Strategie sein, dass Sie genau das machen, was Ihnen die Wort-maschine sagt, damit sie nachher ruhig ist: Sie kontrollieren die getane Arbeit mehrmals und machen Überzeit. Vielleicht weichen Sie dem Gedanken und den unangenehmen Gefühlen aber auch aus, indem Sie aktiv versuchen, den Gedanken zu verdrängen. Möglicherweise lenken Sie sich auch ab, indem Sie sich ganz vielen anderen Dingen widmen und dann an Feierabend aufs Sofa sitzen, Chips essen, und Serien schauen. Ein anderes typisches Beispiel ist der Gedanke, dass wir zu wenig attraktiv sind, welcher uns belastet. Wir kämpfen gegen diesen Du-bist-nicht-beliebt-Gedan-

ken an und malträtieren uns im Fitnesscenter und mit Diäten, in der Hoffnung, dass der Gedanke verschwindet. Wenn wir scheu sind, nehmen wir vielleicht Alkohol vor einem Date, damit die Scheu ein wenig verschwindet. Wir tun dies, weil wir denken, scheue Menschen seien weniger attraktiv. Oder wir denken den furchteinflößenden Gedanken, dass wir eine Krankheit haben könnten und kontrollieren die ganze Zeit unseren Puls, um uns vom Gegenteil zu überzeugen. Oder wir schauen nach einem belastenden Streit stundenlang Netflix-Serien, weil wir denken, dass eine Trennung passieren könnte, wenn man streitet. Und wir versuchen die entstehende Angst wegzumachen. Wir versuchen vor unseren eigenen Monstern zu flüchten.

All diese Vermeidungsstrategien sind generell nicht schlecht, wenn sie funktionieren. Doch langfristig haben diese Strategien meist einen schädlichen Effekt und führen dazu, dass wir ein Leben führen, welches eigentlich nicht unseren Werten entspricht.

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Auch während dem ACT4Care-Training ist die Frage, wie wir unseren Gedanken begegnen, wichtig. Besonders dann, wenn wir die Achtsamkeitsmeditationen üben und uns mit uns selbst beschäftigen wollen. Wenn wir die Aussagen unseres auftauchenden Stress-Monsters glauben, nämlich dass wir ganz bestimmt keine Zeit haben, um kurz durchzuatmen, innezuhalten und uns zu sammeln, werden wir nur selten auf das Meditationskissen sitzen. Ja, die Meditation kann sich unangenehm anfühlen, während dieses Stress-Monster um uns herumtanzt. Glauben wir diese Gedanken, werden wir unruhig, schauen häufig auf die Uhr und spinnen die Gedanken schon weiter in die Zukunft. Was wir noch alles erledigen müssen, was alles ansteht und und und. Wir können aus dieser unange-nehmen Situation und der entstehenden Unruhe entkommen, in dem wir aufspringen und uns in den Tun-Modus begeben. Oder aber, wir vergrössern unsere Bereitschaft, dieses Monster und die Gedanken in die Zukunft da sein zu lassen, uns vom Haken der inneren Wortmaschine zu befreien und unseren Stressgefühlen Raum zu geben (anstatt sie wegmachen zu versuchen). Wir können für einen Moment alles so belassen wie es ist, ohne es ändern zu müssen. Wir können uns über die Atmung in den gegenwärtigen Moment holen, Gedanken und Gefühle beobachten und in Ruhe entscheiden, was wir als nächstes tun. Dies ist eine gute Übung, um Distanz zu der inneren Wortmaschine zu gewinnen, und Gedanken als auftauchende Wörter oder Gedankenmonster zu betrachten, die einfach da sind, die aber nicht die Realität darstellen. Wenn wir in solchen, wie vorhin beschriebenen, Situationen einen Moment innehalten können und uns fragen, wieso wir uns gerade so schlecht fühlen und was wir über uns denken, kann uns bewusst werden, dass es lediglich unsere Gedanken sind, die uns so schlecht fühlen lassen und wir können den Impuls

wahrnehmen, diese Gedanken zu glauben und den Impuls, uns selbst fertig zu machen. Wenn wir dieses Geschehen bewusst wahrnehmen (und dafür haben wir in den letzten Wochen Achtsamkeit geübt) und dem ersten Impuls nicht folgen, können wir den Raum zwischen Gedanken, Gefühl und Reaktion vergrössern. Dies führt dazu, dass wir mehr Handlungsmöglichkeiten haben. Zum Beispiel können wir dann unsere Gedanken relativieren und unseren Gefühlen Raum geben. Gefühle sind da, um gefühlt zu werden. Werden Sie gefühlt, verändern sie sich wieder. Und wir werden uns bewusst, dass Gedanken Gedanken sind, gedachte Wörter. Nicht mehr und nicht weniger. Und wir sind MEHR als unsere Gedanken. Mithilfe des Beobach-ter-Selbst können wir einen gewissen Abstand zu unseren Gedanken einnehmen und uns von aussen betrachten. Damit wir im hektischen Alltag dies nicht vergessen, möchten wir Ihnen im Folgenden eine einfach zu merkende Metapher bzw. Übungsanleitung mitgeben.

Wir können üben, immer wieder präsent zu werden, das heisst bewusst wahrzunehmen, was um uns und in uns geschieht. Wo befinden wir uns? Welche Gedanken haben wir gerade? Welche Gefühle und Handlungsimpulse entstehen dabei? Wir können für dieses Erleben Raum schaffen. Tun wir dies, handeln wir nicht mehr im Autopilotenmodus, sondern bewusst, verbunden mit uns und unseren Werten und handeln nach dem, was uns richtig erscheint.

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Wir werden so zu «Mindful Warriors»15. Achtsame Kriegerinnen und Krieger handeln im Alltag nach dem ARVE Prinzip. Die Arve ist ein Baum, welcher auch in extremen Bedingungen überleben und vielen Schädlingen trot-zen kann. Fest verwurzelt im Boden, trotzt sie sogar Lawinen und kann bis zu 1000 Jahre alt werden. Es ver-wundert nicht, dass der älteste Baum Europas anscheinend eine Arve ist16. Handeln nach dem ARVE Prinzip heisst, wo immer Sie sind:

Atmen Halten Sie inne und atmen Sie, werden Sie präsent. Nehmen Sie wahr, was in Ihrem Körper geschieht, was Sie gerade denken, was Sie fühlen.

Raum schaffen

Schaffen Sie Raum für die Gedanken, Gefühle und Handlungsimpulse, die Sie wahrnehmen. Wir können Gefühle und Gedanken benennen: Da ist Angst; ich habe den Gedanken, es wird was Schlimmes passieren. Da ist Trauer; ich denke, vieles verloren zu haben. Da ist Wut; ich habe den Gedanken, ungerecht behan-delt zu werden. Da ist Liebe; ich habe den Wunsch, mich mit anderen zu verbin-den. Geben Sie diesen Empfindungen die Erlaubnis, da zu sein. Sie können zum Beispiel Ihre Hand auf die Körperstelle legen, wo Sie das Gefühl am stärksten spüren.

Verbinden mit Werten Verbinden Sie sich mit Ihren Werten. Was ist Ihnen gerade wichtig? Wie wollen Sie sein?

Entscheid zur Handlung Entscheiden Sie sich ganz bewusst für eine Handlung, die in Einklang mit Ihren Werten steht.

15 Aus Ciarrochi, Hayes und Bailey (2012) 16 Aus Wikipedia (2020)

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Auf das Beispiel des ACT4Care-Trainings angewendet, würde das ARVE Prinzip heissen, dass Sie Innehalten (A) und merken, welche Gedanken und Gefühle vorhanden sind, wenn Sie sich Zeit für das Training nehmen und mit den Audio-übungen meditieren oder im Handbuch lesen und die Übungen darin durchführen. Wenn Sie merken, dass dabei die wer-tenden Gedankenmonster auftauchen (Du hast keine Zeit. Das ist doch doof.), die ein unruhiges und unangenehmes Gefühl verursachen und Sie den Handlungsimpuls verspüren, aufzuspringen und in Tätigkeiten zu verfallen, schaffen Sie Raum für diesen Handlungsimpuls und diese Gedanken und Gefühle (R). Beobachten Sie diese inneren Phänomene mit Offenheit und Neugier. Wenden Sie sich ihnen zu. Alles darf da sein. Erforschen Sie die Qualität von Gefühlen, Gedanken und Handlungsimpulsen. Haben diese eine Farbe? Eine besondere Grösse und Gestalt? Tragen diese Namen? Wie sehen Ihre Monster aus, was wollen sie Ihnen sagen? Lassen Sie diese Handlungsimpulse, diese Gedanken und Gefühle für einen Moment da sein, so wie sie gerade sind. Verbinden Sie sich dann mit dem, was Ihnen wichtig ist (V). Vielleicht ist Ihnen Entspannung wichtig und sie wollen einfach 10 Minuten ruhig atmen und nichts machen. Oder es ist Ihnen wichtig, jetzt gut zu Ihren Mitmenschen zu schauen und zu helfen. Was es auch ist, entscheiden sie sich bewusst dafür und tun Sie es (E).

Wenn Sie entscheiden, in welche Richtung Sie Ihre Handlung ausrichten wollen, gibt es kein richtig und falsch. Vielleicht erkennen Sie, dass Ihnen das Training und der dahinterstehende Wert eigentlich wichtiger sind als die Netflix-Serie oder das Checken der Nachrichten auf Ihrem Smartphone. Vielleicht merken Sie aber auch, dass Sie es sich jetzt gerade gönnen wollen, eine Netflix-Serie zu schauen. Das ist völlig in Ordnung. Auch hinter einem Fernsehabend mit Pizza steht ein Wert. Zum Beispiel der Wert, sich entspannen und geniessen zu können. Wichtig ist, dass Sie die Wahl haben und diese bewusst treffen können.

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ACT trainieren ist mehr, als auf dem Kissen zu sitzen und Innenschau zu betreiben. Es heisst auch, im Alltag zu merken, was einem wichtig ist und dies zu tun. Wenn Sie sich beispielsweise um ein krankes Familienmitglied kümmern, weil es Ihnen wichtig ist, eine liebevolle und fürsorgliche Bezugsperson zu sein, trainieren Sie ACT. Es geht darum, sich bewusst zu werden, was man gerade tut und sich zu fragen, wieso man es tut und zu überprüfen, ob es eine Handlung ist, die einem wichtig ist. Immer wieder einen gewissen Abstand zu unseren Gedanken einzunehmen, kann entspannend sein und gibt uns immer wieder die Möglichkeit, zu entscheiden, auf welchen Gedanken wir reagieren und welche wir einfach als Gedanken stehen lassen möchten. Die Frage, ob ein Gedanke wahr ist oder nicht, wird dann weniger wichtig für Sie, als die Frage, ob ein Gedanke für Sie förderlich und nützlich ist im Umsetzen Ihrer Werte im Alltag.

Exkurs17 Das, was Sie in diesem Kapitel lernen, nennen Psychologen Defusion. Defusionstechniken sind Übungen, mit welchen Sie einen Abstand zu Ihren Gedanken einnehmen können. Wir denken eigentlich konstant. Wir können nicht nicht denken. Das hat mit einer konstanten Aktivität von Nervenzellen in unserem Hirn zu tun, sogar im Schlaf oder im Koma. Unser Hirn produziert konstant Gedanken. Defusionstechniken führen dazu, dass wir die Gedanken in ihrer Wirkung entkräften und uns so aus ihrem Griff lösen können.

Vielleicht kennen Sie den Moment, wenn Sie mitten in der Nacht aufwachen, weil Ihnen ein beunruhigender Gedanke durch den Kopf raste und ein Horrorszenario heraufbeschwor. Jedoch sehen wir selten, wie die Welt wirklich ist, sondern so wie wir denken, dass sie ist. Und Gedanken können sehr überzeugend sein. Zu bemerken, dass wir denken und uns nicht automatisch von unseren Gedanken verleiten zu lassen, ist das Ziel von Achtsam-keits- und Defusionstechniken. Wir können so kontraproduktive Gedanken oder Handlungsimpulse wahrnehmen und sie bewusst umlenken. Defusionstechniken werden auch als Peace-Of-Mind-Techniken beschrieben, da wir dadurch zu einer grösseren Klarheit und inneren Ruhe gelangen.

17 Nach Hayes (2019)

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Doch was bedeutet es, wenn wir davon sprechen, dass ein Gedanke für Sie förderlich ist? Es heisst zu wissen, was Ihnen im Leben wichtig ist und sich von Gedanken nicht behindern zu lassen. Förderliche Gedanken sind solche, die Ihnen helfen, den Weg in die Richtung eines für Sie bedeutungsvollen Lebens zu gehen. Damit möchten wir uns im nächsten Kapitel intensiver beschäftigen.

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Kapitel 3 – Tun, worauf es ankommt

“Tue was Du willst, aber nicht weil Du musst” Buddhistische Weisheit

Audioübung Nr. 6: «Werteimagination» (10 min), einmalige Übung zur Findung eigener Werte Audioübung Nr. 7: «ACT-Übung» (10 Min), zur täglichen Übung

Erinnern Sie sich an unsere Fragen aus der Einleitung? Sie haben sich vor vier Wochen überlegt, warum Sie dieses Training machen und haben sich notiert, wofür es sich lohnt, Ihre wertvolle Zeit in das ACT4Care-Training zu investieren. Sie haben sich damit bewusst gemacht, was Ihnen wichtig ist. Sie haben einige Ihrer Werte entdeckt. Und wenn Sie mit dem Training bis hierhin gekommen sind, haben Sie sich für Ihre Werte engagiert. Herzliche Gratulation! Sie haben also den Mut gefasst und sich auf den Weg gemacht. Vermutlich sind Sie auf diesem Weg immer wieder Hindernissen begegnet, vielleicht haben Sie das Training auch weniger häufig gemacht, als Sie eigentlich wollten. Vielleicht haben Sie das eine oder andere Mal aber erkannt, dass Sie eine Vermeidungs-strategie fahren und haben sich dann bewusst entschieden, trotzdem das Training aufzunehmen. Sie sind trotzdem dran geblieben und haben sich so gut wie möglich für Ihr Ziel und Ihren Wert eingesetzt. Sie haben damit Commitment gezeigt. Nun haben Sie in Ihrem Leben sicherlich noch ganz andere Ziele, als das ACT4Care-Training zu absolvieren. Sie haben nebst dem, diesem Training übergeordneten Wert, sicherlich noch ganz viele andere Dinge, die Ihnen wirklich wichtig sind in Ihrem Leben. Mit dem, was Sie in den letzten Wochen gelernt haben, ist es Ihnen möglich, in jedem Moment innezuhalten und wahrzunehmen, wo Sie gerade stehen, welche Gedanken und Gefühle gerade da sind und wo Sie eigentlich hinwollen. Sie schaffen damit Raum, um bewusst Einfluss auf Ihr Handeln zu nehmen. Sie haben die Wahl, Ihre Handlungen nach Ihren Werten, oder anders gesagt – nach Ihrem Herzen – auszu-richten, oder dies zu unterlassen. Die Wahl liegt bei Ihnen.

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Nachdem wir nun also gelernt haben, bewusst wahrzunehmen, was jeden Moment geschieht und nicht sofort darauf zu reagie-ren, machen wir uns darüber Gedanken, wonach wir unsere Handlungen in unserem Leben ausrichten möchten. Deswegen geht es in diesem Kapitel darum, herauszufinden, was Ihnen wirklich wichtig ist, sodass Sie in jedem Moment entscheiden können, nach Ihrem Herzen zu handeln, und damit ein für Sie sinnvolles und gutes Leben zu gestalten. Und dafür machen wir uns auf die Suche nach unseren Werten.

Werte als Navigations-Hilfsmittel

Werte sind nicht mit Zielen zu verwechseln. Werte, wie sie in ACT gemeint sind, können nie erreicht werden. Wir können unser Handeln jedoch in jeder Situation nach unseren Werten ausrichten. Ich kann mich mit jeder meiner Handlungen dafür einsetzen, ein nach meinen Vorstellungen gutes Leben zu leben. Auf dem Weg in Richtung meiner Werte gibt es Etappen- und Zwischenziele, die ich erreichen und «abhaken» kann. Der persönliche Weg aber setzt sich fort. Der dahinterliegende Wert kann nicht von der To-Do-Liste gestrichen werden.

Werte werden oft mit einem Kompass verglichen: sie geben uns Orientierung auf unserem Lebensweg und weisen uns die Richtung für unsere Handlungen. So kann ich mich auch von jedem Standpunkt auf der Erde entscheiden, nach Westen zu gehen. Im Westen ankommen kann ich aber nie. Ein Ziel wäre beispielsweise, zu heiraten. Wenn das Jawort gegeben wurde, kann ich diesen Punkt abhaken, es ist vollbracht. Mein Wert ist es jedoch, eine liebevolle Partnerin zu sein. Dies kann nie abgehakt werden und ich kann mich mein Leben lang für diesen Wert engagieren18

18 Nach Eifert (2011)

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Ein anderes Ziel könnte sein, einen guten Job zu erhalten. Haben Sie diesen erhalten, können Sie diesen Punkt von Ihrer Liste streichen. Wenn Sie nun den Job antreten, brauchen Sie Werte, welche Sie in Ihrem Job tagtäglich anstreben können. Zum Beispiel ist es Ihnen wichtig, sich zu engagieren, produktiv zu sein und zugleich empathisch. Ohne diese Werte würden Sie womöglich einfach die Tage bei der Arbeit absitzen und darüber unglücklich werden. Versuchen Sie aber, Ihren Werten entsprechend zu arbeiten, kann Ihnen das zu einem glücklichen Leben verhelfen.

In Ihren ganz persönlichen Werten widerspiegelt sich, was Ihnen in Ihrem Leben wirklich wichtig ist, was Ihnen am Herzen liegt. Sie sind von äusseren Bedingungen unabhängig, d.h. wir können uns in jeder Situation in Richtung unserer Werte bewegen. Wenn Sie beispielsweise ein Haus kaufen möchten, aber das Geld dafür nicht haben, können Sie sich fra-gen, welcher grundlegende Wert hinter dem Wunsch, ein Haus zu kaufen, steht. Beispielsweise könnte es darum gehen, dass Sie sich um Ihre Familie kümmern, ihnen Geborgenheit bieten wollen. Dies können Sie auch, wenn Sie kein Geld haben, um ein Haus zu kaufen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, um sich um Ihre Familie zu kümmern und ihr zu zeigen, wie wichtig sie Ihnen ist. Vielleicht wollten Sie Arzt oder Ärztin werden, aber das Leben hat Ihnen diese Chance nicht gegeben. Wenn Ihr Wert hinter diesem Berufswunsch der ist, dass Sie anderen Menschen helfen wollen, können Sie auch dies auf ganz andere Weise jeden Tag tun. Natürlich ist es nicht das gleiche, ob Sie Ärztin sind oder ein Haus haben oder einer älteren Person die Einkaufstasche tragen oder mit Ihrer Familie

einen Ausflug machen. Aber Sie haben in jedem Moment die Wahl, entweder betrübt über die Tatsache zu sein, dass Sie Ihr Ziel nicht erreicht haben oder nicht erreichen können, oder aber Sie leben Ihre Werte auf andere Art und Weise und verhelfen sich dadurch zu einem sinnerfüllten, guten Leben19.

19 Nach Harris und Aisbett (2013)

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Wie in der nachfolgenden Bildabfolge sinnbildlich dargestellt, können Sie schlechtes Wetter und Wolken nicht verhindern. Aber Sie haben die Wahl, ob Sie darüber betrübt sein wollen. Sie können alternativ trotzdem Handlungen tun, welche Angenehmes für Sie mitbringen. Das sind Handlungen im Einklang mit Ihren Werten. Sinnbildlich gesprochen: Anstatt dass Sie betrübt über die aufziehenden Wolken und die davonfliegenden Vögel sind und Sie in diesen traurigen Gefühlen versinken, werden Sie aktiv und bauen ein Vogelhaus. Ihnen sind Vögel wichtig. Sie setzen sich mit Ihrer Handlung für das Wohl der Vögel ein und tun damit etwas, was Ihnen am Herzen liegt.

Manchmal gibt es auch bei der Arbeit Situationen, in denen Sie nicht entscheiden können, ob sie darin verbleiben möchten oder nicht. Tätigkeiten, die Sie tun «müssen». In solchen Situationen gilt es ebenfalls, allfällige begleitende negative Gedanken und Gefühle anzunehmen. Sie können sich dann fragen, wie Sie die Situation für sich so gestalten können, dass Sie einen Sinn darin sehen oder in Richtung Ihrer Werte handeln können. Wenn Sie beispielsweise in der Situation sind, dass Sie bei mehreren Patienten und Patientinnen gleichzeitig sein sollten und dies zu einem grossen Stress bei Ihnen führt, der wiederum negative Gedanken und Gefühle auslöst, können Sie in einem ersten Schritt kurz innehalten und diesen negativen Empfindungen Raum geben. Sie können ihnen in einer liebevollen und akzeptierenden Haltung begegnen und sich ihnen zuwenden, indem Sie sie ganz bewusst zulassen. Vielleicht können Sie auch herausfinden, was hinter diesen Gefühlen steht. Beispielsweise könnten Sie bemerken, dass die Situation Sie stresst, weil Sie nicht allen Patientinnen und Patienten gleichermassen gerecht werden können in der kurzen Zeit. Da Sie den Zeitdruck nicht ändern können, geht es jetzt darum, Ihre Arbeit trotzdem Ihren Werten entsprechend auszuführen. Vielleicht ist es Ihnen wichtig, allen Patienten und Patientinnen präsent und wertschätzend zu begegnen. Versuchen Sie, dies trotz der knappen Zeit zu tun. Sie können nämlich in jedem Augenblick präsent und wertschätzend sein! Natürlich wird dies Ihnen nicht die fehlende Zeit geben, die Sie bräuchten. Thich Nath Hahn sagte, dass jede Handlung, jeder Schritt, Frieden ausstrahlen kann, wenn wir die Handlung bewusst und achtsam machen20. So kann auch die Gabe eines Medikaments oder das Öffnen eines Fensters eine Handlung sein, die Ihren Werten entspricht. Dafür benö-tigen Sie nicht mehr Zeit. Aber es wird Sie (und Ihre Patientinnen und Patienten) zufriedener machen.

20 Aus Thich (2011)

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Meine Werte

Doch nun geht es um Ihre ganz persönlichen Werte. Sie finden dazu die Audioübung «Werteimagination» im Download-bereich des dritten Kapitels. Die Übung leitet Sie durch eine kurze Achtsamkeitsübung und führt Sie anschliessend zu ein paar Ihrer Werte. Hören Sie sich die Übung an und notieren Sie anschliessend die Werte, welche sich Ihnen in der Übung zeigten.

Meine Werte aus der «Werteimagination»:

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Womöglich erkennen Sie, dass Sie durch die Situation, die Sie in der Audioübung «Werteimagination» aufgesucht haben, noch nicht alle Ihre Werte gefunden haben. Wir möchten Ihnen deshalb gerne noch eine weitere Übung an die Hand geben, mit der Sie herausfinden können, was Ihnen in Ihrem Leben wichtig ist. Die Übung heisst «Meine 90. Geburtstagsfeier»21.

Meine 90. Geburtstagsfeier

Stellen Sie sich vor, Sie würden Ihren 90. Geburtstag feiern. Sie veranstalten ein Fest mit allen Menschen und Wesen, die Ihnen etwas bedeuten, die Ihnen wichtig sind. Jeder der geladenen Gäste hält zu Ihren Ehern eine Rede über Sie: sie erzählen, was für ein Mensch Sie sind, was Sie besonders auszeichnet, wie Sie leben und gelebt haben, wofür Sie sich einsetzen und wie die einzelnen Redner zu Ihnen stehen. Versuchen Sie sich vorzustellen, was diese Personen über Sie sagen. Was würden Sie gerne von Ihren Gästen hören? Über welche Aussagen

würden Sie sich aus tiefstem Herzen freuen? Es geht hierbei um die Frage, wie Sie Ihr Leben gelebt haben wollen, wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken. Was möchten Sie, dass die Leute über Sie sagen? Notieren Sie hier, was Ihnen dazu einfällt und überlegen Sie, ob Sie daraus konkrete Werte ableiten können.

21 In Anlehnung an Wengenroth (2016)

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So möchte ich gelebt haben / Meine Werte:

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Handlungen in Einklang mit meinen Werten

In einem nächsten Schritt können Sie sich jetzt überlegen, mit welchen Handlungen Sie Ihr Leben in Richtung Ihrer Werte ausrichten können. Setzen Sie sich realistische, erreichbare Ziele. Wenn es Ihnen beispielsweise wichtig ist, körperlich fit zu sein, können Sie sich als Ziel setzen, jeden Tag mindestens einmal die Treppe zu nehmen statt des Liftes. Oder Sie nehmen sich vor, diese Woche am Montag- und

Mittwochabend eine halbe Stunde laufen zu gehen. Suchen Sie sich einen Ihrer Werte aus und schreiben Sie ein paar konkrete, möglichst überprüfbare und beobachtbare Handlungen auf, welche mit diesem Wert übereinstimmten.

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Halten Sie jetzt noch einen Moment inne und fragen Sie sich, ob Ihre Gedanken und Handlungen, die Sie normalerweise haben und ausführen, hilfreich sind im Verfolgen Ihrer Werte. Achten Sie dabei darauf, wenig hilfreiche Gedanken nicht verdrängen zu wollen. Diese dürfen trotzdem bestehen bleiben. Wenden Sie sich einfach mehr den nützlichen Gedanken zu. Sie können sich immer wieder fragen: Unabhängig davon, wie ich mich fühle oder was ich denke, was ist ein nächster, kleiner Schritt in Richtung eines Lebens in Einklang mit meinen Werten?

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Was tun, wenn wir vom Weg abkommen und der Wert aus dem Blick gerät?

“Hinter dem Hindernis öffnet sich eine ganz neue Freiheit, ein viel weiterer Horizont” Buddha

Doch wie können wir nach unseren Werten handeln und leben, wenn uns so vieles daran hindert? Häufig sind unsere eigenen Überzeugungen und Gefühle die Monster, die sich uns aufdrängen und uns im Weg stehen. Natürlich wäre es am einfachsten, den hinderlichen Bedingungen auszuweichen. Doch dann verpassen wir die Chance, nach unseren Werten zu leben und das macht uns auf Dauer nicht glücklich. Die gute Nachricht ist: Mit den gelernten Techniken können Sie innehalten und sich von den vereinnahmenden Monstern lösen. Sie können Raum schaffen und Ihre Werte immer wieder in Ihr Blickfeld holen. Von da aus können Sie sich in jeder Situation neu entscheiden, nach Ihren Werten zu handeln!22 Durch das Beobachter-Selbst können Sie Ihre Gefühle, Gedanken und Handlungen wahrnehmen und innehalten. Von da aus können Sie jederzeit Ihren Kurs neu bestimmen. Es liegt in Ihrer Hand. Sie können in Ihrem Umfeld nicht alles kontrollieren und beeinflussen. Aber Sie können Ihr Verhalten beeinflussen. Sie können Ihr Handeln so ausrichten, dass es für Sie Sinn ergibt und Ihre Werte unterstützt.

22 Nach Wengenroth (2016)

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Die Zielscheibe – 8 Tage in Einklang mit meinen Werten

Wir geben Ihnen dazu ein kleines Hilfsmittel23. In der Grafik unten sehen Sie eine Zielscheibe. Im Zentrum der Zielscheibe sind Sie verbunden mit Ihren Werten, welche Sie engagiert in Ihrem Leben umsetzen. Am äusseren Rand des Kreises sind Sie eher weit weg von Ihrem Zentrum. Jedes «Kuchenstück» steht für einen Tag in Ihrem Leben. Die Zielscheibe umfasst 8 Tage. Zeichnen Sie in den nächsten 8 Tagen jeweils Tag

für Tag ein, wo Sie gerade stehen. Lebten Sie heute nahe bei Ihren Werten, also im Zentrum des Kreises? Oder sind Sie gerade weit weg, also im äusseren Randbereich? Was haben Sie gemacht, dass Sie in der Mitte sind? Und überlegen Sie sich auch, was dazu führte, dass Sie die Mitte verloren haben. Öffnen Sie sich den Antworten, die Ihnen kommen. Eine leere Grafik für Sie zum Ausfüllen finden Sie im Downloadbereich des dritten Kapitels: ACT4Care-Zielscheibe.

23 In Anlehnung an Harris (2011)

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Jeden Tag und jeden Moment haben Sie die Möglichkeit, wieder mehr ins Zentrum zu kommen, wieder mehr zu Ihrem Herzen. Egal wo Sie sind und an was Sie gerade arbeiten, Sie können jederzeit folgende drei Schritte tun:

1. Seien Sie präsent: Nehmen Sie wahr, was in Ihnen und um Sie herum geschieht. Welche Gedanken sind da, welche Gefühle? Was nehmen Sie wahr? Was tun Sie?

2. Seien Sie offen: Öffnen Sie sich Ihrem Erleben. Nehmen Sie Ihren Atem wahr. Atmen Sie in schwierige Gefühle hinein, schaffen Sie Ihrem Erleben und Ihren Gedanken Raum. Entspannen Sie sich ganz in Ihre Präsenz hinein und lassen Sie die Situation für ein paar Sekunden, ein paar Atemzüge sein, wie sie ist. Werden Sie sich bewusst, dass Gedanken nur Gedanken sind, welche Gefühle auslösen, die wiederum Handlungsimpulse auslösen.

3. Tun Sie, worauf es ankommt: Entscheiden Sie sich, einen nächsten Schritt zu tun auf einem Weg, der Ihren Werten entspricht. Nehmen Sie dabei auch schwierige Gedanken und Gefühle als Wegbegleiter mit. Gehen Sie die nächsten Schritte und machen Sie die nächste Handlung ganz bewusst.

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Es wird voraussichtlich immer wieder vorkommen, dass Sie sich an hinderlichen Gedanken festbeissen oder unangenehmen Gedanken und Gefühlen ausweichen. Das ist nicht weiter schlimm. Sie haben jetzt das Rüstzeug, um sich immer wieder all dem bewusst zu werden. Werden Sie sich bewusst, dass Sie wieder am Haken eines Gedankens hängen, weggetragen vom jetzigen Moment. Oder werden Sie sich bewusst, dass Sie in einer Gefühlswelle untergehen. Treten Sie für einen Moment zurück und halten Sie inne. Und gehen Sie danach weiter in die Richtung, die Ihren Werten entspricht. Irgendwann wird der Alltag zur Meditation. Sie werden weggetragen von Träumereien und Wunschdenken oder Sie versuchen verzwei-felt, unangenehme Zustände zu vermeiden. Und wie in der Meditation können Sie sich dem immer wieder bewusst werden und sich wieder mit der Gegenwart verbinden.

Moment für Moment uns immer wieder neu zu entscheiden, das zu tun, was unseren Werten entspricht und mit auf den Weg zu nehmen, was uns an hinderlichen Gedanken und Gefühlen bremst, ist das grosse Training des Lebens. Es ist eine Lebenskunst. Es ist jedoch eine Art der Lebensführung, die zu einem bedeutsamen und sinnvollen Leben führen kann.

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Wünsche von Herzen

Wir haben Sie bis hierhin begleitet und wir sind dankbar, dass Sie da sind. Jetzt möchten wir uns von Ihnen in dieser Form verabschieden. Sie haben gelernt, was Sie benötigen, um ein bedeutungsvolles und sinnvolles Leben zu leben. Wir sind uns sicher, dass Ihnen die Techniken helfen werden, mehr Lebensqualität zu entwickeln und Stress sowie unangenehme Erfahrungen eher anzunehmen. Dafür sprechen Studien mit Tausenden Personen in der ganzen Welt. Wir danken Ihnen, dass auch Sie an dieser Studie teilnehmen. Zu erforschen, was Berufspersonen wie Sie brauchen, damit Sie gesund bleiben, damit es Ihnen gut geht, ist sehr wertvoll. Ihre Gesundheit bedeutet die Gesundheit aller Menschen, die Hilfe benötigen. 2020 ist das Internationale Jahr der Pflegenden und Hebammen. Ihr Handeln und Ihre Gesundheit tragen Tag für Tag zum Patientenwohl bei. Diese wichtige Arbeit jeden Tag mit Mitgefühl, Mut und Offenheit tun zu können, setzt voraus, dass es Ihnen gut geht und dass Sie Freude haben, an dem was Sie tun, an dem, was Sie sind. Wir hoffen, Ihnen mit diesem Training etwas Hilfreiches mit auf Ihren Weg gegeben zu haben. Wir wünschen Ihnen in der Umsetzung Ihrer Werte alles Gute – Sie erinnern sich bestimmt: in jeder Situation, mit voller Präsenz und Offenheit, tun, worauf es Ihnen ankommt. Sollten Sie am Ende des dritten Fragebogens ein abschliessendes Telefonat wünschen, würde uns dies freuen. Schreiben Sie uns einfach eine Mail und bleiben Sie so mit uns im Kontakt. Ihr ACT4Care-Team

Florence Simonetta & Tobias Michael Schmid

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Literatur

Ciarrochi, J. V., Hayes, L. & Bailey, A. (2012). Get out of your mind and into your life for teens : a guide to living an extraordinary life. Oakland: CA : Instant Help.

Eifert, G. H. (2011). Akzeptanz-und Commitment-Therapie (ACT). Göttingen: Hogrefe.

Harris, R. (2008). The Happiness Trap Based on ACT: A revolutionary mindfulness-based programme for overcoming stress, anxiety and depression. London: Robinson.

Harris, R. (2011). Harris, R. (2011). Die Glücksfalle. Den Kampf beenden - das Leben beginnen. ACT anwenden für Gesundheit, Wohlbefinden und Vitalität. Zugriff am 1.3.2020. Verfügbar unter: http://www.zumbeherztenleben.ch/materialien-bildungswerkstatt-offentlich/

Harris, R. & Aisbett, B. (2013). The Happiness Trap Pocketbook: An Illustrated Guide on how to Stop Struggling and Start Living. London: Robinson.

Hayes, S. C. (2019). A Liberated Mind: How to Pivot Toward What Matters. New York: Avery.

Iding, D. (2015). Buddha fürs Büro. 52 Impulse für mehr Achtsamkeit am Arbeitsplatz. München: Irisiana.

Kabat-Zinn, J. (2011). Gesund durch Meditation: Das grosse Buch der Selbstheilung. München: Knaur.

Kingston, J., Clarke, S., & Remington, B. (2010). Experiential avoidance and problem behavior: A mediational analysis. Behavior modification, 34(2), 145-163.

Kraus, W. (Hrsg.). (1996). Epiktet Handbüchlein der Moral. Zürich: Diogenes.

Neff, K. (2012). Selbstmitgefühl. München: Kailash.

Pilger, A. (2019, Januar 3). Umgang mit Angst (Rezidiv-Angst): Strategien zur Angstbewältigung. Gehalten im Brustzentrum Spital Thurgau, Münsterlingen.

Schmid, T. (in Vorbereitung). ACT4Care: Wirksamkeit einer audio- und online-basierten ACT- Intervention bei Pflegefachpersonen in Bezug auf deren psychische Gesundheit und Psychologische Flexibilitat. Unveröffentlichte Masterarbeit, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Zürich.

Simonetta, F. (in Vorbereitung). Mit ACT zu weniger Stress und mehr Engagement im Pflegeberuf. Unveröffentlichte Masterarbeit, Zürcher Hochschule für Ange-wandte Wissenschaften Zürich.

Thich, N. H. (2011). Innerer Friede - Äusserer Friede. München: Knaur.

Waadt, M. & Acker, J. (2018). Das Selbsthilfebuch gegen Burnout: Mit Akzeptanz und Achtsamkeit den Teufelskreis durchbrechen (2., aktualisierte Aufl.). Bern: Hogrefe.

Wengenroth, M. (2016). Das Leben annehmen: So hilft Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) (3., unveränderte Aufl.). Bern: Hogrefe.

Zirbelkiefer (2020, 6. Januar). In Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Zugriff unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Zirbelkiefer