Transatlantische Renaissance? Die deutsch-amerikanischen Beziehungen unter Obama II

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    ______________________________________________________________________Transatlantische Renaissance?

    Die deutsch-amerikanischen Beziehungenunter Obama II

    ______________________________________________________________________

    Dr. Henning Riecke

    Dr. Claudia Schmucker

    Dr. rer. pol. Stormy-Annika Mildner

    Juli 2013

    Comit dtudes des relations franco-allemandes

    NNoottee dduu CCeerrffaa 110044

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    Das Franzsische Institut fr Internationale Beziehungen (IFRI) ist inFrankreich das wichtigste unabhngige Forschungszentrum, das ber groeinternationale Fragen informiert und diskutiert. Von Thierry de Montbrial imJahr 1979 gegrndet, ist das IFRI als gemeinntziger Verein anerkannt

    (Gesetz des Jahres 1901). Es ordnet sich keiner Amtsvormundschaft unter,legt nach eigenem Ermessen seine Aktivitten fest und publiziert regelmigseine Berichte.

    Durch seine Studien und Debatten, die interdisziplinr angelegt sind, bringtdas IFRI Politiker, Wirtschaftswissenschaftler, Forscher und Experten aufinternationaler Ebene zusammen.

    Mit seinem zweiten Bro in Brssel (IFRI-Bruxelles) positioniert sich das IFRIals eines der wenigen franzsischen think tanks im Kern der europischenDebatte.

    Die Verantwortung fr die im weiteren Textgeuerten Standpunkte trgt der Autor.

    Diese Note du Cerfa wird im Rahmen des Deutsch-franzsischenZukunftsdialogs verffentlicht. Der Deutsch-franzsische Zukunftsdialog ist

    ein Projekt des Studienkomitees fr deutsch-franzsische Beziehungen(Cerfa) des Institut franais des relations internationales, der Deutschen

    Gesellschaft fr Auswrtige Politik und der

    Die Aktivitten des Cerfa (Forschung, Editing und Publikationen) werdenvon dem Referat Frankreich des Auswrtigen Amtes und dem Planungsstab

    des Ministre des Affaires trangres gefrdert.

    Herausgeber: Dr. Yann-Sven Rittelmeyer und Prof. Dr. Hans Stark

    ISBN: 978-2-36567-184-2 Ifri 2013 Tous droits rservs

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    Die Autoren

    Dr. Henning Riecke ist seit Januar 2009 Leiter des ProgrammsUSA/Transatlantische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft frAuswrtige Politik (DGAP) In Berlin. Seit 2000 ist er als wissen-schaftlicher Mitarbeiter zudem verantwortlich fr die StudiengruppenStrategische Fragen, Europapolitik und Globale Zukunftsfragen.

    Er ist promovierter Politikwissenschaftler mit einem Diplom derFreien Universitt Berlin und hat Politikwissenschaft/Internationale

    Beziehungen, Geschichte und Volkswirtschaft in Frankfurt am Mainund Berlin studiert.

    Als Post-Doc Stipendiat hat er ein einjhriges Projekt zurKleinwaffenpolitik der USA am Weatherhead Center for InternationalAffairs derHarvard Universitydurchgefhrt.

    Dr. Claudia Schmucker leitet seit 2002 das Programm Globalisierungund Weltwirtschaft der Deutschen Gesellschaft fr Auswrtige Politik(DGAP) in Berlin. Bevor sie zum Forschungsinstitut der DGAP kam,arbeitete sie als Projektmanagerin des Center for international

    Cooperation in Bonn.Sie promovierte in Wirtschaftswissenschaften und hat einen

    Magister Artium (M.A.) in Nordamerikastudien der Freien UniversittBerlin. Sie studierte auerdem an der Friedrich-Wilhelm UniversittBonn, am Elmira College in New York und an der Yale Universitt.

    Dr. rer. pol. Stormy-Annika Mildner ist Senior Fellow und Mitglied derInstitutsleitung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.Sie koordiniert den SWP-Forschungsschwerpunkt Konkurrenz umknappe Ressourcen. Sie hat einen Doktor in Wirtschaftswissenschaf-

    ten der Freien Universitt Berlin und ein Diplom der InternationalenWirtschaftspolitik derLondon School of Economics (LSE). Seit 2007ist sie Lehrbeauftragter der Hertie School of Governance in Berlin.

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    Zusammenfassung

    Die Konsequenzen der Wirtschafts- und Finanzkrise, die neuen glo-balen Krfteverhltnisse, die insbesondere Asien eine immer grereBedeutung geben, sowie die internationalen Sicherheitskonflikte undrisiken machen die transatlantische Zusammenarbeit im Bereich derSicherheits- und der Wirtschaftspolitik zu einer entscheidenden Her-ausforderung. Die europischen und amerikanischen Partner habenein gemeinsames Interesse angesichts der globalen Aufgaben, de-

    nen sie alleine nicht mehr gewachsen sind. In diesem Kontext spieltDeutschland als grte Volkswirtschaft der EU nicht nur in der EU,sondern auch in den Beziehungen mit den Vereinigten Staaten einebesondere Rolle.

    Auch wenn die transatlantischen Beziehungen im Bereich derWirtschaft in den letzten Jahren alles andere als einfach waren, lsstder Beginn der Verhandlungen ber die transatlantische Handels-und Investitionspartnerschaft (TTIP) auf eine Intensivierung der Han-delsbeziehungen schlieen. In den Verhandlungen, die sicherlichlangwierig und schwierig sein werden, kommt Deutschland eineSchlsselrolle zu, um insbesondere den Ausgleich zu Frankreich inbestimmten Fragen zu schaffen und um sich fr Kompromisse einzu-setzen.

    Im Bereich der Sicherheitspolitik laufen die Meinungsver-schiedenheiten die Gefahr, sich weiter zu vergrern, auch wenn dieZusammenarbeit innerhalb und auerhalb der NATO sehr weit entwi-ckelt ist und die deutsch-amerikanischen Beziehungen eher positiv zubewerten sind.

    Abgesehen vom PRISM-Skandal stellen der wachsende Man-gel an militrischen Kapazitten und die unterschiedlichen Herange-hensweisen der zwei Lnder im Kampf gegen den Terrorismus sogroe Herausforderungen dar, dass Deutschland und die USA sie nur

    sehr schwer berwinden drften.

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    Inhaltverzeichnis

    EINLEITUNG........................................................................................ 4

    DIE SICHERHEITSPOLITISCHE ZUSAMMENARBEIT .................................. 7

    Der strategische Wandel in der Sicherheitspolitik der USA .... 7

    Abbau militrischer Fhigkeiten in Deutschland undEuropa und Folgen fr die Zusammenarbeit in der EU und

    der NATO ................................................................................... 10Deutsch-amerikanische Annherung in der NATO ................ 12

    Russland und Osteuropa ...................................................... 12

    Afghanistan .......................................................................... 13

    Atomwaffen .......................................................................... 14

    Deutschland und die USA im Einsatz gegensicherheitspolitische Risiken sowie Krisen und Konflikte .... 15

    TRANSATLANTISCHE HANDELSBEZIEHUNGEN ..................................... 21

    Handelspolitik der USA und der EU im Zeichen der

    Finanzkrise ................................................................................ 21Transatlantische Integration .................................................... 23

    Wirtschaftliche Verflechtung ................................................. 23

    Handelspolitische Zusammenarbeit: Treiber Deutschland .... 25

    Die Transatlantische Handels- undInvestitionspartnerschaft (TTIP) .............................................. 27

    Zankapfel Landwirtschaft und GMOs.................................... 28

    Reziprozitt in der ffentlichen Auftragsvergabe .................. 29

    Regulierungskooperation ...................................................... 30

    Perspektiven der TTIP .......................................................... 30SCHLUSSFOLGERUNG ....................................................................... 32

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    Einleitung

    Die transatlantische Partnerschaft basiert auf einem starken Funda-ment. Die EU und USA teilen viele gemeinsame Werte und Normen.Wenige Volkswirtschaften sind so eng miteinander verflochten wie dieder USA und der EU. Deutschland ist der wichtigste Handelspartnerder USA in der EU, und die USA der wichtigste HandelspartnerDeutschlands auerhalb der EU. Deutschland ist die grte Volks-wirtschaft der EU und treibende politische Kraft in den europischen

    Integrationsbemhungen. Auerdem ist es ein zentraler, wenn auchoftmals zgerlicher Spieler in der europischen Auen-, Sicherheits-und Verteidigungspolitik und somit ein wichtiger Partner fr die USAin Sicherheitsfragen. Eine funktionierende deutsch-amerikanischeZusammenarbeit ist fr die euro-amerikanische Partnerschaft geradejetzt wichtig. Denn whrend das Fundament der transatlantischenPartnerschaft stark ist, kriselt es bei vielen Themen.

    Als US-Prsident Barack Obama Mitte Juni 2013 nach demGipfeltreffen der G8 in Nordirland zu einem Arbeitsbesuch nach Ber-lin kam, betonte er in seiner Rede vor dem Brandenburger Tor dieBedeutung der transatlantischen Bindung. Auch in der Pressekonfe-renz nach den Gesprchen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel un-terstrich Obama, dass aus US-Perspektive die Beziehung mit Euro-pa weiterhin der Eckstein unserer Sicherheit und unserer Freiheit ist.Gleichzeitig waren aber auch eine Reihe kontroverser sicherheits-sowie wirtschaftspolitischer Themen Gegenstand der politischen Ge-sprche in Berlin, vorrangig die Verhandlungen ber eine transatlan-tische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Tradeand Investment Partnership, TTIP) und die Frage der Verhltnism-igkeit US-amerikanischer Internetberwachung. Dabei stand auchdie Drohung aus Brssel im Raum, die Verhandlungen ber die TTIPaufgrund des berwachungsskandals auszusetzen. AuenpolitischeThemen auf der Agenda waren die Zukunft Afghanistans nach dem

    Ende der internationalen Sicherheitsmission, der Umgang mit demIran, die US-Initiative in Nahost und die politische Lsung des Syrien-konflikts. In all diesen Themen sucht Amerika die Europer als Part-ner. Obamas selbstkritische Einschtzung zur Unttigkeit westlicherDemokratien, die er in seiner Rede uerte, war in diesem Zusam-menhang als Ansage an Deutschland zu verstehen: Aber ich kommeheute hierher, Berlin, um zu sagen, dass Selbstgeflligkeit nicht dasWesen groer Nationen ist. Denn nicht immer sind die Europer zu

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    energischer Kooperation mit der westlichen Fhrungsmacht in derLage.1

    In der Sicherheitspolitik schrumpft seit Jahren der Spielraumfr gemeinsame Manahmen, etwa durch unterschiedliche Anstze

    in der Terrorbekmpfung oder die sich vertiefende Fhigkeitslcke.Deutschland frustriert die USA regelmig durch seine Kultur dermilitrischen Zurckhaltung in der Krisenreaktion, wie etwa beimwestlichen Eingreifen in der Libyenkrise im Mrz 2011. Deutschlandist skeptisch, wie viel Lsungskapazitt militrische Instrumente inder Konfliktbewltigung haben. Die Einsparungen im Verteidigungs-bereich in Deutschland, wie bei fast allen EU-Mitgliedern, reduzierenzustzlich die deutsche und europische sicherheitspolitische Hand-lungs- und Kooperationsfhigkeit.

    In der Wirtschaftspolitik waren die Beziehungen in den ver-gangenen Jahren ebenfalls nicht konfliktfrei. Deutschland ist ein wich-

    tiger Motor fr die transatlantische Wirtschaftsintegration. Wenn die-ser Motor stottert, stottern auch die Integrationsbemhungen. Daherist es nicht ohne Bedeutung, wenn sich Deutschland und die USAber Wachstumsmodelle (wie viel Sparen, wie viel Stimulierungbraucht die Wirtschaft?) und Handelspolitik (Stichwort: Abbau dermakrokonomischen Ungleichgewichte) streiten, wie es whrend derFinanz- und Wirtschaftskrise wiederholt vorkam. Die EU und USAstritten sich zudem ber Marktzugang im Agrarhandel, Subventionenfr die Luftfahrtindustrie und Zugang zu den ffentlichen Vergabe-mrkten.

    Sowohl die USA als auch Deutschland und die EU richten ih-ren Blick berdies zunehmend in den asiatischen Raum. Grund hier-fr ist der konomische und politische Aufstieg asiatischer Mchteund die damit verbundenen geopolitischen Umbrche. Die USA ver-handeln zurzeit mit elf Pazifikanrainern ber ein Freihandelsabkom-men (FTA), die Transpazifische Partnerschaft (TPP). Auch die EUverhandelt mit mehreren Lndern Asiens FTAs, unter anderem mitJapan. Die damalige US-Auenministerin Hillary Clinton betonte zwarin einer Rede bei der Brookings Institution Ende November 2012,dass sich die USA nicht von Europa ab- und Asien zuwenden wr-den.2 Asiens strategische Bedeutung fr die USA und die EU drfte inZukunft aber eher noch wachsen.

    1 Vgl. Mitschrift Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und US-PrsidentObama, Thema: Besuch von US-Prsident Barack Obama in Berlin, Berlin,19.6.2013; Obamas Rede im Wortlaut, Zeit-online,19.6.2013 < http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-06/obama-rede-wortlaut>.2 Vgl. U.S. and Europe: A Revitalized Global Partnership. A Statemans Forum withSecretary of State Hillary Clinton, 29.11.2012,.

    http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2013/06/2013-06-19-pk-merkel-obama.htmlhttp://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2013/06/2013-06-19-pk-merkel-obama.htmlhttp://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2013/06/2013-06-19-pk-merkel-obama.htmlhttp://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-06/obama-rede-wortlauthttp://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-06/obama-rede-wortlauthttp://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2013/06/2013-06-19-pk-merkel-obama.htmlhttp://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2013/06/2013-06-19-pk-merkel-obama.html
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    Vor diesem Hintergrund ist die Kernfrage dieser Analyse: Wiesteht es um die deutsch-US-amerikanische Zusammenarbeit sowiedie euro-amerikanische Partnerschaft, wo lauern Konflikte und woknnen die Partner besser zusammenarbeiten? Dabei wird das Au-genmerk immer wieder auf Deutschland gelenkt und gefragt, ob dasLand als Taktgeber fr eine bessere transatlantische Zusammenar-beit wirkt. Im Folgenden wird zunchst ein berblick der transatlanti-schen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit aus deutscher und US-amerikanischer Sicht gegeben. Danach wird die handelspolitischeZusammenarbeit zwischen EU und USA mit einem Schwerpunktauf Deutschland beleuchtet. Eine strkere transatlantische Integra-tion und Zusammenarbeit in sicherheits- wie in wirtschaftspoliti-schen Fragen ist wnschenswert, denn im Alleingang knnen we-der die EU noch die USA die globalen Herausforderungen meistern.Die zweite Amtszeit von US-Prsident Barack Obama bietet neueMglichkeiten, doch werden die deutsch-US-amerikanischen und

    transatlantischen Beziehungen kein Selbstlufer sein. Whrend sichin der Handelspolitik eine Intensivierung der Beziehungen abzeichnet,wird im Bereich der Sicherheitspolitik das Konfliktpotential eher nochwachsen. Auf diesem Feld besteht somit die Gefahr einer steigendenFrustration auf beiden Seiten.

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    Die sicherheitspolitische Zusam-menarbeit

    Die USA richten im Zuge globaler Machtverschiebungen ihre Auf-merksamkeit mehr und mehr auf den Raum Asien-Pazifik und setzenvor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise auf eineschlanke Verteidigungspolitik. Beide Tendenzen fhren dazu, dassAmerika immer weniger als Partner fr Europa zur Verfgung steht,

    wenn es darum geht, in der europischen Nachbarschaft Krisen ein-zudmmen. Gleichzeitig drngen die USA die Europer immer str-ker, an globalen Ordnungsaufgaben mitzuwirken und die entspre-chenden Kosten mitzutragen. Deutschland ist dabei als wirtschaftlichstrkster Staat zentraler Ansprechpartner fr die USA.

    Der s trategisc he Wandel in der Sicherhei tspol i -tik der USA

    Unter der Regierung Obama hat ein vielschichtiges strategisches

    Umdenken eingesetzt. Einerseits wachsen die Herausforderungen.Aufstrebende Mchte wie China oder der Iran stellen die Vormacht-stellung der USA in Frage und machen Eindmmungsmanahmenerforderlich. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus mussauf eine dezentralere Struktur des Terrornetzwerkes Al Kaida Rck-sicht nehmen. Andererseits hat strategische SelbstbeschrnkungKonjunktur; Nation-building at home, auen-politische Zurckhal-tung und wirtschaftliche Wiederherstellung als Grundlage einer star-ken Auenpolitik haben aktuell Vorrang.3 Dies ist zwei Entwicklungengeschuldet. Zum einen ist hier die Erkenntnis zu nennen, dass zweijahrelange und teure Kriege Afghanistan nicht sicherer gemacht ha-ben. Zum anderen ist der Strategiewandel der nach wie vor schwa-

    chen Wirtschaft und den Haushaltsrestriktionen geschuldet.

    3 Vgl. Atlantic Council of the US, Envisioning 2030: US Strategy for a Post-WesternWorld. A Report of the Strategic Foresight Initiative at the Brent Scowcroft Center onInternational Security (Robert A. Manning, principal drafter), Washington,10.12.2012, S. 6.;Richard N. Haass, Die Doktrin der Restauration. Wie Amerika seine Fhrungsmachtim 21. Jahrhundert sichern kann, in: Internationale Politik, Januar-Februar 2012,S. 70-77.

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    Der Budget Control Act von 2011 (BCA) unterwirft den US-Verteidigungsetat sprbaren Krzungen. Das Pentagon konkretisierte2012 die geplanten Einsparungen auf 487 Mrd. Dollar fr zehn Jahreab 2012, gegenber den bereits seit 2010 zurckgefahrenen Planun-gen.4 Es ist gleichwohl irrefhrend in diesem Zusammenhang vonKrzungen zu sprechen, da die Einsparungen nicht gegenber demgegenwrtigen Ausgabenniveau, sondern gegenber den Projektio-nen des Pentagons zum zuknftigen Bedarf vorgenommen werden.Auch mit diesen Einsparungen wchst der Verteidigungshaushaltsomit weiterhin.5 Der BCA verpflichtet die Regierung nun jedoch auchzu automatischen Krzungen ab 2013, weil eine Einigung ber einumfassendes Krzungspaket im Kongress nicht zustande kam (Se-quester). Zur Umsetzung dieser Auflage in der Budgetgestaltung ab2014 liegen jetzt nach einer internen Prfung im Pentagon drei Kr-zungsoptionen von 100, 300 und den nach dem BCA eigentlich ge-forderten 500 Mrd. Dollar fr wieder eine Dekade vor, ber welche die

    US-Regierung mit dem Kongress verhandeln will.6

    Erst durch Kr-zungen ab 2013 wird der Verteidigungshaushalt somit tatschlichbeschnitten. Im Haushaltsjahr 2013 mssen 43 Mrd. Dollar im Vertei-digungsbereich eingespart werden, ein Anteil von 7,8 Prozent vomgeplanten Budget in Hhe von 550 Mrd. Dollar. Gem den Verteidi-gungsrichtlinien des Pentagon plant die US-Regierung bis 2017 dieaktiven Streitkrfte von zurzeit 1,42 Mio. um 102.400 Soldaten zuverkleinern zum grten Teil in der Armee und dem Marine Corps.7

    Infolge dieser zwei Erfahrungen teure Kriege mit gemischterErfolgsbilanz einerseits und Haushaltsrestriktionen andererseits sind die USA skeptisch gegenber umfassenden Auslandseinstzengeworden, was sich nicht zuletzt in ihrer Haltung im Syrienkonfliktwiderspiegelt. Die verteidigungspolitischen Richtlinien des Pentagonlegen daher eher einen Fokus auf kleinere, kostengnstigere Missio-nen und weisen eine Abneigung gegen langanhaltende Stabilisie-rungsoperationen auf.8 Den Kampf gegen den internationalen Terro-

    4 Vgl. Stephen Daggett/Pat Towell, FY2013 Defense Budget Request: Overview andContext, Congressional Research Service (CRS Report for Congress R42489),Washington, DC, 20.4.2012, S. 3

    5 Vgl. Stormy-Annika Mildner/ Johannes Thimm/ Henriette Rytz, State of the Union,SWP Studie 16, 2012, S. 39.6 Vgl. Marcus Weisgerber/Vago Muradian, DoD Examines 3 Budget-Cut Scenarios.

    Think Tanks Conducting Shadow Review, Defense News, 19.5.20137Vgl. Where the Cuts Will Fall, in: New York Times, 23.2.2013; Daggett/Towell, FY2013 Defense Budget Request, S. 6.8 Vgl. Abschnitte Anti Access/Area Denial Challenges und Provide a StabilizingPresence, U.S. Department of Defense, Sustaining U.S. Global Leadership. Priori-ties for 21st Century Defense, Washington, Januar 2012, S. 4-6,; Department ofDefense, Joint Operational Access Concept (JOAC), VERSION 1.0, Washington, 17January 2012, http://www.defense.gov/pubs/pdfs/JOAC_Jan%202012_Signed.pdf>

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    rismus fhrt die US-Regierung heute in erster Linie mit Drohnen, alsounbemannten, ferngesteuerten Luftfahrzeugen, und Spezialkrftenfort.

    Auffallend ist gleichwohl, dass bei der Entwicklung der US-

    amerikanischen Verteidigungsdoktrinen Szenarien von zwischen-staatlicher kriegerischer Auseinandersetzung heute wieder eine gr-ere Rolle spielen. Ein Indiz hierfr ist die Aufwertung von Anti-Area/Area Denial-Strategien (A2/AD), die vor allem im strategischenInstrumentarium Chinas erkannt werden. Die US-Streitkrfte sollen indie Lage versetzt werden, den Zugang zu einem Operationsgebietauch gegen Abwehrmanahmen durchsetzen zu knnen. BesondereAufmerksamkeit gilt dabei Bedrohungen der US-amerikanischen Ein-satzfhigkeit gegen Systeme im Weltraum und dem Cyberspace.

    In der Sicherheitspolitik der Obama-Administration hat die Re-gion Asien Pazifik an strategischer Bedeutung gewonnen. Diese

    Region ist von den Krzungen im Haushaltsetat daher nicht betroffen.Die USA wollen an der wirtschaftlichen Dynamik in Asien teilhaben,zielen gleichzeitig aber auch darauf ab, China einzuhegen und regio-nale Machtdifferenzen multilateral einzubetten (Rebalancing). In-strumente im Strategiemix sind das Vlkerrecht, die Institutionen derRegion und die Strkung alter und neuer Allianzen. Sichtbares Zei-chen des wachsenden amerikanischen Engagements ist eine strke-re militrische Prsenz der USA. So werden 2.500 Marines in Austra-lien neu stationiert.9 Geplant ist auch die Verlegung von vier Schiffenfr Kstenoperationen nach Singapur, wie generell ein grerer Teilder US-Kriegsschiffe als bisher im Pazifik stationiert werden soll.Auch werden Langstreckenbomber, F-35 Kampflugzeuge, Aufkl-

    rungsflugzeuge und eine Drohnenbasis in die Region verlegt.10

    Dabeihandelt es sich um die Fortsetzung eines Trends in der US-amerikanischen Stationierungspolitik: Immerhin 320.000 US-Soldatensind bereits in der Region stationiert.

    Die neue Schwerpunktsetzung bedeutet jedoch nicht, dasssich die USA in ihrer Stationierungspolitik von Europa abwenden. InDeutschland sind zentrale Einrichtungen der amerikanischen Streit-krfte stationiert. Zwar begannen die USA im Jahr 2012, zwei schwe-re Kampfbrigaden mit zusammen ber 7.000 Soldaten in Bayern undRheinland-Pfalz sowie andere Einheiten aufzulsen. Insgesamt drf-ten bis 2017 ber 10.000 US-Soldaten Deutschland verlassen. Auch

    danach wird mit etwa 40.000 Soldaten die Hlfte der in Europa stati-onierten US-Truppen in Deutschland angesiedelt sein. Das US Euro-pean Command und sogar das US Africa Command haben ihren Sitz

    9 Vgl. Hillary Clinton, Amerikas pazifisches Jahrhundert. Die Zukunft wird nicht inAfghanistan entschieden, sondern in Sdostasien, in: Internationale Politik Nr. 1,Januar/ Februar 2012, S. 62-69.10 Vgl. Elisabeth Bumiller, Words and Deeds Show Focus of the American Military onAsia, in: New York Times, 10.11.2012.

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    in Stuttgart. Deutschland hat gegenber Stationierungsorten in Kri-sengebieten seine Infrastruktur, gute Lebensbedingungen und einegnstige Zeitzone als Vorteile anzubieten.

    Der amerikanische Strategiewechsel bedeutet, dass knftig in

    der Asien- wie in der Europapolitik der USA den neuen und traditio-nellen Verbndeten eine grere Rolle zukommt.11 Europa ist ge-fragt, in seiner Nachbarschaft selbst die Verantwortung fr Friedenund Sicherheit zu bernehmen. Dafr ist die EU aber schlecht aufge-stellt.

    Abbau m il i trisc her Fhig keiten in Deutsc hlandund Eur opa und Folgen fr die Zusammenar-bei t in der EU und der NATO

    In der EU und auch in Deutschland hat die Bewltigung der Schul-denkrise in der Eurozone oberste Prioritt. Sie behindert die sicher-heitspolitische Vertiefung und verstrkt die strategische Disparittunter den EU-Mitgliedern. Um eine besondere strategische Rolle derEU, wenn nicht global, so doch wenigstens in ihrer stlichen und sd-lichen Nachbarschaft ausfllen zu knnen, mssten die Staaten derEU zudem unterschiedliche militrische Fhigkeiten, Sicherheitskultu-ren und regionale Prioritten unter einen Hut bringen.

    Fast alle europischen Staaten haben Einschnitte im Verteidi-gungsbereich vorgenommen, unkoordiniert und ohne Blick auf diesicherheitspolitischen Anforderungen.12 Seit Ende 2010 durchluftDeutschland eine Bundeswehrreform unter Einsparungsdruck, wel-che die Aussetzung der Wehrpflicht, ein schlankeres Ministerium undNeuverhandlungen von laufenden Rstungsprojekten vorsieht vorallem aber eine Verkleinerung der Streitkrfte um ein knappes Viertelauf 185.000 Soldaten.13 In Frankreich hat die Phase der Einsparun-gen schon im Jahr 2008 eingesetzt, mit einer Verkleinerung derStreitkrfte von 242.000 auf 225.000. Das neue Weibuch, das imApril 2013 verffentlicht wurde, wird weitere Einschnitte bei den An-schaffungen legitimieren, doch bleibt der Verteidigungshaushalt zu-

    11 Vgl. The White House, National Security Strategy, Washington, Mai 2010, S. 5.12 Christian Mlling, Wege aus der europischen Verteidigungskrise: Bausteine freine Verteidigungssektorreform, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP-Studien 2013/S 08), Berlin, April 2013, S. 7.13 Vgl. Franz-Josef Meiers, Aufbau, Umbau, Abbau: die Neuausrichtung der Bun-deswehr, in: sterreichische militrische Zeitschrift, 50 (Mai 2012) 3, S. 21-29.

    http://www.swp-berlin.org/de/wissenschaftler-detail/profile/christian_moelling.htmlhttp://www.swp-berlin.org/de/wissenschaftler-detail/profile/christian_moelling.htmlhttp://__dopostback%28%27hld%24comp_aaaabb%24c%24childportal%24comp_aaaaaq%24c%24childportal%24comp_aaaaap%24c%24comp_aaaaeb%24c%24comp_aaaaeb_0_0%24c%24comp_aaaacn%24c%24comp_aaaacn_0_0%24c%24comp_aaaacs%24c%24aaaacv%24comp_aaaacs_aaaacv%24c%24comp_aaaacx%24c%24comp_aaaaav%24c%24comp_aaaacq%24c%24comp_aaaaat%24c%24comp_aaaabq%24c%24results%24dg%24d6%24c2%24action_view%27%2C%27%27%29/http://__dopostback%28%27hld%24comp_aaaabb%24c%24childportal%24comp_aaaaaq%24c%24childportal%24comp_aaaaap%24c%24comp_aaaaeb%24c%24comp_aaaaeb_0_0%24c%24comp_aaaacn%24c%24comp_aaaacn_0_0%24c%24comp_aaaacs%24c%24aaaacv%24comp_aaaacs_aaaacv%24c%24comp_aaaacx%24c%24comp_aaaaav%24c%24comp_aaaacq%24c%24comp_aaaaat%24c%24comp_aaaabq%24c%24results%24dg%24d6%24c2%24action_view%27%2C%27%27%29/http://__dopostback%28%27hld%24comp_aaaabb%24c%24childportal%24comp_aaaaaq%24c%24childportal%24comp_aaaaap%24c%24comp_aaaaeb%24c%24comp_aaaaeb_0_0%24c%24comp_aaaacn%24c%24comp_aaaacn_0_0%24c%24comp_aaaacs%24c%24aaaacv%24comp_aaaacs_aaaacv%24c%24comp_aaaacx%24c%24comp_aaaaav%24c%24comp_aaaacq%24c%24comp_aaaaat%24c%24comp_aaaabq%24c%24results%24dg%24d6%24c2%24action_view%27%2C%27%27%29/http://www.swp-berlin.org/de/wissenschaftler-detail/profile/christian_moelling.html
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    nchst stabil.14 Grobritannien will seine Armee bis 2020 um 20.000Soldaten auf etwas mehr als 80.000 verkleinern.15

    Die immer geringeren Verteidigungsausgaben in Kombinationmit der ineffizienten Rstungspolitik und dem Festhalten an nutzlosen

    Systemen haben die Fhigkeitslcken bei den Europern im Ver-gleich zum amerikanischen Verbndeten grer werden lassen, inBereichen wie Waffenwirkung, Aufklrung und berwachung, Kom-mando- und Kommunikationstechniken, vor allem aber bei strategi-scher und taktischer Verlegung.16 Aktuell sind die Europer ohne dieUntersttzung der Amerikaner kaum in der Lage, ihre Streitkrfte inlngere Operationen zu senden, auszursten und zu kommandieren,oft mangelt es auch an Ersatzteilen und Munition. Die groen Staatenwollen zwar das volle Fhigkeitsspektrum aufrechterhalten, weisenaber schon jetzt erhebliche Mngel bei der Durchhaltefhigkeit inOperationen auf. Mittlere und kleinere Staaten, die meist grereEinsparungen im Verteidigungsbereich hinnehmen mssen, suchen

    nach Spezialisierungsmglichkeiten.17

    Die weit auseinanderklaffenden militrischen Fhigkeiten derUSA und ihrer europischen Partner sind auch eine Sollbruchstelle inder NATO. Diese Situation verschrft die ungleiche Lastenteilung imBndnis und wird die Europer in kommenden gemeinsamen Einst-zen mit den USA weiter marginalisieren. Die USA tragen drei Viertelder Kosten fr NATO-Operationen und sind wegen der geringen undsinkenden Verteidigungsausgaben ihrer europischen Verbndetenfrustriert.

    In der Konsequenz strebt die EU ebenso wie die NATO eineverstrkte rstungs- und verteidigungspolitische Kooperation ihrerMitglieder an, um grere Kapazitten fr weniger Geld zu erhaltenbeziehungsweise zu entwickeln. Weil aber auch die Entwicklung ge-meinsamer Projekte Geld kostet, ist der Erfolg dieser Plne bislanggrtenteils ausgeblieben. In der EU ist Pooling and Sharingseit demEU Gipfel vom Dezember 2010 das Leitbild der Rstungskooperation.Deutschland hat zusammen mit Schweden dazu den Gent-Konsultationsprozess angeregt, in dem im EU-Rahmen diejenigenmilitrischen Fhigkeiten identifiziert werden sollen, die partnerschaft-lich durch mehrere Mitglieder entwickelt werden knnen. Auch die

    14 Vgl. Livre Blanc. Dfense Et Scurit Nationale 2013

    15Vgl. Andrew Cuter, U.K. Announces Cuts of 17 Major Army Units, in: DefenseNews, 5.7.2012 (abgeru-fen am 18.7.2012).16 Vgl. David S. Yost, The NATO Capabilities Gap and the European Union, in:Survival, 2000-01/4 Winter, S. 97128; Charles Barry / Hans Binnendijk, WideningGaps in U.S. and European Defense Capabilities and Cooperation, Institute for Na-tional Strategic Studies/ National Defense University, Washington, Juni 2012,.17 Vgl. Mlling,Wege aus der europischen Verteidigungskrise, S. 7-12.

    http://www.ndu.edu/inss/docUploaded/Transatlantic%20Current%206%20Barry-Binnendijk.pdfhttp://www.ndu.edu/inss/docUploaded/Transatlantic%20Current%206%20Barry-Binnendijk.pdfhttp://www.ndu.edu/inss/docUploaded/Transatlantic%20Current%206%20Barry-Binnendijk.pdfhttp://www.ndu.edu/inss/docUploaded/Transatlantic%20Current%206%20Barry-Binnendijk.pdfhttp://www.swp-berlin.org/de/wissenschaftler-detail/profile/christian_moelling.htmlhttp://www.swp-berlin.org/de/wissenschaftler-detail/profile/christian_moelling.htmlhttp://www.ndu.edu/inss/docUploaded/Transatlantic%20Current%206%20Barry-Binnendijk.pdfhttp://www.ndu.edu/inss/docUploaded/Transatlantic%20Current%206%20Barry-Binnendijk.pdf
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    NATO bemht sich um eine intensivere Verteidigungskooperationihrer Mitglieder. Auf dem Gipfel von Chicago im Mai 2012 lanciertendie Verbndeten eine Initiative unter der berschrift Smart Defense,nach der sie durch Spezialisierung einzelner Mitglieder, neue Priorit-tensetzung und bessere Zusammenarbeit die militrische Handlungs-fhigkeit der Allianz erhalten wollten. Die gemeinsamen Projekte,welche die NATO und EU-Mitgliedstaaten dabei in die engere Pla-nung genommen haben, sind meist ltere Kooperationsvorhaben mitneuem Anstrich. Dass es sowohl bei der Umsetzung des Pooling andSharing als auch des Smart Defense hapert, liegt allerdings nichtallein an den Haushaltszwngen ihrer Mitglieder: Es existieren auchngste, die Entscheidungsgewalt ber die eigenen Streitkrfte zuverlieren, vom Partner im Stich gelassen zu werden oder den Lwen-anteil der Rechnung begleichen zu mssen. Vor allem die groenLnder tun sich zudem schwer, auf militrische Fhigkeiten zu ver-zichten, auch mit Blick auf die eigene Rstungsindustrie. Deutschland

    ist ein ambivalenter Akteur in beiden Organisationen. Berlin ist umeine Verbesserung der europischen Fhigkeiten bemht. Jedochmacht der Parlamentsvorbehalt beim Einsatz der BundeswehrDeutschland fr Verteidigungskooperation zu einem unsicheren Part-ner. Auch ist es besonders zgerlich, wenn der Einsatz gemeinsamerEinheiten wie der EU Battle Groups oder der NATO Response Forcediskutiert wird.

    Deutsc h-amerikanis che Annherun g in derNATO

    Die NATO gilt in Deutschland als die wichtigste Sicherheitsorganisa-tion, unter anderem weil sie die Amerikaner an die europische Si-cherheit bindet. Umso erstaunlicher war es, dass Deutschland sich inder Mitte des vergangenen Jahrzehnts immer fter von den Positio-nen der USA abwandte. In verschiedenen Konflikten kam die Zurck-haltung der Deutschen zum Tragen, die Bundeswehr in gefhrlicheKampfeinstze zu schicken. Viele Amerikaner sahen Berlin damals inder Rolle des Neinsagers, der jede funktionale oder geographischeErweiterung der NATO ablehnt. Eine Annherung erfolgte whrendder ersten Amtszeit Obamas, obgleich sicherheitspolitische Differen-zen bestehen bleiben. Drei Themenfelder weisen deutsch-amerikanische Kooperation auf, obwohl im Vorfeld widersprchlichePostionen vorlagen.

    Russland und OsteuropaDeutschland gilt vielen US-Sicherheitspolitikern wegen seiner engenwirtschaftlichen und energiepolitischen Verflechtung mit Russland alsunsicherer Kantonist im Umgang mit letzterem. Deutschland verwei-gerte sich beispielsweise lange einer NATO-Raketenabwehr mit Hin-weis auf die russische Bedrohungswahrnehmung. Das Projekt derBeitrittsverhandlungen mit postsowjetischen Lndern, ber das sich

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    die Deutschen und Franzosen mit Hinweis auf die Verletzung russi-scher Interessen noch 2007/2008 heftig mit den Amerikanern gestrit-ten hatten, verlor mit dem Georgienkrieg und dem Machtwechsel inder Ukraine allerdings an Schub.

    Zudem war bei der Annherung der Obama-Administration anRussland die deutsche Erfahrung gefragt. Im Vorfeld des NATO-Jubilumsgipfels in Straburg 2009 gelang durch Konsultationen zwi-schen Vertretern der deutschen und der neuen US-Administrationeine Verstndigung innerhalb der Allianz ber strittige Fragen im Um-gang mit Russland.18 Im Strategischen Konzept, das auf dem Gipfel2010 in Lissabon verabschiedet wurde, akzeptierte Deutschland aucheine neue Version der NATO-Raketenabwehr, verbunden mit derHoffnung, dass hieraus ein gemeinsames NATO-Russland Projektwerden knnte. Whrend diese Verhandlungen jedoch stillstehen,entstanden im NATO-Russland-Rat neue Projekte unter anderem imHinblick auf die Stabilisierung in Afghanistan. Fr die zweite Amtszeit

    von Obama kann Russland wieder zu einer Herausforderung fr dieUS-Regierung, also auch zu einem deutsch-amerikanischen Themawerden. Vor allem die unvereinbaren Positionen ber eine internatio-nale chtung des Brgerkriegs in Syrien, aber auch anti-westlicheStimmungsmache aus dem Kreml sorgten zuletzt fr eine Abkhlungzwischen Russland und Washington. Deutschland kann russisch-amerikanische Annherung flankieren und gegenber kritischenNATO-Partnern vermitteln.

    AfghanistanBerlin hat sich seit der Ausweitung des NATO-Einzugsbereichs im

    Jahr 2007 mit einer betont zivilen Ausrichtung seiner Aktivitten in derSchutztruppe ISAF zwar von dem US-amerikanisch gefhrten Antiter-rorkampf abgegrenzt. Auch zeigte sich Deutschland unflexibel beimEinsatz seiner im Norden stationierten Soldaten in anderen Landes-teilen.19 Die unterschiedlichen Anstze innerhalb der Allianz habensich im Zuge von NATO-internen Verhandlungen ber Ziel und Zweckdes Afghanistaneinsatzes jedoch mittlerweile angenhert.20 Obamasstrategische Neuausrichtung in Afghanistan mit der Truppenaufsto-ckung, der Orientierung auf Zivilschutz und dem Abzugsdatum kamden Deutschen ebenfalls entgegen.

    Durch den Truppenabzug der Amerikaner 2014 drfte deut-

    sches Engagement noch strker gefragt sein. Als Fhrungsnation imRegionalkommando Nord muss es den Abzug ber die Nordrouteber Russland sichern. Zudem hat es fr die zehnjhrige Transforma-

    18 Hintergrundgesprch mit der deutschen NATO-Vertretung, 7.7.200919 Vgl. Stefan Kornelius,Der unerklrte Krieg. Deutschlands Selbstbetrug in Afgha-nistan. Krber Standpunkte, Hamburg 2010.20Vgl. ISAFs Strategic Vision. Declaration by the Heads of State and Government ofthe Nations Contributing to the UN-mandated NATO-led International Security Assis-tance Force (ISAF) in Afghanistan, Bukarest, 3.4.2008.

    http://www.koerber-stiftung.de/edition-koerber-stiftung/autoren/details/autor/stefan-kornelius.htmlhttp://www.koerber-stiftung.de/edition-koerber-stiftung/autoren/details/autor/stefan-kornelius.html
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    tionsphase nach 2014 finanzielle und personelle Untersttzung frAfghanistan zugesagt. Berlin hat sich Mitte April bereit erklrt, fr dieISAF-Folgeoperation Resolute Support, in der die NATO die Ausbil-dungshilfe fr die Sicherheitskrfte in Afghanistan organisieren will,ab 2015 fr zwei Jahre zunchst 600 bis 800 Soldaten fr Kabul undAfghanistans Norden zu stellen. Danach soll sich der Einsatz auf Ka-bul konzentrieren und wird 200 bis 300 Soldaten umfassen. Hiermitverbindet Berlin aber bestimmte Forderungen. Neben dem Kriteriumeiner angemessenen Sicherheitslage drngt Deutschland auf eineEinladung der afghanischen Regierung, eine Resolution des VN-Sicherheitsrats, ein bilaterales Truppenstatut und angemessene Bei-trge der anderen Partner der Mission.21 Deutschland setzt damitauch die anderen Europer, vor allem die Briten und Italiener unterDruck, eigene Zusagen zu machen. Deutschland hat sich dabei alszuverlssiger Partner der USA prsentiert.

    AtomwaffenIm Vorfeld der Verhandlungen ber das neue Strategische Konzeptder NATO ab 2009 stie die Initiative der Bundesregierung, die Alli-anz zu einer Speerspitze der nuklearen Abrstung zu machen unddie operativ nutzlosen taktischen Nuklearwaffen der Amerikaner ausEuropa abzuziehen, auf Widerstand seitens Washingtons. Berlinnahm dabei Bezug auf Obamas Untersttzung der Global Zero Kam-pagne zur Abschaffung der Nuklearwaffen und zielte mit seinem Kon-zept auf eine Abschwchung der strategischen Bedeutung der nukle-aren Abschreckung ab, um gegenber Atombombenanwrtern wiedem Iran zu zeigen, dass es auch ohne solche Waffen geht. Gerade

    dieser Schritt war jedoch mit den USA, aber auch mit Frankreich nichtzu machen.

    Entgegen den Vorstellungen der Deutschen betonte das Stra-tegische Konzept somit erneut die Bedeutung der Nuklearwaffen frdie Abschreckungsfhigkeit der NATO und wrdigte den Anteil, denbritische und franzsische Nuklearstreitkrfte daran haben.22Deutschland bekam im strategischen Konzept allerdings abrstungs-politische Bemhenszusagen der NATO, etwa fr Verhandlungen mitRussland ber taktische Nuklearwaffen in Europa. In einem folgen-den Review zum Verteidigungsdispositiv 2012 wurden diese Punktewieder aufgenommen; die taktischen US-Nuklearwaffen in Europa

    21 Bundesregierung, USA-Reise de Maizire. Ein Angebot mit Bedingungen, Pres-semitteilung, 1.5.2013.22Vgl. Engagement actif, dfense moderne. Concept stratgique pour la dfense et lascurit des membres de lOrganisation du Trait de lAtlantique Nord adopt par leschefs dtat et de gouvernement au sommet de lOTAN Lisbonne, 19/20.11.2010.

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    bleiben zunchst unangetastet.23 Das Thema ist damit nicht vomTisch, zumal das Auenministerium nach weiteren Mglichkeitensucht, die Abrstung als Thema der NATO zu platzieren.

    Diese Beispiele zeigen, dass Deutschland in der NATO zu-

    mindest teilweise aus der Ecke des Verweigerers herausgekommenist, ohne sich weit von seinen Positionen wegzubewegen. Deutsch-land und die USA haben sich demnach zunehmend angenhert.

    Deutsc hland und die USA im Einsatz gegensich erheitspo l i t ische Risiken sowie Krisen undKonf l ik te

    Eine kurze Gegenberstellung des Umgangs mit zentralen sicher-

    heitspolitischen Herausforderungen nukleare Proliferation, Terro-rismus, Cyberkriminalitt, -spionage und -krieg sowie Piraterie zeigtviele Parallelen und Kooperationsspielrume aber auch Konfliktpunk-te zwischen Deutschland und den USA.

    In der Eindmmung der nuklearen Proliferation ist Deutsch-land in eine partnerschaftliche Rolle hineingewachsen, und beimAusbau des Nichtverbreitungs-Regimes mit guten Diensten und vielInitiative beteiligt, vor allem bei der Koordinierung innerhalb der EU.Fr die USA ist die gewachsene deutsche Bereitschaft wichtig, sichgegenber dem Iran im Sinne der Nichtverbreitung zu positionieren.Deutschland und die EU untersttzen die USA bei der Umsetzung derSanktionen der Vereinten Nationen gegen das iranische Nuklearwaf-fenprogramm. Deutschland akzeptiert dabei auch konomische Kos-ten fr die Eindmmung iranischer Ambitionen. Hier ist auch nach derWahl des Reformers Hassan Rohani zum Prsidenten der Islami-schen Republik Iran im Juni 2013 eine geschlossene westliche Posi-tion sinnvoll, zu der die deutsche Auenpolitik beitragen kann.

    Die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Kampf gegenden internationalen Terrorismus gilt als gut, die Geheimdienstzu-sammenarbeit wird von beiden Seiten grtenteils positiv bewertet.Die Bundesregierung hat zwar Streitpunkte wie das GefangenenlagerGuantnamo oder die Entfhrungstaktik der CIA kritisch thematisiert,die Partnerschaft aber insgesamt nicht in Frage gestellt. Kontroverser

    ist der Einsatz von Drohnen und Sondereinsatzkrften auerhalb derunmittelbaren Kriegsgebiete. So gehen die USA in Pakistan, aberauch im Jemen und in Somalia mit Drohnenangriffen und Sonderein-satzkrften gegen die Fhrungsriege und die Infrastruktur terroristi-

    23 NATO, Deterrence and Defence Posture Review, Press Release (2012) 063,20.05.2012.

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    scher Gruppierungen wie Al Kaida vor.24 In einer Grundsatzrede imMai 2013 vor der National Defense University hat Prsident Obamazwar schrfere Richtlinien fr den Einsatz von Drohnen angekndigt,die nur dann gegen Terroristenfhrer eingesetzt werden sollen, wenneine Gefangennahme ausgeschlossen ist.25 Das Instrument desDrohnenkriegs gibt die US-Regierung aber nicht auf. Hieraus kannein Konflikt in der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit werden,wenn die USA von Deutschland eine aktive Teilnahme an einer ent-sprechenden Mission erbitten was jedoch kein wahrscheinlichesSzenario ist.

    Deutschland distanziert sich von der Taktik der gezielten T-tungen, kritisiert die USA aber nicht ffentlich und hat sich im Afgha-nistankrieg an der Identifizierung von Zielpersonen aus demTalibanumfeld beteiligt.26 Dass die Bundesregierung hier nicht denKonflikt mit dem amerikanischen Partner sucht, zeigt auch die verhal-tene Reaktion auf Vorwrfe Ende Mai 2013, die USA wrden vlker-

    rechtswidrige Drohnenflge von deutschem Boden aus fhren, kon-kret ber den Luftwaffensttzpunkt in Ramstein.27 Die Bundesregie-rung befrwortet dabei durchaus den Einsatz von Drohnen zumSchutz von Soldaten und kndigte Anfang 2013 entsprechend an, dieBundeswehr mit Kampfdrohnen ausstatten zu wollen. Fr gezielteTtungen sollen diese hingegen nicht genutzt werden.28

    Eine besondere Aufmerksamkeit gewann das Drohnenthemain Deutschland im Mai 2013. Das Bundesverteidigungsministeriumbeendete nach dem Ankauf eines Prototyps ein Beschaffungsprojektber insgesamt fnf berwachungsdrohnen des Typs RQ-4EEurohawk des US-Herstellers Northrop Grunman mit Sensortechnik

    der EADS. Grund war, dass eine Zertifizierung der Systeme fr denzivilen deutschen Luftraum, in die ein automatischer Kollisionsschutzeingeschlossen werden muss, Mehrkosten von 600 Mio. Euro nachsich ziehen wrde. Das Projekt, fr das bis April 2013 bereits 551,6Mio. Euro gezahlt worden waren, war ber Jahre weitergefhrt wor-

    24 Vgl. Micah Zenko, Reforming U.S. Drone Strike Policies, Council on Foreign Rela-tions, Council Special Report No. 65, Januar 2013, S. 10< i.cfr.org/content/publications/attachments/Drones_CSR65.pdf>.25 Remarks by the President at the National Defense University, National DefenseUniversity, Fort McNair, Washington, D.C. 23.5.201326 Vgl. Annegret Bendiek, An den Grenzen des Rechtsstaates: EU-USA-Terrorismusbekmpfung (SWP-Studien 2011S 03), Februar 2011 .27 Vgl. Christian Fuchs, John Goetz und Hans Leyendecker, US-Streitkrfte steuernDrohnen von Deutschland aus, Sddeutsche Zeitung, 30.6.201328 Vgl. De Maizire fr bewaffnete Kampfdrohnen, in: Ruhr Nachrichten,26.01.2013 (eingesehen am21.5.2013).

    http://www.swp-berlin.org/de/wissenschaftler-detail/profile/annegret_bendiek.htmlhttp://www.swp-berlin.org/de/wissenschaftler-detail/profile/annegret_bendiek.html
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    den, obwohl die Zulassungsproblematik im Bundesministerium derVerteidigung bekannt war.29 Bei der Eurohawk-Debatte geht es zumaktuellen Zeitpunkt um das Scheitern eines Beschaffungsprojektesund nicht um die Frage ob, und zu welchem Zweck Drohnen bentigtwerden. Whrend die deutsche Opposition das Debakel in einemUntersuchungsausschuss des Bundestages behandeln lassen will,um im Wahlkampf die politische Verantwortung des Verteidigungsmi-nisters Thomas de Mazire herauszustellen, wird in Deutschland we-nig ber die strategische Notwendigkeit unbemannter Kriegsfhrunggesprochen.

    Cybersicherheit ist ein weiteres wichtiges Thema. Die USAhaben sehr frh die Verletzlichkeit der Computernetzwerke alsSicherheitsrisiko erkannt und umfangreiche Abwehrfhigkeiten auf-gebaut.30 Neben Manahmen gegen Cyberkriminalitt ergreifen sieauch verstrkt Manahmen gegen Cyberspionage und Cyberwar.Dabei setzten sie nicht nur auf Manahmen, welche die Verwundbar-

    keit im Cyberraum reduzieren, sondern auch auf Prvention durchAbschreckung. In Deutschland und der EU ist die Erkenntnis eben-falls gereift, dass der Cyberraum strker geschtzt werden muss,doch spielt das Thema im Vergleich zu den USA in der Sicherheitspo-litik noch eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Das Koordinie-rungsorgan der Sicherheitsbehrde, das seit 2011 operative CyberAbwehrzentrum, hat nur zehn Mitarbeiter. Deutschland und die EUlegen den Schwerpunkt ihrer Cyberpolitik auch eher auf Cyberkrimi-nalitt als auf Cyberwar.31

    Zu einem besonders gravierenden Konflikt im Bereich Cyber-sicherheit kann sich der Streit ber die berwachungspraxis der

    Amerikaner im Internet und gegen diplomatische Einrichtungen dereuropischen Partner auswachsen. Der US-amerikanische Militrge-heimdienst National Security Agency (NSA) hat im Rahmen des Pro-gramms PRISM (Planning Tool for Resource Integration,Synchronization, and Management) Verbindungsdaten (also nichtInhalte) von E-Mail und Telefonkontakten vornehmlich von Nicht-Amerikanern im Umfang von einer halben Milliarde Datenstzen proMonat gesammelt. Die berwachung fand im Kontext der Terrorbe-kmpfung statt.32 Die Erkenntnis, dass die USA derartige Daten in

    29 Vgl. Bewertungen und Konsequenzen zum Euro Hawk durch den Bundesministerder Verteidigung Dr. Thomas de Maizire anlsslich der Vorlage des Berichts der

    Ad-hoc Arbeitsgruppe Euro Hawk des Bundesministeriums fr Verteidigung im Ve r-teidigungsausschuss des Deutschen Bundestags, 5.6.2013, Berlin30 Vgl. The Comprehensive National Cybersecurity Initiative (eingesehen am 21.5.2013).31 Vgl. Cyber-Sicherheitsstrategie fr Deutschland, 2011, (eingesehen am 21.5.2013).32 Vgl. Charlie Savage/Edward Wyatt/Peter Baker, U.S. Confirms That It GathersOnline Data Overseas, New York Times, 6.6.2013,

    http://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/s/charlie_savage/index.htmlhttp://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/w/edward_wyatt/index.htmlhttp://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/b/peter_baker/index.htmlhttp://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/b/peter_baker/index.htmlhttp://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/w/edward_wyatt/index.htmlhttp://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/s/charlie_savage/index.html
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    groem Umfang speichern, hat in der deutschen ffentlichkeit frVerstimmung gesorgt. Obama nahm darauf vage in seiner Rede amBrandenburger Tor Bezug, indem er eine Balance von Sicherheitsin-teressen und dem Schutz der Privatsphre zu einer Aufgabe derwestlichen Freiheitsagenda erhob. Die amerikanische Seite verteidigtdas Programm, mit dem bis zu 50 Terroranschlge in den USA undweltweit verhindert worden seien. Offen ist zurzeit, inwieweit auchdeutsche Geheimdienste wie der Bundesnachrichtendienst von derberwachung gewusst und profitiert haben. Deutsche Dienste erhal-ten gelegentlich US-amerikanische Auswertungsergebnisse fr dieTerrorabwehr. Auch die deutschen Nutzer sind nicht durchgehendgegen eine berwachung des Internets: Einer Umfrage im Auftragvon Zeit online zufolge befrworten 40 Prozent der Befragten einederartige staatliche Informationsbeschaffung im Internet.33

    Weit problematischer war der Vorwurf, dass die NSA Vertre-tungen der EU und wichtiger europischer Partnerstaaten in den USA

    gezielt durch Wanzen und das Anzapfen von Kommunikationskabelnabgehrt haben soll.34 Diese Praxis wrde sich nicht aus der Zwangs-lage des Antiterrorkampfes erklren lassen, sondern drfte dem Zielder politischen und Wirtschaftsspionage gedient haben. EuropischePolitiker, auch die Bundesregierung, zeigten sich verrgert ber dieSpionage bei Freunden, beklagten Vertrauens-verlust und verlang-ten schnelle Aufklrung. Die US-Regierung reagierte unwillig, boteine Aufklrung in einigen Wochen und einen Dialog ber ihre Hand-lungen an - eine europische Delegation reiste im Juli zu Gesprchennach Washington, ebenso der deutsche Innenminister.

    Piraterie ist eine weitere sicherheitspolitische Herausforde-

    rung, die in Zukunft an Bedeutung gewinnen drfte. Deutschland alsstarke Exportnation hat ein groes Interesse an der Sicherheit derTransportwege. Im Augenblick ist Deutschland an der NATOPirateriemission Ocean Shield am Horn von Afrika als Teil der dorteingesetzten Standing NATO Maritime Group 2 beteiligt. Deutschlandist mit mindestens einer Fregatte dauerhaft an der EU Operation Ata-lanta beteiligt, vornehmlich zum Schutz der Lieferungen des WorldFood Programs. Deutschland entsendet auch Personal an die vonder EU-gefhrte Mission NESTOR zum Aufbau von Fhigkeiten derKstenstaaten im Kampf gegen die Piraterie. Die USA fhren mit derCombined Task Force 151 einen Marineverband im Golf von Aden,an dem sich gelegentlich deutsche Schiffe beteiligen.

    .33 Vgl. Thomas Hodel, Fast jeder Zweite findet digitale berwachung richtig, Zeit-online, 12.6.2013 .34 Vgl. heb/dpa/AFP, US-Abhrdienst: NSA sphte weitere europische Botschaftenaus, Spiegel Online, 1.7.2013.

    http://www.nytimes.com/2013/06/07/us/nsa-verizon-calls.html?pagewanted=all&_r=0http://www.nytimes.com/2013/06/07/us/nsa-verizon-calls.html?pagewanted=all&_r=0http://www.nytimes.com/2013/06/07/us/nsa-verizon-calls.html?pagewanted=all&_r=0http://www.zeit.de/politik/2013-06/umfrage-internet-nutzung-digitale-ueberwachung%3ehttp://www.zeit.de/politik/2013-06/umfrage-internet-nutzung-digitale-ueberwachung%3ehttp://www.zeit.de/politik/2013-06/umfrage-internet-nutzung-digitale-ueberwachung%3ehttp://www.zeit.de/politik/2013-06/umfrage-internet-nutzung-digitale-ueberwachung%3ehttp://www.zeit.de/politik/2013-06/umfrage-internet-nutzung-digitale-ueberwachung%3ehttp://www.zeit.de/politik/2013-06/umfrage-internet-nutzung-digitale-ueberwachung%3ehttp://www.nytimes.com/2013/06/07/us/nsa-verizon-calls.html?pagewanted=all&_r=0http://www.nytimes.com/2013/06/07/us/nsa-verizon-calls.html?pagewanted=all&_r=0
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    Deutschland ist somit ein wichtiger Partner fr die USA imUmgang mit zentralen sicherheitspolitischen Risiken. Ein Blick aufausgewhlte Konfliktlnder Libyen, Mali und Syrien zeigt gleich-zeitig die Grenzen der deutschen Kooperationswilligkeit, die strategi-sche Disparitt unter den Europern und ihre Abhngigkeit von denUSA, die auch in kommenden Kriseneinstzen ein Problem werdendrften.

    In Hinblick auf ein Eingreifen in Libyen bersetzte Deutsch-land im Mrz 2011 seine Angst vor einer militrischen Verstrickung ineine fr die westlichen Partner frustrierende Enthaltung im UN-Sicherheitsrat. Die USA beteiligten sich hingegen mit einer umfang-reichen Luftoperation, die in den ersten Tagen mit Lenkwaffen dielibysche Luftabwehr ausschalten konnte, und trugen somit mageb-lich zum Erfolg der von Frankreich und Grobritannien gefhrtenOperation, die spter in NATO-Kommando berging, bei.35

    hnlich sah es in Maliaus, wo Frankreich ab Januar 2013 mitUS-amerikanischer Aufklrungshilfe der Regierung in Bamako beimKampf gegen islamistische Rebellen im Norden des Landes half.Deutschland brskierte mit einem mageren Beitrag von zwei Trans-portflugzeugen seinen engsten europischen Partner, untersttzteaber vielleicht als Alibi eine Ausbildungsmission der EU.36

    Weder Europer noch Amerikaner konnten sich zu einem Ein-greifen in Syrien entschlieen, obwohl schnell erkennbar war, dassder Brgerkrieg lang und opferreich sein wrde, und dass sich isla-mistische Extremisten um eine starke Rolle in dem zerrtteten Landvor den Toren Europas bemhen wrden. Deutschland als nichtstn-diges Mitglied hatte sich intensiv fr eine Stellungnahme des VN-Sicherheitsrats eingesetzt. Nachdem eine chtung des Assad-Regimes oder gar ein Mandat fr Krisenmanahmen im Sicherheits-rat gegen russischen Widerstand nicht mglich war, blieb die EU rela-tiv unttig, abgesehen von Hilfsmitteln fr die Bewltigung der Flcht-lingsproblematik in den Nachbarlndern. Die EU beschloss zudembei einem Treffen seiner 27 Auenminister am 18. Februar 2013,dass keine Bewaffnung der Rebellen erfolgen sollte, aus Angst, dieWaffen knnten den Extremisten in die Hnde fallen.37 Im Februar

    35 Vgl. Andreas Rinke, Eingreifen oder nicht? Warum sich die Bundesregierung inder Libyen-Frage enthielt, in: Internationale Politik 4, Juli/August 2011, S. 44-52,

    ; Thom Shanker/ Eric Schmitt, Seeing Limits to NewKind of War in Libya, in: New York Times, 21.10.2011.36 Vgl. Markus Kaim, Deutschland und das internationale Konfliktmanagement inMali, SWP-Aktuell 2013/A 08, Januar 2013.37 Vgl. Rat der Europischen Union, Schlussfolgerungen des Rates zu Syrien, 18.Februar 2013.

    https://zeitschrift-ip.dgap.org/user/306https://zeitschrift-ip.dgap.org/user/306https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2011/juli-august/eingreifen-oder-nichthttps://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2011/juli-august/eingreifen-oder-nichthttps://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2011/juli-august/eingreifen-oder-nichthttp://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/s/thom_shanker/index.htmlhttp://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/s/eric_schmitt/index.htmlhttp://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/s/eric_schmitt/index.htmlhttp://www.swp-berlin.org/de/wissenschaftler-detail/profile/markus_kaim.htmlhttp://www.swp-berlin.org/de/wissenschaftler-detail/profile/markus_kaim.htmlhttp://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/s/eric_schmitt/index.htmlhttp://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/s/thom_shanker/index.htmlhttps://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2011/juli-august/eingreifen-oder-nichthttps://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2011/juli-august/eingreifen-oder-nichthttps://zeitschrift-ip.dgap.org/user/306
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    2013 kam dieser Streit noch einmal auf, als Frankreich und das Ver-einigte Knigreich den Konsens brechen wollten. Deutschland pochteauf den EU Konsens und wehrte sich gegen eine militrische Partei-nahme.38 Ein Hoffnungsschimmer ergab sich aus der Annherung derUSA mit Russland, in Form eines Besuchs des US-AuenministersJohn Kerry in Moskau zu Vorgesprchen ber eine Friedenskonfe-renz. Der deutsche Auenminister Westerwelle kndigte an, auf bei-de Seiten einwirken zu wollen, um die Konferenz mglich zu ma-chen.39

    38 Vgl. Krieg in Syrien Merkel zgert mit Waffenlieferungen an Assads Feinde, in:Sddeutsche Zeitung, 15.3.2013.39 Westerwelle sieht Chance fr Ende des Krieges, in: Rheinische Post, 9.5.2013.

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    Transatlantische Handelsbezie-hungen

    Whrend sich die transatlantischen und US-deutschen Sicherheits-beziehungen schwierig gestalten und sich daran auch in den kom-menden Jahren kaum etwas ndern drfte, sind die anstehendenVerhandlungen ber eine Transatlantische Handels- und Investitions-partnerschaft (TTIP) eine Chance, die transatlantische Wirtschaftsin-

    tegration deutlich voranzutreiben. Es wre gleichwohl naiv, anzu-nehmen, dass dies ein leichtes Unterfangen sein wird.

    Handelspo l i t ik der USA und d er EU im Zeichender Finanzkr ise

    Als Barack Obama 2009 ins Weie Haus einzog, spielte das ThemaHandel keine besondere Rolle fr den neuen Prsidenten. OberstePrioritt hatte die Bekmpfung der globalen Finanz- und Wirtschafts-krise sowie die Schaffung von Arbeitspltzen. Fr Obama war die

    Handelspolitik berdies ein politisch schwieriges Thema. Nicht nursteht die Mehrheit der Demokraten einer weiteren ffnung des US-amerikanischen Marktes kritisch gegenber, das Thema ist auch inder Bevlkerung unpopulr. Zudem wollte sich Obama von seinemVorgnger George W. Bush distanzieren, der eine proaktive Han-delsagenda verfolgt und zahlreiche Freihandelsabkommen abge-schlossen hatte. Im Laufe seiner ersten Amtszeit entdeckte Obamaallerdings die Handelspolitik als wirtschaftspolitisches Instrument frsich, um Wachstum und Beschftigung in den USA zu frdern unddie Amerikaner aus der Finanzkrise herauszufhren.

    In seiner State of the Union-Rede, der Ansprache zur Lage

    der Nation, vom 27. Januar 2010 kndigte der Prsident entspre-chend an, die US-amerikanischen Exporte in den kommenden fnfJahren verdoppeln und somit zwei Millionen neue Arbeitspltzeschaffen zu wollen. Zu diesem Zweck wurde im Mrz 2010 die Natio-nale Exportinitiative (NEI) ins Leben gerufen: Kleine und mittlere Un-ternehmen sollten strker untersttzt werden, und die Regierung woll-te internationale Handelsregeln auf wichtigen Mrkten aggressiverdurchsetzen. In diesem Zusammenhang revidierte Obama auch seineablehnende Haltung gegenber neuen FTAs. Neben dem Engage-ment in den aktuellen multilateralen Liberalisierungsverhandlungenim Rahmen der Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO)

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    sollten vor allem Handelsbeziehungen mit Asien und zentralen Han-delspartnern wie Sdkorea gestrkt werden. Im Mrz 2010 nahmendie USA dann zum ersten Mal an den Verhandlungen zu einer Trans-pazifischen Partnerschaft (TPP) teil.40 Daneben zeigte Obama zuBeginn seiner zweiten Amtszeit auch ein verstrktes Interesse aneiner Vertiefung und Ausweitung der Handels- und Investitionsbezie-hungen mit der EU.

    Die Europer verfolgen seit Jahren eine proaktive Handelspo-litik. Freihandelsabkommen sind ein wichtiger Teil ihrer StrategieGlobal Europe: Competing in the World (2006). Hierin wird unteranderem der Abschluss neuer Handelsabkommen gerade mit asiati-schen Handelspartnern gefordert, um die Wettbewerbsfhigkeit derEU zu verbessern.41 Dabei soll es nicht nur um die klassischen Han-delsthemen wie den Abbau von Zllen gehen. Zu den so genanntenHandels-Plus Themen, die in das Zentrum der EU-Handelspolitik ge-rckt sind, gehren die ffentlichen Auftragsvergabe, der Schutz geis-

    tigen Eigentums, Wettbewerbs sowie Umwelt und Soziales. Die Krite-rien fr neue Handelsabkommen sind: 1. Marktpotential des Partner-lands, 2. Offenheit fr EU-Exporte und 3. bereits bestehende FTAsvon Wettbewerbern (insbesondere der USA, Japans und Chinas),welche die EU benachteiligen.42

    Deutschland ist ein wichtiger Treiber in der Handelspolitik derEU. Whrend die Bundesregierung zwar nach wie vor den Abschlussder Doha-Runde der WTO als hchste Prioritt nennt, setzt sie sichschon lange fr den Abschluss bilateraler Handelsabkommen ein.Ausdruck dessen war sowohl ihre Untersttzung der FTA-Verhandlungen mit Sdkorea als auch jngst der Aufnahme von Ge-

    sprchen mit Japan. Auch ein Freihandelsabkommen mit den USA istseit langem ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. Die Bundes-regierung bewertet FTAs dabei nicht als Alternative, sondern als Er-gnzung zum multilateralen Handelssystem, in anderen Worten alsstepping stone und nicht als stumbling block. Die Bundesregierunghofft, ber bi- und plurilaterale Handelsabkommen, schneller als unterdem Dach der WTO, Marktffnung voranzutreiben und das Handels-recht an die neuen weltwirtschaftlichen Herausforderungen anzupas-

    40 Die Ursprnge der TPP gehen auf das Trans-Pacific Strategic EconomicPartnership (TPSEP), auch P4-Abkommen genannt, zurck, das von 2002 bis

    2005 zwischen Chile, Neuseeland, Singapur und spter auch Brunei verhandeltwurde. Im Februar 2008 hatte der damalige US-Prsident George W. Bush ange-kndigt, dass sich die USA an den Verhandlungen ber die noch ausstehendenBereiche beteiligen wrden. Im Zuge des Regierungswechsels nach der Wahl desneuen Prsidenten Barack Obama verzgerte sich der weitere Prozess jedoch.41 Vgl. European Commission, New Strategy Puts EU Trade Policy at Service ofEuropean Competitiveness and Economic Reform, 4.10.2006,(eingesehen am 15.3.2013).42 Vgl. Georg Koopmann/Lars Vogel, Regionalisation of Trade and Regionalism inTrade Policy Patterns, Strategies and Impact, in: Intereconomics, September-October 2008, S. 306.

    http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=211&serie=163&langId=enhttp://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=211&serie=163&langId=enhttp://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=211&serie=163&langId=en
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    sen. Gleichzeitig betont sie die Bedeutung der WTO als zentrale Or-ganisation zur Wahrung eines regelbasierten, multilateralen Handels-systems und zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten. Diese Ein-schtzung teilt Deutschland mit den USA.

    Transatlantis che Integr ation

    Wirtschaftliche VerflechtungWenige Volkswirtschaften sind so eng miteinander verflochten wie dieder USA und der EU. Trotz des Aufholprozesses der Schwellenlndersind die transatlantischen Partner nach wie vor die wirtschaftlichenSchwergewichte der Welt. Zusammen verfgen sie ber die weltweitgrten Volkswirtschaften und Mrkte. Rund 40 Prozent des weltwei-ten Bruttoinlandsprodukts (BIP), 25 Prozent der weltweiten Gterex-

    porte (EU-interne Exporte nicht mitgerechnet), rund 44 Prozent derglobalen Dienstleistungsexporte (ebenfalls ohne EU-interne Exporte),und etwa 39 Prozent des weltweiten Bestands an auslndischen Di-rektinvestitionen (FDI-Inward Stocks; EU-interne Bestnde nicht mit-gerechnet) entfielen 2011 auf die transatlantischen Partner.43 ber-dies waren sie fr rund 63 Prozent der weltweiten Unternehmensfusi-onen und -bernahmen verantwortlich.44

    Die USA sind seit Jahren der wichtigste Exportmarkt fr euro-pische Unternehmen; 2011 gingen 15,8 Prozent der EU-Exporte indie USA. Fr die USA ist die EU der grte Exportmarkt nach Kana-da (18,2 Prozent). Der Anteil der gegenseitigen Dienstleistungsexpor-te am gesamten Dienstleistungsverkehr der beiden Partner liegt so-gar noch etwas hher bei rund 24 (EU) und 38 Prozent (USA).45 Nochenger sind die Verflechtungen bei den auslndischen Direktinvestitio-nen. Sie sind Rckgrat und Motor der transatlantischen Wirtschaftsin-tegration zugleich. So flossen 2011 51,1 Prozent der gesamten US-amerikanischen, im Ausland gettigten Direktinvestitionen in die EU.Im Gegenzug gingen im Jahr 2011 knapp 34 Prozent der gesamteneuropischen FDI in die USA.46 Besonders eindrucksvoll ist die Ent-wicklung der Gewinne US-amerikanischer Tochterunternehmen inEuropa beziehungsweise europischer Unternehmen in den USA.Seit Jahren steigen diese kontinuierlich an. Europa ist die profitabels-te Region fr US-Unternehmen. Seit dem Jahr 2000 werden 56 Pro-

    zent der Einnahmen von US-Tochtergesellschaften im Ausland inEuropa erzielt.47

    43 Daten aus Eurostat und UNCTAD (eingesehen am 17.4.2013).44 Vgl. Dan Hamilton/ Joseph Quinlan, The Transatlantic Economy 2013, Mrz 2013,S. 19, Daten fr 2011.45 Daten von Eurostat und Bureau of Economic Analysis (eingesehen am 15.3.2013).46 Eurostat (bop_fdi_main) (einge-sehen am 15.3.2013).47 Vgl. Dan Hamilton/ Joseph Quinlan, The Transatlantic Economy 2013, S. xiii.

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    Auch fr Deutschland sind die USA ein wichtiger Wirtschafts-partner. In der Rangfolge der wichtigsten Handelspartner auerhalbder EU liegen die USA bei den Ausfuhren auf Platz eins noch vorChina.48 Amerika ist ein wichtiger Absatzmarkt und Produktions-standort fr deutsche Unternehmen. Der Absatz der deutschen Au-tomobilbranche in den USA boomt. Neben der Automobilbrancheprofitieren auch der deutsche Maschinenbau, Chemie sowie Elektro-technik und Zukunftsbranchen wie Gesundheit und erneuere Ener-gien vom Amerikageschft. Fr die USA liegt Deutschland an sechs-ter Stelle im Gterhandel (inkl. EU, sonst an fnfter Stelle).49 Amerikahat ein Interesse an dem Engagement deutscher Unternehmen imLand, bringen sie doch wichtige Arbeitspltze.

    Der transatlantische Handel ist bereits stark liberalisiert. Diedurchschnittlichen angewandten Zlle sind mittlerweile sehr niedrig:Die EU hat einen Zollsatz von rund 4 Prozent bei Industriegtern; beiAgrargtern liegt der Satz mit 13,9 Prozent allerdings deutlich dar-

    ber.50 In den USA liegt der durchschnittliche Zollsatz bei 3,3 Prozentauf Industriegter und 5 Prozent auf Agrargter.51 Es gibt allerdingsnoch eine Vielzahl an Spitzenzllen, die sich in der EU vor allem imAgrarhandel und in den USA insbesondere bei Textilien (42%), Be-kleidung (32%) sowie Leder und Schuhwerk (56%) finden. Insgesamtbelasten Hochzlle aber nur einen geringen Teil des transatlanti-schen Handels (2% der EU-Importe und 0,8% der US-Importe).52

    Nach wie vor stellen zudem technische, nichttarifre Marktzu-gangsbarrieren (NTBs) gravierende Handels- und Investitionshemm-nisse dar. Technische (regulative) Handelsbarrieren existieren vorallem in der Pharma- und Kosmetikindustrie, der Kraftfahrzeugbran-

    che sowie der Textil- und Bekleidungsindustrie. Daneben belastenRegistrierungs-, Dokumentations- und Zollabwicklungsverfahren dentransatlantischen Handel.

    48 Statistisches Bundesamt, Auenhandel 2012,

    (eingesehen am 21.5.2013).49 United States Census, Top Trading Partners - Total Trade, Exports, Imports, (ein-gesehen am 21.5.2013).50 WTO, European Union Tariff Profile, (eingesehen am 19.3.2013).51 WTO, United States Tariff Profile, (eingesehen am 19.3.2013).52 Vgl. EU Commission, Impact Assessment Report on the Future of EU-US TradeRelations, Commission Staff Working Document, Strasbourg 12.3.2012.

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    Handelspolitische Zusammenarbeit: Treiber Deutsch-landEine strkere transatlantische Integration ist wnschenswert, doch istdieses Vorhaben alles andere als einfach. Bislang scheiterten hnli-

    che Versuche am mangelnden Interesse der USA und am Wider-stand einiger EU-Mitglieder wie etwa Frankreich. In Deutschland wur-de die Idee einer TAFTA (Transatlantic Free Trade Agreement) erst-mals 1995 vom damaligen Auenminister Kinkel vorgebracht. Diedeutsche Initiative bereitete den Weg fr die Neue TransatlantischeAgenda und die Grndung des Transatlantischen BusinessDialogues. Die Ergebnisse waren jedoch bescheiden. Dies gilt auchfr die 2005 ins Leben gerufene EU-US-Wirtschaftsinitiative, die denAbbau von NTBs zum Ziel hatte. Die Harmonisierung beziehungswei-se gegenseitige Anerkennung von Regelwerken verlangt komplexeund teils teure gesetzliche und regulatorische nderungen auf beidenSeiten des Atlantiks. Erschwert wird die Regulierungskooperation

    durch die unterschiedlichen Regulierungsphilosophien dies- und jen-seits des Atlantiks, die besonders beim Thema Umwelt- und Gesund-heitsschutz sichtbar werden. So wendet die EU das sogenannte Vor-sorgeprinzip an. Im Gegensatz zu den USA basieren Regulierungenund Standards in der EU entsprechend nicht nur auf einer wissen-schaftlich fundierten Risikoanalyse, sondern beziehen auch potentiel-le, nicht-wissenschaftlich belegte Bedrohungen mit ein. Erschwertwird die Kooperation zudem durch das fehlende Vertrauen in die In-tentionen der Partner. Whrend die EU beispielsweise das Verbotvon Hormonfleisch mit dem Konsumentenschutz begrndet, vermu-ten die USA darin die versteckte Absicht, den heimischen Agrarsektorzu schtzen. Schlielich hemmt die Vielzahl an Regulierungsinstan-zen auf bundes- und einzelstaatlicher Ebene in den USA sowie in derEU und ihren Mitgliedstaaten die transatlantische Regulierungsko-operation. Ohne Engagement auf hchster politischer Ebene lsstsich daher eine Harmonisierung oder gegenseitige Anerkennung vonRegulierungen nicht durchsetzen. Doch gerade daran haperte es inder Vergangenheit sowohl in den USA als auch in der EU.

    Im September 2006, in Vorbereitung auf die deutsche EU-Ratsprsidentschaft, lancierte Bundeskanzlerin Angela Merkel erneutdas zu diesem Zeitpunkt noch recht vage umrissene Projekt einertransatlantischen Freihandelszone. Merkels Initiative lste zunchstnur verhaltene bis kritische Reaktionen in Berlin und Brssel aus.

    Bernd Pfaffenbach, damaliger Staatssekretr im Bundesministeriumfr Wirtschaft und Technologie (BMWi), bezeichnete die Initiative alsTodessto fr die Doha-Runde der WTO. Und der damalige EU-Handelskommissar Mandelson warnte, dass der Rest der Welt mitEntsetzen reagieren wrde, sollten die beiden grten Wirtschafts-mchte exklusive Handelsvorteile vereinbaren.53 Als Konsequenz gab

    53Vgl. Peter Mandelson zitiert in: EU-Handelskommissar lehnt Freihandelszone ab,in: Manager-Magazin, 3.10.2006.

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    die Kanzlerin die Idee einer TAFTA auf und warb fr eine engere Zu-sammenarbeit, insbesondere den Abbau nicht-tarifrer Handels-hemmnisse. Beistand erhielt Merkel vom EU-Parlament, das sich inseiner Entschlieung zu den transatlantischen Beziehungen vom 25.April 2007 deutlich fr ein neues transatlantisches Partnerschaftsab-kommen aussprach.

    Die deutsche Initiative war erfolgreich: Am 30. April 2007 un-terzeichneten die EU und die USA in Washington die Rahmenverein-barung zur Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsintegrationund grndeten den Transatlantic Economic Council(TEC).54 Ziel derneuen Initiative war der Abbau von NTBs. Dabei wurden zweiSchwerpunkte gesetzt: Zum einen sollte der TEC auf bestehendensektoralen Dialogen aufbauen (Nahrungsmittelsicherheit, Verbrau-cherschutz etc.), zum anderen wurden Leuchtturmprojekte identifi-ziert, die sich mit Schutz geistigen Eigentums, Finanzmrkten usw.befassen sollten. Durch dieses neue High-level-Forum seine Mit-

    glieder haben Kabinettsrang sollten politische Ziele gesetzt und denbestehenden Dialogen eine neue Dynamik gegeben werden.

    Die Ergebnisse der Arbeit des TEC waren gleichwohl ber-schaubar. Zu seinen Erfolgen gehren unter anderem die gegenseiti-ge Anerkennung der Rechnungslegungsstandards, das Open Skies-Abkommen ber den freien Luftfahrtverkehr sowie die gegenseitigeAnerkennung der Zollsicherheitsprogramme. Im TEC zeigte sich al-lerdings erneut, wie schwierig die Harmonisierung oder auch die (ge-genseitige) Anerkennung abweichender Standards und Regulierun-gen ist.

    Beim EU-US-Gipfel Ende 2011 kamen die Partner berein,dass die transatlantische Kooperation einen neuen Impetus bruchte.Entsprechend riefen sie eine hochrangig besetze EU-U.S. High LevelWorking Group on Jobs and Growth (HLWG) ins Leben. Bis Ende2012 sollte die vom US-Handelsbeauftragten (USTR) Ron Kirk unddem EU-Handelskommissar Karel de Gucht geleitete Arbeitsgruppeeinen umfassenden Manahmenkatalog erstellen. Anfang Februar2013 legte die HLWG ihre Vorschlge fr eine engere transatlanti-sche Zusammenarbeit vor und empfahl ein umfassendes Handels-und Investitionsabkommen. Am 12. Februar kndigten US-PrsidentBarack Obama, EU-Kommissionsprsident Jos Manuel Barroso undHerman Van Rompuy, Prsident des Europischen Rats, an, Ge-

    sprche ber ein solches Handels- und Investitionsabkommen aufzu-nehmen. Trotz der politischen Verstimmungen ber das US-amerikanische Sphprogramm begann die erste Ver-handlungsrundewie geplant am 8. Juli in Washington. In diesem Jahr sind noch zweiweitere Verhandlungsrunden geplant, eine im Herbst in Brssel undeine erneut in Washington.

    54 Vgl. Rahmenvereinbarung zur Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsintegra-tion zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europischen Union,EU/USA (2007).

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    Dass die transatlantischen Partner die TAFTA wiederentdeckthaben, hat mehrere Grnde. An erster Stelle ist sicherlich die Finanz-und Wirtschaftskrise zu nennen, unter deren Folgen die USA und dieEU nach wie vor leiden. Die US-Wirtschaft wchst zwar wieder, dochsind die Prognosen fr die kommenden Jahre nicht rosig. ZahlreicheEU-Mitglieder drften 2013 erneut in eine Rezession rutschen, unddie Schuldenkrise ist alles andere als berwunden. Die USA und EUversprechen sich von einer gegenseitigen Handelsliberalisierung ei-nen Wachstumsimpuls, der keine weiteren Kosten verursacht. Einweiterer Grund liegt in der erodierenden Wettbewerbsfhigkeit derIndustrielnder gegenber den Schwellenlndern wie China und Indi-en. Hatte die EU 1980 noch einen Anteil von 34,2 Prozent am welt-weiten BIP, so ist dieser mittlerweile (2011) auf 25,2 Prozent ge-schrumpft. hnlich sieht es bei den Exporten aus. Im Jahr 1980 ent-fielen noch 22,7 Prozent der weltweiten Gterexporte auf die EU,heute liegt dieser Anteil nur noch bei 13,9 Prozent (2011).55 Auch die

    Anteile der USA am Welt-BIP und am globalen Handel sind kontinu-ierlich zurckgegangen. Ein transatlantisches Handels- und Investiti-onsabkommen soll die Wettbewerbsfhigkeit der EU und USA str-ken.

    Die transatlantischen Partner erhoffen sich zudem, dass siezusammen die konomische und politische Strke entwickeln, umglobale Standards beispielsweise fr Investitionssicherheit oder auchfairen Wettbewerb zu setzen. Denn alleine wird ihnen dies nicht mehrgelingen. Fr die EU und Deutschland stellen die US-Verhandlungenber die TPP zudem einen starken Motivationsfaktor fr ein transat-lantisches Abkommen dar. Erhalten die TPP-Lnder prferentiellenZugang zum US-amerikanischen Markt hat dies einen Wettbewerbs-verlust fr europische Anbieter zur Folge. Schlielich drften die seitJahren stagnierenden Verhandlungen unter der Doha-Runde dietransatlantischen Partner motiviert haben, intensiver ber eine TTIPnachzudenken. Nicht nur ist der Abschluss eines ambitionierten Do-ha-Pakets in naher Zukunft unwahrscheinlich. berdies werden diemeisten der fr die EU und USA wichtigen Handels-Plus Themen inder Doha-Runde berhaupt nicht verhandelt.

    Die Transatlantisc he Handels- und Investi t i -onspartnersc haft (TTIP)

    Die EU und USA sind sich darin einig, dass ein transatlantischesHandels- und Investitionsabkommen umfassender Natur sein muss.

    55 IWF, World Economic Outlook Database, April 2011, via:; IWF, Direction ofTrade Statistics, via: (eingese-hen im April 2012).

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    Vor allem Deutschland drngt darauf, dass das Abkommen mit WTO-Recht vereinbar sein muss, und dies ist nur mglich, wenn alle Sekto-ren liberalisiert werden. Neben der Beseitigung von Zllen soll eszudem vor allem um den Abbau nicht-tarifrer Handelshemmnissegehen. Darber hinaus sollen die Verhandlungen auch Handels-Plus-Themen umfassen, darunter insbesondere Regeln fr die ffentlicheAuftragsvergabe, Investitionen, Schutz geistigen Eigentums und Pa-tente, Wettbewerb, Datenschutz, Umwelt und Soziales. Im Folgendenwerden einige der zentralen Verhandlungsthemen kurz angespro-chen.

    Zankapfel Landwirtschaft und GMOsDas Problem fr die Verhandlungen liegt vor allem im Agrarbereich seit Jahrzehnten ein Konfliktpunkt zwischen den USA und der EU.Agrarexporte sind wichtig fr die USA, die weltweit zu den grtenAgrarproduzenten und -exporteuren zhlen.56 Ihre Exporte treffenjedoch auf Spitzenzlle, Quoten sowie strenge gesundheitliche undpflanzenschutzrechtliche Standards in der EU. Rund 40 Prozent desAgrarhandels mit der EU unterliegen nach wie vor Zllen ber 10Prozent. In einzelnen Produktkategorien liegt die Zollbelastung sogardeutlich darber.

    Noch mehr als die Zlle sind den Amerikanern allerdings diezahlreichen nicht-tarifren Handelshemmnisse ein Dorn im Auge. Derprominenteste Konflikt zwischen den USA und der EU betrifft deneuropischen Zulassungsprozess fr gentechnisch vernderte Nah-rungsmittel (GMOs), der fr die USA exemplarisch fr die protektio-nistische Agrarpolitik der EU steht. Die EU wendet dabei das bereits

    erwhnte Vorsorgeprinzip an. Trotz mehrerer Schiedssprche desWTO-Streitschichtungsgremiums zugunsten der USA luft die Zulas-sung bis heute noch immer extrem schleppend.57 Bislang hat eskaum ein Produkt durch den schwierigen Zulassungsprozess ge-schafft. Zudem sind in vielen EU-Mitgliedstaaten, darunter auchDeutschland, bis heute zahlreiche Ausnahmen in Kraft.

    Der seit Jahren schwelende Konflikt um GMOs wird sicherlichim Rahmen der Verhandlungen um die TTIP eine Rolle spielen. Er

    56 USDA, Foreign Agricultural Service: Production, Supply and Distribution Online, (eingesehen am 9.1.2012); U.S.

    Census, The 2012 Statistical Abstract, Agriculture, (eingesehen am

    9.1.2012).57 Vgl. USTR, 2012 Report on Sanitary and Phytosanitary Measures (SPS Report),Mrz 2012, S. 41, (eingesehen am9.1.2013); WTO, European Communities Measures Affecting the Approval andMarketing of Biotech Products, (eingesehenam 31.3.2010); EU Kommission, WT/DS291 - Measures Affecting the Approval andMarketing of Biotech Products, (GMOs), (eingesehen am31.3.2010).

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    wird jedoch aufgrund schwerwiegender Verbraucherngste in der EU(auch in Deutschland) nur schwer zu lsen sein. Trotzdem befrwor-tete Deutschland ein umfassendes Abkommen, das Verhandlungenber alle Bereiche der Landwirtschaft, inklusive Lebensmittelregulie-rung und Gentechnik, einschliet. Ansonsten befrchtete die Bundes-regierung, dass auch die USA Ausnahmen nennen werden, infolgederer das Endergebnis der Verhandlungen nur bescheiden ausfallenwrde. Damit konnte sich Deutschland auch gegen Frankreich durch-setzen, ein besonders starker Gegner von GMOs. Dies gelang derBundesregierung hingegen nicht beim Thema Kultur und audiovisuel-le Dienste. Frankreich setzte sich mit seiner Forderung durch, dassdieser Bereich von den Verhandlungen ausgeklammert wird. Aller-dings gibt es die Mglichkeit, diesen Sektor wieder in die Verhand-lungen einzubeziehen, wenn dem Verhandlungsergebnis alle europ-ischen Staaten inklusive Frankreich zustimmen.58

    Reziprozitt in der ffentlichen AuftragsvergabeDas Thema ffentliche Auftragsvergabe ist fr die EU und auch frDeutschland besonders wichtig. Die EU-Kommission kritisiert inihren Berichten ber Handelsbarrieren der Handelspartner seit lan-gem, dass der Vergabemarkt in den USA deutlich geschlossener istals der der EU. Nach Angaben der Kommission sind in den USA le-diglich 32 Prozent der ffentlichen Auftrge fr auslndische Anbieterzugnglich.59 Das Problem liegt darin, dass die Auftragsvergabe teil-weise in den Hnden der einzelnen US-Bundesstaaten liegt; die be-stehenden Abkommen decken jedoch in erster Linie Ausschreibun-gen der Bundesregierung ab. Zustzlich kritisiert die EU, dass die

    USA im Rahmen der Finanzkrise verstrkt begonnen haben, die hei-mischen Produzenten durch nationale Prferenzbestimmungen (so-genannte Buy American-Klauseln) zu schtzen. Diese finden sichbeispielsweise bei Infrastrukturprojekten wieder.60

    Dieses Thema wird auch beide Partner in den Verhandlungenber die TTIP beschftigen. Die HLWG hat in ihrem Abschlussberichtvom Februar 2013 bereits vorgeschlagen, dass das ffentliche Auf-tragswesen auf allen Regierungsebenen (auch auf Ebene der US-Bundesstaaten) auf dem Prinzip der Inlnderbehandlung (auslndi-sche Bieter mssen wie inlndische behandelt werden) beruhen soll-te.

    58 Vgl. Cerstin Gammelin, EU einigt sich auf Verhandlungen mit den USA, in: Sd-deutsche Zeitung, 14.06.2013, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geplantes-freihandelsabkommen-eu-einigt-sich-auf-verhandlungen-mit-usa-1.1697262 (abgeru-fen 09.07.2013).59 Vgl. Werner Mussler, EU verschrft Handelsstreit mit China, in: FAZ, 21.03.201260 Vgl. European Commission, Trade and Investment Barriers Report 2012,COM(2012) 70 final, Februar 2012, S.8, (eingese-hen am 12.3.2013).

    http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geplantes-freihandelsabkommen-eu-einigt-sich-auf-verhandlungen-mit-usa-1.1697262http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geplantes-freihandelsabkommen-eu-einigt-sich-auf-verhandlungen-mit-usa-1.1697262http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geplantes-freihandelsabkommen-eu-einigt-sich-auf-verhandlungen-mit-usa-1.1697262http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geplantes-freihandelsabkommen-eu-einigt-sich-auf-verhandlungen-mit-usa-1.1697262http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geplantes-freihandelsabkommen-eu-einigt-sich-auf-verhandlungen-mit-usa-1.1697262
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    Die deutsche Industrie ist exportorientiert und internationalsehr wettbewerbsfhig. Aus diesem Grund setzt sie sich stark dafrein, dass das Prinzip der Inlnderbehandlung bei ffentlichen Auftr-gen in das transatlantische Abkommen integriert wird. Dieser Punkt,der zu den Handels-Plus-Themen gehrt, ist eine zentrale ForderungDeutschlands fr die Verhandlungen mit den USA.

    RegulierungskooperationDer transatlantische Handel ist, wie beschrieben, nicht nur durch Zl-le, sondern vor allem durch NTBs und regulatorische Barrieren wieZulassungsverfahren, technische Standards (TBT), Sicherheits-, Hy-giene- und Gesundheitsstandards (SPS) beeintrchtigt. Nach Aussa-gen von EU-Handelskommissar Karel de Gucht haben diese regula-torischen Hemmnisse die gleichen Auswirkungen wie ein Zoll zwi-schen 10 und 20 Prozent. Daher streben beiden Seiten im Rahmender TTIP an, Standards und Normen zumindest in Teilbereichen an-zupassen beziehungsweise gegenseitig anzuerkennen. Auch dieHLWG hat in ihrem Bericht vom Februar 2013 die unterschiedlichenRegulierungsanstze als eines der drei zentralen Themen fr dieVerhandlungen genannt.61 Aufgrund der Komplexitt der Regulierun-gen wird dieser Bereich jedoch einer der schwierigsten in den Ver-handlungen ber eine TTIP sein.

    Die Regulierungen treffen auch Deutschland als Exportnationhart. So leiden beispielsweise die deutschen Autohersteller wie Daim-ler oder BMW unter den vielen doppelten Zertifizierungserfordernis-sen bei jedem neuen Modell, das exportiert werden soll. Und auch diedeutsche Pharmaindustrie (Fresenius, Bayer) will die doppelten Test-

    erfordernisse bei neuen Medikamenten so schnell wie mglich ab-schaffen. Sie wrde von einer Vereinheitlichung der Produktstan-dards deutlich profitieren.62

    Perspektiven der TTIPWashington hat aufgrund der bestehenden politischen Blockade undPolarisierung zwischen den Demokraten und Republikanern, die ein-mal mehr bei den Verhandlungen zur Abwendung der FiskalklippeEnde 2012 deutlich wurden, an Handlungsfhigkeit eingebt. Dochdie Handelspolitik ist eines der wenigen Politikfelder, in dem eine Ei-nigung sowohl zwischen Republikanern und Demokraten als auch

    zwischen Prsident und Kongress mglich scheint. Dafr spricht ers-tens, dass die Mehrheit der Republikaner grundstzlich Marktffnungund den Abschluss neuer Handelsabkommen befrwortet. Zweitenslehnen die Demokraten eine TTIP im Gegensatz zu Abkommen mit

    61 Vgl. High Level Working Group on Jobs and Growth, Final Report, 11. Februar2013, (eingesehen am 27.3.2013).62 Vgl. Ulf Schneider (Fresenius), Transatlantik-Freihandel: Warum wir uns beeilensollten, in: FAZ, 2.2.2013, S. 14.

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    weniger entwickelten Volkswirtschaften nicht ab, da sie keine Verla-gerung von Arbeitspltzen (Outsourcing) befrchten mssen. Ganzim Gegenteil versprechen sich beide Parteien Wachstumsimpulse.Auch die Mehrheit der Bevlkerung befrwortet eine Intensivierungder transatlantischen Beziehungen. Ein Wermutstropfen ist, dassPrsident Obama zurzeit keine Handelsvollmacht (TPA) hat, unterder Handelsabkommen beschleunigt vom Kongress verabschiedetwerden mssen, sobald sie der Prsident vorlegt. Ohne diese Voll-macht kann der Kongress Zustze oder nderungen an dem Ab-kommen verlangen oder die Ratifizierung endlos verschleppen. Ander Aufnahme von Verhandlungen hindert den Prsidenten die feh-lende TPA allerdings nicht. Der Prsident wird jedoch eng mit demKongress zusammenarbeiten mssen.

    In der EU hat sich neben der Kommission auch das Europi-sche Parlament fr ein transatlantisches Abkommen ausgesprochen,allerdings auf Druck einiger Mitgliedstaaten wie Frankreichs gleich

    auch einige rote Linien gezogen, die nicht berschritten werden soll-ten. Dazu gehrt beispielsweise in der Landwirtschaft die W