transform- ein Magazin über Veränderungen
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konstanze-krueger -
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#0 neula
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agazin
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derungen
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transform #0Ein Magazin ber Vernderungen
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the only wcon-stant in life
is change
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editorial
Alles ist im Wandel. Meist passiert es sehr pltzlich und doch weit du sofort ab jetzt ist alles anders und ein Zurck wird es nicht mehr geben. Das was war, erscheint in einem vllig anderen
Licht. Das Neue bricht wie ein Blitz in unsere Welt. Dann
gibt es Zeiten, in denen unser altes Leben unbequem
wird, wir aus dem Tritt kommen und sich die Gewiss
heit breit macht: So geht es nicht weiter. Wir sehnen
uns nach etwas Neuem. Oder aber wir ahnen, dass bald
alles anders sein wird ob wir wollen oder nicht. Das Le
ben luft pltzlich nicht mehr rund und dann ist sie da:
die Angst vor dem Unbekannten, vor dem Verlust, vor
dem Scheitern, vor falschen Entscheidungen. Was
kommt nun? Wie geht es weiter?
Vernderungen sind ein wichtiger Bestandteil unseres
Lebens. Sie verschaffen uns wichtige Erfahrungen, die
unsere Meinungen bilden unsere Einstellungen prgen,
uns zu dem machen, was wir sind. Immer wieder ste
hen wir vor Entscheidungen, die weit reichende Konse
quenzen haben. Mitunter ist das nicht leicht. Zu gern
mchte man die Zeit anhalten und alles beim Alten be
lassen. Nicht immer sind Vernderungen das, was wir
gerade wollen.
Der Prozess der Vernderung verluft selten geradlinig,
jedoch folgt er einer inneren Logik. Man kann ihn in vier
Phasen gliedern. Diese knnen un ter schied lich intensiv
ausgelebt werden, jedoch muss jede einzelne durchlebt
werden. TRANSFORM macht sich diese vier Phasen zur
Grundlage und wird in jeder Ausgabe einen Aspekt des
Neuanfangs thematisieren.
TRANSFORM erzhlt vom Zweifel, vom zwischen den
Sthlen sitzen, von Weggabelungen und vom Unwil
len, sein schnes altes Leben aufzugeben, von der Halt
losigkeit, wenn die Erfahrungen fehlen, wir auf uns al
lein gestellt sind und uns entscheiden mssen zwi
schen guten Ratschlgen und unseren Instinkten.
Trotz allem gibt uns das Neue das Gefhl, lebendig zu
sein. Anfnge sind Chancen auf ein anderes Leben. Da
durch bekommen sie etwas Magisches. Das Neue faszi
niert, denn wir haben es noch nicht durchschaut, aus
probiert und verstanden. Es birgt ein Geheimnis, das
uns fesselt. Immer wieder aufs Neue.
Diese Ausgabe soll die Schnheit der Chance feiern, die
uns ein radikaler Richtungswechsel im Leben gibt. Denn
am Ende sind es die Umbrche, an die wir uns erinnern
werden und die die besten Geschichten abgeben.
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phase 1 irgendwas stimmt hier nicht
10 dasschauspielDer Morgen danach war immer wieder der Morgen danach. Selbst nach Monaten war es der Morgen danach.
12 wasbleibt?
14 wasichmitmeinemrestlebenmachenknnteIch wollte es so. Ich wollte immer ein Volontariat. Bei einer Tageszeitung. Und nun hat es geklappt.Juhu! Ich wollte es so. Lcheln und winken.
16 vernderung
19 wardasschonalles?
23 guteberschriftwarausVersicherungen zahlen, Mll rausbringen, Splmaschine ausrumen. Erwachsenen leben ist frchterlich.
24 ichweissnixAber was, das ist hier die Frage und lsst mich gleich im ersten Satz stolpern und nicht weiterkommen.
26 grau,grau,grau
phase 2 es war doch so schn
33 niemand,dersoist Es gibt niemanden, der ihn ersetzen kann, obwohl das
natrlich total praktisch wre.
34 frmeineinternetfreundin
39 inderhoffnung,dasszeitensichndernDie Mglichkeit, Gefhle zu teilen, ist ein Privileg. Dein Recht dazu wrde ich dir niemals absprechen. Selbst wenn es mit ihr ist.
42 waresgestern? Eigentlich sind wir es mde, jung sein zu mssen und
der Krper strotzt nur so vor jugendlichem Leichtsinn, das Leben liegt noch vor uns.
44 damals
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phase 4 alles neu
70 hutungMitten in der Wirtschaftskrise will ich meinen Job kndigen. Das klingt doch vernnftig, nicht wahr?
72 zukunftIch packe meine Koffer und ziehe nach Lissabon, von heute auf morgen, ohne jede Absicherung, aber mit dem sssen Geschmack der Freiheit.
74 neu
76 einneuanfangStell dir vor,es gab einen Moment,da lag alles vor dir,
was sein kann.
78 ausmistenradikalIn einem Jahr hat Dave Bruno seinen Besitz auf 100 Sachen reduziert.
80 dieentdeckungderlangsamkeitUnd wann hatte sich das Leben eigentlich so beschleunigt?
88 dasjanuar-gefhlDas JanuarGefhl ist eigentlich unsinnig man knnte ja immer etwas Neues anfangen.
90 ichlassdiezukunftjetzteinfachpassieren.Einfach so. Ganz schlicht und einfach. Weil es das ist, was ich immer wollte.
3 editorial
92 bildnachweis/impressum
phase 3 nichts als gespenster
50 wohinJeder hat doch einen Traum, eine Wunschvorstellung. Was ist eigentlich falsch gelaufen, dass ich keinen Traum habe?
52 knnen!wollen?scheitern.Nichts ist bedrckender als die Freiheit, zwischen allen Mglichkeiten whlen zu drfen.
54 weglauftendenzIch bin 25, stehe seit einem Jahr im Berufsleben und bewohne ein gnstiges Zweizimmergehuse in einer mittelgroen Stadt. Alleine.
56 ganzentschlossenunent-schlossenWarum behaupten eigentlich alle in letzter Zeit, unsere Generation sei entscheidungsunfhig? Eine Verteidigung der Wahlfreiheit.
60 wasdieangstsotreibt,wennsienichtmehrweiterweissWenn Emotionen einen trinken gehen.
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irgendwas stimmt hier nicht
Phase 1 des Vernderungsprozesses schleicht sich scheinbar unbe
merkt heran. Das Gefhl macht sich breit, dass irgendetwas nicht
mehr stimmt. Du bist unzufrieden, aber weit noch nicht warum. Die
Schuhe fangen neuerdings an zu drcken, du kommst ins Stolpern
und aus dem Takt. Pltzlich kommt das Gefhl des Zweifelns auf. Ist
es wirklich das, was du willst? Es gibt doch noch so viele andere Opti
onen. Oder doch nicht? Da ist etwas, was dich zgern lsst. Die Angst
vor dem ersten Schritt, der alles ins Wanken bringen knnte und vor
dem Unbekannten, vor dem Verlust, vor dem Scheitern, vor falschen
Entscheidungen. Der Zweifel nagt an dir. Jetzt bist du in der Klemme.
Noch ein bisschen warten, vielleicht wird ja alles wieder gut?
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Zweifel Substantiv, m, [Zweifel, Plural: Zweifel, Zweifel, Plural: Zweifel] (mittel-
hochdeutsch zwvel, althochdeutschh zw-
val aus germanisch twfla, doppelt, gespal-
ten, zweifach, zwiefltig) ist ein Zustand
der Unentschiedenheit zwischen mehreren
mglichen Annahmen, da entgegengesetz-
te oder unzureichende Grnde zu keinem
sicheren Urteil oder einer Entscheidung
fhren knnen. [1] Er wird auch als Unsi-cherheit in Bezug auf Vertrauen, Handeln,
Entscheidungen, Glauben oder Behaup-
tungen bzw. Vermutungen interpretiert.
Skepzis (griech. skpsis = Betrachtung; Be-
denken, zu: skptesthai = schauen, sphen;
betrachten) bezeichnet dagegen Bedenken
durch kritisches Zweifeln. [2] Rudolf Eislers Wrterbuch der philosophischen Begrif-
fe definierte 1904: Zweifel (dubium, du-
bitatio) ist der (gefhlsmig charakteri-
sierte) Zustand der Unentschiedenheit, des
Schwankens zwischen mehreren Denkmo-
tiven, deren keines das volle bergewicht
hat, so da das Denken nicht durch objec-
tive Grnde bestimmt werden kann. Wh-
rend der Skepticismus (s. d.) den absolu-
ten Zweifel an der Erkenntnisfhigkeit des
Menschen zum Princip macht, besteht der
methodische Zweifel (doute mthodique)
in der provisorischen Bezweiflung von al-
lem, was noch nicht methodisch-kritisch
festgestellt, gesichert erscheint.; zweifel-
haft, los; zweifeln; ich ele (vgl. S. 64,
VIII, A9, Zweifelsfall; im -[e]; Zweifelsfra-
ge; zweifelsfrei, ohne; Zweifelsucht w; -; Zweifler
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das schauspielDer Morgen danach war immer wieder der Morgen danach. Selbst nach Monaten war es der Morgen danach.
Von Dennis Kyn
Wenn die Nacht weg war und das Sonnenlicht, das durch die Vor-
hnge fiel und die Wohnung durchflutete, ihm einen kalten Schau-
er ber den Rcken jagte, war es oft schwer zu erkennen, wo er sich
befand. Wo sie mittlerweile angelangt waren. Gehst Du zuerst ins
Bad oder soll ich?, war einer der wenigen Stze, die sie miteinander
wechselten. Es war so enttuschend, dass sie wieder von vorne anfan-
gen mussten, immer wieder nach jeder Nacht, die ihnen versprach,
nie mehr etwas wie Distanz zu spren.
Er fing an, die Nchte zu frchten, weil sie ihm wie eine Betubung
vorkamen, wie eine Lge und er konnte nicht mehr schlafen.Stump-
fe Bauchschmerzen sorgten dafr, dass er sich von einer Seite auf die
andere wlzte. Er ertappte sich dabei, wie er seine Fuste ballte, sich
zusammenkrmmte und zitterte. Eine Aufregung, Nervositt. Die be-
rhmte Angst vor der Ungewissheit. Vor dem Tag. Er stand in diesen
Momenten auf, setzte sich an den Kchentisch und sah aus dem Fens-
ter, in die Nacht, die nie eine wurde in dieser groen Stadt, immer hell
und immer lebendig.
Er sah sie dann an, sah ihr dabei zu, wie sie schlief. Ihm war kalt,
aber er konnte nicht mehr ins Bett. Gewhnlich wachte sie dann ir-
gendwann auf, sprte, dass er nicht mehr
neben ihr lag und sah sich in der Dunkel-
heit um und als sich ihre Augen an die
Dunkelheit gewhnt hatten, entdeckte
sie ihn am Tisch, stand auf und kam zu
ihm. Verschlafen legte sie ihre Arme um
seine Schultern und bat ihn, wieder ins
Bett zu kommen. Ihre Augen gewhnten
sich an jede Dunkelheit. Wenn sie ihn
am nchsten Morgen fragte, warum er
nachts wieder wach gewesen war und
er nicht wusste, was er antworten soll-
te, ahnte sie schon lngst die Antwor-
ten. Die Antworten auf die Fragen, die
ihn nicht schlafen lieen und sie spr-
te wahrscheinlich die gleiche Klte, die
ihm ins Herz kroch.Beide hatten Angst.
Er hatte Angst vor den Antworten und sie vor den Fragen. Aber jeder
Versuch von ihm, endlich zu sprechen, die Dinge zu klren und ihr die
Mglichkeit zu geben, die Dinge zu ER-klren, wurden berrollt und im
Ansatz erstickt. Von der Angst. Weil sie um nichts in der Welt an der
Oberflche kratzen wrde, weil sie nie die Tr zum Keller ffnen wrde,
voller Panik vor den Leichen, die sich huften und deren Gestank nach
oben drang. Zu ihnen. Zwischen sie. Und wenn er es doch wieder wa-
gen sollte, einen Versuch zu starten und sie mit Fragen konfrontierte,
dann konnte er sehen, wie sich ihre Augen verdunkelten und dann ka-
men die Trnen, die durch die Augen nach drauen drangen und Tr-
nen waren nun mal schneller als Wrter, die durch den Mund kommen
konnten. Sollten. Dann begann das Weinen, die letzte Mglichkeit, ihn
zum Schweigen zu bringen.
Anfangs nahm er ihr das noch ab und glaubte dran, glaubte ihr den
Schmerz, die Verletzlichkeit und dass ER derjenige war, der verletzte
und Wunden ffnete. Aber dann kam ihm das alles wie eine Wiederho-
lung vor, ein Film, den er schon hunderte Male gesehen hatte, das Wei-
nen verlor fr ihn die Tiefe, den Schmerz und es wurde zu einem Schau-
spiel. Jede Trne war eine einstudierte Szene, tausendmal geprobt. The
finest day Ive ever had, was when I learned to cry on command Und
irgendwann bemerkte er auch die Unterbrechungen zwischen ihrem
Schluchzen, das Abwarten auf seine Reaktionen. Und er reagierte. Er
spielte seine Rolle, spielte seinen Part. Ohnmchtig befolgte er den Weg
des Trsters und lenkte mit ihr zusammen ab, was von den bsen Vor-
ahnungen brig blieb. Und er stand wie-
der an der gleichen Stelle, an der er 10 Mi-
nuten zuvor schon gestanden hatte. Und
pltzlich wurde nicht nur das Weinen
zu einer Scharade, die ganzen Sachen,
die sie sagte und tat, waren pltzlich nur
noch aus Plastik, alles was sie tat, quit-
tierte er mit einer gnnerhaften Art, die
ihn beinahe selber glauben lie, dass es
echt war. Er spielte mit, war der perfek-
te Mitspieler. Es war, als ob er sie stndig
im Schach gewinnen lassen wrde. Und
sie wusste es. Es wurde alles noch viel
schwieriger, als er merkte, dass sich un-
ter dem Misstrauen ein anderes Gefhl
auftat, das er anfangs nicht wahrnahm
oder nicht wahrnehmen wollte. Doch er
sprte, dass das Misstrauen wahrscheinlich nur der Anfang war und
dass sich dort unten eine dunklere Masse befand, vor der er sich noch
viel mehr frchtete. Tief im Innern wuchs etwas, das seine Zuneigung
zu ihr wiederum schrumpfen lie. Er war sich dessen nicht bewusst,
wollte nicht wahrhaben, dass er dabei war, seine Gefhle fr sie zu
die tage wurden zu einem seufzen, trp felten als braune trop fen aus dem wasse rhahn ihrer beziehung.
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drosseln. Eine Art Schutzmechanismus, der ihn vor dem Knall der
sicherlich kommen sollte, dessen war er sich sicher beschtzen soll-
te. Die Tage wurden zu einem Seufzen, trpfelten als braune Tropfen
aus dem Wasserhahn ihrer Beziehung. Sie fhlten sich wohl in diesem
Schauspiel, sie verbrachten die Wochen und Monate miteinander, zwi-
schen ihnen dieses stille Abkommen. Das Schweigen.
Sie gingen zusammen aus, sie setzten sich in Parks, trafen sich mit
Freunden, sprachen stundenlang miteinander ber die Stcke, die sie
zusammen besucht hatten und schliefen miteinander, alles eingehllt
in dieses Laken, gestrickt aus ihrem kleinen Spiel. Er fand sich damit ab,
dass sie ihm Dinge verheimlichte, Dinge von denen sie ihm nie etwas er-
zhlte, er ertappte sich sogar selber dabei, dass er sie anlog, kleine Lgen
bastelte. Ohne Sinn. Nur um sie anzulgen und sich selbst das Gefhl
zu geben, dass er die gleichen Waffen benutzen konnte,
wie sie aber die ja offiziell verboten waren. Und das al-
les nur, um die bsen Geister auszusperren, die alles ka-
putt gemacht htten. Diese beschissenen Geister, die sie
so einfach htten loswerden knnen, wenn sie sich nur
getraut htten, sie zu empfangen und sich mit ihnen aus-
einanderzusetzen. Sie ahnten nicht, dass sie den kleinen
Geistern die Mglichkeit gaben, sich zu vermehren und
noch viel grere Ungetme zu schaffen. Sie kehrten stndig alles unter
den Teppich, in der Hoffnung, dass sich das alles von selber lsen wrde.
So wurde niemand mit den Dingen konfrontiert, die sie bewegten und
langsam erschlugen. Der Teppich auf dem sie sich
befanden, wurde immer hher, der ganze Dreck
darunter trmte den Teppich auf und sie hatten
Mhe, geradeaus zu laufen.
sie sprte wahrscheinlich die gleiche klte, die ihm ins herz kroch. beide hatten angst.
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Ich erinnere mich an Zeiten,
in denen es nicht darauf ankam
alles richtig zu machen
ein Blick in die falsche Richtung
war noch lang kein Versprechen
und von Bedeutung war nur,
was uns sicher durch die Nacht brachte
nun scheint jede Entscheidung
fr immer zu sein
als wrde man uns ansehen
welchen Weg wir gegangen sind
doch wo wir hin wollen
liegt noch in der Luft
und Atmen fllt schwer
wenn alles nach Abschied schmeckt
Was bleibt ?Von Tina Bauerfeind
Was htte. Was wre. Was knnte. Was sollte. Alles. Aber leider
nichts. Manchmal ist das Nichts freilich viel ergiebiger als das Alles. Es
befeuert die Fantasie, muss aber nicht auf den Prfstand der Realitt.
Manchmal tritt durch durch eine Tapetentr ein Mensch in dein
Leben, der dich mit groen Augen so anschaut, dass du weit: Uuuh,
das knnte was sein, und schon wirft das Sehnsuchtszentrum deines
Gehirns die groe Was-wre-wenn-Maschine an. Was knnte. Was
sollte.
Was soll ich.
Es muss nicht viel mehr sein als: ein interessantes, herzliches Ge-
sprch. Jemand, der an den richtigen Stellen lacht und bei den langsa-
men Passagen ganz genau zuhrt. Eine Berhrung der nackten Unter-
arme, ein etwas zu langer Blick ber den Rand deines Glases.
Ob das auf einen zrtlichen Kuss beim Abschied zusteuert oder auf
ein Ausprobieren, wie sich eine gemeinsame Nacht anfhlt, ist weni-
ger wichtig als der Schwebezustand, der dich elektrisiert: Wo fhrt
denn das hin?
Merkwrdig, dass der Nachhall dieses Schwebens noch immer zu
spren ist, wenn lngst klar ist, dass es nirgendwo hingefhrt hat.
Denn es htte, es htte
Es htte sich auswachsen knnen zu einer Affre, einer Liebe, zu
den seltenen Momenten, die humorvoll und sexy gleichzeitig sind
und von denen man immer erst im Nachhinein wei, dass sie zu den
wertvollsten gehren.
Schei Konjunktiv.
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!!
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Was ich mit meinem Restleben machen knnte
Ich wollte es so. Ich wollte immer ein Volontariat. Bei einer Tageszeitung. Und nun hat es geklappt. Juhu! Ich wollte es so. Lcheln und winken.
Von Emma Grn
Nun. Bisher lautet der Plan so. Ich mache das Volontariat zu Ende und
hoffe instndig, dass ich nach dem Absitzen meiner restlichen vier
Monate in Bldes Kaff und damit in dieser lausigen WG in Sachsens
schmuddeligster Ecke (und da stehen einige zur Auswahl) in eine Re-
daktion versetzt werde, die es mir tatschlich erlaubt, nur eine Woh-
nung, nmlich die an meinem Erstwohnsitz, zu bewohnen. So htte
ich dann vielleicht mal etwas von meinem Gehalt brig, vielleicht ge-
nug, um mir eine neue Hose zu kaufen.
Ich hoffe weiterhin, dass ich es schaffe, bis dahin nicht mit wich-
tigen Menschen zusammen zu rasseln und dass es nicht auffllt, wie
grundstzlich ich mich vom durchschnittli-
chen Redakteur des erzkonservativen Bldes-
Kaff-Ksebotens unterscheide. Aber ich hatte
eben die Wahl: Entweder arbeitslos oder beim
Strmer des Ostens anfangen. die halten es
tatschlich fr vertretbar, einen Artikel, der
sich mit asiatischen Wassersportlerinnen be-
fasst, mit der berschrift Gelb schwimmt
schnell zu versehen. Und als ich nicht an mich halten kann und in
der Konferenz an dieser Stelle aufquietsche, ernte ich verstndnislose
Blicke. Ich verabscheue es, bewusst eine schlechte Zeitung zu machen
und das mit dem Glauben zu bemnteln, der Leser wollte es ja genau so.
Im Grunde habe ich das gleiche Problem in Klein und Print, was Mar-
cel Reich-Ranicki in Gro und TV bemngelt hat. Wir drucken entsetz-
lich schlechte, grauenvolle, unscharfe und nur mit Photoshop unfach-
mnnisch in Form geprgelte Gruppenbilder von WANDERUNGEN von
Schtzenvereinen als fnfspaltige Aufmacherfotos in Farbe. Und wenn
es irgendwie geht, dann schreiben wir auch bei 50 abgebildeten Perso-
nen unter das Bild, wer wo gestanden hat, von links nach rechts. Ja nicht
andersrum, das gibt Haue in der Blattkritik.
Damit sich Hans-Friedrich Bkenklling auch wiederfindet. Sonst
ruft er an und droht mit Abbestellung. Wenn das so weitergeht, gibt es
irgendwann eine Serie: Das Telefonbuch! Heute weltexklusiv in Ihrem
Kseboten: Aa bis Bd! Ich wrd ja gern mal anders. Und so. Lernen wir
ja auch anders in den Volontrschulungen. Aber wenn ich zurck in der
harten Realitt der Dorfredaktion bin, dann heit es: Die Vereine wollen
das so, das haben wir schon immer so gemacht, in Bldes Kaff ist sonst
nichts los, was man auf die Eins heben knnte, und die tolle Idee mit den
Fotos von den hbschesten Leser-Babys (Schan-Gvvin und Mischelle-
Schakkeline) war gestern schon drin, ist also fr diese Woche abgefrh-
stckt. Wu-ha!
Wir drfen kein Bierglas abdrucken, weil das den Leser zu schlech-
ten Gewohnheiten animiert, aber wir berichten ber SCHTZENFESTE?
Also bitte. Schieen und Saufen zugleich, wenn das keine Ansammlung
von Menschen mit schlechten Gewohnheiten ist
Und dann ntigt man mich, Sport zu machen. Also: darber zu be-richten. Nach einem 13-Stunden-Tag zerrt mich ein mit den Nerven vllig am Ende seiender, mental zerrtteter Altredakteur (deutliches Kennzeichen dafr: er findet den ganz normalen Klingelton meines Han-dys so lustig, dass er darber eine de Glos-se schreibt) vor seinen Rechner, zeigt mir in schneller Abfolge irgendwelche Tischten-
nistabellen, die, was mich angeht, auch in Suaheli geschrieben sein knnten, und erklrt mir, dass ich daraus in der kommenden Wo-che einen groen Artikel machen soll, weil er vier Tage frei hat.
Und als ich das dann versuche, wie erwartet scheitere, weil die Auf-
nahmefhigkeit meines Kopfes nach besagtem elendlangen Tag eben-
so beschrnkt war, wie die didaktischen Fhigkeiten des Redakteurs es
offenbar immer sind, hilfesuchend bei dem Redakteur zu Hause anru-
fe, schnauzt mich dessen Frau an: Aber er hat doch Urlaub! Nur aus-
nahmsweise holt sie ihn gndig ans Telefon, whrend ich nicht darber
meckern darf, dass ich zwei Wochenenddienste nacheinander aufge-
brummt bekomme und so drei Wochen lang durcharbeite ich soll froh
sein, dass ich ein Volontariat bekommen habe, sagt mir die gebrfreu-
dige blonde Lokalchefin.
Und da sagte man mir im Vorfeld, die Redaktion in Bldes Kaff wre
so nett, da htte ich Glck. So gesehen es kann in den kommenden ein-
einhalb Jahren noch schlimmer werden. Aber wenn ich es dann ber-
standen habe, dann hoffe ich, bernommen zu werden, und hoffe, dass
ich dann in einer Redaktion arbeiten darf, wo ich Sporttabellen niemals
dastelefonbuch!heuteweltexklu-sivinihremkse-boten:aabisbd!
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Mangel. Das heit doch, es fehlt an irgendwas. Wenn man mal von
den Teekesselchen-Spiel absieht und die Mangel fr die Bettwsche
weglsst. Daher kommt ja sicher auch das jemand in die Mangel neh-
men. Unwichtig jetzt.
Ich schaue raus. Es ist ein winterlicher Montagmorgen in Hamburg
und es ist - grau. Immerhin ist es in den letzten 40 Minuten etwas hel-
ler geworden, aber so wirklich hell werden wird es heute nicht. Es fehlt
das Licht. Die Kraft der Sonne.
Irgendwas fehlt ja immer. Milch, Brot, Wein, ein dritter Tag am Wo-
chenende oder sonstwas, nachdem uns gelstet. Doch was, was fehlt
uns wirklich? Woran haben wir wirklich einen Mangel? Was ist nicht
nur unzufriedenes Genle?
Manchmal merkt man erst, was einem fehlt, wenn man es wieder
hat. - das klingt vielleicht etwas seltsam, aber es gehrt mit zu meinen
Lebenssprchen. Man arrangiert sich im Leben mit seinem Leben und
richtet sich so ein, dass es passt. Irgendwas ist immer denkt man sich
und holt sich Besttigung bei den anderen, dass die auch nicht zu 100%
zufrieden sind mit ihrem Leben. Und die, bei denen grad alles glatt luft
und die nur so strahlen, denen geht man je nach Laune aus dem Weg
oder man freut sich fr sie und schpft eine kleine Kelle Hoffnung, dass
es bei einem selbst auch mal so sein knnte. Mangel. Das heit doch, es
fehlt an irgendwas. Wenn man mal von den Teekesselchen-Spiel absieht
und die Mangel fr die Bettwsche weglsst. Daher kommt ja sicher
auch das jemand in die Mangel nehmen. Unwichtig jetzt.
Ich schaue raus. Es ist ein winterlicher Montagmorgen in Hamburg
und es ist - grau. Immerhin ist es in den letzten 40 Minuten etwas hel-
ler geworden, aber so wirklich hell werden wird es heute nicht. Es fehlt
das Licht. Die Kraft der Sonne.
Irgendwas fehlt ja immer. Milch, Brot, Wein, ein dritter Tag am Wo-
chenende oder sonstwas, nachdem uns gelstet. Doch was, was fehlt
uns wirklich? Woran haben wir wirklich einen Mangel? Was ist nicht
nur unzufriedenes Genle?
auch nur gegenlesen muss. Dann hoffe ich, bis an mein hoffentlich bal-
diges Dahinscheiden mindestens 10, in der Regel aber 12 bis 14 Stunden
am Tag zu arbeiten, freie Tage als optional zu betrachten, kein Familien-
leben zu haben, keine Freunde und keine Haustiere, weil ich dafr kei-
ne Zeit mehr habe, und dafr immer fetter zu werden, weil ein Redak-
teur sich im Gegensatz zum abgehetzten Freien nun einmal nur zum
Auto, aus dem Auto heraus und zum Schreibtischstuhl hin bewegt und
dann den ganzen Tag irgendwas Fettiges vom Bcker auf die Tastatur
krmelt, weil er bei dem Schwachsinn, den er schreibt, eine Ersatzbe-
friedigung braucht (darin hnelt er dem abgehetzten Freien allerdings
wieder). Das hoffe ich, groer allmchtiger Gott aller derer, die irgend-
was mit Medien machen wollten, oh ja, bitte. Gut.
Das ist der aktuelle Plan. Da scheint es irgendwie ein paar Dinge zu
geben, die mir nicht behagen, wenn ichs recht berdenke. Ich knnte
das Volontariat zu Ende machen und mich dann verpissen, egal, ob sie
mich haben wollen oder nicht. Ich knnte in einer trendigen Berliner In-
Kneipe, in der nur Dicke arbeiten drfen, kellnern, in einer netten Dach-
geschosswohnung wohnen und mich frei fhlen. Und dann kommt der
Disneyprinz mit seinem weien Gaul durchs graffitibesprhte Trep-
penhaus hochgaloppiert und entfhrt mich nach Nimmerland. h.
Nchster Vorschlag.
Ich knnte versuchen, auszuwandern. Ich knnte versuchen, mir ei-
nen Mann zu suchen und mit dem auszuwandern. Ich knnte lesbisch
werden. Ich knnte bei Bauer sucht Frau mitmachen (ja, als Frau). Ich
knnte versuchen, ein Buch zu schreiben. Ich knnte versuchen, ein
Thema fr ein Buch zu finden, das ich dann versuche zu schreiben. Ich
knnte Lotto spielen. Ich knnte Standup-Comedian werden. Schlechter
als Atze Schrder bin ich auch nicht. Aber wer ist das schon. Hchstens
Hans-Werner Olm.
Ich knnte mein Volontariat sofort abbrechen, alle Hoffnungen, die
meine Eltern in mich gesetzt haben, schon wieder enttuschen, all das
Geld, das sie in mich investiert haben, damit rckwirkend schrgmeta-
phorisch ins Korn werfen, Hartz4 anmelden.
Kann nicht lnger darber nachdenken. Habe einen brandheien
Artikel ber einen seltsam geformten Riesenkrbis auf der Pfanne, den
muss ich jetzt tippen.
Nehme darum Lebensgestaltungsvorschlge nach dem Piep an. Piep.
Piep an. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep.
Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Piep.
15
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Er steht da und kann es nicht glauben, sie hat schon wie-
der eine neue Frisur. Wieso machst du so was?, fragt er
sie. Ich brauche es.
Es strt mich, niemals wei ich, wie du aussiehst. Ir-
gendwann lauf ich noch mal an dir vorbei. Mhhhich
mag es. Was? Mich zu verndern. Er schweigt.
Nach einer Weile: Wenn du mich nicht mehr willst,
dann kannst du es ruhig sagen! Ich versteh nicht? Ich
hasse es, dass du dich vernderstdas weit du und du
machst es dennochdu willst mich loswerden! Ich ver-
ndere mich fr mich, nicht fr dich! Du hast einen An-
deren! Quatsch, ich Seine Augen funkeln: Du hast vie-
le Andere! Unsinn! Sie nimmt eine Schere und schneidet
sich einen Pony. Siehst du, ich mag das, immer etwas an-
deres an mir auszuprobieren. Er schweigt und geht.
VERNDERUNG
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War das schon ALLES ?
Ein Satz, den man oft mit der Midlife-Crisis, mit unzufriedenen, verbitterten Mittdreiigern in Verbindung bringt. Knnte ich mir vorstellen.
Von Cathrin Aldekamp
Ein Satz, den man oft mit der Midlife-Crisis, mit unzufriedenen, ver-
bitterten Mittdreiigern in Verbindung bringt. Der Job ist langwei-
lig, die Freunde nerven und das Schatz, ich liebe dich kommt, wenn
berhaupt, dann nur noch monoton ber die eigenen Lippen. Knn-
te ich mir vorstellen. Nun ist es aber so, dass ich mich nicht zu den
Midlife-Crisigen, Antidepressiva schluckenden Greisen zhlen darf.
Ich bin 20 und das ist mir auch ganz recht. Bis ich mal mit der Brigit-
te in der Hand neidisch auf die weichrasierten, organgenhautfreien
Beine einer mindestens 10 Jahre Jngeren starre und mir selbst ein-
rede, dass ich so etwas ja gar nicht ntig htte, ist es hoffentlich noch
eine Weile hin.
Trotzdem finde ich, dass auch ich Zweifel an meinen bisherigen Er-
folgen haben darf. Gut, meine Mutter wusste mit 17 noch nicht, dass sie
einmal fhig sein wrde, einen Personenkraftwagen ohne Anleitung
zu fhren und mein Vater htte von einem Abi auch nur trumen dr-
fen. Aber trotzdem. Ich finde, ich habe das Recht mein Leben doof zu fin-
den. Wenn meine Gromutter mir von ihren verschiedenen, regelm-
ig wechselnden Freunden und den stndigen Partybesuchen erzhlt,
komme ich mir schon selbst ein bisschen wie ein altes Eisen vor. Ich
habe nie, vor allem nicht stndig wechselnde Freunde. Ich hatte einen
Freund mit 18 und der hat geksst wie ein Fisch. Hielt dafr auch 1 1/2
Jahre. Immerhin. Und mit den Partys ist das auch so eine Sache. Nicht,
dass ich nicht gelegentlich gerne mal zitternd in schrecklich kurzen Ho-
sen wartend und hoffend, nicht kontrolliert zu werden vor einer Disko-
thek stehen wrde, nur um danach drei Stunden schwitzend mglichst
cool und sexy von einem Bein aufs andere zu treten, damit mir dann
doch niemand ein Smirnoff-Ice ausgibt und ich mal wieder 20 Euro
fr einen unntzen, ungekssten Abend verplempert habe. Mir ist es
einfach lieber, mit meinen wenigen, aber dafr guten Pappenheimern
von Freunden in irgendeinem Kellerloch zu hocken und mich stilvoll
zu alkoholisieren.
Eben diese Pappenheimer erzhlen, meckern und haben seltsame
Einflle (wie z.B. die Wochenendtour, auf die ich hier nicht genauer ein-
gehen will) und genau das ist es, was mir buchstblich mein Herz ff-
net. Doch schon das nach Hause fahren mit dem Auto oder dem Fahrrad
ist ungefhr das schrecklichste, was mir widerfahren kann. Ich werde
melancholisch, weil wieder einer dieser wundervollen Momente vorbei
ist, die man doch in seiner Jugend auskosten soll. Dann komme ich nach
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Hause, und da ist niemand, der wei, wie toll diese Menschen ge-
rade waren, von denen ich mich so unpersnlich, aber herzlich
wie es nur geht, verabschiedet habe. Noch schlimmer, wenn ich
aus den Jugendurlauben wiederkomme. Da habe ich zwei Wo-
chen in Begleitung sonnencremiger Mit-Jugendlichen seltsame
Strand-Spiele gespielt oder mich zigmal in furchtbar schnellem
Tempo furchtbar lange Skipisten hinunter geqult, nur um dann
abends mit dem Bild des herzzerreienden Momentes, in dem ich
mit grsslichem abgewinkelten Arm fast weinend in einem hb-
schen Hochschnee-Feld liege und mir wnsche, niemals die 500
Euro fr so eine bekloppte Tour ausgegeben zu haben, immerhin
der Lacher des Abends zu sein. Und mal ehrlich, wofr das Ganze?
Fr mich. Weil ich es liebe, meine Zeit, vor allem im Urlaub mit mir
generell eher fremden, aber dafr nach den beiden Wochen neuen
besten Freunden, zu verbringen. Weil ich es liebe, mich vor vielen
Menschen zum Horst zu machen und dafr freundliches Schulter-
Klopfen oder kleine Zuzwinker-Augenblicke zu ernten. Weil ich es
liebe, weg von meinem den schulischen, von nicht enden wol-
lenden Referaten durchzogenen, klausurenbestndigen Alltag
zu fliehen, um etwas mit wirklich coolen Menschen zu machen.
Wirklich cool heit, dass sie eigentlich alle auf ihre Weise einen
vllig an der Klatsche haben. Sehr still, sehr laut, Schach spielend
oder Trommeln trommelnd, Rot, Blau, Grn oder manchmal auch
gepunktet. Eher lieb oder eher rpelmig, dumm, dmlich und
hsslich noch dazu, aber einfach cool.
Und danach sitze ich dann zwischen 2 und 30 Stunden in ir-
gendeinem stickigen Bus und wnsche mir, diese Fahrt wrde
noch ewig dauern, egal wie ekelhaft und luftleer sich alles an-
fhlt. Wenn ich daran denke, nach Haus zu kommen und mei-
ner Mutter in ihr mutter-interessiertes Gesicht zu blicken, wr-
de ich mich am liebsten erhngen. Mutter-interessiert heit ja
nicht interessiert, aber Interesse heuchelnd, weil ich nun mal ihr
liebes, tolles Kind bin und sie mich ja ach so schrecklich vermisst
hat und sie mir das Gefhl geben muss, dass dies auch wirklich
stimmt und sie deswegen so tut, als wrde sie interessieren, wer
mir welchen Brei an welchem Ort mit welchem Lffel in den Ra-
chen gestopft hat.
Ich habe sie nicht vermisst. Ich habe nicht einmal an sie ge-
dacht. Ich habe da hinten die Tatsache, jemals aus dem Leib einer
Frau geschnitten worden zu sein, total verdrngt. Da gibt es keine
Mama oder Papa oder Mutti oder Papserl. Auch keine Geschwis-
ter, ausgenommen eins dieser Geschwister lief grad auch zufl-
lig durch Norwegen, als ich zufllig in einen eiskalten Ekel-Teich
geworfen wurde (und damit brigens wieder den Lacher-des-
Abends geerntet habe, danke, Autogramme gibts spter!) und mir
von ihm wegen dieser angeborenen Geschwister-Solidaritt aus
dem Ekel-Teich geholfen wurde. Natrlich erst, nachdem es mich
auch ausgelacht hat.
Und wenn ich dann letztendlich die Tr aufschliee, mir im
Fernsehen schon die herrliche Visage von Alexander Hold, gekop-
pelt mit Vadderns Pack aus, wir stellen heute noch die Wsche an
und jetzt RUHE! und Muttis Ich hab dich ja so vermisst! entge-
gen schwingt, meine Gedanken noch auf meinem Esprit-Hand-
tuch am Strand Italiens brutzeln dann kommt mir wieder diese
Frage hoch: War das jetzt schon alles?
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WAR DAS jEtzt ALLES ? SiND DiES NUN GRob GESEhEN DiE GANzEN ALtERNAtiVEN, DiE miR Noch bLEibEN?
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Versicherungen zahlen, Mll rausbringen, Splmaschine ausrumen. Erwachsenen leben ist frchterlich.
Von Rose Jakobs
gute berschrift war aus
Ich habe immer noch keine Hochzeit gecrasht. Ich habe immer noch
kein Buch geschrieben. Ich werde aufgehalten. Es sind verschiedene
Dinge, die mich permanent vom Sein abhalten. Ich bin nur noch. So ir-
gendwie in Teilzeit, als Halbschatten in der Gegenwart. Oh, ich bin so
gestern. Ja und jetzt nicht wieder jeden Satz mit Ich anfangen, sonst
geht irgendeiner auf die Barrikaden.
Wir atmen ein. Wir atmen aus. Durchzug. Ich mchte gerne mein
Gehirn auf Durchzug stellen. Ich bin over it. Over the top. Neulich lag
ich des Nachts da und trumte, ich umsegelte die Welt auf einem Drei-
master aus dem 18. Jahrhundert. Dann war ich in Zrich. Es war zauber-
haft sauber und ich wollte nirgends anders sein. Am Ende dann in Nor-
wegen. Freizeitpark. Man konnte sich in groe Insekten rein setzen und
damit Wettrennen machen.
Dann wurde ich wach, vllig aus dem jetzt gefallen. Regen schlug
ans Fenster, kalter Luftzug durch die Tre. Katzenjammer. Grauer Mor-
gen. Eine Autotr wird zugeschlagen. Und prompt zerfetzt der Mllwa-
gen um Punkt sechs Uhr die graue Idylle und ich denke mir: Grrrrr. Ich
denke nur Grrr. Ich denke nicht in ganzen Worten, ganze Stze sind wie
ausverkauft. Grrrr. Keine klare Richtung zu erkennen, obwohl ich mich
fr den einen Weg entschieden hatte. Wohin trabt das hier? Drauen
immer noch Regen. Grrrr. Ja, man, ich ja, ich dieses Mdchen, will nicht
erwachsen sein. Neulich lag ich, es, das Mdchen im Bett.
Und ich dachte an die Zeit im Gestern. Da, wo ich total verantwor-
tungslos in Echtzeit rumhing, viel Marihuana rauchte, meinen Ver-
stand versuchte an der Garderobe abzugeben und literweise Schnaps als
Grundnahrungsmittel brauchte. Ich soff von Donnerstag bis Montag.
Dunkle Diskos und diverse Bars waren meine Heimat. Ich a nur ein-
mal die Woche, irgendwelchen Fastfoodmist vom Lieferdienst, verliebte
mich in nicht existente Mnner mit Phantasienamen, die mir signierte
Bcher von Rocko Schamoni mit der Post schickten, sowie Glanzbilder;
Weiter im Text, und spielte mit lngt verlorenen Freundinnen Sherlock
Holmes und Watson. Ich suhlte mich im Aas der Grostadt und manch-
mal wusste ich am Donnerstag der zweiten Woche eines Monats nicht,
wer am Ende die weiteren zwei Wochen und das darin enthaltene je ein-
malige Ritual der notwendigen Nahrungsaufnahme, in diesem Rausch
der Mglichkeiten und Nichtigkeiten, bezahlen wrde. Woher ich es
nehmen sollte. Es kam aber irgendwie immer am Ende gut raus. Klar,
das war nicht immer alles koscher und ich war nicht immer nett. Ach
und jetzt sitze ich hier also, es ist nasskalt und ich bin unzufrieden. Ja,
total. Die Arbeit ist okay, Geld ist da, das Haus ist hbsch und alles knn-
te total tutti sein. Aber zwischen Rechnungen zahlen, Bahnfahrten zur
Arbeit und dem Plan die Landfrauen mit gutem Kuchen zu beeindru-
cken, macht sich gefhlte Leere auf drei imaginren Hochhausetagen
breit. Irgendwas fehlt.
Der Effekt des sich Selbstverlierens ist mir abhanden gekommen.
Und manchmal liege ich des Nachts da und erwache, weil ich trumte,
ich htte alle verfgbaren Modedrogen der Welt in alphabetischer Rei-
henfolge genommen und es war Hammer-Mega-Geil. Oder ich tausche
Tiere und Babys gegen Drogen oder verliere diese whrend des massiven
Konsums irgendwelcher Substanzen am Busbahnhof. Alles nur Trume.
Dann stehe ich auf und rume die Splmaschine aus. Am Ende toppe ich
meine Selfmade-Situation mit alten Beatles-Platten und suhle mich im
aufgesetztem Oh Gott, ich bin jetzt dreiig und konnte mir nicht einer
vorher sagen, dass dieses normal sein so super anstrengend ist?. Ja,
Verantwortungslosigkeit kann so sexy sein. Ich gebe es zu. Ich vermisse
diese Zeiten gerade extrem.
Morgens, um sechs, wenn mich die Mllabfuhr aus dem Bett wirft.
Wenn ich gerade die Welt umsegelte, oder kleine Hunde aus amerika-
nischen Toiletten rettete, die sich dann in Triops verwandelten und die
ich dann im Aquarium zwischenparken musste. In der nchsten Nacht
trume ich dann wieder, wie ich mit Thekla Carola Wied Heroin oben im
Westerwald hole. Meine Seele brennt nach etwas gestern. Ich rum jetzt
mal die Splmaschine aus.
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keineklarerichtungzuerkennen,obwohlichmichfrdeneinenwegentschiedenhatte.wohintrabtdashier?draussenimmernoch
regen.grrrr.
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ich wei nixAber was, das ist hier die Frage und lsst mich gleich im ersten Satz stolpern und nicht weiter-kommen. Ich wei heute berhaupt nicht, was ich will, oder was ich wollen knnte, auch nicht was ich gestern wollte. Ich bin hier und ich bin wunschlos unglcklich.
Von Domink Framann
Aber das stimmt nicht, denn ich bin nicht unglcklich, ich bin neutral
und damit relativ zufrieden. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, denn es
knnte sein, dass ich irgendetwas falsch mache, aber es nicht merke,
weil ich nicht wirklich wach und klar bin. Ich wei nicht, was richtig
wre. Der ganze Tag ist schon verwaschen und unklar. Ich bin unklar
und wei nichts.
Ich denke manchmal an eine Frau, und dann sehe ich irgendwo ihre
Anfangsbuchstaben und sehe sie in diesen Anfangsbuchstaben. So den-
ke ich dann manchmal, dass ich wohl noch sehr verliebt bin. Dann mer-
ke ich aber, dass es mir nichts ausmacht zu denken, dass sie glcklich
bei ihrem Freund bleiben wird, und ich gehe einfach weiter und denke
an was anderes, das ist dann auch nicht wichtig und ich habe es auch
gleich wieder vergessen, denn was soll ich denn schon denken, was ir-
gendwie von Bedeutung wre, dazu fllt mir nichts ein.
Die Welt ist unwichtig, was macht es schon, wenn man einfach
nicht mehr lebt, einfach aufhrt zu leben, nicht mehr mitmachen will,
weil es einem zu anstrengend vorkommt, weil man auch gar nichts
will, man knnte ja einfach aufhren, aber dafr gibt es auch keinen
Grund. Jedenfalls wre mir keiner bewusst. Selbstmord ist sicher an-
strengend, das stelle ich mir zumindest so vor.
Selbstmord ist sicher auch ein bisschen bld,
man muss ein bisschen bld oder verdreht
sein, um so was zu machen, denk ich. Ich den-
ke manchmal, ich muss mir nur eine Aufgabe
suchen, dann werde ich schon glcklich sein,
mit dem, was ich dann tue, denn ich bin sehr
anpassungsfhig und finde immer meine Ni-
sche. Ich muss mir nur so vorkommen knnen,
als htte das einen Sinn, was ich tue. Wenn
ich auf die Kinder meiner Schwester aufpas-
se, dann komme ich mir so vor, als wrde das einen Sinn ergeben. Mei-
ne Nichte will viel wissen und ich erzhle ich gerne alles. Auch wenn
sie es noch nicht versteht, dann sage ich es zu ihr, dass das vielleicht
noch ein bisschen zu kompliziert ist. Sie ist 6 Jahre alt. Und letzte Wo-
che habe ich ihr erklrt, wie die Sonne funktioniert und dass alle Ster-
ne Sonnen sind.
Und warum der Mond manchmal halb zu sehen ist. Sie hat es ver-
standen. Sie hat mir dann die Geschichte von ihrer Freundin erzhlt,
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deren Oma in Amerika wohnt und dass es dort zu einem anderen Zeit-
punkt Morgen ist als bei uns und das auch daher kommen wrde, weil
die Sonne dort spter hinkommt. Ich glaube nicht, dass ich das in dem
Alter verstanden htte. Ich habe eine intelligente Nichte. Sie kommt
jetzt in die Schule und wird sich wahrscheinlich langweilen, weil sie
schon alles kann. Sie beherrscht den Zahlenraum bis 50. Wenn ich eine
Frau wre, dann wrde ich jetzt ein uneheliches Kind bekommen wol-
len. Von irgendeinem Vater, der mich dann auch nicht weiter interes-
sieren wrde. Die genetischen Anlagen von ihm sollten gut sein. Viel-
leicht. Doch. Ich bin keine Frau. Auch wenn ich 20 Paar Schuhe habe.
Und es gern habe, wenn mein Duschgel nach irgendwas riecht. Aber
ein Kind wre auch nur eine Ablenkung von der Absurditt des Lebens.
Da knnte ich genauso gut einfach wieder an Gott glauben. Und dann
vielleicht Priester werden. Weil Jesus mich erleuchtet hat. Ich knnte
mal nach Lourdes fahren. Vielleicht passiert da was mit mir. Vielleicht
luft mir auch Buddha ber den Weg. Oder eine Frau, die mich ablenkt.
Oder irgendwas. Man wei ja nie, was das Leben bringen kann.
Auch wenn ich 20 Paar Schuhe habe. Und es gern habe, wenn mein
Duschgel nach irgendwas riecht. Aber ein Kind wre auch nur eine
Ablenkung von der Absurditt des Lebens. Da knnte ich genauso gut
einfach wieder an Gott glauben. Und dann vielleicht Priester werden.
Weil Jesus mich erleuchtet hat. Ich knnte mal nach Lourdes fahren.
Vielleicht passiert da was mit mir. Vielleicht luft mir auch Buddha
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Grau, Grau, GrauGisbert zu Knyphausen
Bevor das Grau, grau, grau
sich hier festbeit
und sich langsam
durch meine Adern schiebt,
durch meine Adern drngt
und sich dort festbeit,
will ich einmal noch am Ufer stehen und
dann schauen, wohin die Schiffe fahren,
schauen wohin sie fahren
und ob mich eins mitnimmt
in den Sden oder irgendwohin.
Wo mich niemand sieht,
mich niemand hrt,
und mich niemand fragt:
Wie solls jetzt weitergehen?
Das wei ich doch auch nicht.
Graue Huser,
graue Straen berall.
Ihr knnt mich mal.
Graue Menschen, graues Licht,
graue Gedanken, graues Ich.
Ich will das nicht mehr.
Ich wollte da immer drber stehen,
und jetzt steh ich mittendrin, na sowas.
Und ich dreh mich im Kreis und singe
ber das ewige Licht,
die Blitze ins Nichts
und die gleiende Frage:
Wie solls jetzt weitergehen?
Das wei ich doch auch nicht.
Das wei ich doch auch nicht
Es passiert jedem, man kann sie nicht umgehen. Das ist es, was ich mir
seit Wochen fleiig erzhle. So oder so hnlich.
Trotzdem erwische ich mich immer wieder dabei, wie ich mich
selbst frage, woher dieses Gefhl denn pltzlich kam. Oder kam es gar
nicht pltzlich, sondern schleichend? Vor allem seit wann ist es da? Und
noch dringlicher, wie geht es wieder weg?
Ich versuche alle Gefhle zu ordnen, um dann alle Gedankengn-
ge, alle Mglichkeiten fein suberlich zu gliedern. Aber scheinbar will
das ganze Ding nicht penibel und akkurat organisiert werden. rger-
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es war doch so schn
Phase 2 setzt dir die Rosarote Brille auf, schlgt das dicke Foto album
der guten alten Zeit auf und lullt dich ein mit Erinnerungsfetzen. Sie
flstern in dein Ohr: Weit du noch, damals...? Es hat doch auch sein
Gutes und Rei dich mal zusammen und schau was du da eigent
lich aufs Spiel setzt. Ist es wirklich alles so schwer auszuhalten? Du
siehst das alles zu schwarz. Eigentlich ist es doch gar nicht so schlimm!
Wer wei denn, ob meine Entscheidung eine Verbesserung wre?
Und du stimmst ein: Alles hat doch immer bestens funktioniert.
Warum auf einmal alles ber den Haufen werfen? Das Alte scheint
dir nun besser zu sein, als es je war und du bist dir sicher, das Loslas
sen Wahnsinn wre.
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einfach richtig praktisch wre es, ihn zu hassen.
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Ich knnte mich einfach drauen mit ihm auf eine Decke legen und in den Himmel schauen, um die
Vgel zu zhlen, vor denen ich Angst habe. So, wie
wir das auch immer gemacht haben. Einfach mit
jemand anderem im Herbst Kastanien sammeln
und im Sommer Muscheln am Strand. Aber ich
glaube, ich mchte das berhaupt nicht.
Ich mchte weder mit einem anderen Mojito
trinken, nachts an den Strand fahren oder beim
Scrabble spielen auf der Terrasse Cornflakes es-
sen. Das haben nur wir gemacht.
Doch nun ist er nicht mehr da, hat sich fr et-
was anderes entschieden. Vieles hat sich seither
verndert; keiner ruft mich mehr Lisl oder kitzelt
mich, an meinem meiner Meinung nach, viel zu
dickem Bauch. Scrabble gerne zu spielen, geht
nicht mehr. Liebe? Liebe, die mir seitdem keiner
geben kann. Und vor der ich mich strube, wenn
sie mir jemand anders, ein Niemand, zu geben
versucht. Ich wei nicht warum, ich wrde es
gerne wieder... lieben mit Haut und Haaren. Lie-
be wird zu Schmerz ber Nacht, sang die beste
Band der Welt und weder du noch ich haben je
darber nachgedacht.
Das stimmt, es stimmt genau. Doch warum
bei uns? Er hat mein Herz zerfetzt, ich glaube Tei-
le davon kleben immer noch an dem blden Ap-
felbumchen, welches wir gemeinsam gepflanzt
haben. Weit zurck liegt das. Nur die Erinnerun-
gen sind da. Kommen jede Nacht wieder. Manch-
mal auch ganz berraschend, wenn ich etwas
sehe, was uns verbunden hat oder ich versuche
manches zu begreifen.
Ich schlucke das Gefhl, dieses Bittere herun-
ter. Wie ein heie Kartoffel, da sie sonst meinen
Mund zu sehr verbrennt. Doch verschwinden tut
es nicht. Erinnerungen knnen fliehen, tauchen
aber wieder auf, aus dem Nichts, gewinnen an
Gewicht und taumeln die Seele rauf und runter.
Er hat eine andere, eine, die mich hoffentlich nie
ersetzten wird. Nein, dass kann sie auch gar nicht.
Woher soll sie wissen, dass er gerne Tomate mit
Zwiebeln isst, weil Zwiebeln so schn scharf sind
und dass er in seinem Kaffee eigentlich gar nicht
so viel Milch mag, dass er am Wochenende gerne
Stunden im Bett liegt.
Woher soll sie wissen, dass Mohnblumen sei-
ne Lieblingsblumen sind und er sich nur fr sei-
nen Verstand, nicht aber fr sein Herz entschie-
den hat. Ich war doch immer sein Mdchen und
jetzt ist es sie, die mit ihm einschlafen und auf-
wachen darf. Sie, der er nachts behutsam ber die
Stirn streichelt, wenn sie schlecht getrumt hat.
Das waren doch ausschlielich Privilegien, die
mir zustanden. Natrlich knnte ich jetzt auch
irgendwo mit jemand anderem einen Stern auf
eine Wand sprhen, doch verdammt noch mal,
ich will es nicht. Oder habe ich es mir schon zu
sehr eingeredet? Es verletzt mich, ihn vergngt
mit ihr zu sehen. Sie anzusehen, sie ist glcklich.
Wer ist das nicht in seiner Gegenwart?
Er hat die Gabe, etwas auszustrahlen, was ge-
nau das ist, konnte ich noch nicht herausfinden.
Vielleicht sind es seine Augen, in denen ich jedes
Mal versinke oder seine zerzausten Haare, seine
Ohren, die so schn sind, als wren es gar keine
echten. Vielleicht seine Zhne. Der eine, hat eine
kleine Ecke verloren, als ihm Silvester, beim Sekt
aus der Flasche trinken, ein Freund zu sehr auf die
Schulter geklopft hat.
Vielleicht die besondere Art, seine Art und
meine Gedanken, an all das, was wir zusam-
men erlebt haben. An all das, was er mir bedeu-
tet.Sicherlich werde ich spter einmal wieder lie-
ben knnen. Und es wird bestimmt etwas kom-
men, aber es wird ihn nicht ersetzen knnen.
Das ist auch gut so. Ich mchte niemanden, der
ihn ersetzt, das ist eben nicht er. Man kann sich
vielleicht ein neues Pferd kaufen, wenn das alte
nicht mehr schnell genug ist, doch ihn, einen
so wunder baren Menschen kann man nicht kau-
fen. Ich mchte, dass all meine Gedanken und
Erinnerungen immer bei mir sind und das wer-
den sie, doch ich wnsche mir auch, dass jemand
kommt, der mein Herz klaut und es nicht wieder
hergibt. Einfach richtig praktisch wre es, ihn zu
hassen. Fr all den Kummer, den er mir bereitet,
fr all die schlaflosen Nchte, die ich hatte und
habe und all diese vielen, vielen Bilder in meinem
Kopf. Doch es funktioniert nicht. Dazu muss ich
mich verndern, mein Leben noch einmal kom-
plett umkrempeln und am liebsten aus unserer
Stadt verschwinden.
Doch auch das geht nicht. Ich mchte, dass er
mich nicht mehr anruft, dass er mir nicht mehr
schreibt und mich nie wieder nachts abholt, um
am Strand zu spazieren. Er hat sie und wenn er
mich will, dann soll er es doch sagen! Denn sonst
verletzt es mich, es tut mir weh! Aua! Hrt er?
Nein er hrt nicht, er kann auch nicht mehr
in mich hineinschauen, so wie frher, um mir je-
den auch noch so verrckten Wunsch zu erfl-
len. Nur ich, ich kann es noch. Und das ist es, was
schmerzt. Ich sehe, dass er mit ihr glcklich ist,
dass er sie vor allem Unheil beschtzen mchte
und dass es ihn traurig macht, dass ich nicht auch
endlich wieder lachen kann. Aber es geht eben
nicht. Also mge er sich bitte damit abfinden und
mich ihn noch ein bisschen lieben lassen, damit
ich ihn danach endlich hassen kann.
es gibt niemanden, der ihn ersetzen kann, obwohl das natrlich total praktisch wre.
NIEMAND, DER SO IST
Von Lisa Zucker
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liebe a., wren wir uns damals im frhling 2004 in einem caf begegnet oder auf der strasse, wir wren gedankenlos aneinander vorbeigegangen. vielleicht htte ich mich irgendwann deiner erin-nert, wie man sich an den mann hinten im bus erin-nert oder an die frau, die einem die tr aufhlt. du httest mich fr ein pubertierendes mdchen ge-halten, was ich war, damals vor sechs jahren.ich htte dich nicht gesehen, zu sehr konzentriert auf mein inneres geflecht und den sitz meiner frisur.
wir haben uns ein bisschen aus den augen verloren
Von Jytte Hoffmann
fr meine internetfreundin
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wir haben uns ein bisschen aus den augen verloren
Aber wir trafen uns online. Du warst 23, eine junge Frau, ein Jahr lter als ich jetzt und wir akzeptierten uns gesichtslos, alterslos, oft auch intelli-
genzlos. Das Schreiben an Dich wurde zu einem alltglichen, selbstver-
stndlichen Ritual. In meinem Kopf warf ich meine Worte an Dich hin und
her, jonglierte mit
Deinen auf all meinen Wegen, zum Bahnhof, zur Schule, spter zur Uni,
nachts betrunken auf der Strae; berall lag ein Wort fr Dich, ein Satz, ein
Gedanke. Wir schrieben einander ber Bob Dylan, beinlose Spinnen und
lrmende Hinterhfe, zitierten Elliot Smith, wiegten uns zu Bright Eyes
oder hielten die Kpfe hoch erhoben bei Got to be real. Die Jungenna-
men wechselten sich ab, wurden Mnner, das Leid oder die Freude blieb,
je nach dem, Weihnachten kam und wieder Geburtstag. Ich machte Abi-
tur, schmiss ein Studium, begann ein neues, bekam ein Kind.
Doch Du bliebst die Konstante in einem unsteten Alltag. Du gingst mit,
fort aus dem Haus meiner Kindheit, rein in die Grostadt, raus aus der
Grostadt, ich schrieb Dir vor gelben Wnden, vor apricotfarbenen, vor
furchtbar kahlen, ich schrieb Dir vom Hamburger Hafen, aus dem Kreuz-
berger Internetcaf, heimlich vom Schulcomputer. Ich schrieb Dir des
Nachts, frh morgens wie Thomas Mann, ich schrieb Dir weinend, oh, wie
oft schrieb ich Dir weinend; mit hicksendem Stimmchen las ich mir lei-
se das Geschriebene vor wie eine Irre. Dir war es egal. Du bist Meine Spra-
che von Gnter Kunert, Du bist 954 Seiten Word-Dokument, Du bist die
betrunkene Stimme an Silvester 2006 im alten Sony Ericsson, Du bist die
wunderschne Handschrift auf Postkarten aus Barcelona, New York und
Paris, Du bist Katie aus How to be good. Du sagtest einst: Es gibt halt Din-
ge im Leben, die passieren nicht und wenn sie passieren wrden, wren sie
wahrscheinlich gar nicht so wunderbar wie der dazugehrige Traum. Du
bist das Gegenbeispiel, Du bist der Rettungsanker im Strudel der Befind-
lichkeiten, meine virtuelle Lsung.
Du bist das Tagebuch, das ich nie hatte. Heute wirst du 30 Jahre alt und
wir haben uns ein bisschen aus den Augen verloren das letzte Jahr. Wir
entflohen der Diktatur des Verkopfens, wie Du es immer nanntest und le-
ben mehr. Und auch wenn das manchmal traurig ist, ist es richtig so.
Denn egal, was das wird mit dem Internet und uns, Dich wird es immer
geben fr mich hier. Denn Du bist mein online, Du bist meine Playlist, Du
bist das Gerusch, das meine Finger machen, wenn sie ber die Tastatur
haschen. Du bist mein Zuhause in einer vernetzten Welt.
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Du ffnest das Marmeladenglas, du isst morgens nie s, aber an-ders muss man es mal machen und du hast es schlielich verspro-
chen. Dann denkst du an mich, an mein Lieblingsnachthemd, wel-
ches ich in den Nchten trage, in denen ich gemtlich bin, zu frh
einschlafe. Wenn du dann die Augen schliet und lchelst, betrete
ich die Kche, schaue auf die frischen Sem meln, dann direkt in dein
Gesicht, suche den Tisch ab.Ich suche nach den Resten der letzten
Nacht, nach den dreckigen Rotweinglsern, nach Kerzenwachs und
vollen Aschenbechern. Du leckst den Lffel mit der restlichen Maril-
lenmarmelade ab, wartest auf Worte.
Ich gebe dir keine. Ich kann dir keine geben, sie sind verschwun-
den, mein Kopf nur voll mit Bildern, mit Bildern von letzter Nacht,
von den vollen Glsern, meiner Balkontr, die beim ffnen so laut
knarrt, immer wenn jemand rauchen geht. Es ist dir nicht egal, das
merke ich, du schiebst einen Stuhl zurck, damit ich mich setzten
kann, ich bezweifle, dass ich das will, setzte mich dennoch. Es geht
dir nicht gut, dass sehe ich an den Ringen unter deinen Augen, dei-
nen Blick, der in die Leere geht, sich um mich bemht.
Whrend ich aufstehe, mir Msli mache, fngst du an zu reden.
Du hast das nicht gewollt, es ist passiert, ja, aber Dinge passieren
eben, so ist das, verzeih mir. Ich lecke den Lffel ab, mit dem ich eben
Joghurt aus dem viel zu groen Glas holte, drehe mich zu dir um,
ich mustere dich, du bist wunderschn. Deine Haare, von der Nacht
verspielt, deine grnen Augen, so hoffend. Ich bin die Letzte, die et-
was gegen Gefhle hat, denke ich, mit der Mslischssel in der Hand
setzte ich mich auf den Balkon, du lsst mich. Einen Sommer lang
teilten wir ein Geheimnis, trafen uns an Ampeln, ich begrte dich
an Straenbahnen. An heien Tagen mit zu viel Wrme verbrach-
ten wir unsere Minuten im Bett, du ksstest oft genug meine Stirn,
zu oft, fr die Tatsache, dass du auch mit anderen Mdchen schlfst.
Deine Worte , fr mich nur die ehrlichsten von allen, dein Blick, der
mir zusieht, wie ich mit anderen rede, dein Blick, der Bnde spricht,
wenn du Menschen von mir erzhlst.
Die Mglichkeit Gefhle zu teilen, ist ein Privileg, dass jedem ge-
geben ist und keiner richtig nutzt. Dein Recht dazu wrde ich dir nie-
mals absprechen, beharre ich doch selber darauf. Selbst wenn es mit
ihr ist. Ich spre immer noch die Ksse auf meiner Stirn, immer noch
deine Hand, die meine Wange streichelt, die vielen Umarmungen,
die du einforderst, immer dann, wenn du nicht glauben kannst, dass
das alles geschieht.
Mit dir und mir. Deine Stimme, die sich so verletzlich anhrt, so-
bald du mir sagst, wie schn ich fr dich bin, das Vanilleeis, welches
du mitbrachtest fr warme Tage, die Fotos die du von mir gemacht
hast, dein Buch, das ich nicht mochte. Wenn ich wieder rein gehe,
werden deine Sachen gepackt sein, in deiner viel zu teuren Tasche,
dein Gesicht gewaschen, die Zhne geputzt.
Du wirst nur die Hand heben, wie am Ende unserer ersten Nacht,
in der ich mich auf selbe Weise von dir verabschiedete, um dann
durch die frhen Stunden des Tages nach Hause zu laufen. Ich ste-
he mitten im Raum, in meinem Lieblingsnachthemd, welches nach
dir duftet. Ich liebte immer deinen Geruch. Du schliet die Tr hin-
ter dir, ich atme tief durch und nehme das Foto von uns vom Khl-
schrank. Ich wei, wir werden uns wiedersehen. In der Hoffnung,
dass Zeiten sich ndern.
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die mglichkeit, gefhle zu teilen, ist ein privileg. dein recht dazu wrde ich dir niemals absprechen. selbst wenn es mit ihr ist.
Von Stella M. Pfeifer
in der hoffnung, dass zeiten sich ndern
ich spre immer noch die ksse auf meiner stirn
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in erinnerungen schwelgen ist wie seltsame sterne anschauen
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in erinnerungen schwelgen ist wie seltsame sterne anschauen
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WAR ES GESTERN ?eigentlich sind wir es mde, jung sein
zu mssen und der krper strotzt nur so vor jugendlichem leichtsinn,
das leben liegt noch vor uns.
Von Laetizia Praiss
wo wir an einer mauer lehnten und der boden ein lebendes organ zu sein schien
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I st das Leben nicht blo eine Aneinanderket-tung von Zufllen, die nur darauf bedacht sind, dich beim nchsten Mal eiskalt zu er-wischen? Dich zum Stolpern zu bringen mit ei-
nem Gin Tonic in der Hand, mit dem Kinn voran
in die Scherben zu strzen, um Farbe in deinen
Alltag zu bringen in jeder mglichen Variation?
Gerne hre ich mich halbtrunken raunen:Du
hr mal, ich hab die Mdigkeit um die Ecke ge-
bracht und ich vermisse sie schon jetzt und gerne
sehe ich mich befreit von gnzlich jeden Zwn-
gen irgendwo herumstehen, eben nichts zu tun,
denn das ist ein Ding der Unmglichkeit.Die Ge-
danken gleichen einem Roulette, schwarz, rot,
schwarz, rot, schwarz, die Unfhigkeit eine Aus-
zeit zu nehmen, das Geld in der Tasche zu lassen,
das Gewissen blank poliert und das Lcheln von
jeder Schuldfrage befreit, jemand knnte so et-
was sagen wie willst du mit mir gehen?
Und ich knnte so etwas erwidern wie Ja
mglicherweise, nur meine Fersen habe ich hei
gelaufen und puste ein wenig und frag nicht
mehr danach, ich bitt dich drum. Die Stille wrde
unverkennbar von einer Endlosigkeit durchtrnkt
sein, die auch mir den Atem raubt und wre es
nicht schn einen Moment ganz schweigsam
sein, Dasein zu fristen und die Einsamkeit hockt
auf unseren Schultern wie eine Eule. Sie schlft
nie ein. Wann hat das bittere Gefhl begon-
nen?, mchte ich fragen und kratze mich an den
Ellbogen, obwohl gerade diese Stellen selten zu
jucken beginnen und vielleicht begann es in die-
ser Bar, in der alles so spottbillig ist, dass man sich
kaum traut zu bestellen, aus Angst diese Illusion
einer preiswerten Flucht zu zerstren. Doch man
kann nicht anders, die Zitronen brckeln auf der
Zunge und lsen den Geschmack des zu warmen
Alkohols nicht auf, ihr Saft reicht gerade mal bis
zum zweiten Backenzahn und da beginnt man zu
verstehen und ergibt sich dem Lauf des angefan-
genen Abends. Vielleicht begann es auch in der
einen Nacht, in mir wuchs der Drang die Gedan-
ken in meinem Kopf in eine Form zu pressen, da-
mit sie mich in Ruhe lassen, einmal nur die falti-
ge Haut von mir stlpen und durch die Straen zu
tingeln ohne nennbares Ziel und ohne nennba-
res Ende. Also presste ich und jede Silbe hinter-
lie einen Schatten, meine Lippen sind von einer
Farblosigkeit ergriffen, die jedes gesprochene
Wort monoton klingen lassen und vergnglich.
Vielleicht begann es auch spter zwischen dieser
Nacht und dieser Bar kurz vor der Kollision von
Herz und Intensitt, des Zusammenstoes von
ich mchte und ich kann nicht, wo ich durch die
Straen tingelte und die Einsamkeit wie ein Uhu
klang und mich das nicht verwunderte und ich zu
mde war, ihn zu verscheuchen und dennoch kei-
nen Schlaf fand und der Drang zu stark brannte,
sich zu jeder Zeit verdeutlichen zu knnen.Viel-
leicht existiert auch kein eindeutiges Datum ei-
ner Phase, die sich, wie die Flut in der Bretagne so
weit ausbreiten kann, dass die Steinmonumente
verschluckt werden. Monologe vor verschlosse-
ner Tre und Deja vues hinter schwarz getusch-
ten Wimpern.
Komm, pack mich am Kragen, schttele mich
so lange bis mir die Prothese im Mund zu unhand-
lich wird und ich zu spucken beginne auf deine
Segelschuhe, die immer einen Tick zu wei sind
fr meinen Geschmack.
Du da, der du nicht in meiner Reichweite tanzt,
du da, den ich nur betrachten wrde aus sicherer
Distanz und wenn du dir eine Zigarette anzn-
dest mag ich dich so gerne. Wir reihen uns in die
Schlangen ein und warten darauf unsere Mn-
tel in den Garderoben zu lassen und unsere aktu-
ellen Erinnerungen stecken wir Wildfremden zu
und vor den Theken hngen wir unsere aufgereg-
ten Arme den Zapfhhnen entgegen. Wir nippen
an unserem zu wssrigen Bier, als wre es geseg-
netes Gesff, wir gehen mit wachsamen Augen
aneinander vorber und jeder Schritt hat eine
Richtung und doch bewegen wir uns immer nur in
einem abgegrenzten Gebiet, nur zugeben wrde
das keiner. Eigentlich sind wir es mde jung sein
zu mssen und der Krper strotzt nur so vor ju-
gendlichem Leichtsinn, das Leben liegt noch vor
uns und das nchste Bier kriegen wir umsonst, es
schmeckt noch wssriger als das davor, aber wir
wissen ja, diese Jahre lebt man nur einmal und
wir tun unser Bestes, bevor wir ber dem Rinn-
stein hngen und die weggesteckten Erinnerun-
gen uns sprichwrtlich zum Halse raushngen.
Ja, wir stumpfen ab mit den regelmigen
Clubgngern im Kanon und wir grlen die Lie-
der lauthals mit, bis die Kehle einem Minenfeld
gleicht, aufgeraut und zerbombt und das Glas in
unserer Hand zu schwer wird und wir erschpft
auf die Strae torkeln und uns erinnern, Bitter-
keit hngt uns am Gaumen, wie ein farbloser
Schleim. War es gestern, wo wir gegen die Tisch-
kanten stieen mit den Hften voran, weil die
Gegenstnde im Weg standen und nicht unsere
Krper zu waghalsig ein Ziel anpeilten und ver-
fehlten, wo das pochende Gefhl unter der tau-
ben Hautschicht einen bevorstehenden blauen
Fleck signalisierte und ein glhender Funke aus
Asche sich durch den Handrcken tzte?
War es gestern, wo wir an einer Mauer lehn-
ten und der Boden ein lebendes Organ zu sein
schien und wir den nchst besten umarmten
fr ein bisschen Wrme, fr einen kleinen Kuss,
fr einen langen Kuss, fr ein paar gut gemein-
te Stze, die nicht hngen bleiben wollten, so
sehr wir auch versuchten sie zu halten? War die-
se Nacht blo gestern so intensiv, dass es kurze
aufblitzende Minuten gab, in denen der Uhu lau-
te Gerusche machte, die uns in helle Panik ver-
setzten und den letzten Rest Kontrolle mutwil-
lig als Schnppchen verscherbelten und der mor-
gen viel zu schnell in den roten Augen brannte
und die Mdigkeit sich viel zu schnell in den Kno-
chen verteilt hatte, so dass an Schlaf nicht mehr
zu denken war und auch nicht mehr ans Wach-
bleiben. War es gestern, diese Bitterkeit in unse-
ren durchgeschwitzten Klamotten, die uns nicht
schlafen lie und auch heute nicht und als wr-
de diese Nacht nicht enden wollen, spre ich sie
noch jetzt sehr deutlich.
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DAMALS Von Marco Schalk
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nichts als gespenster
Was nun? Wie soll ich jetzt weitermachen? Was ist richtig und was ist
falsch. Phase 3 zieht dir den Boden unter den Fen weg. Es herrscht
Chaos und Verwirrung. Du bist verunsichert und ratlos. Zu viele un
terschiedliche Stimmen schwirren in deinem Kopf herum. Du hast
keine Orientierung mehr. Lauter Fragezeichen, wilde Phantasien und
gewagte Hypothesen schreien dich an, aber entscheiden kannst du
nichts. Du bist frustriert.
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wohin
Humanmedizin
verklebt mir das Hirn.
Ich denke und denkeund fhl
nicht wohin. verklebt
mir das Hirn.
Ich denke und denkeund fhl
nicht wohin. verklebt mir das Hirn.
Ich denke und denkeund fhl
nicht wohin.
Ich hab nichts zu sagen
ich wsste nicht was.
Mich plagen stattdessen
nur wortlose Fragen.
In Flle nur Hlle
haltloses Nichts.
Gesichter erkenn ich
doch kenn ich sie nicht.
Humanmedizin
verklebt mir das Hirn.
Ich denke und denke
und fhl nicht wohin.
Von Florian Lott
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knnen! wollen?
scheitern.
Mir geht es schlecht. Keiner merkt es, man kann
es nicht merken, denn eigentlich geht es mir gut.
So gut, dass es mir von Tag zu Tag mehr Kummer
bereitet. Von auen betrachtet, scheint mein Le-
ben ein Traum zu sein. Das Studium luft super,
die Noten sind gut, ich habe eine tolle WG gefun-
den, mich super eingelebt und sogar die Finan-
zierung dieses gerade begonnenen
Lebensabschnitts, von dem man so oft sagt, es
sei die schnste Zeit im Leben, ist, BAFG sei
Dank, gesichert. Ein Bilderbuchbeispiel eines
Studentenlebens. Ein Traum, mit dem ich nicht
glcklich bin.
Ich entwerfe mich selbst, versuche, mir das
optimale Leben zu konstruieren, sehe mich im
Studium ebenso wie in meinen Freizeitaktivit-
ten wachsen. Ich hufe enorme Mengen von
Wissen an, werde besser, schneller, effizienter,
kreativer, und ein Ende scheint nicht in Sicht.
Aber eines werde ich nicht: glcklich. Ich fhle
mich nicht, als durchlebte ich gerade die schns-
te Zeit meines Lebens. Ich fhle mich das erste
Mal im Leben wirklich deprimiert. Ich habe
Angst. Angst, auf dem falschen Weg zu sein.
Angst zu scheitern.
Ich bin multitalentiert, in vielerlei Hinsicht
begabt. Ich kann mich ohne Probleme den unter-
schiedlichsten Herausforderungen stellen, wer-
de zahlreichen Ansprchen gerecht, manchmal
sogar meinen eigenen. Eine Gabe, um die mich
viele beneiden. Ein Schicksal, das ich keinem
Menschen auf dieser Welt wnschen mchte.
Die Welt steht mir offen, ich knnte mich in so
vielen Dingen behaupten, vieles erreichen. Doch
ich wei nicht, was aus mir werden soll.
Mein Leben ist immer perfekt nach Fahrplan
verlaufen, alle Entscheidungen waren richtig,
die Ergebnisse sehenswert. Dabei blieben Spa,
Feiern und all die Dinge, die das Leben wirklich
lebenswert machen, nie auf der Strecke. Im Ge-
genteil: Verlauf und Ergebnisse meiner Schulzeit
bilden einen uerst unterhaltsamen Kontrast.
Frher wurden Anforderungen an mich gestellt.
Heute stelle ich selbst Anforderungen an mich
und muss merken, dass nichts so ist, wie ich es
mir vorgestellt habe. Ich hatte nie die Chance,
aus Fehlern zu lernen. Diese Tatsache besitzt auf
eine seltsame Art und Weise ihre ganz eigene
Tragik. Sie macht mir das Leben schwer.
Nach dem Zivildienst habe ich mich fr alle
mglichen Studiengnge beworben, die in ir-
gendeiner Art und Weise mein Interesse wecken
knnten. Immer auch mit dem Hintergedanken,
endlich eine Schwachstelle finden zu knnen,
fr etwas nicht geeignet zu sein, etwas aus-
schlieen zu knnen. Ich habe Motivations-
schreiben verfasst, Eignungstests absolviert,
Vorstellungsgesprche gefhrt und schlielich
Studienpltze angeboten bekommen, fr die
sich viele eine Zulassung gewnscht htten.
Selbst die ZVS war kein Hindernis.
Ich habe sie alle links liegen gelassen und
mich fr ein Lehramtsstudium eingeschrieben.
Zulassungsfrei. Unspektakulr. berlaufen. Kei-
ne Eignungstests. Keine Motivationsschreiben.
Kein NC. Dafr aber mehr als genug Kommilito-
nen, endlose Wartelisten fr Seminarpltze und
noch endlosere Stundenplanbasteleien in der
Hoffnung, ohne allzu viele berschneidungen
und Ausflle durch das anstehende Semester zu
kommen. Ich htte problemlos besseres bekom-
men knnen. Wollte ich es nicht besser? Wre et-
was anderes berhaupt besser? Zu viele
Konjunktive. Zu viele Fragezeichen. Ich nehme
sie alle jeden Morgen mit in die Uni. Sie bedr-
cken mich. Sie demotivieren mich. Sie werfen
Zweifel auf. Sie stellen meine Zukunft in Frage.
Ich stelle meine Zukunft in Frage!
Ich bin unglcklich. Unglcklich auf sehr ho-
hem Niveau. Die Ergebnisse der ersten Prfun-
gen sind ausgezeichnet. Doch der Spa ist
verflogen. Ist er das wirklich? Oder habe ich ihn
nur begraben unter all den Selbstzweifeln, der
Unzufriedenheit, den Fragezeichen und Kon-
junktiven? Wre er wieder da, wenn ich mich
einfach nur auf mein Leben einlassen wrde?
Wenn ich all die Sorgen hinter mir lassen wrde,
fr die es rein faktisch betrachtet sowieso kei-
nen Anlass gibt? Oder ist es ein eindeutiges Zei-
chen, diesen Weg zu verlassen, bevor die
Brcken hinter mir abgebrochen werden und es
kein Zurck mehr gibt? Wieder nur
Fragezeichen.
Ist es wirklich besser, noch einmal neu zu
starten? Den sicheren Hafen zu verlassen und
das ertrumte Architekturstudium zu wagen,
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-
gerade in Zeiten, in denen ich immer fter beobachte, wie
Freunde, gescheitert in ihrem Studium, desillusioniert vom
vermeintlichen Traumfach, schockiert vom aussichtslosen
Arbeitsmarkt, in diesen sicheren Hafen einlaufen und doch
Lehrer werden, weil es ja nichts Schlechtes ist. Ist es der
Traum vom Architekturstudium berhaupt wert, getrumt
zu werden? Oder ist er nur eine Seifenblase, die aus dem Ge-
danken, es gebe etwas besseres als das Jetzt, etwas, was mich
mehr erfllt, mich glcklicher macht, entstanden ist und die
zerplatzen wird, sobald ich versuche, nach ihr zu greifen? Ist
die momentane Unzufriedenheit mit dem Weg, den ich gehe,
ebenfalls nur aus diesem Gedanken erwachsen? Ich wei es
nicht. Und ich werde es nicht wissen knnen, bevor ich mich
nicht entschieden habe. Ich muss an Schrdingers Katze den-
ken. Ich knnte mir eine Zukunft als Lehrer gut vorstellen.
Dieser Gedanke wird aber immer begleitet von der Angst, et-
was Besseres verpassen zu knnen. Etwas, das sich die meis-
ten viel mehr ersehnen als das Leben eines Lehrers. Etwas,
das fr mich keine Sehnsucht sein muss, sondern realisierbar
wre, wenn ich mich nur dazu entscheiden knnte, es wahr
zu machen.
Noch ist nicht alles vorbei. In diesem Sommer kann ich
mich noch einmal bewerben. Noch einmal neu starten. Ei-
nen anderen Weg whlen. Es wird der Sommer der Entschei-
dung werden. Ich lege mich auf ein Studium fest. Auf einen
Beruf. Auf einen Lebensentwurf. Auf meinen Lebensent-
wurf! Ich habe Angst vor dem Moment der Entscheidung.
Angst, mir spter vorwerfen zu mssen, es htte eine bessere
Alternative gegeben. Angst, nie wirklich im Leben anzukom-
men. Angst, an mir selbst und meinen Anforderungen zu
scheitern. Nichts ist bedrckender als die Freiheit, zwischen
allen Mglichkeiten whlen zu drfen. Alles ist erreichbar,
aber nur ein Traum darf gelebt werden. Umtausch
ausgeschlossen.
nichts ist bedrckender als die freiheit, zwischen allen mglichkeiten whlen zu drfen.
Treffe ich diese Ent-Treffe ich diese Entscheidung fr mich? knnen!
wollen?
scheitern.
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Ich besitze sogar einen Balkon.
Vielleicht knnte ich bemngeln, dass dieser an der Seite des Hauses
klebt, wo tglich Tausende von lauten und leisen Autos vorbeistottern. Mal
in langsamen, mal im halsbrecherischen Tempo, vielleicht mit aufgedreh-
ter Musikanlage.
Das hre ich schon nicht mehr, wenn ich auf meinem Balkon sitze, den
Tauben wie Bierflaschen zu grten Teilen fr sich eingenommen haben.
Ein kleiner Platz besteht fr mich. Ein Sessel. Opas alter Ohrensessel, in den
er seinen groben Krper 30 Jahre lang nach seiner Arbeit hat einsinken las-
sen. Und wenn ich auf eben diesem sitze, kann ich hinter allem Lrm, der
von der Strae zu mir hoch dringt, seine Stimme hren. Eine laute poltern-
de, die bereits in seiner Stimmlage sich selbst gerecht wurde.
Endlich Arbeit und Geld verdienen, ruft er. Der Mond lchelt mde auf
die mittelgroe Stadt hinunter. Weder Sichel noch Kreis. Ein Pree aus bei-
dem. Unfotogen.
Und nach all den Jahren, die ich unterwegs war, in anderen mittelgro-
en Stdten, in fernen Bundeslndern, glaube ich an jenen Abenden, die
ich hier verbringe, auf diesem Balkon, ein Stck Heimat in meinem rech-
ten Knie zu verspren. Es hlt nur kurz an. Vielleicht aber ist es wichtig,
dass es da ist.
Tauben gurren in die Nacht hinein. Ein glnzendes berdimensionales
Rabentier aus Plastik in wetterfester Optik ist bei Ebay ersteigert worden.
Tauben haben ein sogenanntes Rabengen. Fest in ihrem Erbgut ist die
Furcht vor ebendiesen Feinden verankert.
Heute sitze ich wieder da, in Opas altem Ohrensessel. Bin 25 und alles
andere bleibt ebenso bestehen. Das Zweizimmergehuse wie die Geru-
sche des Innenstadtringes. Es macht mir Angst, dieses alltglich einkeh-
rende Normale. Das Bier am Abend allein. Die Splberge in meiner Kche.
Das morgendliche Aufstehen und zur Arbeit zu gehen.
D as Paradoxon einer verschwenderischen Jugend mit alltglich neu hinzukommenden Verpflichtungen. Ein Spaghettinest aus beruflichem Perfektionismus, getrumten jugendlichem Aktionismus und Erwartungen des kommenden Lebens.Es verwirrt mich. Und wie so oft verliere ich wieder den Faden, den roten.
Will die Gassen der Nacht strmen und Sterne anlallen. Der Unbeschwert-
heit noch einmal so nahe sein, wie ich es nach der Schule war. In den Tag
hineinleben. Vielleicht Karten spielen in einem Park dieser mittelgroen
Stadt. Mittags in irgendeiner WG Kche sitzen und Espresso aus Ikea Espres-
sokannen testen, rauchen und schwelgen. In nur diesem Gefhl. Erwar-
tungsvoll der Zukunft ins Auge blicken. Umgeben von dem Duft ser
Kaffeebohnen. Klausuren hinter mich lassen. Lautstark ber eben diese re-
den. Den Abend auf mich zukommen lassen.
Zu wissen, es sind alle da. Jene die Klausuren mitschrieben und jene, die gerade angefangen haben, irgendwas zu studieren. Jene, die noch immer nicht wissen, wohin des Weges. Und zweifelnd an ihrer Bierflasche nippen, Tten bauen mit einer Normalitt, die fast banal ist.
So sitze ich hier auf meinem Balkon, der an der Straenseite klebt. Jeden
Abend aufs Neue. Neben mir mein Bier und eine Portion Sehnsucht, lieblich
und herb zugleich auf einem bunten Plastikteller angerichtet. Meine Gedan-
ken in der Zukunft. Wieder einmal die Frage, was ich noch alles machen will,
werden will und schaffen will. Die Zeit rast und ich schaffe es kaum, sie zu
verfolgen. Denke an meinen Beruf. An Gehlter. Manchmal an Aufstiegs-
mglichkeiten und wei dabei, dass ich eigentlich kein Mensch bin, der an
ebendiesen Dingen Gedanken verschwenden will. Weglauftendenz nennt
Nina diese gedankliche Misere. Dieses Loch in meinem Kopf, das immer
mehr Flle verlangt.
Ich kann es nicht, ruft es manchmal. Such dir was Neues, spricht es zu mir.
Wie kreativ warst du einmal, lstert es. Wohin sind deine Trume, deine
Vorstellungen und Ideale raunt es. Und ich hre es, suche fr zwei Stunden
oder mehr lethargisch das World Wide Web ab. Nach anderen Berufen, alten
Idealen und bekannten Trumen. Um fr einen Moment diese freie Aus-
wahl zu genieen.
Fotografie zu studieren. Oder zumindest sowas mit Design. Ich kenne sie
alle, diese Seiten. FHs und Ratgeber reihen sich in meine Lesezeichen ein.
Finanzierungsmglichkeiten. Oder doch was Soziales, etwas, dass auf mei-
nen Beruf aufbaut. Alles was mglich und annhernd vorstellbar ist, wird
geaddet. In Tabs, auf Merkzetteln und in meinem Kopf. Und wenn ich mor-
gens aufwache und zur Arbeit laufe, ist es da. Dieses euphorische Gefhl,
der kurze Augenblick einer getroffenen Entscheidung, die mich ber man-
chen Tag rettet. Gemischt mit Lethargie und Einsicht.
So wie es gerade ist, luft es.
Ich habe ein nettes Zweizimmergehuse inmitten einer Stadt Sie ist
nicht grer als Kln und auch nicht kleiner als Gelsenkirchen. Mein Bal-
kon klebt an der Straenseite. Ich kann es bezahlen und einfach mal so in
den Urlaub fahren. Ich verspre ein existentes Gefhl von Heimat.
ich bin 25, stehe seit einem jahr im berufsleben und bewohne ein gnstiges zweizimmer-gehuse in einer mittelgrossen stadt. alleine.
Von Clara Motta
D
weglauf tendenz
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-
Hin und wieder sehe ich die b-riggebliebenen aus den alten Zeiten. Und ein jeder kmpft mit sich, mal mehr und auch mal weniger. Auch sie haben
noch ihre Trume. Ihre Weglauftendenzen. Manchmal erscheinen sie mir gefestigter. Manchmal fhle ich mich allein mit den Ge-danken an ein berufliches Weglaufen. Manch-mal frage ich mich aber auch, wie hoch die Weglauftendenzen sind, wenn ich einen mei-ner Trume erflle. Ist sie zu gro, die Idealvorstellung?
Ich sitze auf meinem Balkon, der Mond nimmt ab und er
nimmt zu, selten erhasche ich den Augenblick einer perfekten
Sichel. Den Augenblick der Klarheit. Ghnend blickt er zu mir
hinunter, seine Form ist weder vollendet noch am Anfang.
Ein Pree aus beidem.
Und wenn ich ihn ansehe, stelle ich fest, wie unfotogen die-
ser Moment gerade erscheint.
55
-
warum behaupten eigentlich alle in letz-ter zeit, unsere generation sei entscheidungs-unfhig? eine verteidigung der wahlfreiheit.
Von Christoph Koch
ganz entschlossen un-entschlossen
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-
FWW as haben wir uns nicht schon alles anhren mssen. Dass wir zu wenig Kinder kriegen. Dass wir Wohlstandskinder sind. Doch die neueste Anschuldigung ist ein Stachel, der tiefer steckt. Sie
greift unser Weltbild an: Immer hufiger wird unsere Ge
neration mit dem Vorwurf konfrontiert, sich nicht ent
scheiden zu knnen. Sich nicht festlegen zu wollen.
Wankelmtig und unentschlossen zu sein. Die ShellJu
gendstudie aus dem Jahr 2006 zeigt sich besorgt, dass
sich die Generation der 14 bis 25Jhrigen durch man
gelnde Entscheidungsfreude groer Chancen beraubt.
Das kurzfristig auferstandene Zeitgeistblatt Tempo gei
elt uns als Jeinsager, denen alles so irgendwie halb egal
ist. Und eine groe deutsche Zeitung ruft die Generation
Option aus. Doch was, wenn ein Wesenszug dieser Gene
ration das Aufschieben von Entscheidungen gar keine
Unfhigkeit darstellt? Was, wenn die Bereitschaft, bereit
zu bleiben fr Neues, eine Tugend ist, aus der Not, der
Wirklichkeit, geboren?
Es soll hier nicht um Leute gehen, die stundenlang auf
Karten starren und sich nicht entscheiden knnen, ob
sie lieber ein Bier trinken mgen oder einen Gin Tonic.
Diese Menschen sind vor allem eins: anstrengend. Es
geht hier auch nicht um Leute, die wahllos von Studi-
enfach zu Studienfach hpfen und nicht den Schim-
mer einer Ahnung haben, was sie mit ihrem Leben
anfangen sollen. Diese Menschen sind bedauernswert.
Nein, hier soll die Rede sein von denen, die durchaus
wissen, wohin sie wollen aber eben auch, dass der
Weg kurvenreich sein kann. Und die ahnen, dass die
Welt sich so schnell ndert, dass wir in zehn oder viel-
leicht in fnf Jahren schon wieder andere Wnsche ha-
ben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen
knnen. Nicht aus Wankelmtigkeit. Sondern weil sich
die gesellschaftlichen Parameter verndert haben.
Dem Drehbuchautor, der von seinem Wunschberuf
noch nicht leben kann und der deshalb dreimal die Wo-
che kellnern geht, wird gerne vorgeworfen, er sei halb-
herzig. Er solle Flagge zeigen, Schluss machen mit den
Kompromissen. Der jungen Designerin, die mit ihren
Verkufen im Moment gerade ihre Kosten deckt und
die deshalb halbtags in einem Callcenter arbeitet, hal-
ten andere gerne fehlenden Idealismus, einen Mangel
an Mut, ein Minus an Entschlusskraft vor. Dabei haben
beide eine klare Entscheidung getroffen: zu versuchen,
das zu tun, was sie wirklich, wirklich wollen auch zu
dem Preis, zumindest zeitweise einer ungeliebten T-
tigkeit nachzugehen.
Kannst du dich nicht endlich mal verbindlich ent-
scheiden?, fragte die Hamburger Band Die Sterne vor
zehn Jahren in einem Song und diese Forderung hrt
man heute fter denn je. Sie an die beiden beschriebenen Doppeljobber zu
richten, bedeutet im Grunde, dass der Autor einen Job annehmen msste,
bei dem er fr Sat1 schlechte Comedyserien mit halbgaren Pointen ver-
sieht. Dass die Designerin die Nhmaschine in den Schrank rumen sollte
und Vollzeit im Callcenter anheuert. Beides kann zu einem geregelteren
Leben fhren aber mit ziemlicher Sicherheit auch zu Unzufriedenheit,
Selbsthass und einem Leben in stiller Verzweiflung.
Darber, wie viele Menschen in zweigleisigen Arbeitsverhltnissen le-
ben und ihre Zeit zwischen reinem Broterwerb und leidenschaftlicher T-
tigkeit aufteilen, gibt es keine genauen Zahlen. Ein guter Indikator dafr,
dass es stndig mehr werden, ist die Knstlersozialkasse (KSK). Hier kn-
nen sich freiberufliche Knstler gnstig sozialversichern 2006 machten
ber 154 000 Deutsche von diesem Angebot Ge brauch, mehr als dreimal
so viele wie fnfzehn Jahre zuvor. Dass dieser Zuwachs nicht durch
schwer reiche Bildhauer und berbezahlte Bestsellerautoren zustande
kam, sondern eher durch Durchwurstler, zeigt das Durchschnittsein-
kommen der Versicherten: weniger als 1000 Euro pro Monat.
F rher war wie immer alles einfacher alle waren sich einig, was es zu erreichen galt (Festanstellung, Kinder, Eigenheim) und wie man es erreichte (gute Noten, Verlobung, Bausparvertrag). Das war klar aber nicht unbedingt gut. Nach den Zeiten, in denen ein Sohn den Beruf seines Vaters bernehmen musste und Frauen sowieso nicht gefragt
wurden, was sie mit ihrem Leben jenseits eines Mutterdaseins anfangen woll
ten, sehnt sich jedenfalls niemand zurck. Ebenso wenig nach der Zeit, in der
man sich als junger Mensch entscheiden musste, ob man Popper sein wollte
oder nicht. Doch genau an diese berholten Abgrenzungen aus den 80ern er
innert der Befehl an unsere Generation, jetzt doch bitte mal das Herumspielen
sein zu lassen und sich mit Haut und Haaren der einen Karriere zu verschrei
ben, die man gerade ergattern kann. Der Essayist Paul Graham pldiert indes
fr das exakte Gegenteil: In seinem Aufsatz How To Do What You Love wirbt
er dafr, sich nicht mit weniger zufriedenzugeben als mit dem Job, den man
liebt. Und gibt offen zu, dass man unter Umstnden 30 oder 40 Jahre alt wer
den muss, um dieses Ziel zu erreichen. Entscheidet euch nicht zu frh, rt er.
Kinder, die schon frh wissen, was sie spter tun wollen, wirken beeindru
ckend, so, als ob sie eine Matheaufgabe vor allen anderen Kindern gelst ht
ten. Sicher, sie haben eine Antwort, doch die Chance, dass sie falsch liegen, ist
hoch. Graham pldiert dafr, beim Design des Lebens auf dieselben Dinge zu
vertrauen wie alle Designer: auf flexible Werkstoffe.
Es geht ja nicht nur um die Berufswahl, sondern um die gute alte Frage:
Wie will ich leben? Die Extreme haben dabei die Generationen vor uns
bereits ausgelotet, sei es in Form der durchpolitisierten 60er Jahre oder in
der hedonistischen Variante der 80er. Aus beidem haben wir gelernt. Wir
haben verstanden, dass auf ein paar zusammengeschobenen Holzpalet-
ten ebenso unertrgliche Idioten schlafen knnen wie auf feinstem Da-
mast. Aber auf beidem eben auch kluge und liebenswerte Geschpfe.
Wir haben gelernt, die Extreme zu meiden oder spielerisch mit ihnen
umzugehen. Das mag den Befrwortern radikaler Entscheidungen wie
fragwrdiges Wischiwaschi vorkommen. Aber ist es nicht weit weniger fragwrdig zu versuchen, menschenwrdig ber die Runden zu kommen, als eine stringente, kon-sequent geplante und durchgezogene Karriere als Fili-alleiter zu verfolgen? Der Gedanke, sich so frh wie mglich auf
ganz entschlossen un-entschlossen
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-
einen Lebensentwurf festzulegen, ist nicht nur absurd, er ist auch gefhr-
lich. Sicher knnen wir schon whrend unserer Schulzeit Neigungen und
Begabungen feststellen. Doch selbst nach einer Handvoll Praktika wissen
wir im Grunde wenig darber, wie es wirklich ist, in diesem oder jenem
Beruf ein Leben lang zu arbeiten. Warum sollten wir also gezwungen wer-
den, uns verbindlich auf einen festzulegen? Die Studie Globalife, die
fnf Jahre lang Lebenslaufentscheidungen in e