Transpersonale Psychologie Und Psychotherapie - 1999 Vol.2

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John W. Perry: Formen der Selbstheilung in spirituellen Krisen 4Konrad Stauss: Martin Buber und die dialogische Psychotherapie 15Uta Dreisbach: Die Meister-Schüler-Beziehung im Zen 27Christof Schmidt-Lellek: Der sokratische Dialog als Modell - Überlegungen zur dialogischen Grundhaltung der Helferpersönlichkeit 33Gerhard Wehr: Esoterik im Christentum 49Peter Gottwald: Psychotherapie und die Wege zur Ichfreiheit 57Sylvester Walch: Was verstehen wir unter den Begriffen Ich, Ego und Selbst 76Michael Utsch: Weltangst und Erlösungshoffnungen an der Schwelle zum dritten Jahrtausend 88

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  • Transpersonale Psychologie und Psychotherapieist eine unabhngige Zeitschrift. Aus einem schulen-, kultur- und religionsbergrei- fenden Verstndnis heraus bietet sie ein Forum zur Verbindung von Psychologie und Psychotherapie und deren theoretischen Grundlagen mit spirituellen und transpersonalen Phnomenen, Erfahrungen und Wegen, Welt- und Menschenbildern. Sie dient dem Dialog der verschiedenen Richtungen, frdert integrative Bemhungen und leistet Beitrge zu Forschung und Theoriebildung.

    by Via Nova,Neier Strae 9,36100 Petersberg,Telefon / Fax: (06 61) 6 29 73

    ISSN 0949-3174 Scan & OCR von Shiva2012

    Impressum:

    Herausgeber und Schriftleitung:Dr. med. Joachim Galuska, Fachklinik Heiligenfeld, Euerdorfer Str. 4-6, D-97688 Bad Kissingen, Telefon (09 71) 8 20 63 69, Fax (09 71) 6 85 29.

    Prof. Dr. Edith Zundel, Ankerbachtalweg 4,D-53227 Bonn, Telefon (0228) 44 23 62, Fax (02 28) 4433 93.

    Redaktionelle Mitarbeit:Ulla Pfluger-Heist, Tilsiter Str. 10, D-88267 Vogt, Tel. u. Fax (07529) 32 55

    Wissenschaftlicher Beirat:David Boadella (spirituelle Krperpsychotherapie) Michael von Brck (vergleichende Religionswissenschaften)Stan Grof (Holotrope Therapie, Spirituelle Krisen) Willigis Jger (Kontemplation und Meditation)Ingo Jahrsetz (Spirituelle Krisen)Ayya Khema (1923-1997)Walter von Lucadou (Parapsychologie)Pieter Loomans (Initiatische Therapie)Arnold Mindell (Prozeorientierte Psychotherapie) Michael Plesse (Orgodynamik)Ursula Reineke (Psychosynthese)Christian Scharfetter (Bewutseinsforschung, Psychopathologie)Theodor Seifert (jungianische Psychologie)Ken Wilber (Transpersonale Psychologie).

    Erscheinungsweise und Bezug:Die Zeitschrift erscheint zweimal jhrlich.Bezugspreis DM 39,- zuzgl. Versandkosten.Das Abonnement gilt fr das Kalenderjahr, die Bezugsdauer verlngert sich jeweils um 1 Jahr, wenn bis zum 30. Dezember keine Abbestellung vorliegt. Bestellungen bitte an den Verlag Via Nova.

    Mit der Annahme eines Beitrags zur Verffentlichung bertrgt der Autor dem Verlag alle Rechte, insbesondere das Recht der weiteren Vervielfltigung und das Recht zur bersetzung fr alle Sprachen und Lnder. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beitrge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschtzt. Fr den persnlichen Gebrauch drfen von Beitrgen oder Teilen daraus Einzelkopien hergestellt werden. Die Aufnahme der Zeitschrift in Lesezirkel ist nicht gestattet.

    Hinweis:Diese Zeitschrift ist auf chlor- und surefreiem Papier gedruckt.

  • Transpersonale Psychologie und Psychotherapie5. Jahrgang, Heft 2, 1999

    Editorial 3

    John W. Perry: Formen der Selbstheilung in spirituellen Krisen 4

    Konrad Stauss: Martin Buber und die dialogische Psychotherapie 15

    Uta Dreisbach: Die Meister-Schler-Beziehung im Zen 27

    Christof Schmidt-Lellek: Der sokratische Dialog als Modell - berlegungen zur dialogischen Grundhaltungder Helferpersnlichkeit 33

    Gerhard Wehr: Esoterik im Christentum 49

    Peter Gottwald: Psychotherapie und die Wege zur Ichfreiheit 57

    Sylvester Walch: Was verstehen wir unter den Begriffen Ich, Ego und Selbst 76

    Michael Utsch: Weltangst und Erlsungshoffnungen an der Schwelle zum dritten Jahrtausend 88

    Buchbesprechungen 101

    Fortbildungen, Tagungen und Ankndigungen 106

    Autorinnen und Autoren 108

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  • Letztes der zehn Ochsenbilder, die den Entwicklungsgang des Zen-Schlers zur Erleuchtung und deren Wirkung symbolisch darstellen. Aus Der Ochs und sein Hirte". Zen-Augenblicke, Ksel 1994.

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  • Editorial

    Wir haben erst krzlich erfahren, da John Perry im Oktober 1998 im Alter von 84 Jahren gestorben ist. Der Harvard-Ab solvent, Psychiater und Jungianische Psychotherapeut war einer der groen Pioniere der Transpersonalen Psychologie und ein selten weiser, gtiger und dabei bescheidener Mensch. In den letzten Jahren war er verschiedentlich in Deutschland. Seine letzte Vortragsreise 1997 mute er, obwohl er schon bis Wien gekommen war, aus gesundheitlichen Grnden absagen. Der damals vorgesehene Vortrag ist in diesem Heft abgedruckt. Er behandelt das zentrale Thema seines Schaffens, die Begleitung der Selbstheilung bei psychotischen Episoden.

    Einige Artikel dieses Heftes kreisen um das Thema Therapeuten und spirituelle Meister. Widrige Umstnde haben verhindert, da ein zusammenfassender Artikel rechtzeitig fertig wurde. Er wird in einem der nchsten Hefte nach geliefert. Dafr sind uns weitere Spezialartikel aus den verschiedenen spirituellen Traditionen und Therapierichtungen willkommen. Was Gerhard Wehr zu Esoterik im Christentum schreibt, gehrt in gewissen Sinne auch noch zu diesem Thema. Sylvester Walch und Peter Gottwald beschftigen sich mit Ich, Ego, Selbst und den Wegen zur Ichfreiheit und Michael Utsch schlielich mit dem ganz aktuellen Thema der Angst und der Hoffnungen an der Schwelle zum dritten Jahrtausend.

    Dieses Heft ist mit der tatkrftigen Hilfe von Christiane Nguyen entstanden. Wir wnschen eine angenehme Lektre.

    Edith Zundel

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  • Transpersonale Psychologie und Psychotherapie2/99, 4-14

    Formen der Selbst-Heilung in spirituellen Krisen

    Der Erneuerungsproze

    John Weir Perry

    Zusammenfassung: Die in der Psychiatrie meist als psychotische Episoden etikettierten extremen psychischen Zustnde mssen nicht nur als Fall fr psychiatrische Einrichtungen betrachtet werden. Als Stadien einer spirituellen Krise knnen sie vielmehr als Ausdrucksformen archetypischer Krfte verstanden werden, die sich im Rahmen eines umfassenden seelisch-spirituellen Erneuerungsprozesses manifestieren. Aus seiner alternativen Arbeit mit Menschen in extremen Zustnden zeigt der Autor, da Therapie hier nicht bedeutet zu behandeln oder zu korrigieren, sondern da es darum geht, den seelischen Proze der inneren Verbilderung, durch den sich die Persnlichkeit reorganisiert, zu untersttzen und die auftauchenden archetypischen Bilder und Visionen ernst zu nehmen, statt sie zu pathologisieren. Welcher Reichtum an mythischem und rituellem Erbe in dieser Art von Proze enthalten ist, verdeutlicht der Autor an konkreten Beispielen aus seiner therapeutischen Arbeit.

    Schlsselwrter: extreme Zustnde; spirituelle Krise; Erneuerungsproze; archetypische Bilder; Reorganisation der Persnlichkeit.

    Spirituelle Krisen

    Wenn man ber spirituelle Krisen spricht, stt man auch auf das Problem, da sie die Form von psychotischen Episoden annehmen knnen. Schon die bloe Erwhnung dieses Begriffs lst Angst aus. Diese Angst ist ganz verstndlich, besonders in einem Jahrzehnt, wo die Annahme verbreitet ist, eine Psychose sei die Folge einer Gehirnstrung. Niemand hrt es gerne, wenn mit dem spirituellen Proze dergleichen assoziiert wird. Ich verwende deshalb den Begriff extreme Zustnde. Er ist mehr auf die Wirklichkeit zugeschnitten und kann helfen, sich von den verzerrten Assoziationen zu lsen, die durch die medizinische Terminologie hervorgerufen werden.

    Wie die meisten wissen, die sich mit diesem Thema befassen, war es der ursprngliche Ansatz des SEN1, den spirituellen Aspekt der schweren Krisen, der extremen Zustnde, zu erkennen. Innerhalb weniger Jahre stellte sich jedoch heraus, da die

    1. SEN (Spiritual Emergence Network), von Stanislav und Christina Grof gegrndet, ist eine internationale Vereinigung. In Deutschland besteht ein sehr aktiver Zweig.

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  • Formen der Selbstheilung in spirituellen Krisen

    meisten Leute nicht wegen extremer Zustnde Hilfe suchten, sondern lediglich verwirrt waren von einem Erleben, das in unserer materialistischen Kultur noch ungewhnlich ist. Man nderte deswegen auch den Namen. Es heit nun nicht mehr spiritual emergency (spiritueller Notfall/spirituelle Krise), sondern spiritual emergence (Entstehen/Auftauchen der Spiritualitt). Aber es gibt nach wie vor auch wirkliche Notflle, eben extreme Zustnde.

    Auch Therapeuten kommen manchmal an den kritischen Punkt, wo ein Klient in einen extremen Zustand abzukippen droht, und aus Vorsicht meinen sic dann, da nur ein Psychiater wei, wie damit umzugehen ist, und da nur er das Recht hat, dies zu tun. Es besteht dann jedoch die Gefahr, da diese Klienten einfach in die blichen psychiatrischen Einrichtungen gesteckt werden, wo ihnen nur bermig viele Medikamente verabreicht werden und alles unterdrckt wird. In den USA gibt es zur Zeit keine Einrichtung, die in der Lage wre, extreme Zustnde als spirituelle Krisen zu behandeln oder gar versucht, sie mit psychotherapeutischen Methoden zu behandeln.

    Eine alternative Art der Behandlung

    In den siebziger Jahren gingen wir das Problem einmal vllig anders an. Wir richteten in einem normalen Haus eine Wohnung ein, die gemtlich und gar nicht nach Klinik aussah. Dort nahmen wir junge Erwachsene in einem mglichst frhen Stadium ihres akuten extremen Zustands auf. Bei ihrer Aufnahme und auch spter sagten wir ihnen, da wir ihren Zustand nicht als Krankheit oder Strung betrachteten, sondern als eine notwendige Krise in ihrer Entwicklung, durch die sie hindurch mten. Sie knnte manchmal ganz sublim, manchmal wie ein Alptraum sein, aber wir wrden bei ihnen und fr sie da sein und ihnen helfen, whrend sie da durchgingen. Wir gaben keine Medikamente, auer in ganz seltenen Fllen, und auch dann nur eine ganz geringe Dosis.

    Als wir die Behandlung so planten, fragten wir uns schon, ob das nicht zu verwegen war. Mein Kollege Howard Levene und ich versprachen deshalb den Mitarbeitern, da einer von uns zu jeder Tages- und Nachtzeit immer telefonisch erreichbar sein wrde, um bei Krisen zu helfen, die fr Laien zu schwierig schienen. In dreieinhalb Jahren kam dies jedoch nicht ein einziges Mal vor! Noch aufflliger aber war etwas ganz Unerwartetes: Wir fanden immer wieder, da die Neuankmmlinge durch die Besttigung, die wir ihnen bei ihrer Aufnahme gaben, innerhalb von ein bis drei Tagen wieder klar und zusammenhngend denken und reden konnten, unabhngig davon, wie psychotisch sie auch vorher gewesen sein mochten. Dies verwirrte uns so sehr, da wir dachten, wir htten vielleicht Zustnde mis- diagnostiziert, die in Wirklichkeit nur hysterisch waren. Aber nein, es geschah immer wieder. Die Betroffenen begannen, an ihrer psychischen Entwicklung zu arbeiten, und es wurde eher etwas wie Traumarbeit als ein sich Herauskmpfen aus einer Psychose.

    hnliches hatte ich schon frher erlebt, als ich in einem staatlichen Krankenhaus mit Patienten in akuten Episoden arbeitete. Auch hier machten die Patienten innerhalb weniger Tage Fortschritte in Richtung Besserung. Damals fragte ich mich, ob dies vielleicht auf die untersttzende Wirkung der Subkoma-Insulinbehand-

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  • John Weir Perry

    lung zurckzufhren wre, bis sich herausstellte, da diese nur durch ihren Plazeboeffekt wirkte. Was sowohl damals als auch in unserer Wohneinrichtung tatschlich passierte, war, da sich die Klienten in einem sich schnell entwickelnden Proze befanden, dessen beeindruckende Bildhaftigkeit religis oder mystisch geprgt war.