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A nspruch der Politik ist es, gesellschaftliches Leben für die Menschen zu gestalten. Be- sonders das Konzept der Sozialen Markt- wirtschaft, das Ludwig Erhard so erfolgreich in die Praxis umgesetzt hat, ist unter heutigen Bedingungen der Auftrag, im umfassenden Sinne Wohlstand und Teilhabe für alle zu ermöglichen. Ich gehöre zu de- nen, die nicht fatalistisch am Rande des Weges sitzen und sagen, im 21. Jahrhundert und unter den Be- dingungen der Globalisierung hat nun die Ökono- mie die Macht erobert und nun kann die Politik nur noch Reparaturpflaster verteilen. Ich glaube, wir, die Christlich Demokratische Union, die die Soziale Marktwirtschaft zum lebendigen Konzept gemacht hat, wir müssen in der Lage sein, den Rahmen für eine vernünftige Entwicklung selbst zu setzen. Wenn ich von einer neuen Sozialen Marktwirt- schaft spreche, dann heißt das nicht, dass die Prinzi- pien der Sozialen Marktwirtschaft überholt sind. Im Gegenteil: Es geht um eine Wiederbelebung der be- währten Grundprinzipien der Sozialen Marktwirt- schaft. Die Prinzipien eines freiheitlichen Men- schenbildes bleiben bestehen mit der Akzeptanz, dass die Menschen verschieden sind und es uns gelingen muss, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten in unserer ... Angela Merkel MdB, Vorsitzende der CDU Deutschlands 6 t r e nd III. Quartal 2001 PERSPEKTIVEN Für ein wettbewerbsfähiges und menschliches Deutschland im 21. Jahrhundert

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trend Dokumentatation Wirtschaftstag 28.06.2001

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Anspruch der Politik ist es, gesellschaftlichesLeben für die Menschen zu gestalten. Be-sonders das Konzept der Sozialen Markt-

wirtschaft, das Ludwig Erhard so erfolgreich in diePraxis umgesetzt hat, ist unter heutigen Bedingungender Auftrag, im umfassenden Sinne Wohlstand undTeilhabe für alle zu ermöglichen. Ich gehöre zu de-nen, die nicht fatalistisch am Rande des Weges sitzenund sagen, im 21. Jahrhundert und unter den Be-dingungen der Globalisierung hat nun die Ökono-mie die Macht erobert und nun kann die Politik nurnoch Reparaturpflaster verteilen. Ich glaube, wir, dieChristlich Demokratische Union, die die Soziale

Marktwirtschaft zum lebendigen Konzept gemachthat, wir müssen in der Lage sein, den Rahmen für eine vernünftige Entwicklung selbst zu setzen.

Wenn ich von einer neuen Sozialen Marktwirt-schaft spreche, dann heißt das nicht, dass die Prinzi-pien der Sozialen Marktwirtschaft überholt sind. ImGegenteil: Es geht um eine Wiederbelebung der be-währten Grundprinzipien der Sozialen Marktwirt-schaft. Die Prinzipien eines freiheitlichen Men-schenbildes bleiben bestehen mit der Akzeptanz, dassdie Menschen verschieden sind und es uns gelingenmuss, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten in unserer ...

Angela Merkel MdB, Vorsitzende der CDU Deutschlands

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Für ein wettbewerbsfähiges und menschliches

Deutschland im 21. Jahrhundert

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Gesellschaft zu entfalten. Aber bei aller Wichtigkeitdes sozialen Ausgleichs, der Frage der Gerechtigkeitund der Solidarität glaube ich, dass es in der Bundes-republik Deutschland aus der Tatsache von 50 JahrenFreiheit eine Tendenz gibt, zu glauben, Freiheit sei et-was Selbstverständliches. Freiheit kann aber auch zer-stört werden. Zum Beispiel durch zu viel Regulie-rung, durch das Verhindern von Wettbewerb. Wett-bewerb ist aber ein Grundelement, um Freiheit zu er-möglichen. Daher kommt dem Wettbewerb in derSozialen Marktwirtschaft eine ganz wesentliche Rollezu. Denn die Freiheit jedes Einzelnen ist Ausgangs-,Dreh- und Angelpunkt des Konzepts der SozialenMarktwirtschaft. Wenn aber im Rahmen einer Wett-bewerbsordnung unter der Akzeptanz, dass die Men-schen verschieden sind und man Freiräume ermögli-chen muss, etwas erwirtschaftet wird, dann muss auchdie Frage nach der sozialen Verteilung beantwortetwerden. Diese Reihenfolge ist unglaublich wichtig.Man muss akzeptieren, dass es keine Schubladen gibt,wo die Einen für die Verteilung sitzen und die Ande-ren fürs Erwirtschaften. Es muss ein Gesamtverständ-nis vorhanden sein, gerade in Zeiten eines dramati-schen Wandels.

Herausforderungen an Politik und Gesellschaft

Die Gesellschaft wandelt sich von der Industrie-zur Wissensgesellschaft. Das sind Begriffe, unter de-nen sich ein Großteil der deutschen Bevölkerung we-nig vorstellen kann. Ich glaube, dass der Übergangvon der Industrie- zur Wissensgesellschaft eine Weg-marke ist, wie es der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft war. Dieser Umbruch bedeutet,dass sich nicht hier und dort mal ein Arbeitsgerät ver-ändert, ein Produktionsmittel oder eine Produk-tionsform, sondern dass tiefgreifende Veränderungenim Gange sind. Eine der Auswirkungen der Wissens-gesellschaft ist die zunehmende Geschwindigkeit derVeränderung. Sie werden beispielsweise bei einemVergleich mit der Einführung der Elektrizität, desTelefons oder des Automobils feststellen, dass die Zei-ten, in denen eine relevante Menge von Menschenüber die Nutzung der neuen Technologie verfügt, im-mer kürzer werden. Dieser Beschleunigung müssenwir antworten. Eine Antwort ist es, flachere Hierar-

chien zu bilden, das Prinzip der Subsidiarität konse-quent anzuwenden, wo immer es möglich ist. Wirdürfen nicht weiter in Richtung zentralistische Struk-turen gehen, sondern die kommunale Ebene, die Fa-milie, die Rolle des Individuums ist zu stärken. Soli-darität ist nur lebbar auf dem Grundsatz der Subsi-diarität.

Technologien haben sich massiv verändert. Infor-mationen und damit auch die Rolle des Humankapi-tals werden zur Triebkraft der weiteren Entwicklung.Sicherlich hat in der Industriegesellschaft die Intelli-genz auch eine Rolle gespielt. Aber automatisierbareVorgänge werden heute im Wesentlichen von Maschi-nen erledigt. Das bedeutet eine komplett veränderteArbeitswelt und einen signifikanten Wertewandel.Aber auch einen Wandel hin zu mehr Bildung undAusbildung und Selbstbewusstsein der Menschen.Wer die Menschen heute im politischen System be-trachtet, als wären sie die Menschen, die nach demKrieg Deutschland wieder aufgebaut haben, der be-vormundet sie und hat die Zeichen der Zeit nicht ver-standen. Die Menschen sind heute in der Lage mit Bitsund Bytes zu jonglieren.

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Die Gesellschaft wandelt sich von der Industrie- zur Wissensgesellschaft

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Die Industrieländer, die von der Industrie- zurWissensgesellschaft übergehen, haben das Problem,dass wir eine schrumpfende und eine alternde Bevöl-kerung haben. Für den Einzelnen ist es schön, längerzu leben. Aber für die Gesamtbalance der Gesell-schaft hat dies dramatische Auswirkungen. Die viel-leicht größte Herausforderung besteht gar nicht malin der Organisation der sozialen Sicherungssysteme.Sondern die größte Herausforderung besteht darin,unter den sich beschleunigenden Veränderungen im-mer wieder mit einer alternden Bevölkerung die In-novationskraft und Neugierde in der Gesellschaftaufrecht zu erhalten. Das lebenslange Lernen wird eine völlig neue kulturelle Erfahrung sein. Es wird dazu führen, dass man sich auch mit 40, 50 und 60Jahren noch Leistungsvergleichen stellen muss. Wirhaben das in den neuen Bundesländern erlebt, wennman plötzlich im Alter von 45 vor 25-Jährigen Prü-fungen ablegt. Um Neugierde, Triebkraft und Inno-vation zu erhalten, wird es wichtig sein, nicht nur dieTeilhabe an der Arbeit und an der sozialen Sicherungsicherzustellen, sondern vor allen Dingen die dauer-hafte Teilhabe am Wissen zu ermöglichen. Eine an-dere große Herausforderung in der Gesellschaft wird

darin bestehen, nicht nur relative Gerechtigkeit beiden Erwerbseinkommen sicherzustellen, sondernauch bei der Frage des Kapitalbesitzes. Die politi-schen Aufgaben leiten sich automatisch ab: Teilhabeam Wissen, Teilhabe am Kapital, Teilhabe an den so-zialen Sicherungssystemen, Teilhabe an der Arbeit.Für die aktuelle Politik der Bundesregierung ist fest-zustellen, dass deren Gestaltungsauftrag für die Bun-desrepublik Deutschland nicht erfüllt ist, wenn wir3,5 Prozent Inflationsrate haben und gleichzeitigSchlusslicht im Wirtschaftswachstum in Europa sind.Die Bundesrepublik Deutschland hat ein Potenzialan Menschen, die es ihr erlaubten an der Spitze desWirtschaftswachstums in Europa zu liegen.

Tragfähige Fundamente für die Wissensgesellschaft legen

In Bildung, Wissenschaft und Forschung stehtDeutschland zunehmend in einem internationalenWettbewerb. Vergleichende Studien zeigen leider,dass die Absolventen deutscher Schulen gegenübergleichaltrigen in anderen führenden Industrienatio-nen deutlich weniger leistungsfähig sind. Die Ausbil-dungszeiten sind eindeutig zu lang. Die unionsge-führten Bundesländer Sachsen und Thüringen sindbezüglich kürzerer Ausbildungszeiten bis zum AbiturVorreiter in Deutschland. Dies setzt sich inzwischenauch in allen unionsregierten Ländern durch. Keineinziges SPD-regiertes Land hält hier mit. WennWirtschaftsminister Müller lediglich darüber spricht,kann dies das notwendige Handeln der von KanzlerSchröder geführten SPD nicht ersetzen.

Der Wettbewerb im Bildungssystem muss zuneh-men. Das deutsche Hochschulsystem wird nichtüberleben im Vergleich mit anderen Staaten, wennwir nicht mehr Wettbewerb zwischen den Hoch-schulen zulassen. Wettbewerb zwischen den Hoch-schulen erfordert, dass sich die Hochschulen ihre Stu-denten zum Teil selber aussuchen können, was überdie ZVS nicht funktioniert. In Zukunft muss dasAbitur weiterhin Voraussetzung für die Aufnahmeeines Hochschulstudiums sein, es begründet aberkeinen Rechtsanspruch mehr darauf. Bei der Organi-sation des Studiums an den Universitäten müssenverstärkt marktwirtschaftliche Elemente einbezogen

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Weltweit geht der Trend hin zu flexiblen Beschäftigungsformen

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werden. Von generellen Studiengebühren spreche ichnicht. Aber die Zahlen sprechen für Studiengebührenfür Langzeitstudenten. 40 Prozent der Langzeitstuden-ten verließen die Hochschulen, als Studiengebühreneingeführt wurden. Wenn dann noch sichergestellt ist,dass diese Gebühren reinvestiert werden in die Hoch-schulen, dann haben sie etwas geschafft, was die Eigen-initiative und die Motorik der Hochschulen anreizt.

Die CDU hat in den vergangenen Monaten einesehr umfassende Diskussion über die Frage von Zu-wanderung und Integration geführt, um die Zu-kunftsfragen des Arbeitsmarktes zu beantworten.Aber genauso geht es um die Frage, wie Illegalität undMissbrauch der Zuwanderung bekämpft werdenkönnen. In unserem Zuwanderungskonzept ist es ge-lungen, auf die verschiedenen Tatbestände des Ar-beitsmarktes wirklich Antworten zu finden, die zu-kunftsfähig sind und die uns offen machen. Offen imWettbewerb um die besten Talente in der Wissens-gesellschaft. Die Idee der Greencard ist gescheitert.20.000 hätten kommen können und es sind nochkeine 6.000 gekommen. Im internationalen Ver-gleich schauen sich die Menschen an, wie die Le-bensbedingungen, wie die Steuersätze sind. Wennman einem jungen talentierten Ehepaar als Erstes er-klärt, der Mann – als Ingenieur im Informations-bereich – dürfe zwar kommen, aber seine Frau müssezwei Jahre warten, bis sie eine Arbeitserlaubnis be-kommt und nach fünf Jahren sollten sie dann beidewieder das Land verlassen, dann ist man internatio-nal nicht wettbewerbsfähig. Dort, wo wir im inter-nationalen Wettbewerb stehen, dort wo ein jungerChinese oder Inder sich entscheiden muss, wo geheich hin, dort heißt es wirklich wettbewerbsfähige Be-dingungen anzubieten, unter denen sie tatsächlich zuuns kommen.

Es ist unverzichtbar, die Bereitschaft der Bevölke-rung zu fördern, neue Technologien auch zu akzep-tieren. In den letzten zehn Jahren hat sich schon vielgetan. Aber wir sind immer noch in einer Situation,in der wir massiv Volksvermögen, Wissen und Mög-lichkeiten verschenken, weil wir es nicht schaffen,neue Technologien umzusetzen. Beispiel Transrapid:Zu Zeiten von Ministerpräsident Albrecht in Nie-

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dersachsen wurde eine Teststrecke gebaut. Fast war esdann so weit, dass von Berlin nach Hamburg derTransrapid gefahren wäre. Herr Müntefering als Ver-kehrsminister stellte dann auf einspurig und späterwurde gar nicht mehr gebaut. Derweil ist in Chinabereits der Grundstein gelegt und der Transrapidwird in vier Jahren von Shanghai nach Peking fahren.Wir können dann auf Besichtigungstour nach Chinafahren und staunen, was dort geschaffen wurde. Diesist nur eines der vielen Beispiele, an denen sich zeigt,mit welcher Entschlusskraft, mit welcher Dynamik,mit welcher Härte und Entschlossenheit die Leuteanderswo an ihre Aufgaben gehen. Und wir über-legen immer noch, während im wahrsten Sinne desWortes der Zug schon abgefahren ist.

Ein weiterer Punkt ist der Bereich der grünenGentechnologie. Da werden Feldversuche, die schongenehmigt waren, mit Moratorien wieder zum Still-stand gebracht. Wir sind ein Volk, dass von den tech-nischen, den ingenieurwissenschaftlichen und allengeistigen Möglichkeiten her die besten Fähigkeitenund Fertigkeiten hat, für die Welt wirklich etwasSinnvolles zu tun. Wir sprechen von global denkenund lokal handeln, aber tun lokal eben nicht das, wasglobales Denken verlangt. Wir haben die Pflicht, mitdem, was wir können, auch wirklich das zu schaffen,was nicht nur für unsere 80 Millionen Bürger, son-dern was für die Menschheit insgesamt notwendig ist.Das ist die Aufforderung, die sich aus der Globalisie-rung ergibt. Es ist geradezu abwegig, wenn der Bun-deskanzler bei der roten Gentechnologie propagiert,die ideologischen Scheuklappen abzulegen, aber beider grünen Gentechnologie und im Bereich derAtomkraft ganz andere Maßstäbe ausgibt. Bei derKernkraft haben wir die besten und sichersten Tech-nologien, wir sind in der Lage, preiswert Energie zuerzeugen. Aber aus ideologischen Gründen steigenwir aus diesen Technologien aus und nehmen billi-gend in Kauf, dass noch 15 Reaktoren vom TypTschernobyl in Russland laufen und wir zum Schlussmangels Know-how nicht mehr helfen können. Dasist kein Handeln im Sinne der Globalisierung.

Außer schönen Worten über die Wissensgesell-schaft hat der Bundeskanzler nur wenig im For-

schungs- und Technologiebereich getan. Ob die Ver-gabe der UMTS-Lizenzen das marktwirtschaftlichbeste Denken waren zugunsten einer neuen Techno-logie im Mobilfunk ist zu bezweifeln. Beispielsweisein Finnland ist mit den Lizenzen anders verfahrenworden. Ich bin überzeugt, dass sich die Einführungder UMTS-Technologie in diesen Ländern leichtergestalten und sich wiederum eine Distanz zu der Ent-wicklung in Deutschland ergeben wird. Wir sind imBereich der Mobilfunktechnologie wirklich vorne-weg in Europa. Das dürfen wir nicht aufs Spiel set-zen. Wir sind deshalb an der Spitze, weil ChristianSchwarz-Schilling Ende der 80er Jahre erkannt hat,was notwendig ist für die Einführung von mehrWettbewerb im Telekommunikationsbereich. Dieaus den UMTS-Lizenzen gewonnenen Gelder sindauch nicht der Finanzpolitik des Herrn Eichel zu ver-danken, sondern der Tatsache, dass wir 1994 die Postprivatisiert haben. Der rot-grünen Bundesregierungfehlt eine klare Strategie. Es zählt nicht kurzfristigesHandeln und die Sanierung des Bundeshaushaltes,sondern es zählt, was in zehn Jahren notwendig ist.Heute muss richtungweisend für morgen entschiedenwerden.

Arbeit für alle ermöglichenTeilhabe an der Arbeit wird heute gemessen an der

Frage, wie es mit der Beschäftigung in Deutschlandaussieht. Wir haben uns daran gewöhnt, weniger alsvier Millionen Arbeitslose bereits als Erfolg anzuse-hen. 3,8 Millionen Arbeitslose in Deutschland sindaber nicht naturgegeben. Eine Verbesserung ist bisherstrukturell nicht erreicht. Deutschland braucht eine Offensive gegen Beschäftigungshemmnisse.Während weltweit der Trend längst hin zu flexiblenBeschäftigungsformen geht, erweist sich das starredeutsche Arbeits- und Tarifrecht als ein Instrumentzur Verhinderung von Beschäftigung. Um Menschenwieder in Arbeit zu bringen, muss neben den norma-len Kündigungsschutzregeln die Wahlmöglichkeitbestehen, mit der Regelung von Abfindungen einge-stellt zu werden und im Gegenzug auf Kündigungs-schutzklagen zu verzichten. Damit sinkt die Schwel-le, insbesondere einen älteren Arbeitnehmer einzu-stellen. Weiter müssen befristete Beschäftigungsver-hältnisse nicht nur für ein Jahr, sondern auf über drei

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Jahre ausdehnbar sein. Im Niedriglohnbereich müs-sen wir erreichen, dass derjenige, der arbeitet, zumSchluss mehr hat, als der, der nicht arbeitet. So kanndas enorme Beschäftigungspotential im Bereich ein-facher Tätigkeiten besser genutzt werden. Wir wissenalle, dass dies keine leichte Aufgabe ist. Ein großesProblem hierbei ist, dass unsere sozialen Sicherungs-systeme von den Vätern der Sozialen Marktwirtschaftso organisiert wurden, dass Arbeitnehmer undArbeitgeber paritätisch an den sozialen Sicherungs-systemen mitwirken. Das verschafft uns system-immanent – wir haben es in der Bauwirtschaft an derEntsenderichtlinie erlebt – höhere Kosten beimArbeitgeber. Diese Kosten zwingen uns dazu, um et-wa 20 Prozent effizienter zu sein, als dies in anderenLändern mit anders organisierten Systemen notwen-dig ist. Diese 20 Prozent mehr Effizienz, die müssenerst einmal erwirtschaftet werden.

Verlässliche Solidarsysteme gestaltenDie Solidarsysteme, die die großen Lebensrisiken

Krankheit und Alter absichern, sind gefährdet. Eineimmer größer werdende Zahl Leistungsbezieher stehteiner immer kleiner werdenden Zahl gegenüber, diein das Solidarsystem einzahlen. Der Einstieg in dieprivate Vorsorge ist daher richtig, aber von der Bun-desregierung falsch und bürokratisch umgesetzt. DerAnteil der privaten Finanzierung in der Rente wirdsich weiter erhöhen und der gesetzliche Anteil wirdnoch stärker zurückgehen. Wenn man sich das Riestersche Szenario anschaut, mit welchen Annah-men dort für die nächsten 20 Jahre gerechnet wird,dann ist schon heute klar, dass die Rentenbeiträge imJahre 2030 auf Annahmen beruhen, die sie inDeutschland niemals haben werden. Das Nachden-ken über die Zukunft der Rente wird mit dieser Ren-tenreform nicht beendet sein.

Noch problematischer ist der Bereich der Kran-ken- und der Pflegeversicherung. Wenn die Kran-kenkassenbeiträge unentwegt in die Höhe gehen,bedeutet das, dass die Bundesregierung ihr erklärtesZiel von Lohnnebenkosten unter 40 Prozent nichterreichen wird. Auch im Gesundheitswesen ist mehrWettbewerb die einzig denkbare Antwort. Mehr Wett-bewerb bedeutet Verantwortung auch des Einzelnen

für überschaubare Risiken. Uns hat die Einführung derSelbstbeteiligung bei Medikamenten im letzten Wahl-kampf massiv zu schaffen gemacht. Aber es wird keinWeg daran vorbeigehen, dass auch der Einzelne einenbestimmten Beitrag leistet. Die zweite Gesundheits-ministerin in dieser Legislaturperiode hat versucht, dieProbleme sozusagen an dauerhaften runden Tischen zulösen. Es hat sich gezeigt, dass das nicht funktioniert.

Aufgabe der Politik muss es sein, grundlegendneue Weichenstellungen vorzunehmen, um verläss-liche Solidarsysteme – von den Sozialversicherungenüber die Vermögensbildung bis hin zur Familienför-derung – zu gestalten. Arbeitslosen- und Sozialhilfemüssen zusammengeführt werden und wir müssendafür sorgen, dass Kinder nicht mehr in die Sozial-hilfe geraten. Wir fordern daher als CDU in unseremFamilienkonzept ein Familiengeld. Jeder bekommtfür sein Kind mindestens soviel, wie er bekommenwürde, wenn er Sozialhilfeempfänger wäre. Die Ent-scheidung für Kinder muss unterstützt werden durchdie steuerliche Freistellung des Existenzminimumseines Kindes, so wie bei jedem Erwachsenen. Es gibt

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Wir haben die besten Fähigkeiten, für die Welt wirklich Sinnvolles zu tun

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... keinen Grund, zwischen Kindern und Erwachsenenzu unterscheiden. Aber bei denen, wo die Freistellungvom Existenzminimum keinerlei Wirkung bei derSteuer entfaltet, muss der Staat durch besondere Un-terstützung zeigen, dass wir eine Gesellschaft für Kin-der sind. Es ist klar, dass die Entscheidung für Kin-der eine freiwillige Entscheidung bleibt und auch ma-teriell nicht komplett ausgeglichen werden kann. Dasgilt auch in der Frage der Vereinbarkeit von Berufund Familie. Die Unternehmen werden im nächstenJahrzehnt massiv mehr Ideen in diese Frage stecken,weil sie die Frauen als gut ausgebildete Arbeitskräftespätestens ab 2005 dringend brauchen. Interessan-terweise sind die Länder, die das Thema Vereinbar-keit von Beruf und Familie am konsequentesten ge-regelt haben, auch Länder, in denen sich mehr Elternfür Kinder entscheiden. Wir können diese beidenDinge zusammenbringen, ohne die Freiheit der Ent-scheidung für Kinder in Frage zu stellen. Wichtig istdie Frage, wie bekomme ich Eltern nach der Erzie-hungsphase wieder in das Berufsleben zurück. Wirhaben heute eine Situation, in der Mütter mit 35enorme Schwierigkeiten haben, nach zehn Jahren wie-

der in das Berufsleben hineinzugehen. Der Arbeit-nehmer des 21. Jahrhunderts hat mobil, flexibel, ner-venstark und kreativ zu sein. Dann kann ich mir nichtvorstellen, warum ein Mann, der 20 Jahre hinter demgleichen Schreibtisch sitzt, so viel bessere Chancen hatwie eine Mutter, die drei Kinder erzogen hat.

Modernisierung des Steuersystems Deutschland braucht eine grundlegende Neuord-

nung des Steuerrechts. Die Besteuerung muss gene-rell verständlicher und übersichtlicher erfolgen. Siemuss den Menschen die Freiheit zu ökonomisch ver-nünftigem Verhalten zurückgeben. Dreh- und An-gelpunkt für die Wettbewerbsfähigkeit, aber auch fürmehr Eigenverantwortung der Menschen ist, dass dieSteuer- und Abgabenlast gesenkt wird. Sie werden indieser Gesellschaft keine Möglichkeit und keine Be-reitschaft zur Eigenverantwortung finden, wenn esnicht gelingt, insgesamt Steuern und Abgaben weiterzu senken. Als Erstes muss für alle, auch für die Per-sonengesellschaften, die Steuerreform von 2005 auf2003 vorgezogen werden. Dann muss die Benachtei-ligung mittelständischer Personenunternehmen be-seitigt werden. Es ist allein schon systematisch einFehler, Personengesellschaften über mehrere Jahredeutlich schlechter zu stellen als Kapitalgesellschaf-ten. Und im internationalen Vergleich sind die Steu-ersätze für natürliche Personen und damit auch fürPersonenunternehmen noch immer zu hoch.

Soziale Partnerschaft zukunftsfähig machen

Insgesamt hat sich die Mitbestimmung in Deutsch-land bewährt und manche Strukturveränderung über-haupt erst möglich gemacht. Sie ist eine unverzicht-bare Grundlage unserer Wirtschafts- und Sozialord-nung. Aber wir tun gut daran, die Mitbestimmung andie veränderten Erfordernisse des 21. Jahrhunderts an-zupassen. Dann muss sie aber so anpasst werden, dassEntscheidungen flexibler werden, dass die Vielschich-tigkeit in der Gesellschaft besser berücksichtigt wer-den kann. Dafür müssen Entscheidungsmöglichkeitenauf die betriebliche Ebene verlagert und nicht die Zen-tralen der Gewerkschaften gestärkt werden. Fazit: EineNovelle an sich ist richtig, aber die Richtung, in derdies jetzt passierte, ist mittelstandsfeindlich, bürokra- ...

Die Solidarsysteme für die großen Lebensrisiken sind gefährdet

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tisch und eine massive Verschlechterung für den Standort Deutschland. Wir brauchen in Deutschlandkein bürokratisches Betriebsverfassungsgesetz, dassnur die Funktionäre stärkt, sondern mehr Flexibilitätund Vertrauen in die betriebliche Zusammenarbeit vorOrt.

Weichenstellung für Deutschlands Weg in die Zukunft

Wir sind in einer der spannendsten Perioden derChristlich-Demokratischen Union – die Welt hat sichverändert, der Kalte Krieg ist vorbei, die Produktions-bedingungen und das Verhalten der Menschen habensich verändert. In den Augen der Menschen sind dieWirtschaftskompetenz und das Herstellen von Ge-rechtigkeit von entscheidender Bedeutung. Im Wahl-jahr 2002 werden sich die Leute fragen, mit welcherPartei sie für ihr eigenes Leben die besten Chancen ha-ben. Das ist auch eine riesige Chance für die CDU,weil die CDU die einzige Partei ist, die vom einzelnenMenschen her konsequent ihre Programmatik ange-legt hat. Die CDU hat es immer in ihrer Geschichtegeschafft, das Einzelwohl mit dem Gemeinwohl ver-nünftig zusammenzubringen. Das wird auch im 21.Jahrhundert der Fall sein. Und wenn wir Herrn Schrö-ders Politik anschauen, dann fällt auf, dass er die Ge-sellschaft in Klassen und Gruppen aufteilt und dass erimmer versucht, die verschiedenen Gruppen – malheute die, mal morgen jene – zu bedienen. Damit wer-den die einzelnen Gruppen gegeneinander ausgespieltund so geht die gesellschaftliche Solidarität verloren.Wir als CDU haben ein Gesamtkonzept, dass das Ein-zelwohl mit dem Gemeinwohl verbindet. Es ist Zeitfür eine entscheidende Weichenstellung für Deutsch-lands Weg in die Zukunft, bei der die politische undwirtschaftliche Ordnung so gestaltet werden muss,dass jeder Einzelne die Chance erhält, persönlichenNutzen und neue Freiräume aus den Entwicklungenzu gewinnen. Wer wirklich Hilfe braucht, hat An-spruch auf Solidarität, muss aber gleichzeitig den ihmmöglichen Beitrag für die Gemeinschaft erbringen.Das sind die zwei Seiten der Wir-Gesellschaft, die wiranstreben. �

Aus Rede Wirtschaftstag 2001

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Die Stimmung ist nicht schlagartig„gekippt“, und es kam aus denUnternehmen in Deutschland

kein plötzlicher, lauter Aufschrei, weil et-wa eine kompetente Regierung lange Zeitgut gearbeitet und sich erstmals bei einerEntscheidung geirrt hätte. Es setzt sich indiesen Wochen vielmehr die Erkenntnisdurch, dass sich das sorgsam aufgebauteMedienimage eines „Wirtschafts-Kanz-lers“ nicht auf Dauer aufrecht erhalten

lässt, wenn er nicht weiß oder schlichtignoriert, was steigende Kosten und Belas-tungen besonders für kleine Firmen wirk-lich bedeuten. Die Sommerwochen 2001werden vermutlich einmal als Zeitpunkteines grundlegenden Stimmungsum-schwungs in der deutschen Wirtschaft be-nannt werden. In jedem Fall ist dies derZeitpunkt, zu dem sich die makro-ökonomischen Rahmenbedingungen un-seres Landes drastisch verschlechtern. Die

Inflationsrate ist nach Deutschland zu-rückgekehrt. Die Arbeitslosigkeit steigtsaisonbereinigt im siebten Monat hinter-einander. Die Steuerbelastung der Unter-nehmen, insbesondere der Unternehmendes Mittelstandes, sinkt nicht etwa, wieversprochen, sondern sie steigt. DieDiskussion über Lohnzusatzkosten inDeutschland ist von den drastisch stei-genden Lohnzusatzkosten geprägt. Fastalle Krankenkassen haben angekündigt, indiesen Wochen ihre Beiträge erhöhen zumüssen. Aus der ersten Hälfte des Jahres2001 wird eine deutliche Zunahme derInsolvenzanträge von Unternehmen ge-meldet. Die überbordenden Kosten derBürokratie und der Überregulierung wer-den überall in der Wirtschaft spürbar.Gleichzeitig ist in der Verantwortung derrot-grünen Bundesregierung die Re-Regu-lierung des Arbeitsmarktes in vollem Gang.

Es ist wahr: Die Bundesrepublik stehtmit ihrer Wirtschaft nicht allein auf derWelt. Sicherlich sind wir vom Export undvon wirtschaftlichen Rahmenbedingun-gen abhängig – mehr als manch anderesLand in der Europäischen Union. Diekonjunkturellen Schwierigkeiten in denUSA, die Krise in Japan und das sich ab-schwächende Wachstum in ganz Europableiben nicht vor unserer Haustür stehen.Auch wenn Deutschland ein Teil der in-ternationalen Wirtschaft ist und Auf- wieAbschwung auch uns betreffen: Tatsacheist, dass wir seit einigen Monaten die roteLaterne in Europa bei Wachstum und Be-schäftigung in Europa in der Hand halten.Dies hat wenig mit internationaler Ver-flechtung und sehr viel mit dem Versagennationaler Politik zu tun.

Jetzt hat die Bundesregierung offen-sichtlich die Arbeit eingestellt und machtnur noch Wahlkampf. Sie verweigert sichallen Reformen, die sie selbst für notwen-dig erachtet: auf dem Arbeitsmarkt, beider Sozialhilfe, in der Gesundheitspolitik,in der Steuerpolitik. Eine gewählte Regie-rung muss ihre Arbeit machen, auch nochMonate oder Wochen vor der nächstenWahl. Es gibt kein Recht auf Faulheit – je-denfalls nicht für den deutschen Bundes-kanzler!

Die Gipfel-Erfolge sind ausgeblieben

In einer globalisierten Welt – das be-trifft die Ökonomie so sehr wie die Poli-

Das langsame, böse ErwachenDer Kompass ist nicht richtigeingestellt

Friedrich Merz MdB, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

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tik – gibt es immer mehr Handlungsebe-nen: den Nationalstaat, die EuropäischeUnion, den G 8 und große Organisa-tionen wie die WelthandelsorganisationWTO. Die weltweite Arbeitsteilung, dieGlobalisierung, erfährt eine bisher nichtgekannte Beschleunigung. Dies wirft dieFrage nach den Konsequenzen für denArbeitsmarkt auf, für unseren Wohlstandund für die Zukunft unseres Landes über-haupt. Wer kann eigentlich noch verant-wortlich handeln? Gibt es noch so etwaswie einen gesellschaftspolitischen Willen,der die Dinge steuern kann, oder sind wirden ökonomischen Gesetzmäßigkeiten aus-geliefert, ohne Einfluss nehmen zu können?

Die Sorge vor einem übermächtigenStaat oder vor zu mächtigen Gruppen, dieihre Interessen durchsetzen, ist dank derGewaltenteilung heute unbegründet. Siewar eine der zentralen politischen Innova-tionen des Zeitalters der Aufklärung vorgut 200 Jahren. Die Trennung der staat-lichen Gewalten in Legislative, Exekutiveund Judikative ist die Konsequenz aus derErkenntnis, dass Machtausübung einerwirksamen Kontrolle bedarf und einemSystem aus „checkes an balances“ unter-worfen werden muss.

Heute diskutieren wir das Verhältnisvon Staat und Bürger unter ganz anderenVorzeichen: Unseren Unternehmen stehtdie Welt offen, auch die Bürger sind mo-bil. Deshalb wird staatliches Handelneinerseits so stark wie nie durch die Glo-balisierung beeinflusst, andererseits aberin seiner Reichweite begrenzt und einerständigen vergleichenden Bewertungunterzogen. Zur vierten Gewalt, den Me-dien als veröffentlichter Meinung in Wortund Bild, ist längst eine fünfte getreten:die internationalen Märkte. Die Globali-sierung aller Wirtschaftsbeziehungen kon-frontiert uns also mit dem Problem, poli-tische – auch gesellschaftspolitische –Zielsetzungen zu wahren, die eben nichtallein ökonomischen Maßstäben genü-gen, wie die Sozial- und die Umwelt-, dieAußen- und die Sicherheitspolitik.

Die Frage der politischen Handlungs-fähigkeit stellt sich zurzeit nirgends sosehr, wie im Spannungsfeld der Euro-päischen Union und ihren Mitgliedsstaa-ten. Die Ablehnung des Vertrages vonNizza im irischen Referendum zeigt deut-lich das Misstrauen und den Unmut, denviele Menschen gegenüber Organisatio-

nen empfinden, die sich nicht mehr aussich selbst heraus erklären können. Diesist auch eine Ohrfeige für die beteiligtenRegierungen als Hauptverantwortliche indiesem Prozess. Dies liegt angesichts vielerungelöster Fragen auch nahe: Die weitereLiberalisierung wichtiger Märkte kommtkaum voran, obwohl sie schon vor Jahrenmit der Vollendung des EU-Binnenmark-tes abgeschlossen sein sollte. Auch die Be-reitschaft, sich auf internationaler Ebenefür eine Politik des Freihandels einzuset-zen, so gut sie auch zu begründen ist, lässtdeutlich zu wünschen übrig.

Die Gipfel von Nizza und Stockholmhaben nicht den erhofften Erfolg ge-bracht. Die vollständige Liberalisierungwichtiger Bereiche wie Postwesen, Ener-gie, ein einheitlicher Raum für Finanz-produkte, die einheitliche Besteuerungvon Kapitalerträgen, ein binnenmarkt-konformes Mehrwertsteuersystem – diesalles wird noch immer gehemmt durch dierein innenpolitisch motivierte Wahrungtatsächlicher oder vermeintlicher nationa-ler Interessen.

Dabei ist es gerade jetzt an der Zeit,die ungeheuren Chancen, die in der welt-weiten Arbeitsteilung stecken, herauszu-stellen. Auch besteht in der Öffnung derMärkte – nicht nur, aber auch in Europa– die einzige Chance, den Hunger in derWelt und die Ursachen von Bürgerkriegenzu beseitigen. Statt dessen vermissen wirauf dem Kontinent, der auch einen Bei-trag zur Befriedung europäischer Kon-fliktherde – Stichwort Balkan – leisten

müßte, die notwendige politische Klar-heit. Die Zeichen einer beginnenden Kri-se sind nicht zu übersehen: Auf dem Gip-fel von Lissabon hatten sich die Staats-und Regierungschefs darauf verständigt,die bislang noch nicht geöffneten Märkteim Gleichschritt zu liberalisieren – vondiesem Geist ist nichts mehr zu spüren.

Frankreichs Energie-Markt weist nachwie vor eine rigide Struktur auf, im Ge-genzug droht die Bundesregierung, kei-nen Strom aus Kernenergie abzunehmen.Statt die Osterweiterung voranzubringen,problematisiert die EU sie immer weiter.Die Deutschen betrachten die Ausdeh-nung des Modells von Freiheit, Markt-wirtschaft und Demokratie richtigerweiseunter dem Blickwinkel wirtschaftlicherund politischer Stabilität auch jenseits derOder. Dagegen wächst in vielen südlichenLändern der EU die Furcht vor den Kon-sequenzen für den Agrarmarkt und dieVerteilung der Mittel im Rahmen derStruktur- und Sozialfonds. Und so be-grüßt die gesamte Union die Osterweite-rung unter der Prämisse, wie bisher ausdem Füllhorn der europäischen Fonds be-dient zu werden. Was bleibt, ist der Ein-druck, dass es den Regierungen und derUnion selber an der notwendigen poli-tischen Kraft fehlt, die Integration wirk-lich voranzubringen.

Der Wert des Euro – Lackmus-Testfür die Handlungsfähigkeit

Die Zeiten, in denen die Deutschenauf Mark und Pfennig rechnen – und diemeisten anderen EU-Bürger entsprechend

Deutschland hält in Europa die rote Laterne bei Wachstum und Beschäftigung

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in ihren Währungen – sind in nicht ein-mal einem halben Jahr vorbei. Dann wirdder Euro mit der Ausgabe von Scheinenund Münzen zu einer vollwertigen undfür den Einzelnen umfassend verwend-baren Währung. Das Problem ist, dass unsin Europa einige Wochen vor dem wich-tigen Ereignis klare politische Visionenfür die Zukunft dieses Kontinents fehlen.Der Europäischen Union selbst fehlt einekraftvolle Führung, und die deutsch-französischen Beziehungen – immer derMotor auf dem Weg zur politischen Inte-gration – haben ihre Antriebskraft verlo-ren. So müssen wir etwa die Handlungs-fähigkeit der EU mit Mehrheitsentschei-dungen verbessern und die Abstim-mungsverfahren im Rat vereinfachen –eben dies kommt nicht voran oder istkomplizierter als je zuvor.

Dies sind keine guten Voraussetzun-gen, um eine Union, die eines Tages 20,24 oder 27 Mitglieder zählt, zusammen-zuhalten und erfolgreich zu machen. Abergerade diese anstehende Erweiterungmacht die Frage nach der politischen Ge-stalt so dringend. Wie müssen wir die Be-schlüsse von Nizza weiterentwickeln, umEuropa wieder handlungs- und entschei-dungsfähig zu machen?

Das Ziel muss in einer wirklichföderalen Ordnung der EuropäischenUnion bestehen, die sich an den Prinzipi-en der Subsidiarität orientiert. Diese Ideeist nicht neu, wir diskutieren darüberschon seit langer Zeit und verwenden da-

zu den Begriff des Verfassungsvertrages, sowie ihn Wolfgang Schäuble vor Jahren indie Diskussion gebracht hat. Nur sind dieStaats- und Regierungschefs in Nizza lei-der die Antwort auf die Frage schuldiggeblieben, welchen Inhalt ein solchereuropäischer Verfassungsvertrag habensoll. Damit ist bislang ungeklärt: Wozubrauchen wir Europa? Wieviel und wel-ches Europa wollen wir? Und ist eine Uni-on von möglicherweise 24 oder 29 Mit-gliedern als homogener Staatenverbundmit gleichen Rechten und gleichen Pflich-ten für alle politisch und organisatorischüberhaupt zusammenzuhalten? Eben die-se Zweifel muss der Europäische Verfas-sungsvertrag ausräumen, indem er dieKompetenzen festlegt und die Gemein-schaftsaufgaben ausgestaltet. Danebenbrauchen wir eine Reform der Institutio-nen. Denn das Europäische Parlament istheute noch kein vollwertiger Gesetzgeber,der Rat dagegen ist Gesetzgeber und Exe-kutive zugleich und auch die Kommissionerfüllt legislative und exekutive Aufgaben.Die Strukturen der Europäischen Unionwerden den Prinzipien der demokrati-schen Gewaltenteilung nicht gerecht, undeben diesen Mangel müßte ein Verfas-sungsvertrag heilen.

Kyoto – Name eines DilemmasAußerhalb der Europäischen Union

können wir nicht mit einem Instrumentwie einem Verfassungsvertrag die poli-tische Handlungs- und Entscheidungs-fähigkeit sicherstellen. Dort sind wir eherauf die Instrumente politischer Koopera-

tion – auch auf informelle Wege des In-teressenausgleichs – angewiesen. Diese Er-kenntnis wiegt um so schwerer, als wir aufinternationaler Ebene vor einer doppeltenHerausforderung stehen: einerseits dieVoraussetzungen für eine weitere wirt-schaftliche Integration zu schaffen undandererseits politische Zielsetzungen – et-wa im Umweltschutz – zu verwirklichen.Dieses Dilemma ist vor kurzem mit derrigorosen Absage der amerikanischen Re-gierung an das sogenannte Kyoto-Proto-koll sehr deutlich geworden. Dieses Neinist ein schwerer Rückschlag für eine ge-meinsame, weltweite Klima- und Um-weltpolitik. Aber auch die deutsche Bundes-regierung hat nach dem Ausstieg aus derfriedlichen Nutzung der Kernenergie keinKonzept dafür, wie Klimaschutz nationalund international erfolgreich zu gestalten ist.

Was die Handelspolitik betrifft, so istdie Liberalisierung längst keine ausschließ-liche Frage der Zolltarife mehr. Im Zugeeiner immer dichteren wirtschaftlichenVerflechtung nehmen auch die Wechsel-wirkungen zwischen nationalen Ordnun-gen und Regulierungspraktiken und deminternationalen Ordnungsrahmen zu, etwaim Kartellrecht, aber auch im Gesund-heitswesen oder im Verbraucherschutz.

Mit der Ausdehnung der GAT-Prinzi-pien, der Nicht-Diskriminierung und derMeistbegünstigung auf den Handel mitDienstleistungen im Zuge der Uruguay-Runde wurde erst richtig deutlich, dassdie nationalen Dienstleistungsmärktedurch eine Vielzahl von Regulierungen,unterschiedliche Qualitätsanforderungenund vieles mehr voneinander abgeschottetsind. Aufgrund der engen Verknüpfungdieser Märkte mit vielen Politikbereichenkann eine Liberalisierung nur gelingen,wenn gleichzeitig Regeln auf komple-mentären Themenfeldern vereinbart wer-den. Dazu gehören der Investitionsschutz,öffentliches Auftragswesen, der Schutzgeistigen Eigentums und die gegenseitgeAnerkennung von Normen und Stan-dards. Dies ist eine Gemeinschaftsaufgabealler Staaten.

Kein „closed shop“ der GroßenDeutschland lag im zurückliegenden

Jahr hinter den USA auf Platz 2 der größ-ten Import- und Exportländer und hatfolglich ein vitales Interesse an offenenMärkten und weiter wachsenden interna-

Die Zahl der Insolvenzanträge nahm im ersten Halbjahr 2001 deutlich zu

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20 trend III. Quartal 2001

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tionalen Wirtschaftsbeziehungen. Die EUund die Vereinigten Staaten müssen des-halb ihre bilateralen Wirtschaftsbeziehun-gen verbessern und sich gemeinsam für ei-ne neue Welthandelsrunde einsetzen. Derbevorstehende Beitritt Chinas zur WTOist ein großer Schritt und gibt Anlass zuneuen Hoffnungen. Gleichzeitig ist aberunverzichtbar, etwa die G7 oder G8-Run-de weiterhin als politisches Forum für diewirtschaftliche Integration zu nutzen.Schließlich geht es bei diesen Gipfeltref-fen längst nicht mehr um die ursprüng-liche Absicht, die Konjunktur zwischenden wichtigsten Industrienationen zu sta-bilisieren. Der letzte Gipfel in Japan hatgezeigt, mit welch breiter Themenpalettesich die Teilnehmer beschäftigen müssen:sie umfasst die „Informationsgesellschaft“ebenso wie die Bekämpfung des Drogen-handels und die Geldwäsche. Gerade des-halb ist es wichtig, dass in diesem Kreismehr als bisher die Stimmen der Ent-wicklungs- und der Schwellenländergehört und wahrgenommen werden. Washindert eigentlich die Staats- und Regie-rungschefs der Industrienationen daran,zu solchen Gipfeltreffen weitere Staatenals Gäste einzuladen und mit ihnen glo-bale Fragen zu diskutieren? Wer Themenwie den Schutz des Klimas und der na-türlichen Lebensgrundlagen, die Sicher-heit der Kernenergie und die Entschul-dung mit einiger Aussicht auf Erfolgbehandeln will, muss diese Länder stärkerin diese Gespräche einbeziehen. Wem der Schutz des Regenwaldes am Herzenliegt, der muss darüber nicht mit Ruß-

land und Frankreich, sondern mit den be-troffenen Ländern Brasilien und Indone-sien diskutieren. Damit wüchse dortgleichzeitig das Bewusstsein der eigenenVerantwortung für die gemeinsame Sache.

Es kommt sehr darauf an, nicht nurdie wirtschaftlichen, sondern auch die po-litischen Strukturen stärker miteinanderzu vernetzen. So ließe sich verhindern,dass verschiedene politische Handlungs-ebenen einzelner Länder, Freihandelszo-nen und anderer regionaler Bündnisse ge-geneinander ausgespielt werden. Bislanghaben wir die Schwelle zu dieser notwen-digen neuen weltwirtschaftlichen Ord-nung noch nicht überschritten.

Navigation bei FlauteAll dies bedeutet jedoch nicht, dass

keine nationale politische Verantwortungbestünde; den Regierungen bleibt auchkünftig genügend Arbeit – die Ertrags-steuersysteme etwa oder die Systeme dersozialen Sicherheit. Vieles wird auf abseh-bare Zeit in nationaler Verantwortungbleiben. Dieser Tatsache werden wir unsbesonders schmerzlich in Anbetracht derKonjunkturschwäche und des Stillstandesauf dem deutschen Arbeitsmarkt bewusst.Noch immer gelingt es der Bundesregie-rung nicht, die Voraussetzungen für einendauerhaften und sich selbst tragendenAufschwung in Deutschland zu schaffen.Statt der seit langem und von vielen Seitenangemahnten Flexibilisierung des Arbeits-marktes hat sie vielmehr dessen „Rück-Regulierung“ in Angriff genommen. Die

Senkung der Lohnnebenkosten bleibt einbloßes Versprechen. Der politische Willenzu wirklichen Reformen in Deutschlandfehlt. Und so darf sich niemand darüberwundern, wenn etwa der Vorsitzende derIG-Metall eine Betriebsvereinbarung beiVW, mit der 5.000 Arbeitsplätze entste-hen sollen, von außen zerstört, weil er dieInteressen seiner Gewerkschaftsorganisa-tion beeinträchtigt sieht.

Genau dies wollten die Unionsparteienmit ihren Vorschlägen zur Modernisierungder Betriebsverfassung verhindern. Sie wol-lten eine Bresche für betriebliche Bündnis-se für Arbeit schlagen, für mehr Beschäfti-gung und deren Sicherung. Es waren derKanzler und seine rot-grüne Bundesregie-rung, die den mächtigen Gewerkschafts-funktionären das Instrument in der Handgelassen haben, eben dies zu verhindern.

Die Frage, wie Politik national und in-ternational zu handeln hat, beantwortetAlfred Müller-Armack – neben LudwigErhard „Vater der Sozialen Marktwirt-schaft“. Deren Sinn sei es, das Prinzip derFreiheit auf dem Markte mit dem des so-zialen Ausgleichs zu verbinden. Und wennzurzeit in Berlin die SPD mit den Grünenund der PDS die Achse der Republik end-gültig nach links verschieben wollen,dann ist es nötig, diesem linken Bündniseine klares Profil der Freiheit und der ge-meinsamen Verantwortung für Deutsch-land entgegenzusetzen. In den WortenMüller-Armacks heißt das: „Der Einzelne,der sich dem Ganzen der klassenlosen Ge-sellschaft gegenüber in einer anonymenund hilflosen Rolle fühlt, muss angespro-chen werden auf seine innersten Lebens-tendenzen hin, um von der Gesellschafther jene Antwort zu erhalten, die er unbe-wusst oder ausgesprochen an die Gesamt-heit stellt. Ihm muss nicht nur die Mög-lichkeit gegeben werden, seinen Platz inder Gesellschaft, seine Ausbildung, seineWirkungsmöglichkeiten zu finden. Esbedarf nicht minder, ihm seine berechtigteoder unberechtigte Furcht vor jenen Me-chanismen einer freien Gesellschaft zu nehmen, denen er sich ausgeliefert fühlt.“

Diesen Auftrag haben wir zu erfüllen: dieWirtschaft, die nicht erfolgreich sein kann,wenn die Rahmenbedingungen nicht stim-men, und die Politik, die keinen Erfolg hat,wenn der Kompass der Freiheit in Deutsch-land nicht richtig eingestellt bleibt. �Aus Rede Wirtschaftstag 2001

Die Kosten der Bürokratie und Überregulierung werden überall spürbar

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Mehr Staatsinterventionismus oderinternationale Marktwirtschaft –ist das überhaupt noch eine Al-

ternative? Dass hier Staatsinterventionis-mus zu nichts führt, ist eine Weisheit, dieich sicher nicht vermitteln muss. Wollenwir Innovation, dann muss sich Innovationzuallererst auch einmal entfalten können.Es geht um Fragen echter Zuständigkeitenaber auch korrekter Trennschärfen: Der

Staat soll tun, was des Staates ist, die Wirt-schaft, was der Wirtschaft ist. Das ist meinCredo. Zu fragen ist also: Was sind dieGrundlagen des Verhältnisses von Privat-wirtschaft und Politik in der heutigen Zeit?Wie sieht es aus mit einer neuen Ordnungfür globalisierte Märkte? Es ist ja mittler-weile unstrittig, dass die Globalisierung zueiner Veränderung der Beziehungen vonWirtschaft und Politik geführt hat.

Der Erfolg der Wirtschaft wirddraußen gemacht, auf den Märkten derWelt, in globaler Arbeitsteilung, der Er-folg der Politik für den Bürger hingegenimmer noch zu Hause. Da tun sich man-che Widersprüche auf.

In der Luftfahrt sind neue Entwick-lungen meist schon Realität, wenn an-derswo noch über ihre möglichen Auswir-kungen debattiert wird. Die Branche wareine der ersten, die sich mit dem Prozessder Globalisierung auseinanderzusetzenhatte.

Konvergierende Kartellpolitik

Die Welt braucht so viele Verbindun-gen, wie wir sie als Lufthansa beispiels-weise allein gar nicht darstellen können.Das 21. Jahrhundert wird aber mehr undmehr zu einem Jahrhundert der Netze.Deshalb schließen sich Luftverkehrsun-ternehmen zu Allianzen zusammen, damitdiese Netze optimiert werden können.Die Star Alliance ist ein typisches Produktdieser Entwicklung.

Das Erste, das man innovativen Ent-wicklungen in Europa entgegenbringt, istallzu häufig Misstrauen. Während wir inden USA beispielsweise recht zügig einekartellrechtliche Freistellung für die Alli-anz Lufthansa/United Airlines erhielten,ist auf dieser Seite des Atlantiks die Un-tersuchung auch fünf Jahre nach Beginndes Verfahrens noch nicht abgeschlossen.

Manch ein Beobachter diskutiert zu-nehmend den vielleicht nicht mehr zeit-gemäßen, den globalisierten Realitätennicht mehr angepassten Marktbegriff somancher Kartellbehörden. Es ist höchsteZeit, einen internationalen Rahmen her-zustellen, in dem auch die Kartellbehör-den schließlich zu einer konvergierendenPolitik finden können.

Positive Entwicklung durch Privatisierung

Lufthansa ist heute ein solides undprosperierendes Unternehmen mit star-ken internationalen Partnern – trotzeiniger nicht so positiver Meldungen injüngster Zeit. Gerüstet für den globalenMarkt und mit guten Wachstumsaus-sichten ausgestattet, schaffen wir Arbeits-plätze.

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GLOBALISIERTE MÄRKTE

Mehr Staatsinter-ventionismus oder internationale MarktwirtschaftNeue Ordnung fürglobalisierte Märkte

Dipl.-Ing. Dr. Jürgen Weber, Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Lufthansa-AG

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GLOBALISIERTE MÄRKTE

Ohne das Stimulans unserer voll-ständigen Privatisierung wäre diese po-sitive Entwicklung nicht denkbargewesen.

Wobei die richtige Schrittfolge wich-tig war: Erst Sanierung, dann Restruktu-rierung, dann Privatisierung, dann einestrategische Neupositionierung. Das ge-sundete Unternehmen bekam eine Pass-form, um auch bei Wachstum gesundbleiben zu können.

Jetzt bezahlt der Kunde den Arbeits-platz, nicht der anonyme Steuerzahler.Aus Staatssicht ist die Lufthansa Privati-sierung ein guter Deal gewesen: KeineAusgaben für Beihilfen – und zusätzlichein guter Verkaufserlös. Privatisierungheißt Abschied nehmen vom Staatsunter-nehmertum. Nicht jedem allerdings fälltdas leicht. Es war ärgerlich mit anzusehen,wie in den letzten zehn Jahren die eu-ropäischen Steuerzahler mehr als 20 Mil-liarden DM für Beihilfen an einige unserer

schärfsten Mitbewerber aufbringen muss-ten. So kann sich Staatsinterventionismusanderswo als Wettbewerbsblocker für ver-meintlich Unbeteiligte auswirken. Auchlokale Politik hat globale Auswirkungen.

Das Fallbeispiel Lufthansa belegt: Eslohnt sich, wenn Politik dem Markt undseinen Teilnehmern erlaubt, sich zuentwickeln. Sie muss einen Rahmen set-zen, der Wettbewerb ermöglicht, der aberzugleich auch wettbewerbsfähig ist. DasHandeln ist die Aufgabe der Wirtschaft.Wenn Kreativität, Leistungsbereitschaftund unternehmerischer Geist sich freientfalten können, dann werden Wohl-stand und Arbeit geschaffen.

Vieles geschieht aber leider noch zuzögerlich. Die Welt wartet nicht auf uns.

InfrastrukturengpässeRichten wir unseren Blick über die

Grenzen, so meine ich auch da, dass beistabilen Voraussetzungen auf internatio-nalen Märkten das gleiche Prinzip geltensollte: Die Politik setzt den Rahmen, dieWirtschaft handelt.

Es gibt Herausforderungen, die grenz-überschreitende Auswirkungen habenund ohne gestalterisches Wirken der Poli-tik nicht gelöst werden können: Die In-frastrukturengpässe beispielsweise, die rie-sige Kosten verursachen, Millionen vonReisenden belasten und die Effizienz derWirtschaft beeinträchtigen. Am Bodenwirken sie sich in der Form unzureichen-der Flughafenkapazitäten aus. Hier sindGesetzgeber aller Ebenen gefragt. DieGesetzgeber müssen den beschleunigtenAusbau der Infrastruktur im Interesse derMobilität der Menschen und der Wirt-schaft vorantreiben, schon gar einer Volks-wirtschaft wie der unsrigen, die zu dengrößten Exporteuren der Welt gehört.

„Online“ bleiben, den Zugang sichernmuss eine wichtige Aufgabe vorausschau-ender Wirtschaftspolitik sein. Der Trans-port gehört dazu, denn er ist ein Erfül-lungsgehilfe der Wirtschaft.

Der Staat kann ja, wenn er will! So lö-sen Bayern und Sachsen Infrastrukturfra-gen völlig unkompliziert, die in Hessen,Nordrhein-Westfalen und Berlin aus denunterschiedlichsten Gründen Bauch-schmerzen bereiten.

„Der Staat soll tun, was des Staates ist, die Wirtschaft, was der Wirtschaft ist“

„Globalisierung führt zu einer Veränderung der Beziehungen von Wirtschaft und Politik“

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GLOBALISIERTE MÄRKTE

Hier gilt: der Vorteil unseres föderalenStaatswesens kann sich in sein Gegenteilverkehren, wenn wir aufgrund der spezifi-schen Besonderheiten einzelner Regionenzu unterschiedlichen Tempi beim Infra-strukturausbau kommen.

Ich hoffe, dass sich innerhalb der Bun-desregierung die pragmatische Linie vonMinister Bodewig gegenüber den Vorstel-lungen von Umweltminister Trittin in derFrage des Lärmschutzes durchsetzt, zumalLufthansa zu den Trendsettern im Um-weltschutz im Luftverkehr gehört.

Transatlantischer offener MarktInfrastrukturengpässe haben wir aber

auch in der Luft. Der oft beschworenegemeinsame Himmel über einem gemein-samen Europa bleibt Fiktion. Es gibt eineNotwendigkeit zur grenzüberschreitenden

Konsolidierung. Wir haben in Europa zuviele Airlines mit zu vielen kleinen, frag-mentierten Märkten. Anders in den USA.Wir erleben zur Zeit – trotz der Größe derAirline-Industrie dort – eine zweite großeKonsolidierungswelle. Am Ende werdendrei oder vier große Airlines in Amerikaübrig bleiben. Diese US-Airlines werdendann versuchen, im Weltmarkt das Sagen zuhaben.

In diese Diskussion ist die Frage ein-zubeziehen, ob die nationalen und eu-ropäischen Strukturen aus globaler Per-spektive einen ausreichenden Rahmenbieten, der den Anbietern und Produzen-ten Europas eine reelle Wettbewerbs-chance eröffnet.

Für den Verkehrsbereich bin ich mirziemlich sicher, dass ein zerstückeltes Europa

kaum Gestaltungsspielräume für ein „levelplaying field“ im globalen Wettbewerb bietet.

So denke ich, muss die EU mit denUSA recht bald einen gemeinsamen nord-atlantischen Luftverkehrsmarkt aushan-deln, um der Weltmacht des Luftverkehrsin Augenhöhe gegenüber treten zukönnen. Der Open Sky hat erste Türengeöffnet. Wir wollen aber mehr als vielekleine Open Skies. Wir wollen einentransatlantischen offenen Markt. Undauch die heutige Bundesregierung befür-wortet diese Idee.

Lufthansa wünscht sich eine Stärkungder europäischen Wettbewerbsposition inallen Bereichen, vor allem aber natürlichauch in der weltweiten Zivilluftfahrt. DenRahmen dazu setzt die Politik. �Aus Rede Wirtschaftstag 2001

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Bundesdelegierten-Versammlung 2001

Plädoyer für eine entschlossene Ordnungspolitikder Sozialen MarktwirtschaftRückgang der wirtschaftlichenGestaltungsfreiheit ist ein Alarmzeichen

...Kurt J. Lauk

Die internationalen Finanzmärktehaben die verfehlte Wirtschaftspo-litik der Bundesregierung überra-

schend schnell abgestraft. Sieht man ge-nauer hin, ist dies allerdings nicht mehrverwunderlich: Ein massiver Konjunktur-einbruch wird begleitet von einer Inflati-onsrate, wie wir sie nur aus den siebzigerJahren gewohnt sind, zu den Zeiten derletzten SPD-Regierung. Seit Jahren machterstmals wieder der Schreckensbegriff„Stagflation“ die Runde. Darum trauendie Finanzmärkte den USA inzwischeneine schnellere Erholung zu als der derBundesrepublik – nichts zeigt deutlicher,wie schlecht es um die Wirtschaftspolitikder Regierung Schröder bestellt ist. Da-rum ist es heute wichtiger denn je, klareordnungspolitische Schneisen in dasRegulierungsdickicht der Bundesregie-rung zu schlagen.

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Befund nach drei Jahren

Zunächst aber der Befund nach dreiJahren rot-grüner Regierungsarbeit: DieInvestitionsquote im Bundeshaushalt istauf einem historischen Tiefpunkt ange-langt. Lag sie vor gut zehn Jahren noch beirund 16 Prozent der Ausgaben, ist sie heu-te auf unter zehn Prozent abgeschmolzen.Am Arbeitsmarkt wird wieder rückregu-liert, die so genannte Modernisierung desBetriebsverfassungsgesetzes ist das besteBeispiel für die Regulierungswut. DieKlientelpolitik zu Gunsten der Gewerk-schaften schränkt die unternehmerischeFreiheit gefährlich ein und geht auf Kos-ten der Arbeitsplätze. Die Wirtschaft, die1998 noch einem gut laufenden Benzin-motor glich, ist ins Stottern geraten. Mehrnoch: Der selbst ernannte AutokanzlerGerhard Schröder hat den Motor fast zumStillstand gebracht, weil er den rund lau-fenden Benziner ständig mit Dieselkraft-stoff malträtiert. Der Rückgang der wirt-schaftlichen Gestaltungsfreiheit ist einAlarmzeichen – er drückt sich darin aus,dass wir in Europa inzwischen dasSchlusslicht bei der konjunkturellen Ent-wicklung bilden.

Gewiss, das weltwirtschaftliche Um-feld hat sich eingetrübt, der Wachstums-einbruch in den USA und die Stagnationin Japan drücken durch die zunehmendeweltwirtschaftliche Verflechtung auch aufdas Wachstum hier zu Lande. Aber dasniedrigste Wachstum in Europa, das hatDeutschland nicht verdient.

Rückbesinnung auf klareOrdnungspolitische Grundsätze

Vor diesem Hintergrund ist eineRückbesinnung auf klare ordnungspoliti-sche Grundsätze wichtiger denn je. Daszeigt auch der Blick auf die umlagefinan-zierten Sozialversicherungssysteme, die andie Grenzen ihrer Belastbarkeit angelangtsind. Die Systeme, von der gesetzlichenKrankenversicherung bis zur Rentenver-sicherung, sind in Zeiten hoher Wachs-tumsraten angelegt worden; sie sind ent-wickelt worden, als die gegenwärtige de-mographische Entwicklung noch nichtausreichend erkannt war. Sie gehören ge-wissermaßen zur Phase eins der SozialenMarktwirtschaft.

Heute aber bedarf es eines Wirt-schaftswachstums von mindestens dreiProzent, um die Finanzierbarkeit der Sys-teme in ihrer jetzigen Ausgestaltung zu er-halten. Anders ausgedrückt: Die Dyna-mik der Umlagesysteme ist deutlich höherals die Dynamik des Wirtschaftswachs-tums, was dazu führt, dass eine rein um-lagefinanzierte Konzeption auf Dauer ein-fach nicht mehr bezahlbar ist. Das ist einegroße Ungerechtigkeit gegenüber denkünftigen Generationen.

Hier sind Grenzen der Belastbarkeiterreicht worden, die Umsetzung der Sozi-alen Marktwirtschaft ist in diesem Sinne„unfair“ geworden. Unfair gegenüber de-nen, die heute von dem System abhängen,weil es nicht mehr das hält, was es ver-spricht. Und unfair gegenüber künftigen

Generationen, weil sie das nunmehr un-taugliche Umlagesystem finanzierenmüssen. Damit keine Missverständnisseaufkommen: Die Solidarität in der Ge-sellschaft ist als Ausdruck der sozialenMitverantwortung in unserer Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik nach wie vorwichtig. Deshalb ist es auch wichtig, dasswir die Finanzierbarkeit im Auge behal-ten. Bei einem solchen Befund wagt mansich nicht zu weit vor, wenn man konsta-tiert, dass die Ausprägung der SozialenMarktwirtschaft „Phase eins“ inzwischenunfair ist.

Hin zu mehr EigenverantwortungDer Wirtschaftsrat stellt der Regie-

rung Schröder darum fünf Thesen entge-gen, die uns zu einer neuen Phase der So-zialen Marktwirtschaft führen. Dazu müs-sen wir uns in der Ordnungspolitik wegbewegen vom staatlichen Dirigismus hinzu mehr Eigenverantwortung. Nur sokann die Gerechtigkeit auch für die kom-mende Generation gewahrt werden.

1. Mehr Zutrauen in dieMündigkeit des Bürgers

Erstens: Die gegenwärtige Vorstellungder Bundesregierung vom aktivierendenStaat wird einem modernen freiheitlichenStaatsverständnis, das auch Freiheit für dieeinzelnen Individuen zulässt, nicht ge-recht. Mehr Zutrauen in die Mündigkeitund die Entscheidungsfähigkeit der Bür-ger ist notwendig. Mehr Freiheit, mehrSelbstverantwortung und der Rückzugdes Staates auf seine Kernkompetenzensind zwingend. Noch in den sechziger Jah-ren lag die Staatsquote bei 37 Prozent.Heute liegt sie bei 47 Prozent, und mankann nicht behaupten, dass es uns heutebesser geht, weil der Staat immer mehrBereiche an sich gezogen hat. Der Blickauf andere Industrieländer zeigt, dass dasnicht so sein muss. In Amerika etwa liegtdie Staatsquote nur bei knapp unter 30Prozent, in England bei 35 Prozent.

2. Eigenverantwortung möglichmachen

Damit komme ich zum zweitenPunkt: Wenn wir den Bürgern mehr Ei-genverantwortung zurückgeben wollen,müssen wir ihnen diese überhaupt mög-lich machen. Weil es dringend notwendigist, dass die Menschen ein gutes Stück ih-rer sozialen Absicherung selbst überneh-men, muss die Politik zunächst die Vor-

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aussetzungen dafür schaffen. Wenn dieBürger mehr eigenes Kapital etwa zu ihrerAltersvorsorge beitragen sollen, heißt das,dass der Staat ihre Abgabenbelastung zu-vor deutlich zurückschrauben muss. Steu-ersenkungen sind hier ein Rezept, die ent-sprechenden Vorschläge vom ehemaligenVerfassungsrichter Paul Kirchhoff undvon Gunnar Uldall liegen auf dem Tisch.Der Spitzensteuersatz der Einkommen-steuer müsste auf höchstens 35 Prozentgesenkt werden. Wenn der Umbau der so-zialen Sicherungssysteme nicht auf denSankt-Nimmerleinstag verschoben wer-den soll, dann müssen wir uns zügig aneine große Steuerreform heranwagen.

Auch unter dem Gesichtspunkt einerraschen Entlastung ist die Steuerreformder Bundesregierung unzureichend.Wenn sie sich schon nicht traut, die Steu-ersätze beherzter zu senken, dann sollte siezumindest die geplanten Entlastungen ra-scher in Kraft treten lassen, also die Steu-erreformstufen 2003 und 2005 auf dasJahr 2002 vorziehen.

Einer der wichtigsten Punkte für eineschnelle und groß angelegte Steuerreformist der, dass die Bürger wieder mehr Kapi-tal in die Hand bekommen. Denn dannsind sie auch in der Lage, mehr zur eige-nen Absicherung beizutragen. Erst dannsind die Voraussetzungen für eine Reformder Umlagesysteme in Richtung mehr ka-pitalgedeckter Elemente geschaffen.

Einige Beispiele machen dies deutlich:Warum geben wir den Bürgern nicht dieMöglichkeit, auf die volle Lohnfortzah-lung im Krankheitsfall zu verzichten,wenn sie dies wollen? Lohnfortzahlungvon der ersten Stunde an ist völlig in Ord-nung. Wenn ein Arbeitnehmer aber eineandere persönliche Risikostruktur hat,wenn es ihm reicht, erst ab dem drittenKrankheitstag oder erst nach zwei Wo-chen die volle Lohnfortzahlung zu erhal-ten, warum soll er dann nicht auch eineentsprechende Vereinbarung mit seinemArbeitgeber treffen können? Dies als „so-zial ungerecht“ zu bezeichnen, ist Unsinn.Die Arbeitnehmer schätzen ihre eigeneRisikosituation unterschiedlich ein, undsie könnten sich bezüglich ihrer Lohn-fortzahlung und Krankenversicherungenund Sozialhilfe ihr eigenes soziales Risiko-portfolio je nach ihren individuellen Prä-ferenzen zusammenstellen.

Ein neues Strukturelement der sozia-len Sicherung kommt durch die Entschei-dung des Bundesverfassungsgerichts zurPflegeversicherung auf uns zu. Wer einehöhere Kostenbelastung durch Kinder aufsich nimmt, der sollte auch weniger ein-zahlen müssen in die Pflegeversicherung.Das gleiche gilt im Prinzip auch für dieRente und für das Gesundheitswesen.Hierzu haben die Verfassungsrichter inihrem Urteil zumindest einen Prüfungs-antrag erteilt.

3. Variable Bestandteile sichernZukunftsfähigkeit

Meine dritte These lautet: Nur wennwir alle Sparten der sozialen Sicherungs-systeme mit variablen Bestandteilen aus-statten, kann deren Zukunftsfähigkeit un-ter dem Gesichtspunkt der Fairness gesi-chert werden. Im Regelungsbereich derstaatlich finanzierten Sozialhilfe müssendie Leistungsvoraussetzungen – wie in an-deren Staaten – den geringeren Finanzie-rungsspielräumen angepasst werden. Umes noch einmal zu betonen: Schritt einsund zwei gehören zwingend zusammen,Steuersenkungen sind die unbedingteVoraussetzung für einen Kapitalumbauder Sozialkassen.

4. Arbeitsmarkt flexibilisierenZu einer neuen Phase der Sozialen

Marktwirtschaft gehört viertens eine Fle-xibilisierung des Arbeitsmarktes. Hier hatdie Regierung nichts unternommen.Wenn man sich das abschreckende Bei-spiel Volkswagen ansieht, wird offensicht-

lich, dass es ohne ein Mehr an Flexibilitätnicht mehr geht. Bei VW sollten 5.000Arbeitsplätze geschaffen werden, 10.000Menschen haben sich beworben, bis heu-te ist kein einziger Arbeitsplatz entstan-den. Das vernünftige Projekt ist geschei-tert am Machtanspruch der Gewerkschaf-ten, weil diese um keinen Preis eine Aus-nahme vom Flächentarifvertrag zulassenwollten. Zwar wollten sie einer Bezahlungunterhalb des Haustarifs zustimmen, aberzwingend oberhalb der Regelungen imFlächentarifvertrag bleiben. Dabei sind5.000 Mark Bruttoentgelt im Monatgewiss kein Hungerlohn. Wer hier von„Sozialdumping“ redet, schert sich nichtum die Interessen der Arbeitslosen, diebereit gewesen wären, für diesen Lohn zuarbeiten.

Die starren Regelungen des Flächen-tarifs verteidigen auch in diesem Fall nurdie Interessen der Arbeitsplatzbesitzer.Solch starre Korsette kann sich unser Ar-beitsmarkt in einer globalisierten Weltaber nicht mehr leisten. Wenn die Fahr-zeuge sich hier nicht zu vertretbaren Kos-ten herstellen lassen, dann verlegt VW dieProduktion eben ins Ausland. Das Bei-spiel zeigt: Auf der einen Seite haben wirdas Phänomen, dass ausreichend Arbeitund auch Arbeitswillige da sind. Arbeit-nehmer und Arbeitgeber werden durchden Flächentarif aber ganz offensichtlichdaran gehindert, selbstverantwortlich fürdie Schaffung von Arbeitsplätzen zu sor-gen. Das ist kein Zukunftsrezept. Hiermuss Flexibilität in die Betriebe und hier ...

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muss die Sicherung oder die Schaffungvon Arbeitsplätzen wichtiger sein als dasFestklammern am Flächentarifvertrag.

Der Gesetzgeber kann viel beitragenzu mehr Flexibilität, etwa durch eine Neu-definition oder zumindest Klarstellungdes Günstigkeitsprinzips. Warum soll esfür den Arbeitnehmer nur günstiger sein,wenn er mehr Gehalt bekommt? Warum er-kennt der Gesetzgeber es nicht als „günstig“an, wenn Beschäftigte durch einen Verzichtauf einen Teil ihres Gehalts ihren Arbeits-platz sichern? Wenn man hier im Vorhineinentsprechende Vereinbarungen trifft, erspartman sich nachher langwierige und teureProzesse. Jeder weiß, auf was er sich einlässt– auch das ist ein Gebot der Fairness.

5. Mehr Wettbewerb bei Bildung,Ausbildung und Forschung

Die fünfte Forderung des Wirtschafts-rates ist ganz entscheidend: Es geht ummehr Wettbewerb bei Bildung, Ausbil-dung und Forschung. Es kann nicht an-gehen, dass in einer freiheitlichen Gesell-schaft die Studienplätze nach einem gera-dezu planwirtschaftlichen Verfahren ver-geben werden. Darum brauchen wir mehrWettbewerb, vor allem im Bereich derHochschulen. Die Universitäten, oder ge-nauer: die Professoren müssen das Rechthaben, sich ihre Studenten selbst auszusu-chen. Nur so können Kompetenzzentrenmit hoher Qualität sowohl bei der Lehreals auch bei den Studierenden entstehen.Wenn sich Professoren ihre Studentenaussuchen können, werden sie die bestenauswählen. Wenn sich die besten Studen-

ten an einer Universität versammeln, wer-den auch die fähigsten Professoren ange-zogen. Das ist nicht sozial ungerecht, son-dern sichert die Qualität von Ausbildung,Lehre und Forschung einer modernen Wis-sensgesellschaft und erschließt die notwendi-gen hohen Standards, für die die deutschenUniversitäten weltweit anerkannt waren.

Wir wollen nicht die Zahl der insge-samt verfügbaren Studienplätze reduzie-ren, das wäre genau der falsche Weg. Waswir aber brauchen, ist ein Umverteilen derStudienplätze nach Wettbewerbskriterien.

Ebenso wichtig ist die Sicherung derFinanzierbarkeit der Hochschulausbil-dung, wenn nicht Einbußen an der Qua-lität hingenommen werden sollen. Mit ei-nem generellen Verzicht auf Studienge-bühren ist dies indes nicht zu machen. Ei-ne Studie der OECD stellt fest, dass in 17von 21 OECD-Ländern im Regelfall Stu-diengebühren erhoben werden. Deutsch-land gehört zu jenen vier Ländern, die mitdem Hinweis auf „soziale Gerechtigkeit“auf dieses Finanzierungsinstrument gänz-lich verzichten. Studiengebühren sindnicht, wie so oft behauptet, „sozial unge-recht“, das Gegenteil trifft zu. Warumsollten diejenigen, die nach dem Studiumzu den Besserverdienenden einer Gesell-schaft gehören, von den Bürgern mit einemniedrigeren Einkommen subventioniertwerden? Warum sollten sie nicht einen fai-ren Beitrag zu ihrer Ausbildung leisten?

Natürlich halten wir an dem Prinzipfest, dass jeder, der das möchte, eine

Hochschule besuchen kann. Wer sich dasaus finanziellen Gründen nicht leistenkann, soll dies auch weiter von der Ge-meinschaft finanziert bekommen. Warumaber sollte er nicht nach Abschluss seinesStudiums aus seinem Einkommen einenKredit zurückzahlen, mit dem ihm dieGesellschaft die Ausbildung ermöglichthat? Die Rückzahlungsraten und die Zin-sen, die dafür in Rechnung gestellt wer-den, sind verhandelbar. Dieses Modellmuss auch nicht zu unakzeptablen Belas-tungen beim Aufbau einer jungen Familieführen; auf die soziale Ausgewogenheit beieinem solchen Konzept kann man sehr ge-nau achten.

Studiengebühren hätten noch einenweiteren Vorteil: Sie würden den Studen-ten einen Anreiz geben, genauer darübernachzudenken, welches Studium für siesinnvoll ist. Niemandem darf vorgeschrie-ben werden, was er studieren soll. Aberwenn man sich etwa den Bedarf an Infor-matikern anschaut, wird deutlich, dass dieMischung der Fächer an den Universitä-ten weit an den Erfordernissen der Wirt-schaft vorbei geht. Heute werden rund20.000 Informatiker pro Jahr benötigt,ausgebildet werden dagegen nur 7.000.Auf der anderen Seite gibt es eineSchwemme an Studierenden, die sich fürdie Fächer Musik und Kunstgeschichteentscheiden. Ein so krasses Missverhältnisvon Bedarf und Angebot an akademischerAusbildung kann sich eine hochent-wickelte Volkswirtschaft mit starker Ex-portorientierung nicht leisten.

Die Fächermischung hat sich in denvergangenen Jahren deutlich verlagert. Zuwenige Abiturienten wollen heute Inge-nieurwesen, Mathematik oder Maschi-nenbau studieren. In einer Wissensgesell-schaft, wo es auch immer mehr auf Top-leute aus den Bereichen Biologie, Gen-technik, Physik und Chemie ankommt,kann die eigentliche Innovationskraft ei-ner Volkswirtschaft nur durch mehr Wett-bewerb an den Hochschulen gesichert wer-den. Ein solches Umsteuern braucht Zeit,aber in fünf bis zehn Jahren könnte derUmbau der Hochschullandschaft gelingen.

Wichtig ist, dass die Reformen rasch an-gegangen werden. Denn nur so kann auchan den Hochschulen ein Beitrag zu eineroffenen, wettbewerbsfähigen und am Endefairen Gesellschaft geleistet werden. �

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71trendIII. Quartal 2001

Mit dem Jahresbericht 2000 liegtnun der zweite Geschäftsberichtvor, der die Arbeit des Wirt-

schaftsrates nach dem Umzug darstellt. Sowie die Fahnen auf dem Reichstag diemeisten Tage des Jahres stramm im Win-de stehen, so sind auch wir von den poli-tischen Strömungen, dem gesteigertenTempo der politischen Auseinanderset-zungen und den Turbulenzen geprägt, dieein besonderes Kennzeichen des BerlinerKlimas zu sein scheinen.

Vor neuen HerausforderungenLange verwöhnt durch die Kalkulier-

barkeit der auf uns zukommenden poli-

tischen Themen in der langen Regie-rungszeit der Ära Kohl und den dichtenNetzwerken des politischen Diskurses,stehen wir heute vor neuen Herausforde-rungen, um unseren wirtschaftspoli-tischen Anliegen und Interessen Gehör zuverschaffen und Aufmerksamkeit zusichern. Anders als in Bonn stehen wirheute einer Medienlandschaft gegenüber,die sich, informationstechnisch bedingt,grundlegend verändert hat. An die Stellegefestigter, lange geübter, vertrauensvollerpersönlicher Kontakte zu den Vertreternder für uns wichtigen Medien tritt heutezunehmend eine Informationslandschaftauf, die von einer scharfen Konkurrenz der

Nachrichten und dem verschärften Wett-bewerb der Medien untereinander geprägtist.

Hinzu kommt ein auffälliger, drama-tischer Akzent, der von einem aktuellen„Außerordentlichkeitsbedarf“ geleitetwird. Diese Erscheinung behindert not-wendigerweise diejenigen, die auf ernst-hafte sachpolitische Arbeit angelegt undangewiesen sind. Zunehmend tritt der„Tischredakteur“ an die Stelle des persön-lich ansprechbaren Berichterstatters, dersich schwergewichtig aus dem Fernsehenbedient und die Agenturlage an die Stelleeigener Recherche setzt.

Die „Talkshow Demokratie“ trägt da-zu bei, dass die Moral der Unsachverstän-digen an die Stelle von Sachpolitik tritt.Das Spiel mit der Empörung dient denMedien; Sachfragen können dann nurnoch auf Schlagworte reduziert werden.Das sachliche Anliegen ist damit auf derVerliererseite.

Aus diesem Grunde müssen wir unsan neue Medienerfordernisse anpassen,um die Kommunikation innerhalb deswachsenden Mitgliederbestandes des Wirt-schaftsrates ebenso gewährleisten zu kön-nen, wie die Platzierung in den Medien.

InternetEine erste notwendige Maßnahme

war es daher, unseren Internetauftritt zuverbessern, was in der Zwischenzeit auchgeschehen ist und der weiterhin ausgebautwerden soll. In Zukunft werden wir unse-re sonstigen Informationsdienste eva-luieren müssen, um die Qualität unsererwirtschaftspolitischen Arbeit deutlicher inErscheinung treten lassen zu können.

trendUnsere Zeitschrift „trend“ ist im nun-

mehr 21. Jahrgang redaktionell und be-triebswirtschaftlich erfolgreich gestaltetworden. An der Pressearbeit der letztenWochen ist ablesbar, dass wir uns auf neueAufgaben bereits eingestellt haben. DerInternet-Auftritt des „trend“ findet er-freuliches Interesse. Mit jetzt über 5.000Seitenaufrufen pro Monat hat sich die Zu-griffsquote gegenüber dem Vorjahr ver-doppelt. Damit sind nach derzeitigemStand jährlich 60.000 Zugriffe auf dieInternet-Fassung des „trend“ ein durchausrespektables Ergebnis. ...

Sorge um weiteresubstanzielle Eingriffe in Eigentumsrechteist begründetReideologisierung richtet sich gegen die freiebürgerliche Gesellschaft

Rüdiger von Voss

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72 trend III. Quartal 2001

9.000 MitgliederDer aktuelle Brutto-Status zum 15.

Juni dieses Jahres weist 9.137 Mitgliederaus. Damit sind die Ziele für 2001 nochnicht erfüllt. Bis zum Sommer 2002 wol-len wir 9.000 Mitglieder im Netto errei-chen. Besonders erfreulich ist die Arbeitder rund 900 Junioren. Für das Engage-ment danken wir den Vorständen unsererJuniorenkreise sehr herzlich.

Mehr als 1.100 Veranstaltungen

Wie im vergangenen Berichtszeitraumhat der Wirtschaftsrat mehr als 1.100 Ver-anstaltungen in unseren 163 Sektionendurchgeführt. Für diese wichtige infor-matorische Arbeit in den Landesverbän-den danken wir unseren ehrenamtlichenVorständen und unseren Landesgeschäfts-führern sehr herzlich.

Im Verlauf des Jahres 2000 sind insge-samt vier Bundestagungen durchgeführtworden. Die Hauptthemen waren:

� Mehr Eigenvorsorge zur Alterssiche-rung am 22. März 2000,

� die Zukunft der Erwerbsgesellschaftam 09. Mai 2000,

� die Reform des Betriebsverfassungsge-setzes am 13. November 2000 und

� die Bundestagung in Brüssel zurOsterweiterung der EU am 06. De-zember 2000.

In elf Landesfachtagungen haben dieLandesverbände des Wirtschaftsrates ihrlandes- und regionalpolitisch wichtigesProfil geschärft und mit dazu beigetragen,die Ernsthaftigkeit unserer wirtschaftspo-litischen Arbeit auch in den Landesver-bänden zu verdeutlichen.

Acht BundesfachkommissionenEine besondere Erwähnung verdienen

bei der Berichterstattung unsere acht Bun-desfachkommissionen, die in 38 Sitzun-gen im Jahre 2000 erneut eine vorzüglicheArbeit geleistet haben.

Sie können im Jahresbericht nachvoll-ziehen, dass diese Sachverständigenkom-missionen nahezu alle wichtigen Themender politischen Agenda begleitet haben.Da die Berichterstattungen zur Lage derArbeit des Parlamentes von den jeweiligenSprechern und Arbeitsgruppenvorsitzen-den der CDU/CSU-Bundestagsfraktionbesorgt werden, ist der unmittelbare Kon-takt zu der Willens- und Entscheidungs-bildung des Parlamentes gesichert. Damitist es zugleich möglich, unsere Auffassun-gen und Positionen an das Parlament her-anzutragen.

Es sei noch einmal erwähnt, dasssämtliche Arbeitsergebnisse unserer Bera-tungen und Bundestagungen alle Parla-mentarier der Fraktionen des Bundestagesebenso erreichen, wie die Bundesministe-rien und sonstigen für uns wichtigen wirt-

schaftspolitischen Institutionen, Verbän-de und Organisationen.

Da unsere Mitarbeiter der volkswirt-schaftlichen Abteilung in die für unswichtigen Arbeitsgruppen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als Gäste undBeobachter eingebunden sind, verfügenwir über ein Sachwissen, das uns jeweils inden Stand setzt, auf neue Lagen rechtzei-tig zu reagieren.

Wir danken den Vorsitzenden unsererBundesfachkommissionen für die zu Tei-len mühevolle und überaus engagierte Ar-beit, die sich heute hoher Anerkennungerfreut. Einen besonderen Dank richtenwir an Dr. Klaus Friedrich, den nunmehrausscheidenden Vorsitzenden unsererWirtschafts- und WährungspolitischenKommission, an Dr. Horst Teltschik, dennunmehr ausscheidenden Vorsitzendenunserer Verkehrspolitischen Kommissionund an Prof. Dr. Markus, der den Vorsitzin der Energiepolitischen Kommission anHerrn Bonse-Geuking übergeben hat.

Auch in diesem Jahr haben dieseKommissionen bemerkenswerte Stellung-nahmen und Positionspapiere erarbeitet,die in den Medien eine erfreuliche Reso-nanz gefunden haben und von den Sach-verständigen in den für uns wichtigenwirtschaftspolitischen Bereichen ernsthaftberücksichtigt werden.

Die Mitarbeiter der Abteilungen desWirtschaftsrates verdienen eine besondereAnerkennung, da sie trotz des andauern-den Personalwechsels die Kontinuität un-serer Sacharbeit stabil halten konnten undunsere Organisation und die Finanzen so-wie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeitsicherten.

ArbeitsgruppenDie Arbeitsgruppe „Neue Bundeslän-

der„ hat ihre wichtige Arbeit fortführenkönnen. Egon Klopfleisch sei als dem Co-Vorsitzenden dieser mit mir gemeinsamgeführten Kommission ein herzlicherDank ausgesprochen.

Die von mir im Auftrag des Präsidi-ums geleitete Arbeitsgruppe „Mitbestim-mung“ hat rechtzeitig eine eigenständigePositionierung des Wirtschaftsrates erar-beitet. Diese Positionierung ist von derCDU/CSU-Bundestagsfraktion ebenso

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berücksichtigt worden, wie von der Frak-tion Bündnis90/Die Grünen.

Trotz aller Proteste der Wirtschaft istdie Novelle des Betriebsverfassungsgeset-zes am 22. Juni 2001 von der Koalitions-mehrheit verabschiedet worden. Die Re-gierung hat dem Standort Deutschlanddamit keinen guten Dienst erwiesen.

Die von uns eingerichtete Arbeits-gruppe „Gesundheitspolitik“ unter demVorsitz von Dr. Roland Delbos wird nochin diesem Herbst eine eigenständige Po-sition des Wirtschaftsrates erarbeitethaben. Dies ist eine wichtige Vorbereitungauf die zentrale Debatte um eine zu-kunftsgerichtete Gesundheitsreform inDeutschland.

Wirtschaftsrat BrüsselDer Wirtschaftsrat Brüssel hat 23 Sit-

zungen bzw. Tagungen im Jahre 2000durchgeführt. Dies ist eine für unsere eu-ropapolitische Arbeit unverzichtbare An-strengung, für die wir uns bei Dr. HannsR. Glatz und dem Vorstand in Brüsselherzlich bedanken.

Verbunden mit diesen Bemühungenist das von uns eingerichtete „Euro-Info-Dinner“, das im Jahre 2000 zwei Malstattgefunden hat. Diese, die jüngeren eu-ropapolitisch interessierten Abgeordnetenerfassende Gesprächsrunde unter dem ge-meinsamen Vorsitz von Dr. FriedbertPflüger und Friedrich Merz, entwickeltsich in der Zwischenzeit zu einer europa-politisch konzeptionellen Arbeitsgruppe.Sie wird noch in diesem Jahr eine eigen-ständige Konzeption im Blick auf die wei-tere Entwicklung der europäischen Unionund die Vorbereitung der EU-Osterweite-rung erstellen.

EU-OsterweiterungWir haben die Absicht, eine Ge-

sprächsrunde zur EU-Osterweiterung ein-zurichten, die uns helfen soll, diesenwichtigen politischen Prozess erkennbarbegleiten zu können.

Deutschland von außenBeabsichtigt ist eine neue Veranstal-

tungsserie mit begrenztem Teilnehmer-kreis unter dem Titel „Deutschland vonaußen gesehen“. Die erste Tagung findetim Herbst dieses Jahres mit dem stellver-tretenden Vorsitzenden der britischen

Konservativen Herrn Michael Portillo un-ter der Leitung von Herrn Dr. Lauk statt.

Schwerpunktthemen 2001Was die vor uns liegende Planung an-

belangt, darf ich nur die Schwerpunkt-themen nennen, die uns in der Zeit vonSommer 2001 bis Sommer 2002 beschäf-tigen werden. Wir werden im Septemberdas Thema „Nachhaltige Energiepolitik,mehr Wettbewerb, weniger Staatseingrif-fe“ aufrufen. Wir werden im Novemberdas Thema „Kapitaldeckung in der Al-tersversorgung und im Gesundheitswesen– Chancen für einen Generationenver-trag“ behandeln. Im Februar/März 2002wird das Thema „Revolution im Steuer-recht – das Karlsruher Modell für ein neu-es Steuergesetzbuch“ diskutiert. Im Mai2002 – also vor dem nächsten Wirt-schaftstag – wird das Thema „Arbeits-marktpolitik mit Zukunft“ aufgegriffen.

Wir werden eine Arbeitsgruppe zurUnterstützung der konzeptionellen Arbeitan der Steuerreform einrichten. Die Ener-gie- sowie die Umweltkommission wer-den unter Beteiligung der Fraktions-führung der CDU/CSU und der maß-geblichen Vertreter der energiewirtschaft-lichen Unternehmen in Deutschland einezweitägige Klausurtagung in Berlindurchführen. Die Verkehrskommissionsowie die Kommission „Innovation undInformation“ werden ihre konzeptionelleArbeit fortführen.

Auf der Höhe der ZeitPräsidium und Bundesvorstand haben

sich im Jahre 2000 mit den Schwerpunkt-themen wirtschafts- und gesellschaftspoli-tischer Zielvorstellungen, mit den pro-grammatischen Arbeiten der ChristlichDemokratischen Union, der Renten-reform, der Beschäftigungspolitik, derGesundheitspolitik sowie der Einwande-rungspolitik prononciert auseinanderge-setzt. Beide Gremien sind in der konzep-tionellen Führung des Wirtschaftsratesdamit auf der Höhe der Zeit gewesen undwir bedanken uns für diese wichtigewirtschaftsordnungspolitische Rücken-deckung.

Grundlegende VeränderungLassen Sie mich im zweiten Teil mei-

nes Berichtes auf eine staats- wie verfas-sungsrechtliche Entwicklung hinweisen,die uns zunehmend mit Sorge erfüllenmuss.

Eine signifikante Entwicklung des Po-litik- und Regierungsverständnisses derrot-grünen Koalition und insbesonderedes Bundeskanzlers Schröder ist einegrundlegende Veränderung des Verhält-nisses von Parlament und Regierung, derfür die Bundesrepublik charakteristischenparteienstaatlichen Ordnung im Verhält-nis zu den Gruppen der Gesellschaft undihren Interessenvertretungen. Die Vermu-tung drängt sich immer mehr auf, dasssich der politische Auftrag des Parlamen-

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tes und der Willensbildungs- und Ent-scheidungsauftrag der wirtschaftlichen,sozialen und nunmehr auch wissenschaft-lichen Gruppen wie zwei tektonische Plat-ten gegenüberstehen, die sich zunehmendzu Lasten des Parlamentes und zu Guns-ten der Regierung verschieben, so als wol-le sie sich zunehmend aus den verfas-sungsrechtlichen Kompetenzen des Parla-mentes lösen.

Einschlägige ErfahrungenHierzu gibt es für uns bereits politisch

einschlägige Erfahrungen:

Schon zu Zeiten der auf der Grundla-ge des Wachstums- und Stabilitätsgesetzesinstitutionell begründeten KonzertiertenAktion trugen maßgebliche Teile derdeutschen Staats- und Verfassungsrechts-wissenschaft Bedenken vor, die vor einerzunehmenden Entkernung der dem Par-lament zugeordneten Entscheidungsrech-te warnten.

Mit der Mitbestimmungsklage der Ar-beitgeber 1976 platzte die KonzertierteAktion nicht nur wegen der Konfrontati-on zwischen den Arbeitgeberverbändenund den Gewerkschaften. Entscheidendtrug hierzu bei, dass sich innerhalb derGewerkschaften eine Frontstellung her-ausbildete, die dem Deutschen Gewerk-schaftsbund eine weitergehende Verhand-lung mit den Arbeitgebern mit dem Zieleiner sozialpartnerschaftlichen Verständi-gung unmöglich machte.

Dies ist im übrigen heute dokumenta-risch zu belegen und in den letzten Jahrenerneut in Erinnerung gerufen worden, alsder erste Versuch zu einem „Bündnis fürArbeit und Beschäftigung“ unter der Re-gierung Kohl scheiterte, weil die Gewerk-schaften nicht bereit waren, über die Neu-tralität der Bundesanstalt und späterhinüber eine Korrektur der Lohnfortzahlungauf einer derartigen Etage der Entschei-dungsfindung unter dem Vorsitz der da-maligen Regierung zu verhandeln.

„Räte-Politik“Seit Mai 1999 bis heute hat die Regie-

rung Schröder acht Konsensrunden bzw.Räte für fast alle wichtigen Politikbereicheeingerichtet. Man spricht von weitereninsgesamt 100 wissenschaftlichen Beirä-ten, die die Ministerien bei ihrer Arbeitbegleiten. Von einer „Räte-Politik“ ist hierdie Rede.

Heute gibt das „Bündnis für Arbeit“und insbesondere der von BundeskanzlerSchröder ins Leben gerufene „NationaleEthikrat“ allen Anlass dazu, diese sub-stanzielle Verschiebung institutionellerEbenen kritisch zu beleuchten.

Für die vor uns liegende Zeit müssenwir einen festen Standort formulieren, deres ermöglicht, sich Entwicklungen in denWeg zu stellen, die in der Konsequenz dasParlament weiterhin schwächen und denorganisierten Interessen und ihren Ver-bänden das Parlament als Anlaufstelle für

Anhörungen, legitime Beeinflussungenund daraus folgende politische Interessen-vertretungen nehmen könnten.

Mit großer Sorge muss man feststel-len, dass es die Gewerkschaften bei derReform des Betriebsverfassungsgesetzesgeradezu apodiktisch ablehnten, über die-se entscheidenden Fragen mit den Arbeit-gebern auf dem Boden des Bündnisses fürArbeit zu sprechen, oder sich sogar einerwirtschaftsordnungspolitischen und glei-chermaßen sozialpolitischen zukunfts-orientierten Begründung ihrer deutlichideologischen Forderungen stellen zumüssen.

Mit dem „Nationalen Ethikrat“ hat ei-ne Bundesregierung zum ersten Mal inder Geschichte dieses Landes Sachver-ständige ohne jegliche Konsultation mitdem Parlament berufen. Sie hat diesenRat mit einem maßgeblichen politisch ge-zielten Auftrag versehen und sodann mitdem Anspruch eingesetzt, außerhalb desParlamentes, ohne Rücksicht auf dieschon seit langer Zeit eingesetzte Enque-te-Kommission „Recht und Ethik der mo-dernen Medizin“, eine in der Konsequenzauf die nationale Entscheidungsfindungwirkende Empfehlung zu erarbeiten. Da-mit wird ein „vorformulierter Konsens“solcher Räte zu einem neuartigen politi-schen Kampfmittel.

Leerlaufen der VerfassungDer Bundespräsident hat hierzu in sei-

ner jüngsten Berliner Rede einen wichti-gen Hinweis gegeben, der auf den verfas-sungsrelevanten institutionellen Kernzielt, der hier gemeint ist, wenn er sagte:„Wer die Entscheidungen über das, wasgemacht werden soll, der Wissenschaftüberlassen will, verwechselt die Aufgabenvon Wissenschaft und Politik in einemdemokratischen Rechtsstaat.“ Damit isteine Entwicklung gemeint, wie sie hierbeschrieben wird.

Die Wirtschaft und ihre Verbändesind in gleicher Weise berührt wie die po-litischen Parteien und die von ihnen ge-wählten und ins Parlament entsandtenAbgeordneten, ihre institutionellen Vor-rechte und Entscheidungsverfahren.Denn das Parlament ist stets dann unmit-telbar gefordert, wenn es darum geht na-tionale und damit alle Bürger berührendeEntscheidungen wichtigster Art zu be-

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handeln, zur Debatte zu stellen und zurEntscheidung zu treiben. Also auch zurAbstimmung und damit zu einem er-kennbaren Weg der Entscheidungsvor-schläge, der uns erlaubt, zwischen Mehr-heits- und Minderheitenpositionen unter-scheiden zu können. Die StaatsrechtlerDieter Grimm und Paul Kirchhof be-fürchten eine Entwertung und zuneh-mendes Leerlaufen der von der Verfassungvorgesehenen Entscheidungsorgane undEntscheidungsverfahren.

Es geht bei dieser grundsätzlichenKritik nicht darum, einer Regierung denZugang zu hochrangigem Sachverstandzu bestreiten. Es geht um die politischenund zugleich institutionellen Intentio-nen, die in Auftrag und Zielen von Gre-mien angelegt sind, die ausdrücklich aufein „nationales“ Interesse ausgerichtetworden sind.

Ganz deutlich wird die Gefahr einesinstitutionellen Konflikts, wenn Empfeh-lungen eines „nationalen Rates“ der Re-gierung von den sie tragenden FraktionenZustimmung und Gefolgschaft verwei-gert werden soll. Der sich sofort anbah-nende Loyalitätskonflikt kann ohne eineDesavouierung des Rates und zugleichder Regierung nicht ausgetragen werden.Die politische Opportunität begünstigtdie Regierung. Das ist die unerbittlicheFolge.

Gewaltenteilung stützt die Freiheit

Der Philosoph Odo Marquard hat inseinem im letzten Jahr veröffentlichtenAufsatz „Apologie der Bürgerlichkeit“warnend darauf hingewiesen, dass wir unsnicht aus der „Bewahrungskultur“ dergeordneten Wahrnehmung von Freiheits-rechten entfernen dürfen, wenn wir nichtGefahr laufen wollen, dass die Grund-regeln der Gewaltenteilung aufgehobenwerden oder schrittweise leer laufen.

Es sind gerade die Rechtsverhältnisseund die Ordnung der Gewaltenteilung,die die Wahrnehmung von Freiheit schüt-zen und uns vor Gleichschaltung gleichwelcher Art bewahren. Sie schützen unsvor dem verfassungsrelevanten Aushebelnder Aufträge, die den politischen Parteienwie in Art. 21 GG, den freigebildetenKoalitionen und damit auch den Wirt-schafts- und Arbeitgeberverbänden in Art.

9 GG zugeordnet und zugleich verliehenworden sind.

Freiheit gibt es nur dort, wo Distanzgewahrt werden kann, wo sich Interesseneben nicht dem Zugriff einer Methodeausgesetzt sehen, die im Vorhof des Parla-mentes nationales bedeutsames Interessederart vorformuliert, so dass das Parla-ment nur noch zum Notar von Entschei-dungsvorlagen der Regierung wird oderInteressen derart als „unanständig“ und„national abträglich“ deklariert werden,dass sie schon vor der Entscheidungsfin-dung des Parlamentes in ihrer öffentlichenAkzeptanz ruiniert werden.

Die heute vielfach beklagte „Beratungs-resistenz„ der rot-grünen Koalition und ih-rer Regierung hat in dem hier dargestelltenHintergrund dann sogar Methode. Der„Runde Tisch“ ist somit ein Herrschaftsin-strument, das auf Widerstand stoßen muss.

Kritik an hochmütiger Vernachlässigung

Der Soziologe S. N. Eisenstadt be-schäftigt sich in seinem letztes Jahr veröf-fentlichten Buch „Die Vielfalt der Moder-ne“ mit einer in offenen Gesellschaftenimmer wieder auftretenden Spannungzwischen Interessenpluralität oder dem ihrscharf gegenüberstehenden ideologisch be-gründeten Primat des Kollektivs. Auf diesesideologisch begründete Primat und darausabgeleitete Gestaltungsansprüche bezogensagt er: „Die Essenz dieser jakobinischen

Orientierung war der Glaube an die Mög-lichkeit, eine Gesellschaft durch totalisti-sche politische Aktion umzugestalten.“

Wer also danach strebt, das Zentrumder Gesellschaft umzugestalten – und diesgilt in besonderem Maße für alle Fragender Gentechnologie – verfolgt eine Poli-tikmethode, die sich notwendigerweisegegen intermediäre Institutionen und As-soziationen, gegen die von uns bejahte Zi-vilgesellschaft und die für uns unverzicht-bare Ordnung der Verbände richtet.

Um es deutlich zu sagen: Wir wehrenuns gegen einen jakobinischen Regie-rungsstil, der „Basta“ sagt und für „unan-ständig“ oder „moralisch“ zweifelhaft er-klärt, wenn Vorschlägen und Vorhabender Regierung mit deutlicher Kritik be-gegnet oder legitimer Widerstand an-gekündigt wird.

Was hier beanstandet wird, ist derTrend zur „Alleinregie“. Es ist die Kritikan einer hochmütigen Vernachlässigungder Privilegien des Parlamentes. Die Frak-tionen erkennen ihrerseits zunehmend,dass sie in politische Bedrängnis geratenund an Legitimation verlieren.

Sorgen um Eingriffe in Eigentumsrechte

Schließt man sich diesen Warnungenvon Odo Marquard an, so verhandeln wirin Wahrheit über Kernbestandteile derbürgerlichen und, wie er sagt, wahrhaft

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Auf einstimmigen Beschluss desPräsidiums und des Bundesvorstandeswürdigte der überzeugend mit großerMehrheit wiedergewählte Präsident desWirtschaftsrates, Dr. Kurt J. Lauk, zweihöchst verdiente Mitglieder durch dieVerleihung der Ludwig-Erhard-Gedenk-medaille und der Ehrenmitgliedschaft:Hartwig Piepenbrock und GerhardStoltenberg.

Der Präsident des Wirtschaftsrates ineiner Laudatio: „Der Bundesschatzmeis-ter des Wirtschaftsrates, Hartwig Piepen-brock, hat sich mit seinem Rechen-

schaftsbericht aus seinem Amt verab-schiedet und seinem Nachfolger, Dr.Carl Hermann Schleifer, die Verantwor-tung übergeben. Wir haben allen Anlass,unserem Freund Hartwig Piepenbrockfür seine 16-jährige Amtszeit herzlich zudanken und unseren Respekt für seinenEinsatz und seine so überaus erfolgreicheTätigkeit für den Wirtschaftsrat zu be-zeugen.

Hartwig Piepenbrock ist im Jahre1971 dem Wirtschaftsrat beigetreten.Sein unternehmerisches und gesellschaft-liches Ansehen im Lande Niedersachsen

und weit darüber hinaus führte dazu,dass er in wenigen Jahren alle ehrenamt-lichen Führungsämter durchlief: 1981 –Sektionssprecher in Osnabrück undWahl in den Gesamtvorstand; 1983 –Landesvorsitzender des Wirtschaftsratesin Niedersachsen, dieses Amt übte er bis1997 aus; 1983 – Wahl in das Präsidium;1985 – Nachfolge von Dr. Dieter Mur-mann im Amt des Bundesschatzmeisters.

Berücksichtigt man seine vielfältigenanderen ehrenamtlichen Aktivitäten imSport, in der Kunst, im Bereich derBranchenverbände, so spiegelt alles dies

liberalen Gesellschaftsordnung, die beson-ders dadurch charakterisiert ist, dass siesich jeglicher Spielart eines „Determinati-onsdruckes“ entziehen kann und soll, umggf. bürgerliche Freiheiten auch im Wi-derstreit gegen einseitige politische Vor-stellungen sichern und notfalls gegen eineideologisch formulierte Staatspolitik neuerkämpfen zu können. Und diese Not-wendigkeit wird dann umso dringlicher,wenn sich eine Regierung in einem Me-dienumfeld einzunisten beginnt, das sichzunehmend dramatisch an dem Bedarfnach Außerordentlichkeiten ausrichtetund einer wertorientierten Politik zuneh-mend gleichgültig und wertneutral ge-genübersteht.

Die Reform des Betriebsverfassungs-gesetzes signalisierte uns, dass die Sorgenum weitere substanzielle Eingriffe in dieEigentumsrechte begründet sind. Wirbleiben sogar dabei, dass dieser Trenddurch das jetzt vorliegende Gesetz keines-wegs gebrochen ist. Jederzeit können wei-

tere Schritte ausgelöst werden, um dannendlich die „wirtschaftsdemokratischen“Vorstellungen der Gewerkschaften zumErfolg zu führen.

RegulierungswutDie von uns längst beklagte Regulie-

rungswut der gegenwärtigen Koalition imArbeits- und Sozialrecht bekräftigt uns so-gar in der Sorge, dass die Unfähigkeit bzw.der politische Unwille zu einer zukunfts-orientierten Reform dieser Teilsysteme inder gleichen Substanz verankert ist, indi-viduelle Freiheitsrechte im Sinne einerneuen kollektiven Solidarität auszukernen.

Die von uns kritisierte fehlende Be-reitschaft dieser Regierung auf neue öko-nomische Lagen einer globalisierten Wirt-schaft und der von dieser betroffenen Un-ternehmen zu reagieren, ist auf eine deut-lich ideologisierte Folie zurückzuführen,die diese Regierung bei ihrem Handeln inder Energiepolitik, in der Verkehrspolitik,in der Subventionspolitik und anderen

Bereichen leitet. Sie ist von dem Manteleines „aktivierenden Staates“ umhüllt.

Eine neue MaskeradeWir sprechen insoweit von einer neu-

en Maskerade. Es ist die Reideologisie-rung von Politik, die sich fundamental ge-gen die ordnungspolitischen Vorstellun-gen einer freien bürgerlichen Gesellschaftund gegen die von dieser gewollten demo-kratischen Ordnung und der hieraus fol-genden Sozialen Marktwirtschaft richtet.

Ordnungspolitisch in der Pflicht

Wenn dies alles richtig ist, was hier alsSorge formuliert wird, ist auch der Wirt-schaftsrat verstärkt gefordert. Wir sind aufdie Gewährleistung und Fortentwicklungder Sozialen Marktwirtschaft verpflichtetund damit auch ordnungspolitisch in derPflicht, deutlich und unüberhörbar fürunsere Vorstellungen von einer freiheit-lichen Wirtschafts- und Gesellschaftsord-nung zu kämpfen. �

Ludwig-Erhard-Gedenkmedaille und

EhrenmitgliedschaftHartwig Piepenbrock und Gerhard Stoltenberg ausgezeichnet

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einen vorbildlichen und höchst verant-wortlichen Einsatz für unser Gemeinwe-sen wieder. Zurecht ist er dafür mehrfachausgezeichnet worden. Seine persönli-chen Tugenden sollen heute hervorgeho-ben werden: Charakterstärke und Über-zeugungskraft; Mut in schwierigen Lagenund ansteckender Optimismus bei derBewältigung von Problemen; Dauerhaf-te Treue und Beständigkeit und die Be-gabung zu Vertrauen und Freundschaft.Seine für ihn kennzeichnende Beharr-lichkeit und Detailgenauigkeit waren füruns ein besonders Geschenk.

Hartwig Piepenbrock ist ein erfolg-reicher Unternehmer, ein großmütigerMäzen und Förderer der Künste undWissenschaften, ein überzeugenderKämpfer für die freiheitliche Ordnungder Sozialen Marktwirtschaft.“

Bundesminister Dr. Gerhard Stolten-berg würdigte Dr. Lauk: „Wir bezeugenmit dieser Auszeichnung unseren hohenpersönlichen Respekt und unseren herz-lichen Dank für sein politisches Wirken,insbesondere in Anerkennung seiner Ver-dienste um die Erhaltung und Fortent-wicklung der freiheitlichen Ordnung derSozialen Marktwirtschaft.

1928 geboren gehört Minister Stol-tenberg einer Generation an, die wie kei-ne andere um ihre Jugend beraubt wor-den ist. Die große Ernsthaftigkeit undStandfestigkeit seines Wesens, sein bei-spielhafter Einsatz für unseren Staat istvon den historischen Ereignissen geprägtworden, die seinen persönlichen und be-ruflichen Lebensweg begleitet haben.

Nach dem erfolgreichen Studium derGeschichte, der Sozialwissenschaftenund der Philosophie, und der sich an-schließenden Habilitation ist er schonsehr früh politisch tätig geworden. Diewichtigsten Stationen seines Lebens darfich in Erinnerung rufen: Schon mit 25Jahren wurde er zum Abgeordneten desschleswig-holsteinischen Landtages ge-wählt. 1955 bis 1961 war er Bundesvor-sitzender der Jungen Union, von 1965bis 1969 Bundesminister für Wissen-schaft und Forschung unter der Kanzler-schaft von Ludwig Erhard, seit 1969stellvertretender Bundesvorsitzender derCDU. Von 1971 bis 1982 erfüllte er ineindrucksvoller Weise das Amt des

Ministerpräsidenten von Schleswig-Hol-stein. 1982 bis 1989 nahm er das Amtdes Bundesministers der Finanzen unterder Kanzlerschaft von Helmut Kohl wahrund übernahm 1989 bis 1992 die schwe-re Aufgabe des Bundesministers der Ver-teidigung und leistete mit der Integrationder Nationalen Volksarmee in die Bundes-wehr einen bedeutsamen Beitrag zurDeutschen Wiedervereinigung. Dies ist ei-ne patriotische Leistung von hohem Rang.

Der Wirtschaftsrat hat besonderenAnlass, für langjährige Mitwirkung inseinen Führungsgremien von 1967 bis1983 zu danken. In dieser Zeit war erinsgesamt sieben Jahre Mitglied des Ge-schäftsführenden Vorstandes und insge-samt 16 Jahre Vorstandsmitglied. In den

Jahren 1972 und 1973 war er Stellvertre-tender Vorsitzender des Wirtschaftsratesund begleitete unseren heutigen Ehren-vorsitzenden, Philipp von Bismarck, beidem zehnjährigen Jubiläum, das eineweit beachtete Aufmerksamkeit fand.Der damalige Wunsch von Ludwig Er-hard und Alfred Müller-Armack hatnichts an Gültigkeit verloren, wenn siesagten: ,Mögen auch die Mitglieder desWirtschaftsrates ihre Rolle als sozial ver-pflichtete Unternehmer stärker als bisherakzeptieren, vorleben und sichtbar ma-chen, damit sie überzeugende Garantenfür die freiheitlichste aller Wirtschafts-und Gesellschaftsordnungen, unsere So-ziale Marktwirtschaft sind.’ Wir gebendiesen Auftrag auch unseren heutigen8.500 Mitgliedern mit kraftvoller Über-zeugung erneut weiter.

In seinem Buch „Wendepunkte –Stationen Deutscher Politik von 1947 bis1990“ hat er uns eine Botschaft mit aufden Weg gegeben: ,Nur in der Verbin-dung von ordnungspolitischer Orientie-rung, konsequentem Handeln und derFähigkeit zur Meinungsführerschaft wer-den wir in Deutschland die Zukunft-sprobleme unserer Generation meisternund unseren Beitrag für eine bessere Weltvon morgen leisten können.’ Wir solltendies als einen Auftrag annehmen, derauch unsere Arbeit in den vor uns lie-genden Jahren leiten soll.“

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Globalisierung, Demographie undstrukturelle Reformschwächen inDeutschland erzwingen den Paradigmen-wechsel zu einer neuen Phase der SozialenMarktwirtschaft. Der Wirtschaftsrat trittfür eine faire Marktwirtschaft ein, dieUnternehmergeist und Eigeninitiativestärkt, die Chancen zur eigenständigen Si-cherung des Lebensunterhalts verbessertund die Solidarität der Gesellschaft auf diegroßen Lebensrisiken konzentriert, die derEinzelne nicht bewältigen kann. Wer dieHilfe anderer einfordert, muss zugleich

Mitverantwortung übernehmen und deneigenen, ihm möglichen Beitrag für dieGemeinschaft leisten. Die Verwirklichungdieser freiheitlichen Wirtschafts- und Ge-sellschaftsordnung erfordert:

� ein neues Staatsverständnis von Mün-digkeit und Freiheit durch Selbstver-antwortung,

� die Ergänzung des traditionellenGenerationenvertrages durch eineeigenverantwortliche Kapitalunterle-gung,

� einen neuen Ansatz für eine großeund nachhaltige Steuerreform,

� den Rückschnitt der Wildwuchs-Regulierung auf dem Arbeitsmarktsowie

� den Wandel unseres Bildungssystemsvon der Behörden- zur Unternehmer-mentalität.

Nicht orientierungslose Beliebigkeit,sondern nur ein klarer ordnungspoliti-scher Kurs wird Deutschland aus der eu-ropäischen Schlusslichtposition befreien.

Orientierungspunkte

Streit der Ordnungssysteme –New Economy,

Soziale Marktwirtschaft, Staatlicher Dirigismus

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I. Die Riester´sche Renten-Reformreicht für die Erneuerung desGenerationenvertrages nicht aus – Schönrechnerei und zuschwache Kapitaldeckungverkürzen ihr Haltbarkeitsdatum

Deutschland hat weltweit mit die nie-drigste Geburtenrate und eine nach wievor zunehmende Lebenserwartung. Indieser Situation sind weder das tradierteUmlageverfahren noch eine weitere Aus-dehnung des steuerfinanzierten Renten-anteils zukunftsfähig. An einer stärker ka-pitalgedeckten Eigenvorsorge führt keinWeg vorbei.

Die unter 20-Jährigen werden nachder rot-grünen Rentenreform nur noch ei-ne Negativ-Rendite aus ihren gesetzlichenRentenbeiträgen erzielen. Die Regie-rungsmathematik verdeckt darüber hin-aus, dass der Rentenbeitrag 2030 bei Aus-bleiben weiterer Reformen nicht 22, son-dern eher 27 Beitragspunkte erreichenwird. Durch Bürokratie und Bevormun-dung wird der Anschluss an internationaleStandards der Kapitalbildung verhindert.

Der Wirtschaftsrat verlangt deshalbeine Nachbesserung der Rentenreform,die ausreichende Anreize gibt, um denAnteil der kapitalgedeckten Vorsorge aufmindestens 40 bis 50 Prozent ansteigen zulassen.

Notwendig sind:� der Übergang zur nachgelagerten Be-

steuerung,� die Zulassung von mehr Freiheit bei

der Anlagenwahl sowie� die Einführung international üblicher

Pensionsfonds.

II. In der Gesundheitspolitik hatdie Bundesregierung nochkeinerlei Antwort auf den„Umsturz der Alterspyramide“gefunden

Die bereits zum 1. Juli 2001 beschlos-senen gravierenden Beitragsanhebungender Krankenversicherungen sind nur dieSpitze eines Eisbergs. Bis zum Jahr 2040droht in der gesetzlichen Kranken-versicherung unter Status-quo-Bedingun-gen ein Beitragsanstieg auf bis zu 30 Pro-zent. Dann entfielen drei Viertel des Bei-tragssatzes auf demographisch bedingteMehrausgaben für Rentner. Der Wirt-

schaftsrat fordert deshalb zur Sicherungder Gesundheitsleistungen bei dauerhaftwettbewerbsfähigen Beiträgen:

� auch im Gesundheitswesen eine kapi-talunterlegte Risikoabdeckung,

� die Aufgliederung zwischen solida-risch finanzierten Kern- und privatfinanzierten Wahlleistungen sowie

� nicht weniger, sondern mehr Wettbe-werb zwischen allen Leistungserbrin-gern und Krankenkassen.

Wer – wie die Bundesregierung – indie Staatsmedizin zurückfällt, verhindertdie drohende Beitragsexplosion nicht. Erriskiert damit vielmehr entweder denBankrott der gesetzlichen Krankenver-sicherung oder eine moralisch nichtvertretbare Rationierung von Gesund-heitsleistungen.

III. Deutschland braucht einenneuen Ansatz für eine großeSteuerreform, die zugleich sicherstellt, dass die Bürger ihre eigene Steuererklärungverstehen

Die rot-grüne Steuerreform bleibt fürdie Mehrheit der Bürger und den Mittel-stand unzureichend, vernachlässigt dieNew Economy und hat unser Steuersys-tem weiter verkompliziert. Ihre Entlas-tungswirkung ist zu gering, um einenkräftigen Wachstums- und Beschäfti-gungsimpuls auszulösen. Nach den Plä-nen der Bundesregierung wird die Steuer-lastquote in 2005 sogar höher liegen alsim Ausgangsjahr der rot-grünen Steuer-reform 1998.

� Die richtungweisenden Initiativenvon Kirchhof und Uldall sollten alsGrundlage für eine große Steuerre-form mit nachhaltigen Entlastungenfür alle Bürger und Unternehmen ge-nutzt werden.

� Der Einkommensteuertarif ist nachdem Vorbild der US-amerikanischenReform auf einen Spitzensatz von 35Prozent zu senken.

� Die unternehmerische Sonderlast Ge-werbesteuer sollte im Rahmen einerkommunalen Finanzreform verbun-den mit einer adäquaten Ersatzlösungfür die Gemeinden abgeschafft wer-den. Die Körperschaftsteuer sollte

wieder voll auf die Einkommensteuerangerechnet werden.

� Mehr Investitionen und Beschäfti-gung in der New Economy erforderneine international wettbewerbsfähigeBesteuerung von Aktienoptionen.Wertzuwächse sollten wie Wert-steigerungen von privatem Aktienbe-sitz behandelt werden.

Ein Sofortprogramm zur Konjunktur-stützung sollte die Steuerreformstufen2003 und 2005 vorziehen und die nächs-ten Stufen der Ökosteuer streichen.

IV. Die Globalisierung erfordertein neues Staatsverständnis, dem die Bundesregierung mit ihrem Leitbild des„aktivierenden Staates“ nicht gerecht wird

Der Wirtschaftsrat fordert mehr Zu-trauen in die Mündigkeit der Bürger,mehr Freiheit durch Selbstverantwortungund den Rückzug des Staates auf Kern-kompetenzen. Hierin liegt zugleich dieVoraussetzung für die Konsolidierung derStaatsfinanzen und eine wettbewerbs-fähige Abgabenlast, die die Bürger in denStand setzt, die kapitalgedeckte Eigenvor-sorge zu finanzieren.

Die Konsolidierungsbemühungen derBundesregierung bleiben dagegen unzu-reichend: Deutschland wird 2001 und2002 in Europa die höchste Defizitquotedes Staatshaushalts aufweisen. Währenddie Investitionsquote des Bundeshaus-halts auf ein historisches Tief von unterzehn Prozent zusteuert, werden vor allemdie konsumtiven Ausgaben weiter auf-gestockt. Der Wirtschaftsrat fordert des-halb:

� Die Staatsquote muss von 48 Prozentwieder auf unter 40 Prozent zurückge-führt werden. Die USA und Irland ha-ben heute schon Quoten von nur rd.30 Prozent.

� Durch E-Government und Public Pri-vate Partnership sollten mehr Privati-sierung bei der Infrastruktur und neueExperimentierfelder für private An-bieter ermöglicht werden.

� Die Ausweitung der wirtschaftlichenBetätigung von Ländern und Kom-

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80 trend III. Quartal 2001

munen ist umzukehren. Der Bundmuss verlässliche und zeitnahe Zielefür den Verkauf seiner 375 Beteiligun-gen setzen.

V. Auf dem Arbeitsmarkt ist vor allem ein Rückschnitt des Regulierungs-Wildwuchseserforderlich. Mehr Beschäftigung wird nicht ohne die Marktkräfte geschaffen, schon gar nichtgegen sie

Erfahrungen in anderen Ländern zei-gen, dass im Niedriglohnsektor kurzfristigneue Beschäftigung erzielt werden kann.Während die Zahl der Sozialhilfeempfän-ger in Deutschland bei 2,8 Mio. stagniert,ist sie in Wisconsin/USA in 4 Jahren um75 Prozent zurückgegangen. Ein ver-gleichbarer Durchbruch wurde in Groß-britannien erreicht. Der Wirtschaftsratempfiehlt deshalb:

� Die Attraktivität von Niedriglohn-Ar-beitsplätzen muss durch Kombi-Löh-ne und die Zusammenlegung vonArbeitslosen- und Sozialhilfe erhöhtwerden.

� Wiedereingliederungshilfen und dieEinschaltung privater Arbeitsvermitt-ler sollten konsequenter genutzt wer-

den. Die Arbeitsvermittlung ist stärkerauf den ersten Arbeitsmarkt auszu-richten. Der bisher übliche Erwerbeines neuen Leistungsanrechts beiTeilnahme an Arbeitsmarktmaßnah-men muss beseitigt werden.

� Wenn jemand arbeiten kann, abernicht will, darf er in Zukunft generellkeinen vollen Anspruch auf die Sozi-alhilfe haben.

Neuer Auftrieb wird auf dem Arbeits-markt nur erreicht, wenn die Bundes-regierung ihre Arbeitsmarktpolitik vomKopf auf die Füße stellt und Einstellungs-barrieren abbaut:

� Betriebliche Bündnisse für Arbeit soll-ten durch eine beschäftigungsorien-tierte Auslegung des Günstigkeits-prinzips gestärkt werden. Die jüngsteRechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts eröffnet die Chance füreine neue Initiative zur Reform derTarifordnung.

� Die Verschärfung der Betriebsverfas-sung und das Recht auf Teilzeit müs-sen zurückgenommen werden.

� Ein Großteil der 300.000 Arbeitsge-richtsprozesse pro Jahr kann durch ein

Optionsmodell im Kündigungsschutzvermieden werden, wenn den Arbeits-parteien ein Wahlrecht zwischen Kün-digungsschutz und Abfindung einge-räumt wird (Optionsmodell).

Weder die Manipulation der Statistiknoch die Aufblähung des zweiten Arbeits-marktes werden die Arbeitslosenzahlen inDeutschland dauerhaft auf unter 3,5Millionen drücken. Das Hauptziel derBundesregierung für diese Legislatur-periode wäre damit gescheitert.

VI. Mehr Wettbewerb, stattBehördenmentalität ist für dieModernisierung des Bildungs-systems unverzichtbar. Leistungs-eliten müssen wieder motiviertund konsequent gefördertwerden

Der Wirtschaftsrat fordert:

� eigenständige Eignungsprüfungen derHochschulen,

� eine Stärkung der naturwissenschaft-lichen und wirtschaftsrelevanten Fächer,

� sozialverträgliche Studiengebührensowie

� eine leistungsorientierte und zugleichhinreichend attraktive Bezahlung derProfessoren, um Anreize für eineHochschulkarriere zu setzen.

Die Ausgründung von Unternehmenaus dem Universitätsbereich haben z. B. inden USA, Großbritannien und Spanienlängst zu Spitzenpositionen bei der Um-setzung von Forschungsergebnissen inmarktfähige Produkte geführt. Um dieseChancen auch in Deutschland zu nutzen,

� ist bereits beim Einstellungsverfahrenzwischen Hochschule und Forscher zuregeln, wie die Rechte auf Patentan-meldung und Verwertungserlöse ver-teilt werden sollen,

� muss der Drittmittel-Wettbewerb inder Hochschulforschung gestärkt wer-den, damit der Austausch zwischenForschung und Praxis intensiviertwird.

Ausländische Studenten sollten nachihrem Studienabschluss (insbesondere inden naturwissenschaftlichen Fächern) aufWunsch ein dauerhaftes Aufenthaltsrechtzur Arbeitsaufnahme in Deutschland er-halten. �

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82 trend III. Quartal 2001

Die Wissensgesellschaft – Revolutionäre Veränderungen undwirtschaftliche Erfordernisse

Podium IDen Einleitungsvortrag zum Podi-

um I „Die Wissensgesellschaft – Revolu-tionäre Veränderungen und wirtschaft-liche Erfordernisse“ hielt Dr. Kurt J.Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates derCDU e.V.

An der Podiumsdiskussion unter Lei-tung von Rainer Nahrendorf, Chefredak-teur des Handelsblatts, nahmen teil:

RA Dr. Hans Christoph von Rohr,Vorsitzender der Geschäftsführung derIndustrial Investment Council GmbH,Prof. Dr. Dagmar Schipanski, Ministerinfür Wissenschaft, Forschung und Kunstdes Freistaates Thüringen, Dr. UlrichSchumacher, Vorsitzender des Vorstandsder Infineon Technologies AG, Jörg TaussMdB, Bildungs- und forschungspoliti-scher Sprecher der SPD-Fraktion imDeutschen Bundestag und Prof. Dr. Den-nis Tsichritzis, Mitglied im Vorstand derFraunhofer Gesellschaft. Im Plenum be-richtete Prof. Thomas Heilmann, Inter-netsprecher der CDU Deutschlands undExecutive Director Scholz & FriendsGroup, über die Ergebnisse der Diskussion.

RA Dr. Hans Christoph von RohrVorsitzender der Geschäftsführung

der Industrial Investment

Council GmbH

Wenn internationale Unternehmenweltweit neue Standorte suchen, entschei-den sie sich für Regionen, in denen es

hochqualifizierte Mitarbeiter gibt. Dort,wo es zu Zusammenballungen von Wis-sen, Forschungsstätten, Universitäten,Unternehmern und Zulieferern kommt,kann Wissen erfolgreich umgesetzt wer-den. Positiv hervorzuheben sind hier eini-ge Regionen in Sachsen.

Fraglich ist, warum die Umsetzungder Forschungsergebnisse in marktfähigeProdukte in Deutschland so lange dauert.Wir sind sehr gut im Wissen, im Erfinden,aber das Geschäft machen andere. Dafürgibt es zahlreiche Beispiele: Der Compu-ter wurde von Zuzan erfunden, das großeGeschäft hat IBM gemacht. Der Walk-man wurde 1967 von Pawel entwickelt –heute gibt es kaum noch einen nicht-japanischen.

Europa hat alle Chancen, die USAeinzuholen. Dazu brauchen wir den Mutzur Elitenbildung in allen Bereichen, ins-besondere in der Ausbildung und derWissenschaft. Den westlichen Gesell-schaften fehlt größtenteils der Mut zu ei-ner bewussten Eliteförderung aus einemfalsch verstandenen Nivellierungs- undSozialdenken heraus.

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83trendIII. Quartal 2001

Die Entwicklung der vernetztenComputerwirtschaft ist ungebrochen,und sie wird auch in der Zukunft eineüberragende Bedeutung haben.

Informations- und Kommunikati-onstechnologien rufen einen rasantenStrukturwandel in Wirtschaft und Ge-sellschaft hervor. Immaterielle Kompo-nenten und Werte sowie der Umgangmit Wissen nehmen einen immer größe-ren Anteil der Wertschöpfung ein. Dieneue Wertschöpfung bewirkt auch in denklassischen Unternehmenszweigen inno-vative wirtschaftliche Veränderungen mitkorrespondierenden Nutzungspotenzia-len.

Exponentielle Entwicklung des Internet

Anfang der 90er Jahre bestand das In-ternet noch aus nur 20.000 registriertenNetzwerken mit etwa zwei MillionenComputern und 15 Millionen Internet-nutzern. Seit Beginn des neuen Jahrtau-sends hat sich die Zahl der Anwender ex-ponentiell vergrößert. Man geht heutedavon aus, dass Ende 2000 490 Millio-nen PCs weltweit installiert waren unddie Zahl der Internetnutzer auf über 370Millionen angestiegen ist.

Während das Telefon erst nach 38Jahren und das Fernsehen nach 17 Jahren30 Prozent der US-Haushalte erreichte,gelang dies dem Internet schon nach nursieben Jahren.

Querschnittstechnologie Internet

Als Querschnittstechnologien findendie neuen Technologien längst in der Ge-sellschaft Anwendung. In den Unterneh-men haben sich neue Organisations-strukturen entwickelt. Die weltweiteAufgliederung der Produktionsprozesseund eine Produktion rund um die Uhrwerden immer mehr Realität.

Heute ist es technisch möglich ge-worden, dass die gesamte Welt gleichzei-tig eine Seite eines Buches liest undgleichzeitig auf dieser Seite schreibt.Durch die Digitalisierung sind Produk-te, die früher nur durch einen Zeitungs-jungen als Zeitung in den Vorgarten ge-worfen wurden, jetzt in Null-Eins-Codesüber den Computer zu Hause abrufbar.Alle Informationen sind sofort, von je-dermann und überall verfügbar.

Zu Beginn der 80er Jahre konnteüber Kupferdrähte in einer Sekunde etwa

eine DIN A4-Seite übertragen werden.Ende der 90er Jahre hat es die Technikermöglicht, über Glasfaserkabel in einerSekunde 90.000 Bände einer Enzyklopä-die zu übermitteln. Hier sind neue Di-mensionen aufgestoßen worden, die inihrer Wirkung erst in den Anfängensichtbar werden.

Wirtschaftspolitische Implikationen

Deutschland droht den Anschluss aninternationale Spitzenreiter zu verlieren.Um die Wettbewerbsfähigkeit deutscherUnternehmen auf dem globalen Inter-netmarkt nicht zu gefährden, müssenentsprechende Rahmenbedingungen ge-schaffen werden.

Die Telefongebühren im Ortsnetz-bereich müssen sinken. Nur dann wirdsich die Internetnutzung und -ver-breitung hierzulande erhöhen. Notwen-dig sind aber auch gezielte Schulungs-maßnahmen, vor allem für Schüler undältere Menschen, die Grundfertigkeitenim Umgang mit dem Internet vermit-teln.

Um das Vertrauen der Nutzer zu stär-ken, muss die Internet-Sicherheit beiTransaktionen und Zahlungen gewähr-leistet werden. Wichtig ist auch einemoderne Datenschutzgesetzgebung, dieneben der Sicherung des Rechts aufinformationelle Selbstbestimmung füreine größere Nutzerakzeptanz sorgenwürde.

Bildung ist nach wie vor der Schlüs-sel für individuelle Lebenschancen sowieMotor der Wissensgesellschaft und mussdeshalb im Zentrum der politischen Auf-merksamkeit stehen.

Mehr Wettbewerb, mehr Flexibilitätund bessere Weiterbildungsangebotesind zur Modernisierung des Bildungs-systems unverzichtbar. Die Bildungspo-litik muss endlich zu einer gemeinsamen,widerspruchsfreien Strategie von Bundund Ländern werden. Alle Reforman-strengungen sollten sich darauf konzen-trieren, stärker nach Leistungsfähigkeitund Begabung zu differenzieren.

Dr. Kurt J. Lauk Präsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

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84 trend III. Quartal 2001

Prof. Dr. Dagmar SchipanskiMinisterin für Wissenschaft, Forschung und

Kunst des Freistaates Thüringen

Entscheidend auf dem Weg zur Wis-sensgesellschaft ist, dass jeder Bürger lernt,das für ihn Wichtige und Relevante aus derFlut der Informationen herauszufilternund es zu eigenem Wissen zu verarbeiten.Die Politik muss Wege aufzeigen, wie die-ses Wissen für unsere gesellschaftliche undwirtschaftliche Entwicklung in den nächs-ten Jahren nutzbar gemacht werden kann.

Die Universitäten und Fachhochschu-len liegen in den neuen Bundesländern beider Bewertung durch die Studenten ganz

weit vorne. Mehr als 90 Prozent der Stu-denten beenden ihr Studium in der Regel-studienzeit. Man darf das deutsche Hoch-schulsystem nicht grundsätzlich schlecht re-den. Die Reformuniversitäten in den neu-en Bundesländern zeigen durch inhaltlicheSchwerpunktsetzung, die Strukturierungdes Studiums und die leistungsgerechtenPrüfungsverfahren, dass sie den Anforde-rungen der Wirtschaft genau entsprechenund das sogar ohne Studiengebühren.

In Deutschland begreifen wir denWandel selten als Chance, sondern meistals Bedrohung. Dies zeigt insbesonderedie Debatte zur Bio- und Gentechnologie:Bevor man überhaupt auf die Chanceneingeht, werden zunächst einmal alleRisiken in den Vordergrund gestellt.

Dr. Ulrich SchumacherVorsitzender des Vorstands der Infineon

Technologies AG

In der Chip-Branche basieren ca. 60Prozent der Wertschöpfung auf Wissen.Unser Produkt ist daher nichts anderes alsin Sizilium gegossenes Wissen und Know-how.

In Deutschland krankt es aber an derUmsetzung und Nutzbarmachung diesesKnow-hows. Das ist ein gesellschaftlichesProblem. In den USA liegt die Verflech-tung von Universität und Industrie aufeinem viel höherem Niveau. Dies ist keineFrage der Qualität unseres Bildungssys-tems, sondern vielmehr der Schnelligkeitund Flexibilität des Wissenstransfers.

Die Chipindustrie ist international ge-prägt. Die Kompetenzzentren sind ver-mehrt ins Ausland verlagert worden, wasden Konkurrenzdruck auf die Mitarbeiteram Standort Deutschland erheblich ver-stärkt hat. In Deutschland sind zwar3.000 von 5.500 Entwicklungsmitarbei-tern beschäftigt. In den letzten Jahren wur-den aber 1.300 neue Stellen im Auslandgeschaffen, im Inland hingegen nur 200.

Jörg Tauss MdB Bildungs- und forschungspolitischer

Sprecher der SPD-Fraktion im

Deutschen Bundestag

Die USA hat den Fehler gemacht,nicht in ihr Bildungssystem zu investie-ren. Deshalb sind zurzeit 60 Prozent derDoktoranden in den USA Ausländer. Diedeutsche Hochschule ist nicht per seschlecht. Die Absolventen werden im Mo-ment in vielen Bereichen auch von derWirtschaft stark nachgefragt.

Nur durch einen Bewusstseinswandelkönnen wir erreichen, dass im Bereich derSchulen und Universitäten mehr Freiheit,Autonomie und Selbstverantwortungdurchgesetzt wird.

Erste Reformschritte hat die Bundes-regierung bereits in Angriff genommen:die Reform des Stiftungsrechts, die Ände-rung des Arbeitnehmererfindungsgesetzesin Sachen Hochschullehrerprivileg sowiedie Dienstrechtsreform. ...

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85trendIII. Quartal 2001

Wer betroffen ist beim Wandel, machtein Riesengeschrei. Mutige Politik zeich-net sich allerdings dadurch aus, dass manmanchmal Geschrei ignoriert.

Prof. Dr. Dennis TsichritzisMitglied im Vorstand der Fraunhofer

Gesellschaft

Was die Forschung in Deutschlandangeht, sind wir zwar nicht Spitze, aberwir sind fit. In Deutschland gibt es eineexzellente Forschung, nur leider nicht in den aktuellen Forschungsgebieten wie der Informations- und Kommunikations-

technologie. Deutschland hat ein Image-problem in bezug auf die Bildungsqualität.

Das Problem liegt darüber hinaus inder Umsetzungsgeschwindigkeit des Wis-sens in marktfähige Produkte. For-schungsergebnisse sind wie Tomaten: siekönnen nicht gelagert werden. Aufgrunddes scharfen Wettbewerbs ist die Gefahrgroß, dass man von anderen Forschernnach zwei bis drei Monaten überholt wird.Daher muss man sein Wissen relativschnell auf den Markt bringen. Das „Timeto market“ ist das große Problem derdeutschen Industrie.

Prof. Thomas HeilmannInternetsprecher der CDU Deutschlands

und Executive Director Scholz & Friends

Group

Die Wirtschaftspolitik muss sich starkauf die Themen der Informations- undKommunikationstechnologien konzen-trieren, damit Deutschland die Chancenbeim Übergang zur Wissensgesellschaftnicht verpasst. Wir sind in diesem Bereichnicht führend in der Welt, sondern habenbestenfalls einen Mittelfeldplatz.

Die vernetzte Computerwelt ist keineBranche, sondern eine Art Infrastruktur,auf deren Basis alle Unternehmen undauch alle Verbraucher zukünftig verstärktarbeiten werden. Diese Internetwirtschaftstellt letztlich auch eine Basisinnovationdar wie der Strom und das Telefon.

Einheitliche Meinung beim ThemaHochschule und Weiterentwicklung war,dass wir in einigen Bereichen der Bildungeher zu breit sind, Spezialisten in bestimm-ten Nischen fehlen und deshalb der Über-gang in Spitzenbereiche fehlt. Auch bei derUmsetzung von Forschungsergebnissen hatDeutschland erheblichen Nachholbedarf.

Wir brauchen nicht nur in den Hoch-schullandschaften und nicht nur bei derForschung, sondern insgesamt eine Dere-gulierung. Deutschland droht ein Still-stand der Deregulierung, ja sogar eine Re-regulierung.

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86 trend III. Quartal 2001

Staat und Wirtschaft im 21. Jahrhundert

Podium IIAls Einleitungsredner zu Podium II

„Staat und Wirtschaft im 21. Jahrhundert“konnte Richard Burt, IEP Advisors, LLP,Washington D.C., früher US-Botschafterin Deutschland, gewonnen werden.

An der Podiumsdiskussion unterLeitung von Carl Graf Hohenthal, Stell-vertretender Chefredakteur, Die Welt,nahmen teil:

Dr. Günter Burghardt, Leiter derDelegation der Europäischen Kommis-sion, Prof. Dr. Georg Milbradt MdL,Stellvertretender Vorsitzender der CDUSachsen, Prof. Dr. M.J.M. Neumann,Institut für Internationale Wirtschafts-politik, Universität Bonn, sowie Niko-laus Schweickart, Vorsitzender des Vor-stands der Altana AG. Im Plenumberichtete Dr. Manfred Weber, Haupt-geschäftsführer des Bundesverbandesdeutscher Banken, über die Ergebnisseder Diskussion.

Dr. Günter BurghardtLeiter der Delegation

der Europäischen Kommission

Staatliche bzw. öffentliche Verantwor-tung muss heute auf mehreren Hand-lungsebenen organisiert werden. Viele Po-litikbereiche erfordern globale Lösungen,während gleichzeitig nationale und regio-nale Fragen zu klären sind.

Die europäisch-atlantische Partner-schaft ist die unerlässliche Voraussetzungdafür, globale Probleme anzugehen. Nachden Statistiken der UNO verfügen die Eu-ropäische Union und die USA zusammenüber 56 Prozent des Weltbruttosozialpro-dukts und 40 Prozent des Handels. Ähn-liches gilt jedoch auch für die Probleme,die wir Europäer und Amerikaner in derWelt verursachen. So verbrauchen die EUund die USA zusammen 40 Prozent derWeltenergie und produzieren 40 Prozentder Emissionen. Gerade deshalb ist es sowichtig, gemeinsam an Lösungen zu ar-beiten.

Bei der Ost-Erweiterung der Europäi-schen Union geht es um mehr als um die ...

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87trendIII. Quartal 2001

In der Diskussion über Staat undWirtschaft geht es letztendlich um dieFrage, ob der Staat in Zukunft einegrößere oder eine kleinere Rolle spielensollte.

In den letzen 50 Jahren hat sich welt-weit die Einsicht durchgesetzt, dass jedesHandeln auf Anreizstrukturen beruht,die von den Regierungen geschaffen oderreguliert werden: Die Menschen verfol-gen Eigeninteressen. Die Produktivität,die die bestimmende Größe für wirt-schaftliche Effizienz bleibt, muss folglichim Einklang mit den Anreizstrukturenstehen, die der Staat setzt.

Erfolgsmodell USA – Vorbild für Europa

Die USA waren und bleiben dasattraktivste Land für Investitionen.Grundvoraussetzungen dafür sind ein in-novationsfreundliches Klima, eine wach-sende Bevölkerung, eine deregulierteWirtschaft, flexible Arbeitsmärkte undrelativ niedrige Steuern.

Der Erfolg der Vereinigten Staaten istdarauf zurückzuführen, dass sie seit den80er Jahren Reformen in drei Bereichenvorangebracht haben:

� Einen Schwerpunkt legte die US-amerikanische Regierung auf die För-derung innovativer Produktmärkte.Die USA waren Vorreiter bei derInformations- und Biotechnologie.Existenzgründungen und kleineUnternehmen werden durch staat-liche Initiativen gefördert. Eine frei-zügige Zuwanderungspolitik erlaubtes hochqualifizierten und begabtenAusländern, in den USA zu studierenund zu arbeiten.

Flexibilität des Arbeitsmarktes erhalten� Darüber hinaus gelang es der Regie-

rung, Überregulierungen des Arbeits-marktes zu vermeiden. Entgegen denBefürchtungen, Amerika würde zueiner Nation der McDonalds-Jobs,haben Studien ergeben, dass diemeisten Menschen durch diese Flexi-bilität bessere Arbeitsplätze finden alsvorher.

� Drittens gelang es den USA, offene,liquide Kapitalmärkte zu schaffen.Pensionsfonds stellten genug Mittelzur Verfügung, um sowohl start-upsals auch Restrukturierungen beste-hender Unternehmen zu finanzieren.

Nachholbedarf in EuropaEuropa hat sich im Gegensatz zu den

USA zu wenig auf dem Gebiet der Infor-mationstechnologie engagiert. Auch fehltes in Europa am Willen, zusätzliche Be-schäftigungspotenziale zu erschließen.Amerikas Erfolg ist nicht zuletzt daraufzurückzuführen, dass Frauen, Zuwande-rer und Geringqualifizierte mobilisiertwerden konnten. Das erfordert jedoch ei-ne größere Flexibilität im Arbeitsrecht.Gerade hier scheint sich Deutschlandaber in die falsche Richtung zu bewegen.Die vorgesehene Verschärfung der Rege-lungen zur betrieblichen Mitbestim-mung wird gerade kleinen Unternehmenhohe Bürden auflasten.

Verpasste ReformchancenTrotz der neuerlichen Konjunkturflau-

te in Amerika konnte die EU im Wachs-tum nicht aufholen. Die Kritik an der Eu-ropäischen Zentralbank geht am Kern desProblems vorbei. Europas strukturelleDefizite können nicht durch geldpoli-tische Maßnahmen aufgewogen werden.

Mit dem Verzicht auf durchgreifendeReformen der Arbeits- und Kapitalmärk-te ist Deutschland als drittgrößte Volks-wirtschaft der Welt ein passiver Beob-achter der Globalisierung geworden.

Auch im Bildungssektor macht sichdas bemerkbar. Deutsche Universitätenverlieren insbesondere in technologie-und ingenieurwissenschaftlichen Fä-chern ihre Auslandsreputation. Ein Aus-weg könnte eine verstärkte Privatisierungder Universitäten sein.

Reformen mit Unterstützung der Bürger unausweichlich

Das Argument, der Wohlfahrtstaatsei derzeit aufgrund der ungünstigenwirtschaftlichen Entwicklung nicht zureformieren, greift nicht. Eine Verbesse-rung der konjunkturellen Bedingungenwürde nur vorübergehend den Reform-druck abmildern. Jetzt gilt es, wie in den80er Jahren in den USA und in Großbri-tannien, die Unterstützung der Öffent-lichkeit für einen Reformkurs zu gewin-nen, der die Wirtschaft wieder wettbe-werbsfähig macht.

Richard BurtIEP Advisors, LLP, Washington D.C.

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88 trend III. Quartal 2001

Schaffung einer Freihandelszone. Mit derAngleichung des Bruttosozialproduktsdieser Staaten wird ein enormer Wachs-tumsschub verbunden sein. Zusammenmit der transatlantischen Partnerschafteröffnen sich dann noch mehr Chancen,für globale Probleme Lösungen zu finden.

Prof. Dr. Georg Milbradt MdLStellvertretender Vorsitzender

der CDU Sachsen

Weltweit, besonders aber in Europa,werden wir in Zukunft einen Rückzug desStaates erleben. Zumindest die mobilenTeile der Bevölkerung und der Wirtschaftsuchen sich die passende staatliche Struk-tur selbst aus. Durch diese „Abstimmungmit den Füßen“ und Standortverlagerun-gen stehen Staaten mehr denn je im Wett-bewerb.

Deutschland wird es sich nicht leistenkönnen, den größten Teil seines sozialenSicherungssystems über Lohnnebenkos-ten zu finanzieren. Der Versuch, durchmehr Staat oder eine nur geringfügige An-passung der bisherigen Systeme diesenProzess zu bewältigen, wird scheitern. Viel-mehr muss die Politik dem Bürger dieÄngste vor den bevorstehenden Verände-rungen nehmen.

Noch mehr Kompetenzen bei derEuropäischen Union zu zentralisieren,kann nicht die Lösung sein. In Zukunftwerden wir eine Renaissance der lokalen

staatlichen Tätigkeit erleben. Der Rück-zug des Staates sollte zu einer umfassen-den Dezentralisierung genutzt werden.

Prof. Dr. M.J.M. NeumannInstitut für Internationale

Wirtschaftspolitik, Universität Bonn

Globalisierung bedeutet im Grundegenommen eine Vergrößerung der Märk-te und eine Verstärkung des Wettbewerbs.Im Prozess der Globalisierung setzt sichalso das Prinzip Markt immer mehrdurch. Grundsätze ändern sich jedochnicht: Nur Markt und Wettbewerb führenzu Leistungssteigerungen, Innovationenund Effizienz. Entscheidend ist, dass derMarkt offen ist und daher jeder die Mög-lichkeit hat, den Konsumenten Neues zubieten.

Gleichzeitig bedeutet Globalisierungaber auch, dass das Gegenprinzip Staat inden Hintergrund gedrängt wird. Staatenkommen selbst auf den Prüfstand desWettbewerbs. Der Staat darf sich nicht alsObrigkeitsstaat verstehen, der vorschreibtund interveniert. Der Staat muss zum Ser-vice-Center für Bürger und Unternehmenausgebaut werden.

Eines der wichtigen Themen des 21.Jahrhunderts wird die Wettbewerbskon-trolle sein. Wahrscheinlich wird es dieWelthandelsorganisation (WTO) sein, diein Zukunft auf den Weltmärkten ein-

greift. Hier müssen bald geeignete Regel-mechanismen gefunden werden.

Nikolaus SchweickartVorsitzender des Vorstands der Altana AG

Der Staat organisiert seinen Rückzugnicht selbst, sondern wird zum Rückzuggetrieben. Um in den internationalenMärkten wettbewerbsfähig zu bleiben,wird es einen Druck auf die Absenkungder Staatsquote geben. Spitzensteuersätzeunter 40 Prozent sind heute eine absoluteNotwendigkeit. Im Bereich der sozialen

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89trendIII. Quartal 2001

Sicherungssysteme ist der Einstieg in dieKapitaldeckung zu vollziehen.

Die Ökonomisierung bisher staatlichbeherrschter Lebensbereiche wird die ent-scheidende Antriebsfeder für die Ent-wicklung in den nächsten Jahren sein. Da-bei geht es nicht nur um die Privatisierungvon Staatsunternehmen in Bundes-, Län-der- oder kommunalen Besitz.

Genauso wichtig ist die Bildungspoli-tik. Will Deutschland im internationalenWettbewerb mithalten, müssen wir unser

Universitätssystem radikal reformierenund privatisieren, um die Qualität undSchnelligkeit der Ausbildung zu erhöhen.Universitäten müssen wie Unternehmengeführt werden und Forschungsergebnis-se in Form von Patenten und Unterneh-mensbeteiligungen an den Markt bringenkönnen.

Dr. Manfred WeberHauptgeschäftsführer

des Bundesverbandes

deutscher Banken

Globalisierung erfordert grundlegen-de Änderungen in Staat und Wirtschaft.Durch die zunehmende Mobilität von In-vestitionen und qualifizierter Arbeit wer-den die Handlungsmöglichkeiten desStaates eingeschränkt. Politische Führungist heute jedoch mehr gefragt denn je.

Im internationalen Wettbewerb hinktDeutschland – so der allgemeine Befund– hinterher. Geringes Wachstum und derschwache Euro sollten Alarmsignale sein:Die Perspektiven für die US-Wirtschaftwerden auf mittlere Sicht günstiger einge-schätzt als für Europa.

Einhelliges Fazit der Diskussion:

� Der Staat sollte sich auf Kernkompeten-zen konzentrieren und für günstige Rah-menbedingungen für die Wirtschaft,auch im Interesse des Bürgers, sorgen.

� Durch den Abbau von Regulierungenist die Funktionsfähigkeit der Märkte,besonders des Arbeitsmarktes, zu stär-ken.

� Bei der Umgestaltung der sozialen Si-cherungssysteme brauchen wir mehr Ei-genverantwortlichkeit und Transparenz.

� Unumgänglich ist eine Reform desFöderalismus, die den gesunden Wett-bewerb zwischen den Gebietskörper-schaften fördert. Das gilt sowohl fürDeutschland als auch für Europa.

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90 trend III. Quartal 2001

Liberaler Kapitalismus und Soziale Marktwirtschaft

Podium IIIDen Einleitungsvortrag zum Podi-

um III „Liberaler Kapitalismus undSoziale Marktwirtschaft“ hielt Prof. Dr.Otmar Issing, Mitglied des Direktori-ums der Europäischen Zentralbank.

Es diskutierten: Dr. Jan B. Berent-zen, Vorstandssprecher der Berentzen-Gruppe AG, Johannes Linn, Vizepräsi-dent Europa und Zentralasien, Welt-bank, Klaus-Peter Müller, Sprecher desVorstands der Commerzbank AG, Dr. Wolfgang Schäuble MdB und Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, Präsidentdes ifo-Instituts für Wirtschafts-forschung.

Die Moderation übernahm Dr. PeterGillies, Journalist Berlin/Bonn. Hilde-gard Müller, Vorsitzende der JungenUnion und Mitglied im Präsidium derCDU Deutschlands, fasste vor dem Ple-num die wichtigsten Ergebnisse zusam-men.

Dr. Jan B. BerentzenVorstandssprecher der

Berentzen-Gruppe AG

Die größte Kritik an der SozialenMarktwirtschaft wird vor allem an denBereichen wie dem Arbeitsmarkt, demBildungs- und Gesundheitswesen geübt,die nicht dem Markt überlassen werden.Aufgabe der Politik sollte es deshalbwieder sein, mit größtmöglicher Zurück-haltung bei der Gesetzgebung einen ord-nungspolitischen Rahmen festzulegen,der freier Initiative und SelbstvorsorgeVorrang vor staatlichen Reglementierun-gen einräumt.

Die Überregulierung am Arbeitsmarktschützt allein die Beschäftigten und denStatus quo. Zum Beispiel verhindernüberzogene Kündigungsschutzgesetze dieEinstellung von Arbeitnehmern. AlleGesetze müssen dahingehend geprüftwerden, ob sie bei der Schaffung vonArbeitsplätzen wirklich nützlich sind.Zukünftig sind verstärkt betriebsnaheLösungen anzustreben. Sie dienen auch der Existenzsicherung des Mittel-stands. ...

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91trendIII. Quartal 2001

Die Soziale Marktwirtschaft verbin-det die freie Initiative der Wettbewerbs-wirtschaft mit dem sozialen Fortschritt.Das „Soziale“ Element der SozialenMarktwirtschaft ist jedoch immer wiederals Einfallstor für staatliche und kollek-tive Reglementierungen genutzt worden.

Zum Schaden aller Bürger hat sichdaher die Steuerungsfähigkeit und dieWohlstandsmehrung der deutschenVolkswirtschaft im Vergleich zum anglo-amerikanischen Modell wesentlich ver-schlechtert. Für Deutschland stellt sichdie Frage, wie die Ordnung von Wirt-schaft und Gesellschaft unter den Bedin-gungen des neuen Jahrhunderts künftiggestaltet sein soll.

Soziale Marktwirtschaft durch Staatseingriffe ständig bedroht

Öffentliche Mittel werden für eineAusweitung der Arbeitsbeschaffungs-maßnahmen und der Schaffung direkterArbeitsplätze durch den Staat verwendet.Die private Wirtschaft wird hierdurchstark belastet und durch die Ausweitungstaatlich subventionierter Bereiche zu-dem behindert.

Diese Politik staatlicher ad-hoc-Ein-griffe ist aber zum Scheitern verurteilt.Die Verknüpfung des Arbeitsmarktes mitdem Sozialsystem ist zudem misslungen,so dass die Anreize völlig falsch gesetztsind.

Die Arbeitsmarktpolitik degeneriertdeshalb zum sozialen Auffangbecken undzur Abhängigkeitsfalle der betroffenenBürger. Auch wird die Abwanderung indie Schattenwirtschaft gefördert. So hatsich der Anteil der Schattenwirtschaft amdeutschen Bruttoinlandsprodukt in denletzten 25 Jahren von knapp 6 auf gut 16Prozent fast verdreifacht.

Aus ordnungspolitischer Sicht mussbei der Analyse offenkundiger Fehlsteue-rungen angesetzt werden. Am Arbeits-markt sind daher Anreize zur Eigen-initiative mit Anpassungshilfen für vor-übergehend Arbeitslose und Unterstüt-zung für dauerhaft Benachteiligte sinn-voll miteinander zu verbinden.

Globalisierung als Test nationaler Institutionen

Im Zeitalter der Globalisierung wer-den Institutionen, Regulierungen und

Standards aller Art auf den Prüfstandihrer Tauglichkeit und ihrer Überlebens-fähigkeit gestellt. Der institutionelleWettbewerb ist kein Selbstzweck. Erdient vielmehr der Suche nach den bestenLösungen für die Probleme der Bürger.

Dieser Suchprozess und Test ist rela-tiv einfach konstruiert. Regelungen wiedie Mitbestimmung und die Betriebsver-fassung würden beispielsweise nur danndie ihnen zugesprochenen Vorteile auf-weisen, wenn sie auch in anderen Län-dern Nachahmer fänden.

Bedarf es dagegen zu ihrer Durchset-zung und Erhaltung des staatlichenZwangs und der Abschottung gegenüberAlternativen im Ausland, dann kann esmit diesen vermeintlichen Vorteilennicht weit her sein. Gute institutionelleRegelungen werden hingegen zu einemStandortvorteil im internationalen Wett-bewerb.

Sozialen Ausgleich marktwirtschaftlich ausrichten

Gerade im Zeitalter der Globalisie-rung bedarf es eines sozialen Rahmens,um den Zusammenhalt der Gesellschaftzu festigen. Aber ebenso ist die Effizienzdes Marktes notwendig, um überhaupterst Wohlstand zu erhalten und zu meh-ren.

Der wuchernde Wohlfahrtsstaat be-einträchtigt nicht nur die Leistungs-fähigkeit einer Volkswirtschaft. Es bleibtzudem Schritt für Schritt auch ein StückFreiheit auf der Strecke.

Die Soziale Marktwirtschaft als ord-nungspolitische Konzeption grenzt sichim Dienste einer freiheitlichen Gesell-schaft und im Interesse ihrer ökono-mischen Leistungsfähigkeit von diesemWohlfahrtsstaat deutlich ab.

Das „soziale“ Element in Deutsch-land muss sich wieder auf die moralischeVerpflichtung gegenüber den Schwachenbeziehen, ohne zum Missbrauch einzula-den und ohne den Anreiz zur eigenenInitiative zu schmälern.

Prof. Dr. Otmar IssingMitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank

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Die in Deutschland viel zu hohenLohnzusatzkosten beruhen auf der An-bindung der Sozialversicherungen an dasArbeitsverhältnis. Diese Anbindung solltegelockert werden. Die Solidarität gebietet,den einzelnen Bürger in die Lage zu ver-setzen, sich selber eigenständig zu versi-chern und nicht den Weg des Zwangs aus-zubauen.

Johannes LinnVizepräsident Europa und Zentralasien,

Weltbank

Der Erfolg der marktwirtschaftlichorientierten Staaten beruht darauf, dass

ihnen eine Verbindung aus einem starken,effizienten Privatsektor und einem star-ken, effektiven Staat gelungen ist.

Deutschland muss sich wieder stärkerin diese Richtung bewegen. Um interna-tional konkurrenzfähig zu sein, sind Pri-vatisierungen, Steuersenkungen und eineFlexibilisierung des Arbeitsmarktes erfor-derlich. Holland und Irland können alsrichtungsweisend angesehen werden. Siesind auch das Vorbild der Transformati-onsstaaten.

Deutschland benötigt neben einerumfassenden Deregulierung des Arbeits-marktes aber auch eine Entbürokratisie-rung bei der Unternehmensgründung. In den Vereinigten Staaten, Kanada undAustralien braucht ein Unternehmenlediglich drei Tage zur Neugründung.Demgegenüber sind in Frankreich undDeutschland 45 Tage erforderlich.

Klaus-Peter MüllerSprecher des Vorstands der

Commerzbank AG

Die hohen Arbeitnehmerschutzrechtein Deutschland gehen zu Lasten der Be-schäftigung und der Entlohnung. Der be-achtliche Erfolg der amerikanischen Wirt-schaft bei der Schaffung von Arbeitsplät-zen lässt sich auch hierzulande erreichen.Wir müssten nur bereit sein, Abstrichebeispielsweise bei der Arbeitszeitverkür-zung, dem Kündigungsschutz und dersozialen Sicherung zu akzeptieren.

Die Ausgrenzung von Millionen Men-schen vom Arbeitsmarkt ist die größte so-ziale Ungerechtigkeit. Das dogmatischeFesthalten der Gewerkschaften an Man-tel- und Tarifvertragsregeln – so jüngst beider Verhinderung von 5000 neuen Ar-beitsplätzen bei Volkswagen – ist sympto-matisch. Die größte Errungenschaft derSozialen Marktwirtschaft – ein hoher Be-schäftigungsstand mit Chancen für alle –muss wieder zur Geltung kommen.

Dr. Wolfgang Schäuble MdB

Soziale Marktwirtschaft heißt, dassdas marktwirtschaftliche Prinzip benutztwird, um sozialen Ausgleich herzustellen.Die Sozialhilfe muss beispielsweise so or-ganisiert werden, dass sie Arbeit und nichtdie Nichtarbeit belohnt. Die Hinzuver-dienstgrenze muss großzügiger geregeltwerden, so dass geringer bezahlte Arbeitmit Ergänzungsleistungen über die So-zialhilfeschwelle gehoben wird.

Eine bedeutsame Herausforderung fürdie Soziale Marktwirtschaft stellt die Alte-rung der Bevölkerung dar. Sie führt inDeutschland zu einem explosionsartigen An-stieg der Ausgaben für das Gesundheitswe-sen. Grundlegende Eingriffe in das Gesund-heitswesen sind erforderlich, um die Verant-wortung der Beitragszahler und Patienten –und damit ihr Interesse an sparsamer Mittel-verwendung – zu erhöhen. Geeignet ist dieAusweitung der Eigenbeteiligung in Verbin-dung mit der Einführung von Wahltarifen.

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Prof. Dr. Hans-Werner SinnPräsident des ifo-Instituts für

Wirtschaftsforschung

Auch innerhalb der Sozialen Markt-wirtschaft erweist sich zwar die zentralePlanung beziehungsweise die staatlicheKorrektur des Marktes als verlockend,aber auch als schädlich. Daher muss dieStaatsquote von nahezu 50 Prozent inDeutschland drastisch verringert werden.

Die existierenden Lohnersatzleistun-gen sind schlichtweg Subventionen für dieUntätigkeit. Dieser Sozialstaat treibt die

Menschen in eine Armutsfalle. Zukünftigist es daher erforderlich, dass die Nichtar-beit weniger gut bezahlt wird als in der Ver-gangenheit. Die betroffenen Bürger solltendurch Subventionierung der Arbeit aus derArmutsfalle herausgeführt werden.

In der Gesetzlichen Krankenversiche-rung besteht durch die Verdoppelung derAlten bis zum Jahr 2035 ein gravierendesGenerationenproblem. Die Umverteilungvon den Arbeitenden zu den Älteren wirdbei Ausbleiben einer Reform weiter voran-schreiten. Die Privatisierung der Kranken-versicherung ist jedoch eine gangbareLösung. Sie nutzt den Markt, um die vonden Bürgern benötigten Schutzsysteme zuentdecken.

Hildegard MüllerVorsitzende der Jungen Union und

Mitglied im Präsidium der

CDU Deutschlands

Als Ergebnis der Diskussion zeigtesich, dass die Kerngedanken der SozialenMarktwirtschaft immer weiter ausgehöhltwerden. Die Politik macht sich selbst zu-nehmend für die Beschäftigung verant-wortlich. Hingegen fühlen sich Unter-nehmen wie Gewerkschaften immer we-niger zur Schaffung von Arbeitsplätzenaufgerufen. Der an Besitzständen ausge-richtete Sozialstaat trägt darüber hinauszur weiteren Arbeitsplatzvernichtung bei.

In der Gesundheitspolitik wird beiFortführung des Status quo in den nächs-

ten 30 Jahren der Beitragssatz auf mehr als30 Prozent ansteigen. Eine Neuregelungist unumgänglich, um nicht die kommen-den Generationen über Gebühr zu be-lasten. Zudem wird die Kopplung dersozialen Sicherungssysteme an das Be-schäftigungsverhältnis durch den Wandelder Arbeitswelt untauglich.

Geschützt werden sollte aber nicht dasSozialversicherungssystem, sondern derBedürftige. Eine Rückbesinnung auf dieGrundprinzipien der Sozialen Marktwirt-schaft – auf Freiheit und Verantwortung –ist daher mehr als jemals zuvor an-gebracht.