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TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Pat zelt Vortrag: Wie könnte eine allgemeine Theorie institutionellen Wandels und seiner Verlaufsmuster aussehen? zugleich: Einführung in den Evolutorischen Institutionalismus

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Vortrag:

Wie könnte eine allgemeine Theorie institutionellen Wandels und seiner

Verlaufsmuster aussehen?

zugleich: Einführung in den Evolutorischen Institutionalismus

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Worum geht es? Lassen sich – und ggf. wie – Prozesse des Wandels von

sozialen Strukturen, v.a. von Institutionen, über die historiographische Nachzeichnung des jeweils Faktischen hinaus beschreiben, verstehen und erklären? d.h.: Läßt sich – und ggf. wie – eine allgemeine Theorie

strukturellen Wandels formulieren, die dann eben – und zwar in wirklich erhellender Weise – auf verschiedene Gegenstände (vergleichend) angewendet werden kann?

Lassen sich – und ggf. wie – bei Prozessen strukturellen Wandels auch Verlaufsmuster über die historiographische Nachzeichnung des jeweils Faktischen hinaus beschreiben, verstehen und erklären? d.h.: Läßt sich – und ggf. wie – eine allgemeine Theorie

historischer Verlaufsmuster formulieren, die dann eben – und zwar in wirklich erhellender Weise – auf verschiedene Fälle historischen Wandels (vergleichend) angewendet werden kann?

Das sind durchaus herausfordernde Fragestellungen, wobei tragfähige Antworten auf sie für die historischen Kultur- und Sozialwissenschaften wohl sehr nützlich wären.

… und es zeigt sich, daß sowohl im SFB 580 Jena/Halle als auch im SFB 537 Dresden an Antworten auf diese Fragen gearbeitet wird.

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Versuche und Anschlußfragen

SFB 580 Jena/Halle befaßt sich mit ‚Diskontinuität, Tradition und Strukturentwicklung‘ bei ‚Gesellschaftlichen

Entwicklungen nach dem Systemumbruch‘ hat als Rahmentheorie einen – von Arnold Toynbee inspirierten – Challenge-Response-Ansatz

entwickelt ist vorwiegend empirisch interessiert

SFB 537 Dresden befaßt sich mit ‚Institutionalität und Geschichtlichkeit‘, d.h. mit der Herausbildung und

Verstetigung von institutionellen Strukturen als besonderem ‚Aggregatzustand‘ sozialer Wirklichkeit

verwendet als gemeinsame Beschreibungssprache von Gerhard Göhler und Karl-Siegbert Rehberg entwickelte Kategorien ‚institutioneller Analyse‘

entwickelte im Teilprojekt K ‚Instrumentelle und symbolische Funktionen von Vertretungskörperschaften‘ einen überwölbenden Theorieansatz, welcher ‚die Evolutionstheorie‘ mit der institutionellen Analyse verbindet und für die empirische Untersuchung der Geschichtlichkeit von Institutionen erschließt: den ‚Evolutorischen Institutionalismus‘.

Fragen: Befassen sich der Challenge-Response-Ansatz (CRA) und der Evolutorische Institutionalismus

(EI) bei der Analyse von strukturellen Entwicklungen mit im Grunde dem gleichen Gegenstand? Falls ja: In welchem Verhältnis stehen dann die beiden Theorieansätze – und wie könnten sie

voneinander Nutzen ziehen? Welche Antwort können diese Ansätze auf die Frage nach einer allgemeinen Theorie

strukturellen Wandels bzw. historischer Verlaufsmuster geben?

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Gedankengang

Aufriß des Challenge-Response-Ansatzes (CR) in einer Weise, welche die Schnittstellen mit dem Evolutorischen Institutionalisms (EI) leicht zu erkennen erlaubt

knappe Vorstellung des Evolutorischen Institutionalismus

Darstellung der Verbindungsmöglichkeiten von CR und EI und Plausibilisierung des analytischen Mehrwerts, den ihre Nutzung erbringt

Antwort auf die Frage, wie wohl – auf der Basis dieser Ansätze – eine allgemeinen Theorie strukturellen Wandels bzw. historischer Verlaufsmuster aussähe

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Leitgedanken des Challenge-Response-Ansatzes I: Grundlagen

Fragestellung: Wie lassen sich komplexe historische Prozesse über eine Beschreibung

ihrer Faktizität hinaus erfassen? D.h.: Welche im Hintergrund geschichtlicher Prozesse wirkenden

Regelmäßigkeiten lassen sich auf Theorieebene erkennen und somit allen konkreten Analysen geschichtlicher Prozesse zunächst heuristisch-hermeneutisch, sodann analytisch-explanatorisch zugrunde legen?

analytische Perspektive: Die Umwelt eines sozialen Systems wirkt auf dieses ein (‚stellt

Herausforderungen‘). Auf diese Herausforderungen wird von den Akteuren (≈ ‚Eliten‘) des sozialen

Systems reagiert (‚Antworten werden gegeben‘). Die auf Herausforderungen reagierenden Handlungen verändern ggf. sowohl

das soziale System selbst sowie dessen Umwelt (‚rekursive Verursachung‘, ungeplante Nebenwirkungen …), woraus ‚Herausforderungen zweiter,dritter … nter Ordnung‘ entstehen

Bei halbwegs stabilen Umwelten (‚Wenig Bedarf an Reaktionen auf Umweltherausforderungen‘) treten jene Herausforderungen in den Vordergrund, die sich aus dem Inneren von Systemen selbst reaktionserfordernd stellen (Selbstreferentialität, ‚Reflexivität‘ usw.)

= Frage der (nicht

nur biologischen!)

Evolutionstheorie

= P

erspektive d

er

Evo

lutio

nsth

eorie

= Leitgedanke der Evolutionären Erkenntnistheorie, d.h. des auf die Entwicklung von

‚Erkenntnisapparaten‘ spezialisierten Teils der Evolutionstheorie

Schnittstellen zur Evolutionstheorie:

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Leitgedanken des Challenge-Response-Ansatzes II: Präzisierung einzelner Konzepte

‚Herausforderung‘ = was den Erzeugungs- und Reproduktionsmodus eines Sozialgebildes in Frage stellt

‚Erteilen von Antworten‘ (durch Akteure / Eliten):

geht nicht nur um intentionale, sondern auch um zufallsgetriebene Prozessemit verschieden großen Wahrscheinlichkeitsdichten für das Auftreten und die Realisierung einzelner Optionen

dabei Wechselwirkung von … ‚Situationslogik‘: Was ist / gilt in der jeweiligen Situation als funktionell gefordert? ‚Selektionslogik‘ seitens der Akteure: Was sind ihre ‚modalen Response-Modi‘,

d.h. die von ihnen routinisierten, für erfolgversprechend oder für möglich (usw.) gehalten Reaktionsweisen?

Prägung der Wahrscheinlichkeitsdichten von Reaktionen durch … Grad der Rigidität der sich stellenden funktionellen Anforderungen Grad der Persistenz von solchen Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Verhaltensdispositionen,

die aus der Zeit vor dem Auftreten der neuen Herausforderung stammen Wechselwirkungen zwischen beidem

Situativ überlagernd wirken zusätzliche exogene und endogene Faktoren, verursacht von mit der analysierten Herausforderung nicht (unmittelbar) zusammenhängenden Ereignissen bzw. Entwicklungen

= ‚Nischenturbulenz(en)‘

= zufällige Variationen,Mutationen und Rekombi-nationen von strukturbil-denden kulturellen Mustern (‚Memen‘) sowie bei deren Konkretisierungen (‚Phämen‘)

= Wirken weiterer – oft durchaus auch ihrerseits

strukturierter – stochastischer Prozesse im

evolvierenden System und / oder in dessen Nische

= (Wechsel-) Wirkungen ‚innerer‘ und‚äußerer‘Selektions-bedingungen

äquivalente evolutions-analytische Begriffe:

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‚Wahrscheinlichkeitsdichte‘

meint: die Wahrscheinlichkeit, daß ein Ereignis in einem interessierenden Intervall im Ereignisraum eintrittz.B. in einem bestimmten Werteintervall

unter einer Gauß-Verteilungmeint nicht: die Wahrscheinlichkeit,

daß ein bestimmtes Ereignis auftritt.

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Wechselwirkungen von ‚Herausforderungs-rigidität‘ und ‚Reaktionspersistenz‘

Anpassungsdruck neuer Umweltbedingungen

Rea

ktio

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räd

isp

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n d

er A

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re

Beibehaltung etablierter Orientierungs- und Handlungsmuster

Etablierung neuer Orientierungs- und Handlungsmuster

äußerliche Anpassung etablierter Orientierungs- und Handlungsmuster; ohne nachhaltige Stabilität; Quelle von Spannungen

hoch gering

star

ksc

hwac

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klar ‚gerichtete‘ Entwicklung

Improvisationen, richtungs-loses Experimentieren, bisweilen nachhaltig wirksame Innovationen

Offenheit für das Neueinsetzen einer fortan klar ‚gerichteten‘ Entwicklung

Improvisationen, richtungs-loses Experimentieren, bisweilen nachhaltig wirksame Innovationen

= Wechselwirkungen von funktionellen und memetischen Bürdestrukturen im Bauplan von Arten oder Institutionen; Teleonomie

äquivalente evolutionsanalytische Begriffe:

‚innengeleitet‘

‚außengeleitet‘

in der Vier-Felder-Tafel: einige historische Verlaufsmuster

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Leitgedanken des Challenge-Response-Ansatzes III: Erfassung von Geschichtlichkeit

erlaubt Erklärung, unter welchen Umständen es zu gerichteten Entwicklungen kommt, nämlich: starke Reaktionsdisposition & geringer Anpassungsdruck neuer

Umweltbedingungen schwache Reaktionsdisposition & großer Anpassungsdruck neuer

Umweltbedingungen Neuformierung von dann sich alsdann stabilisierenden

Reaktionsdispositionen durch Versuch und Irrtum bei geringem Anpassungsdruck neuer Umweltbedingungen

dabei ‚analytisch mitgenommen‘: Theoreme zur Pfadabhängigkeit von Entwicklungsprozessen ( Historischer Institutionalismus; vgl. Mahoney 2000)

dabei keinerlei Spur von … Historizismus oder Teleologie Stetigkeits-, Progressivitäts- oder Linearitätsannahmen

Also: Theorie sozialen bzw. institutionellen Wandels, welche … Phänomene ‚stimmiger Entwicklung‘ ebenso zu erfassen zuläßt wie solche der Fehlanpassung und des Scheiterns oder von ‚Entwicklungsumwegen‘ bzw. von ‚zyklischen Schwankungen‘

= Orthogenese, ‚gerichtete Entwicklung‘, Teleonomie,

Durchhalten einmal geprägter Baupläne …

= Typogenese

= ‚um das speziell Evolutions-

theoretische reduzierte Form von

Evolutorischem Institutionalismus‘

= ebenso wie Evolutorischer Institutionalismus

äquivalente evolutions-analytische Begriffe:

dergestalt erfaßt: einige historische Verlaufsmuster

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Der Challenge-Response-Ansatz (CRA): analytischer Mehrwert

nicht nur ‚façon de parler’ oder bloße Beschreibungssprache sondern …

heuristisch-hermeneutisch sehr fruchtbar (‚Man sieht nur, was man weiß!’) analytisch recht auflösungskräftig (‚Was liegt hinter der Ereignisgeschichte?‘) von einer allgemeineren Theorieperspektive her im konkreten

Untersuchungsfall sehr erklärungskräftig (‚Warum geschieht dergleichen – in anderen Fällen und hier?‘)

geeignet zur Verbindung der Mikroebene personaler Akteure und ihrer Wissensstrukturen mit der Mesoebene von Institutionen und der Makroebene ganzer Systemkonfigurationen

interdisziplinär integrationsfähig theoretisch vielfach anschlußfähig.

Dabei Anschlußfragen:

• Läßt sich sozialer und institutioneller Wandel nicht – entlang der offenbar evolutions- theoretischen Leitgedanken des CR-Ansatzes – noch auflösungskräftiger erfassen?

• Läßt sich die Erklärungskraft des CR-Ansatzes nicht durch dessen Einbettung in eine umfassendere Theorie ausdehnen?

Ja – durch Verbindung mit dem Evolutorischen Institutionalismus!

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Leitgedanken des Evolutorischen Institutionalismus

Fragestellung: Wie entstehen, stabilisieren und wandeln sich institutionelle Strukturen? Wie lassen sich die dabei ablaufenden komplexen historischen Prozesse

sowie ihre Muster über eine Beschreibung ihrer Faktizität hinaus erfassen? D.h.: Welche im Hintergrund geschichtlicher Prozesse wirkenden

Regelmäßigkeiten lassen sich auf der Theorieebene erwarten und dann allen konkreten Analysen geschichtlicher Prozesse zunächst heuristisch-hermeneutisch, sodann analytisch-explanatorisch zugrunde legen?

Grundrichtung der Antwort: Wenn die biologische Evolutionstheorie diese Fragen hinsichtlich der

Entstehung, Stabilisierung und des Wandels biologischer Strukturen erfolgreich und offenbar empirisch wahr beantwortet – warum sollten dann ihre Kategorien und Theoreme nicht auch hilfreich sein für die Beantwortung der ganz parallelen Frage nach der Entstehung, Stabilisierung und dem Wandel sozialer bzw. institutioneller Strukturen?

Ausprobieren! Allerdings:

Soziale/institutionelle Strukturen sind etwas ganz anderes als biologische Strukturen, so daß eine simple Parallelisierung von Begriffen und Theoremen allenfalls heuristisch interessant sein kann, doch weit hinter dem zurückbleibt, was anzustreben ist.

= gleiche Frage wie im CR-Ansatz !

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Theoriebausteine des EI

Erfassung der Konstruktion, Reproduktion, Modifikation und Destruktion sozialer Strukturen: Allgemeine ethnomethodologische Theorie (Patzelt 1987)

Erfassung der Entstehung von Institutionalität als verfestigtem Aggregatzustand sozialer Wirklichkeit: Dresdner SFB-Ansatz ‚institutioneller Analyse‘ (etwa Rehberg 1990)

Erfassung der biologischen Grundlagen sozialen Handelns: Soziobiologie (etwa Voland 2000), Humanethologie (etwa Eibl-Eibesfeldt 1997)

Schaffung der Schnittstelle zwischen der biologischen Evolutionstheorie und einer zu ihr parallel aufgebauten soziologischen oder kulturwissenschaftlichen Evolutionstheorie: Memetik (Dawkins 1976, Blackmore 2000)

systematische Erfassung der Prozesse und Muster der Entwicklung, Tradition sowie Diskontinuitätsherbeiführung sozialer bzw. institutioneller Strukturen durch die von ihrem ursprünglichen biologischen empirischen Referenten abstrahierte und dann auf einen sozialen empirischen Referenten angewendete Systemtheorie der Evolution (Riedl 1990, 2003) Alles das ist systematisch entfaltet und mit exemplarischen empirischen Fallstudien veranschaulicht in Patzelt 2006

erschließen sehr weit reichende Kontexte sowie tiefe Einblicke in die übergreifenden Verursachungsgefüge des Gegenstandsbereichs des Challenge-Response-Ansatzes

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Gewinnung und Anwendung der Allgemeinen Evolutionstheorie

Entwicklung der Arten (= biologischer Strukturen)

Entwicklung von Institutionen(= sozialer Strukturen)

erfaßt durch die biologische Evolutionstheorie: von Darwin über die Synthetische Theorie weiterentwickelt zur Systemtheorie der Evolution

‚Allgemeine Evolutionstheorie‘

gegenstandsspezifische Konkretisierung durch gegenstandsangemessene Anwendung ihrer Konzepte und Theoreme auf nicht-biologische empirische Referenten

Entwicklung von Kompositions- und Maltechniken, Baustilen, Dichtungsformen, Denkgebäuden … (= kultureller Strukturen)

Abstraktion vom biologischen empirischen Referenten unter Beibehaltung der bewährten Konzepte und Theoreme

kulturwissenschaftl. Evolutionstheorie

Sozialwiss. Evolutionstheorie

‚Übersetzungstabelle‘

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CR-Ansatz

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‚Übersetzungstabelle‘ (Auszug)

Gen, Genom epigenetisches System Phän Art Grundbauplan

Generation: jeweils neue Organismen der Art, geschaffen über genetische Replikation

Mem, Memplex epimemetisches System Phäm Institution Grundbauplan,

‚institutionelle Form‘ Generation: jeweils neue

Mitglieder einer Institution, ‚geschaffen‘ über memetische Replikation (= institutions-spezifische Sozialisation)

gleiche Begriffe: Variation, Mutation, Rekombination; innere und äußere Selektionsfaktoren; Passung und Fitneß …

biologische Evolutionstheorie: soziologische Evolutionstheorie:

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Was ist ‚Memetik‘? Ist die Weiterführung der Einblicke in den (rein chemisch ablaufenden) genetischen

Replikationsmechanismus ins Verständnis kultureller Replikationsmechanismen deren Grundeinheit: kulturelle Muster, die nachgeahmt und auf diese Weise tradiert

werden können (Verhalten, Reden, Denken …; Begriff: Mem bzw. Memplex), und zwar … entweder unmittelbar durch Nachahmung, z.B. durch Nachsingen einer Melodie oder

Befolgen eines Rollenmodells oder mittelbar durch Erlernen von Regeln, bei deren Anwendung das zu tradierende Muster

neu entsteht, z.B. durch Erlernen der Notenschrift und der Fähigkeit, die in Notenschrift codierte Melodie auf einem Instrument zum Klingen zu bringen, oder durch Erlernen und Befolgen jener Regeln, die eine soziale Rolle konstituieren

Meme/Memplexe sind die Durchführungsmittel sämtlicher Prozesse sozialer Struktur-, Rollen-, Organisations- und Institutionenbildung.

begriffliche Schnittstelle: biologische Evolutionstheorie: Weitergabe jener Informationen, aus welchen biologische

Strukturen reproduziert werden, in chemisch codierter Form, nämlich in Genen soziologische Evolutionstheorie: Weitergabe jener Informationen, aus welchen soziale

Strukturen reproduziert werden, in kulturell codierter Form, nämlich in Memen Es zeigt sich: Alle Theoreme der Evolutionstheorie, in denen der Begriff des ‚Gens‘

bzw. dessen Derivate (Genpool und Genotyp; sowie Phän, Phänpool und Phänotyp) eine Rolle spielen, bleiben empirisch sinnvoll, wenn in sie der parallele Begriff des ‚Mems‘ und dessen Derivate eingesetzt werden (Mempool und Memotyp; sowie Phäm, Phämpool und Phämotyp).

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vereinfacht:Strukturbildung und Meme

Strukturen werden über Prozesse aufgebaut, bei denen die Replikation von Memen (= von kulturellen Mustern) eine große Rolle spielt. z.B. Mem (= kulturelles Muster) ‚Frauen gehören zu Haushalt

und Kindern!‘ Ändern sich Meme (=kulturelle Muster), so ändern sich auch

soziale Strukturen – vor allem dann, wenn grundlegende Meme verändert werden z.B. Mem ‚Frauen sollen gleiche Rollen spielen wie Männer!‘

Genau deshalb werden ‚Reformen‘ und ‚gesellschaftlicher Wandel‘ oft über das Hinwirken auf einen ‚Bewußtseinswandel‘ (= Veränderung bewußter und handlungsleitend akzeptierter kultureller Muster) angestrebt. z.B. Viktimisierungsargumente im Gender-Diskurs, Bemühen um

‚geschlechtsneutrale Sprache‘, proaktives ‚gender mainstreaming‘

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Zentralaussagen der Systemtheorie der Evolution Grundlage aller Evolution sind rein zufällige Variation, Mutation oder Rekombination von Genen /

Memen, die ihrerseits ‚Programme‘ zur Bildung biologischer / sozialer Strukturen sind. Im Lauf von Generationenfolgen werden, über Mutationen und Rekombinationen, Gene / Meme

miteinander gekoppelt, wobei Gene / Meme ‚höherer Ordnung‘ (in der Fachsprache der biologischen Evolutionstheorie: ‚Strukturgene‘, ‚Regulatorgene‘) ihrerseits für die Vornahme solcher Kopplungen sowie für den Einbau der verkoppelten Meme / Gene in komplexe Programmsequenzen sorgen (‚epigenetisches‘ System / ‚epimemetisches System‘).

Auch an den Struktur- und Regulatorgenen setzt das Spiel des Zufalls in Form von Variation, Mutation und Rekombination an, diesmal aber gleich ganze ‚Baugruppen‘ von biologischen / sozialen Systemen betreffend.

Nur solche Variationen, Mutationen und Rekombinationen von Genen / Memen aller Art werden sich durchhalten und verbreiten, welche zu den funktionellen Anforderungen aus der Umwelt an das mittels ihrer produzierte biologische oder soziale Gebilde passen (= äußere Selektionsbedingungen).

Folge: Bleibt die Umwelt stabil, so werden über viele Generationen bestehende Arten und Institutionen die funktionellen Anforderungen ihrer Umwelt gleichsam in ihrer eigenen Gestalt ‚abbilden‘ – so wie die Flosse des Fisches die hydrodynamischen Eigenschaften des Wassers ‚abbildet‘ oder Microsoft die Nachfragewünsche von PC-Benutzern (= Kerngedanke der Evolutionären Erkenntnistheorie; siehe Lorenz 1973).

Im Vorfeld dessen werden nicht alle beliebigen Variationen, Mutationen und Rekombinationenvon Genen / Memen zu einem lebensfähigen biologischen oder sozialen Gebilden führen, sondern nur solche, die dessen Grundbauplan nicht zerstören. Dieser setzt dem Spiel des Zufalls somit‚innere Selektionsbedingungen‘.

Folge: Biologische und soziale Gebilde entwickeln sich in Form von immer weiterer Überschichtung und Modifikation ihres einst entstandenen Grundbauplans bzw. durch funktionell äquivalente Ersetzung und anschließende Verkümmerung ihrer einst tragenden Elemente.

Eben macht ihre Entwicklung zu einer gerichteten, pfadabhängigen und dennoch ergebnisoffenen. Anders formuliert: Die Geschichte sedimentiert sich in einem Geschichte.zw

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= (implizite) Kategorien des CR-Ansatzes ‚Steuerungsstrukturen‘ aller Art

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Theorie- und Forschungsbereiche, aus denen analytisches Werkzeugzu gewinnen war:

Ausgangs- und Zentralfrage: Wie entstehen, stabilisieren und wandeln sich institutionelle Strukturen?

Fragestellung und Theoriestrukturdes Evolutorischen Institutionalismus

konkretisierende Anschlußfragen:

- Was sind ‚institutionelle Strukturen‘ als sozialer Aggregatzustand zwischen Wandel und Dauer?

- Wie kommen soziale Strukturen als Ausgangs- material institutioneller Strukturen überhaupt zustande?

- Wie wandeln sich (insti- tutionelle) Strukturen‘?

‚kognitive Landkarte‘ zum gesamten Forschungsfeld: Schichtenbau der Wirklichkeit

Wie über derlei hinausgelangen?

Theoriekandidaten mittlerer Reichweite v.a.:

- Historischer Institutionalismus (Pfadabhängigkeit …)- Rational choice-Institutio- nalismus (Stabilitäts- bedingungen …)- ökonomische Populationsöko- logie (strukturelle Trägheit …)

Wie methodisch ansetzen?

- Erklärung geschichtlicher Verlaufsmuster

- Institutionenmorphologie

- Evaluation institutioneller Lernprozesse

‚Institutionelle Analyse‘

Analysen der Konstruktion sozialer Strukturen und gesellschaftlicher Wirklichkeit (v.a. Ethnomethodologie)

Einsichten in die biologische Basis sozialen Handelns (v.a. Ethologie, Soziobiologie)

alltagstheoretische Kategorien: Wandel im Generationenwechsel, Krise, Verdichtung von Wandel (‚Beschleunigung‘), Neubildung, Zusammenbruch ...

Wie läßt sich ein ‚geistiges Band‘ all dieser Theorien finden und dem auf den Grund gehen, wovon sie handeln?

Allgemeine Evolutionstheorie

- Bindeglied zur institutionellen Analyse‘: Memetik

- Bindeglied zu praktischen Fragen des Institutionen- wandels: ‚Evolution als evaluierbarer Lernprozeß‘

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internationales System

(kulturspezifische) Wissensbestände, Deutungsroutinen, Normen

globale ‚natürliche Umwelt‘

supranationale Systeme

‚nationalstaatliche‘ politische Systeme

Organisationen / Institutionen

Rollen, Rollengefüge, Kleingruppen

‚hier und jetzt‘ lebende Einzelmenschen

genetisch verankerte Repertoires von Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Empfindung und Verhalten

Mesoebene

Mikroebene

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• (Mit-) Prägung von Systemen auf allen Wirklichkeitsschichten durch die Wirkung jeweils höherer und (!) niedrigerer Schichten; doch keinerlei ‚Determination‘ und somit auch keinerlei ‚Reduktionismus‘• Entstehen von neuartigen Systemeigenschaften auf den jeweils höheren Schichtebenen (‚Emergenz‘); doch keineswegs unabhängig von jenen Voraussetzungen, welche das Milieu der niedrigeren und höheren Schichten dem jeweiligen Sys- tem bietet

‚molekulare und (sub-) atomare Umwelt‘

neue Systeme entstehen jeweils zwischen zwei schon bestehenden Schichten

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Makroebene

Schichtenbau sozialer Wirklichkeit

Kernbereich institutioneller Analyse

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LILI

Institutionenbildung

(1) Menschen …

beziehen ihre Handlungen sinnhaft aufeinander und bauen Rollenstrukturen auf

Grundlage: ‚natürliche Sozialität‘ (d.h. ange- borene Kompetenzen)

(2) Es ist möglich, daß Menschen ein gemeinsames Ziel verfolgen oder sich gemeinsam abgrenzen:

• Leitidee (LI), Leitdifferenz (LD)

• Leitideenbündel, Leitdifferenzenprofil

Dabei: Wechselwirkungen von vorgeblen-deter und real befolgter Leitidee möglich!LI

LD LILILI

(3) Dann entstehen von dieser Leitidee usw. geordnete Strukturen, nicht selten in hier- archischer Schichtung, und sorgen für Hand- lungssicherheit / erwartbare Handlungsmuster

(4) Menschen können die Ordnungsvorstellun-gen und Geltungsansprüche dieser Leitidee usw. auch noch für sich und andere symbolisch zum Ausdruck bringen (‚Ästhetisierung‘) und so in der Tiefenschicht emotionaler Bindung verankern.

(5) Genau dadurch entsteht eine Institutionund wird – möglicherweise – verfestigt durch eine Reihe von Mechanismen

= ‚Dresdner institutionelle Analyse ‘

Evolutionstheorie I

(6) Anschließend prägt eine Institution (teilweise) einesteils die sie tragenden Menschen (‚Subjektformierung‘), andernteils die ‚Umwelt‘ der Institutionen / der sie tragenden Menschen

= oft ‚response‘ auf eine neue ‚challenge‘

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Evolutionstheorie I (Human-) Ethologie zeigt: Vieles Verhalten, das auch Menschen an den Tag legen,

taucht schon im Tierreich auf und wird folglich eine nicht allein kulturelle, sondern bereits kreatürliche (‚biologische‘) Grundlage haben. darunter: Territorialität, Possessivität, Rangstreben, Kooperationsfähigkeit,

Bestrafungsbereitschaft … dieser Befund ist sozialwissenschaftlich fruchtbar zu machen über eine Theorie des

‚Schichtenbaus sozialer Wirklichkeit‘ Spieltheorie und Populationsökologie zeigen: Nicht alle Verhaltensweisen sind auf

Dauer gleich stabil, weswegen sich in lange bestehenden Systemen unterschiedliche Handlungsstrategien in unterschiedlichen Häufigkeiten finden werden und es höchst plausible Muster im Auf und Ab ihrer jeweiligen Häufigkeiten gibt darunter: Habicht/Taube-Relation, ‚do ut des‘-Muster von Kooperation (‚tit for tat‘-

cooperation), reziproker ‚Altruismus‘ … sozialwissenschaftlich fruchtbar zu machen durch Einbau solcher Einsichten in Theorien

nachhaltig stabilen sozialen Handelns und der Institutionenbildung Soziobiologie erklärt: Die grundlegende Fähigkeit, so zu handeln und derlei

Handlungsstrategien auch wechselseitig zu unterstellen, wird zwar zufällig entstanden sein, hat sich aber deshalb so weit verbreitet, … weil Populationen mit anderen Handlungsstrategien nicht nachhaltig stabil waren bzw. weil Populationen mit selbstverständlicher Fähigkeit sowohl zur Kooperation als auch zur

Bestrafung kooperationsverweigernden Verhaltens in der Konkurrenz um knappe Ressourcen immer wieder gewannen und sich samt ihren Eigenschaften somit stärker verbreiteten als ihre Konkurrenten.

= ‚biologische Basis‘ allen sozialen Handelns und somit auch der Institutionenbildung

aber: nicht der zentrale Anwendungs-

bereich der Evolutionstheorie im Evolutorischen Institutionalismus!

unterschiedliche Erfolgsaussichten unterschiedlicher ‚responses‘ auf gleich welche ‚challenges‘ setzen den für Evolution grundlegenden Prozeß der – unterschiedlich erfolgreichen – Selektion aus Varianten in Gang

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Evolutionstheorie II: basaler Evolutions- mechanismus von Institutionen

Eine Institution zieht neue Mitglieder an (‚Novizen‘) und sozialisiert sie (‚memetische Replikation‘). Dabei kommt es zu Variation im Mempool: Die Novizen haben unterschiedliche Hintergründe, weswegen sie die

vermittelten ‚kulturellen Muster‘ nicht völlig identisch, sondern auch mehr oder minder unterschiedlich auffassen und sich variantenreich anverwandeln.

Immer wieder kommt es auch zu Mutationen (‚Weitergabefehlern‘) bei der memetischen Replikation: Meme werden – auch aufgrund von Problemen mit ihren Vehikeln – fehlerhaft weitergegeben; Meme werden kreativ neu- oder mißverstanden bzw. in neue, anderen Sinn stiftende Kontexte gerückt; Meme werden in bisher unbekannter Art neu kombiniert; neue Meme werden aus Negationen oder Abwandlungen bisheriger Meme erzeugt.

Viele Memvariationen oder Memmutationen (‚Memvarianten‘) werden … folgenlos sein nicht zu nachhaltig stabilen Verhaltensmustern und sozialen Strukturen führen, da sie nicht zu den handlungsleitenden

Selbstverständlichkeiten in der Institution oder zu den zu erfüllenden funktionellen Anforderungen passen (‚Fitness‘; ‚innere‘ Selektionsfaktoren vs. ‚äußere‘ Selektionsfaktoren).

Manche Memvarianten werden aber so gut zu den bisherigen ‚handlungsleitenden Selbstverständlichkeiten‘ (= inneren Selektionsfaktoren) in der Institution und zu den von der Institution zu erfüllenden Funktionen (= äußere Selektionsfaktoren) passen, daß ihre Träger (= entsprechend sozialisierte Mitglieder) in Konkurrenz mit anders sozialisierten Institutionsmitgliedern größere Durchsetzungs- und Karrierechancen haben (= memetische Reproduktionsvorteile).

Diese Memvarianten werden dann auch besonders große Chancen weiterer Weitergabe haben, womit sich im Lauf der Zeit der Mempool der Institution verändert und es zur Memdrift kommt. Diese mag im Nachhinein wie ein ‚logischer‘ oder ‚notwendiger‘ Prozeß anmuten, verdankt ihre Richtung aber nur dem Wechselwirken von zwei Faktoren:

zufällige, in einigen Einzelfällen wohl auch intentionale Memvariationen und Memmutationen ( Kontingenz) größere Durchsetzungschancen solcher Memvarianten, die (1) zu den wirksamen ‚kulturellen Mustern‘ einer Institution und (2) zu

den von ihr zu erfüllenden funktionellen Anforderungen passen, also: welche die Filterwirkung sowohl der inneren (=1) als auch der äußeren (=2) Selektionsfaktoren überstehen.

Auf genau diese Weise sind die kulturellen Voraussetzungen (= intern) einer Institution sowie die funktionellen Anforderungen an sie (= extern) höchst folgenreich für institutionelle Evolutionsprozesse.

‚Generation‘ bei Institutionen = die Kohorte der zu einem gemeinsamen Zeitpunkt eintretenden Novizen – mit den gleichen Überlappungen, wie sie sich bei einer biologischen Art im Zusammenleben von Großeltern, Eltern und Kindern ergeben.

keinerlei ‚Biologismus‘

oder Reduktionismus!

kann unabsichtlich oder absichtlich geschehen, letzteres etwa bei Reformen

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Schnittstelle: ‚politics of reality‘ / Ethnomethodologie

Steuerungsmuster von Replikationsprozessen

Bildung und Reproduktion von Institutionen vollziehen sich auf der Grundlage vieler an sich verfügbarer ‚kultureller Muster‘ (= Meme, Memplexe), von denen meist nur ein Teil jenem Handeln zugrunde gelegt wird, das seinerseits soziale Strukturen produziert, stabilisiert, modifiziert usw.

Beispiel: Binnen weniger Jahrzehnte ließ sich in Deutschland der so unterschiedliche Parlamentarismus Weimars, des III. Reiches, der Bundesrepublik Deutschland und der DDR aufbauen und stabilisieren, ohne daß die in Deutschlands politischer Kultur verfügbaren ‚Muster‘ (= Meme, Memplexe) sich grundsätzlich verändert hätten.

Frage: Wie wird gesteuert, welche der an sich verfügbaren Meme jeweils in welcher Weise und Reihenfolge handlungsleitend verwendet und institutionenbildend kombiniert werden?

Antwort aus der Systemtheorie der Evolution: Reformulierung der Frage: Wie wird gesteuert, welche Elemente des Mempools einer

Institution aktiviert, in einer bestimmten Hierarchie und zeitlichen Abfolge kombiniert, dergestalt bei der Sozialisation von Novizen zu Bestandteilen von deren Memotyp gemacht werden, anschließend deren Phämotyp (mit-) prägen und somit den Phämpool der Institution (mit-) erzeugen?

Antwort: Es sind zwei Schichten von Memen zu unterscheiden: (1) die an sich verfügbaren ‚kulturellen

Muster‘, und (2) solche ‚Baupläne‘ (auch Meme!), welche – geleitet von den Interessen und getragen von den Machtmöglichkeiten ihrer Träger/Verfechter – festlegen, welche der Meme/Memplexe aus (1) auf welche Weise dem tatsächlichen Handeln und dessen ‚institutionell korrekten‘ Deutungen zugrunde gelegt werden.

Beispiel: In NS-Diktatur bzw. DDR setzten NSDAP bzw. SED durch, daß die für Parlamentarismus typischer-weise verfügbaren Handlungsweisen und Deutungsmuster nur in einer sehr besonderen Auswahl, Überformung und Handhabung beim institutionellen Handeln verwendet wurden: Leitidee.

Name für diese steuernden ‚Baupläne‘ (2) : ‚epimemetisches System‘ ( ‚epigenetisches System‘)

Überlagern der deklamatorisch bekundeten Leitidee einer Institution durch die operativ tatsächlich befolgte Leitidee; etwa: Volkskammer der DDR

Achtung: Das epimemetische System unterliegt dem gleichen basalen Evolutions- mechanismus wie alle Meme; nur haben Variation und Selektion im epimemetischen System wesentlich größere Hebelwirkungen – insbesondere dann, wenn es um die Reproduktion von Trägern struktureller oder funktioneller Bürden geht! z.

B.:

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institutionengenerierende und institutionenverfestigende Mechanismen

‚institutionengenerierende‘ bzw. institutionenverfestigende‘ Mechanismen‘, z.B. … symbolische

Selbstrepräsentation Ästhetisierung Enthistorisierung Stabilitätsfiktionen Machtverdeckung Subjektformierung Kanonisierung

‚institutionelle Mechanismen‘, z.B. Wiederwahlmechanismus Mehrheitsmechanismus Kontrasignaturmechanismus Verantwortlichkeitsmechanismus Koppelungsmechanismus Gegenseitigkeitsmechanismus Mannschaftsmechanismus Übersteuerungsmechanismus

Achtung: ‚institutionengenerierende‘ und ‚institutionenverfestigende‘ Mechanismen heißen bei Rehberg & Göhler sowie im Projekt TAIM ‚institutionelle Mechanismen‘ – ein Begriff, der im Evolutorischen Institutionalismus eine andere Bedeutung hat, nämlich:

≠ ‚institutionelle Mechanismen‘

Institutionelle Mechanismen sind verläßlich auslösbare und zielgerichtet einsetzbare Handlungsketten, die – angeleitet von Interessen, entlang von Regeln und beruhend auf Positionen sowie auf den mit diesen Positionen verbundenen Ressourcen – in und zwischen Sozialorganisationen zur Erfüllung von Funktionen genutzt werden können, sofern Interessen-, Struktur- und Verhaltensstabilität für Erwartungssicherheit und verläßlich wirkende Antizipationsschleifen sorgen.

Was dazu beiträgt, die Stabilisierung eines Sozialarrangements um eine Leitidee/Leitdifferenz zu för-dern bzw. zu sichern, ist ein ‚institutionengenerierender‘ bzw. ‚institutionenverfestigender‘ Mechanismus‘.

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LI

Institution und Umwelt (‚Nische‘)

Positionen

formale und informale Regeln, welche Positionen aufeinander beziehen

Hierarchieebenen von Positionen und von Regeln

gegeben / geformt: Wissensbestände und Kompetenzen (samt ihren ‚Kanonisierungen‘) bei den Akteurenund Adressaten der Institution

gegeben / geformt: Interessen der Akteureund Adressaten der Institution

Um

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Leistungen, welche die Institution für ihre Umwelt (‚Nische‘) erbringt

Ressourcen, welcher die Institution aus ihrer Umwelt (‚Nische‘) bedarf

Leistungsanforderungen, welche die Umwelt (‚Nische‘) einer Institution dieser stellt (= funktionelle Anforderungen, ‚Challenges‘)

Inst

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rekursive Wirkung der Funktionserfüllung einer Institution über ihre Umwelt (‚Nische‘) auf die Bedingungen ihrer Reproduktion

Funktionen

Elemente institutioneller Mechanismen =

‚Nischenanpassung‘, d.h.: der Nische an die Institution!

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Umwelt und (ökologische) ‚Nische‘ einer Institution

Umwelt = alles, was nicht zur Institution A gehört Nische = jener Teil der Umwelt einer Institution A, der für die Institution A

wichtig ist: finanzielle, personelle, materielle und informationelle Ressourcen, welche die

Institution A für ihre Existenzsicherung und Funktionserfüllung benötigt; Personen oder andere Institutionen (‚Akteure‘), die bei der Entscheidung über

die Zuteilung dieser Ressourcen eine Rolle spielen; andere Systeme oder Institutionen, für welche die Institution A Leistungen

erbringt und dafür Ressourcen erhält; jene Personen oder Institutionen, die mit der Institution A um gleiche

Ressourcen konkurrieren oder ähnliche Funktionen erfüllen wie die Institution A.

analytische Folgen Die Nische einer Institution ändert sich nicht nur gemeinsam mit

Veränderungen der Umwelt, sondern auch gemeinsam mit Veränderungen im Funktions-spektrum der Institution A.

Während die Institution A auf ihre Umwelt keinen nennenswerten Einfluß haben mag, kann sie sehr wohl nennenswerten Einfluß auf ihre Nische haben – etwa: indem sie andere Teile ihrer Umwelt als bislang durch Modifikation ihrer Leitidee oder Verlagerung ihres Funktionsspektrums für sich relevant macht.

Beispiel: Ein Unternehmen weicht auf neue Produkte oder Märkte aus.

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Die ‚Architektur‘ einer Institutionund die Folgen von deren Veränderung

= Institution, d.h.: ein verfestigter ‚Aggregatzustand‘ sozialer Wirklichkeit, der dauerhaft sein, sich wandeln oder wieder ‚entfestigen‘ kann.

Systemaufgabe ASystemaufgabe A: Aufbau und Sicherung tragfähiger Strukturen

dabei: ‚Unten‘ müssen sehr belastungsfähige grundlegende Regeln und Positionen bestehen, da ihr Wegbrechen ihren ganzen ‚Überbau‘ ebenfalls wegbrechen ließe

Analyse der Muster institutionellen Wandels

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Die ‚Architektur‘ einer Institutionund die Folgen von deren Veränderung

= Institution, d.h.: ein verfestigter ‚Aggregatzustand‘ sozialer Wirklichkeit, der dauerhaft sein, sich wandeln oder wieder ‚entfestigen‘ kann.

Träger ‚struktureller Bürden‘: Müssen gebildet sein, bevor sich weitere Strukturschichten auf ihnen aufbauen können, und müssen diese dauerhaft tragen können (d.h. ‚verkoppelt sein‘)

wegbrechender Teil

der Institution

Systemaufgabe ASystemaufgabe A: Aufbau und Sicherung tragfähiger Strukturen

dabei: ‚Unten‘ müssen sehr belastungsfähige grundlegende Regeln und Positionen bestehen, da ihr Wegbrechen ihren ganzen ‚Überbau‘ ebenfalls wegbrechen ließe

z.B.: ein Parlament im parlamen-tarischen Regierungssystem

Abschaffung der Regel, wonach das Parlament die Regierung stürzen kann

Wegfall parlamentarischen Rückhaltsfür die Regierung

Wegfall von Fraktionsdisziplin

Wandel der Institution dieses Parlaments

Achtung: Soziale Strukturen werden anhand von Memen (re-) generiert, weswegen es bei ‚strukturellen‘ Bürden letztlich um memetische Bürden geht!

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… ein zweites Muster institutionellen Wandels:

= Institution, d.h.: ein verfestigter ‚Aggregatzustand‘ sozialer Wirklichkeit, der dauerhaft sein, sich wandeln oder wieder ‚entfestigen‘ kann.

Systemaufgabe ASystemaufgabe A: Aufbau und Sicherung tragfähiger Strukturen

dabei: ‚Unten‘ müssen sehr belastungsfähige grundlegende Regeln und Positionen bestehen, da ihr Wegbrechen ihren ganzen ‚Überbau‘ ebenfalls wegbrechen ließe

Träger ‚struktureller Bürden‘: Müssen gebildet sein, bevor sich weitere Strukturschichten auf ihnen aufbauen können, und müssen diese dauerhaft tragen können (d.h. ‚verkoppelt sein‘)

Umwelt

der

Instit

ution

Leistungsanforderungen (‚funktionelle Anforderungen‘) aus der Umwelt an die Institution (… sonst keine Ressourcen!)

Funktion der Institution für ihre Umwelt (manifest oder latent, instrumentell oder symbolisch)

Was geschieht, wenn z.B. ein Parlament keine gesetzgebenden Mehrheiten mehr zustande bringt?

Systemaufgabe BSystemaufgabe B: Sicherung funktionserfüllender Strukturen

dabei: In der Regel bestehen ‚Funktionsketten‘, weshalb die Entfernung von tragenden Kettengliedern auch die ganze folgende Funktionskette reißen ließe

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= Institution, d.h.: ein verfestigter ‚Aggregatzustand‘ sozialer Wirklichkeit, der dauerhaft sein, sich wandeln oder wieder ‚entfestigen‘ kann.

Systemaufgabe ASystemaufgabe A: Aufbau und Sicherung tragfähiger Strukturen

dabei: ‚Unten‘ müssen sehr belastungsfähige grundlegende Regeln und Positionen bestehen, da ihr Wegbrechen ihren ganzen ‚Überbau‘ ebenfalls wegbrechen ließe

Träger ‚struktureller Bürden‘: Müssen gebildet sein, bevor sich weitere Strukturschichten auf ihnen aufbauen können, und müssen diese dauerhaft tragen können (d.h. ‚verkoppelt sein‘)

Umwelt

der

Instit

ution Leistungsanforderungen (‚funktionelle Anforderungen‘) aus

der Umwelt an die Institution (… sonst keine Ressourcen!)

Funktion der Institution für ihre Umwelt (manifest oder latent, instrumentell oder symbolisch)

Systemaufgabe BSystemaufgabe B: Sicherung funktionserfüllender Strukturen

dabei: In der Regel bestehen ‚Funktionsketten‘, weshalb die Entfernung von tragenden Kettengliedern auch die ganze folgende Funktionskette reißen ließe

wegbrechender Teil der Funktionserfüllung

Träger ‚funktioneller Bürden‘: Müssen bestehen bleiben, damit die jeweilige Funktion erfüllt werden kann

keine Gesetzgebungs-mehrheit

reduzierte rechtsstaatliche Problemlösungsmöglichenten

reduzierte Möglichkeiten ‚guten Regierens‘

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= Institution, d.h.: ein verfestigter ‚Aggregatzustand‘ sozialer Wirklichkeit, der dauerhaft sein, sich wandeln oder wieder ‚entfestigen‘ kann.

Systemaufgabe ASystemaufgabe A: Aufbau und Sicherung tragfähiger Strukturen

dabei: ‚Unten‘ müssen sehr belastungsfähige grundlegende Regeln und Positionen bestehen, da ihr Wegbrechen ihren ganzen ‚Überbau‘ ebenfalls wegbrechen ließe

Träger ‚struktureller Bürden‘: Müssen gebildet sein, bevor sich weitere Strukturschichten auf ihnen aufbauen können, und müssen diese dauerhaft tragen können (d.h. ‚verkoppelt sein‘)

Umwelt

der

Instit

ution

Leistungsanforderungen (‚funktionelle Anforderungen‘) aus der Umwelt an die Institution (… sonst keine Ressourcen!)

Funktion der Institution für ihre Umwelt (manifest oder latent, instrumentell oder symbolisch)

Systemaufgabe BSystemaufgabe B: Sicherung funktionserfüllender Strukturen

dabei: In der Regel bestehen ‚Funktionsketten‘, weshalb die Entfernung von tragenden Kettengliedern auch die ganze folgende Funktionskette reißen ließe

Träger ‚funktioneller Bürden‘: Müssen bestehen bleiben, damit die jeweilige Funktion erfüllt werden kann

• Veränderungen an den Trägern struktureller (= memetischer) oder funktioneller Bürden werden weitest-reichende Folgen haben für die … - Stabilität der Institution - Funktionsfähigkeit der Institution

• Je ‚tiefer‘ eine Veränderung (z.B. durch Reformen) ansetzt, um so schwerer vorhersehbar werden ihre Auswirkun-gen auf den ‚oberen‘ Schichten der Institution sein. - ‚oben‘: wenig Risiko / viele Freiheitsgrade beim ‚Experimentieren‘ - ‚unten‘: großes Risiko / wenig Freiheits- grade beim ‚Experimentieren‘

• Veränderungen bei den funktionellen Anforderungen an eine Institution kön-nen die bisherigen Träger funktioneller Bürden nutzlos (‚bürdelos‘) machen. eröffnet strukturelle Freiheitsgrade des ‚Experimentierens‘ (vgl. CR-Ansatz).

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Wechselwirkungen von ‚Herausforderungs-rigidität‘ und ‚Reaktionspersistenz‘

Anpassungsdruck neuer Umweltbedingungen

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Beibehaltung etablierter Orientierungs- und Handlungsmuster

Etablierung neuer Orientierungs- und Handlungsmuster

äußerliche Anpassung etablierter Orientierungs- und Handlungsmuster; ohne nachhaltige Stabilität; Quelle von Spannungen

hoch gering

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klar ‚gerichtete‘ Entwicklung

Improvisationen, richtungs-loses Experimentieren, bisweilen nachhaltig wirksame Innovationen

Offenheit für das Neueinsetzen einer fortan klar ‚gerichteten‘ Entwicklung

= Wechselwirkungenvon funktionellen und memetischen Bürde-strukturen im Bauplan von Arten oder Institutio-nen; Teleonomie

Improvisationen, richtungs-loses Experimentieren, bisweilen nachhaltig wirksame Innovationen

= challenge für funktionelle Bürdenstrukturen

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Folge typischer Eingriffe in funktionelle und memetische Bürdestrukturen: typische historische Verlaufsmuster

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‚funktionelle Bürden‘ Eine Struktur, welche eine Funktion erfüllt, trägt eine ‚funktionelle Bürde‘

Beispiele: Fundamente eines Hauses tragen die Mauern Disziplinübende Fraktionen im parlamentarischen Regierungssystem tragen eine

Regierung Üblich sind Schichten von funktionellen Bürden:

Beispiele: Die Fundamente eines Hauses tragen die Mauern, die Mauern tragen das Dach, das

Dach trägt im Winter den Schnee Disziplinbereite Abgeordnete tragen die Fraktionsführung, die Fraktionsführung die

Regierung, die Regierung eine berechenbare Position in einer internationalen Organisation

Folglich wird es fatale Folgen haben, an den tieferen Trägerschichten funktioneller Bürden etwas zu verändern, solange nicht funktionelle Äquivalente zur verläßlichen Erfüllung der bisherigen Trageleistung bereitstehen. Beispiel: Es ist fatal, eine stabile Regierung eines Landes zu stürzen, solange nicht

eine alternative stabile Regierung zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung verfügbar ist oder wenigstens verläßlich in Aussicht steht; siehe Irak!

Soll eine Institution nachhaltig stabil sein (‚Passung‘), müssen ihre funktionserfüllenden Strukturen zu den realen Funktionsanforderungen der Umwelt passen – wobei es keine Garantie dafür gibt, daß sich das wirklich so einspielt!

Funktionelle Bürdestrukturen geraten in Gefahr,• bei plötzlichen neuen Anforderungen aus der Umwelt (‚challenges‘)• bei Problemen mit der (memetischen) Replikation der funktionserfüllenden Strukturen ( d.h. bei Problemen mit den memetischen Bürdestrukturen)

NB: Wichtige geschichtliche Verlaufsmuster resultieren aus Eingriffen in die Trägerstrukturen funktioneller Bürden!

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‚memetische Bürden‘ Ein ‚Mem‘ ist (unter anderem) ...

ein Informations- oder Sinndeutungsmuster, das weitergegeben werden kann (z.B.eine Aussage darüber, wie Fraktionsdisziplin entsteht oder wie sie zu verstehen ist)

eine Regel, die befolgt werden kann (z.B. eine Geschäftsordnungsregel) eine Handlung, die nachgeahmt werden kann (z.B. ein Führungsstil)

Wird durch ein Mem A die unter ‚kompetenten kulturellen Kollegen‘ ( Ethnometho-dologie) als korrekt geltende Bedeutung des Mems B festgelegt, so kann sich A nicht mehr frei verändern, ohne daß damit auch B verändert wird. Beispielsweise tragen Meme, von denen folgendes abhängt, eine ‚memetische Bürde‘:

Plausibilität einer weitergehenden Argumentation oder Interpretation (z.B. ist das Werturteil unplausibel ‚Es ist gut, daß es Fraktionsdisziplin gibt!‘, wenn nicht zunächst verstanden wurde, wie und zu welchem Zweck Fraktionsdisziplin überhaupt entsteht)

Gültigkeit bzw. Überzeugungskraft einer Regel (z.B. wird eine Rechtsverordnung ungültig, wenn das sie begründende Gesetz außer Kraft tritt)

Nachahmungswahrscheinlickeit einer Handlung (z.B. werden Handlungen charismatischer oder angesehener Politiker eher nachgeahmt als die von für ganz unbegabt gehaltenen Politikern)

Formeln dafür: ‚A und B sind hierarchisch miteinander verkoppelt‘; ‚A ist mit B bebürdet‘; ‚Mem A trägt Mem B als seine Bürde‘

Üblich sind – wie bei funktionellen Bürden – Schichten von memetischen Bürden. Folglich wird es fatale Folgen haben, an ‚tieferliegenden‘ Memen etwas zu verändern,

solange nicht funktionelle Äquivalente zur verläßlichen Erfüllung der bisherigen Trageleistung bereitstehen. z.B. wäre es fatal, das Verbot von Kinderpornographie aufzuheben, wenn man einen Markt

für Kinderprostitution gerade nicht will; analog: Drogen, Gewalt ...

Wie erfolgt die memetische Bebürdung von A? u.a. durch die Rückwirkung antizipierter Folgen auf ihretwegen dann unterlassene Veränderungen von A, oder durch rechtsförmliche Erschwerung von Veränderungen des Mems A.

≈ stehen ‚im Hintergrund‘ aller strukturellen Bürden

… also beschränken memetische Bürdestrukturen als ‚innere Selektionsbedingungen‘ jene Reaktionen, die eine Institution auf neue Umweltanforderungen hier und jetzt geben kann. Memetische Bürdestrukturen kanalisieren dergestalt die ‚responses‘ auf neue ‚challenges‘.

NB: Wichtige geschichtliche Verlaufsmuster resultieren aus Eingriffen in die Trägerstrukturen memetischer Bürden!

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Wechselwirkung von (ideologisch geprägten) Weltbildapparaten und memetischer Fitness

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Folge: ‚memetische Attraktivität‘ von Veränderungsvorstellungen führt nicht notwendigerweise zu ‚funktioneller Tauglichkeit‘; und somit scheitern viele höchst plausibel anmutende Reformen!

Grundlage für Veränderungen: Vorstellungen

von zu lösenden Problemen, von wünschenswer-

ten Entwicklungen und von dafür geeigneten MittelnGrundlage dessen: persönliche und institutionelle

‚Weltbildapparate‘ ( Evolutionäre Erkenntnistheorie)

Strukturen erfüllen Funktionen z.B. Parteien die Funktion politischer Rekrutierung

Veränderte Strukturen werden bisherige Funktionen manchmal besser, häufiger schlechter und bisweilen überhaupt nicht mehr erfüllen. z.B. verächtlich gemachte, wenig attraktive Parteien die Funktion politischer

Rekrutierung Zu genau solchen, nicht verläßlich vorhersagbaren Effekten werden

dann auch (oft auch: bewußt) veränderte Meme führen. z.B. ein gesellschaftlich immer weiter kultivierter ‚Anti-Parteien-Affekt‘

Es gibt keine Garantie dafür, daß memetisch attraktive Veränderungen zu funktionell besser geeigneten Strukturen führen. z.B. die Schwächung der Stellung von Parteien zur Rekrutierung besseren

politischen Personals Besonders dramatische Konsequenzen können darum Veränderungen an

Trägern solcher memetischer Bürden haben, die ihrerseits dem Aufbau und der verläßlichen Reproduktion funktionell stark bebürdeter Strukturen dienen. z.B. die Verächtlichmachung von Parteien für das Funktionieren eines von starken

Parteien getragenen politischen Systems

Folgen von Eingriffen in funktionellebzw. memetische Bürdestrukturen

Folge typischer Reformversuche von funktionellen und memetischen Bürdestrukturen: typische historische Verlaufsmuster

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Umwelt / Nische

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Ursache III: Wandel in der Umwelt/Nische

• ‚Turbulenzen‘, d.h. mehr oder minder chaotische Veränderungsprozesse außerhalb der Institution• veränderte funktionelle Anforderungen an die Institution (manifest oder latent, instrumentell oder symbolisch)

Wandel von Institutionen

Ursache II: Veränderungen wirklichkeits-konstruktiver Prozesse• phämotypische Variation und Mutation• memetische Variation und Mutation• epimemetische Variation und Mutation

Ursache I: Wechselwirkungen zwischen Generationenwechsel und Institutionalität

• veränderte biographische Prägungen von Novizenkohorten führen zu Variationen im Phäm- und Mempool• Mutationen bei memetischer Replikation im Sozialisationsverlauf

Generationen, welche in die Institution eintreten, sie durchlaufen und aus ihr ausscheiden

Sieben unabhängig (!) voneinander wirkende Ursachen von Wandel, die besonders weitreichenden, beschleunigten oder sich verdichtenden institutionellen Wandel genau dann nach sich ziehen werden, wenn es zu Veränderungen an den Trägern struktureller (memetischer) oder funktioneller Bürden kommt.

Info

Info

‚challenge‘

‚response‘

= Ursachen und Formen typischer Verlaufsmuster

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starre Strukturen vs. Freiheitsgrade von Wandel

meist schwer zu ändern, ganz gleich ob zufällig oder absichtlich: die fundamentalen Träger memetischer oder funktioneller Bürden

Beispiele: Träger memetischer Bürden: Verfassung eines Staates, Konstitutionen (oder gar die Regel) eines Ordens Träger funktioneller Bürden: ein Parlament als Organ der Gesetzgebung, das Amt des Ordensoberen als Leitungsorgan seiner Institution

oft leicht zu ändern, sowohl zufällig als auch absichtlich: die ‚äußeren‘ bzw. ‚oberen‘, weder memetisch noch funktionell bebürdeten Strukturschichten einer Institution

Beispiele: Detailvorschriften in einem Ministerium zur Abrechnung von Reisekosten funktionelle Details am Habit eines Ordens (Art des Stoffes, Länge des Gewands …)

Folgen: Eingriffe an fundamentalen Trägerschichten memetischer oder funktioneller Bürden …

werden entweder in der Praxis verpuffen oder zu dramatischen Veränderungen der Institution führen – möglicherweise

bis hin zu Krisen mit für die Institution selbstzerstörerischen Folgen Eingriffe an den ‚oberen‘ bzw. ‚äußeren‘ Strukturschichten einer Institution …

werden leicht möglich sein, am ‚Bauplan‘ und an der grundsätzlichen Funktionslogik der Institution nur wenig ändern.

Das heißt: In der Regel werden Institutionen … hinsichtlich ihres ‚Grundbauplans‘ sich nur sehr langsam durch Überbauung und

Umnutzung ihrer Grundstrukturen verändern oder aber, bei im Wortsinn ‚tief greifenden‘ Reformen, in Krisen geraten und im Anschluß an solche Krisen …

entweder einen Teil der Reformen rückgängig machen oder sich durch Veränderung ihrer Leitidee(n) auf eine andere

memetische Grundlage stellen und / oder sich auf andere Funktionen ausrichten oder zerfallen.

‚Restabilisierung‘

aber: keinerlei Garantie, daß sich nach

strukturellen Veränderungen weiterhin

die funktionellen Bürden tragen lassen!

große Starrheit wenig Freiheitsgrade

Genau das gibt der Entwicklung von Institutionen ihre ‚Richtung‘!

dann: Krise der Institution‘

Wandel dennoch leicht aus-gelöst durch epimemetische Variation und Mutation

geringe Starrheit viele Freiheitsgrade

Prägefaktoren und Formenvon historischen Verlaufsmustern:

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Richtung von Wandel

‚Teleonomie‘ bzw. ‚Orthogenese‘ = Institutioneller Wandel vollzieht sich so, daß auf fixierten, memetisch und funktionell stark bebürdeten Strukturen weitere institutionelle Strukturen aufgebaut werden, die zwar nach und nach das Aussehen und Funktionieren der Institution verändern werden, doch eben innerhalb der Prägeform eines beibehaltenen Bauplans. Goethe: ‚geprägte Form, die lebend sich entwickelt‘ Beispiel: Entwicklung von den Landständen über die Herren- und Abgeordnetenhäuser

des Frühparlamentarismus zu den heutigen (bikameralen) Parlamenten ‚Pfadabhängigkeit‘ = auch ganz zufällig aufgebaute Strukturen können sich

memetisch und funktionell bewähren. Sie werden dann memetisch und funktionell weiter bebürdet und legen damit fest, welche Veränderungen an den ‚oberen‘ bzw. ‚äußeren‘ Strukturen einer Institution schadlos möglich sind. Die weitere Entwicklung ist dann teleonom abhängig vom an einer bestimmten Stelle zufällig eingeschlagenen Entwicklungspfad. Beispiel: USA legten sich bei der Verfassungsgebung eine republikanische Version des

im 18. Jahrhundert im englischen Mutterland entstandenen Machtgleichstands zwischen Krone und Parlament zu (‚präsidentielles Regierungssystem‘), das sich memetisch und funktionell gut bewährte; in England hingegen ging der Machtaufstieg des Parlaments weiter, reduzierte die Krone auf symbolische Funktionen und entwickelte sich ins ‚parlamentarische Regierungssystem‘

Theoretische (‚metahistorische‘) Begriffezur Erfassung der Geschichtlichkeit von Institutionen:

keinerlei Teleologie, Determinismus, Finalismus, Historizismus !

sondern: Die Richtung von Evolutions-prozessen ergibt sich ganz einfach aus der Selektionswirkung fixierter Baupläne

= ein typisches Verlaufsmuster

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‚response‘

institutionelle ‚Fitness‘, Passungs-mängel und Reformen

= ‚institutionelles Lernen‘

= aufgezwungener, mitunter nicht mehr zu bewältigender Institutionenwandel

institutionelle Reformen

= Chancen und Risiken von institutionellen Reformen

stabiler Zustand einer Institution: Sie erbringt für ihre Umwelt / Nische solche Leistungen, in Austausch für

welche sie jene Ressourcen erhält, die für ihr Weiterbestehen ausreichen. Begriffe: ‚Passung‘; Fähigkeit, diese zu sichern: ‚Fitness‘

Veränderungen dieses stabilen Zustands ergeben sich bei … Wegbrechen wichtiger Träger von memetischen oder funktionellen Bürden

durch faktisch – auch unabsichtlich! – falsch ansetzenden inner-institutionellen Wandel

Veränderungen der funktionellen Anforderungen der Umwelt an die Institution, so daß bisherige Funktionsketten leerlaufen und Ressourcenentzug einsetzt

Turbulenzen in der Umwelt, welche die bisherige funktionelle oder strukturelle Passung der Institution an ihre Umwelt beeinträchtigen.

Folgen: entweder …

korrigiert die Institution Pathologien inner-institutionellen Wandels verändert sie ihre Leitidee(n) und Strukturen so, daß sie den neuen

funktionellen Umweltanforderungen ressourcensichernd gerecht werden kann schafft sie es, durch Mobilisierung von Ressourcen Umweltturbulenzen abzupuffern

oder die Institution gerät in eine Krise mit für die Institution möglicherweise selbstzerstörerischen Folgen

Grundlage: von den ‚institutionellen Weltbildapparaten‘ vermittelte Lagebilder, welche (eher) zutreffend oder (eher) falsch sein können.

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= typische geschichtliche Verlaufsmuster

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Institutionen als erkenntnisgewinnende Systeme Institutionenbildung und Institutionenwandel beginnen oft recht zufällig: Zwischen Handelnden und ihrer Umwelt /

Nische wird ein – durch Selbstsymbolisierung usw. – sich selbst stabilisierendes Strukturgefüge aufgebaut. Manche Strukturen bewähren sich:

memetisch: Sie lassen sich bei der alltagspraktischen Wirklichkeitskonstruktion routinemäßig und auch unter Belastungen verläßlich reproduzieren

funktional: Sie erbringen für ihre Umwelt / Nische solche Leistungen, im Gegenzug für welche sie bestandssichernde Ressourcen erhalten.

Memetisch und funktional bewährte Strukturen können bebürdet werden (= institutionelle Ausdifferenzierung): Mittels Variation, Mutation, Rekombination handlungsleitender Meme werden sie – innerhalb des gleichen Grundbauplans – durch immer weitere (‚höhere‘, ‚äußere‘) Schichten von Strukturen überlagert. So entstehen auch neue institutionelle (Unter-) Arten.

Bei diesem Überlagerungsprozeß wirken innere und äußere Selektionsfaktoren: innere: Nur solche Memvarianten werden zum nachhaltigen Aufbau weiterer Schichten sozialer Strukturen beitragen, welche – gerade

auch mit ihren sozialstrukturellen Konsequenzen – zum mehr oder minder starren Grundbauplan passen. Die anderen Memvarianten geraten entweder außer Gebrauch oder führen auf den Weg zum Zusammenbruch der Institution.

äußere: Nur solche Memvarianten werden zum nachhaltigen Aufbau weiterer Schichten sozialer Strukturen beitragen, die zu jenen funktionellen Anforderungen passen, welche die Umwelt / Nische an die Institution richtet, oder die es gar erlauben, neue ressourcenverschaffende Funktionen zu übernehmen. Die anderen Memvarianten geraten entweder außer Gebrauch oder führen auf den Weg zum Zusammenbruch der Institution.

Durch diese inneren und äußeren Selektionsfaktoren wird das Möglicheitsfeld des – nach wie vor ‚blinden‘ – Zufalls für nachhaltig bestandsfähige Memvariation und Memmutation immer stärker eingeengt.

Insbesondere werden sich keine Memvarianten dauerhaft durchsetzen, welche die Erfüllung der an eine Institution gerichteten funktionellen Anforderungen unmöglich machen, da in diesem Fall der Institution Ressourcenentzug droht und, einmal eingetreten, im Lauf der Zeit zum Zusammenbruch der Institution führen wird.

Aufgrund dieser scharfen Selektion von Memvarianten durch die äußeren Selektionsbedingungen (= Umwelt) werden sich für die nachhaltige Reproduktion der institutionellen Strukturen nur solche Meme erhalten, die für einen solchen Bauplan der Institution (= innere Selektionsbedingung) sorgen, welcher zu einer in ihre Umwelt / Nische passenden Institution führt.

Solange die Umwelt / Nische stabil bleibt, werden ihre für die Institution wichtigen Merkmale darum immer besser im Bauplan der Institution gleichsam ‚nachgebildet‘. Genau darin sind Institutionen erkenntnisgewinnende Systeme und können einem Gesellschaftssystem, das über sie verfügt, seinerseits Evolutionsvorteile verschaffen.

Verändert sich die Umwelt, nicht aber alsbald auch das – strukturell bedingte – Funktionsprofil der Institution, so gerät diese Institution in eine ‚evolutionäre Sackgasse‘

Folgerung: Sehr lange bestehende Institutionen hatten entweder Glück – oder sind besonders lernfähig und darin vorbildhaft (= ‚memetisch fit‘)

Achtung: Institutionen können auch ihre Umwelt verändern und ihre Nischen an sich selbst anpassen!

= typische geschichtliche Verlaufsmuster

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Verlaufsmuster von Institutionenwandel

Wandel einer Institution im Generationenwechsel entsteht durch Variationen im Phäm- und Mempool bei veränderten biographischen Prägungen von

Novizenkohorten und / oder durch Mutationen / Rekombinationen bei der memetischen Replikation im Sozialisationsverlauf

Krise einer Institution entsteht durch inner-institutionellen Wandel, der zum Wegbrechen von wichtigen Trägern

memetischer und funktioneller Bürden führt (= pathologischer Wandel); durch Veränderung der funktionellen Anforderungen der Nische an die Institution; oder durch Umweltturbulenzen

Restabilisierung einer in die Krise geratenen Institution kann gelingen durch freiwilliges oder aufgezwungenes institutionelles Lernen (d.h. durch Reformen in

Gestalt einer Veränderung von Leitidee(n) und / oder von funktionserfüllenden Strukturen) sowie – zeitweise – durch die Erschließung (weiterer) krisenabpuffernder Ressourcen (z.B. solchen zur Verdichtung von Symbolisierung und/oder Repression)

Verdichtung institutioneller Wandlungsprozesse ergibt sich auf den ‚oberen‘ oder ‚äußeren‘ Strukturschichten einer Institution, sobald die mit ihnen

memetisch oder funktionell bebürdeten Trägerstrukturen aufgrund pathologischer Wandlungsprozesse wegbrechen und an unerwartet vielen Stellen auch ganz unerwartete Wandlungsprozesse auslösen. Zeitlich wird das als ‚Beschleunigung von Geschichte‘ erfahren.

institutionelle Typogenese Entstehung einer neuen Variante der sich wandelnden Institution oder überhaupt einer

neuen Art von Institution entweder durch Ausrichtung der bisherigen Institution an einerneuen Leitidee bzw. Leitdifferenz oder durch Austausch bisheriger Träger memetischer und funktioneller Bürden aufgrund kontinuierlichen Struktur- und Funktionswandels

regulative Katastrophe eine Institution ist in einer evolutionären Sackgasse gelandet und bricht zusammen

Hier schließen sich weitere Theoriebereiche an, v.a. zur homologen und analogen Ähnlich-keit von Institutionen sowie zur Morphologie und Genealogie von Institutionen

Info… neben Pfadabhängigkeit und Teleonomie

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Fragestellungen von ‚Morphologie‘

Kommt es bei Prozessen des Wandels vielleicht nicht nur zu Mustern des Wandels, sondern auch zu Mustern von Strukturen (griech.: morphaí, typoí), die sich ihrerseits – mehr oder minder weitgehend – wandeln? z.B. Muster von ‚Familien‘, ‚Kultgemeinschaften‘, ‚Verwaltungen‘, ‚Verbänden‘,

‚Parteien‘, ‚Vertretungskörperschaften‘ usw. Falls ja: Kommt es bei Prozessen des Wandels vielleicht auch zu einander

ähnlichen Strukturmustern? z. B. zu Ähnlichkeiten von Familienstrukturen, Verwaltungsstrukturen,

Verbändestrukturen, Parteienstrukturen, Verfassungsstrukturen, Regimestrukturen usw. Falls wiederum ja:

Anhand welcher Kriterien ließe sich ‚Ähnlichkeit‘ von Strukturmustern feststellen? Aus welchen Gründen kommt es wohl zur Ähnlichkeit von Strukturmustern – rein zufällig

oder auch aus ‚systematischen‘ Gründen? Falls aus letzteren: Worin bestünden ‚systematische Verursachungsmechanismen‘ der Ähnlichkeit

von Strukturmustern? Wie entwickeln sich ähnliche Strukturmuster wohl weiter: ähnlich bleibend, weiter

konvergierend, divergierend – und warum jeweils so? Wie hängen – sich ihrerseits weiterentwickelnde – Ähnlichkeiten von Strukturmustern

wohl zusammen mit Mustern von Wandlungsprozessen? Können uns ähnliche Prozeß- und Strukturmuster, die wir im Geschichtsverlauf

identifizieren, vielleicht Aufschluß geben über das, was im Geschichtsverlauf Kohärenz stiftet und sich in Kontinuität entfaltet – und vielleicht auch darüber, wie und warum Diskontinuität entsteht?

morphé = griech. ‚Gestalt‘ (ähnlich wie typós)

Morphologie = Analyse von ‚Gestalten‘

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Vorgehen von Morphologie

Suchen und Entdecken von ‚Strukturmustern’ bzw. von ‚Gestalten’, um aus ihnen Aufschluß über die entwicklungsmäßigen Zusammengehörigkeitsbeziehungen von Strukturen zu gewinnen erfolgreichstes Unterfangen dieser Art: Klassifikation der Pflanzen und Tiere, die ihrerseits

Grundlage unseres Wissen um das Werden des Lebens auf der Erde ist Analyse des Zustandekommens und des – die jeweilige ‚Identität‘ bewahrenden –

Wandels solcher Strukturmuster bzw. Gestalten (‚Genealogie‘) hier: ‚analytischer Ort‘ der Evolutionstheorie, insbesondere der Systemtheorie der Evolution

Untersuchung der wechselseitigen – und in vielen Fällen eine gemeinsame Geschichte teilenden – Beziehungen solcher Strukturmuster und Gestalten untereinander. durch Aufdeckung von Homologien, Analogien, Homoiologien, Homodynamien und

Homonomien Ziel: herausfinden, …

warum was wie geworden ist ob und welche Entwicklungspfade weniger wahrscheinlich waren / sind als andere ‚Ingenieurnutzen‘: ‚savoir pour prévoir pour pouvoir‘, und zwar mit großer intellektueller Bescheidenhei

t– wobei mangelnde oder geringe Prognosefähigkeit einer Theorie nicht auf einen Mangel jener Theorie zurückgehen muß, sondern einfach die fehlende Prognostizierbarkeit des Gegenstandsbereichs der Theorie widerspiegeln mag! Im übrigen prognostizieren auch Ingenieure nur die Leistungen ihrer Maschine, nicht aber die kommende Geschichte von deren Einsatz …

Fazit: Morphologie ist eine auf Gestalterkenntnis und Gestalterklärung ausgehende, vergleichende Betrachtung von Strukturmustern, d.h. eine vergleichende Systemanalyse – ganz gleich, ob es sich um vergleichende Analysen von Sprachen oder Baustilen, von philosophischen Systemen, von Institutionen oder von Lebewesen handelt.

einige wenige vertiefende Hinweise

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Homologie vs. Analogie

Homologie: Ähnlichkeit, die aus der gemeinsamen Abstammungsgeschichte von Systemen herrührt und sich darum in geschichtlich gewordenen grundlegenden Strukturen (bzw. ‚Tiefenstrukturen’) niederschlägt. Achtung: Im Bereich biologischer Strukturen braucht Homologie eine

durchgehende Kette chemischer Replikation, während im Bereich sozialer / kultureller Strukturen es allein um memetische Replikation geht, die über physisch trennende Kontinente und Jahrhunderte hinweg funktioniert!

Beispiele: die Skelettstrukturen der Vorderextremitäten von Fledermaus und Wal, von Pferd und Mensch; im Bereich politischer Institutionen: der Immerwährende Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und der Bundesrat, sowohl der des föderalen Bismarckreichs als auch jener der Bundesrepublik Deutschland.

‚Analogie’: Ähnlichkeit, die sich aufgrund der Anpassung tiefenstrukturell ganz unterschiedlich ausgeprägter Strukturen an gleiche Funktionserfordernisse oder Umweltbedingungen ergibt. Es handelt sich also um Ähnlichkeit in der ‚Oberflächenstruktur‘ von Vergleichsgegenständen. Beispiele: Die Flügel eines Insekts sind denen eines Vogels sehr ähnlich, obwohl

der tiefenstrukturelle Bauplan jeweils ganz verschieden ist; im Bereich politischer Strukturen gilt dasselbe etwa für die Verfassungsgerichtshöfe Deutschlands und Frankreichs, die sich ziemlich ähnlich ausnehmen, obwohl sie ganz anders zusammengesetzt sind, ins Amt kommen und agieren.

Achtung: Die Entdeckung von Homologien oder Analogien ist die Vorstufe zur Theoriebildung über historische Verlaufsmuster, noch nicht die Theoriebildung selbst!

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Näheres zu Homologien Da Homologie die Ähnlichkeit von Tiefenstrukturen bezeichnet, bleibt homologe

Ähnlichkeit auch dann erhalten, wenn ganz unterschiedliche Umweltanforderungen an die von solchen Strukturen zu erfüllenden Funktionen zur großen Unterschieden in jenen Oberflächenstrukturen führen, zu denen die ähnlichen Tiefenstrukturen in der Entwicklung der verglichenen Systeme transformiert werden.

Solchen Oberflächenstrukturen ist mitunter irgendwelche tiefenstrukturelle Verwandtschaft und homologe Ähnlichkeit gar nicht mehr unmittelbar abzulesen.

Beispiele: Die Vorderextremitäten von Vogel und Pferd erfüllen sehr verschiedene Funktionen und

sind darum, trotz tiefenstruktureller Ähnlichkeit, so unterschiedlich ausgeprägt, daß sie niemand für tiefenstrukturell sehr ähnlich halten würde, der weder Skelettstrukturen zu deuten versteht noch die Stammesgeschichte der Wirbeltiere kennt.

Im Bereich politischer Systeme waren die Parlamente der realsozialistischen Staaten ihrer Herkunft und Struktur nach ganz homolog zu jenen der demokratischen Verfassungsstaaten; doch eingebettet in andere Obersysteme und Systemumwelten erfüllten sie ein sehr anderes Funktionsprofil und galten darum vielen Parlamentarismusforschern als von ihnen völlig verschieden.

Offenbar kann bereits die rein hypothetische Suche nach tiefenstrukturellen, homologen Ähnlichkeiten zu überaus erkenntnisträchtigen Fragestellungen vergleichender Analyse führen.

Kriterien für die Feststellung von Homologien: ‚Lage‘ und ‚spezielle Qualität‘ eines Strukturelements; ‚Existenz von Übergangsformen‘; Zusatzkriterien

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Näheres zu Analogien

Nach analogen Ähnlichkeiten zu suchen, öffnet den Blick für … das Zusammenwirken von System und Umwelt die Prägekraft ausgeübter Funktionen auf die sie

erfüllenden Strukturen. Dies ist vor allem für die Formulierung und

Überprüfung bedingter Hypothesen überaus nützlich. Also:

Es ist überhaupt nichts daran falsch, beim Vergleichen nach Analogien aller Art zu suchen!

besonders wichtig: historische Analogien Achtung: Nie Analogien (= Oberflächenstruktur) mit

Homologien (= Tiefenstruktur) verwechseln! Merksatz: ‚Homologien sind dauerhaft, Analogien

umstandsabhängig‘

Achtung: Es kann auch auf homologer Grundlage zur Analogiebildung kommen! Begriff: „Homologie + Analogie = Homoiologie“

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Vorgehen bei der Suche nach Homologien und Analogien

Entweder: Man sucht nach einer am Vergleichsfall A bereits entdeckten Konfiguration in den Vergleichsfällen B bis P. ‚deduktive’ Analogie- bzw. Homologiebildung Beispiel: Was wäre in der Geschichte deutscher politischer Systeme das

Analogon zur Französischen Revolution? Bauernkrieg oder 1918 oder 1989 – oder nichts?

Oder: Man hofft, daß sich beim ratenden und deutenden Hin und Her zwischen den an verschiedene Gegenstände herangetragenen Vermutungen und den an jenen Gegenständen abgreifbaren Informationen eine gegebenenfalls diesen Vergleichsfällen Q bis Z gemeinsame Merkmalkonfiguration schon werde erkennen lassen. ‚induktive’ Analogie- bzw. Homologiebildung’ Beispiel: Wird sich wohl ein gemeinsames Merkmal aller scheiternden

Revolutionen finden lassen?Man … sucht also nach Ähnlichkeiten unter den Vergleichsfällen und hofft, vom jeweils Entdeckten zu einer erkenntnisträchtigen Fragestellung

an interessierende Gegenstände oder gar zu einer tragfähigen Antwort auf sie inspiriert zu werden – vor allem darüber, …

warum etwas genau so ist und wurde, wie es nun ist welche weiteren Entwicklungschancen / Reformmöglichkeiten es darum wohl hat

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Mehrwert von Morphologie in der Biologie einst offensichtlich:

Da ganz unbekannt war, wie die Vielfalt der Pflanzen oder Tiere – auch historisch! – zusammenhing, mußte der Versuch unternommen werden, von festgestellten Ähnlichkeiten der Struktur her auf ‚innere‘ und geschichtliche Zusammenhänge zu schließen.

Also gab es einen starken Anreiz, Morphologie zu betreiben und ihr begriffliches Analyseinstrumentarium zu kultivieren

andere Lage in den Kulturwissenschaften: Seit der Verfügbarkeit schriftlicher Quellen ist meist gut bekannt, wie kulturelle Formen, z.B. Institutionen,

geschichtlich zusammenhängen allerdings: Unterscheidung von ‚Geschichte‘ (= Schriftlichkeit existiert) und ‚Vorgeschichte‘

(= Schriftlichkeit existiert nicht) mit sehr unterschiedlichen methodischen Zugängen! Für meist auf die Gegenwart fixierte Disziplinen wie die Soziologie und Politikwissenschaft gab es darum

erst recht keinen Anreiz, das analytische Instrumentarium der Morphologie zu entwickeln. problematische Auswirkungen dieser Lage für die Kulturwissenschaften:

Weil der Begriff der Homologie fehlt, mangelt es auch an einem klaren Begriff der Analogie – und der Homoiologie erst recht.

Folglich mangelt es an einer differenzierten Beschreibungssprache für strukturelle Ähnlichkeiten und deren Ursachen (z.B. gemeinsame Abstammung vs. gleichartige Umwelteinwirkungen vs. Zufall).

Resultat: endloser Streit um ‚falsche Analogien‘ oder ‚hinkende Beispiele‘. weitreichende Folgen:

Typologien und Klassifikationen sind oft recht willkürlich, den gegliederten Gegenständen äußerlich und ohne historische Auflösungskraft (‚ahistorisch-systematisierende Sozialwissenschaften‘ vs. ‚idiographische Geschichtswissenschaft‘)

Es läßt sich mit Geschichte und historischen institutionellen Ordnungen nicht systematisch sauber vergleichende Forschung betreiben – was den Blick der Kultur- und Sozialwissenschaften auf die innere Zusammengehörigkeit der von ihnen untersuchten Sachverhalte ziemlich stark trübt und deren üppigste Datenquelle – die Geschichte nämlich – analytisch weithin ungenutzt läßt.

Fazit: Morphologie erschließt den Kulturwissenschaften in für Gegenwart und Zukunft erkenntnisträchtiger Weise die Geschichte, nämlich ihre Verlaufs- und Strukturmuster!

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Evolutorischer Institutionalismus und Challenge-Response-Ansatz Beide Ansätze befassen sich im Grunde mit dem gleichen Gegenstand: der

Entwicklung, Tradition und Diskontinuität sozialer bzw. institutioneller Strukturen. Beide Ansätze stehen in einem Teilmengenverhältnis:

Der CR-Ansatz befaßt sich mit System/Umwelt-Interaktionen vom Typ der Wirkungskette ‚challenge – response – Auswirkung der response – challenge zweiter Art – response …‘ und modelliert ergebnisoffene, doch pfadabhängige Entwicklungsprozesse in Abhängigkeit von ‚Anpassungsdruck‘ und ‚Reaktionsdisposition‘.

Der Evolutorische Institutionalismus befaßt sich mit alledem auch, wenngleich in mitunter etwas anderer Begrifflichkeit. Obendrein leistet der EI u.a. folgendes:

Einbettung der Theorie von System/Umwelt-Interaktionen in eine umfassende sozial- und kulturwissenschaftliche Evolutionstheorie

Präzisierung von ‚Reaktionsdisposition‘ und ‚Anpassungsdruck‘ in Gestalt der Theorie innerer und äußerer Selektionsbedingungen

Präzisierung des Konzepts ergebnisoffener Pfadabhängigkeit in Gestalt einer Theorie sowohl zufallsgetriebener als auch teleonomer Entwicklungsprozesse

Verbindung dieser ‚Geschichtstheorie‘ mit einer empirisch sehr fruchtbaren Theorie von Institutionenbildung und Institutionalitätssicherung

Folgerung: Es wäre gut, beide Ansätze miteinander zu verschmelzen und doppelseitig zu profitieren: von der Anschaulichkeit und einfachen konzeptuellen Überschaubarkeit des CR-Ansatzes von der aus noch vielen weiteren Forschungszusammenhängen her ihr Potential

gewinnenden großen Erklärungskraft des Evolutorischen Institutionalismus.

… und das zu versuchen, böte eine gewiß fruchtbare Gelegenheit für eine nicht nur an gemeinsamen Fragen und Daten, sondern gerade auch an gemeinsamer Theoriebildung interessierte substantielle Kooperation zweier Sonderforschungsbereiche!

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Fazit: Was ist ‚Evolutorischer Institutionalismus‘?

Evolutorischer Institutionalismus ist ein Theorie- und Forschungsansatz zur vergleichenden empirischen Aufklärung des Zusammenhangs von Institutionalität und Geschichtlichkeit sowie der aus ihm resultierenden ähnlichen Strukturmuster und Verlaufsmuster von Wandel.

Er verbindet in der Dresdner Forschungsperspektive ‚institutioneller Analyse‘ empirische Studien zur Konstruktion sozialer Strukturen auf der Mikroebene mit Untersuchungen zu den Stabilitätsbedingungen, Wandlungsprozessen und Funktionen von sozialen Strukturen auf der Makroebene:

Analyse von Institutionalität Ethnomethodologie, ihrerseits verbindbar mit mancherlei anderen mikroanalytischen Ansätzen

Analyse von Geschichtlichkeit Evolutionstheorie, ihrerseits Rahmentheorie aller Strukturbildungs- und Strukturentwicklungsanalysen

Evolutionsforschung kommt im Evolutorischen Institutionalismus zweifach ins Spiel: ansatzextern als Analyse der biologischen Tiefenstruktur institutionenbildenden sozialen

Handelns ansatzintern als Anwendung der Allgemeinen Evolutionstheorie (von welcher die

Evolutionsbiologie nur eine spezielle Applikation ist) auf die Analyse der Geschichtlichkeit institutioneller Strukturen

Insgesamt ist der Evolutorische Institutionalismus ein interdisziplinärer (meta-) historischer Theorie- und Forschungsansatz, der den Bogen von der Naturgeschichte über die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte bis hin zur (politischen) Institutionengeschichte und Ideengeschichte zu schlagen erlaubt.

Anwendungsformen u.a.: Erklärung geschichtlicher Verlaufsmuster, historische Vergleichsanalysen, evolutorische Morphologie, Planung und Evaluation von Reformen

Insgesamt: eine sehr weit ausgreifende Fortentwicklung jenes Theorieansatzes, mit welchem der SFB 537 ‚Institutionalität und Geschichtlichkeit‘ einst startete …

… mit großer interdisziplinärer Integrationskraft

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einige Literaturhinweise

Blackmore, Susan, 2000: Die Macht der Meme. Heidelberg. Dawkins, Richard, 1976: Das egoistische Gen. Heidelberg. Eibl-Eibesfeldt, Irenäus, 1997: Die Biologie menschlichen Verhaltens. Grundriß der

Humanethologie. München Göhler, Gerhard (Hrsg.), 1994: Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil politischer

Institutionentheorie. Baden-Baden. Lorenz, Konrad, 1973: Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte

menschlichen Erkennens. München/Zürich. Mahoney, James, 2000: Path Dependence in Historical Sociology, in: Theory and Society

29, 507-548. Patzelt, Werner J., 1987: Grundlagen der Ethnomethodologie. München. Patzelt, Werner J. (Hrsg.), 2006: Evolutorischer Institutionalismus. Theorie und

empirische Studien zu Evolution, Institutionalität und Geschichtlichkeit. Würzburg (im Erscheinen)

Rehberg, Karl-Siegbert, 1990: Institutionen als symbolische Ordnungen, in: Göhler 1994. Riedl, Rupert, 1990: Die Ordnung des Lebenden. Systembedingungen der Evolution.

München/Zürich. Riedl, Rupert, 2003: Kulturgeschichte der Evolutionstheorie. Berlin u.a. Thelen, Kathleen, 2002: How Institutions Evolve, in: Mahoney, James / Rueschemeyer,

Dietrich (Hrsg.): Comparative Historical Analysis in the Social Sciences. New York, 208-239.

Voland, Eckart, 2000: Grundriss der Soziobiologie. Heidelberg.