TUTorialTUTorial - oeh.ac.at · online: Erscheinung: Wien, Oktober 2004 HerstellerIn: Druckerei...

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W. Haas, P. Pokorny, U. Fuchs (Hg.) Handbuch für Projektgruppen aller Studienrichtungen und Thementutorien TUTorial TUTorial

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W. Haas, P. Pokorny, U. Fuchs (Hg.)

Handbuch

für

Projektgruppen

aller

Studienrichtungen

und

Thementutorien

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Impressum

Mit finanzieller Unterstützung von: Bundesministerium für Bildung,Wissenschaft und Kultur

ImpressumMedieninhaberIn: BV der Österreichischen HochschülerInnenschaft, Liechtensteinstr. 13A,A-1090 WienHerausgeberInnen: Wolfgang Haas, Petra Pokorny, Ulli Fuchs Redaktion: Doris Arztmann, Isabella Bauer, Rosa Danner, Ulli Fuchs, Wolfgang Haas, PetraPokorny, Albert SchiegGestaltung und Layout: Petra Pokorny, Stefan EsslIllustrationen: Petra PokornyBildmaterial: mit freundlicher Genehmigung aus dem Archiv des TutoriumsprojektsTitelbild: Georg Bohmonline: www.oeh.ac.at/tutproErscheinung: Wien, Oktober 2004HerstellerIn: Druckerei Fiona, WienISBN 3-200-00239-5aus: PotzBlitz1982

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Editorial

„PotzBlitz!“ Mit diesem Ausruf des Erstaunens auf den Lippen sehen wir Sie in unserer Vorstellungvor uns. Sie fahren gerade in der U-Bahn. Sie sitzen im Seminarraum. Sie haben es sich daheim aufdem Sofa gemütlich gemacht und lesen, dieses Buch in Händen haltend, das erste Wort des Editorials:„PotzBlitz!“. Nun stellen Sie sich vor, wir freuen uns, wir lächeln verschmitzt und werden Ihnen antworten: „Nein!Nicht ‚PotzBlitz’! TUTorial! Aber trotzdem erstaunlich gut!“.

Schon bald nachdem die Idee für dieses Buch im Herbst 2002 auf einem Tutoriumsseminar in denKöpfen zweier sich intensiv über die Zukunft des Tutoriumsprojekts unterhaltenden TrainerInnenGestalt annahm, war die Vorstellung, Sie mit diesem Anfang erfreuen zu können, spitzbübischerAnsporn, die nun vor Ihnen liegende Veröffentlichung auch tatsächlich zu verwirklichen. Etwazwanzig Jahre nach Erscheinen dieses legendären Tutoriumhandbuchs mit dem Titel PotzBlitz freuenwir uns, Ihnen nun das TUTorial mit auf den Tutoriumsweg geben zu können.

Das TUTorial ist neu. Es reagiert auf die Veränderungen, die sich in den letzten Jahren nicht nur imProjekt selbst, sondern auch im Umfeld jener gebildeten und engagierten Menschen vollzogen haben,die an den österreichischen Universitäten tätig sind. So nimmt es sich in seinen Themen,Schwerpunkten, Äußerungen und auch im Ton anders aus.

Zugleich glauben wir, mit der Auswahl und Zusammenstellung der Beiträge unserer Wertschätzungdes Ziels, informierend und motivierend zu sein, Ausdruck zu verleihen. In diesem Sinne haben wirdas TUTorial als ein Handbuch konzipiert, das TutorInnen vorbereitet und bei ihrer Tätigkeit begleit-et, aber auch jene interessiert, die sich über das Tutorium hinaus über die Möglichkeiten undSchranken universitärer Bildung Gedanken machen.

Nach einer langen Phase der Planung, Verhandlung und Auslotung finanzieller Möglichkeiten wurdeim Frühjahr 2004 zeitgleich mit dem Koordinationstreffen in Wien ein TrainerInnenkongress ver-anstaltet. Dieser Weiterbildungskongress und die darauf aufbauende vorliegende Publikation sind Teilunserer Bemühungen, die Vernetzung innerhalb des Projekts zu stärken und das Wissen und dieFähigkeiten der im Projekt aktiven Personen sichtbar und nutzbar zu machen. Indem wir vomKongress angeregte Autorinnen und Autoren gewinnen konnten, können wir mit dieser Publikationnun eine Reihe von Beiträgen bieten, die Überblick und Einblick in die Projektlandschaft Tutoriumund deren Einbettung in die universitäre Bildung leisten. Sie liegen sowohl nahe an derTutoriumspraxis mit ihren Herausforderungen, stellen aber auch kritisch-theoretische Kost wis-senschaftlich fundiert dar.

Den Autorinnen und Autoren sei an dieser Stelle herzlicher Dank ausgesprochen für ihr Engagementund ihr Wohlwollen, das sie dem Projekt und auch den HerausgeberInnen entgegen gebracht haben.

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Neben einem eigenen Textbeitrag haben wir große Unterstützung, ohne die weder der Kongress nochdie Publikation realisierbar gewesen wären, von den ZentralkoordinatorInnen des Tutoriumsprojekteserfahren und finanzielle Unterstützung durch das Ministerium (bm:bwk), die ÖsterreichischeHochschülerschaft und die Akademie der bildenden Künste Wien erhalten.

Eine gehörige Portion Aufmunterung von den vielen im Projekt ehemals und aktuell tätigen Personenhat diese Veröffentlichung mit auf den Weg gebracht. Auch hierfür ein Dankeschön,

die HerausgeberInnen.

Grußworte

Liebe Tutorinnen und Tutoren und die es werden wollen !

„Als junger Student kam ich hierher, um zu studieren und ich war beeindruckt von der Größe dieserStadt, gleichzeitig war da ein mulmiges Gefühl, fühlte mich klein unter diesen großen Häusern. Ichmusste lernen, mich zu behaupten. Erstmal orientieren. Wo ist die Uni? Ich hatte Glück, ich traf Leute,die mir halfen. Sie waren etwa in meinem Alter, ein bisschen älter vielleicht und sie kannten sich aus.Von ihnen bekam ich die wichtigsten Infos für die Uni - eine Wohnung hatte ich schon - ein Job wärenicht schlecht. Wo ist abends was los? Der Anfang wäre geschafft. „Der Anfang ist die Hälfte desGanzen“, dachte ich mir. Und so war es dann auch. Wenn du ein paar Leute kennst, geht der Rest fastvon alleine…“. Dieser Bericht eines Studierenden, der es mit Hilfe der AnfängertutorInnen geschafft hat, bringt es aufden Punkt. Studierende mit viel Erfahrung helfen Studierenden, für die alles neu ist. Das notwendigeVertrauensverhältnis zu Gleichaltrigen, sich helfen zu lassen, ist gegeben. Nicht nur Erlerntes, vorallem Erfahrungen werden weitergegeben. Die Hilfe ist sozusagen ‚authentisch’. Das ist nicht nureffizient, das ist auch vorbildhaft. Es ist uneigennützig und gleichzeitig ist auch die Arbeit imTutoriumsprojekt eine wertvolle Erfahrung, für einen selbst.Als zuständiger Referatsleiter im Bildungsministerium besteht meine Aufgabe darin, für diegeeigneten Rahmenbedingungen zu sorgen. Gemeinsam mit dem Team der Zentralkoordinator/innenhaben wir eine entsprechende Vereinbarung erarbeitet, mit der die Ausbildung der AT und derTrainer/innen finanziert wird und die Ergebnisse evaluiert werden. Ich bin stolz, dass mir dieseAufgabe übertragen wurde, weil ich an einem Projekt mitarbeiten kann, das nicht nur gut und sinnvollist, sondern bei dem das Helfen im Vordergrund steht, das Helfen von Menschen, die sich gerne sozialengagieren, freiwillig, ehrenamtlich (!). Und das ist alles andere als selbstverständlich in der heutigenZeit.Im letzten Studienjahr ist erfreulicherweise das Interesse, als Tutorin oder Tutor fürStudienanfängerInnen mitzuarbeiten, gestiegen. Im letzten Evaluierungsbericht wurde dasTutoriumsprojekt als ein „lebendiger gut funktonierender Organismus beschrieben, in dem derGroßteil der Beteiligten mit hohem Engagement zusammenarbeitet, um den Studienanfängern und–anfängerinnen den Studieneinstieg zu erleichtern“. Ich denke, dass das ein sehr schönes Ergebnis ist,und wünsche Ihnen, dass das so bleibt oder noch besser wird.

Ich bedanke mich für Ihr Engagement und wünsche Ihnen viel Erfolg und auch Freude an der Sache!

Dr. Alexander Egger,Bundesministerium für Bildung,

Wissenschaft und KulturAbteilung VII/8b

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Impressum 1Präfix 2

Kontext 6Thementutorien 53

Seminar 81Methoden 85Appendix 126

Inhaltsverzeichnis

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Editorial HerausgeberInnen . . . . . . . . . . . 2Grußworte Alexander Egger . . . . . . . . . . . . 3Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5Geschichte des Projektes Gabi Rieß . . . . . . . . . . . . . . . . . 6Qualitätssicherung Gabi Rieß. . . . . . . . . . . . . . . . . 11Evaluation Martin Busch . . . . . . . . . . . . . . 15Politischer Anspruch Mishela Ivanova, Pier-Paolo

Pasqualoni . . . . . . . . . . . . . . . . 23Rahmenbedingungen Ulli Fuchs . . . . . . . . . . . . . . . . 39Zentralkoordination Doris Arztmann, Rosa Danner,

Isabella Bauer, Albert Schieg . 45Frauentutorien Ulrike Rostek . . . . . . . . . . . . . 53Männertutorien Marcel Scheffknecht . . . . . . . . 58LesBiSchwuletutorien Britta Stroj . . . . . . . . . . . . . . . . 63Integrationstutorien Mishela Ivanova, Pier-Paolo

Pasqualoni . . . . . . . . . . . . . . . . 66Contracting Wolfgang Haas . . . . . . . . . . . . 75Praktischer Teil Petra Pokorny . . . . . . . . . . . . . 79Arbeitsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80Gruppenbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84Gruppe darstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86Gruppe malen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89Schnecken i. d. Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90Blitzlicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92Prozessevaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93Polaritätsprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94Verborgenes Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 974 Ohren-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99Kontrollierter Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

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Die rätselhafte Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102Wahlrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106„Sie sind entlassen” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107Kochrezept f. erfolg-reiches Gruppenleiten Susanna Speckmayer . . . . . . 109Tutoriumsstart Petra Pokorny . . . . . . . . . . . . 113PartnerInnen Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114Institut erforschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115Sternball . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116Gruppennetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117Zublinzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118MathematikerIn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119Spiegelpantomime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120Menschliche Maschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121Der große Vertrauenskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122Förderband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123Amöbenrennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124Atome und Moleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126AutorInnenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Inhaltsverzeichnis

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1 Impressum1 2 Präfix

6 Kontext53 Thementutorien81 Seminar85 Methoden126 Appendix

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Geschichte des Projektes

von Gabi Rieß

Das Tutoriumsprojekt entstand aus selbstorganisierten Studie-rendengruppen auf der TU-Wien in den späten 70er Jahren.Basierend auf ähnlichen Initiativen in Deutschland wurde ver-sucht, politisches Studierendenempowerment der anderen Art zuetablieren: abseits der klassischen ÖH-politischen Gremien- undVertretungsarbeit wollten höhersemestrige Studierende über-schaubare Gruppen für StudienanfängerInnen - sogenannte Tu-torien - anbieten, um in „unmittelbarer und lustvoller, gemein-samer Aktivität“ (GSP)1 mit den StudienanfängerInnen Problem-stellungen des Studieneinstieges konkret anzugehen und imSinne der Hilfe zur Selbsthilfe bewältigbar zu machen. Ziel wares, Anregungen und Hilfestellungen für ein selbstorganisiertesLeben im Universitätsalltag zu vermitteln, um den LebensraumUniversität aktiv mitgestalten zu können. Um auf diese Art derGruppenarbeit vorbereitet zu sein, wurden von den einzelnenProjektgruppen TutorInnenausbildungsseminare organisiert.1979 wurden die ersten ZentralkoordinatorInnen auf der ÖHBundesvertretung (BV, damals Zentralausschuss, ZA) bestellt,welche das Projekt seither (bis auf wenige Ausnahmen, sieheunten) österreichweit koordinieren und administrieren. DieProjektgruppen treffen sich seither zur Weiterentwicklung dergemeinsamen Grundsätze auf dreimal jährlich stattfindendenKoordinationstreffen.

Die Idee wurde von der ÖH unterstützt und als Sonderprojekt,bald auch mit Mitteln des Bundesministeriums, finanziert. DasTutoriumsprojekt wurde so mit einem relativ autonomen undselbstverwalteten Charakter innerhalb der sonst hierarchischdurchstrukturierten ÖH etabliert. Alle projektrelevanten Ent-scheidungen sollen am basisdemokratisch organisierten Koordi-nationstreffen getroffen werden, wo ein Konsens angestrebtwird. Auf den Koordinationstreffen werden von den Projekt-gruppen die ZentralkoordinatorInnen gewählt, welche das

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Grundsatzpapier, gesetzliche Verankerungund Organisationsstruktur

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Projekt gegenüber der ÖH und dem Bundesministerium vertreten. Das Prinzip der basisdemokratischen Konsensfindung soll abseits von fraktionspari-tätischen Mehrheitsbeschlüssen den diskussionsintensiven Charakter des Projektesgarantieren und dem projektspezifischen Partizipations- und Mitbestimmungsideal aufallen Projektebenen Rechnung tragen. Das Projekt versucht also keine hierarchischenStrukturen zu begünstigen.

Zur Sicherung des gemeinsamen und überfraktionellen Vorgehens in der inhaltlichenTutoriumsarbeit wurde 1988 am Koordinationstreffen in Alt Pernstein das Grundsatz-papier entwickelt bzw. beschlossen, das seither laufend aktualisiert wird und die füralle TutorInnen verbindlichen Arbeitshaltungen bzw. Projektgrundsätze aufzeigt.

Die selbstverwaltete, basisdemokratisch flache Organisationsstruktur und der damiteinhergehende Anspruch, die inhaltliche Tutoriumsarbeit an den Bedürfnissen undErwartungen der Teilnehmenden an den Tutorien (Partizipationsideal) auszurichten,d.h. unzähligen kleineren Studierendengruppen einen Ort zur Selbstgestaltung desLebensraumes Universität zu ermöglichen, stand/steht immer wieder im Widerspruchzur klassischen ÖH-Fraktionspolitik: entweder weil eine repräsentativ-demokratischeFraktionspolitik Studierende eben ausschließlich zur Unterstützung (durch ihreWahlstimmen) von in der Fraktion bereits entwickelten Standpunkten gewinnenmöchte/muss, oder aber, weil ein reiner Servicepolitik-Ansatz die Masse von Studier-enden prinzipiell unselbstständig (und an Mitbestimmung desinteressiert) haltenmöchte.

Deswegen gab es wiederholte Versuche, das Tutoriumsprojekt in die hierarchischenÖH-Strukturen einzugliedern, den unabhängig-selbstverwalteten (Sonder)projektstatusaufzuheben und es dadurch einer fraktionspolitischen Vereinnahmung auszusetzen: alsReferat der ÖH-Bundesvertretung würden die ZentralkoordinatorInnen nicht mehrvom Koordinationstreffen bestimmt, sondern von der jeweils amtierenden ÖH-BV-Exekutive. Das Tutoriumsprojekt wurde 1994 und 1999 in ein Referat umgewandeltbzw. wurde den ZentralkoordinatorInnen die Zusammenarbeit verweigert. Aufgrundprojektinterner Widerstände und der Etablierung von ‘Exil-KOs’ bzw. aufgrund derIntervention von Vertretern des Bundesministeriums, die 1999 die Wahl der neuen

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Zentralkoordination am Koordinationstreffen in Enns beobachteten, wurde die selbst-verwaltete Struktur des Projektes jeweils wieder hergestellt, d. h. die Zentralkoordi-nation aus dem Kreis der Projektgruppen bestimmt. Die Idee der tutorialen Unter-stützungssysteme von Studierenden für Studierende wurde 1997 auch vom Gesetz-geber positiv aufgegriffen, weil dies ein Mittel schien, die Drop-out Rate auf denösterreichischen Universitäten zu senken: im Universitätsstudiengesetz (UniStG) wur-den unter § 38 bzgl. einer Studieneingangsphase neben Einführungsvorlesungen,Orientierungslehrveranstaltungen und Studienberatung unter Absatz (4) auchAnfängerInnentutorien gesetzlich verankert. Diese sollen „die Studierenden bei derBewältigung der leistungsmäßigen, organisatorischen und sozialen Anforderungen desersten Studienjahres unterstützen“ (UniStG § 38 (4)).

Für die Einrichtung dieser AnfängerInnentutorien haben die Universitäten Sorge zutragen. Zur Umsetzung dieser Gesetzespassage wurde die ÖH und insbesondere dasTutoriumsprojekt zur Kooperation angefragt. Nach umfangreichen Verhandlungen derdamaligen Zentralkoordination und der zuständigen Vertretung im Bundesministeriumwurde ein AnfängerInnentutorien Konzept (AT-Konzept) entwickelt, welches denStudiendekanInnen für die Auswahl der auszubildenden TutorInnen (in der AT-Kommission) ein Mitspracherecht einräumte. Im AT-Konzept wurden auch die imGesetz grob umrissenen Ziele (s. o.) der AnfängerInnentutorien konkretisiert (vgl.Beitrag von Martin Busch). Der seither laufend erneuerte Vertrag zwischen ÖH,Tutoriumsprojekt und Bundesministerium basiert auf den damaligen Übereinkünften.

Die derzeitige Organisationsstruktur des Tutoriumsprojektes sieht folgende Projekt-ebenen vor:- Zu betreuende StudienanfängerInnen bzw. Studierende, die ein themenspezifisches

Tutorium besuchen möchten, - werden von höhersemestrigen TutorInnen betreut, - die gemeinsam in ihrer jeweiligen Projektgruppe in einem Tutoriumsausbildungs-

seminar auf ihre Tutoriumstätigkeit vorbereitet werden.- Projektgruppen vernetzen sich idealerweise regional an ihrem jeweiligen

Studienort durch Regionalkreis- bzw. UniversitätskoordinatorInnen.- Die Projektgruppen entsenden mindestens einmal jährlich ihre ProjektleiterIn oder

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einEn TutorIn der Projektgruppe auf das - dreimal jährlich stattfindende Koordinationstreffen, für den Erfahrungsaustausch

über die inhaltliche Tutoriumsarbeit, um projektspezifische Anliegen zubesprechen und um die

- ZentralkoordinatorInnen zu wählen, welche das Projekt koordinieren und admi-nistrieren und gegenüber der ÖH und dem zuständigen Bundesministerium vertreten.

- Bei der Auswahl der TutorInnen vor Ort haben die StudiendekanInnen ein Mit-spracherecht.

1 Grundsatzpapier (GSP)

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von Gabi Rieß

Seit 1997 wird das Tutoriumsprojekt in einer jährlichen Studieevaluiert (vgl. Busch 1997/1998 bis 2003/2004). Seit 2003 gibtes im Rahmen der Evaluierung auch ein Qualitätssicherungspro-jekt (vgl. Rieß 2003 und 2004).

Die Idee zu einem qualitativen Teil der Evaluierung „Tutoriums-projekt Qualitätssicherung“ entstand aufgrund der Ergebnisseder Evaluierung 2001/2002 (vgl. Busch 2002), wo neben demNachweis der Zielerreichung der Hauptfokus auf Möglichkeitenund Vorschläge zur Weiterentwicklung und Verbesserungsmög-lichkeiten von Tutoriumsausbildung, Durchführung der Tutorienund der Projektstruktur gelegt wurde. Bei aller Heterogenität derStudienrichtungen, die eine je unterschiedliche Gewichtung vonZielsetzungen im Tutorium sinnvoll machen, wurden die Erstel-lung von Checklisten mit beim Tutorium und Tutoriums-ausbildung zu beachtenden Punkten nahegelegt. Außerdemsollen Ideen zur Gewährleistung der semesterbegleitendenKontinuität der Tutoriumsgruppe, also der Vorbeugung desTeilnehmerInnenschwundes sowie eine Checkliste mit Tipps fürProjektleiterInnen und u. a. Maßnahmen zur Verbesserung pro-jektinterner Kommunikationsstrukturen entwickelt werden.

In diesem Sinne wurde ein Konzept zur Qualitätssicherung ent-worfen, welches in informativen Vorgesprächen mit zentralenProjektverantwortlichen (Zentralkoordination, Bundesminis-terium, Wirtschaftsreferent und ÖH-Vorsitzende, Plenum desKoordinationstreffen des Tutoriumsprojektes) präsentiert, disku-tiert bzw. modifiziert wurde. Die prinzipielle Herangehensweisedes Qualitätssicherungsprojektes ist die diskursive Miteinbe-ziehung der von den Evaluierungsergebnissen betroffenen Pro-jektmitarbeiterInnen: es wurden die Ergebnisse der Evaluierung2001/2002 bzw. die daraus ableitbaren Veränderungsimpulse andas Plenum des Koordinationstreffen, an die Zentralkoordinator-

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Ausgangslage, Problemstellung und Ergebnisse

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Innen, an ProjektleiterInnen, TutorInnen und TrainerInnen rückgekoppelt, reflektiertund diskutiert im Sinne der Förderung des Selbstlernens der Organisation.

In mehreren Qualitätszirkeln in Wien, Graz und Innsbruck wurden in Form der halb-strukturierten Gruppendiskussion (die Gewichtung der diskutierten Themen erfolgteletztlich durch das Interesse und Problembewusstsein bzw. durch die Problem-beurteilung der interviewten Gruppen selbst) Frageleitfäden vor allem zu folgendenThemen diskutiert und durchgearbeitet:- Leitfäden für Ausbildungsseminare und Tutorien;- projektübergreifende Grundsätze;- projektinterne Kommunikationsstrukturen;- zukünftige Evaluierungsformen;

Ziel des Qualitätssicherungsprojektes und der Qualitätszirkel war es, die Erfahrungs-werte der ProjektexpertInnen zu erheben und zu sammeln bzw. vorhandenes Wissenzu vernetzen und projektspezifisches Know-How zu generieren und zu sichern, um esdem Gesamtprojekt bzw. weiteren Generationen im Sinne des Wissensmanagementsund der Projektentwicklung zur Verfügung stellen zu können. So sollte der interne Er-fahrungs- und Meinungsaustausch angeregt, aber auch Diskussionspunkte aufgezeigtund verschiedene Einschätzungen des Tutoriumsprojektes beleuchtet und erörtert wer-den, im Sinne eines „gemeinsamen Nachdenkens über Bewährtes in Tutorium undTutoriumsausbildung, Motivation und Kommunikation im Tutoriumsprojekt (alsOrganisation) und projektübergreifende gemeinsame Grundsätze“. Auch anstehenderVeränderungsbedarf (bzw. mögliche Veränderungsschritte) bei inhaltlichen Ziel-setzungen und/oder Organisationsbedingungen wurden diskutiert.

Die Diskussionsergebnisse der Qualitätszirkel und Arbeitsgruppen sind im Projekt-bericht Tutoriumsprojekt Qualitätssicherung 2003 (‘Qualitative Evaluierung’) doku-mentiert. Es gibt unter anderem folgende Beiträge: - Typische Inhalte, Ziele, Methoden auf Tutoriumsausbildungsseminaren;- Typische Fragen, auf die TutorInnen Antworten am Ausbildungsseminar entwickeln

sollen;- Idealtypische Lernerfahrungen und angestrebte Erkenntnisse für TutorInnen auf

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Tutoriumsausbildungsseminaren sowie Methodik und Didaktik der TrainerInnen;- Ideenpool für Tutoriumstreffen (entwickelt auf Ausbildungen);- Contracting mit den TrainerInnen;- Checkliste für ProjektleiterInnen;- Intervisions- und Übungsgruppe für TutorInnen;- 4 Säulen des Tutoriumsprojektes im Sinne des emanzipativen Anspruches und des

sozialen Lernens;- Methoden für die Förderung basisdemokratischer Themen;- Tutoriumsprojekt als Organisation I-III (Funktion des Koordinationstreffens, der

Zentralkoordination und der Regionalkreise, Homepage, Visionen für die Organisationsstruktur, Evaluierung und Qualitätssicherungsmaßnahmen);

Außerdem wurde ein Reader ‘Tutoriumsprojekt Qualitätssicherung 2003’ mit folgen-den Beiträgen zusammengestellt: - Ankündigungs-, Werbe- und Motivationstexte für Tutorien von AnfängerInnen-

tutorien und themenspezifische Tutorien (Geschlechterdifferenz-, LesBischwules-, Behinderten- und Integrationstutorien, DiplomandInnentutorien);

- Formularentwürfe für ProjektleiterInnen;- Artikel zu Geschichte und Sinn des Projektes;- Lernzielentwurf für Tutoriumsausbildungsseminare;- Leitbild für TrainerInnen;

Der Projektbericht ‘Tutoriumsprojekt Qualitätssicherung 2004’ (‘Qualitative Evalu-ierung’) enthält unter anderem folgende Inhalte. Zwischenergebnisse der Arbeits-gruppen vom Workshop ‘Qualitätssicherung 2004’ zu den Themen: - Basisdemokratie;- Koordinationstreffen Einladungsmodalitäten;- Koordinationstreffen Kommunikationskultur;- Koordinationstreffen Budget;- Jobprofil Zentralkoordination;- Regionalkreise/Universitätskreise;- Wahlmodus;

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- Zentralkoordination, Kommunikation, Informationsfluss;- Homepage

Außerdem liegt basierend auf schriftlichen Erfahrungsberichten bzw. den qualitativenElementen der online Evaluierung der Bericht ‘Tutoriumsprojekt Qualitätssicherung2004: Erfahrungsberichte und Ausschnitte der abgehaltenen Tutorien - Models of goodpractice’ mit folgenden Inhalten vor:- Tutoriumstagebuch;- Der Start (1.- ca. 3. Tutoriumseinheit);- Verläufe von semesterbegleitenden Tutorien;- Highlights – besonders gut gelungener Einheiten und Ideen;- Lowlights – schief gegangene Einheiten;

Die hier angeführten Berichte und schriftlichen Materialien (inkl. das Grundsatzpapierdes unabhängigen Tutoriumsprojekts) können über die Website des Tutoriumsprojektesals download bezogen werden: http://oeh.ac.at/oeh/dieoeh/108635333689

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Evaluation

von Martin Busch

Im UniStG 1997 wurde die Einrichtung von AnfängerInnen-tutorien und deren Evaluierung gesetzlich verankert. Seit demWintersemester 1997/98 werden die AnfängerInnentutorien fürStudierende österreichweit im Auftrag des Wissenschaftsressortsund der Österreichischen HochschülerInnenschaft systematischevaluiert. Der damalige Evaluationsauftrag lautete zunächst zuuntersuchen, inwieweit die seit Mitte der 1970er Jahre von derÖH durchgeführten Einführungstutorien die den AnfängerInnen-tutorien zugedachten Funktionen erfüllen. Weiters sollteevaluiert werden, wie nützlich und zufriedenstellend Erst-semestrige und TutorInnen diese Betreuungsmaßnahme erlebthaben, und wo Verbesserungen in der Ausbildung der TutorInnenund dem Verlauf der Tutorien vorgenommen werden sollten.

Laut § 38 (4) UniStG (jetzt § 66 (4) Universitätsgesetz 2002) solldas AnfängerInnentutorium die Studierenden bei der Bewälti-gung der leistungsmäßigen, organisatorischen und sozialen An-forderungen des ersten Studienjahres unterstützen. In Zusam-menarbeit von Zentralkoordination des Tutoriumsprojekts,Bundesvertretung der ÖH und Wissenschaftsressort des Bundes-ministeriums wurde dies folgendermaßen konkretisiert:

Hilfe bei den organisatorischen und leistungsmäßigen An-forderungen:- Ablauf und Anforderungen des Studiums kennen lernen;- Adäquate Lern- und Organisationsformen entwickeln lernen;- Einblick in die universitären Strukturen und rechtlichen

Rahmenbedingungen;- Organisationswissen: Wie und wo komme ich zu

Informationen?- Gemeinsamer Lehrveranstaltungsbesuch;- Lerngruppen bilden;- Hinterfragung wissenschaftlicher Methoden;

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Evaluation des Tutoriumsprojektes

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- Lernen, sich in Lehrveranstaltungen zu artikulieren;- Möglichkeiten der studentischen Mitbestimmung kennen lernen;- Wissen über StudentInnenvertretung und UOG;- Kennenlernen der Infrastruktur (Bibliotheken, Sekretariate, ...);- Wohnsituation besprechen;- Studienfinanzierung;- Berufsaussichten und Berufsbild;

Hilfe bei den sozialen Anforderungen:- Kontinuierliche, verbindliche Kontakte zu den Erstsemestrigen-Gruppen;- Klarwerden über eigene Wünsche, Anliegen und Probleme im Studium;- Lernen, sich in der Gruppe zu artikulieren, Wünsche und Meinungen zu for-

mulieren;- Sensibilisierung gegenüber Wünschen und Meinungen anderer;- Geschlechtsspezifische Studieneinstiegsprobleme;- Gemeinsame Unternehmungen, z. B. Erstsemestrigen-Zeitung, Feste, ...;- Gegenseitige Unterstützung, Teamfähigkeit;

Diese Zielvorgaben dienten als Grundlage für die Konstruktion von Fragebögen fürStudienanfängerInnen und TutorInnen, die dann in einer Arbeitsgruppe, bestehend ausden Fragebogenkonstrukteuren, VertreteterInnen des Tutoriumsprojekts, einemVertreter des Zentralausschusses der ÖH und einem Vertreter des Wissenschafts-ressorts, mehrmals diskutiert und optimiert wurden. Nach diversen Vortests wurden dieFragebögen auf einem österreichweiten Koordinationstreffen (KO) des Tutoriums-projekts den TutorInnen vorgestellt.

Bis zum Studienjahr 2000/2001 dienten diese Fragebögen mit einigen Adaptionen undKürzungen im wesentlichen als Grundlage der Evaluation. Da diese damals inPapierform erfolgte, wurden die Fragebögen immer zunächst an die ProjektleiterInnenausgeschickt, welche die Verteilung an die TutorInnen übernahmen. Diese wiederumorganisierten das Verteilen und Einsammeln der Fragebogen für die Studien-anfängerInnen.

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Die nachstehende Abbildung zeigt den Rücklauf für die Studienjahre 1997/98,1999/2000 und 2000/01, der auch auf eine steigende Akzeptanz bzw. auf eine Etablier-ung der Tutoriumsevaluation hindeutet.

Rücklauf Tutoriumsevaluation 1998-2001

*1997/98 wurden TutorInnenfragebogen Teil1 und Teil2 gemeinsam vorgegeben

Im ersten Evaluationsbericht für das Studienjahr 1997/98 konnte auf Basis der em-pirischen Ergebnisse folgendes positive Resümee gezogen werden.Die im Konzept für Tutorien laut UniStg §38 (4) festgelegten Zielsetzungen für An-fängerInnentutorien werden großteils vom bestehenden Einführungstutorium erfüllt. Das Tutorium, dessen Inhalte und Funktion natürlich in Wechselwirkung mit anderenEinrichtungen (z. B. Inskriptionsberatung) und Veranstaltungen (z. B. Einführungs-vorlesungen) der Studieneingangsphase steht, liefert einen wichtigen Beitrag zurGestaltung des Studienbeginns. Dass es den meisten TutorInnen gelingt, die durch dieoben angesprochene Wechselwirkung bedingten unterschiedlichen Bedürfnisse derErstsemestrigen zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren, zeigt die großeZufriedenheit der StudienanfängerInnen sowohl was Inhalte als auch persönlicheWirkung der TutorInnen betrifft.

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Da die Ergebnisse der Folgejahre ähnlich positiv ausfielen, war die Erreichung der im§ 38 (4) UniStG (jetzt § 66 (4) Universitätsgesetz 2002) gesetzten Ziele durch dieTutorien hinreichend überprüft. Gleichzeitig fiel aber auf, dass die in den Evaluationsberichten gemachten konkretenVerbesserungsvorschläge kaum umgesetzt wurden. Als Grund dafür wurde eine man-gelnde Rückmeldung der Evaluationsergebnisse an ProjektleiterInnen und TutorInnenvermutet. Ein wesentlicher Faktor in diesem Zusammenhang dürfte auch der relativrasche und kontinuierliche Wechsel der AkteurInnen auf allen Ebenen (TutorInnen,ProjektleiterInnen und Zentralkoordination) sein. Deswegen begann im Studienjahr2001/02 ein Nachdenkprozess darüber, wie es möglich wäre, die Evaluation als kon-tinuierlichen Faktor stärker für Projektentwicklung und die Tradierung von Erfahrung-en nutzbar zu machen.Für die Evaluation 2001/02 wurde daher neben dem Nachweis der Zielerreichung an-hand einiger Basisdaten der Hauptfokus auf Möglichkeiten und Vorschläge zur Weiter-entwicklung und Verbesserung von TutorInnenausbildung, Durchführung der Tutorienund der Projektstruktur gelegt. Aufgrund der Vielfalt der Projekte wurden neben einig-en bewährten gebundenen Fragebogenfragen auch offene Fragen gestellt. Zusätzlichzum allgemeinen Evaluationsbericht wurden Einzelberichte auf Projektebene erstellt.Eine weitere Neuerung war, dass die Evaluation 2001/02 erstmals online durchgeführtwurde. Aus ökonomischen Gründen und wegen des veränderten Fokus wurde auf dieBefragung der Erstsemestrigen verzichtet und stattdessen ein Befragungsmodul für dieProjektleiterInnen entwickelt.

Nachfolgend findet sich ein Auszug aus den Ergebnissen der Evaluation 2001/02:Die Durchführung der Tutorien funktioniert im allgemeinen sehr gut, was sich mit derDauer der meisten dieser Veranstaltungen und den Angaben zur Zielerreichung bele-gen lässt. Auf Basis der Verbesserungsvorschläge der TutorInnen und der Daten zurVeränderung der Anzahl der TutoriumsteilnehmerInnen im Verlauf der Tutorien lässtsich aber ein Problem skizzieren. Einige Tutoriumsgruppen sind zu Beginn desSemesters sehr groß und erleiden dann im Verlauf der Zeit einen massiven Teilnehmer-Innenschwund. Eine Gruppengröße von mehr als 20 Personen (bei einem auf regel-mäßige Treffen über das Semester angelegten Tutorium) macht eine adäquate Betreu-ung schwierig und erschwert den Gruppenbildungsprozess bei den Studienanfänger-

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Innen. Aus diesem Grunde sollte bei der Vorstellung und Einteilung der Gruppen einModus gefunden werden, pro Tutorium nicht mehr als 15 bis 20 StudienanfängerInnenzuzuteilen. Weitere öfter geschilderte Probleme beziehen sich auf Schwierigkeiten,geeignete Räume und Termine zu finden.

Starker Verbesserungsbedarf bezüglich Werbung und Bekanntmachung der Tutorienbesteht nur in 9% der Tutoriumsprojekte. Generelles Verbesserungspotenzial dürfte inerster Linie in einer besseren Information und Kooperation mit den Lehrenden und imverstärkten Einsatz neuer Medien (Homepage, E-Mail) liegen.Bezüglich der Verbesserungsvorschläge zur Projektleitung fällt die große Vielfältig-keit der Gebiete, die sie betreffen, auf (z. B. Tutorium, Ausbildung, Abrechnung,Evaluation). Dies beleuchtet die Funktion der Projektleitung als Bindeglied zwischendiesen Bereichen und zeigt, dass sich die ProjektleiterInnen auch für all diese Bereicheverantwortlich fühlen. Ähnlich wie bei den Fragen zu Verbesserungsvorschlägenbezüglich Ausbildung und Tutorium könnte auf Basis der erhobenen Informationeneine Checkliste von Aspekten, die bei der Projektleitung zu beachten sind, erstellt wer-den. Insbesondere die Kategorien „Organisation des Ausbildungsseminars“ und „Tu-toriumsprojekt allgemein“ enthalten viele praxisrelevante Informationen, wie z.B.„einige TutorInnen melden sich an und springen dann ab“, „rechtzeitige Termin-planung erspart Stress“, „mehr leistbare Seminarorte müssen gesucht werden“ oder„es sollte einen Vorschuss für Fahrtkosten der TutorInnen geben“, die beachtet bzw.diskutiert werden sollten.

Um die Integration der bisherigen Evaluationsergebnisse im Sinne von Projekt-entwicklung zu fördern, wurde im Studienjahr 2002/03 beschlossen, von nun an dieEvaluation in zwei Teilen durchzuführen. In einem quantitativen Teil sollen weiterhinzur Dokumentation wichtige Kenndaten beobachtet werden. Ein zweiter Teil derEvaluation, der in erster Linie mit qualitativen Methoden arbeitet, widmet sich gezieltder Umsetzung von Evaluationsergebnissen, der Projektentwicklung und derEntwicklung und Etablierung von Qualitätssicherungsmaßnahmen. Im Studienjahr2003/04 wurde beispielsweise in diesem Rahmen mit der Erarbeitung von „Models ofgood practice“ der Tutoriumsdurchführung begonnen.

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Abschließend seien noch einige Ergebnisse der quantitativen Evaluation 2003/2004präsentiert. Die Aussagen zu Art und Anzahl der 2003/04 durchgeführten Tutorienberuhen auf 47 von ProjektleiterInnen ausgefüllten Evaluationsbögen. Bei 69% indiesen Tutoriumsprojekten angebotenen Tutorien handelt es sich um Tutorien mitregelmäßigen Treffen (wobei 32% über mindestens 2 Monate und 37% über min-destens 4 Monate stattfanden). 31% der abgehaltenen Tutorien waren geblockt (teil-weise mit Nachtreffen). Nachfolgende Grafik enthält die Absolutanzahl der angebote-nen Tutoriumsarten.

Insgesamt wurden 2003/04 in den 47 evaluierten Projekten, von denen vollständigeInformationen zu Anzahl und Organisationsform der Tutorien vorliegen, 422 Tutorienangeboten. Die Gesamtzahl der österreichweit angebotenen Tutorien dürfte aberwesentlich höher liegen (12 Projekte mit Ausbildungsseminar, von denen in vor-liegender Evaluation keine Angaben erfasst wurden, bzw. Projekte, die 2003 keinAusbildungsseminar einreichten). Die Aussagen zu den TutorInnen und zu den Tutorien beziehen sich auf Angaben voninsgesamt 501 TutorInnen. Der Großteil der angehenden TutorInnen befindet sich im5. bis 10. Studiensemester. Immerhin 25% wollen schon in den ersten beidenStudienjahren TutorInnen werden. 11% studieren bereits länger als 10 Semester.Über die Hälfte der TutorInnen hat noch nie ein Tutorium geleitet, 22% besitzen schonausgiebige Tutoriumserfahrung (bisher mehr als ein Tutorium geleitet) und 23% warenschon einmal ErstsemestrigentutorInnen.

Tutorien mit regelmäßigen Treffen über 2 MonateTutorien mit regelmäßigen Treffen über 4 Monate

Geblockte Tutorien

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Die TutorInnen sind bezüglich Studienerfahrung und Tutoriumserfahrung sehr hetero-gen.Die ProjektleiterInnen wurden auch nach ihren inhaltlichen Einschätzungen derAusbildungsseminare gefragt:

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Gruppenmoderation undGruppenleitung

Reflexion von Gruppenspielen &Gruppenübungen

Schwierige Gruppensituationen

Wichtige organisatorischeStudieninformationen

Infos zum Studieninhalt

Frauenspezifische Schwierigkeitenan der Uni & Geschlechterdifferenz

Reflexion der TutorInnenrolle

Beurteilung der (gewünschten) Auftrittshäufigkeit der Ausbildungsthemen kurz nachder Ausbildung (T1) und Ende des Semesters (T2) (N=44)

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Etwa 70% der ProjektleiterInnen sind mit der Gewichtung aller Inhalte - mit Ausnahmevon „Frauenspezifischen Schwierigkeiten und Geschlechterdifferenz“, „Gruppen-moderation und Gruppenleitung“ und „Schwierige Gruppensituationen“ - zu beidenZeitpunkten (also unmittelbar nach dem Seminar und am Semesterende) zufrieden. Eszeigt sich, dass die Inhalte „Gruppenmoderation und Gruppenleitung“ und„Schwierige Gruppensituationen“ von etwa einem Drittel der ProjektleiterInnen öftergewünscht wurden. Beim Inhalt „Frauenspezifische Schwierigkeiten an der Uni undGeschlechterdifferenz“ scheiden sich die Geister. Während knapp ein Viertel derProjektleiterInnen dieses Thema gern öfter behandelt sehen würde, spricht sich einDrittel für eine seltenere Behandlung aus.Insgesamt lässt sich auf Basis der erhobenen Daten das Tutoriumsprojekt als lebendi-ger, gut funktionierender Organismus beschreiben, in dem der Großteil der Beteiligtenmit hohem Engagement zusammenarbeitet. Dem Tutoriumsprojekt kommt auch auf-grund der derzeit stattfindenden Veränderungen im Studienablauf und im gesamtenuniversitären Leben eine wichtige Bedeutung zu.

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Der politische Anspruch

Sinn und Unsinn des Tutoriumsprojektes

von Mishela Ivanova und Pier-Paolo Pasqualoni

Wie irreführend Dinge sein können, die uns in der Schule nochbanal erscheinen, zeigt sich in manchen Fragen, mit denen wirdort konfrontiert werden: „Wann wurde Amerika entdeckt?“ Dieschlichte, erwartete Antwort auf diese Frage kann uns mit einemMal falsch erscheinen. Entdeckt wurde Amerika höchstens vomStandpunkt derer, die seine ursprüngliche Bevölkerung aus-gelöscht und alle Kultur- und Naturgüter für ihre Zwecke nutz-bar gemacht haben.

Amerika wurde nie entdeckt. Amerika wurde erobert.Der negative Beigeschmack, der dieser Feststellung anhaftet,trifft auf die Situation der StudienanfängerInnen gewissermaßenin umgekehrter Weise zu. Auch sie betreten Neuland, jedochüblicherweise nicht mit der Impertinenz und der Gewinnsuchtderer, die Werkzeuge besitzen, sich das dort Bestehende anzu-eignen. Vielmehr sind es hier die Eingeborenen (Rektoren,ProfessorInnen, etc.), die alle Werkzeuge in ihren Händen halten,bereit, diese Werkzeuge (nur keine anderen!) an die Neuan-kömmlinge weiterzugeben, oft ohne sie selbst auch nur einenAugenblick loszulassen.

An Österreichs Universitäten gibt es aber auch etwas, das dabeihelfen kann, die Orientierung im Dschungel der bürokratischenEinrichtung, welche eine Universität nun einmal darstellt, zu er-leichtern: das ‘Erstsemestrigen- oder AnfängerInnentutorium’.

Wenden wir uns zunächst einer Definition zu, die uns vorJahren als Ankündigungstext gedient hat:Ein AnfängerInnentutorium besteht aus einer Gruppe von rundzehn Studierenden, die von ein bis zwei höhersemestrigenTutorInnen betreut werden. Das Tutorium soll die Möglichkeitbieten, sich gegenseitig kennen zu lernen und Erfahrungenauszutauschen. Ein weiteres Anliegen ist die Vermittlung einer

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grundlegenden Orientierung im Uni-Alltag (Bibliotheken, Aufbau der Institute,mögliche Wahlfachkombinationen, Ansprechpersonen für weitere Auskünfte). Damitsoll der Einstieg in das Studium erleichtert und ergänzt werden.

In unserem Definitionsversuch finden sich bereits alle wesentlichen Elemente, um dieauf dem Festland vorgefundenen Verhältnisse kennenzulernen, zu umreißen und zuverflüssigen, wo sie Verkrustungen aufweisen, ja, im Bedarfsfall auch auf den Kopf zustellen. Es finden sich aber auch Elemente, die die Unzulänglichkeiten des univer-sitären Alltags kompensieren und die bestehenden Verhältnisse unangetastet lassensollen. Das Tutorium kann dann zur Aufrechterhaltung des staus quo beitragen, indemes ihn bestätigt, rechtfertigt und bewahrt.

Das Tutorium erschöpft sich keineswegs in seinem ‚karitativen’ Aspekt.Es versteht sich vielmehr als Anregung und Hilfestellung zu selbstorganisiertemLernen. Darin unterscheidet es sich von Beratungs- und Lehrveranstaltungen. DasTutorium ermöglicht die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt: Ausgehendvom eigenen Erleben und der eigenen Betroffenheit, ermutigt es die Beteiligten, eigeneStandpunkte und Interessen überall dort einzubringen, wo sie gefragt sind - selbstdann, wenn sie gerade nicht gefragt sind.

Vor dem Hintergrund seines politischen Anspruchs ist das Tutorium als Strategie zurVeränderung anzusehen, einer Veränderung der Lebenswelt Universität durch dieAuseinandersetzung mit ihren Strukturen und mit der Lebensweise, die uns dort ver-mittelt wird. Der politische Anspruch wird dabei bereits durch das Abtasten dervorhandenen Strukturen und der Herrschaftsverhältnisse im sozialen Umfeld der Teil-nehmerInnen eingelöst: Diese Strukturen setzen unserem Handeln enge Grenzen, sieerfordern eine kritische Auseinandersetzung und können somit auch nicht unhinter-fragt bleiben. Persönliche Veränderung und gesellschaftspolitische Veränderung gehendabei Hand in Hand, sie erfolgen im Rahmen eines Lernprozesses, „der nach und nachmöglichst alle Beteiligten des Systems einbezieht. Dieser Lernprozeß vollzieht sichnicht in der Aneignung von theoretischem Wissen, sondern durch Erfahrungen undgemeinsame Reflexion“ (Hantschk et al. 1982, S. 48). Er impliziert somit eine inte-grative und emanzipatorische Zielsetzung und lässt sich nicht auf die Tätigkeit in

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diversen universitären Gremien und Kommissionen oder auf bloße Ideologieent-wicklung einengen.

Aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, dass im Tutoriumsprojekt der Politikbegriffbreiter gefasst wird, als dies landläufig der Fall ist: Politik betrifft nicht nur die durchWahlen legitimierte Entscheidungsmacht und Mitbestimmung im Rahmen öffentlich-er Institutionen wie dem Parlament, Interessensvertretungen, in parteipolitischen undfraktionellen Einrichtungen, „sondern für uns ist das eigentlich Politisierende derAlltag und die Lebensgeschichte“ (Hantschk et al. 1982, S. 50) jeder und jedesEinzelnen im gesellschaftlichen Mit-, Für- und Gegeneinander.

In diesem Sinne möchten wir zunächst einige Eckpfeiler benennen, die das Tutoriums-projekt als sozialen Ort zur Förderung gesellschaftspolitischen Denkens und Handelnscharakterisieren:

SelbstorganisationDas Tutoriumsprojekt fordert und fördert aktive Teilnahme, Eigeninitiative undSelbstverantwortung. Diese Prinzipien lassen sich am Beispiel des selbstorganisiertenLernens veranschaulichen: „Allgemein lässt sich Selbstorganisation von Lernpro-zessen definieren, als die ständige aktive Aneignung und Gestaltung von Zielen, In-halten, Organisationsformen durch die Betroffenen (Tutor[Inn]en, ES [Erstsemes-trige]) sowie dem freien und unvermittelten Zugang zu allen notwendigen Ressourcen(Finanzen, Räume etc.) mit dem Ziel, durch Veränderung der eigenen Person und dereigenen Umgebung mehr Einfluss und Kontrolle über die Gestaltung der eigenenArbeits- und Lebensbedingungen zu gewinnen“ (Hantschk et al. 1982, S. 37).

Selbstorganisation impliziert den Abbau von Konsumhaltungen, die mit verstärktenVerschulungstendenzen im Studienalltag zwangsläufig einhergehen, setzt aber auchpolitische Mündigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Handlungskompetenz voraus.Diesen kommt gerade in einer Zeit, in der Eigenverantwortung auf die Bedeutung ‚sel-ber schuld’ eingeengt wird, ein umso größerer Stellenwert zu.

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Soziales LernenWichtige Zielsetzungen im Tutoriumsprojekt umfassen darüber hinaus: Entwicklungvon Sensibilität für soziale Prozesse, Erkennen der eigenen Stellung in der Gruppe,Abbau von Konkurrenzverhalten, Aufbau von Solidarität, Reflexion über die studen-tische Lebensorganisation, Klassenlage, Geschlechterverhältnisse, etc. Dabei geht eseinerseits um die Herstellung von Reflexions- und Handlungsfähigkeit, um die Förder-ung sozialer Kompetenzen wie Rollendistanz, Einfühlungsvermögen, Ambiguitäts-toleranz, etc., andererseits um die Stärkung der Tutoriumsgruppen: Seit den Ursprüng-en des österreichischen Tutoriumsprojekts werden stabile Gruppen als Voraussetzungpolitischer Arbeit angesehen (vgl. Kellermann et al. 1981).

PraxisrelevanzIm Tutorium werden jene Themen aufgegriffen und bearbeitet, mit denen sich dieStudierenden konfrontiert sehen. Die Selbstbestimmung der Inhalte ist von unmittel-barer Bedeutung für die Selbstorganisation. Darüber hinaus ermöglicht diese Durchläs-sigkeit gegenüber ‚realen Problemen’ eine Vermittlung von Theorie und Praxis und dasAufgreifen gesellschaftspolitischer Themen. Dies zeigt sich beispielsweise in der suk-zessiven Aufnahme neuer Thementutorien ins Tutoriumsprojekt.

VernetzungDas Tutoriumsprojekt bietet Vernetzungsstrukturen und baut auf vielfältigen Formendes Engagements unterschiedlicher Studienrichtungen in Kooperation miteinander undmit anderen sozialen Gruppen auf. Die Vernetzung im Tutoriumsprojekt reicht somitweit über die österreichweiten Koordinationstreffen, die den TutorInnen als Rahmenfür systematischen Erfahrungsaustausch und eine kollektive Entscheidungsfindungdienen, hinaus. Sie schließt soziale Netze vor Ort, die einen emotionalen Rückhaltbieten, explizit mit ein. Dies erweist sich wiederum als besonders bedeutsam für dienachfolgenden Zielsetzungen.

EmpowermentDie Selbstermächtigung der Studierenden stellt im Tutoriumsprojekt ein zentralesAnliegen dar. Sie beginnt mit der Erkundung der universitären Strukturen und setztsich im emotionalen Rückhalt und in einer weiterführenden Zusammenarbeit im

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Rahmen selbstorganisierten Lernens fort. Die Beteiligten werden ermutigt, ihreProbleme selbst in die Hand zu nehmen. Vor diesem Hintergrund ist Empowermentvon Studierenden keineswegs als Selbstzweck anzusehen, es kann vielmehr der zuneh-menden Anonymisierung im Studienalltag entgegenwirken und stellt einen notwendi-gen Zwischenschritt zu größerer Unabhängigkeit und Selbstbestimmung dar: Erstwenn die Studierenden mit der Lebenswelt Universität vertrauter geworden sind, kön-nen sie sich konkret mit ihr auseinandersetzen (vgl. Hantschk et al. 1982, S. 50).

EmanzipationKennzeichnend für das Tutoriumsprojekt ist der Versuch, alle Beteiligten gleichwertigan Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Emanzipation ist dabei als beständi-ger Versuch der Befreiung von Abhängigkeiten, als Praxis von Selbstbestimmung undGleichberechtigung in Abgrenzung von gängigen hierarchischen Strukturierungs-gesichtspunkten und Praktiken zu verstehen. All dies fließt in das Prinzip derBasisdemokratie ein, das dem Projekt zugrunde liegt.

Der konsensorientierte Abstimmungsmodus und die Öffnung und laufende Erweiter-ung des Tutoriumsprojekts um die verschiedenen Thementutorien sind getragen vomBemühen, gesellschaftliche Ausschlussmechanismen nicht blind gegenüber ihrerHerkunft zu reproduzieren und für die Anliegen jeder/jedes Einzelnen gleichermaßenoffen zu sein. Bei gemeinsamen Entscheidungen sollen sich alle Anwesenden einbrin-gen können, niemand soll übergangen werden. Der Raum für eine Auseinandersetzungmit wichtigen Fragen muss gegeben sein. Wenn schließlich alle Anwesenden ‚mit derLösung leben können’, werden die wesentlichen Entscheidungen auch von allen mit-getragen, nach innen ebenso wie nach außen.

VeränderungSelbstermächtigung und reflexive, kritische Auseinandersetzung mit der eigenenLebensweise und mit hierarchischen Strukturen setzen auf das Bedürfnis, auf daseigene Umfeld einzuwirken und sich zu beteiligen, wenn es darum geht, wün-schenswerte Veränderungen einzufordern und herbeizuführen. Der Versuch, imTutoriumsprojekt einen Raum für persönliche Entwicklung bereitzustellen und dieStudiensituation zu verbessern, endet keineswegs mit der Veränderung der Lebenswelt

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Universität. Vielmehr sollen diese Veränderungen nach außen getragen werden undeine gesellschaftliche Reichweite annehmen.

VerbreitungEin wichtiger Bestandteil des Tutoriumsprojekts ist dementsprechend auch seineVerbreitung. Dabei handelt es sich keineswegs nur um die Expansion des Tutoriums ansich, nicht nur um das Nach-Außen-Tragen und die Verbreitung gesellschaftspoliti-schen Denkens und Handelns (von Emanzipation, Selbstbestimmung und Selbstorga-nisation im Sinne einer Politisierung immer breiterer Gesellschaftsschichten), sondernauch darum, die Offenheit und Zugänglichkeit des Projekts für alle aufrechtzuerhalten,die ein legitimes Mitspracherecht an den im Tutoriumsprojekt verhandelten Themenanmelden (können).

Entlang dieser Eckpfeiler erfolgt im Tutorium(sprojekt) neben der Integration vonStudierenden in die Universität und in ihr gesellschaftliches Umfeld der Versuch,gesellschaftspolitisches Bewusstsein zu fördern. Die Funktion der Anpassung an denstatus quo wird anderen Institutionen überlassen und womöglich vereitelt: „Folglich istes nicht unser vorrangiger Anspruch, das Studium in der bestehenden Form erträglich-er zu machen. Vielmehr wollen wir im Tutorium die Wahrnehmungsfähigkeit fürunsere gesellschaftliche Rolle schärfen und aus der kritischen Auseinandersetzung mitder persönlichen Situation überleiten zu einem emanzipatorischen, gesellschaftspoli-tischen Denken und Handeln“ (Grundsatzpapier des Unabhängigen Tutoriumsprojekts,URL: http://oeh.ac.at/oeh/tutpro).

Wer das Tutoriumsprojekt schon besser kennt, wird unter den angeführten Punktenvermutlich die sprichwörtliche Autonomie vermissen, auf die das ‚Unabhängige Tutor-iumsprojekt’ bereits in seinem Namen anspielt. Da gerade dieser Aspekt auf eine langeund oft konfliktbehaftete Diskussion zurückblickt, möchten wir dieser Frage gesondertnachgehen, indem wir sie in einen breiteren gesellschaftspolitischen Kontext stellen.

Als Habermas, Friedeburg, Oehler und Weltz 1957 das Thema „Student und Politik“in Angriff nahmen, um nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus diekünftige soziale und intellektuelle Elite auf ihre Bereitschaft zur Übernahme gesell-

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schaftlicher Verantwortung zu befragen, stand für sie außer Zweifel, dass Studierendeden Vorzug einer gewissen Offenheit haben: „Die Motive politischen Verhaltensdürften während des Studiums ... den Individuen durchsichtiger, die politische Haltunginsgesamt offener und unverhohlener sein als später, während der Ausübung desBerufes, der mit mannigfach verstärkten sozialen Kontrollen besetzt ist und erst rechtAnpassung verlangt, ursprüngliche Einsichten und Gesinnungen verdeckend“(Habermas et al. 1961, S. 53f).

Trotz der günstigen gesellschaftlichen Lage, welche die Autoren für eine Generationvon (vorwiegend männlichen) Studierenden sahen, sollte keineswegs der Eindruckentstehen, als sei es jemals leicht gewesen, als Studierende/r und auch im Tutoriums-projekt den politischen Anspruch in der Form einzulösen, wie wir sie im obigen Ab-schnitt skizziert haben. Dieser Anspruch ist durchaus ambitioniert, und das Tutoriums-projekt hatte beim Versuch, ihm gerecht zu werden, schon immer mit einer ganzenReihe von Schwierigkeiten zu kämpfen, denen es andererseits auch seine Stärke undFaszinationskraft verdankt:

Kontinuität und Kompetenz in den ProjektgruppenDer Generationenwechsel unter den TutorInnen, die sich im studentischen Kontext be-sonders schnell ablösen, trägt zur Diskontinuität im Tutoriumsprojekt bei. Ein dezen-tral organisiertes und größtenteils auf ehrenamtlicher Arbeit beruhendes Projekt hatmit dieser Problematik jedenfalls schwerer zu kämpfen als hierarchisch organisierteInstitutionen. Die Kehrseite dieser Problematik ist, dass dem Tutoriumsprojektdadurch ‚ewige Jugend’ beschert ist: Die „Spontaneität in den von Jahr zu Jahr neu zuorganisierenden Orientierungseinheiten schafft jene Faszination der Projektarbeit fürdie Mitträger[Innen] des ÖH-Modells und für die Tutor[Inn]en, die trotz hoher Ent-täuschungen, geringer Honorierung und vom offiziösen Lehrbetrieb wenig aner-kannter Leistung eine bisher immer wieder ausreichende Anzahl an Mitarbeiter[Inn]ngewinnen ließ“ (Kellermann et al. 1981, S. 68). Inwiefern diese Schlussfolgerungnicht nur positiv zu werten ist, sondern durchaus ihre eigene Problematik aufweist(beispielsweise ist die Aufwandsentschädigung für die Abhaltung eines Tutoriums von2000 Schilling im Jahre 1976 im dritten Jahrzehnt seines Bestehens auf 0 Eurogesunken), wird abschließend noch eigens diskutiert.

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Verhältnis zur FraktionspolitikAuch die Fraktionsunabhängigkeit, die im Tutoriumsprojekt angestrebt wird, kann nievollkommen gewährleistet werden, zumal in der fraktionspolitischen Zusam-mensetzung der Bundesvertretung der ÖH, die jährlich das Budget beschließt, einegewisse Abhängigkeit von Fraktionen bereits angelegt ist und auch Studien-richtungsvertreterInnen, von denen der überwiegende Teil der Projektgruppen initiiertwird, oft solchen Fraktionen angehören: „[N]aheliegend war es auch, die Ein-führrungstutorien zur Weckung student[Inn]enpolitischen Interesses und zurGewinnung engagierter Student[Inn]envertreter[Innen] für die vielen Hoch-schulgremien mit studentischen Mitwirkungsrechten zu nutzen. - Doch gerade dasgrundlegende Prinzip der Selbstorganisation, das auch die Projektgruppen für sichgegenüber der ÖH … in Anspruch nahmen, ließ die an die Orientierungseinheitengeknüpften politischen Hoffnungen unerfüllt“ (ebd., S. 74). Im Kontext derRessourcenabhängigkeit des Tutoriumsprojekts kam es immer wieder zuEinmischungsversuchen seitens der ÖH-Exekutive. Im Gegenzug bot sich denBasisgruppen im Tutoriumsprojekt dadurch die Gelegenheit, ihre Mobilisierungskraftunter Beweis zu stellen.

Inklusion und Exklusion bei der EntscheidungsfindungBesonders in Zeiten, in denen die Anforderung nach (Zeit-) Effizienz für alle deutlichspürbar wird, sind basisdemokratische Entscheidungsstrukturen mehr denn jegefährdet. Wenn sich bei manchen Gelegenheiten herausstellt, dass es weniger uminhaltliche Divergenzen, als vielmehr um die Vorherrschaft über das Tutoriumsprojektgeht, ist in diesem Entscheidungsmodus ein Konflikt vorprogrammiert. Gerade dasKonsensprinzip hat das Tutoriumsprojekt in den letzten Jahren, in denen es durch seineAusweitung und Institutionalisierung auch für ÖH-Fraktionen zunehmend anAttraktivität gewonnen hat, vor mehr als einem Unterwanderungsversuch bewahrt.

Systemimmanente und systemkritische ErfordernisseEin wesentliches Moment des Autonomieproblems ergibt sich auch aus der systemkri-tischen Anforderung, die Tutorien weder auf „’Reparaturbetriebe’ für gesellschaftlicherzeugte Gebrechen des Hochschulbetriebes“, noch auf „Nachhilfekurse“ zureduzieren (Kellermann et al. 1981, S. 67; vgl. Kippes 1978). Um ihre Zielgruppe zu

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gewinnen und den StudienanfängerInnen tatsächlich helfen zu können, müssen dieAnfängerInnentutorien jedoch bei eben diesen Problemen ansetzen: Die Erst-semestrigen sollen in ihren Anliegen ernst genommen und dort abgeholt werden, wosie stehen.

Legitimation gegenüber fördernden InstitutionenObgleich die ÖH dem Tutoriumsprojekt inhaltlich wie organisatorisch relativ vielFreiheit einräumt, was erst die Autonomie dezentraler Gruppen ermöglicht(e), setzt siedurch die Co-Finanzierung des Tutoriumsprojekts, ihre Kontrolle über die Infra-struktur und den SachbearbeiterInnenstatus der ZentralkoordinatorInnen der Auto-nomie des Tutoriumsprojekts klare Grenzen. Die „Irritation zwischen Absicherungs-und Eigenständigkeitsinteressen“, die sich aus dieser Problematik ergibt, erweist sichdabei keineswegs nur als bedauerlich: Sie „erhält der ÖH die Attraktivität der undzugleich die Belastung durch die Einführungstutorien“ (Kellermann et al. 1981, S. 68).

Bei näherer Betrachtung kann uns die von der Gesetzgebung verfolgte Intention nichtentgehen, wenn sie mit einem Mal AnfängerInnentutorien - zunächst im Universitäts-studiengesetz 1997 (§ 38) und zuletzt im Universitätsgesetz 2002 (§ 66 Abs. 4) - füralle Studienrichtungen vorsieht: TutorInnen sollen helfen - helfen bei der Orientierungin einer neuen Umgebung, helfen, auch wenn es darum geht, einen frühzeitigenStudienabbruch oder einen rechtzeitigen Studienwechsel ins Auge zu fassen. Mit derverstärkten Institutionalisierung durch die finanzielle Absicherung des Tutoriumspro-jekts und die partielle Aufnahme von Tutorien in die Studienpläne (als Einführungs-lehrveranstaltungen), die mit dieser gesetzlichen Verankerung einhergehen, läuft dasTutoriumsprojekt Gefahr, auf eine kostengünstige Serviceeinrichtung reduziert zuwerden.

Diese Problematik ist nicht neu, sie findet sich bereits bei Kellermann et al.beschrieben: „Letztlich, so scheint es, geht diese institutionelle unideologische Zwit-terstellung des ÖH-Modells auf ein grundlegendes gesellschaftspolitisches Problemzurück, das wichtige demokratietheoretische Aspekte aufweist. Denn studentischePolitik, will sie ihre Eigenständigkeit erhalten und betonen, kann nur in kritischerDistanz zum eingeführten und staatlich verfaßten Universitätsbetrieb angelegt sein;

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dies entspräche demokratischer Lehre, nach der die Betroffenen ihre eigenenInteressen artikulieren und in den Prozeß einbringen können müssen. In dem Momentjedoch, in dem die Legitimität des studentenpolitischen Interesses an Einführungs-tutorien von seiten der Wissenschaftsadministration (Ministerium und Universität)anerkannt wird und Konsequenzen derart gezogen werden, daß die TutorienInstitutionen und budgetär abgesichert werden, ist einerseits zumindest tendenzielleine ‚Vereinnahmung’ erfolgt und somit die kritische Distanz in Gefahr, verfällt ander-erseits das gesamte Gebaren der Einführungstutorien den geltenden Gesetzenentsprechend der staatlichen Kontrolle und erhält damit eine kalkulatorisch notwendi-ge Stabilität, die unweigerlich bürokratische Inflexibilität und personale Immobilitätnach sich zieht.“ (Kellermann et al. 1981, S. 67 f.).

Eine Vereinnahmung durch fortschreitende Institutionalisierung könnte dazu führen,dass das Tutoriumsprojekt - im gleichen Maße, in dem es an Salonfähigkeit gewinnt -über kurz oder lang seine gesellschaftspolitische Orientierung einbüßt, um seinefinanzielle Absicherung zu rechtfertigen und seine Existenz zu bewahren. Eine weitradikalere Form der Vereinnahmung gesellschaftskritischer Initiativen wird von LucBoltanski und Ève Chiapello (2003) thematisiert: ‚Der neue Geist des Kapitalismus’erscheint ihnen als normatives System, dem es gerade durch seine Durchlässigkeit unddurch die Aufnahmefähigkeit gegenüber der gegen ihn gerichteten Kritik immerwieder gelingt, gestärkt aus Legitimationskrisen hervorzugehen. Eine Vereinnahmungdes Tutoriums könnte demnach nicht allein durch die Institutionalisierung seiner kari-tativen Komponenten, sondern auch durch die Aneignung und Pervertierung seinerursprünglich kritischen Intention zum Zweck der Legitimation und Reproduktion desstatus quo erfolgen.

Der Kapitalismus geht bei der Berücksichtigung des ‚feedback’, das ihm sozialeBewegungen zuteil werden lassen, selektiv vor. Dies zeigen Boltanski und Chiapello(2003, S. 81 ff.) in ihrer ‚Wirkungsgeschichte’ der 68er (StudentInnen-) Bewegungauf: In den aktuellsten Ausformungen kapitalistischer Produktionsverhältnisse bleibendie ‚sozialen’ Aspekte dieser Kritik - mit ihrer Forderung nach Gleichheit, sozialerGerechtigkeit und Solidarität - unberücksichtigt. Aufgegriffen wurde hingegen dieForderung nach Freiheit, Selbstbestimmung und Authentizität, die sich (nicht zufällig)

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in der gegenwärtigen Form prekärer Beschäftigungsverhältnisse wieder finde -wodurch der Begriff der Freiheit gegenwärtig droht, seine Bedeutung zu verlieren. Aufder Ebene der Organisation liegt der Akzent auf Wandel, Prozess und Ergebnis,während Gesichtspunkte von Stabilität, Struktur und Verfahren in den Hintergrundtreten (vgl. du Gay 2000). Diese Privilegierung von Veränderung gegenüber Stabilitätlässt sich auch an der gegenwärtigen Umstrukturierung der Universitäten unter demAspekt ihrer Marktförmigkeit aufzeigen (vgl. Burtscher et al. 2004).

Funk beschreibt in ähnlicher Weise den Wertewandel von einer autoritären zu einerMarketing-Orientierung, bei der Menschen mit ihren Bedürfnissen immer mehr insHintertreffen geraten (vgl. Funk 1998). In den Vordergrund rückt der Markt und mitihm neue marktwirtschaftliche Erfordernisse nach Ungebundenheit, Mobilität,Schnelligkeit, Flexibilität, Unverbindlichkeit. Was sich verkaufen lässt, wirdentsprechend zur Ware gemacht: „Gefühle, Bedürfnisse, Stimmungen, Symboli-sierungen der Zuwendung, des Erlebens, des Erfolgs oder des Vorteils“ (Funk 1998, S.6), ebenso soziale Initiativen und politische Gegenkulturen. In der klassischenTypologie sozialen Handelns bei Max Weber (1972, S. 12 f.) zeichnet sich auch im stu-dentischen Milieu ein Primat zweckrationaler und affektueller (gegenüber tradi-tionalen und wertrationalen) Orientierungen ab: Während traditional orientiertesHandeln unter Studierenden auf wenige Nischen (z. B. Burschenschaften und andereStudentenverbindungen) beschränkt bleibt, die heute zunehmend marginalisiert wer-den, und auch wertrationale Aspekte (Studium als Wert an sich) unter Studierendenzunehmend in den Hintergrund treten, scheinen zweckrationale (Studium als Mittelzum Zweck, z. B. akademischer Abschluss, Karriere, höheres Einkommen) und affek-tuelle bzw. emotionale Gesichtspunkte (die aufgrund der typischen Verankerung vonStudierenden innerhalb der Jugendkultur Spaß und Unabhängigkeit in denVordergrund kehren) zuzunehmen.

Diese Entwicklung wird durch ökonomische Zwänge (Studiengebühren,AkademikerInnenarbeitslosigkeit) nahe gelegt, liegt aber auch im Trend und spiegeltim oben dargelegten Sinn den Zeitgeist wider: Wir investieren zunehmend in uns selb-st, nach Maßstäben, die ihren systemimmanenten Charakter nur schwer verbergenkönnen. Wir werden zu ArbeitskraftunternehmerInnen (vgl. Voß/Pongratz 1998;

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Pongratz/Voß 2003) und sehen uns immer mehr gezwungen, unsere Persönlichkeit zuvermarkten: „Jeder versucht, sich selbst so gut wie möglich zu verkaufen: mit seinerBildung, seinen Zeugnissen, seinen bisherigen Stellen und Erfolgen, seinenFortbildungskursen, seiner Allgemeinbildung, seinen Sprachkenntnissen, seinemsicheren und selbstbewussten Auftreten oder auch mit seinen spleenigen Ideen“ (Funk1998, S. 12).

Boltanski und Chiapello (2003) beschreiben mit der ‚projektbasierten Polis’ ein neuar-tiges Gewebe von Werten und Normen, das sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte inder Managementliteratur abzeichnet und die Etablierung einer neuen Herrschaftsfor-mation begleitet, indem es das „Regime des flexiblen Kapitalismus“ (Sennett 1998)rechtfertigt, das bereits allerorts seine krisenhaften Auswirkungen zeigt. DieProjektpolis (cité par projets) bezeichnet eine Legitimationsfigur für Einfluss-möglichkeiten und Ressourcennutzung in einer vernetzten Welt: Größe wird darin vor-rangig über eine spezifische Kombination von kulturellem Kapital (Bildung bzw.Informationskapital) und sozialem Kapital (Beziehungen, das sprichwörtliche VitaminB; vgl. Bourdieu 1983) erlangt.

Der Wert von (individuellen oder kollektiven) AkteurInnen bemisst sich demnach amGrad ihrer Aktivität, ihrer Anpassungsfähigkeit, ihrer Flexibilität und Mobilität. DieUnfähigkeit, sich zu vernetzen und Kooperationen in einem möglichst breitenSpektrum gesellschaftlicher Subsysteme einzugehen, zeigt - selbstverschuldete -Schwäche an: Wer mit den genannten Anforderungen nicht mithalten kann und über zuwenig nützliche Kontakte verfügt, die den Wechsel von einem Projekt ins nächsteermöglichen, kann in dieser Projektwelt mit wenig Unterstützung, wenigWertschätzung bzw. ‚Interesse’ an seiner/ihrer Person und auch mit wenig Verständnisrechnen.

Projekte sind dabei grundsätzlich befristet und haben nur als solche Bestand. Sie sindZwischenlösungen, Etappen auf einem zunehmend unbeständigen, grundsätzlichunvorhersehbaren Lebensweg. Jedes Projekt bietet jedoch die Möglichkeit, die eigeneemployability weiterzuentwickeln. Die Stärke schwacher Bindungen (vgl. Granovetter1973) wird in der cité par projets zum Prinzip erhoben, was nicht zuletzt in der ubiqui-

Der politische AnspruchTUTorialTUTorialTUTorial

tären Metapher des Netzwerks seine Entsprechung findet. Die Bewährungsprobebesteht nach Boltanski und Chiapello gerade im übergangslosen oder gar vorzeitigenWechsel von einem Projekt ins nächste, das die ProjektträgerInnen durch seine innereVielfalt vor noch größere Herausforderungen stellt.

Das Tutoriumsprojekt könnte in dieser neuen Projektwelt einerseits in zunehmendemMaße als Professionalisierungsraum, andererseits als Übergangsstadium oderSprungbrett (zu ganz anderen Projekten) erachtet und genutzt werden. DasEngagement aller Beteiligten gerät damit auf den Prüfstand. Hier sieht sich dasTutoriumsprojekt mit einer neuen Entwicklung konfrontiert, die weniger seineFunktionalität, als vielmehr seine ursprüngliche Intention und Bedeutung gefährdenkönnte. Es geht hierbei nicht mehr so sehr um das Autonomieproblem und den damiteinhergehenden Verlust an kritischer Distanz und Radikalität: „Wie können die untergroßem Einsatz der Student[Inn]enschaft initiierten Einführungstutorien im Einflussder Studierenden bleiben, gleichzeitig aber auch in den Kontext universitären Lehrensbesser integriert werden und Förderung durch die öffentliche Hand erlangen?“(Altrichter et al. 1980, S. 223). Es geht auch weniger um die alte Auseinandersetzungzwischen karitativer Tätigkeit und politischem Anspruch, die im Tutoriumsprojekt gutgelöst zu sein scheint: „… um ein System von innen ändern zu können, [ist es]erforderlich, es kennenzulernen: Ich kann mich konkret nur dann mit der Uniauseinandersetzen, wenn ich sie kenne, und zu ihr in Beziehung stehe“ (Hantschk etal. 1982, S. 50). Es geht um die Authentizität des Tutoriums als sozialem Ort zu gegen-seitiger Unterstützung, Hilfe zu Selbsthilfe und Solidarität, um kritischeAuseinandersetzung mit Herrschaftsstrukturen. Denn je mehr employability als Motivindividueller Lebens- bzw. Karriereplanung in den Vordergrund rückt, umso mehr trittcommitment - ‚aufrichtiges Engagement’ - in den Hintergrund. Nach Funk wäre diesals eine „entfremdete Bezogenheit“ anzusehen, bei der es nur noch um die Frage geht,welchen persönlichen Nutzen man daraus ziehen könnte, ob es sich wohl lohne - „undeben nicht um mein wirkliches Interesse oder um meine Sorge für den anderen“ (Funk1998, S. 27).

In ähnlicher Weise zeigt sich das Problem der employability für das Tutoriumsprojektauf der kollektiven Ebene: Ein allzu bruchloser Eingang ins System unter diesem

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Vorzeichen könnte leicht dazu führen, dass der politische Anspruch in Vergessenheitgerät oder auf die Dauer nicht mehr konsensfähig ist. In letzter Konsequenz stellt sichdie Frage: Liegt die Zukunft des Tutoriumsprojekts in seiner Weiter-/Weg-Entwicklungzum Vorzeigeunternehmen mit einem professionellen, serviceorientierten Top-Management, einer ‘neuen Zentralkoordination’?

Aufgrund dieser alten und neuen Widersprüche ließe sich nun der Schluss ziehen, esseien bereits die Weichen für eine Abkehr vom ursprünglichen politischen Anspruchgestellt. Im Tutoriumsprojekt ist es jedoch immer wieder gelungen, mit eben solchenWidersprüchen zu arbeiten und sich Vereinnahmungsversuchen mehr oder wenigerunbeschadet zu widersetzen. Für die AkteurInnen hat sich dabei die Frage gestellt,inwiefern das Kind emanzipatorischer Praxis mit dem Bade struktureller Veränder-ungen ausgeschüttet wird, die Frage nach dem Sinn - und Unsinn - des Projekts, fürdas ganze Generationen von Studierenden ihre Zeit und Energie zu opfern bereitwaren, um es an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben.

Sinn verleiht dem AnfängerInnentutorium weiterhin ein Prozess zunehmender Bereit-schaft und Befähigung zur Artikulation von Missständen, wie sie uns in einer Groß-organisation wie der Universität auf Schritt und Tritt begegnen. Sinn entspringt demBemühen, die Mitbestimmungsspielräume zu nutzen, die den Studierenden immerhinnoch eingeräumt sind, die Freiräume aufrechtzuerhalten, sich neue zu erkämpfen. Allesandere macht - abgesehen von einem rein persönlichen Nutzen - wenig Sinn, ebensowenig, wie sich bei näherer Betrachtung der Rede von der „Entdeckung Amerikas“Sinn abgewinnen lässt. Denn je länger sich Studierende in den Hörsälen und Gängenihrer Universität tummeln, umso mehr wird eines klar: Amerika müsste - ebenso wieeine förderliche universitäre Lernumwelt - erst erfunden werden.

Literatur:Altrichter, Herbert / Hutterer, Robert / Kippes, Wolfgang / Stipsits, Reinhold: Eine Rahmen-konzeption für die Vorbereitung von Einführungstutorien. In: Zeitschrift für Hochschuldidaktik 2,1980, S. 220-226Boltanski, Luc / Chiapello, Ève: Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz 2003Bourdieu, Pierre: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel, Reinhard(Hg.), Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt, Sonderband 2. Göttingen 1983, S. 183-198

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Der politische Anspruch

Burtscher, Christian / Pasqualoni, Pier-Paolo / Scott, Alan: Das österreichische Universitätssystemim Schatten zweier Gesetze. In: Auer, Manfred / Meister-Scheytt, Claudia / Welte, Heike: Ent-wicklung und Organisation von Universitäten. München/Mering 2004 (im Erscheinen)du Gay, Paul: In Praise of Bureaucracy. London 2000Funk, Rainer: Marketing-Orientierung und Wertewandel. Psychische Folgen der Marktwirtschaft.Tübingen 1998Granovetter, Mark: The Strength of Weak Ties. In: American Journal of Sociology 78, 1973, S.1360-1380Habermas, Jürgen / Friedeburg, Ludwig von / Oehler, Christoph / Weltz, Friedrich:Student undPolitik. Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewußtsein Frankfurter Studenten.Neuwied 1961Hantschk, Ilse / Heitger, Barbara / Schmitz, Christof / Zierler, Hans-Peter: Potz Blitz.Tutorenhandbuch. Herausgegeben von der Österreichischen Hochschülerschaft, Wien 1982Kellermann, Paul / Altrichter, Herbert / Brunner, Karl-Michael / Kellner, Wolfgang: Studien-eingangsphase. Einführungstutorien an österreichischen Universitäten. Klagenfurt 1981Kippes, Wolfgang: Grundlagen und Prinzipien des studentischen Projekts: Studieneinführungs-tutorium. In: ÖGHD-Informationen 2, 1978, S. 85-101Pongratz, Hans J. / Voß, G. Günter: Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenztenArbeitsformen. Berlin 2003Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin 1998Unabhängiges Tutoriumsprojekt: Grundsatzpapier des unabhängigen Tutoriumsprojekts.http://oeh.ac.at/oeh/dieoeh/108508617799Voß, G. Günter / Pongratz, Hans J.: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der WareArbeitskraft? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50, 1998, S. 131-158Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. 5. Aufl., Tübingen1972

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Wie Ihr den anderen Beiträgen entnehmen könnt oder schon ent-nommen habt, gibt es das unabhängige Tutoriumsprojekt in Öster-reich seit den späten Siebziger Jahren. Und wie Ihr Euch vorstellenkönnt, hat sich seither einiges verändert. Aber nicht nur die eige-nen, projektinternen Ideen, Vorstellungen und Ansprüchebezüglich der Arbeit mit Erstsemestrigen bzw. Studien-anfängerInnen haben sich weiter entwickelt, sondern auch die öko-nomischen und rechtlichen Grundlagen haben sich deutlich verän-dert und nicht immer nur verbessert. Zwischendurch gab es sogarPhasen, in denen das überfraktionelle Tutoriumsprojekt bei den(AG-dominierten) Universitätsvertretungen antragspflichtig war.

Ursprünglich war das Tutoriumsprojekt ausschließlich einProjekt von und für Studierende. Im Rahmen der Österreichischen HochschülerInnenschaft wurdedas Tutorium auf frewilliger Basis österreichweit an derBundesvertretung durch die basisdemokratisch, nach selbstbe-stimmten Regeln gewählten ZentralkoordinatorInnen verwaltet;zusätzlich gab es je nach Engagement der jeweiligen Gruppen und‚Generationen’ auch Regionaltreffen und ähnliches. Die frak-tionelle Zugehörigkeit war und ist Privatsache, solange man sichmit den Grundsätzen des Projekts, wie sie in der ‚Verfassung’ desProjekts - dem sogenannten ‚Grundsatzpapier’ - beschrieben sind,identifizieren kann.

Seit der Novellierung des Universitäts-Studiengesetzes (UniStG)im Jahr 2002 sind die Tutorien an den einzelnen Studien-richtungen nicht mehr (nur) freiwillig und nur (mehr) vonStudierenden für Studierende, sondern sie sind gemäß §38 (4) imUniStG verankert.

Im Bundesgesetz über die Studien an den Universitäten (Uni-versitäts-Studiengesetz – UniStG) heißt es: „Zur studienbeglei-

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von Ulli Fuchs

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Veränderte Rahmenbedingungen1

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tenden Beratung hat die Studiendekanin oder der Studiendekan Anfängerinnen- undAnfängertutorien einzurichten, welche die Studierenden bei der Bewältigung der leis-tungsmäßigen, organisatorischen und sozialen Anforderungen des ersten Studienjahresunterstützen sollen und von den Studierenden besucht werden können. DieStudiendekanin oder der Studiendekan ist berechtigt, diese Anfängerinnen- undAnfängertutorien auch im Zusammenwirken mit anderen Rechtsträgern, insbesonderemit der Österreichischen Hochschülerschaft zu veranstalten.“.

De facto ist es so, dass an den meisten Studienrichtungen beziehungsweise Institutennach wie vor die aktiven und gewählten ÖHlerInnen die Tutorien anbieten und abhal-ten, doch könnten die jeweiligen StudiendekanInnen rein theoretisch auch anderebeauftragen.

War das Tutorium früher ausschließlich eine Angelegenheit von Studierenden, habenheute verschiedene Institutionen unterschiedliche Interessen am Projekt. Allen ge-meinsam ist der Wunsch, den Erstsemestrigen beim Einstieg in das Studium zu helfen.

Über Jahrzehnte hat das Tutorium tausende Erstsemestrige betreut, tausende Tutor-Innen und hunderte TrainerInnen ausgebildet. Sehr viele Menschen haben also mitdem Projekt in der einen oder anderen Weise zu tun gehabt, was zu einem guten Rufdes Projekts bis heute geführt hat. Eine Geschichte des Tutoriumsprojekts ist also auchein Stück Erfolgsgeschichte der emanzipatorischen Bestrebungen an denUniversitäten.

Nun haben sich aber auch die Rahmenbedingungen des Studierens in Österreich deut-lich verändert, und ich gehe deshalb im Folgenden der Frage nach, worin dieseVeränderungen bestehen und wie sie sich auswirken.

Die wichtigste und folgenschwerste Veränderung stellt wohl die Einführung derStudiengebühren dar. Junge Studierende können sich oft gar nicht mehr vorstellen,dass das Studieren an den österreichischen Universitäten einmal nichts gekostet hat.Studierende hatten viel Zeit zu lesen, sich mit den Inhalten grundlegend auseinanderzu setzen, Studienrichtungen zu wechseln, wenn sie doch nicht den Erwartungen

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entsprachen, und überall einmal hinein zu schnuppern und etwas auszuprobieren. Siehatten Zeit, sich sozial und politisch zu engagieren, sie hatten Zeit zu arbeiten und Geldzu verdienen. Studierende aus allen sozialen Schichten konnten studieren, auch Ältere,Berufstätige oder Personen mit Kindern.

Mit den Studiengebühren geht nun ein enormer Druck einher, möglichst rasch undmöglichst effizient das Studium zu durchlaufen2. Auch das Tutoriumsprojekt ist davonbetroffen, wie es auch insgesamt eine Widerspiegelung der gesellschaftlichen Verhält-nisse darstellt.

In immer kürzerer Zeit sollen gute Leistungen gebracht werden, Effizienz ist vielfachder oberste Wert. Ehrgeiz und Ellenbogentechnik sind im hochgradig individualisiertenSpätkapitalismus eher verbreitete und anerkannte Tugenden als das solidarischeMiteinander. Dieser Leistungsdruck beginnt in der Schule und setzt sich an den Uni-versitäten fort. Er sieht für viele Studierende sogar so aus, dass sie sich keinerlei ‚Lu-xus’ gönnen, wozu schon das Sich-Ausruhen zählt. Teamwork ist dort gefragt, wodurch das Miteinander bessere Ergebnisse erzielt werden können.

Das Tutoriumsprojekt hilft nach wie vor bei der Integration der Erstsemestrigen,deswegen wird es von vielen Seiten, nicht zuletzt vom Ministerium, unterstützt. DieAnforderungen werden aber höher, sowohl für die Erstsemestrigen, als auch für dieTutorInnen, und die TrainerInnen der Ausbildungsseminare.

Im Vergleich zu Trainings in früheren Jahren ist eine immer stärker werdendeKonsumhaltung festzustellen. Die TrainerInnen sollen den TutorInnen immer mehr,immer neuere Methoden anbieten, mit denen in kürzerer Zeit größere Lerneffekteerzielt werden können. Viele Beteiligte stehen unter Zeitdruck und haben deshalb auchStress – in kurzer Zeit soll möglichst viel untergebracht werden. Die Projektgruppenwerden immer jünger; der Erfahrungstransfer von der einen zur nächsten Generationfunktioniert nicht immer gut. Oft müssen die Neuen auch ‚das Rad neu erfinden’ undganz von vorne anfangen.Früher war es eher üblich, dass man als TutorIn sehr gern auf möglichst viele Seminaregefahren ist; konnte man doch auf diese Art sehr lustvoll lernen und mit einer Gruppe

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Spaß haben; und noch dazu wurden die Kosten der Ausbildungsseminare von der ÖHgetragen. Mittlerweile ist es eher üblich, dass man als TutorIn auf maximal dreiAusbildungsseminare fährt, was bedeutet, dass die Fluktuation an der Basis enormansteigt.

Die einzelnen Projektgruppen entsenden Personen zu den österreichweitenKoordinationstreffen, die das höchste Gremium des Projekts darstellen. Nun veweilendie einzelnen Menschen aber immer kürzer im Projekt, die politische Basis dünnt aus.Dafür gibt es einen enormen Schub in Richtung Ausbildung zur/zum Tutoriums-trainerIn. Die ProjektleiterInnen holen sich die social skills nicht mehr primär in ihreneigenen Tutorien und Seminaren, sondern streben immer schneller TrainerInnenaus-bildungen an. Da TrainerInnen am KO nicht teilnehmen dürfen, fehlen jetzt erstensmehr Leute in der politischen Basisarbeit, und zweitens müssen die TrainerInnenimmer mehr diejenigen sein, die die Kontinuität des Projekts österreichweit garantie-ren (was früher die Projektgruppen selbst taten). Von den TrainerInnen werden auchstärkere Anpassungsleistungen gefordert: Sie sollen möglichst viel möglichst gut kön-nen und dafür möglichst wenig Zeit brauchen. Sie sollen die perfekt organisierteBeratung präsentieren.

Sie müssen den angehenden TutorInnen, die immer weniger Vorerfahrung mitbringen,immer mehr erklären, was das Tutorium überhaupt ist; sie müssen also immer mehrGrundlagenarbeit leisten. Dazu wird von ihnen auch erwartet, in einzelnen Sachfragender jeweiligen Studienrichtung kompetent Auskunft geben zu können. Service und dasFüttern mit Informationen haben oftmals hohe Priorität. Eine Trainerin erzählte voneiner Gruppe, die erwartet hatte, sie würde mit ihnen den Serviceteil des ÖH-Kalenders durcharbeiten und auswendig lernen. Wichtig ist es uns, hier festzuhalten,dass wir der Meinung sind, dass reine Informationsweitergabe die Leute nicht ansProjekt bindet, im Gegenteil – Information können sich die Leute auch woandersbesorgen.

Vorschläge, die nun die TrainerInnen zur Verbesserung der Situation machen, zielenmeistens primär auf eine (von den Rahmenbedingungen her betrachtet) möglichststressfreie und entspannte Arbeitsatmosphäre ab. Die Seminare sollen wieder min-

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destens vier Tage dauern. In drei Tagen, wie jetzt üblich, kann man eigentlich kaum dasTutoriumsprojekt umfassend erarbeiten, die eigene Gruppe gut kennen lernen, grup-pendynamische Prozesse erfassen und dabei auch noch individuelle Selbsterfahrungerleben dürfen, dazu Grundlagen der Kommunikation, Spezialwissen für das jeweiligeFach und und und ... Meistens bleiben dabei die Selbsterfahrung und die Gruppen-dynamik auf der Strecke. Wichtig wären auch Sammelprojekte, damit man mehrvoneinander lernen kann.

Im Arbeitskreis am Kongress diskutierten wir TrainerInnen auch noch die Frageunseres politischen Selbstverständnisses.

Hat sich dieses verändert? Wenn ja, wie?Einer der Kernpunkte des Projekts war und ist die kritische Auseinandersetzung undHinterfragung der uns umgebenden Studien- und Arbeitsbedingungen. Mit emanzipa-torischen Methoden sollen die Erstsemestrigen zu einer gründlichen Reflexionmotiviert werden.

Häufig sehen wir uns mit dem Problem konfrontiert, dass die Studierenden sich garnicht mit sich selbst und ihrer Umwelt auseinander setzen wollen. Sie meinen, sie hät-ten ohnehin schon so viel zu tun, dann bitte nicht auch das noch! Diese Haltung ist ver-ständlich, denn der Leistungsdruck ist ohnehin schon gewaltig. Im Tutoriumsprojekthaben wir es generell mit sehr engagierten und aktiven Menschen zu tun, die gernehelfen wollen (eine der am häufigsten genannten Motivationen) - da ist es nicht ver-wunderlich, dass man gerade Fragen, die viel Zündstoff bergen, nicht so gerne angeht.Da könnten ja womöglich auch Konflikte entstehen, die in der kurzen Zeit gar nichtverantwortungsvoll aufzulösen sein könnten. Die TrainerInnen artikulierten amKongress, dass sich der weite Politikbegriff (nach Interessenslagen etc.) sehr verengthabe und die TutorInnen teilweise nicht mit Fragen nach der Selbstverortung undPositionsbestimmung ‚behelligt’ werden wollen. Hier zeigt sich eine klassischeAmbivalenz aller Ebenen des Projekts: ‚Was bringe ich rein? Und was greife ich auf?’Schließlich möchte ich die Leute ja ‚dort abholen, wo sie stehen’, aber ich will ja auchetwas von ihnen, ich will sie ja auch wohin führen oder begleiten ...

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Hier kommen unterschiedliche Sprachebenen und Ausdrucksformen zum Tragen. Esscheint uns besonders wichtig, in den Seminaren auch gründliche Begriffsdefinitionenvorzunehmen, damit wir nicht aneinander vorbei reden. Und wir meinen, wir müssendieses Thema der politischen Reflexion immer mehr an die Gruppen heran tragen, diees sich von sich selbst aus eher nicht wünschen. Wir suchen wieder verstärkt die poli-tische Debatte, nicht nur Gespräche auf der Befindlichkeitsebene. Politik wird in weit-en Kreisen als unangenehm und sehr negativ konnotiert aufgefasst. Ein ebenfalls heik-les Thema, das früher unumgänglich war, ist das Ansprechen von Genderfragen. Heuteherrscht hier häufig großes Schweigen. Interessant scheint uns, dass neue Genera-tionen frische, andere Fragen entwickeln, die wir gerne mitdiskutieren wollen.

Die letzte Frage, die wir TrainerInnen in unserem Arbeitskreis besprochen haben:Was wollen wir aufgrund unserer Möglichkeiten dem Projekt auch wieder zurück-geben?

Wie können wir TrainerInnen unsere Erfahrungen zur Weiterentwicklung desGesamtprojekts einbringen?Was wir alle zu bieten haben, ist viel Engagement und guter Wille. Wir kommen alleaus dem Projekt und sind ihm mehr oder weniger verbunden. Die Bezahlung imProjekt ist im Vergleich zu anderen Kommunikationstrainingsbranchen sehr mager, esgibt wenig Geld, niemand wird reich von dieser Arbeit. Man kann davon ausgehen,dass sich die TrainerInnen mit dem Projekt in besonderem Maß identifizieren und sichfreuen, hier einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Wir wollen mit größtmöglicherOffenheit miteinander umgehen und möglichst viele neue Kooperationen anregen.Neue TrainerInnen bringen jeder Gruppe neue Zugänge und Abwechslung; ebenso istdas mit neuen TrainerInnenkonstellationen und dem Austausch zwischen denBundesländern.

Zum Abschluss dieses Artikels möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen, dass dienegativen Zuschreibungen den negativen Aspekten der veränderten Rahmen-bedingungen gelten - keinesfalls den vielen engagierten Menschen im Projekt allerGenerationen, die sich um eine sinnvolle Weiterentwicklung des Projekts bemühen.Eine Stärke des Tutoriumsprojekts ist gerade das sensible und deutliche Infragestellen

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der kontemporären Umgebung und der gesellschaftlichen Konstellationen, das Auf-greifen von Widerstand gegen Verschlechterungen und das Anregen von Veränderung.„Wir lernen im Vorwärtsgehn, wir lernen im Gehn.” (Schmetterlinge, Proletenpassion).

1 Die Grundlage dieses Artikels bildet ein Arbeitskreisbericht vom ersten Tutoriumstrainer-Innenkongress im Mai 2004.2 Die Studiengebühren sind der deutlichste Ausdruck eines veränderten ökonomischen Bewusstseinsim Bildungswesen, jedoch sind sie nicht der alleinige Grund für den höheren Druck der heute auf denStudierenden lastet, es gibt noch eine Reihe anderer ‚Effizienzförderer’.

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aus: PotzBlitz1982

Die Spitze des EisbergsPufferzone, WegbereiterIn oder geringfügig bezahlte TopmanagerInnen?

Zentralkoordination

von Doris Arztmann, Isabella Bauer, Rosa Danner, Albert Schieg,

Alles läuft über die Zentralkoordination. Sie ist Schaltstelle, aus-führendes Organ, Kopf von der Basis, Watschenbaum, Sprach-rohr, Leitungsfunktion in einem basisdemokratischen Projekt.Die ZentralkoordinatorInnen (ZKs) haben sowohl Definitions-als auch Operationsmacht, müssen aber gleichzeitig für jedenSchritt Rechenschaft ablegen, da das Tutoriumsprojekt dasmeistkontrollierte Projekt der Österreichischen Hochschüler-Innenschaft (ÖH) darstellt. In diesem Beitrag soll versucht wer-den, Widersprüchlichkeiten diverser Zuschreibungen festzuhal-ten und vor Augen zu führen bzw. die tatsächliche Arbeits-situation zu umreißen.

Lokal ist die Zentralkoordination (ZK) in der Bundesvertretungder Österreichischen HochschülerInnenschaft in der Liechten-steinstraße 13 in 1090 Wien verortet, wo die nötige Infrastrukturzur Verfügung steht. Jedoch hat das Tutoriumsprojekt in derBundesvertretung eine Sonderstellung inne. So sind die Zentral-koordinatorInnen zwar de jure als SachbearbeiterInnen desBildungspolitischen Referats angestellt und erhalten in dieserPosition eine Aufwandsentschädigung. De facto sind sie abernicht an die jeweilige Exekutive der Österreichischen Hoch-schülerInnenschaft gebunden, da sie am projektinternen Koordi-nationstreffen (KO) gewählt werden und demnach dem Koordi-nationstreffen als höchstem projektinternen Entscheidungs-gremium verpflichtet sind. Dieses Bekenntnis zu den ‚auto-nomen’ Strukturen des Tutoriumsprojekts wurde nicht von allenExekutiven der Österreichischen HochschülerInnenschaft gl-eichermaßen mitgetragen. So wurde in der Vergangenheit dieZentralkoordination zum eigenen Referat umgewandelt und dieProjektverantwortlichen von der regierenden Fraktion bestimmt,womit die Funktion des Koordinationstreffens obsolet wurde.Nachdem das Recht auf Mitbestimmung von vielen Projekt-beteiligten vehement eingefordert wurde und das Bundesminis-

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terium für Bildung, Wissenschaft und Kunst (bm:bwk) diese Forderung unterstützte,wurde wieder ein Koordinationstreffen einberufen und eine dort gewählte Zentralko-ordination eingesetzt.Die Zentralkoordination besteht regulär aus drei Personen (momentan sind es 4) undwird am Koordinationstreffen aus dem Pool der Interessierten gewählt. Voraus-setzungen sind: Projektverbundenheit, eine integrative Sichtweise statt ausgeprägterFraktionsabhängigkeit, Anerkennen der Prinzipien des Grundsatzpapiers sowie derWille, diese unterbezahlte Tätigkeit aktiv auszuüben.

Die Zentralkoordination stellt einen Angelpunkt im Tutoriumsprojekt dar und mussunterschiedlichen Anforderungen genügen. Die folgende Abbildung verdeutlicht, dassdie Zentralkoordination in einem Spannungsfeld zwischen verschiedenen Interes-sensgruppen (StakeholderInnen) tätig ist.

Schnittstelle Zentralkoordination & Interessensgruppen

Diese Interessensgruppen haben differenzierte Bedürfnisse gegenüber dem Tutoriums-projekt. Ihre Interessen sind mitunter auch entgegengesetzt, woraus sich für dieTätigkeit der Zentralkoordination als zentraler Schnittstelle hohe, teilweise unter-schiedliche Erwartungen von Seiten dieser Interessensgruppen ergeben. Die Aufgaben

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ZKbm:bwk

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der ZentralkoordinatorInnen lassen sich grob in drei sich teilweise überschneidendeBereiche einteilen, wobei die Bedürfnisse der einzelnen Interessensgruppen innerhalbder Bereiche unterschiedlich stark ausgeprägt sind.

Die Beschreibung der Zentralkoordination und ihrer Aufgaben aus Sicht der aktuelltätigen ZentralkoordinatorInnen wird unter Einbezug der verschiedenen Interes-sen(sgruppen) dargestellt. Dabei wird dem (aus den unterschiedlichen Erwartungenresultierenden) Anspruch an Vermittlung beziehungsweise Kommunikation Rechnunggetragen werden und auch die Notwendigkeit eines Blickes über den ‚Tellerrand’ dereigenen (Projekt-) Gruppe betont.

(Interessens-)Vertretung und EntscheidungAlle wollen was von der Zentralkoordination.Eine wesentliche Aufgabe der Zentralkoordination ist die Vertretung der Interessen desTutoriumsprojekts gegenüber der Österreichischen HochschülerInnenschaft, dembm:bwk, den Universitäten sowie die Vertretung nach außen (Homepage, Öffentlich-keitsarbeit). Die Interessen der verschiedenen Gruppen finden einerseits in Form vonDefinitionen und Richtlinien in das Tutoriumsprojekt Eingang und verändern sichandererseits durch inputs und Diskussionen am Koordinationstreffen, jenem Forum,an dem alle Projektbeteiligten die Anliegen ihrer Projektgruppe grundsätzlich einbrin-gen können. Gleichzeitig ist die Arbeit der Zentralkoordination stark an den Ablaufdes Projektjahrs gebunden – so müssen laufend ‚eigenmächtig’ (mit Vertrauens-vorschuss des Koordinationstreffens) Entscheidungen im Sinne des Projekts getroffenund umgesetzt werden.

Das bm:bwk als HauptgeldgeberIn (75% des Gesamtbudgets stammen vom bm:bwk)gibt dem Tutoriumsprojekt Richtlinien vor, die auf eine möglichst effizienteUmsetzung von flächendeckenden Tutorien ausgerichtet sind, um den Anforderungendes AnfängerInnen-Tutorienkonzepts im Sinne des UG 2002 gerecht zu werden.

Als Kooperationspartnerin zur Umsetzung des Konzepts tritt die ÖsterreichischeHochschülerInnenschaft auf. Für die Österreichische HochschülerInnenschaft ist dasTutoriumsprojekt wegen der bundesweiten Organisation auch ein wichtiges

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Aushängeschild. Dabei werden die schon vorhandenen Strukturen des selbstorgani-sierten und basisdemokratischen Erstsemestrigentutoriums genutzt, gemeinsam mitdem bm:bwk die Ausbildungsseminare von TutorInnen strukturell unterstützt unddadurch die finanziellen Möglichkeiten des Projekts erweitert. Das Tutoriumsprojekthat innerhalb der Strukturen der Österreichischen HochschülerInnenschaft den größtenBudgetposten inne: Ausbildungsseminare, TutoriumstrainerInnenlehrgänge, Koordi-nationstreffen, Weiterbildungsmaßnahmen sowie Verwaltungskosten werden gedeckt.

Im Gegenzug garantiert die bundesweite Arbeit der Projektgruppen einen erstenEinblick in Aufgaben und Organisation der Österreichischen HochschülerInnenschaft,leistet Hilfe zur Selbsthilfe für StudienanfängerInnen und tritt mit dem emanzipa-torischen Anspruch auf, kritisch und reflexiv gesellschaftliche Strukturen zu erkennenund zu hinterfragen. Die Projektgruppen wollen für ihre Projekte natürlich möglichstgute Rahmenbedingungen, ohne aber gleichzeitig vom bm:bwk oder den Fraktionender Österreichischen HochschülerInnenschaft vereinnahmt zu werden.

Demnach sind die Interessen der verschiedenen StakeholderInnen sehr unterschiedlichgelagert. Die Zentralkoordination selbst tritt als Mittlerin zwischen den verschiedenenAnsprüchen und Forderungen auf und muss oft schwer zu Vereinendes, manchmalWidersprüchliches ausbalancieren. Zwischen Projektgruppen, bm:bwk und Österrei-chischer HochschülerInnenschaft muss die Zentralkoordination Vor- und Nachteile gutabwägen, längerfristige Konsequenzen ihrer Handlungen stets mitbedenken, zwischenfraktionspolitischen Interessen, der politischen Absicherung des Gesamtprojekts durchLobbying und dem selbstorganisierten, basisdemokratischen und konsensualenAnspruch der Projektarbeit das Gleichgewicht halten. Als Knotenpunkt im Netzübernehmen ZentralkoordinatorInnen eine Leitungsfunktion, die mit Definitionsmachtausgestattet ist. Dies bedeutet vor allem auch Verantwortung und Rechenschaft denengegenüber, deren Interessen vertreten werden sollen. Gleichzeitig sind aber dieseGruppen aufgerufen, ihre Interessen aktiv und konstruktiv zu formulieren und sichaktiv und unterstützend zu beteiligen, damit gemeinsame Entscheidungen umgesetztwerden können. Eine Weiterentwicklung des Tutoriumsprojekts sowie das damit ver-bundene Lobbying können nur funktionieren, wenn die Basis auch einen Rückhaltbietet und aktiv am diskursiven Prozess der Veränderung mitwirkt.

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In diesem Sinne ist die Arbeit der ZentralkoordinatorInnen auch eine brisante Tätigkeitim politischen Geschehen: Es erfordert diplomatisches Geschick, machtpolitischeInteressen am Tutoriumsprojekt auf fraktionspolitischen Entscheidungsgremien wieetwa den Sitzungen der Bundesvertretung auszutragen, um die Rahmenbedingungenfür eine projektinterne konsensuale Entscheidungskultur zu gewährleisten. Darüberhinaus stellt die Position der Zentralkoordination eine hierarchische Ebene in einem anund für sich basisdemokratisch angelegten Projekt dar, weshalb es gilt den ‚Draht-seilakt’ zwischen Machtposition und konsensualer Entscheidungsfindung zu meistern.

Auch bildungs- und hochschulpolitische Veränderungen gehen am Tutoriumsprojektnicht spurlos vorüber. Durch Studiengebühren und strengste Limitierung derfinanziellen Ressourcen der Österreichischen Universitäten geraten Studierendezunehmend unter zeitlichen und finanziellen Druck, was unter anderem Auswirkungenauf ehrenamtliche TutorInnen- oder gering entschädigte Zentralkoordinationsarbeithat und den Willen und die Möglichkeiten zur Mitbestimmung nicht gerade fördert.

Administrationviel Arbeit, auch für 3 bzw. 4 Personen.Einen umfangreichen Schwerpunkt der Tätigkeit der Zentralkoordination stellenadministrative und buchhalterische Arbeiten dar. Der Ablauf des Projektjahrs mussaufrecht gehalten und im Zuge dessen das Ausbildungsbudget von (derzeit) 185.000 !an die Projektgruppen verteilt werden.

Das Projektjahr beginnt mit dem Erarbeiten und Aussenden der Projektanträge an dieProjektleiterInnen des Vorjahrs, falls vorhanden an RegionalkreiskoordinatorInnen(RKs) und bundesweit an Studienrichtungs-, Fakultäts- und Universitätsvertretungen.Die Zentralkoordination dient als primäre Informationsstelle, zur Projektbetreuungwerden zweimal wöchentlich Journaldienste abgehalten und diverse Anfragen persön-lich, per E-mail oder telefonisch beantwortet. Die eingelangten Projektanträge werdengesichtet und im Rahmen der Genehmigungsrichtlinien bewilligt und ausgesendet.Nach dem Abhalten der Ausbildungsseminare werden TrainerInnenhonorare,Seminarortrechungen und Fahrtkosten für die bundesweit etwa 65 Projektgruppen(mit rund 1000 ausgebildeten TutorInnen) abgerechnet. Bei Unklarheiten werden die

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jeweiligen ProjektleiterInnen kontaktiert. Die Abrechnungen laufen über das Wirt-schaftsreferat bzw. die Buchhaltung der Bundesvertretung und werden zusätzlich vombm:bwk kontrolliert. Für das bm:bwk müssen weiters Zwischen- und Endberichte über das Budget erstelltwerden, um eine Weiterführung des Tutoriumsprojektes gewährleisten zu können.

Als Begleitmaßnahme wird das Tutoriumsprojekt seit vielen Jahren (im Auftrag desbm:bwk unter Absprache mit der Zentralkoordination) von den ProjektleiterInnen undden TutorInnen oder Erstsemestrigen evaluiert. Die Sorge für die Einhaltung dieserEvaluierung obliegt der Zentralkoordination. Neben dieser quantitativen Evaluationgibt es außerdem eine qualitative Evaluation zur Qualitätssicherung (QS) des Tu-toriumsprojekts. Die Zentralkoordination ist mit dieser Qualitätssicherung eng ver-bunden, denn es gilt die Ergebnisse der Erhebungen im Sinne einer positiven Weiter-entwicklung des Projekts umzusetzen.

Von der Zentralkoordination werden weiters die dreimal jährlich stattfindendenKoordinationstreffen geplant und organisiert. Die Anwesenheit der Zentralkoordina-torInnen am Koordinationstreffen ist obligatorisch wie auch die Abrechnung der dafürentstandenen Kosten durch die Zentralkoordination.

An einem Koordinationstreffen im Projektjahr findet eine ProjektleiterInnenschulungstatt, um die jeweils neuen ProjektleiterInnen auf ihre kommende Tätigkeit vorzubere-iten. Außerdem betreuen die ZentralkoordinatorInnen auch die Homepage und ge-währen die Aktualität von TrainerInnenmappe und Seminarortliste.Der alle zwei bis fünf Jahre stattfindende TutoriumsTrainerInnenLehrgang (TTL) wirdvon der Zentralkoordination nach Beschluss am Koordinationstreffen mit dem bm:bwkund der Österreichischen HochschülerInnenschaft vereinbart und in weiterer Folgebetreut.

Bei Bedarf übernimmt die Zentralkoordination auch die Administration weitererProjekte wie Leitfäden für die Arbeit der Projektgruppen (TUTorial), TrainerInnen-kongresse als Weiterbildungsmaßnahme und zum Austausch von Methoden. Die Interessen der StakeholderInnen an diesen administrativen Tätigkeiten liegen in

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einer zeit- und leistungsgerechten Erfüllung, einer Minimierung des eigenen bürokra-tischen Aufwandes sowie der Einhaltung der festgelegten Regelungen.

Koordination und EntwicklungPflege und Veränderung des österreichweiten Netzwerks Die besondere Situation des unabhängigen Tutoriumsprojekts mit den einerseits imGrundsatzpapier verankerten und andererseits vertraglich zwischen der Österreichis-chen HochschülerInnenschaft und dem bm:bwk geregelten Grundsätzen verlangt vonder Zentralkoordination eine große Herausforderung in der Koordination verschieden-ster Interessen.

Die Struktur des Projekts ist in ihrer Form einzigartig und unterscheidet sich vongängigen Organisationsformen. Für die Zentralkoordination gilt es deshalb (wie obenbeschrieben) den Spagat zwischen gesetzlich und vertraglich festgeschriebenenRichtlinien – die in ihrer Form starke Normierungen und Hierarchisierungenaufweisen – und den basisdemokratischen Prinzipien von Koordinationstreffen undGrundsatzpapier zu schlagen (vgl. dazu die Veröffentlichung von Gabi Rieß‘Qualitätssicherung 2003/04’, aber auch ihren Beitrag in diesem Band).Diese Brücke zwischen den verschiedenen Interessen muss von der Zentralko-ordination durch einen intensiven Kommunikationsfluss im Projekt gestützt werden,da eine Zunahme an entgegengesetzten Interessen Unzufriedenheiten derStakeholderInnen nach sich ziehen und die jeweilige Verbindung mit demTutoriumsprojekt geschwächt werden können. Deshalb ist es für eine gedeihlicheEntwicklung des Tutoriumsprojekts notwendig, die Kommunikation im Projektaufrechtzuerhalten, um die gebotenen Möglichkeiten auch für die Zukunft nutzbar zuhalten bzw. zu verbessern.

Aus den Berichten der Qualitätssicherung sowie den vergangenen Koordinations-treffen geht ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Veränderungen hervor, dem dasGesamtprojekt und mit ihm die Zentralkoordination in ihrer Tätigkeit gerecht werdenmuss. Solche Veränderungen müssen von den verschiedenen Gruppen mitgetragenwerden, weshalb die Zentralkoordination auf eine breite Abstimmung auf vorhandeneBedürfnisse, die es durch Kommunikation zu erreichen gilt, nicht verzichten kann.

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Die Kommunikationsdrehscheibe Zentralkoordination ist aber auch in der oben dar-gestellten administrativen Tätigkeit von großer Bedeutung, da die raschen personellenVeränderungen in den einzelnen Projektgruppen einer guten Versorgung mitInformationen bedürfen. Die Zentralkoordination, die in den vergangenen Projekt-jahren keine unterstützenden RegionalkreiskoordinatorInnen zur Seite gestellt bekam,muss dazu auch geeignete Informationskanäle offen und aktiv halten.

Zusammenfassung und AusblickDie Position der Zentralkoordination ist im letzten Projektjahr (2003/04) verstärkt zumThema gemacht geworden; sie wurde (teilweise sehr kontrovers und anstrengend) amKoordinationstreffen diskutiert und gleichzeitig wurde im Rahmen der Qualitäts-sicherung am ‚Job-Profile’ - um es in der Sprache der Personalentwicklung aus-zudrücken - gearbeitet.

Die Diskussionen um Probleme des Tutoriumsprojekts wurden dabei häufig top down- im Widerspruch zum basisdemokratischen Anspruch - bei der Zentralkoordinationanfangend, geführt. Als greifbare VerantwortungsträgerInnen verkommen dieZentralkoordinatorInnen dabei leicht zum Reibebaum divergierender Interessen, derWunsch, Köpfe rollen zu lassen, zur scheinbar einfachen Lösung des Problems. Dochbottom up initiierte Veränderungen stellen umfangreichere Vorhaben dar, müssen vonallen StakeholderInnen mitgestaltet werden und entsprechen nur so den imGrundsatzpapier verankerten diskursiven Ansprüchen an Entscheidungsprozesse.

Veränderungsprozesse in allen Bereichen des Tutoriumsprojekts können nur erfolg-reich sein, wenn sich alle Personen und Interessensgruppen aktiv einbringen und sichfür das Wohlbefinden des Tutoriumprojekts verantwortlich fühlen. In diesem Sinneerscheint es wichtig und wünschenswert, mit den TutoriumskollegInnen und derZentralkoordination Kontakt zu halten und sich am Koordinationstreffen bzw. denRegionalkreistreffen zu beteiligen.

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Von Kreisen zu Netzen

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von Ulrike Rostek

Ein strahlender Herbsttag im Jahr 1998, ein Seminarort irgendwoin Österreich. Eine größere Gruppe Frauen sitzt in einem Ses-selkreis und beäugt sich mehr oder weniger verstohlen. DieTrainerinnen begrüßen die Gruppe und sprechen mit ihnen denZeitplan ab, dann sollen Erwartungen, Ziele und Befürchtungenvon jeder Einzelnen formuliert werden. Eine in der Gruppe, diezum ersten Mal dabei ist, wird unruhig. Woher soll sie wissen,was sie erwarten soll, wenn sie noch nie an einer Frauentu-toriumsausbildung teilgenommen hat? Als die Teilnehmerin nachkonkreten Informationen zum Frauentutorium fragt, ist die Zu-rückhaltung, um nicht zu sagen Bockigkeit der Trainerinnenoffensichtlich. Dreieinhalb Tage später wird diese Informations-verweigerung der Trainerinnen den Effekt haben, dass zumindestdiese eine Teilnehmerin das Gefühl hatte, für sich ein Frauentu-torium ganz ohne einengende Vorgaben entwickelt zu haben.Diese verstohlen blickende Teilnehmerin damals war ich, undvor dem Hintergrund dieser Erfahrung bleibt die Bitte um einenBeitrag für das TUTorial über das Frauentutorium in mir nichtunwidersprochen. Würde ein Text, noch dazu in diesem Zu-sammenhang, nicht unweigerlich normativ wirken und damit dievon mir so genossene Freiheit und Offenheit im Gestaltenreduzieren?

Die Fluktuation an Personen ist im gesamten Tutoriumsprojektallerdings so hoch, dass es wichtig erscheint, ein gewisses Maßan Erfahrung zu sichern. Dies gilt besonders für das Frauen-tutorium, denn im Gegensatz zu den Erstsemestrigentutorien, wodas Wissen um das Projekt durch Institutstraditionen von einemProjektjahr ins nächste weitergegeben werden kann, bildet sichdas Frauentutorium jedes Jahr neu, und zwar ohne einen fixeninstitutionellen Ort. Das hat zur Folge, dass, fällt ein Jahr dieAusbildung aus, die Studentinnen vor der Aufgabe stehen, dasFrauentutorium neu zu gründen, ohne auf ein vermitteltes

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Erfahrungswissen zurückgreifen zu können. Diese Aufgabe umstrahlt zwar stets derGlanz des Neubeginns, sie kann allerdings auch recht mühsam sein.

Wie alle Tutorien beruft sich auch das Frauentutorium auf den Grundgedanken desProjekts, nämlich die Hilfestellung von Höhersemestrigen für die Bewältigung derleistungsmäßigen, organisatorischen und sozialen Anforderungen von niedrigsemestri-gen Studierenden. Die sogenannten Thementutorien, zu denen das Frauentutoriumgehört, richten ihren Fokus besonders auf die ‚sozialen Anforderungen’ und werdendabei von einem emanzipatorischen gesellschaftspolitischen Anspruch motiviert. Denndie sozialen Anforderungen sind nicht für alle gleich. Die Universität als patriarchaleInstitution ist auf einen imaginären Besucher ausgerichtet, der idealiter in Österreichgeboren, weiß und heterosexuell ist, der über einen eindeutig ‚sexuierten’ und ‚behin-derungsfreien’ Körper verfügt und ein Mann ist.

Obwohl die Zahl der Studienanfängerinnen bereits über die Fünfzig-Prozent-Markegeht, sieht es bei den Lehrenden an der Universität mit dem Frauenanteil noch immerdüster aus. Darin offenbart sich auch die ungebrochene Wirksamkeit männlich ge-normter Bildungsbiographien. Das Frauentutorium widmet sich daher speziell derFrage, was es bedeutet, als Frau zu studieren. Die Aspekte dieser Frage sind sehr viel-fältig und die möglichen Inhalte und Zielsetzungen eines Frauentutoriums kann ichhier nur auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreifend kurz skizzieren.

Zum Beispiel kann das Frauentutorium ganz pragmatische, gegenseitige Hilfe bei derBewältigung des Unialltags bieten. Unterstützend dabei ist, dass das Frauentutoriumnicht nur von Erstsemestrigen, sondern auch von Höhersemestrigen besucht wird. DasWissen einer Gruppe kann so ideal genutzt werden und stellt meist einen erstaunlichgroßen Ressourcenpool dar. Das Tutorium kann auch Raum sein, sich mit verschiede-nen subtilen oder handfesten Formen von Diskriminierung, denen Frauen an derUniversität ausgesetzt sind, auseinander zu setzen. Diese kann direkt und persönlichvon Studierenden und Lehrenden ausgehen oder mehr struktureller Natur sein. Dabeikann das Tutorium vor allem einen reflexiven Raum bieten, um diese oft verborgenenund für selbstverständlich erachteten Vorgänge zu allererst bewusst zu machen. DieseSensibilisierung hilft, die notwendigen Bewältigungsstrategien zu entwerfen. Diese

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Strategien können ganz zivilisiert aussehen, wie eine Beschwerde bei der zuständigenBeratungsstelle, oder aber kreative Lösungen darstellen. In den 80er Jahren soll es ander Technischen Universität Wien zum Beispiel zu diversen Störaktionen vonStudentinnen gekommen sein. Sie saßen dabei gemeinsam in einer Vorlesung einesVortragenden, der für seine sexistischen Kommentare berüchtigt war. Immer imMoment einer frauenverachtenden Aussage hielten sie Transparente hoch, auf denen„Blödsinn“, „Vorurteil“ oder „Blabla“ stand.

Bei der Ausbildung und dem darauf folgenden Tutorium kommt dem Austausch undder Vernetzung zwischen den Frauen eine bedeutende Rolle zu. ‚Seilschaften bilden’ist das dazugehörige und schon etwas vielzitierte Schlagwort. Freundschaften,Arbeitsbeziehungen, Konkurrenzen und Interessensgemeinschaften nehmen imTutorium oft ihren Anfang. Sie entfalten ihr unterstützendes und herausforderndesPotenzial nicht nur sofort, sondern, wie ich selbst bestätigen kann, mit jedem Jahrmehr. Verschiedene studentische Aktivitäten werden miteinander verbunden, eskommt zu fruchtbaren Auseinandersetzungen über die Institutsgrenzen hinweg. AlsBeispiel dafür kann vielleicht der „Frauenwohlfühltag“ gelten, den Studentinnen derPädagogik aus Wien entwickelten, auf einem Frauentutorium weiter ausbrüteten undmit anderen umsetzten. Die einzelnen „Wohlfühltage“ hatten ironische oder kritischeZielsetzungen, wie zum Beispiel „Hausarbeit unter marxistischer Perspektive“. Andiesem Tag wurden Bilder und Logos am Computer entworfen, ausgedruckt und -ganz hausfraulich - auf T-Shirts gebügelt.

Ein wichtiges Thema ist in Frauentutorien die Frage nach dem eigenen Bezug zumFeminismus. - Was hat dieses Thema überhaupt mit meinem Leben zu tun? - Inwieweit beeinflussen die politischen, soziologischen und medizinischen

Theorien zum Thema Weiblichkeit mein Leben ganz konkret? - Wie kann ich mit von außen an mich herangetragenen Rollenerwartungen umge-

hen? - Welche Erwartungen habe ich an mich selbst? Meiner Erfahrung nach verbinden sich die persönlichen Erkenntnisse mit einerReflexion der gesellschaftspolitischen Ebene des Themas ‚Frau sein’, und führen zu

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Fragen nach dem Rahmen, in dem die persönliche, weibliche Bildungssozialisation ander Universität stattfindet. Dieser Rahmen kann klar wahrnehmbar und empirischbelegbar sein, ganz oft sind die Rahmenbedingungen aber unbewusst, diffus undschwer auszumachen und haben etwas mit Sprache, Körper und Blicken zu tun. Ausder Reflexion der Aspekte Körper und öffentlicher Raum gingen Tutorien hervor, diedas übliche Maß eines Frauentutoriums übersteigen und sich einem speziellen Themawidmeten, so zum Beispiel ein Klagenfurter Projekt von 2002 zum Thema ‚blick-macht’.

Mein eigenes Tutorium war zum Beispiel ganz von der Interdisziplinarität geprägt. Daich bei der Ausbildung die einzige Philosophin unter lauter Landschaftsplanerinnen,Naturwissenschafterinnen, Technikerinnen und Architektinnen war, musste ich michanfangs durch unverständliche Ausdrücke wie ‚tote Restflächen’ und ‚extensiverObstanbau’ kämpfen und fand daran bald Gefallen. So bot ich gemeinsam mit einerLandschaftsplanerin das ‚interdisziplinäre feministische Forum’ an, das uns in denJahren 1998/99 viel Spaß machte. Es kam dadurch zu personellen Überschneidungenmit dem Frauentutorium an der BOKU, NAWI - UniWien und TU ‚Frauen inNaturwissenschaft und Technik’, ein bereits langjähriges, erfolgreiches Projekt. Derbesondere Reiz war dabei zu sehen, wie Studentinnen anderer Universitäten eine fem-inistische Perspektive in ihrem Studium entwickelten, und andere feministischeMethoden und gedankliche Zugänge zu ganz unterschiedlichen Bereichen kennen zulernen.

Obwohl es durch die an den Universitäten institutionalisierte Frauenforschung zuinteressanten feministischen Lehrangeboten gekommen ist, ist der Unterschied zueinem Tutorium immer noch sehr groß. Neben den Aspekten Selbständigkeit undEigenverantwortung finde ich besonders erwähnenswert, dass das Frauentutorium eineMöglichkeit bietet, den Themen Konkurrenz und Kooperation Raum zu geben. So leis-tet es einen wichtigen Beitrag für die persönliche Auseinandersetzung mit den konkur-rierenden und leistungsbezogenen Aspekten im Bildungsbetrieb.

Zur Grundidee der Frauentutorien gehört auch die kritische Auseinandersetzung mitden Themen ‚universitärer Raum versus privater Raum’, also die alte politische Frage,

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inwiefern verschiedene Orte Handlungen eine unterschiedliche Wertung verleihenkönnen. Daher finden Frauentutorien meist nicht in einem universitären Raum statt. InWien gibt es zum Beispiel den UniFrauenOrt (UFO), eine kleine Substandard-wohnung in der Berggasse, in dem früher das Archiv der Frauen und Lesbenbewegung‚Stichwort’ seine Heimat hatte und der seit Jahren mit den Aktivitäten derFrauentutorien verbunden ist.

Wie unschwer zu erkennen ist, sind die angeführten Beispiele sehr stark auf Wienbezogen und auch auf die letzten Jahre beschränkt, denn bis jetzt gibt es keine genaueDokumentation und Darstellung der Geschichte des Frauentutoriums. Sicher ist, dasses seit 1995 jedes Jahr zumindest eine Frauentutoriumsausbildung gegeben hat,obwohl bei den Studentinnen, wie ich wahrnehmen konnte, oft das Gefühl von Lückenoder ganzen Phasen ohne ein Frauentutorium bestand. Einer der Gründe könnte sein,dass die zwanzig Frauen, die durchschnittlich an der Ausbildung teilnehmen, für ganzÖsterreich natürlich nicht viel sind. Darüber hinaus kann es durch eine Wahl, einAuslandssemester oder die Beendigung des Studiums zu personellen Veränderungenkommen, durch die viel Kontinuität und Wissen verloren geht. Ganz vermeiden lassensich diese Diskontinuitäten also nicht, und daraus entwickelt sich auch Positives. DieStärke der Frauentutorien besteht ja darin, dass eine neue Generation vonStudentinnen das Projekt in ihrem Sinne interpretieren kann und es dadurch noch zuvielen Sesselkreisen kommen wird, in denen sich Frauen verstohlen beäugen undTutorien entwerfen, umstrahlt vom Glanz des Neubeginns. T

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von Marcel Scheffknecht

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Ich erinnere mich an seinen zärtlichen Kuss. Prickelnd und irri-tierend schön. Wir standen in einem Dreieck zueinander, meineFreundin zwischen mir und dem Mann, der meine Lippen zumAbschied küsste. Müsste ich einen Zeitpunkt der Auseinander-setzung mit mir und meinem ‚Mann-sein’ benennen, so war esdieser - oder war es doch das Erlebnis in Innsbruck, als ich voneiner Frau mit den Worten ‚Arschloch’ bedacht wurde, als ich ihrdie Tür aufhielt und sie bat einzutreten? Die Erinnerung kann ofttrügerisch sein …

Ich kam als 23jähriger ‚Studi’ nach Wien. KleinbürgerlicheMoralvorstellungen und traumatisierende Erziehungsritualemeiner ‚Vorarlberger Heimat’ begleiteten mich. Das Leben lebtemich und ich nicht mein Leben. Studentische Politik und dieSuche nach der eigenen Identität waren meine Lebensziele ineiner Welt des männlichen und weiblichen Rollenzwanges.

1993 gings los. Die erste Männertutoriumsausbildung lief vomStapel, und sie war mit der Beteiligung von Studenten derUniversität für Bodenkultur, der Grund-, Integrativ- und Geistes-wissenschaftlichen Fakultät der Hauptuniversität Wien nicht nurinterfakultär, sondern durch die Teilnahme von Studenten derUniversitäten Graz und Wien auch interösterreichisch organi-siert. „männertutorium?“ - Die Kleinschreibung signalisierte aufkünstlerischem Wege die geschlechterhierarchische Sprachkulturunserer Gesellschaft - „Warum ein ‚männertutorium’?“ - dasfragten sich unter anderen zwei Zentralausschuss (ZA)-Funk-tionäre, von deren Unterschrift die Finanzierung des Projektesabhing. „Da könnten wir ja auch gleich ein Jungferntutoriumfinanzieren”, lautete ihr Kommentar, und sie lehnten dieFinanzierung ab. Nicht nur das ‚männertutorium’, sondern auchdas schwul-lesbische Tutorium sollte dadurch verhindert werden.Das ‚männertutorium’ konnte sich in der Folge, unabhängig von

„These 1: Männer werden von Frauen geboren“1

Ein Rückblick auf 6 Jahre universitärer Männerarbeit

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ZA-Geldern, eine einwöchige Ausbildung für ‚Männertutoren’ finanzieren. Mit repressiven Haltungen gegenüber dem ‚männertutorium’ stand der ZA nicht alleinda. Teile der feministischen Bewegung sahen in diesem Projekt den Versuch, männer-bündische Strukturen an der Universität zur Erhaltung patriarchaler Macht zuetablieren.2

Aus dem Kontext der Diskussion um die Positionierung des ‚männertutoriums’ herauswar die transparente Darstellung der inhaltlichen Ausrichtung des ‚männertutoriums’im Zuge der Aufnahme in das Grundsatzpapier des Einführungstutoriums zu verste-hen:„Punkt 6.4. Negative Abgrenzungen (Was männertutorien nicht sein oder bewirkensollen - Negativkatalog) männertutorien dürfen auf keinen Fall den Charakter von tra-ditionellen Männerbünden, Burschenschaften und Männervereinen einnehmen.Ebenso dürfen männertutorien nicht zu Selbstzweck und damit erst recht zuStabilisation von patriarchalem Denken führen (Selbstbestätigung, Solidarisierunggegen Frauen, etc.).”3

Nach der Aufnahme in das Grundsatzpapier gemeinsam mit den Frauen- und schwul-lesbischen Tutorien, fand von 1995 bis 1998 jeweils ein Ausbildungsturnus statt. 1999scheiterte der letzte Versuch einer Ausbildungsorganisation, und das Projekt fandkeine Fortsetzung mehr.

Interessanter als die Chronologie der Ereignisse erscheint mir die Darstellung derInhalte der ‚Männerseminare’ und der darin von den ausschließlich männlichenTrainern vermittelten ‚Methoden zur Männerarbeit’. Die Ausbildungstage und die ab-gehaltenen Männertutorien erfolgten in geschlechterhomogenen Gruppen. Diesgewährleistete eine unmittelbarere Auseinandersetzung mit ‚uns’ und ‚unsererMännlichkeit’.Bei den auf fünf Tage angesetzten Ausbildungen zum Männertutor stand die ‚Selbst-reflexion’, d. h. die Auseinandersetzung mit biografischen Aspekten, die im Prozessder Herausbildung von individueller und gesellschaftlicher Männlichkeit bedeutsamwaren, im Vordergrund. Themen wie Konkurrenz, unsere Väter, Homophobie, eroti-sche Anziehung unter Männern, Macht und Ohnmacht der Männlichkeit, Umgang mitunseren Körpern, Gewalt und Männlichkeit, ‚Darf ich schwach sein als Mann?’,Kontrollverlustängste und vieles mehr kamen in diesen Ausbildungen zur Sprache.

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Der Blick auf das individuelle männliche Neurosenkorsett im Rahmen der ‚Eigenver-antwortlichkeit’ zeigte ein Labyrinth, in dem auch der Minotaurus sein Lager aufge-schlagen hatte. Spannend und abenteuerlich. Im Wagnis der Suche nach Erkenntnislauerte die Gefahr, Bereiche der eigenen konstruierten Männlichkeit wahrzunehmen.Bei diesem hohen Anspruch der Teilnehmer war verständlich, dass die Ausbildungs-leiter vorwiegend über psychotherapeutische Ausbildungen bzw. über fundierteKenntnisse im Bereich der Geschlechtertheorie und männlichen Geschlechtersoziali-sation verfügten. Bei den Ausbildungen erhielten wir Einblick in Methoden derMännerarbeit im Allgemeinen, des Psychodramas, der Gestalttherapie, des kreativenpädagogischen Arbeitens, der Gruppendynamik, der Tanztherapie und der Körper-arbeit.Nach den Ausbildungen sahen sich die Männertutoren oft mit der Abhaltung einerTutoriumsgruppe an der Universität überfordert. Diese Überforderung fußte zumeist indem Bewusstsein, als Tutor über einen Inhalt mit anderen Männern zu arbeiten, in dem‚mann’ selbst noch nicht das intrapsychische Konfliktpotenzial (die Selbsterfahrungs-ebene) bearbeitet hatte. ‚Mann’ befand sich als Tutor und Leiter einer Gruppe in einemProzess der Selbsthinterfragung und Erkenntnisvermittlung, während mit denTeilnehmern Fragen der Männlichkeit bearbeitet wurden. Dieses Phänomen ist vergle-ichbar mit der Herausforderung, der Lehrer und Lehrerinnen in der Abhaltung einessexualerzieherischen Unterrichts gegenüber stehen, ohne über eine ausreichendeAuseinandersetzung mit persönlichen Motiven und Absichten zur eigenen Sexualitätzu verfügen. Themen der männlichen Körperlichkeit betonten diesen Aspekt stärker, sodass in einerAusbildung der Schwerpunkt auf Körperarbeit, körperliche Sensibilisierung und ‚DerMann und sein Körper’ gelegt wurden.Wissenschaftliche Auseinandersetzung zu Fragen der Männerarbeit oder Geschlechter-theorie wurden im Bereich der ‚männertutorien’ selten angeboten. Zu diesem Zweckwurde 1993 an der Geisteswissenschaftlichen Fakultätsvertretung ein tutoriumsunab-hängiges Forum – der ‚männerladen’ – eingerichtet.

„Punkt 3.3. Was ist das männertutorium?Das’männertutorium’ wendet sich sowohl an Erst- als auch an Höhersemestrige. Eshat den Anspruch, einen Beitrag zur Veränderung in Richtung Geschlechterdemokratie

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zu leisten, und es bietet die Möglichkeit zur Bestandsaufnahme patriarchalerStrukturen, sowohl in Alltagssituationen als auch auf Universitäten. Wichtig ist dieWahrnehmung bzw. Sensibilisierung für subtiles HERRschaftlich-sexistischesVerhalten und Denken, wo wir Männer Vorteile und Nutzen ziehen (Auseinander-setzung mit unserer Täterschaft). Daneben gilt es, den Opferstatus der Männer auf-grund ihrer Dominanz (Beziehungsfähigkeit von Männern, Emotionsarmut, Defizitein Gefühlsbereichen, etc.) aufzuarbeiten. Diese Aufarbeitung erfolgt in homogenen,geschlechtsspezifischen Gruppen. Vergleiche zu diesen Schilderungen denProjektbericht des männertutoriums.” 4

Wenn ich gefragt werde: „Was war das Männertutorium?”, kann ich es als einen Ortzur inneren Sensibilisierung für die Prozesse der männlichen Sozialisation und Auf-weichung der Verdrängungsmechanismen definieren. Die Tränen, die Männer dabeivergossen haben, waren auch Teile meines eigenen Schmerzes, den ich nicht in derLage war, zum Ausdruck zu bringen.Gesellschaftspolitisch und wissenschaftstheoretisch erweiterte das ‚männertutorium’und die Männerarbeit generell das Spektrum des männlichen universitärenBewusstseins und lieferte wesentliche Beiträge zur Geschlechterforschung. Hier sinddie Vernetzung mit Institutionen der Männerarbeit in Österreich und Deutschland, dieTeilnahme an Demonstrationen, die aktive Unterstützung des Frauenvolksbegehrens,das Gedenken des Tages der Gewalt gegen Frauen, die Mitorganisation an der ‚ErstenÖsterreichischen Männertagung’ im Juni 1998 (fand zuletzt im Mai 2004 in ihrer 4.Auflage statt), die Veröffentlichung männertheoretischer Texte in universitärenMedien (Unique, Gezeit u. a.), Interviews mit den Salzburger Nachrichten und derPresse zu nennen.

Sind Männertutoriums-Männer die „besseren” Männer?Soll ich jetzt ja sagen? Natürlich schmeichelte es mir, wenn feministische, autonome,starke Frauen mich freundschaftlich als einen der ‚ihren’ begrüßten - das ‚männertu-torium’ verfolgte das Ziel, einen Beitrag zur Geschlechterdemokratie zu leisten - undes zu inhaltlichen und körperlichen Begegnungen kam. Jenseits dieser Eitelkeiten bleibt für mich und mein Leben als Mann die Erkenntnis,meine eigene Persönlichkeit durch den Prozess der männerspezifischenSelbstreflexion erweitert und dadurch mein Gefühlsspektrum als Mann breiter

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gemacht zu haben. Im Erleben und Agieren mit anderen Männern, Frauen und Kindernwirkt sich dies als soziale Kompetenz aus, die es mir ermöglicht, anders zu spüren undzu fühlen als ich in meiner Sozialisation als Mann ‚zugerichtet’ wurde.

Eigentlich finde ich es schade, dass das ‚männertutorium’ nicht mehr abgehalten wird.Einerseits erschien es vielen Männern auf die Dauer als zu einseitig, sich ‚nur’ mitihresgleichen zu beschäftigen. Das Fehlen des Austausches mit Frauen in derGruppenarbeit wurde von Männern zum Audruck gebracht, und in der gefühlsbetontenBegegnung mit anderen Männern aktualisierten sich homophobe Ängste, die schwerkanalisierbar waren. Andererseits denke ich, es ist ein Zeichen für die derzeitdominierende geschlechtertheoretische Auseinandersetzung, in der vieles demGenderansatz untergeordnet wird. Letztlich fand sich das Gros der ‚männertutoriums-Männer’ im ‚Gendertutorium’ wieder.

1 Ich möchte an dieser Stelle allen am ‚männertutorium’ beteiligten Männern für ihre Unterstützung,Gefühlsäußerungen und die gemeinsam verbrachte Zeit danken. Es war und ist schön mit Euch.Der Titel ist dem Vortrag von Walter Hollstein Männer in Bewegung entnommen, gehalten anlässlichder ersten „Österreichischen Männertagung“ vom 11.-14. Juni 1998 (vgl. Dokumentation „Österre-ichische Männertagung“ 1998, S. 41 f.).2 Als besonderes Ereignis möchte ich das gemeinsame Treffen mit einer Frauentutoriumsgruppe 1996in der „Rosa-Lila-Villa” (Haus der Schwulen und Lesben) in Wien anführen. Fazit: Männer undFrauen begegneten einander eher skeptisch. Die Frauentutorin Maria (Name geändert) und derMännertutor Josef (Name geändert) hatten den größten Spaß. Ein Treffen mit einem Schwulentutoriumscheiterte leider. 3 zit. n. dem Protokoll des Koordinationstreffens vom 21. bis 24. April 1994 und aufgenommen in dasGrundsatzpapier, Fassung 1994.4 zit. n. dem Grundsatzpapier des Einführungstutoriums, Fassung 1994, S. 2

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von Britta Stroj

Es ist Herbst, ein neues Unijahr beginnt. Eine kleine Gruppe Stu-dierender hat sich im Gewirr eines Bahnhofs eingefunden. Ge-meinsam wollen sie zu einem Tutoriumsausbildungsseminarfahren. Ein bisschen ist es eine Fahrt ins Ungewisse, bloß einesist klar: sie fahren zum LesBiSchwulTrans Tutoriumsausbil-dungsseminar. Am Seminarwochenende sind wir genauso eine Gruppe wie auchdie Tutoriumsgruppe eine sein wird. Kennen gelernt wird mitMethode. Wir formulieren unsere Erwartungen an das Seminar,an die Gruppe und die TrainerInnen, greifen Konflikte auf undgeben Feedback. Learning by doing. Zugleich ist das Seminar fürdas Frauenlesbentutorium im Moment der einzige Ort, an demVernetzung und Weitergabe passiert, an dem Unterstützung,Feedback und neue Impulsgebung möglich sind. Letztlichentscheidet sich hier, ob ein Tutorium tatsächlich stattfindet undwer eines organisieren wird. Sich für oder gegen das Abhalteneines Tutoriums oder die Gründung einer Gruppe zu entscheiden,ist jedoch oft nicht nur eine Frage der Motivation oder desIdealismus. Vielen wird am Seminar klar, dass sie nicht genugzeitliche oder finanzielle Ressourcen haben.

In meinem ersten Semester habe ich ein solches Tutorium be-sucht, bin dann beim Seminar gelandet, und habe im Laufe dernächsten Jahre, jedes Mal in einem anderen Team, viermal einTutorium organisiert. Am ersten Abend waren wir immer nervös.Wie viele werden kommen? Wer wird unsere Ankündigungengelesen haben? Haben die Plakate etwas bewirkt? Einige offen-sichtlich schon. Einmal waren wir zu fünft, ein andermal kamenzwanzig. Die für mich größte Schwierigkeit an dem Projekt Lesbischwul-trans Tutorien ist die der Identitätspolitik und Sprache. Aktuellwird dies vor allem, wenn es darum geht, das Tutorium anzu-kündigen. Was biete ich da an? Welchen Titel soll es tragen?

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Ich bin! Und ich bin nicht die Einzige!Erfahrungen mit dem FrauenLesbenBiTrans-Tutorium

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Durch meine Ankündigung transportiere ich zugleich ein politisches und philo-sophisches Konzept. Wer wird sich also angesprochen fühlen und wen will ichansprechen? Wen schließt es ein, wen schließt es aus? Hier stellt sich dann auch dieFrage, was genau ich anbieten will. Soll es eher in Richtung coming out Gruppe gehenoder eher in Richtung theorieorientierter Arbeitsgruppe? Die Ankündigungsposter und–flyer waren für mich immer ein Kompromiss mit der Sprache. Dass am Unigeländeüberall Plakate mit der Aufschrift „Lesbentutorium“ zu sehen waren, fanden wir ohneZweifel politisch wichtig, jedoch zu kurz gegriffen. Es wurde mindestens zu frauen-lesbenbitrans-x Tutorium ausgeweitet. Wichtig war uns auch immer, möglichst offenund einladend zu klingen. Stundenlang haben wir daran herumgetüftelt, wie dieHemmschwelle, zum Tutorium zu kommen, möglichst gering sein kann. Ansprechenwollte ich in erster Linie aber doch vor allem frisch an die Uni Gekommene, um ihnenhier Raum zu bieten, Kontakte und Austausch zu ermöglichen.

Frisch an der Uni war ich selbst nämlich auch einmal. Und da war mir nichts wichtigerals die ständige - die sekündliche - Beschäftigung mit dem Lesbischsein. Lesbisch zusein empfand ich damals als notwendig für mich. Es war, als würde erst dieser Name,diese Benennung mich zu einem ich machen, mich real und sichtbar machen. Als wäreich fließend und könnte nur durch ein Hineinschlüpfen in diese Kategorie ‚lesbisch’eine Haut erlangen, mit der ein Sein und Handeln in der Welt erst möglich wäre. Heutefließe ich wieder. Ich spreche von mir nicht automatisch als z. B. lesbisch, sondern jenach politischem Kontext. Jedenfalls war ich in den Lehrveranstaltungen geistig eher selten anwesend, sog jedochim Tutorium, das ich am fleißigsten besuchte, mühelos alles auf. Die Filme, die wirsahen, die Namen, die fielen, die Zeichen. Die Lesbenwelt war groß, herrlich undunentdeckt. Das Tutorium war wie ein Taxi mitten hinein. Mein Gewand war zu jedemTreffen sorgfältig ausgesucht. Todsicher würde es Achselschweißflecken kaschierenmüssen, es sollte kein reines ‚das-kann-ich-nur-im–Sitzen-anhaben’ Gewand sein, essollte meine Persönlichkeit ausdrücken, und - das war die Kür - es sollte lesbisch sein.Jedes Mal war ich nervös. Manchmal war ich nachher verwirrter und noch unzufrie-dener mit der Welt und mit mir als vorher. Aber ich konnte nicht anders, ich MUSSTEda hin.

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Das Tutorium soll den Frauen in erster Linie an der Uni einen geschützten Raumbieten für Kommunikation und Austausch. Es soll Kontakte ermöglichen undNetzwerke schaffen. Es kann und soll Basis sein für neue Projekte, Anstöße undRückhalte geben. Meine Co-Tutorinnen und ich verstanden unsere Rolle in der Gruppe immer als einemoderierende, zusammenhaltende, ermöglichende. Den Wünschen der Teilnehmerin-nen entsprechend haben wir dann die einzelnen Abende geplant. Wir selbst hattennatürlich auch inhaltliche Wünsche, die sich in unterschiedlichem Ausmaß umsetzenließen. So etwa hatten wir immer den Anspruch, möglichst viel Akzeptanz undOffenheit zu schaffen. Das Arbeiten an Vorurteilen, Rollenbildern und Klischeesführte uns immer wieder vor Augen, wie viel Ausschlüsse es innerhalb derFrauenlesbenszene gibt, wie viel Unwissen und Unverständnis. Zentral ist auch die Beschäftigung mit den spezifischen Erfahrungen der einzelnenTeilnehmerinnen im universitären System. Im Rahmen des Tutoriums versuchen wirunterschiedlichste Mechanismen der Diskriminierung aufzuzeigen. DieserErfahrungsaustausch ist für die Teilnehmerinnen im heterozentristischen, patriar-chalen Unialltag von großer Wichtigkeit. In Diskussionen werden so z. B. Unterschie-de im feministischen Lehrangebot der einzelnen Studienrichtungen deutlich.Struktureller Sexismus und Homophobie im Lehrangebot und in den Lehrinhaltensowie innerhalb des sozialen Umfelds an der Universität werden sichtbarer. Am interessantesten war für mich immer das methodische Aufbereiten der einzelnenAbende. Wie kann ich an Rollenbildern denn nun arbeiten, wie kann ich möglichstunverkrampft über Sex und Safersex sprechen? Wie könnte ein Einstieg in eineDiskussion aussehen? Bei einer Gruppe war nach dem ersten oder zweiten Treffenganz deutlich zu spüren, wie sehr ihnen das Sprechen über die eigene Geschichte, ihrcoming out, und ihr lesbisch oder bi Sein unter den Nägeln brannte. Ich denke, wirhaben genau den richtigen Zeitpunkt dafür gefunden, denn der Abend, an dem jedeihre Geschichte erzählte, war besonders intensiv und bewegend. Jede bekam genugRaum und Aufmerksamkeit von den anderen. Auf späteres Nachfragen hin erfuhrenwir von manchen, dass sie sich akzeptiert und sicher fühlten, offen reden zu können.Das war schön und machte uns stolz, denn das klang genau nach dem, was wir er-reichen wollten.

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von Mishela Ivanova und Pier-Paolo Pasqualoni

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Im Sommer 2002 fand im Rahmen des Tutoriumsprojekts erst-mals ein Ausbildungsseminar statt, in dem die TutorInnen auf dieAnleitung eines Integrationstutoriums für (in- und) ausländischeStudierende vorbereitet wurden. Dieses themenspezifischeTutorium wurde - neben dem Integrationstutorium für Menschenmit Behinderung - als letztes in das Grundsatzpapier desTutoriumsprojekts aufgenommen. In diesem Beitrag wollen wirversuchen, das Integrationstutorium für in- und ausländischeStudierende (im Folgenden kurz: Integrationstutorium) in denKontext des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu stellen, umes anschließend auf seine Zielsetzung und seinen gesellschafts-politischen Stellenwert zu befragen.

Integration - eine Frage der Wahrnehmung, des Denkensund HandelnsDie Frage des interkulturellen Zusammenlebens ist geprägt vonAmbivalenz und Unsicherheiten. Missverständnisse, aber aucheine Vielzahl wechselseitiger Abwertungs- und Ausgrenzungs-mechanismen gehören hier zum Alltag. Diese Beobachtungfindet sich weit über die österreichischen Landesgrenzen hinausbestätigt. Dabei geht es um Unterschiede, die in unseremLebensumfeld nicht nur eine gewisse Rolle spielen, sondern tat-sächlich auch einen Unterschied machen: in der Art, wie wireinander betrachten, begegnen, behandeln.

In interkulturellen Kontexten wird der strukturierte und struk-turierende Charakter der Wahrnehmung besonders deutlich.Interkulturelles Lernen erfolgt immer dann, „wenn eine Personbestrebt ist, im Umgang mit Menschen einer anderen Kulturderen spezifisches Orientierungssystem der Wahrnehmung, desDenkens, Wertens und Handelns zu verstehen, in das eigenkul-turelle Handlungsfeld zu integrieren und auf ihr Denken undHandeln im fremdkulturellen Bereich anzuwenden“ (Thomas

Zur Integration von in- und ausländischenStudierenden

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1988, S. 83). Integration, ein Schritt von beiden Seiten im gesellschaftlichenZusammenleben, ist somit bis zu einem gewissen Grad eine Frage der Wahrnehmung,des Denkens und Handelns. Es ist zunächst die Wahrnehmung, unsere Wahrnehmung,die Erfahrungen strukturiert und die Koordinaten für unser Handeln vorgibt. Wie inwenigen anderen Bereichen ist die Frage „Wessen?“ wohl die erste, die sich in derDomäne der Wahrnehmung stellt und ihren subjektiven Charakter entlarvt.Verschiedene Personen (Gruppen) nehmen unterschiedliche Standpunkte ein, so dassderselbe Sachverhalt durchaus unterschiedlich wahrgenommen wird. Die daraus fol-genden Zuschreibungen zielen einerseits darauf ab, aus dem Umfeld und der eigenenLebenssituation Sinn zu machen (a), werden aber andererseits durchaus auch zurErfüllung pragmatischer Zwecke (b) eingesetzt, also mit der Absicht, eine bestimmteWirkung zu erzielen und ein Anliegen durchzusetzen (vgl. Bruner 1990). Wie wir einProblem definieren - ja dass wir es überhaupt als Problem wahrnehmen - hängt inentscheidendem Ausmaß von den Rahmenbedingungen, aber auch von der Perspektiveab, die wir gegenüber einer Problemlage - einer Situation, einer Person, einer Gruppe- einnehmen. Unsere Wahrnehmung hängt somit nicht zuletzt auch vom Standpunktab, den wir einnehmen und in einem gesellschaftlichen Kontext vertreten. Abhängigvom Aussichtspunkt, unserer sozialen Position und Verortung, erscheint oft derselbeSachverhalt in einem anderen Licht. Das Festhalten an einer bestimmten Perspektivegibt uns Halt und eine gewisse Sicherheit, verstellt aber oft den Blick auf dieSichtweise jener, auf die unser Blick gerichtet ist - und damit auf möglicheLösungswege für konkrete Problemstellungen, an denen wir im gesellschaftlichenZusammenleben gleichermaßen beteiligt sind. Unsere Sichtweisen sind wie Brillen,die unseren Blick schärfen, das Blickfeld jedoch einschränken. Wie eine Kameranehmen wir, indem wir uns einem Motiv zuwenden, immer nur eine Seite und damitAusschnitte der Wirklichkeit wahr.

Wahrnehmung ist nicht nur subjektiv, sie ist ebenso perspektivisch, selektiv und trägtdarüber hinaus die Spuren des gesellschaftlichen Gefüges, in dem wir unseren Blick -im Austausch mit anderen Menschen an einem bestimmten gesellschaftlichen Ort -geschult haben. Unsere ‚Tatsachen’ werden dabei zu Tatsachen erst im Rahmen einesDiskurses, einer Rahmenerzählung, die innerhalb oder zwischen bestimmtenPersonen/Gruppen ausgehandelt worden ist und laufend weiter verhandelt werden

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muss. Im Austausch mit Anderen lernen wir, wie wir die Wirklichkeit wahrzunehmenhaben, was sie - für uns - bedeutet. Unsere Wahrnehmung spiegelt somit die gesell-schaftlichen Verhältnisse wider und schreibt sich in unserem Bewusstsein fort, dasunsere soziokulturelle Verortung verrät und zugleich verborgen hält. Ohne den Filterunserer persönlichen Geschichte, die in ein (spezifisches) soziales Umfeld eingebettetist, wäre Wahrnehmung schlichtweg undenkbar. Sie strukturiert somit Erfahrungen,ohne die wir die Welt nicht so wahrnehmen können, wie wir sie eben sehen, unsdenken, um uns entsprechend in ihr bewegen und handeln zu können. In diesemZusammenhang spricht Bourdieu von einem gruppenspezifischen Habitus. Dieser„gewährleistet die aktive Präsenz früherer Erfahrungen ... in Gestalt vonWahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata“ (Bourdieu 1993, S. 101). Aus einempraktischen Handlungszusammenhang hervorgehend, durchsetzen diese - als „Systemedauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturie-rende Strukturen zu wirken“ (Bourdieu 1976, S. 165) - den Alltag der Subjekte. Siedienen darin „als Erzeugungs- und Strukturierungsprinzipien von Praxisformen undDispositionen“ (ebd.).

Rassismus und Sexismus beruhen wie die meisten Ideologien auf der Wahrnehmungvon Unterschieden, die im gleichen Zuge handlungswirksam werden. Sobald einePerson oder eine Gruppe als ‚fremd’, als ‚anders’ wahrgenommen wird, wird sie auchentsprechend ‚anders’ behandelt, ‚man’ begegnet sich anders. Einer Begegnungzwischen Menschen unterschiedlicher Herkunftsländer, die ihr oberflächliches undzweckbezogenes Nebeneinander übersteigt, steht demnach eine Reihe vonHindernissen im Wege. Die Unterschiede zwischen ÖsterreicherInnen und MigrantIn-nen, zwischen Frauen und Männern, zwischen privilegierten und weniger privi-legierten sozialen Gruppen werden durch eine Unterscheidung aufrecht erhalten, derenFolgen in jeder Hinsicht real sind (vgl. Thomas 1965): „So hat die Ideologie desSexismus dazu beigetragen, dass Frauen in beträchtlichem Umfang vom Arbeitsmarktausgeschlossen und ihre Tätigkeiten auf die unbezahlte Arbeit im Bereich vonHaushalt und Familie beschränkt wurden. In ähnlicher Weise trägt die Rassismus-konstruktion von Bevölkerungen dazu bei, eine Eignungshierarchie aufzubauen unddie ideologische Grundlage für Ausgrenzungspraktiken zu errichten“ (Miles 1991, S.170). Hier schließt sich der Kreis zwischen Wahrnehmung, Denken und Handeln:

Unser Habitus formt das soziale Umfeld, in dem wir uns bewegen und das wiederumdie unserem Denken und Handeln zugrunde liegende Wahrnehmung steuert. DieseWechselwirkung trägt zur Reproduktion gesellschaftlicher Hierarchien bei. EineBeschreibung der Bedingungen, unter denen sich die bestehenden Verhältnisse zwis-chen sozialen Gruppen erhalten, findet sich auch bei Bourdieu: „Reproduzieren sichdie objektiven Kräfteverhältnisse in den diversen Sichten von sozialer Welt, so alsodeshalb, weil die Strukturierungsprinzipien der Weltsicht in den objektiven Strukturender sozialen Welt wurzeln und die Kräfteverhältnisse auch im Bewusstsein derAkteure stecken in Form von Kategorien zur Wahrnehmung dieser Verhältnisse“(Bourdieu 1985, S. 18).

Wenn Rassismus und Sexismus, Ausschlussmechanismen und Ausgrenzungspraktikenbereits in den begrifflichen Unterscheidungen angelegt sind, die im gesellschaftlichenLeben wirksam werden, wäre es dann nicht erstrebenswert, ohne jeglicheUnterscheidung und Differenzierung auszukommen? Liegen diese Differenzen ander-erseits nicht gerade unserer Wahrnehmung und unserem Denken zugrunde, die ohnesie gar nicht möglich wären? Wie immer die Antworten auf diese Fragen ausfallenmögen, für Integration und Gleichberechtigung greifen solche Fragen zu kurz. Indiesem Feld erscheint es wenig ratsam, Unterschiede generell auszublenden und nichtweiter zu berücksichtigen. Eine Nivellierung von Unterschieden bedeutet zumeist,dass sich die partikulare Norm der stärkeren Gruppe (z.B. der Mehrheit) allgemeindurchsetzt. Dies ebnet den Weg für die Assimilation derer, die sich der Norm anpassen,und für die Ausgrenzung jener, die der Norm weniger entsprechen (können). Es ver-hindert insgesamt eine produktive Auseinandersetzung mit Unterschieden undimpliziert Ausblendung und Verlust von Vielfalt. Die Unterscheidungskategorien undihre gesellschaftliche Hierarchisierung bleiben durch Assimilation unangetastet.

Die Wahrnehmung von Unterschieden - anstelle ihres Ausblendens - scheint für Inte-gration nicht weniger bedeutend zu sein als für ausgrenzende Unterdrückungs-ideologien. Entscheidend ist, wie wir mit Differenzen umgehen. Das Problem liegtnicht darin, dass wir Unterschiede wahrnehmen, sondern wie wir sie wahrnehmen; esliegt weniger in der Tatsache, dass wir in Kategorien denken, sondern ob und wie wirdarüber reflektieren und uns darüber austauschen. Das Problem besteht auch nicht

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darin, dass wir uns in unserem Handeln durch Unterschiede, die wir wahrnehmen, lei-ten lassen, sondern wie wir darauf in unserem Handeln Bezug nehmen und uns denjeweils ‚anderen’ gegenüber positionieren. Nicht die Unterschiede als solche führendemnach zu Konflikten, sondern ihre Handhabung (vgl. Heimannsberg 2000). Alleinim Umgang mit Unterschieden und in einer Auseinandersetzung, die alle Beteiligtenzu Wort kommen lässt, kann sich somit eine befriedigende Lösung abzeichnen.

Zielsetzung und Stellenwert des Integrationstutoriums im TutoriumsprojektDas Integrationstutorium bietet die Möglichkeit, das eigene Handlungsrepertoire zureflektieren und zu erweitern, sich über verbleibende Unsicherheiten auszutauschenund gemeinsam ein Szenario für gelungene Integration (jenseits einer auf Einseitigkeitberuhenden ‚Integrationsvereinbarung’) zu entwickeln. Erfahrungen des Ausschlusses,der Ausgrenzung, aber auch der Unterdrückung und Ausbeutung kommen dabeiexplizit ins Blickfeld. Zudem kommt unseren Erfahrungen im Umgang mit demFremden ein wesentlicher Stellenwert zu. Diskriminierungserfahrungen und derMechanismus wechselseitiger Abwertung können thematisiert und aufgearbeitet wer-den.

Darüber hinaus liegt eine Zielsetzung des Integrationstutoriums darin, Herrschafts-strukturen und Ausschlussmechanismen zu thematisieren und für Fragen der Unter-drückung und der Ausgrenzung (und damit der Diskriminierung) zu sensibilisieren.Die unterschiedlichen Erwartungen, die an in- und ausländische Studierende herange-tragen werden, können dazu dienen, Einstellungen und Vorurteile zu überdenken, dieuns im Alltag auf Schritt und Tritt begegnen und derer wir uns nicht immer bewusstsind. Im Umgang mit Differenzen und Widersprüchen sollen Gegensätze nichtaufgelöst, sondern im Hinblick auf ihre Funktionalität für soziale Systeme betrachtetwerden. In der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Beschränkungen unserer (sub-jektiven, perspektivischen, selektiven und diskursiven) Wahrnehmung kann dasVerständnis eigener und fremder Interpretationsmuster erhöht, das Einnehmen andererSichtweisen und der Sichtweisen anderer gefördert werden. Daraus lassen sich neueHandlungsperspektiven ableiten, um alten, vermeintlich unüberwindbaren Problemenzu begegnen. Da Ideologie gerade auf das Undenkbarmachen von Alternativen setzt,erscheint uns dieser letzte Schritt für eine emanzipatorische Praxis unerlässlich.

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Einige dieser Inhalte liegen auch interkulturellen Trainings zugrunde, die imbetrieblichen Kontext ansetzen. Während sich diese jedoch im Allgemeinen daraufbeschränken, MitarbeiterInnen auf einen bevorstehenden Auslandseinsatz bzw. aufGeschäftsbeziehungen oder Verhandlungen mit ausländischen GeschäftspartnerInnenvorzubereiten, interkulturelle Kompetenzen der MitarbeiterInnen - etwa im Umgangmit KundInnen - zu fördern oder innerbetrieblichen Konflikten vorzubeugen (vgl.etwa Götz 2002), wird im Rahmen des Integrationstutoriums der gesellschaftspoli-tische Kontext in viel stärkerem Maße einbezogen. Dies erfolgt einerseits durch ver-stärkte inhaltliche Diskussion über gängige Ideologien (etwa Rassismus und Sexismusin ihrer wechselseitigen Verstrickung), andererseits trägt aber auch die Form derAuseinandersetzung sowie der methodische Zugang die Spuren emanzipatorischerPraxis und stellt auf die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse ab.

Die Rolle und Wirkungsweise gesellschaftlicher Hierarchien explizit in Betracht zuziehen sowie aufzuarbeiten, wie sich diese im Alltag der TeilnehmerInnen nieder-schlagen, erscheint uns als unverzichtbarer Bestandteil des Integrationstutoriums.Hierarchische Gesellschaftsstrukturen erzeugen Über- und Unterordnung, Auf- undAbwertungen sozialer Gruppen, die verschiedene Formen der Diskriminierung,Ausgrenzung und Unterdrückung nach sich ziehen. „Von da aus müsste im Fortgangder Lernaktivitäten für mich (als Schülerin/Schüler) [bzw. als Studentin/Student]begreifbar werden, dass ich nur, wenn ich die Gesamtheit der Mehrheits-Minderheits-Diskurse, in die ich real einbezogen bin, ausblende, mich etwa als „Einheimischer“gegenüber „Ausländern“ auf der Siegerseite wähnen kann, aber allgemeiner gesehen- eben als Mädchen, Jugendliche(r), Behinderte(r) etc. - selbst auch ausgegrenzt unddiffamiert werde. So gesehen stricke ich also mit meinen rassistischen Aktivitäten aneben jenem Netz von Wechselausgrenzungen und -diffamierungen mit, in dem auchich gefangen bin und durch das wir uns im herrschenden Interesse selbst gegenseitigkleinhalten und entmächtigen“ (Holzkamp 1997, S. 296). „Individuen sind den gesellschaftlichen Strukturen… nicht als ‚passive Opfer’ aus-geliefert, sondern gesellschaftliche Strukturen und individuelles Handeln stehen ineinem komplexen Wechselverhältnis zueinander. Individuen nehmen sozialeStrukturen in ganz spezifischer Weise wahr und „bearbeiten“ diese, indem sie eigeneStrategien im Umgang mit ihnen entwickeln: Erst im Handeln der Individuen vollzieht

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sich überhaupt die laufende Reproduktion und Produktion gesellschaftlicherStrukturen“ (Juhasz/Mey 2003, S. 40). Gesellschaftliche Hierarchien reproduzierensich somit über unser koordiniertes Handeln, indem sie sich in den Kategorien unser-er Wahrnehmung niederschlagen. Diese erweisen sich zugleich als der archimedischePunkt, an dem politisches Handeln ansetzen kann: „Denn Erkenntnis von sozialer Weltund, genauer, die sie ermöglichenden Kategorien: darum geht es letztlich im poli-tischen Kampf, einem untrennbar theoretisch und praktisch geführten Kampf um dieMacht zum Erhalt oder zur Veränderung der herrschenden sozialen Welt durch Erhaltoder Veränderung der herrschenden Kategorien zur Wahrnehmung dieser Welt“(Bourdieu 1985, S. 18 f.).

Ebenso wichtig wie die inhaltliche Auseinandersetzung erscheint uns die Form derAuseinandersetzung, die im Tutoriumsprojekt einen egalitären Umgang nahe legt, deram deutlichsten in seinem basisdemokratischen Zugang zutage tritt. Die unter-schiedlichen Sichtweisen der TeilnehmerInnen werden als gleichwertig integriert: „Dieinterkulturelle Option ist durch das Bestreben gekennzeichnet, die verschiedenenKulturen aufeinander zu beziehen, und eben nicht durch die bloße Steuerung undKontrolle des Nebeneinander“ (Porcher 1984, S. 37). Gerade darin geht dasIntegrationstutorium über eine rein problembezogene Auseinandersetzung hinaus. DaRassismus und Sexismus, die nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft anzutreffen sind,auf Formen gesellschaftlicher Hierarchisierung beruhen, steht das Integrationstutoriumin der besten Tradition des Tutoriumsprojekts und kann seinen politischen Anspruchgeradezu in exemplarischer Weise einlösen, indem es gesellschaftliche Hierarchien -allein schon durch die Form der Auseinandersetzung, die im Tutoriumsprojekt begrün-det ist - hinterfragt. Im Gruppenkontext bleibt diese Auseinandersetzung weder denEinzelnen überlassen, noch bleibt sie ihnen erspart. Die Nachhaltigkeit dieserAuseinandersetzung kann daran bemessen werden, wie sie von den TeilnehmerInnenaus dem Innenverhältnis der Gruppe nach außen getragen wird - in die alltäglicheKonfrontation mit den weißen, männlichen und elitären Strukturen, die unsereGesellschaft durchdringen. Das Tutorium eröffnet damit den Weg für vielfältigeFormen des Engagements.Der methodische Zugang im Tutoriumsprojekt dürfte wesentlich zur Stärkung derSelbstorganisation und zur Förderung des gesellschaftspolitischen Bewusstseins der

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TeilnehmerInnen beitragen. Im Ausbildungsseminar steht die direkte Erarbeitung derspezifischen Themen und Inhalte, denen wir hier etwas mehr Platz eingeräumt haben,im Hintergrund. Die TutorInnen sollen vielmehr dazu befähigt werden, ihrer GruppeRahmenbedingungen anzubieten, die eine kritische Auseinandersetzung mit ihrenThemen ermöglichen, ohne vorgefertigte Meinungen zu postulieren. Die bewussteVermeidung frontaler Unterrichtsmethoden grenzt sich von der gängigen Hierarchiezwischen Wissenden und Unwissenden ab und legt eine Distanzierung vomVerständnis einer objektiv erfassbaren und unveränderlichen Wirklichkeit nahe, einerWirklichkeit, die sich erlernen und weitergeben lässt und die entsprechend kaumveränderbar erscheint.

Hinter dem offenen, prozessorientierten und reflexiven Zugang, der dem Tutorium-sprojekt zugrunde liegt, verbirgt sich eine ganz andere Weltanschauung: es ergebensich Erkenntnisse aus einem gemeinsamen Suchprozess. Gerade in derIntegrationsarbeit ist die diskursive Gestaltung von Erkenntnisprozessen von grundle-gender Bedeutung: „Das heißt, meine Sicht der Dinge halte ich nicht für die einzigmögliche und einzig wahre. Ich öffne mich dem Dialog. Ich spreche nicht über undnicht für andere, sondern mit ihnen. Aus dem Dialog heraus erwächst Erkenntnis undzwar in wechselseitiger Skepsis gegenüber unausgewiesenen Prämissen und inOffenheit für alternative Sichtweisen. Das Paradigma des Dialogs begreift denAnderen nicht als Gegen-Stand, sondern als Interaktionspartner in co-kreativenProzessen. Er kommt nicht nur selbst zu Wort, er ist Mit-Subjekt des gemeinsamenHandelns. In diesem Sinne ist der Dialog mehr als eine kommunikative Interaktionoder ein Erkenntnisweg. Er ist eine Form der intersubjektiven Beziehungsgestaltung,die den Anderen als grundsätzlich gleichwertig anerkennt und seine Überzeugungen,Motive und Sinnstrukturen einbezieht“ (Heimannsberg 2000, S. 20).

Entsprechend gehen IntegrationstutorInnen nicht von einem Defizitmodell aus, siebetrachten die TeilnehmerInnen vielmehr als ExpertInnen für ihre eigenen Anliegen.Das Integrationstutorium kann einen Rahmen für Erfahrungsaustausch und gegen-seitige Unterstützung bieten und dabei auf die Kompetenzen der TeilnehmerInnen set-zen. Eine Gruppe in- und ausländischer Studierender verfügt zumeist über alle nötigenRessourcen, um konkrete Probleme aufzugreifen und in befriedigender Weise zu

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lösen. Über den dialogischen Ansatz hinaus kann der erfahrungsorientierte Zugang imKontext der Selbstorganisation im Tutoriumsprojekt dazu dienen, Mitgestaltungs-möglichkeiten stärker zu nutzen und auszuweiten. Wenn das Verhältnis zwischen sozi-alen Gruppen konstruiert ist, muss es möglich sein, es zu rekonstruieren, um in derFolge gemeinsam darauf einzuwirken. ‚Wir’ gestalten die soziale Wirklichkeit mit,gerade dadurch kann sie verändert werden.

Literatur:Bourdieu, Pierre: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischenGesellschaft. Frankfurt am Main 1976Bourdieu, Pierre: Sozialer Raum und „Klassen“. Lecon sur la lecon. Zwei Vorlesungen. Frankfurt amMain 1985Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt am Main 1993Bruner, Jerome: Acts of Meaning. Cambridge, Massachusetts 1990 (dt.: Sinn, Kultur und Ich-Identität. Zur Kulturpsychologie des Sinns. Heidelberg 1997) Götz, Klaus (Hg.): Interkulturelles Lernen / Interkulturelles Training. 4. Aufl., München/Mering 2002Heimannsberg, Barbara: Einleitung: Zum Umgang mit kulturellen Unterschieden. In: Heimannsberg,Barbara & Schmidt-Lellek, Christoph J. (Hg.), Interkulturelle Beratung und Mediation. Konzepte,Erfahrungen, Perspektiven. Köln 2000, S. 13-22Holzkamp, Klaus: Antirassistische Erziehung als Änderung rassistischer „Einstellungen“?Funktionskritik und subjektwissenschaftliche Alternative. In: Schriften I. Normierung, Ausgrenzung,Widerstand. Hamburg 1997, S. 279-299Juhasz, Anne/Mey, Eva: Die zweite Generation: Etablierte oder Außenseiter? Biographien vonJugendlichen ausländischer Herkunft. Wiesbaden 2003Miles, Robert: Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs. Hamburg 1991Porcher, Louis: Glanz und Elend des Interkulturellen. In: Reich, Hans H./Wittek, Fritz: Migration,Bildungspolitik, Pädagogik: Aus der Diskussion um die interkulturelle Erziehung in Europa.Essen/Landau 1984, S. 35-47Thomas, Alexander (Hg.): Interkulturelles Lernen im Schüleraustausch. Saarbrücken 1988Thomas, William I.: Person und Sozialverhalten. Neuwied 1965

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Contracting und SeminarsettingsWünsche und Empfehlungen

TrainerInnenzusammenarbeit

von Wolfgang Haas

Der Name ‚Unabhängiges Tutoriumsprojekt’ legt nahe, das Tu-torium ist in Projektform organisiert. Dies hat zur Konsequenz,dass das Tutorium als Ganzes in seinen Abläufen weniger undoftmals undeutlicher festgeschrieben ist als andere Organi-sationsstrukturen, dadurch aber zugleich auch jenem ständigenProzess der Auseinandersetzung unterworfen bleibt, in dem sichprojekt-grundsätzlich gesprochen Partizipation verwirklicht. DasTutorium wird nicht nur unter Rücksichtnahme auf seine Tradi-tionen immer wieder aufs Neue projektiert, sondern auch derUmstand der zumeist kurzen Verweildauer der im Projektaktiven Personen hat Einfluss auf das Projekt und findet in sein-er Gestaltung Ausdruck. Da die Trainerinnen und Trainer demProjekt meist über längere Zeitspannen - manchmal auch überein Jahrzehnt und länger - zur Verfügung stehen, bieten sie eineMöglichkeit, dieses veränderliche Projektgefüge aus der Per-spektive der ‚langen Weile’ zu betrachten, d. h. mit der Zeit überWechsel und Konstanz in den letzten Jahren nachzudenken.

Im Frühjahr 2004 haben sich am Weiterbildungskongress‚TUTorial’ Trainerinnen und Trainer des Projekts getroffen undgemeinsam dieser Aufgabe gestellt. Was im Kontext der Tu-toriumsseminare des Projekts Schritt für Schritt und deshalbnahezu unbemerkt zur Tradition geworden oder unhinterfragtTradition geblieben ist, darauf werden die folgenden Anmerk-ungen zur TrainerInnenzusammenarbeit, zum Contracting zwi-schen Tutoriumsgruppen und TrainerInnen und zu den Seminar-standards Bezug nehmen. Überlegungen, welche dieser Gewohn-heiten das Projekt stärken und welche mit den Grundsätzen desProjekts nur schwer in Einklang zu bringen sind, werden in derForm von Anregungen und Wünschen zum Ausdruck gebracht. Dabei wird versucht, die Balance zwischen Anliegen, die eineeher projektgruppeninterne Ausrichtung haben, und den dasGesamtprojekt betreffenden Anliegen zu halten. Diese Anliegen

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stehen sich zwar nicht widersprechend gegenüber, sie ergänzen sich aber auch nichtnotwendig von selbst, was sich in der Seminarpraxis immer wieder deutlich zeigt.

Mit etwas mehr Nachdruck formuliert: Es ist an der Zeit, auf die organisatorischenStrukturen des Projekts - also auf das, was Projektgewohnheit geworden ist - einzu-wirken.Empfehlungen gehen immer Einschätzungen und Gewichtungen voraus. Diese sindselbst geschichtlich und mithin sind auch die aus ihnen hervorgehenden Empfehlungentemporärer Natur. Sie machen Sinn, insofern sie den Grundsätzlichkeiten des Projektsentsprechend argumentierbar sind, und sie beziehen aus dieser Verpflichtung ihreÜberzeugungskraft gegenüber der normativen Kraft der zumeist ökonomischmotivierten Faktizität. Die Empfehlungen sind Ausdruck des politischen Anspruchsdes Projektes, wie er im Beitrag von Mishela Ivanova und Pier-Paolo Pasqualoni tref-fend dargestellt wird. Geht es um die praktische Umsetzung dieses Anspruchs, so zeigtsich: Der Versuch, den strukturellen Auswirkungen einer überall hineinwirkendenspätkapitalistisch strukturierten Ökonomie - ihren individualisierenden, flexibilisieren-den, vernetzenden, delokalisierenden usw. Organisationsformen - kritisch entgegen-zutreten, ohne das Projekt zu schwächen, dieser Versuch verlangt differenzierte und inHinblick auf die Frage der Beibehaltung und Verabschiedung eingewöhnter Strukturenmanchmal auch ambivalent erscheinende Schritte.

Fahren Projektgruppen über längere Zeit mit denselben Trainerinnen und Trainern aufSeminar, so entwickelt sich mit Blick auf das Gesamtprojekt eine eigeneProjektgruppenkultur, die auch auf Blindheit für das scheinbar selbstverständlichFunktionierende und auf der stillschweigenden Weigerung der TeilnehmerInnen undTrainerInnen beruhen kann, sich mit Einflüssen aus dem Gesamtprojekt oder anderenGruppen auseinander zu setzen. Um solchen Entwicklungen entgegen zu wirken,erscheint es aus TrainerInnensicht sinnvoll, nicht öfter als zweimal hintereinander mitdenselben TrainerInnen bzw. Tutoriumsgruppen auf Seminar zu fahren und sich dannnach einem neuen TrainerInnenteam bzw. einer neuen Gruppe umzusehen. Die Trainerinnen und Trainer des Projekts haben am Weiterbildungskongressbeschlossen, ihrerseits stärker auf wechselnde Zusammenarbeit mit KollegInnen ausunterschiedlichen Ausbildungsgängen und Städten sowie mit verschiedenen

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Tutoriumsgruppen Bedacht zu nehmen und so diese Veränderung mit zu tragen. Um den Findungsprozess zwischen Gruppe und neuen TrainerInnen zu erleichtern unddamit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Projektgruppen im Herbst mit dem fürsie passenden TrainerInnenteam auf Seminar fahren, kann die Auswahl über einVorab-Gespräch mit unterschiedlichen TrainerInnen erfolgen. Im besten Fall nehmenan dieser ‚Sondierung’ mehrere TrainerInnen und auch mehrere TeilnehmerInnen derTutoriumsgruppe teil. Die am Kongress anwesenden TrainerInnen empfehlen einsolches Treffen vorab, da dies den oben angesprochenen TrainerInnenwechselerleichtert und zugleich das Auftreten von Missverständnissen in Hinblick auf dasSeminar, deren Klärung oftmals unnötig Seminarzeit kostet, reduziert. Um dieseKontakte zwischen TrainerInnen und Projektgruppen, die in unterschiedlichen Städtenleben, zu fördern, wäre vom Projekt ein Fahrtkostenersatz in Erwägung zu ziehen.

Mit diesen Empfehlungen wird nicht nur auf die angesprochene Verengung desBlickfelds reagiert, sondern auch auf den Umstand, dass die Stärke des Projektes vomBewusstsein der einzelnen Tutoriumsprojekte getragen wird, Teil des GesamtprojektesTutorium zu sein. In den letzten Jahren ist diese Perspektive - dem Trend eines sichzusehends als Vereinzelung verwirklichenden Individualisierungsprozesses folgend -unter dem Einfluss verschiedener Faktoren in den Hintergrund getreten. Für dieQualität und Entwicklung des Projekts, aber auch für die Verbreitung der Ansprüche,die mit dem Projekt verbunden sind, ist diese Blickverengung problematisch. Es lassen sich eine Reihe seminarbezogener Faktoren nennen, durch die es schwierigergeworden ist, die Perspektive für das Gesamtprojekt nicht zu verlieren - kürzereSeminarzeiten, stärkerer Dienstleistungsdruck, geringere Kommunikation zwischenden Projektgruppen, inhaltliche Vermischung von Studienrichtungsvertretungs- undTutoriumsseminar. An diesen Punkten kann, wenn es um die Organisation des Projektsgeht, angesetzt werden: Drei Tage - die Erfahrungen der TrainerInnen stimmen hier weitgehend überein - sindso kurz, dass gerade jene Seminarinhalte, deren Zweck über den unmittelbaren, dasuniversitäre System bloß stützenden Dienst an den Erstsemestrigen hinausgeht, undjene Methoden, die Bildung als ein partizipatives Geschehen fördern, zu kurz kom-men. Es macht Sinn wieder wenigstens vier Tage auf Seminar zu fahren und derKürzung der Seminarzeiten entgegen zu wirken. Das heißt, dass bei der Planung der

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Seminare nach Möglichkeiten und Bedingungen gesucht werden sollte, ein viertägigesSeminar zu veranstalten und an diesem auch durchgängig anwesend zu sein. Um die je eigene Form der Tutoriumsarbeit mit anderen Projektgruppen auszu-tauschen, sich von neuen Ideen inspirieren zu lassen und zudem das im Tutoriums-projekt vorhandene Wissen stärker in Umlauf zu bringen, erscheint die häufigereDurchführung von Sammelprojekten eine Möglichkeit. Sollten für die Begleitung derErstsemestrigen notwendige studienspezifische Besonderheiten am ‚Seminar-Menüplan’ stehen, so wäre es auch überlegenswert, mit Projektgruppen derselbenStudienrichtung einer anderen Universität gemeinsam ein Seminar zu organisieren.

Die Vermischung von Studienrichtungsvertretungsangelegenheiten und Tutoriums-angelegenheiten auf Tutoriumsseminaren sollte auf das tutoriumsrelevante Maßbeschränkt werden. Zum einen findet durch diese Vermischung eine Umlagerung vonKosten auf das Sonderprojekt Tutorium statt, wesentlicher aber ist der Umstand, dassam Seminar Zeit, die für den Blick auf das Projekt, dessen Geschichte, Grundsätze,Organisationsform und Anspruch genutzt werden könnte, für anderes in Anspruchgenommen wird.

Eine Supervision der laufenden Tutoriumstätigkeit zusammen mit den TrainerInnenweiterhin in Anspruch zu nehmen, bedeutet für alle Beteiligten, einen Beitrag zurQualitätssicherung zu leisten. Zum einen können im Rahmen der Supervision dielaufenden Tutorien reflektiert und auftretende Schwierigkeiten gemeinsam bearbeitetwerden, zum anderen bietet die Supervision sowohl den TrainerInnen als auch denProjektgruppen die Möglichkeit, ihre Vorbereitungsarbeit anhand der konkretenTutoriumsarbeit kritisch zu reflektieren.

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von Petra Pokorny

„Hallo, ich versteh’ dich so schlecht. Die Verbindung ist total schwach. ...Was?“„Ich brauche dringend von dir die Planung vom dritten Treffen, du musst diedoch noch zu Hause haben! Ich bin im Stress, ich habe in einer StundeTutorium und weiss noch nicht was ich machen soll!“„ ... Ja ich hab’ schon einmal in Kleingruppen gearbeitet ... Nein freiwillighaben wir damals die Gruppen aufgeteilt ... Ob es gescheit war? Ja für unshat es so gepasst ... Die TeilnehmerInnen wollten keine Kleingruppen bilden... Wir waren damals 18 Personen ... Ich kann dir nicht helfen ... Es kommtdarauf an ob es für die Situation angemessen ist ... Ja natürich gibt esThemen die alle angehen ... Du musst eine Methode finden die für dieBedürfnisse der TeilnehmerInnen passt, schau doch im TUTorial nach“

Die Idee der nachfolgen Seiten lautet, TutorInnen einen Einblickin Gruppenprozesse zu ermöglichen, zu motivieren, sich selbst-ständig weitere Informationen zu organisieren sowie Freude ander Auseinandersetzung mit sich selbst und Gruppen zu wecken.Auf dem Markt befinden sich viele verschiedene Methoden-Sets,Übungsanleitungen, Fit-Macher für das Training in 24 Stunden.Einige Institutionen stellen ihren TrainerInnen Methodenkarteienzur Verfügung, in denen sie nach Kategorien geordnet Übungenund Methodenbeispiele anbieten. Hier wird eine andere Form derZusammenstellung gewählt. Gruppen zu leiten bedeutet nicht, bei der Kategorie Spiele fürden Beginn nachzuschlagen, in die Schatzkiste zu greifen und diebunteste oder schrillste Methode herauszuholen. Für mich bedeutet Gruppenleiten, mit allen Beteiligten in Interaktion zu tre-ten, die Situationen zu analysieren und mir Interventionsmög-lichkeiten zu überlegen. Daher werden auf den anschliessendenSeiten nicht einfach ein Pool an Spielen und Übungen zur Ver-fügung gestellt, sondern auch Fragen aufgeworfen und Anreg-ungen gegeben, wie Gruppenprozesse beobachtet, analysiert undausgewertet werden können. Die konkreten Anleitungen stellenexemplarische Möglichen dar, sie sollen und können für die jew-eiligen Situationen adaptiert und erweitert werden.

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Ich wünsche euchviel Spaß und

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Arbeitsformen, die in der Gruppe zur Anwendung gelangen,bilden einen Rahmen für die Erarbeitung von Themeninhalten.Richtig eingesetzt bilden sie ein Hilfsmittel, um die auf einThema gerichtete Kommunikation und Interaktion in der Gruppezu unterstützen.

PlenumDas Plenum bezeichnet die Versammlung aller TN. Um dasPlenum räumlich nicht hierarchisch zu gestalten, empfiehlt essich, einen Sesselkreis zu bilden, sodass sich alle TN sehen undhören können. Das Plenum eignet sich für den Austausch vonInformationen, die alle TN betreffen, um beispielsweise alle aufden gleichen Informationsstand zu bringen. Auch sollten grund-sätzliche Angelegenheiten im Plenum von allen entschieden wer-den, da sie auch von allen getragen werden müssen.Für die Erarbeitung unterschiedlicher Ideen und Vorschlägeeignet sich das Plenum jedoch weniger. Oft reden immer dieGleichen und zuhören ist anstrengend, wenn Themen verhandeltwerden, die nur einzelne aus der Gruppe betreffen. Machtverhäl-tnisse in der Gruppe und eingespielte Gruppendynamiken lassensich in dieser Form der Zusammenarbeit oft nur schwer benen-nen oder durchbrechen und steuern so, was vordergründig alsreine Diskussion um die Sache erscheint

Kleingruppen (KG)Wenn zu einem Thema konkrete Ergebnisse erarbeitet werdenmüssen, ist diese Arbeitsform sinnvoll. Die Gruppenteilung kannanhand von Gemeinsamkeiten der TN erfolgen, z. B. nach ge-meinsamen Erfahrungen oder auch zufällig (siehe ‚Atome undMoleküle’ Spiel). Diese Arbeitsform ermöglicht eine intensiveAuseinandersetzung miteinander bzw. mit Themenbereichen, daein Eingehen aufeinander und Hinterfragen der einzelnenStandpunkte wesentlich einfacher ist als im Plenum. Nach den

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Kleingruppenphasen muss über die Ergebnisse im Plenum informiert und unter-schiedliche Beiträge verglichen werden. Findet die Arbeit zu lange in Kleingruppenstatt, kann das dazu führen, dass das Gefühl, Teil einer größeren Gruppe zu sein,schwindet und sich Konkurrenzen ausbilden.

PaararbeitInhalte werden in einem Zweiergespräch erörtert. Diese Form der Zusammenarbeit istbesonders in Gruppen günstig, in denen sich die TN noch nicht kennen und es einzel-nen schwer fällt, vor anderen ‚öffentlich’ ihre Position zu vertreten. Schüchternheitund Angst abbauen und einen ersten Bezugspunkt finden lässt sich im kleinen Rahmenleichter. Aber auch für die Auseinandersetzung mit persönlichen, eventuell intimenThemen eignet sich diese Form.

Einzelarbeit (EA)JedeR TN denkt selbst zum Thema nach. JedeR kann sich ihrer/seiner eigenenWünsche, Positionen, Erfahrungen und Erinnerungen bewusst werden. Diese Form istbesonders dann als Einstieg in ein Thema geeignet, wenn es darum geht, individuelleZugänge zu einem Thema (Studienmotivation, Familiengeschichte etc.) zu finden unddeutlich zu machen.Die eigenen Gedanken zu notieren erleichtert das Einbringen der eigenen Position undwirkt dem Vergessen der eigenen Gedanken in der Dynamik der Diskussion entgegen.

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aus: PotzBlitz1982

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Eine Möglichkeit, Informationen über Gruppen, einzelne Teil-nehmerInnen sowie über sich selbst zu bekommen, besteht inder Beobachtung. In der Beobachtung von Gruppen ist es ratsam,alle TN im Auge zu haben. Es ist wichtig, nicht nur auf verbaleÄußerungen zu achten, auch nonverbalen Signalen (Körper-sprache, emotionale Reaktionen) kommt im Gruppengeschehenein hoher Stellenwert zu. Da eine differenzierte Beobachtungbedeutet, die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf mehrere Punktezu richten, ist es manchmal ratsam, verschiedene Beobachtungs-kriterien zu benennen und auf BeobachterInnen zu verteilen.

Was sind Kriterien, auf die bei der Gruppenbeobachtung geachtetwerden kann?Bei Diskussionen:- Haben sich alle TN an der Gruppendiskussion in gleichen

Maßen beteiligt?- Gab es einen freien Meinungsaustausch zwischen den TN?- Hat die Gruppe Druck auf eineN TN ausgeübt?- Wurde einE TN von anderen beeinflusst?- Wer vermittelt, lenkt ein, wer verzichtet, blödelt, weicht aus,

setzt sich durch?- Besteht ein geschlechtsspezifischer Einfluss auf den Fortgang

und das Ergebnis der Diskussion?- Wie war das Verhältnis von emotionaler und sachlicher

Argumentation?- Stimmen verbales und nonverbales Verhalten überein?- Welche Punkte bzw. Themen waren nicht oder nur schwer

behandelbar (Tabus)?- Welche möglichen Kriterien zur Lösung von Problemen wur-

den gefunden?- Welche Versuche, einer Entscheidung auszuweichen, wurden

gefunden: Vertröstung, Appell, Losentscheidung, externeBeratung etc.

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Gruppenbeobachtung

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Bei Entscheidungsfindungen:- Wie wurde eine Lösung gefunden?- Um welche Form der Entscheidungsfindungen handelt es sich: Abstimmung,

Konsens, Kompromiss etc.?- Wurden Wünsche von einzelnen TN bei der Entscheidungsfindung übergangen?- Wie viel Zeit wurde für die Entscheidungsfindung aufgewendet?-Wie wird mit Zeit umgegangen? Werden rasch und/oder allgemein befriedigendeLösungen gefunden?

- Welche Argumente wurden von den einzelnen TN eingebracht? Wer hat sich aufwen bezogen?

- Welche Arten von Wortmeldungen (Vorschläge, Rückfragen, Analysen,Strukturierungen, ...) sind im Prozess der Entscheidungsfindung wie häufigvorgekommen?

In Hinblick auf Rollen in Gruppen?- Wer nimmt welche Funktionen wahr? - Welche Allianzen, Paarbildungen, Rivalitäten können in der Gruppe festgestellt

werden?- Welche Regeln bestimmen das Verhalten der TN?

Bei Konflikten:- Welche Konflikte gibt es in der Gruppe?- Werden Konflikte angesprochen?- Stehen Ressourcen allen TN zu Verfügung? - Sind Ressourcen knapp?- Gibt es einen Konflikt zwischen zwei TN?- Sind mehrere TN an dem Konflikt beteiligt?

Beobachtungen sollten der Gruppe zur Verfügung gestellt werden. Es ist jedoch zubedenken, dass Rückmeldungen immer durch die Wahrnehmung der BeobachterInnengefiltert erfolgen.

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Ein Feedback ist eine Mitteilung von einer Person an eineandere. Die Mitteilung informiert darüber, wie die eine Persondie andere wahrnimmt bzw. wie eine gewisse, konkrete Ver-haltensweise von einer/einem BeobachterIn verstanden bzw.erlebt wird. Feedback geben und nehmen hat sehr viel mitVertrauen untereinander zu tun.

Feedback ermöglicht, eigene Verhaltensweisen zu reflektieren.Durch gezielte Rückmeldungen können Beziehungen zwischeneinzelnen geklärt sowie Verhaltensweisen besser verstanden wer-den. Wer Feedback erhält, hat die Möglichkeit, etwas über dasBild zu erfahren, das andere von einem/einer haben (Fremdbild)und dieses mit der Wahrnehmung seiner Selbst (Selbstbild) zuvergleichen. Feedback ist eine Form von unterstützender Kritik, die einiges anÜbung erfordert und folgendes berücksichtigen sollte.

Wie geht Feedback vor sich?Feedback geht vor sich, indem jedeR die andere Person wissenlässt, was er/sie über die/den AndereN denkt. Dies geht in Gruppen oft auf sehr unterschiedliche Weise vorsich. Beispielsweise: bewusst, wie etwa durch ein zustimmendesNicken in einer gewissen Situation – oder unbewusst durch einNicht-Zuhören oder Einschlafen. Es kann in Worte gefasst sein,jedoch auch non-verbalen Ausdruck bekommen, wie durch dasVerlassen des Raumes sowie formal durch Fragebögen oder nichtformal z. B. durch Beifallklatschen.

Das Feedback soll sein:BeschreibendIndem die eigene Reaktion auf ein Verhalten einer anderenPerson beschrieben wird, wird es dieser überlassen, ob sie dieInformationen verwendet oder nicht. Moralische Bewertungen

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Feedback - Rückmeldungen

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(gut-schlecht Urteile) sind zu unterlassen, da diese eine Verteidigungshaltung aus-lösen, in der die angebotene Information nicht angenommen werden kann.

Objektivität und Wahrheit gibt es im Zusammenhang mit eigener Wahrnehmung nicht.Es können Situation immer nur so beschrieben und rückgemeldet werden, wie sie voneiner/einem selbst erlebt und empfunden wurden.

Feedback sollte deshalb nicht in der Form „Es ist so, dass ...“ oder „In Wirklichkeithast du ...“ gegeben werden, sondern in einer Art und Weise erfolgen, die das eigeneErleben reflektiert – „Für mich war das so, dass ...“. Der/die BeobachterIn gibt daherseine/ihre subjektiven Meinungen und Eindrücke wieder. Dies sagt oft auch viel überden/die BeobachterIn selbst aus. Die Person, die Feedback erhält, kann so erfahren,wie ihr Verhalten bei verschiedenen Personen ankommt und wirkt.

KonkretFeedback soll sich auf eine konkrete Situation beziehen. Allgemeine Feststellungenhelfen selten weiter, z. B. „Es gibt Personen, die sind dominanter“. Konkret hingegenwäre: „Gerade vorhin, als wir in dieser Sache zu einer Entscheidung kommen wollten,hatte ich das Gefühl, dass du mich angreifen würdest, wenn ich deinen Argumentennicht zustimme.“ .

Zur rechten ZeitFeedback ist besonders wirksam, wenn wenig Zeit zwischen dem betreffendenVerhalten und der Information über die Wirkung dieses Verhaltens liegt. Es sollte sichauf Situationen beziehen, die die Gruppe gemeinsam durchlebt hat und nicht in derForm „Also letzte Woche, als wir beide uns da getroffen haben, ...“ erfolgen.

AnnehmbarFeedback kann, wenn es kritische Äußerungen enthält, auch zerstörend wirken. Essollte beim Feedback deshalb nicht nur auf eigene, persönliche Bedürfnisse geachtetwerden, sondern Feedback muss die Bedürfnisse und emotionale Kapazität deranderen Person, der wir Informationen zur Verfügung stellen, im Blick haben - dasFeedback muss annehmbar sein.

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Feedback - Rückmeldungen

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BrauchbarEs muss sich auf Verhaltensweisen beziehen, die der/die Betroffene fähig ist zu ändern.Es ist nicht hilfreich, auf Gegebenheiten hinzuweisen, auf die er/sie keinen Einflusshat.

ErbetenDas steht im Gegensatz zu ‚aufgezwungen’. Feedback ist nur dann wirksam, wennder/die EmpfängerIn selbst die Fragen formuliert hat, auf die der/die BeobachterIndann antwortet.

Klar und genau formuliertDie beschriebenen Beobachtungen sollten klar formuliert sein, sodass die betroffenePerson wenig Raum für weitere Spekulationen hat.

Aus verschiedenen Perspektiven erfolgenIn einer Gruppe haben sowohl die GeberInnen als auch die EmpfängerInnen desFeedbacks die Möglichkeit, die mitgeteilten Beobachtungen mit anderen zu vergle-ichen, indem auch die anderen TN der Gruppe nach ihren Eindrücken gefragt werden.

Um einem Feedback einen Rahmen zu geben, gibt es bestimmte Regeln und Verein-barungen.

Feedbackregeln:

Für den/die Feedback GebendeN:Sprich von dir Beziehe dich auf konkrete Situationen.Gib deine Information auf eine Weise, die wirklich hilft.Gib sie sobald wie möglich.Vermeide moralische Bewertungen.Biete deine Information an, zwinge sie nicht auf.Sei offen und ehrlich, soweit du es dir und deinem Gegenüber zutraust.Bedenke, dass du möglicherweise auch irrst.

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Für den/die Feedback EmpfangendeN:Nicht argumentieren und verteidigen.Nur zuhören, danach nachfragen, um Verständnisfragen zu klären.Sei so offen wie möglich, nimm von der Rückmeldung das, was du für dich brauchenkannst.

Arten von Feedback:Feedback kann am Ende eines Tages oder einer Arbeitseinheit über denGruppenprozess im Plenum gegeben werden.

Für die Entwicklung und Klärung von Beziehungen ist das direkte, persönlicheFeedback wesentlich, das aber nicht unbedingt vor der ganzen Gruppe gegeben wer-den muss. Es ist günstig, es in kleinen Gruppen oder auch nur zu zweit zu geben, dadort die Vertrautheit größer ist und die Möglichkeit besteht, mehr aufeinander einzuge-hen.

Literatur:Fenger, J. : Feedback geben Strategien und Übungen. 2004

aus: PotzBlitz1982

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Feedback - Rückmeldungen

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Ziel und Zweck der Methode:Eine nonverbale Bestandsaufnahme über die Gruppe in Formeines Gruppensoziogrammes zu erhalten.

Beschreibung der Methode:Das Gruppensoziogramm verbildlicht Beziehungen undVerhältnisse und Positionen innerhalb einer Gruppe. Dafür wer-den alle TN gebeten, sich selbst so im Raum zu platzieren, wiees ihrer eigenen Wahrnehmung und Einschätzung der Gruppen-situation entspricht. Wichtig ist also die eigene Stellung, dieNähe bzw. Distanz zu den anderen TeilnehmerInnen, dieZuwendung zu oder die Abwendung von einander. JedeR TNkann sich so lange im Raum bewegen, bis sie/er ihre/seinePosition gefunden hat.

Während des Aufstellens wird nicht gesprochen. Wenn keineVeränderungen mehr vorgenommen werden, erfolgt einegemeinsame Auswertung.

Vorzüge dieser Methode:Diese Methode setzt nicht nur Spontaneität der Beteiligtenvoraus, sie bedarf vor allem eines vertrauensvollen und trag-fähigen Miteinanders. Da sie der Sichtbarmachung und Klärungvon Beziehungen innerhalb der Gruppe dient, zeigen sich dabei(zwischenmenschliche) Verhältnisse oftmals in unerwarteterDeutlichkeit, die für einzelne TN auch schmerzhaft sein kannund deshalb die Fähigkeit und Bereitschaft der Einzelnen ver-langt, vorsichtig stützend zu wirken. Eine Möglichkeit, dieFestschreibung in einem Standbild wieder zu lockern, bestehtdarin, auch Aufstellungen zu versuchen, die eine Veränderungoder ein Entwicklungsziel der Gruppe verbildlichen, und indiesem Vorgang auch Aufschlüsse über mögliche Wege einersolchen Entwicklung zu gewinnen.

Gruppensituation

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bis Großgruppe

Durchführung u.Aufarbeitung 90 Min.

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Gruppe darstellen

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Ziel und Zweck der Methode:Eine nonverbale Bestandsaufnahme in Form eines Gruppen-soziogrammes.

Beschreibung der Methode:Die TN teilen sich in KG mit je drei bis fünf Personen auf. JedeKG erhält den Auftrag, die gegenwärtige Situation der gesamtenGruppe bildlich zum Ausdruck zu bringen. Sie werden gebeten,zunächst gemeinsam über Form und Inhalt ihrer Darstellung zusprechen und zu beraten, und diese dann mit zeichnerischenMitteln (Symbolen etc.) gemeinsam zu realisieren. (ca. 30-45Min.). Um eine kreative Verbildlichung zu ermöglichen, ist esvon Vorteil, verschiedenartige Malfarben und vielfältigesCollagenmaterial zur Verfügung zu haben. Die Arbeiten werdenanschließend im Plenum vorgestellt und besprochen.

Vorzüge dieser Methode:Diese Methode macht die Mitwirkung und Mitverantwortung derTN in der Gruppe sichtbar, und sie hilft, zwischen Beschreibungund Bewertung zu unterscheiden. Alle TN sind am Prozess derReflexion aktiv beteiligt.Die TN können sich über das Medium des Bildes zur Gruppeaber auch zur/zum TutorIn kritisch äußern. Durch die Aufteilungder Gruppe in KG, werden unterschiedliche Perspektiven sicht-bar, die im Plenum besprochen werden können.Diese Methode bietet die Chance, andere Ausdrucksweisen wiePhantasie ins Spiel zu bringen, und bei den TN Ressourcen zuaktivieren, die sonst vielleicht unentdeckt blieben. Umgekehrthat diese Methode jedoch auch den Effekt, dass manchmalAspekte an einer Gruppe zum Ausdruck gebracht werden, die inder diskursiven Auseinandersetzung verborgen bleiben oder denTN nicht bewusst waren.

Gruppensituation

indoor

bis Großgruppe

ca. 60 Min.

Papier, Stifte,Malfarben, Uhu, Schere,

buntes Papier etc.

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Gruppe malen

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Ziel der Methode:Die eigene Rolle in der Gruppe durch Selbst- und Fremdwahr-nehmungen reflektieren.

Beschreibung der Methode:Die TN bekommen alle eine eigene Kopiervorlage und Stifte. Siesollen sich nun in Einzelarbeit überlegen, welche Schnecke amehesten ihrer/seiner eigenen Position oder Situation in derGruppe entspricht. Diese malt die/der TN dann an. Es könnenauch Schnecken hinzugefügt werden. Wenn alle TN sich für eineSchnecke entschieden haben, werden Kleingruppen zu je 3 - 4Personen gebildet.In diesen Kleingruppen wird über die Schneckenlandschaftenreflektiert. In einem anschließenden Plenum sollen die TNberichten, wie es ihnen ergangen ist und ob ihre Einschätzungenmit denen ihrer KollegInnen übereinstimmen.

Variation:Je nach dem, wie intensiv die Auseinandersetzung mit den eige-nen Rollen in Gruppen sein soll, können die Ergebnisse derKleingruppe noch im Plenum besprochen und die Rollen allerTN beleuchtet werden.

Gruppensituation

indoor

ab 5 Personen

ca. 30 Min.

Kopiervorlage, Stifte

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Schnecken in der Landschaft

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Kopiervorlage

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Schnecken in der Landschaft

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Ziel und Zweck der Methode:Bestandsaufnahem, Feststellen des Status quo.

Beschreibung der Methode:JedeR TN formuliert mündlich in ein oder zwei Sätzen, waser/sie gerade in diesem Augenblick in der Gruppe denkt oderempfindet. Den einzelnen Äußerungen wird ohne Zwischen-kommentar oder Wertung zugehört. Es geht darum, dass alleetwas sagen. Es soll rasch gehen, also ein ‚Blitzlicht’ auf diemomentane Gruppensituation und die Befindlichkeit der Ein-zelnen werfen.

Im Anschluss daran kann sich eine Diskussion entwickeln oderes können aufgeworfene Fragen und ins Spiel gebrachte Themenfür die weitere Bearbeitung festgehalten werden. Ein Blitzlichtwird auch eingesetzt, um der Gruppe einen Themen-, Ebenen -oder Perspektivenwechsel (von der Sachebene auf die emo-tionale Ebene, von der gemeinschaftlichen auf die individuellePerspektive, ...) zu ermöglichen.

Vorzüge dieser Methode:Alle Beteiligten werden eingebunden, die Art der Aufgaben-stellung kennt keine Unterscheidung zwischen dem Beschreibenund Bewerten von Tatbeständen, sie lässt den Sprechenden in derWahl der Thematik völlige Freiheit.

Stimmung /Gruppensituation

indoor / Sesselkreis

Großgruppe bis 35Personen

ca. 2 Personen proMin.

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Blitzlicht

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Neben der Beobachtung kann durch gezielte Befragung der TNein Bild über die Gruppe und den Prozess entstehen.

Bei Entwicklung einer Fragstellung muss berücksichtigt wer-den, dass:- jedeR TN nur für sich selbst sprechen kann,- jedeR TN nur mitteilen kann, was er/sie selbst verifizierbar

wahrnimmt und beobachtet,- jedeR TN Aussagen nur über solche Empfindungen zu treffen

vermag, die persönlich und mithin auch subjektiv sind.

Eine Frage wie: „Sind die TN am Thema interessiert?“ ist einBeispiel dafür, wie die Fragestellung nicht lauten sollte. DasInteresse anderer TN kann von einer anderen Person nicht em-pfunden werden und die Beobachtung von Interesse ist ebenfallsnicht (unmittelbar) möglich.

Beobachtbar sind Reaktionen und Handlungen sowie Verhaltens-weisen. Von einem spezifischen Verhalten ausgehend kann unterUmständen auf mögliches Interesse bzw. Desinteressegeschlossen werden. Fragen sollten einfach, verständlich undpräzise gestellt werden, um den Interpretationsspielraum inHinblick darauf, wie die Antwort zu verstehen ist, möglichst ger-ing zu halten.

Literatur:vgl. Gerl, H. / Pehl, K. (Hg.): Evaluationen in der Erwachsenenbildung –Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung. 1983

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Prozessevaluation durch Befragung

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Ziel und Zweck der Methode:Eine Gruppenbestandsaufnahme durch Befragung.

Beschreibung der Methode:Den TN wird eine Liste mit Eigenschaftspaaren vorgelegt. Diesekönnen sich auf Inhalte des Tutoriums beziehen bzw. auf dieGruppe sowie die/den TutorIn. Die Befragungsergebnisse wer-den im Tutorium besprochen und können dort als Ausgangspunktfür Gespräche, Inhalte, Klärungen dienen.

Vorzüge dieser Methode:Diese Methode ist relativ unkompliziert und eine bescheideneForm von Evaluation, zugleich nimmt die Befragung, wenn dasProfil vorbereitet ist, wenig Zeit in Anspruch.Da die Punkte vorgegeben werden, ist es nicht zu erwarten, dassneue Erkenntnisse über die Kategorien hinweg gewonnen wer-den. Mehr Spielraum kann durch eine leere Spalte gegeben wer-den, die für sonstige Anmerkungen zur Verfügung steht.Eine Möglichkeit für TutorInnen, von den StudierendenInformationen zum eigenen Leitungsverhalten zu erhalten:

Literatur:vgl. Gerl, H. / Pehl, K. (Hg.): Evaluationen in der Erwachsenenbildung –Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung. 1983

Stimmung /Gruppensituation

indoor

bis Großgruppe

ca. 15 Min.

vorbereitetesPolaritätsprofil

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Polaritätsprofil

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1 2 3 4 5stark lenkend schwach lenkendfreundlich unfreundlichermutigend entmutigendecht unechtengagiert uninteressiertbelehrend mitlernend

In Gruppen schlummert ein großer Reichtum an Wissen, dasaktiviert und öffentlich gemacht werden kann. Im Folgendenwird eine Möglichkeit vorgestellt, dieses Wissen (Meinungen,Ideen, Anregungen) zu erfragen, zu sammeln und zu ordnen.Gerade beim Sammeln von Wissen, das als Grundlage für weit-ere Arbeiten dient, ist es wichtig, dass einzelne Beiträge undRückmeldungen nicht untergehen – oft genug zeigt sich erst imArbeitsprozess, wie relevant etwas ist, das am Anfang als unin-teressant erscheint und deshalb leicht überhört wird.

BrainstormingHier assoziieren die TN zu einem Thema oder einer Frage (z. B.‘Bedürfnisse von Studierenden, die am Anfang ihres Studiumsstehen’), jeder Beitrag (Stichwort) wird auf dem Flipchartnotiert. Damit der Assoziationsfluss nicht unterbrochen wird,werden die Beiträge weder gewertet noch kommentiert bzw.diskutiert. Wichtig ist, dass die Begriffe sichtbar und hörbar sind,da so die eigene Assoziation angeregt wird und das Denken aufneue Bereiche aufmerksam gemacht wird. Als Variation ist auchvorstellbar, dass die TN ihre Assoziationsbeiträge mit Kärtchenauf das Plakat kleben. Der Vorteil dabei ist, dass mit denBeiträgen leichter weitergearbeitet werden kann.So lassen sich in einem nächsten Schritt die einzelnenNennungen diskutieren und strukturieren, können Gemein-samkeiten und Unterschiede besprochen oder Prioritäten gesetztwerden.

Clustering Die Methode der Strukturierung von Wissen mit Kärtchen wirdauch als Clustering bezeichnet.Zuerst formulieren die TN in Einzelarbeit zu einer FragestellungStatements oder zentrale Begriffe auf Kärtchen, wobei proKärtchen nur ein Beitrag notiert werden sollte. Anschließend

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Ideen sammeln

Verborgenes Wissen sichtbar machen

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präsentieren alle TN ihre Karten. Gibt es Wiederholungen oder Mehrfachnennungen,so werden die Kärtchen trotzdem aufgeklebt, da Wiederholungen Auskunft über dieDringlichkeit einer bestimmten Stellungnahme geben.

Vorgehensweise:Eine klare und eindeutige Fragestellung finden.In Einzelarbeit die Kärtchen beschreiben.Alle TN heften nacheinander ihre Kärtchen an eine Pinnwand und sagen dabei, was aufder jeweiligen Karte steht.

Anschließend werden unklare Begriffe von denen, die sie geschrieben haben, erläutert.Im nächsten Arbeitsgang werden die Kärtchen in Kategorien (Clusters) zusammenge-fasst. Manchmal lassen sich erste Kategorisierungen bereits erkennen, wenn die TNihre Beiträge bereits beim Vorstellen in der Nähe ähnlicher Beiträge positioniert haben.Abhängig davon, worauf man abzielt, gilt es beim Clustering Themenbereiche zu find-en, zusammen gehörende Kärtchen zu gruppieren und Wichtigkeiten festzustellen.Dieser Ordnungsprozess kann als gemeinsame Gruppenarbeit durchgeführt werden,der Ordnungsprozess ist erst dann abgeschlossen, wenn alle mit dem Ergebnis einver-standen sind.

Ziel:Unter Beteiligung aller TN (im Plenum) einen Katalog mit geordneten und gewertetenIdeen, Begriffen etc. erstellen.

Verborgenes Wissen sichtbar machen

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Kommunikation, ob gewollt oder ungewollt, verdeckt oderoffen, findet ständig und in allen Bereichen des menschlichenLebens statt. Kommunikation bedeutet ‘Verhalten jeder Art’ inallen Bereichen des menschlichen Lebens.

Es gibt, zumindest in Gruppen, keine Nicht-Kommunikation –wir kommunizieren, indem wir sprechen (Worte, Tonfall,Sprachtempo, Satzmelodie, Pausen ...), lachen, seufzen, wirkommunizieren vermittels unserer Mimik, Gestik undKörperhaltung und wir kommunizieren selbst noch wenn (bzw.dass) wir schweigen.Menschen, die zusammen leben und ein Gegenüber haben, kön-nen sich der Kommunikation nicht entziehen. Ob jemandschweigt oder spricht, beides hat für das Gegenüber einenMitteilungscharakter. Aussagen über die Unmöglichkeit, nicht zukommunizieren, stammen von Paul Watzlawick.

InteraktionUnter Interaktion wird das gegenseitige In-Beziehung-Tretenverstanden. Dies kann zwischen einem Paar oder auch zwischenmehreren Personen untereinander stattfinden, manchmal inter-agieren Menschen auch in Gruppen oder als Nationen miteinan-der. Jede Interaktion hat verbale und auch nonverbale Aspekte.

Es gibt verschiedene Kommunikationsmodelle:- Modell von Shannon und Weaver- Das Modell von Gerbner- Organo-Modell- Schultz von Thun

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Kommunikation

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Allen diesen Modellen ist die Tatsache gemeinsam, dass sie versuchen, einen kom-plexen Zusammenhang in einfacher, schemenhafter Art und Weise greifbar zu machen.Modelle sind keine Abbilder der Wirklichkeit. Sie sollen eine Möglichkeit bieten,Phänomene zu hinterfragen und in überschaubare, analysierbare Einheiten zu zerlegen.

Literatur:Shannon, C. E. / Weaver, W.: Mathematische Grundlagen der Informationstheorie. 1976Neuburger, E.: Kommunikation der Gruppe. 1970Bühler, K.: Sprachtheorie: Die Darstellungsform der Sprache. 1992Bühler, K.: Die Axiomatik der Sprachwissenschaften. 1969Cicero, A. / Kuderna, J.: „Clever Antworten auf dumme Sprüche”. Killerphrasen kunstvoll kontern.2001Cicero A./ Kuderna, J.: Die Kunst der „Kampfrhetorik”. Power Talking in Aktion. 1991

Kommunikation

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Jede Nachricht (Kommunikation, Information) beinhaltet vierverschiedene Aspekte bzw. Ebenen.

Beispiel: „Die Ampel ist grün.”

Sachinhalt:Zunächst beinhaltet eine Nachricht eine Information über einenbestimmten Sachverhalt.„Es leuchtet eine grüne Lampe.”

Selbstoffenbarung:In jeder Nachricht steckt neben der Information über denSachinhalt noch Information über die Person, die spricht. Es kön-nen Informationen sein, die gewollt weiter gegeben werden,jedoch kann dies auch unfreiwillig geschehen.Hier etwa: „Ich kann Farben wahrnehmen, bin einE aufmerk-same BeifahrerIn etc.”.

Beziehung:Aus jeder Nachricht geht hervor, wie der/die SenderIn zur/zumEmpfängerIn steht. Oft zeigt sich dies in der gewähltenFormulierung und im Tonfall bzw. an nicht-sprachlichenBegleitsignalen.Etwa: „Ich traue dir nicht zu, das Auto ohne meine Hilfe zulenken.“

Beziehung Appell

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4 Ohren Modell(F. Schultz von Thun)

Kommunikationsmodell

Sachinhalt

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Appell:Es wird kaum etwas nur so gesagt. Fast alle Nachrichten haben einen Zweck. DerAppellaspekt ist vom Beziehungsaspekt zu unterscheiden.Etwa: „Bitte fahr los!” oder „Fahr doch“ etc.

In Kommunikationssituationen sollten sich sowohl die/der SprecherIn als auch die/derEmpfängerIn bewusst sein, dass immer alle vier Ebenen gleichzeitig im Spiel sind.Eine einseitige Wahrnehmung verursacht Kommunikationsstörungen. So nützt esbeispielsweise wenig, sachlich Recht zu haben, wenn man gleichzeitig auf derBeziehungsebene Unheil stiftet.

Literartur:Schulz v. Thun, F.: Praxisberatung in Gruppen. 2003Schulz v. Thun, F.: Miteinander reden. 1 - Störungen und Klärungen. 1981 Schulz v. Thun, F.: Miteinander reden. 2 - Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. 1998Schulz v. Thun, F.: Miteinander reden. 3 - Das ‘innere’Team und situationsgerechte Kommunikation.1998Schulz v. Thun, F. / Stratmann, R. / Ruppel, J.: Miteinander reden - Kommunikationspsychologiefür Führungskräfte. 2003Schulz v. Thun, F.: Praxisberatung in Gruppen. 2001

4 Ohren Modell

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Ziel und Zweck der Methode:Das Training von präzisem Sprechen und genauem Zuhörensowie die Schärfung der Wahrnehmung.

Beschreibung der Methode:Aufteilung in Dreier-Gruppen. Je zwei aus der KG wählen einThema, über das sie gerne reden möchten.

Das Gespräch verläuft nach folgendem Schema:Die erste Person beginnt mit einem Satz oder einer These. Diezweite Person muss zuerst den Satz sinngemäß wiederholen undsich das Ok für das Richtig-Verstanden-Haben der Gesprächs-partnerIn holen, erst dann ist er/sie an der Reihe auf den Satz zuantworten.Dies wiederholt sich so, dass auf diesen Satz erst wieder geant-wortet werden darf, wenn nach der Wiederholung ein Ok vonder/dem SprecherIn gekommen ist.

Die 3. Person ist BeobachterIn. Er/Sie schaltet sich ein, wenn dieGesprächspartnerInnen sich nicht an das Schema halten. Vonihr/ihm wird auch auf die Zeit geachtet, denn nach 20 Minutenwird gewechselt und eine neue BeobachterIn bestimmt.

Im Anschluss wird darüber gesprochen, was leicht war und wasschwer, was angenehm war und was unangenehm, welcheSchlüsse daraus für ein erfolgreiches Kommunikationsverhaltengezogen werden können.

Wichtige Anmerkungen: Die Aufgabe verlangt ein hohes Maß an ‘Disziplin’ in derGruppe. Nur wenn die Anleitung eingehalten wird, wird diekommunikationsfördernde Wirkung erreicht. In vielen Gruppenwird die Übung als mühsam abgetan.

Kommunikation

Großer Raum für KG

durch 3 teilbar

ca. 60 Min.

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Kontrollierter Dialog

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Ziel und Zweck der Methode:Die Kommunikation in der Gruppe beobachten sowie Kooperat-ionen sichtbar machen.

Beschreibung der Methode:Kopiervorlage kopieren und auseinander schneiden. JedeR TNbekommt ein oder mehrere Kärtchen (je nach Gruppengröße -alle Kärtchen müssen ausgegeben werden!) und darf diese unterkeinen Umständen herzeigen oder aus der Hand geben. Nur sel-ber lesen ist erlaubt, den anderen TeilnehmerInnen kann diegegebene Information in eigenen Worten mitgeteilt werden!

Die Gruppe bekommt folgende Information:„Ihr seid ein Team des Roten Halbmondes und wurdet auf dieInsel Pucktank gerufen, um die ansässige Bevölkerung zu retten.Dort wütet nämlich eine tödliche Krankheit, die das gesamteInselvolk auszurotten droht. Findet die Ursache für die Seuche!Auf den Zetteln findet Ihr die Information, die ihr zur Lösung desProblems braucht.”

Lösung:Eine Quecksilbervergiftung verursacht die Krankheit. Dervergiftete Weizensamen wird an die Schweine verfüttert, derenFleisch die InselbewohnerInnen essen.

Kopiervorlage:

Du heißt Jara und wurdest auf Pucktank geboren. Dein erstesKind, das 2002 auf die Welt kam, entwickelt sich nur sehrlangsam. Irgendetwas stimmt nicht.

Kommunikation /Kooperation

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10 - 31 Personen

ca. 60 Min.

Anleitung kopiert

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Die rätselhafte Krankheit

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Du bist Dra Dilek, eine Wissenschafterin des Roten Halbmondes. Dein Spezialgebietist Syphilis. Lähmungen, Sprachstörungen und Erblindung zählen zu den Symptomendieser Erkrankung.

Du bist Meeresbiologin und führst begeistert Forschungen an Thunfischen durch. Eserstaunt dich, dass in den Gewässern rund um Pucktank die Thunfische einen enormenQuecksilbergehalt aufweisen.

Du heißt Ilja und bist in Lea, die Tochter von Pfiffikus verliebt. Du weißt, dass Leaeine schwere Kopfverletzung erlitten hat.

Du bist Aktivistin bei Greenpeace und kämpfst seit Jahren gegen die französischenAtomtests in der Nähe von Pucktank. 2002 wurden die letzten unterirdischen Testsdurchgeführt.

Dein Name ist Li Patos und bist Bewohner von Pucktank. Seit Anfang 2002 leidest duan Kopfschmerzen, Anfällen von starker Übelkeit und Durchfall. Deine Haut hat einekomische Farbe bekommen.

Du bist Pfiffikus. Deine 17jährige blinde Tochter kann seit Juni 2002 weder sprechennoch gehen.

Du bist Mona, Medizinstudentin und Praktikantin beim Roten Halbmond. Du weißt,dass Quecksilber zur Behandlung von Syphilis verwendet wird.

Du heißt Clemo und bist Sozialarbeiter in Pucktank. Du weißt, dass die jungen Leutein Pucktank mehr Sexualverkehr haben als früher. Außerdem kommen viele Tourist-Innen auf eure Insel. Du bist der Meinung, dass die Zahl der Geschlechtserkrankungenzugenommen haben muss.

Du bist der Lebensgefährte von David. David hat 2002 in einem Atomkraftwerk inDeutschland gearbeitet. Kurz bevor er wieder nach Pucktank kam, passierte in diesemKraftwerk ein Unfall, bei dem radioaktive Stoffe frei wurden.

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Die rätselhafte Krankheit

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Du bist Dr. Wunam, ein Hausarzt in Pucktank. Du hast alle 400 PatientInnen aufGeschlechtskrankheiten untersucht. Paul war als einziger geschlechtskrank.

Du bist Pauls WG-Kollegin und weißt, dass er Vegetarier ist und weder Fleisch nochFisch zu sich nimmt.

Du bist Ärztin des Roten Halbmondes und weißt, dass zu den Symptomen vonGehirnlähmung unter anderem Kopf- und Gelenksschmerzen sowie Schwindelanfällegehören.

Du heißt Maren und bist Einwohnerin Pucktanks. Seit Oktober 2002 bekommst duSchwindelanfälle und hast Kopf- und Gelenksschmerzen. Außerdem fällt dir dasSprechen immer schwerer.

Du bist eine amerikanische Forscherin und hast herausgefunden, dass es seit Februar2002 eine belgische Metallfabrik in Pucktank gibt. Diese verwendet Quecksilber undkippt die Abfälle ins Meer.

Du bist Aktivist von „VegetarierInnen für Tierrechte“ und weißt, dass dasLieblingsgericht aller PucktankerInnen Schinken ist.

Du heißt Tektor und bist der älteste Einwohner Pucktanks. Eine Sage deinerVorfahrInnen besagt, dass einmal ein weißer Fremder eine tödliche Krankheit auf eureInsel bringen wird.Die Verbannung aller AusländerInnen erscheint dir eure einzige Rettung zu sein.

Du bist ein Forscher des Roten Halbmondes und weißt, dass radioaktiveVerseuchungen zu Hautverfärbungen führen können.

Du bist Forscherin des Roten Halbmondes und weißt, dass sich die Fälle vonGehirnlähmung auf Pucktank seit 2002 verdoppelt haben.

Kopiervorlage

Die rätselhafte Krankheit

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Kopiervorlage

Du bist Ärztin des Roten Halbmondes und weißt, dass die Beschädigung des Gehirnsvor oder während der Geburt zu Gehirnlähmung führen kann.

Du heißt Keiko und bist ein Bewohner Pucktanks. Seit Juli 2002 bist du völlig erblind-et und kannst nur mehr schwer sprechen und gehen.

Du heißt Paul und bist Einwohner Pucktanks. Im Jänner 2002 hast du Krämpfebekommen und konntest plötzlich nicht mehr richtig sprechen, schreiben und gehen.

Du bist Forscherin des Roten Halbmondes und hast herausgefunden, das Pucktank inden Jahren 2001 und 2002 Weizensamen aus Deutschland importiert hat.

Du bist Wilma, Biologin bei Greenpeace, und hast herausgefunden, dass in Frankreich,den USA, Belgien und Deutschland Quecksilber zur besseren Haltbarmachung vonWeizensamen verwendet wird.

Du bist Landwirtin in Pucktank und weißt, dass eure Schweine mit importiertemWeizensamen gefüttert werden, da die Insel viel zu klein ist, um selbst genügendWeizen anzubauen.

Du bist die Hohepriesterin Pucktanks, namens Kerama, und weißt, dass denEinwohnerInnen Pucktanks Thunfisch heilig ist und sie ihn deshalb niemals essenwürden.

Du bist Fachärztin des Roten Halbmondes und weißt, dass Sehstörungen undErblindungen sowie Sprachstörungen und Krämpfe zu den Folgen einerQuecksilbervergiftung zählen.

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Die rätselhafte Krankheit

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Ziel und Zweck der Methode:Verdeutlichung der Konkurrenz und damit verbundeneSelbstdarstellung

Beschreibung der Methode:Im Brüsseler EU-Parlament ist ein Ministerposten frei geworden,promt gibt es für das Amt Bewerbungen. Die BewerberInnenmüssen nun eine Wahlrede halten, in der sie nicht wie üblich ihreeigenen Vorzüge, sondern die Vorzüge eines/einer Gegen-kandidaten/in preisen sollen. Wer am überzeugendstennachzuweisen versteht, dass eigentlich ihre/sein KonkurrentIndie richtige Person für den Posten ist, wird MinisterIn.

Aufarbeitung:Im Anschluss an die Wahlreden sollen sich die TN über folgendeFragestellungen Gedanken machen und im Plenum diskutieren:- Inwieweit sind die TN in der Lage, sich an die Übungsan-

leitung zu halten?- Fällt es leichte/schwer positives an anderen TN herauszu-

streichen?- Wie haben die TN übereinander gesprochen?- Was waren die Vorzüge an Einzelnen?- Fließen Ironie und Sarkasmus in die Rede ein?

Kommunikation /Konkurrenz

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6 - 14 Personen

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Wahlrede

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106aus: PotzBlitz1982

Ziel und Zweck der Methode:Durch die Methode ‚Rollenspiel’ Kommunikationsverläufe inder Gruppe beobachten.

Wichtige Anmerkung für alle Rollenspiele:Bevor es losgeht, werden alle SpielerInnen in ihre Rollen eingek-leidet. Spielanfang und Spielende müssen deutlich erkennbarsein. Nach dem Spiel steigen alle wieder aus ihren Rollen ausund sprechen darüber, wie es ihnen in den Rollen gegangen ist.Wichtig ist dabei zu beachten, dass in der Aufarbeitung eineklare Trennung der beiden Ebenen ‚Spiel’ und ‚Reflexion desSpiels’ vorgenommen wird.

Beschreibung der Methode:Wegen Rationalisierung muss die Firma Müller & Co. eineNMitarbeiterIn entlassen. ChefIn, JuniorchefIn, sowie zweiPersonen aus dem Betriebsrat müssen nun entscheiden, welcheRArbeiterIn entlassen werden soll:

- Ein 50jähriger mit mittelmäßiger Arbeitsleistung. Verheiratet,zwei Kinder, die allerdings schon aus dem Haus sind.

- Ein 30jähriger, geschieden, ein Kind, für das er Unterhalt zuzahlen hat. Führt ein unregelmäßiges Leben und ist schonhäufiger zu spät gekommen; erbringt aber Spitzenleistungen.

- Eine 22jährige, verheiratet, ein Kind. Erbringt mittlereArbeitsleistung. Ist dem Vorgesetzten öfters durch kritischeÄußerungen unangenehm aufgefallen.

- Die übrigen Mitglieder der Gruppe können BeobachterInnensein oder werden durch zusätzliche Rollen in die Übung in-tegriert.

Kommunikation /Konkurrenz

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mind. 7 Personen

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„Sie sind entlassen”

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Rollenspiel: Der ‚Rationalisierungsrat’ trifft zu einer Sitzung zusammen.

Einzelne TN können als BeobachterInnen ihre Aufmerksamkeit auf folgende Bereicherichten:- Auf welcher Ebene läuft der Entscheidungsprozess ab, sachlich oder emotional?- Nach welchen Kriterien fällt die Entscheidung? - Wie stark spielen sachliche Argumente eine Rolle? - Wie stark ist das Durchsetzungsvermögen einzelner SpielerInnen?

Literatur:Schaller, R.: Das große Rollenspiel-Buch. Grundtechniken, Anwendungsformen, Praxisbeispiele.2001

„Sie sind entlassen”

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von Susanna Speckmayer

Man/Frau nehme:Eine Leitungsperson (möglichst charismatisch) - αEine unterstützende Person - βViele Mitglieder - γγγγγγEinen Widerpart - Ω

Zubereitung:Mische die verschiedenen Persönlichkeiten mit einem SchussAutorität gut durch, füge eine Prise laissez-faire hinzu, führe dieMischung unter ständigem input in einem möglichst vonUmwelteinflüssen abgetrennten Raum (ideal ist ein Seminar-raum) bei Zimmertemperatur zu einem guten warming und form-ing unter ständiger Beigabe von möglichst kreativen und auf dieGruppe abgestimmten Übungen und/oder Spielen, wobei allePersonen möglichst die für sie günstigsten Bedingungen vorfind-en sollten und jedeR genügend Raum bekommen sollte. Wenndas storming einsetzt, die Gruppe unter ständiger Aufsicht sichentfalten lassen, bis sie mit dem norming beginnt. Danach reich-lich partnerschaftlichen Führungsstil hinzufügen und zufriedendem performing der Gruppe beiwohnen. Das Ergebnis derGruppenperformance stolz einer staunenden Öffentlichkeitpräsentieren.1

Dauer: je nach setting zwischen (idealerweise) 5-6 Tage auf einemSeminar, bis zu einem ganzen Semester (möglichst regelmäßigaufgeteilt auf einzelne Tage).

Auf jedem Ausbildungsseminar für ErstsemestrigentutorInnentaucht früher oder später die Frage auf: - „Wie leite ich eine Gruppe?” oder - „Was muss ich tun, dass meine Tutoriumsgruppe erfolgreich

ist?”

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Kochrezept für erfolgreiches Gruppenleiten

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Die ehrliche Antwort in diesem Fall ist regelmäßig: „Ich weiß es nicht.”.Da ich nicht immer ehrlich bin, und da diese Antwort – für den/die FragendeN ebensowie für die Befragte (also mich) – sehr unbefriedigend ist, gebe ich diese Antwort sehrselten in dieser ungefilterten Form. Und wenn doch, dann füge ich zumindest nochweiter gehende Informationen an.

Selbstverständlich gibt es Theorien zum Gruppenleiten wie Sand am Meer. Alle dieseTheorien haben im Kern eines gemeinsam: Sie können Gruppen niemals lückenloserklären, und eine gute Theorie will das auch gar nicht. Es handelt sich eben umTheorien, das heißt Modelle von Gruppen, die bestimmte Phänomene in Gruppen mehroder weniger gut beschreiben können, (Und manche dieser Theorien können das tat-sächlich gut.) .

Ihre Schwäche liegt darin, dass Gruppen nun einmal aus Individuen bestehen. Und sowie jeder Mensch unterschiedlich ist, so unterscheiden sich auch die einzelnenGruppen, die von diesen Menschen gebildet werden. Hinzu kommt, dass dieseTheorien ja von Menschen aufgestellt werden. Daher haben sie alle einen Hintergrundan Werten und Vorstellungen von der Wirklichkeit. Und letztlich sind die Theorien aufstellenden Menschen auch noch Teil ihrer eigenenBeobachtung und können daher auch nur eine einzelne Perspektive auf das Ganzeliefern.

Kann man/frau also überhaupt nicht erklären, wie Gruppen am besten zu leiten sind?Ja und nein. Selbstverständlich ist ein ‚Kochrezept’, wie das oben ironisch ausmehreren Gruppen- und Gruppenleitungstheorien zusammengestellte, absurd. Abernatürlich gibt es Dinge, auf die einE GruppenleiterIn achten soll/muss, wenn sie sichin die Höhle der LöwInnen (sprich: in eine Gruppe) begibt:

Zunächst einmal bildet eine Gruppe sich nicht von selbst. Am Anfang ist eine Gruppein der Regel ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Personen mit unter-schiedlichen Interessen, die irgendetwas gemeinsam haben. Im Falle des Tutoriums istes die starke Gemeinsamkeit, dasselbe Studium zu beginnen. In einer solchen Situationüberwiegen die individuellen Interessen, eine gewisse Scheu und der Wunsch, ‚etwas

Kochrezept für erfolgreiches Gruppenleiten

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zu bekommen’. Dieser Wunsch richtet sich selbstverständlich an die Person, von derein gewisser Wissensvorsprung erwartet wird – im Fall des Tutoriums: an den/dieTutorIn. Eine klare Struktur wird erwartet und auch eingefordert. Dieser so genannte‚autoritäre’ Leitungsstil2 hat immer noch einen schlechten Ruf, hilft der Gruppe (unddas ist meine persönliche Einschätzung) in dieser Anfangsphase aber ganz enorm.Klare Regelvorgaben von Seiten des/der GruppenleiterIn und konkrete Vorschläge zurweiteren Vorgangsweise bedeuten nicht diktatorische Unterdrückung, sondern gebender Gruppe in dieser Phase Sicherheit und Rückhalt. Jetzt ist es wichtig, dass dieGruppenmitglieder einander kennen lernen und die Gelegenheit bekommen, Ängsteund Schüchternheit abzubauen (warming3). (Und hier muss ich auch schon mit denAusnahmen beginnen: Diese Voraussetzung gilt nämlich primär für Gruppen, in denendie TeilnehmerInnen einander zum großen Teil noch nicht kennen. Wenn dieEinzelpersonen schon von früher – z. B. von der Schule her – miteinander vertrautsind, fällt diese Scheu weg und die Erwartungen sind oft ganz andere.)

Nach dem Kennen-Lernen entsteht in der Regel ein Gefühl der Vertrautheit mit denanderen Gruppenmitgliedern. Ein Wir-Gefühl entwickelt sich, und einzelne Rollen inder Gruppe werden festgelegt. Die Gruppenmitglieder sind meist unzertrennlich(forming). Jetzt kann der/die GruppenleiterIn sich ein wenig zurücklehnen und demlaissez-faire huldigen.

Aber die Aufmerksamkeit sollte trotzdem nie nachlassen, denn in der Regel kracht esgleich darauf ganz ordentlich (storming). Rollen werden abgelehnt, die Leitungs-person in Frage gestellt, Gefühle werden artikuliert. Es ist ganz wichtig, darauf vor-bereitet zu sein und sich davon nicht erschrecken zu lassen. Konflikte sind keinHinweis darauf, etwas falsch gemacht zu haben, sondern ein wichtiges Mittel zurPositionsabklärung. Ebenso wenig sollte man/frau sich aber davon verunsichernlassen, wenn die Gruppe nicht und nicht zu streiten beginnt.

Wenn die Positionskämpfe ausgetragen sind, kommt es üblicherweise zu einer klarenFestlegung von Regeln in der Gruppe (norming). In dieser Phase kann bereits zum‚partnerschaftlichen Führungsstil’ übergegangen werden, das heißt, die Gruppe trifftEntscheidungen gemeinsam, die formelle Leitung wird weniger und weniger benötigt.

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Kochrezept für erfolgreiches Gruppenleiten

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Hier ist es ganz wichtig, die Gruppe loszulassen und auch die eigene Position alsLeiterIn aufgeben zu können.

Und jetzt sollte die Gruppe arbeitsfähig sein und ihre Projekte mit Elan in Angriffnehmen (performing).

Und in Wirklichkeit ist das alles gar nicht wahr und ganz anders. Denn es gibtGruppen, die sich einfach beharrlich weigern, zu stormen. Andere Gruppen kommenaus dem Formingprozess nicht heraus (z. B. weil immer wieder neue Personendazukommen.) Manchmal wird mitten in der Performance plötzlich die eigene Rolle inFrage gestellt und alles geht wieder von vorne los. Und vielleicht stimmt die ganzeTheorie überhaupt nicht. Denn, wie gesagt, jede Gruppe ist anders.

Und das ist ja auch das Schöne an Gruppen. Zum Gruppenleiten ist es wichtig,Menschen zu mögen – und sich nicht (vor Fehlern oder unerwarteten Ereignissen) zufürchten. Gruppen haben eine ungeheure Selbstregulierungsfähigkeit. Ich glaube,jedem/jeder GruppenleiterIn ist es schon einmal so ergangen, dass er/sie nicht weiterwusste. Praktisch immer springt dann plötzlich irgendjemand aus der Gruppe für eineNin die Bresche. Und die Gruppen, bei denen mir die größten Pannen passiert sind, diewaren von meiner Leitung regelmäßig am meisten begeistert. Denn Fehler – wenn sienicht zur Gewohnheit werden – machen ja auch sympathisch.

1 Die Rezeptur bezieht sich auf das Modell der Rangdynamik in Gruppen von R. Schindler.2 Ich beziehe mich hier auf die von K. Levin erhobenen Führungsstile.3 Das Modell der Gruppenphasen stammt von B. Tuckman.

Kochrezept für erfolgreiches Gruppenleiten

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vom Petra Pokorny

In Tutorien kann davon ausgegangen werden, dass die meistenTN ihre KollegInnen noch nicht kennen gelernt haben. DieStudierenden sind ‚neu’ an der Universität, was sie miteinanderverbindet, ist das Interesse an einer bestimmten Studienrichtung.Die Motivation, ein Tutorium zu besuchen, besteht meist darin,Kontakte zu knüpfen, Informationen über das Studium zu erhal-ten und sich zu orientieren.Bei themenspezifischen Tutorien, die meist studienübergreifendangeboten werden, sind Bekanntschaften unter den TN eher sel-ten. Sie verbindet das Interesse an einem bestimmten Themabzw. einer gemeinsamen Einstellung oder Lebenssituation.

Zu Beginn eines Tutoriums sollten Methoden und Arbeitsformengewählt werden, die es den TN ermöglichen bzw. erleichtern,miteinander in Interaktion zu treten. Hier ist es besonderswichtig, sehr strukturiert zu arbeiten sowie darauf zu achten, dassdie gewählten Arbeitsformen anfängliche Schüchternheitabbauen und die TN mit den gestellten Aufgaben etwas anfangenkönnen. D. h., es gilt Themen zu finden, die Studierende betref-fen, die erst seit ein bis zwei Wochen studieren und womöglichneu in der Stadt sind. Bei themenspezifischen Tutorien sollte aufdas Vorwissen der TN aufgebaut werden. Es ist jedoch nichtaußer Acht zu lassen, dass diese sich womöglich in eineThematik noch nicht vertieft haben, daher ist es empfehlenswert,einen einfachen Einstieg vorzubereiten.Vor einer ‚fremden’ Gruppe zu sprechen, fällt anfangs den meis-ten TN nicht leicht, oft sind es Befürchtungen, nicht zu Wissen,ob der eigene Beitrag ‚wichtig’ und ‚adäquat’ ist. In dieser Phaseist es wichtig, als TutorIn strukturiert die Möglichkeit zu schaf-fen, zu Wort zu kommen und alle Beiträge wahrzunehmen.Da es sich zu Beginn meist um große Gruppen handelt, bewährtes sich in dieser Phase, Aufträge in der Form von Kleingruppenzu bearbeiten.

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TUToriumsgruppen

TUToriumsstart

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Ziel und Zweck der Methode:Ein Kennenlernen in einer Großgruppe zu ermöglichen, wobeidie TN individuell von sich erzählen können.

Beschreibung der Methode:JedeR TN sucht sich eineN PartnerIn, den/die sie noch nichtkennt. Die Paare sollten sich an einen Ort ihrer Wahl begeben, andem sie nicht gestört werden. Die Aufgabe des Paares ist es, sichgegenseitig vorzustellen.

Es können Fragen z. B. nach - Name, Alter, Hobby,- meine Lebensphilosophie,- Lieblingsbuch/ Lieblingsfilm etc.,- ich wohne in einer WG, bei den Eltern, alleine etc.,- Studienmotivationvorgegeben werden.

Bei der anschließenden Präsentation im Plenum stellen die TNjeweils ihreN PartnerIn vor. Das PartnerInneninterview ermöglicht einen angenehmen,unkomplizierten Einstieg in eine neue Gruppe. Im Anschlussempfiehlt sich ein Spiel zum Namenmerken.

Variation:Das Vorstellen der Interviewpartnerin/des Interviewpartnerskann auch in Ich-Form stattfinden. Man nennt diese Form derVorstellung ‚Alter-Ego’. „Ich bin der ... (Name des/der Partners/Partnerin) und ... (Alter des/der Partners/Partnerin) Jahre alt ...“.Die anderen im Plenum können dann an die/den VorstellendenFragen richten (z. B. Welches war das letzte Buch, das du gele-sen hast?), die dieseR entsprechend ihrer/seiner Einschätzungder InterviewpartnerIn zu beantworten versucht.

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Großgruppe, möglichstdurch 2 teilbar

20 Min. (+ 2 Min. proTN für Präsentation)

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PartnerInneninterview

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Ziel und Zweck der Methode:Gemeinsam die Umgebung erforschen, in der die TN sich dienächsten Jahre bewegen werden.

Beschreibung der Methode:Die Orientierung an der Universität ist besonders zuStudienbeginn nicht einfach. Als eine gemeinsame Aktion kanndas Erforschen des Instituts an den Beginn eines Tutoriumsgesetzt werden. In KG erforschen die TN die verschiedenenRäume und Bereiche des Gebäudes. Jede KG bringt nach einervereinbarten Zeit als Ergebnis ihre Entdeckungen und Eindrücke,Empfindungen und Wahrnehmungen ins Plenum mit.

Variationen:Die KG erforschen die Umgebung des Institutsgebäudes undsuchen Angebote (Buchhandlungen, Lokale, Copy-Center,Parkflächen, ...), die für Studierende zur Verfügung stehen.

Die KG ziehen aus, um herauszufinden, ob es sich lohnen würde,diese Immobilie zu kaufen. Für wie viele Personen kann das Ge-bäude genützt werden, welche Räume stehen zur Verfügung, waswürde für den laufenden Betrieb noch angeschafft werden, ...?

Die Kommission berichtet und gibt eine Empfehlung über dasGebäude und eine eventuelle Umwidmung ab.

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Institut / Nahraum Uni

bis Großgruppe

ca. 45 Min.

mögl. Absprache mitdem Institut

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Institut erforschen

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Ziel und Zweck der Methode:Aktivierungs- und Konzentrationsübung mit dem SchwerpunktKoordination.

Beschreibung der Methode:Die TN stellen sich im Kreis auf. Zu Beginn wird ein Ball gewor-fen und zwar so, dass jedeR TN ihn einmal bekommen hat, bevorder Ball wieder zur Ausgangsperson geworfen wird. Jede Personmerkt sich, von wem der Ball gekommen ist und welcher Personsie/er ihn zugeworfen hat. Diese Reihenfolge wird nicht mehrgeändert.Im Laufe der zweiten Runde wird die Zahl der im Spiel befind-lichen Bälle erhöht.

Variation:Sternball kann auch als eine spielerische Methode genutzt wer-den, um sich die Namen der TN besser merken zu können. Dabeiwird beim Zuwerfen jeweils der Name der Person gerufen, dieden Ball erhält. Neben zwei Bällen mit festgelegter Flugbahnwird ein dritter Ball mit freier Flugbahn ins Spiel gebracht. Fällteiner der Bälle auf den Boden, müssen die TN in zehn Sekundenso viele Personen wie möglich per Handschlag und mit Namebegrüßen.

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Großer Raum / outdoor

ab 5 Personen bisGroßgruppe

ca. 10 Min.

Jonglierbälle, wennmöglich in der Anzahlder TNM

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Sternball - Planetenbahn

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Ziel und Zweck der Methode:Kann zum gegenseitigen Kennenlernen bzw. in Abwandlungenzur Sichtbarmachung der gegenseitigen Bezüge in der Gruppeverwendet werden.

Beschreibung der Methode:Alle TN stehen in einem Kreis, eine Person erhält denWollknäuel und beginnt sich vorzustellen. Wenn er/sie fertig ist,wird der Knäuel weiter geworfen, wobei das Ende der Schnurjedoch festgehalten wird. Die Person, die den Knäuel fängt, istals nächste an der Reihe, stellt sich vor und wirft den Knäuelweiter, ohne die Schnur loszulassen. So entsteht am Ende einNetz und es können die Verbindungen als Möglichkeit fürPaargruppenbildung z. B. für ein Interview verwendet werden.

Variation: Das Gruppennetz mit einer Schnur kann auch zur Anwendunggelangen, um in einer Gruppe zu verdeutlichen und dafür zu sen-sibilisieren, wer mit wem spricht und wer wie oft zu Wortkommt. Immer dann, wenn eine Person im Verlauf einerDiskussion zu Wort kommt erhält sie den Knäuel und behält dieSchnur in der Hand bevor sie den Knäuel an die Person weitergibt, die als nächste das Wort ergreift. So veranschaulicht sichnach und nach ein Diskussionsbild.

warmingKommunikation

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ab 5 Personen bisGroßgruppe

ca. 20 Min.

1 Wollknäuel

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Gruppennetz

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Ziel und Zweck der Methode:Durch Auflockerung und Bewegung die Kontaktaufnahme er -leichtern.

Beschreibung der Methode:Zunächst werden zwei Gruppen gebildet, eine der Gruppen hateinen TN weniger. Diese Gruppe setzt sich auf Sesseln im Kreis,wobei ein zusätzlicher Sessel leer bleibt. Die anderen TN stehenhinter den sitzenden TN, haben die Hände hinter dem Rückenverschränkt und blicken auf den Hinterkopf der sitzendenPerson.

Eine Person steht hinter einem Sessel, auf dem keine Personsitzt. DieseR TN blinzelt einer/einem Sitzenden zu, dieser sollnun blitzschnell zum Sessel der Blinzlerin/des Blinzlers wech-seln. Die Person hinter dem Sessel muss dies verhindern und ver-sucht, ihn/sie noch rechtzeitig zu fassen zu kriegen. Gelingtdem/der TN der Wechsel auf einen anderen Stuhl, ist die Personmit Blinzeln an der Reihe, deren Stuhl frei geworden ist.

Nach einigen Durchgängen werden die Rollen gewechselt.

warming

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ab 9 Personen bisGroßgruppe/ ungeradeAnzahl

ca. 10 Min.

Sessel

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Zublinzeln

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Ziel und Zweck der Methode:Das gemeinsame Lösen einer Koordinationsaufgabe.

Beschreibung der Methode:Die TN stellen sich mit verbundenen Augen in einem Kreis auf.Vor ihnen liegt ein zusammengeknotetes Seil, das sie ergreifen.Gemeinsam sollen sie nun das Seil zu einem Quadrat auflegen,ohne es auszulassen.Wenn sie glauben, es geschafft zu haben (d. h. alle TN sind mitdem Ergebnis einverstanden), sollen sie es der TutorIn mitteilen,die die Übung beendet.

Im Anschluss werden der eigene Beitrag zum Ergebnis und derAblauf reflektiert.

Kooperation

indoor

10 - 30 Personen

ca. 30 Min.

Seil und Augenbinden

Bereich

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MathematikerIn

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Ziel und Zweck der Methode:Sensibilisierung für das Leiten und Geleitet-Werden

Beschreibung der Methode:JedeR TN sucht sich eineN PartnerIn aus. Sie stellen sichgegenüber auf. Rund um jedes Paar muss genug Platz sein, umArme und Beine frei bewegen zu können.Dann beginnen sich beide langsam zu bewegen, wobei dieBewegung der einen Person von der anderen spiegelbildlich mit-gemacht werden muss. Während zunächst ausgemacht wird, werdie Bewegung vorgibt und wer sie spiegelt, wird in einem zweit-en Durchgang fließend und unbesprochen gewechselt. DieÜbung kann in einer anderen personellen Zusammensetzungwiederholt werden.

Variation:Es können auch zwei Gruppen gebildet werden, die sichgegenüber stehen. Die Übung wird dann als Gruppenspiegelndurchgeführt.

Fragen im Anschluss:- Welche Person übernimmt die Führung?- Wann und auf welche Weise wechseln sich die PartnerInnen

ab?- In welcher Position war die Aufgabe für mich leichter,

angenehmer, ...?- Wie hat der stille Wechsel funktioniert und wie wurde er

‚abgesprochen’?- Wie sind die Bewegungen (rund, eckig, fließend, abgehackt,

harmonisch)?

Gruppe erleben

indoor

8 - 20 Personen

ca. 30 Min.

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Spiegelpantomime

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Ziel und Zweck der Methode:Alle TN erleben sich selbst als einen Bestandteil von etwasGrößerem. Es geht um Vertrauen und Nähe.

Beschreibung der Methode:Die Gruppe soll eine Maschine darstellen. EinE TN wird alsKonstrukteurIn bestimmt, dieseR baut die Maschine zusammen.JedeR TN soll in die Maschine eingebaut werden. Jeder Teil derMaschine muss eine Bewegung durchführen und begleitend dazuein spezifisches Geräusch von sich geben. Nach einemTestbetrieb, kann der/die KonstrukteurIn ihre/seine Maschinepräsentieren.

Gruppe erleben /Vertrauen

indoor

pro ‚Maschine’ ca. 8Personen

ca. 30 Min.

keines

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Menschliche Maschine

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Ziel und Zweck der Methode: Das Gefühl des Vertrauens und Aufeinander-Verlassens erlebbarmachen.

Beschreibung der Methode:Die TN stellen sich in einem Kreis auf. Dann fassen alle TN je-weils ihre NachbarInnen an den Händen und zählen durch. Auf‘los’ lehnen sich alle TN mit einer geraden Zahl gleichzeitig indie Kreismitte und alle mit einer ungeraden Zahl lehnen sichnach außen. Nachdem alle gemeinsam kurze Zeit stabil ausge-halten haben, wird gemeinsam die Position jeweils von innennach außen und umgekehrt gewechselt.

Gruppe erleben /Vertrauen

indoor

8 - 30 Personen

ca. 10 Min.

keines

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Der große Vertrauenskreis

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Ziel und Zweck der Methode:Ein Vertrauen in der Gruppe herzustellen und dieses die TNspüren lassen.

Beschreibung der Methode:Alle TN legen sich in zwei Reihen jeweils Kopf an Kopf auf denRücken und strecken ihre Hände in die Höhe. Die/der TN amAnfang der Reihe kann nun aufstehen und sich auf diesem‘Förderband’ aus Händen rücklings von den anderen bis zumEnde der Reihe weiterreichen lassen. Dort legt sie/er sich wiederKopf an Kopf als Teil des Förderbandes hin.

Anregungen: Decken können als Unterlage verwendet werden.Gerade bei diesem Vertrauensspiel ist es wichtig, die Frei-willigkeit zu betonen. Manchen TN ist es unangenehm, vonvielen Händen berührt zu werden oder die Übung ist ihnen zuunsicher. Sie können in die Übung eingebunden werden, indemsie am Anfang und am Ende des Förderbands beim Einstieg undAusstieg behilflich sind.

Gruppe erleben /Vertrauen

indoor

ab 16 Personen

ca. 20 Min.

(gegebenenfalls)Decke

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Förderband

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Ziel und Zweck der Methode:Durch Bewegung eine gemeinsame Aktivität setzen, die Spaßmacht.

Beschreibung der Methode:Es soll eine Amöbe gebildet werden. Dazu werden 5 TN zuProtoplasma, das von einer Zellwand (6 - 7 TN) umgeben wird.Die Zellwand sind TN die nach außen gewandt sind, die Armeder TN sind ineinander eingehakt. Der Zellkern wird von einerPerson dargestellt, die auf den Schultern des Protoplasmas sitzt.Nun kann sich die Amöbe im Raum bewegen.Bei Großgruppen können mehrere Amöben gebildet werden, diesich fangen können.

Vorsicht: Verletzungsgefahr bei Querbalken, herabhängenden Lampen etc.

Auflockerung

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ca. 12 Personen

ca. 15 Min.

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Amöbenrennen

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Ziel und Zweck der Methode:Bewegung in die Gruppe bringen; Förderung von Kontakt.

Beschreibung der Methode:Alle TN sind Atome und bewegen sich frei im Raum. DieGeschwindigkeit der atomaren Bewegung hängt von derAußentemperatur ab. Sinkt die Temperatur, die die/derSpielleiterIn ansagt, auf Null Grad, so findet keine Bewegungstatt, bei Erwärmung (100, 200, 1000 Grad) geraten die Atome inentsprechend beschleunigte Bewegungen. Die angesagte Tem-peratur wechselt häufig. Atome sind bestrebt, Bindungen einzugehen; wie viele Atomesich jeweils zu einem Molekül vereinigen, wird durch Zurufeneiner Zahl vorgegeben. So sollen sich beispielsweise drei Atomefinden, die sich dann gegenseitig vorstellen bzw. gemeinsam aufeinen Sessel stellen müssen, ... Anschließend löst sich die insta-bile Bindung wieder und es werden neue Moleküle gebildet.

Schließt daran eine Arbeit in Kleingruppen an, können die letzenMoleküle aus so vielen Atomen gebildet werden, wie in denKleingruppen TeilnehmerInnen sein sollen.

Auflockerung

Großer Raum / outdoor

bis Großgruppe

ca. 30 Min.

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Atome und Moleküle

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Belz, H. / Siegrist, M.: Kursbuch Schlüsselqualifikationen. Ein Trainingsprogramm. 2000Besser, R.: Transfer, Damit Seminare Früchte tragen. Strategien, Übungen und Methoden, die einekonkrete Umsetzung in die Praxis sichern. 2004Buchberger, F / Eichelberger, H. / Klement, K.: Seminardidaktik. 1997Czichos, R.: Entertrainment für Knowbodies. Train-the-Trainer einmal anders. 1999Grotian, K. / Beelich, K.-H.: Lernen selbst managen. Effektive Methoden undTechniken für Studiumund Praxis. 1999Hüholdt, J.: Wunderland des Lernens. Lernbiologie, Lernmethodik, Lerntechnik. 2001Kaiser, A.: Anders lehren lernen. Ein Übungskurs für emotionalfundierte Lehrkompetenz. 2003König, S.: Waming-up in Seminar und Training. Übungen und Projekte zur Unterstützung vonLernprozessen. 2004Kugemann, W. F. / Gasch, B.: Lerntechniken für Erwachsene. 2002Lahninger, P.: Leiten - Präsentieren - Moderieren. Arbeits- und Methodenbuch für Teamentwicklungund qualifizierte Aus- & Weiterbildung. 2000Langmaack, B. / Braune-Krickau, M.: Wie die Gruppe laufen lernt. Anregungen zum Planen undLeiten von Gruppen. Ein praktisches Lehrbuch. 1998Perner, R. A. / Preschern, E. (Hg.): Ich will wissen. Lust und Lernen. 1998Rabenstein, R. / Reichel, R. / Thanhoffer, N.: Das Methoden-Set. 5 Bücher für Referenten undSeminarleiterinnen. 2001Rechtien, W.: Angewandte Gruppendynamik. Ein Lehrbuch für Studierende und Praktiker. 1999Siebert, H.: Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Didaktik aus konstruktivistischerSicht. 2000Stahl, E.: Dynamik in Gruppen. Handbuch der Gruppenleitung. 2002Vopel, K. W.: Interaktionsspiele. 2001Wallenwein, G. / Soiel, F.: Der Punkt auf dem i - Kreative Übungen zum Lernen mit Spaß. 2003Weidenmann, B.:100 Tipps & Tricks für Pinnwand und Flipchart. 2000

Im Internet:www.spielereader.org

Literatur

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Doris Arztmann, studiert Politikwissenschaft in Wien und Göteborg, ist engagiert im Frauentutoriumund seit 2003 Zentralkoordinatorin.

Isabella Bauer, arbeitete in der Studienrichtungsvertretung und Projektgruppe Pädagogik, organ-isierte Frauentutoriumsausbildungsseminare und ist seit 2003 Zentralkoordinatorin.

Martin Busch, mehrere Jahre Tutor und Projektleiter des Tutoriumsprojekts Psychologie Wien. Seit1997 Durchführung der Evaluation.

Rosa Danner, ist seit 2002 im Tutoriumsprojekt engagiert (Theaterwissenschaft, Frauentutorium),studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und begann 2004 ihre Mitarbeit in derZentralkoordination.

Ulli Fuchs, geb. 1966 in Wien, Volkskundlerin und Kulturarbeiterin. Seit 1985 im Projekt, TTL 1986,Mitorganisatorin des TrainerInnenkongresses im Mai 2004 und der vorliegenden Publikation.

Wolfgang Haas, studierte in Österreich und den Niederlanden Pädagogik und Philosophie. Zur Zeitals Assistent am Institut für Erziehungswissenschaft an der K.-F. Universität Graz beschäftigt. ImTutoriumsprojekt seit 1991 als Trainer tätig.

Mishela Ivanova, Studium der Erziehungswissenschaften und Psychologie mit SchwerpunktPersonal- und Organisationsentwicklung. Gegenwärtig Doktoratsstudium an der UniversitätInnsbruck. Seit 1998 im Tutoriumsprojekt erstmals als Tutorin und später als Trainerin bei zahlreichenAnfängerInnen-, Gender- und Integrationstutorien tätig.

Pier-Paolo Pasqualoni, studierte Philosophie und Psychologie an der Universität Innsbruck und istgegenwärtig als Forschungsassistent an der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie tätig.Seine Projektvergangenheit umfasst Erstsemestrigen-, Gender- und Integrationstutorien, in denen erals Tutor und nach Abschluss des TTL 2000 auch als Trainer wertvolle Erfahrungen sammeln konnte.

Petra Pokorny, geboren 1976 in Wien. Die ersten Berührungen mit dem Tutoriumsprojekt 1994 alsErstsemestrige, 1995 Besuch des ersten Ausbildungsseminars, dem weitere folgten. Zahlreiche abge-haltene Erstsemestrigen-Tutorien an der Biologie sowie das Frauentutorium „Frauen inNaturwissenschaft und Technik”. Absolvierung des TTL 2000, seither Trainerin für das Projekt.

Gabi Rieß, geboren 1972 in Salzburg, Studium der Philosophie und Psychologie mit SchwerpunktGruppendynamik (Abschluss 2001) an der Universität Wien; derzeit tätig im Projektmanagement imGesundheitswesen und als freiberufliche Trainerin und Moderatorin u. a. für das Tutoriumsprojekt;

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Autorinnen und Autorenverzeichnis

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ehem. Tutorin und Projektleitung auf der Psychologie Wien, Zentralkoordinatorin auf der ÖH Bundes-vertretung, TutoriumstrainerInnenlehrgang (TTL) 98/99, Qualitätssicherung im Auftrag vonTutoriumsprojekt und BMWK.

Ulrike Rostek, Projektleiterin des Frauentutoriums 1999, Zentralkoordinatorin des Tutoriums-projektes 2000-2003, Trainerin für das Projekt. Studiert Philosophie und macht sonst noch ganz vieleandere Sachen, siehe Eintrag in der TrainerInnenmappe.

Marcel Scheffknecht, Jahrgang 1966, Akademischer Kommunikationstrainer® und Historiker. DemTutoriumsprojekt seit 1990 als Tutor und Projektleiter (Geschichte-, Männer- und Gendertutorium)und Trainer (TTL 1997/98) verbunden. Zuletzt als Pädagogischer Leiter mit der Planung undDurchführung von interkulturellen Bildungs- und Beratungsmodulen betraut.

Albert Schieg, studiert Wirtschaftsingenieurswesen und Maschinenbau, seit 1998 Studierenden-vertreter und seit 2004 Zentralkoordinator.

Susanna Speckmayer, ist Juristin und arbeitet bei den Volkshilfe Beschäftigungsinitiativen in derProjektplanung und Projektabwicklung. Während ihres Jus-Studiums hat sie an mehreren Tutoriums-seminaren teilgenommen und 5 Tutorien gehalten. Sie hat den TutoriumstrainerInnenlehrgang (TTL)1998 absolviert.

Britta Stroj, 1980 in Klagenfurt geboren, ist mit dem Tutoriumsprojekt seit 1999 durch Organisationund Moderation des Frauenlesbentrans-x-tutoriums verbunden. Studentin der Judaistik und der GenderStudies an der Universität Wien.

Bärbel Traunsteiner, Wilfried Hackl, Mishela Ivanova und Alan Krempler danken wir für IhreMethodentipps.

Autorinnen und Autorenverzeichnis

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