Über das Erkennen der Schallrichtung

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Arch. Ohr- usw. tteilk, u. Z. I-Ials- usw. Heilk., Bd. 157, S. 301~319 (1950). Aus der Universi~s-I-Ials-Nasen-Ohrenklinik, Graz. (Vorst~nd: Prof. Dr. GUSTAVHOF~I~.) (~ber das Erkennen der Schallriehtung. Von MAX KRAUS. Mit I Text~bbitdung. (Eingegangen am 25. April 1950.) Es ist eine Verh~ltnismaBig alte Erkenntnis der Ohrphysiologie, dab die Schatloka]isation ffir das Lebewesen yon weir grSBerer Wichtigkeit ist als die Schallanalyse. WU~DT (zitiert nach GUTTIC14) geht sogar so weit, dab er erklart, jedes Gerausch sei fiir das lebende Wesen zwecklos, wenn es nicht gleichzeitig ortsbestimmt sei. Das RichtungshSren ist zum Tell bis zu einer erstaunlichen Voll- kommenheit entwickelt. ENGELMA~ finder beim Hund in der ~edianen eine Unterscheidungsfahigkei~ yon 1--3 ~ _~hnliche Werte (zwischen 1 und 4 ~ wurden auch fiir den ~Vfenschen angegeben (MtiNSTE~BE~G, WILS~ U.a.); MARX land im ersten Weltkrieg die Genauigkei$ der Peilrichtungsbestimmung bei der Artillerie sogar mit ~.~--~~ DaB eine solche Leistung nur mit einem hochentwickelten Sinnesorgan denkbar ist, ]iegt auBer Zweifel. Um so seltsamer muB es daher anmuten, dal~ wir heute eigentlich noch immer keine Ahnung davon haben, wie diese Leistungen zustande kommen. Uber das l~ichtungshSren liegen eine ganze ~eihe Yon Theorien vor, die man in 2 groBe Gruppen einteilen k~nn (zitiert nach K:al~IDL): 1. Die binauralen oder akustischen Theorien: Die Intensitatstheorie (Ka~ID~, GATSCH~R U.a.), die Zeittheorie, die heute die meisten An- hanger hat (HoI~:NBOSTEL u. WERTHEIMEI~,WILSKA, AGGAZZOTTI, GILDE- MEIS~ER U.a.); die Phasentheorie (STE~ANI~r LO SVRDO, ST~,WA~D, RAYL~ICH U.a.) und die Kl~ngfarbentheorie, die eigentlich als Abart der Phasentheorie gewertet werden kann. 2. Die monauralen Theorien : Die alte Bogengangstheorie wird heute kaum mehr erwahnt (AvT]~RIET~, P~Eu CYON u. a.). D~s monaurale l~ichtungshShren wird jetzt immer mit einem zusatzlichen Faktor er- klart, wodurch auch die Bezeichnung ,,Nicht akustische Theorien" ent- standen ist: Die vestibulare (G~TICH, MiY~ST]~r die motorische Theorie (TuLLIO), die taktile Theorie (B~vNznow, ED. W~BER). Die )/Ienge dieser heute noch nebeneinander geltenden Theorien be- weist, dab keine bisher restlos befriedigen konnte. Um zu zeigen, wie

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Arch. Ohr- usw. tteilk, u. Z. I-Ials- usw. Heilk., Bd. 157, S. 301~319 (1950).

Aus der Universi~s-I-Ials-Nasen-Ohrenklinik, Graz. (Vorst~nd: Prof. Dr. GUSTAV HOF~I~.)

(~ber das Erkennen der Schallriehtung. Von

MAX KRAUS.

Mit I Text~bbitdung.

(Eingegangen am 25. April 1950.)

Es ist eine Verh~ltnismaBig alte Erkenntnis der Ohrphysiologie, dab die Schatloka]isation ffir das Lebewesen yon weir grSBerer Wichtigkeit ist als die Schallanalyse. WU~DT (zitiert nach GUTTIC14) geht sogar so weit, dab er erklart, jedes Gerausch sei fiir das lebende Wesen zwecklos, wenn es nicht gleichzeitig ortsbestimmt sei.

Das RichtungshSren ist zum Tell bis zu einer erstaunlichen Voll- kommenheit entwickelt. ENGELMA~ finder beim Hund in der ~edianen eine Unterscheidungsfahigkei~ yon 1--3 ~ _~hnliche Werte (zwischen 1 und 4 ~ wurden auch fiir den ~Vfenschen angegeben (MtiNSTE~BE~G, W I L S ~ U.a.); MARX land im ersten Weltkrieg die Genauigkei$ der Peilrichtungsbestimmung bei der Artillerie sogar mit ~.~--~~ DaB eine solche Leistung nur mit einem hochentwickelten Sinnesorgan denkbar ist, ]iegt auBer Zweifel. Um so seltsamer muB es daher anmuten, dal~ wir heute eigentlich noch immer keine Ahnung davon haben, wie diese Leistungen zustande kommen.

Uber das l~ichtungshSren liegen eine ganze ~eihe Yon Theorien vor, die man in 2 groBe Gruppen einteilen k~nn (zitiert nach K:al~IDL):

1. Die binauralen oder akustischen Theorien: Die Intensitatstheorie (Ka~ID~, GATSCH~R U.a.), die Zeittheorie, die heute die meisten An- hanger hat (HoI~:NBOSTEL u. WERTHEIMEI~, WILSKA, AGGAZZOTTI, GILDE- MEIS~ER U.a.); die Phasentheorie (STE~ANI~r LO SVRDO, ST~,WA~D, RAYL~ICH U.a.) und die Kl~ngfarbentheorie, die eigentlich als Abart der Phasentheorie gewertet werden kann.

2. Die monauralen Theorien : Die alte Bogengangstheorie wird heute kaum mehr erwahnt (AvT]~RIET~, P~Eu CYON u. a.). D~s monaurale l~ichtungshShren wird jetzt immer mit einem zusatzlichen Faktor er- klart, wodurch auch die Bezeichnung ,,Nicht akustische Theorien" ent- standen ist: Die vestibulare (G~TICH, M i Y ~ S T ] ~ r die motorische Theorie (TuLLIO), die taktile Theorie (B~vNznow, ED. W~BER).

Die )/Ienge dieser heu te noch nebeneinander geltenden Theorien be- weist, dab keine bisher restlos befriedigen konnte. Um zu zeigen, wie

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weit wir bisher noch von einer wirklichen LSsung dieses Problems ent- fernt sind, sollen im folgenden nur die Haupte inwinde gegen diese Hypothesen angefiihrt werden.

1. a) Gemeinsam ist allen binauralen Theorien die UnmSglichkeit, die Unterscheidung yon vorn und riickw~trts, oben und unten in der Schallriehtung zu erl~l~ren. ~ Es wurden bier zwar ,,akzessorisehe ~o- mente" behauptet , ohne dab m a n aber einigermaBen wesentliehe an- zuf'dhren vermoehte. Eigentlich ist dieses Argument allein sehon sehwer- wiegend genug, um s~mtliche binauralen Theorien zu entkr~ften, und ALL]~I~s und BE~]~sI (zitiert naeh KREII)L) erk]~ren daher mit vollem Recht : ,,Die Tatsache der monotischen Lokalisation erfordert eine Deu- tung aus Qualit i ten, die yon einem Ohr allein geliefert werden kSnnen." Wenn t rotzdem die meis ten Forscher noch an binauralen Theorien fest- halten, ist dies wohl haupts~ehlich auf 2 Momente zuriickzufiihren: Die unbestrei tbare Tatsache, dab man mit beiden Ohren besser lokali . sieren kann, als mit einem Ohr (dab dieses Argument nicht stichhaltig ist, w ird sparer zu beweisen s e in )und ein psyehol0giseher Grund: Die augenf~llige , aber falsche Paral]ele zum stereoskopisehen Sehen, wo ja ganz andere physil~lisehe Voraussetzungen und ~uch ganz anders geartete Leistungen vorliegen.

b) Ein weiteres Argument bildet eine mati~ematisehe ~berlegung: Intensit~t, Zeit lind Phasenverh~ltnisse sind GrSBen, die in direkter Abhingigkeit stehen yon der Entfernungsdifferenz der Schallquelle zu den beiden Ohren. Diese n immt nun bei Drehung des Kopfes nicht gleichmiiBig z u oder ab ; liegt die Schallque!le in der Medianen, so genfigt sckon sine ganz geringe Kopfdrehung ~zur Erzeugung einer relativ, betr ieht l ichen Distanz~nderung ffir jedes Ohr, w~hrend bei seitlicher Schallquelle zur Erzielung der gleichen Entfernungsdifferenz eine we- sentlieh ausgiebiger e Kopfbewegung notwendig ist. Eine Drehung um 3 ~ aus der ]V[edianstellung hat etwa die gleiche Entfernungsdifferenz zwischen Schallquelle und Ohren zur Folge wie eine Drehung um 18 ~ bei seitlicher Sehallquelle, was sieh mathematisch leicht berechnen ti~Bt.

n•n cos u = 1 - - sin 3 u', CZ ~ 18o40 ' r-Tt-

Bei Annahme kleinerer Schwellenwerte wird das ~r noch viel deutlicher. Bewegungen einer seitlichen Schallquelle um weIfiger z~ls 18 ~ mtissen nach den binauralen Theorien daher unter dem Sehwellen-

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wert liegen und unerkannt bleiben. Tats~chlich ist jedoch die Lokali- sationsf~higkeit bei seitlicher Schallquelle lange nicht so schlecht, was man jederzeit dutch einfachste Versuche nachweisen kann.

c) Ein drittes, neues Argument gegen alle binauralen Theorien ist die (~berlegung, dal] zur Brauchbarkeit des GehSrorganes nach diesen Theorien schon eine fast unglaubliche Pr~zision vorausgesetzt werden mul]; eine schrittweise phylogenetische Entwicklung und Vervollkomm- nung ist dabei nicht denkbar, da erst bei Erreichung der hSchsten Pr~zision diese Organe ffir ihre Tr~ger eine praktische Bedeutung erlangen kSnnten.

Es lassen sich aber auch gegen jede einzelne der binauralen Theorien schwere Einw~tnde erheben :

2. a ) D i e Intensiti~tstheorie erkl~trt bekanntlich die Lokalisation dadureh, dal] infolge des l~ngeren Schallweges zu einem Ohr und der Abwendung dieses Intensit~tsunterschiede auftreten, durch welche die Schallrichtung dann bestimmt wird. Diese Intensit~tsunterschiede sind aber nur minima] und bei dem geringsten Schalleitungshindernis (Ceru- men, Fingerverschlul] eines Ohres usw.) miil]te eine vSllige Seiten- verlegung des Schalles erfo]gen.

b) Aul]erdem ist die intensiti~t am abgewendeten Ohr nur l~/o geringer, d~s einohrige Unterscheidungsempfinden ffir Lautst~rken aber bestenf~lls 10~o (GILDEMEISTER).

C) Ein weiterer Einwand s tammt yon TULLIO: Aueh entfernte TSne werden mit derselben Winkelgenauigkeit wie nahe ]okalisiert, obwohl mit der Entfernung die Intensit~tsdifferenz zwischen beiden Ohren wesentlieh abnimmt.

3. Die Anh~nger der Phasentheorie meinen, dal] yon seitlich an- kommender Schall beide Ohren in einer verschiedenen Schwingungs- phase erreieht, deren Perzeption dann Zur Erkennung der Scha]lrichtung fiihrt.

a) Ein bekanntes, aber oft falsch zitiertes Argument dagegen ist da.s folgende: Bei Richtigkeit dieser Ansicht miil]ten hohe TSne ganz wesentlich besser ]okalisiert werden kSnnen als tiefe: Bei einer Wellen- l~nge yon mehreren ~/[etern kann de rnu r wenige Zentimeter betragende Entfernungsunterschied zu den beiden Ohren keine Rolle spielen, wi~hrend er bei hohen TSnen sehr ins Gewicht fallen wiirde; trotzdem sind tiefe Geri~usche besser zu lokalisieren als hohe.

b) Ein weiterer, neuer Beweis ist folgender: Ganz hohe T6ne, etwa yon 2--4 cm Wellenl~nge (%--%) mill]ten beim Wandernlassen yon seitlich gegen die Mitte zu mehrmals wechselnd den Eindruck schw~cherer und sti~rkerer Seitenverlagerung machen, da die Phasendifferenz dabei

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mehrmals yon 0 bis zur halben Wellenli~nge wechselt, weft ja die Ent- fernung der Empfangsorgane voneinander grSi~er ist als die Wellenl~nge dieser TSne.

:Die Klangfarbentheorie ist eigentlich nur eine Abaft der Phasen- theorie und steht und f~llt mit dieser.

4. Die einzige binaurale Theorie, gegen welche bisher aul3er den eingangs angefiihrten allgemeinen Argumenten kaum spezielle vor- gebracht worden sind, ist die Zeittheorie, die anscheinend deswegen auch heute noeh die meisten Anh~nger hat. Sie erkli~rt bekanntlich die Richtnngserkennung dadurch, dab der seitlich ankommende Scha]] das eine Ohr friiher erreicht als das andere.

a) Allerdings sind diese Differenzen unvorstellbar klein und um einen Winkeluntersehied yon 1 o erfassen zu kSnnen, mfi6ten die Ohren einen Zeituntersehied yon 7 Millionstel Sekunden analysieren kSnnen! (Gi)T- TICI~ U. a.). Eine solche Leist~ngsf~higkeit des Nervenapparates ist bis jetzt nicht bekannt (KI~EIDL). Aul~er der offenkundigen Unwahrschein- lichkeit einer so]chen L~istnngsf~higkeit kann man aber gegen diese Theorie aueh folgende Argumente vorbringen:

b) Ein direkter Gegenbeweis ist die ErkennungsmSgliChkeit yon DauertSnen in ihrer Riehtung. Wird ein Dauerton yon der Medianlinie nach lateral verschoben (ohne dal~ Entfernung und Intensit~tt dabei ge~ndert werden), so kann kein der Zeittheorie entsprechender Reiz mehr gesetzt werden; t rot zdem ist die LateralisationsmSglichkeit ohne weiteres gegeben. Das Experiment l~tBt sich aueh modifizieren: Wenn man das rechte Ohr mit dem Finger leicht versehliel~t, die HSrf~higkeit also nur d~mpft, und yon der reehten Seite her ei~en Sirenenton unter der ttSrsehwelle beginnend anblasen und immer starker anschwe_llen l~l~t, so wird er richtig lateralisiert, obwohl das ]inke OhT den Ton zuerst errant hat. In dieser Form ist der Versueh auch gleiehzeitig ein Beweis gegen die Intensit~tstheorie.

c) Ein zweiter, direkter Beweis gegen die Zeittheorie ist die Tatsache, dal~ es a~ch unter Wasser mSglieh ist, ein seitliches Ger~useh als solches zu erkennen. Da sich der Schall im Wasser viermal schneller ausbreitet als in der Luft, werden unter Wasser aueh die Zeituntersehiede des Erreichens beider Ohren auf ein Viertel reduziert. Es miil~te nach dieser Theorie daher jeder Schall unter Wasser den Eindruck machen, als ob er yon vorne k~me, und die grSl~te subjektive seitliehe Abweiehung kSnnte etwa 15 ~ niemals iibersehreiten. Mit dieser Uberlegung liegt nicht nur eine durch die Zeittheorie unerkl~rbare Erscheinung vor, sondern ein direkter Gegenbeweis, der diese Theorie als mit den ta t - s~chliehen Verh~ltnissen nnvereinbar erscheinen l~l~t.

Zur ~berbri ickung der Erkl~rungssehwierigkeiten der binauralen Theorien wurde der Versueh gemacht, diese Theorien zu kombinieren

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in dem Sinne, dab bei Ausfull eines Erkennungsmeeh~nismus der ~ndere einspringen sollte (Intensi t~t ts-und Zeittheo~ie: I-IARTLEY und ~I~Eu zitiert n~ch REICI~, Phasen- und Zeittheorie : SC~MI~CSKu Bei logiseher Analyse l~Bt sich eine solehe Erkl~rung jedoch nicht halten. Kombinier t man z. 13. die Intensit~ts- nnd Zeittheorie, somfiBte bei einem Cerumen- pfropf reehts ein Ger~tusch yon der reehten S~ite den Eindruek maehen, als ob es yon beiden Seiten her k~me, da die Intensit~tskomponent, e es na.eh links, die Zeitkomponente ha.Oh reehts verlegen mfil]te und das Zentralorgan ja. nieht ohne weiteres entscheiden kann, welcher der beiden Faktoren gestSrt und welcher norma.1 arbeitet. Gegen die Kom- bina.tion yon Zeit- und Phasent.heorie sloricht das Unter-Wasser-Experi- ment, d~ ~ueh die Pha.senverschiebnng unter W~sser auf ein Viertel reduziert wird und beide Richtungskomponenten dann zur gleiehen Sinnest/~usehung fiihren mfi8ten.

Ffihrt man diesen Versuch so aus, dab man nnter Wa.sser links seitlich ein Ger/insch erzengt und chunn dgs linke Ohr ga.nz wenig verschliegt, so b]eibt t rotzdem der Eindruck der riehtigen LokMis~tion n~ch links aufrecht. In dieser Form spricht der Versuch gleiehzeitig gegen glle 3 bingura.len Theorien, da die Zeit- und Phasenkomponente das Gerausch naeh vorne, die Intensit/s es na.ch rechts verlagern miigte.

Jede Kombings von bingura.len Theorien ist dgher ebenso nn- hMtbar, wie es jede dieser Hypothesen fiir sich a.llein sein muB. Es mfissen somit s/imtliche bina.urMe Theorien des RiehtnngshSrens ~ls falseh erka.nnt nnd abgelehnt werden. Die bestehenden monaur~len, niehta.knstisehen Theorien vermSgen aber einer Kr i t ik aueh nieht besser standzuha.lten.

5. TunnlO ver t r i t t eine vestibuls Tbeorie und n immt a.n, dal~ der Sehall je na.eh seiner l~iehtnng kleinste StrSmungen in den Bogeng~ngen verursa.ehe ; diese bewirken feinste nysta.ktische Zuckungen und dutch diese Augenbewegungen werde die Tonriehtung erkannt.

a.) Wenn nun bereits ein Sinnesorgan (Bogerga.ng) je nach Sehall- r iehtnng versehiedene Reaktionen zeigt, so ist es nieht ohne weiteres einzusehen, warnm dann fiberha.npt der Umweg fiber die Augenbewegung erfolgen soll ? Der Reiz mfiBte zentripetal zum Gehirn weitergeleitet werden, von dort zentrifngal zu den Augenmuskeln und dann wieder zentripeta.1 zum Gehirn ffihren.

b) Blinde haben meist ein besonders fein differenziertes Geh6r und a.uch Riehtungsempfinden. Dies liel~ sieh aueh bei einem Patienten naehweisen, der dureh eine SehuBverletzung beide Bulbi verloren ha.tte : Na.eh T~LLIOs Theorie mfil]te aber hier die Reizleitung unterbroehen sein.

e) Die Unterseheidung yon vorne und rfiekw~rts, eine der primit iv- sten Fordernngen, ist dutch den Nystagmus nieht m6glieh und erkl~rbar.

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d) Bei vorhandenem Spontannystagmus miiftten ganz schwere St6rungen im Richtungsh6ren eintreten (G~TTICH).

e) Das Ausmaft der Sehallrichtungsabweichungen yon der Medianen kann durch den Nystagmus niemals erfaBt werden. Wenn Abweichungen yon 1'--2 ~ bereits durch nystaktische Zuckungen erkannt werden sollen, dann miiftten diese Zuekur/gen bei einem Schallwinkel yon 60 ~ so deut- l ich sein, dab man sie unter der Leuchtbrille unbedingt miigte nach- weisen k6nnen.

f) Schlieglieh bildet einen entseheidenden Gegenbeweis die Uber- legung, dag die MSglichkeit, gteiehzeitig yon rechts und links einwirkende Ger~usche richtig zu lokalisieren, mit TULLIOS System nicht zu erkl~ren ist. Selbst bei einem Nacheinander des Augenmeehanismus w~re es un- erkl~rlieh, wie dann das einzelne Ger~usch in seiner Richtung richtig erkannt werden kann.

6. Einen weniger exakten Standpunkt nimmt Gi)TTICH mit seiner Theorie an. E r bezeichnet als wichtigstes Moment die Zuwendung des Kopfes zur Schallquelle, dutch die reflektorische Kopf- und Angen- bewegung soll erst die feinere Einstellung erfolgen.

a) t t ier liegt ein logischer SchluBfehler vor, eine Vertauschnng yon Ursache und Wirkung, da die Einstellung (aueh die genauere) yon Kopf und Augen erst erfolgen kann, wenn die Schallriehtung bereits richtig erkannt ist, wobei es unmaftgeb]ich ist, ob sich diese Vorg~nge im Bewufttsein oder rein reflektorisch abspielen.

b) D~ft die Augenbewegung bei der L0kalisation nieht maBgebend sein kann, geht schon daraus hervor, daft die Schallokalisation dureh festes Fixieren eines Punktes nicht leidet, ebenso nicht, wenn man dabei die Augen willkiirlieh in eine andere Riehtung wandern i~Bt.

c) Gerade fiir Naehttiere ist das Riehtungsh6ren eine sehr wiehtige und meist auch besonders gut ausgebildete Sinnesfunktion, w~hrend die Bliekeinstellung zur Schallquelle offensiehtlich ohne besondere Bedeutung sein muft. Es wiirde demnaeh hier das Wiehtige vom Neben- s~ehliehen abh~ngig sein.

Gi~TTICH ist sieh selbst anscheinend seiner Theorie nicht ganz sieher und kombiniert sie daher mit der Zeittheorie.

7. Gegen die taktile Theorie, die sensiblen Reizen, insbesondere der Ohrmusche] eine Bedeutung b eim Rieht~ngsh6ren zusehreibt (Bau_~zLow u. a.), hat G/3TTIClt einen experimentellen Beweis erbraeht. Naeh An- ~sthesierung der Ohrmusehel und ihrer Umgebung war das Lokalisations- vermSgen in keiner Weise beeintr/~ehtigt.

Wir stehen somit vor einem vollkommen ungel6sten Problem. Bis hierher ist anscheinend nur negative Arbeit geleistet worden; trotzdem k6nnen die als falseh erkannten Theorien ,,per exelusionem" den rich- t igen Weg zur I~Ssnng weisen.

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Die binanralen Theorien s ind ;nicht nur vSllig lmgenfigend, da sie: yon vornherein schon niemals den ganzen Komplex des Richtnngs- hSrens erkl~ren kSnnen (Unterscheidung zwischen oben nnd nnten!) , ihre physikalischen MSgliehkeiten sind durch die bestehenden Theorien erschSpft und diese als falseh erkanr~t worden. Sie sind daher in ihrer Gesamtheit abzulehnen. Geht man yore einzelnen Ohr ans, so mug man die Schnecke als lgichtnngsorgan anssch]iel~en, da sie durch die Aus- richtung der Schal]wellen ans einfachen physikalischen ~berlegungen dazu nicht in Frage kommt. Zusatzfunktionen ffir die Lokalisation heranzuziehen, ist aus den oben angeffihrten Grfinden unlogisch. Die Schallwe]len mfissen einen Reiz setzen, der unmittelbar die Richtung ableiten ]~il~t; dies ist aber bereits eine bewu~te oder unbewu~te HSr- funktion, die Umwege fiber andere Organe unnStig macht.

Die einzig fibrigbleibende MSg]ichkeit ist somit die alte Bogengangs- theorie, die dem Bogengangsapparat eine direkte HSrfunktion zubilligt ! Sehr viele Autoren erkennen dem Bogengangssystem eine solche nn- mittelbare HSrfunktion zu, meist im Sinne einer Ger~uschperzeption, doch sind die Formuliernngen der Ansichten fiber reine Vermutnngen kaum hinausgekommen: DENKER, DEETJElV, PIPER, PARKER, LUCAE, HELMHOLTZ~ I-IE:NSET~ 11. V. a.

Dieser Sch]uB wirft das Problem auf, welche physikalischen MSglich- keiten ffir die Sinneszellen in den Bogengangsampu]len gegeben s]nd, auf Sehallreize zu reagieren.

Die Frage, ob die Bogengange auch auf andere als reine Drehreize reagieren kSnnen, ist schon mehrf~ch behandelt worden, allerdings handelte es sich dabei meistens um die Reaktion auf Progressivbewe- gungen nnd Beseh]ennigungen, ffir welche einzelne Autoren die Bogen- ggnge zur Erkl~rung heranziehen. Es ist das grol~e Verdienst TuLLIOS, einen direkten Naehweis yon StrSmungen und Wirbe]bildungen in den Bogeng~ingen erbracht Zu haben, die bei Scha]leinwirknng auftreten und deren Lage, Ausdehnung und Form in unmittelbarer Abh~ingigkeit steht zu der Schwingungsrichtung der Stapesplatte. TuLLIO hat gezeigt, daG die Schal]wellen ira GehSrgang durehaus nicht ausgerichtet werden, sondern ihre urspriingliche Schwingungsebene beibeha]ten, und somit aueh die Stapesplatte in ganz verschiedener Richtung zu sehwingen vermag.

In Erweiterung dieser Vorstellungen l ~ t sieh nun die Arbeitshypo- these aufstellen, da~ die Schallwe]len je nach ihrer fiber die Stapesplat te weitergegebenen Riehtnng die Fliissigkeit in den Bogengangen in Vi- brationen versetzen, etwa nach Art einer tangential getroffenen Billard: kuge]; es ist klar, daG die Vibration in dem Bogengang am grSftten sein muG, der die SchallstSl~e genau tangential erh~lt, w~ihrend in einem quer zu seiner Ebene getroffenen Bogengang keine longitudinale Fltissig:

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keitsverschiebung stat tf inden kann. Dadurch m~issen dann in den ver- schiedenen-Ampullen an den Sinnesendstellen ganz verschieden starke Reizzust/~nde entstehen, deren Zusammenfassung und Vergleich im Gehirn eine eindeu~ige Richtungsbestfmmung erlauben muB.

Ein Experiment ver~anschaulicht und best/~tigt die theoretischen Annahmen. In einen kleinen Gummiballon mit Gebl/~seansatz (wie er etwa zum Pulververst/~uben benutzt werden kann) werden in gleichem Abstand voneinander 3 seitliche L6cher gestanzt. Zwei dieser LScher werden dureh einen kreisfSrmig gebogenen Gummisehlauch verbunden, in dessen Mitre ein kleines GlasrShrchen zwischengeschaltet ist. Das ganze System wird so mit Wasser geffillt, dab in dem etwas h6her gelagerten Glasr6hrchen eine Luftblase bleibt. In das dritte Loch wird ein'e ebenfalls wassergefiillte Rekordspritze gesteckt. D~n naeh oben zeigenden Gebl/iseansatz des Ballons kann man dnrch einen oben offenen Gummischlauch zu einem Steigrohr verl/~ngern.

Spritzt man nun mit raschem Sto] etwas Wasser so in den Ballon, dab die StoBriehtung gegen eine M/indung des kreisfSrmigen Gummi- schlauehes zielt, so wird die Luftbtase sofort aus dieser Richtung weg- gestoBen; bei Stol]riehtung gegen die andere 1Vi/indung vollfiihrt die Luftbl~se eine umgekerhte Bewegung, bei Zielrichtung genau zwischen

b e i d e lVfiindungsstellen b]eibt sie in Ruhe. Das System kann man gut in Parallele zum Innenohr setzen. Der

Ballon entsprieht dem Vorhofkomplex, dessen zarte membran6se Zwischenw/~nde solche Bewegungen in keiner Weise hindern kSnnen; das kreisfSrmige Gummirohr mit dem Glaszwischenstfick veransehaulicht einen Bogengang, und Spritze und Steigrohr die F1/issigkeitsbewegung, die sieh zwisehen den Fenstern abspielt~ Bei gleieher StoBkraft ist die Bewegung der Luftblase ( ~ der Str6mungsreiz in der Ampulle) abh~ngig yon der l~ichtung des StoBes!

Eine Theorie hat natfirlich nur dann einen Wert, wenn sic mit allen bekannten Tatsachen in Einklang zu bringen ist und diese erkl/iren kann. Es mull somit die n/~chste Aufgabe sein, die Entwicklungs- geschich~e, Anatomie, experimentelle Physiotogie und Pathologie auf ihre ~bereinst immung mit der vorgebraehten Hypothese zu dureh- forsehen.

1. Die Entwicklungsgeschichte bringt eine Reihe wichtiger Hinweise : a) Schon der enge Zusammenhang zwisehen Cochlearis und Vesti-

bularis ist eigentlieh eine Tatsaehe, die durch die bisher behauptete reine Gleiehgewiehtsfunktion des Bogengangssystems nicht erkl/irt werden kann, w/ihrend sie mit der Funktion des Richtungsh6rens eine zwanglose Deutung erf/ihrt.

b) Wie einleitend bemerkt wurde, ist die Sehallokalisation fiir das Lebewesen weir wichtiger als die Schallanalyse; man muB daher er-

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warren, dab diese Funktion auch phylogenetisch Liter ist. Tats~chlich ist die Schnecke entwieklungsgeschichtlich das jiingere Organ.

c) Naeh PREYER k5nnen Fische trotz Fehlens der Schnecke nicht nur hSren, sondern auch die Schallrichtung bestimmen.

d) TULLIO bringt fiir seine Theorie, die sich im rein physikalisehen Teil mit der vorgebraehten Ansicht weitgehend deekt, eine Reihe interessanter Beweise aus dem Tierreich: Maulwiirfe, die unter der Erde kaum die MSglichkeit haben, geriehtete Sehallwellen wahrzunehmen, haben ganz schlecht entwickelte Bogeng~nge, NachtvSgel und Hasen, die besonders auf Riehtungsempfindung angewiesen sind, dagegen besonders gute.

2. Geht man dem anatomischen Bau dieses Organes auf den Grnnd, so kommt man zu einer ganz iiberraschenden Feststellung:

a) Das Bogengangssystem ist fiir die ihm zugeschriebene Funktion der Perzeption einfaeher Drehungen physikalisch denkbar sehleeht ge- eignet! Naeh einfaehen physikalischen Gesetzen w~re die MSglichkeit ffir Sinneszellen, auf Drehreize zu reagieren, in einem gr5Beren kugeligen Hohlraum welt besser gegeben. Die Geschwindigkeit des VorbeistrSmens der Fliissigkeit an den Sinneszellen bei der Drehung ist abh~ngig vom Durehmesser des sieh drehenden Hohlraumes und bei einem so kleinen Organ, wie es das Bogengangssystem darstellt, natiirlieh ziemlieh gering. Platzmangel im Sch~del ist kein Grund zm" Erkl~rung des kleinen Aus- ma~eS, da in Warzenfortsatz, NebenhShlen usw. geniigend Raum zur Verffigung w~ire. Au~erdem w~ire in einer I-Iohlkugel die geringste l~eibung vorhanden und damit die exakteste ReaktionsmSglichkeit, w~hrend die eapillaren R~ume der Bogeng~nge eine gro]e Reibung aufweisen, so da~ die StrSmungsmSglichkeit in den Bogeng~ngen viel- fach iiberhaupt sehon bezweifelt wurde.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, auf die Ansieht WER~ERS yon der Bedeutungslosigkeit der Bogeng~nge fiir die StrSmungsvorg~inge im Labyrinth bei Kopfdrehungen einzugehen. W~R~]~s Ansicht geht dahin, dab in den Ampullen auch ohne ~itwirkung der Bogeng~tnge bei Kopfdrehungen StrSmungen auftreten und aus physikalischen Griinden sogar unvermeidbar sind, da die Ampullen einen zehnfaeh grSferen Quersehnitt haben als die Bogeng~nge und in diesen dureh die capi]laren Verh~iltnisse die Reibung viel starker wirksam wird als in den Ampul]en. WER~]~ nimmt daher an, dab die Endolymph- bewegung primer in den Ampul]en entstehe und erst sekund~r auf die Bogeng~inge fibertragen werde. Die: Bogeng~inge sollen zum Ausweichen der Endolymphe dienen und durch die grSBere Reibung zur D~mpfung der StrSmung. Ein Beweis daFtir sei die Tatsache, daft da.s Maximum der Drehauswirkung nicht mit der Optimumstellung des Bogenganges iibereinstimme.

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Es ist eine unleugbare physikalische Tatsache, dab in jedem flfissig- keitsgeffillten HohlkSrper bei Drehung dutch die Tr~gheit der Fliissig- keit eine ,,relative" StrSmung entstehen muD; das Ausma~ der Str6- mungsgesehwindigkeit an der Wand des HohlkSrpers ist auBer yon der Drehgeschwindigkeit noch abh~ngig vom l~adius des Hoh]kSrpers und wird andererseits durch die Reibung zwischen Fliissigkeit und Wand herabgesetzt. Selbstverstgndlich mul~ daher in den Ampullen auch dann eine StrSmung auftreten, wenn kein Bogengang angeschlossen ist oder dieser in Pessimumstellung steht, und W ~ E R s Ansicht ist in diesem Punkt unbedingt beizupflichten. Durch den Anschlui~ des Bogenganges wird der Radius des gedrehten Systems zwar vergrSl~ert, trotz vielfach grSl~erem Radius kann es aber nur zu einer geringen Verstgrkung der StrSmung kommen, da die capillaren W~nde des angeschlossenen Zusatzsystems die Str5mung wieder stark bremsen.

Es ist nun fiir die folgenden Uber]egungen nicht yon Bedeutung, ob durch die Bogenggnge bei Optimumstellung tats~chlich eine wesentliche oder nur eine geringe Beschleunigung der Endolymphbewegung in den Ampullen erfolgt; wichtig ist nur die Feststel]ung, dal~ bei jeder Kopf- drehung in allen 3 Ampullen beider Ohren StrSmungen auftreten, die sich je nach Drehrichtung dutch ihr AusmaB voneinander unterscheiden. ES handelt sich also bier um einen komplizierten Vergleichsvorgang zwischen stgrker und schw~cher gereizten Zellgruppen bei jeder Drehung. Damit hat dieses komplizierte System aber einer einfachen Hohlkugel gegenfiber nicht einen einzigen Vorteil mehr voraus, da bei einer mit Sinneszellen ausgekleideten ttohlkugel die Drehung auch eine Zellgruppe am jeweiligen',,Aquator" besonders stark und die an den Po]en gelegenen Zel]en nicht erregen wfirde.

~ r e das Bogengangssystem nun einzig und al]ein zur Perzel)tion yon Drehungen gebaut, so h~tte die N~tur mit diesem aul~erordentlieh komplizierten Apparat ein schlechteres Ergebnis erreicht als bei ein- facher VergrSl~erung einer einzelnen Ampulle. ]~s ist ein Grundgesetz der Natur, das nirgendwo durchbrochen ist, dal~ niema]s einfache Sy- sterne kompliziert werden, ohne dal~ damit ein bestimmter Zweck ver- folgt wiirde. Die Existenz und Bauart der Bogenggnge verlangt daher zwingend eine andere Erk]~rung als die der einfachen Registrierung yon Kopfbewegungen !

b) Es ist welter anffallend, dal~ die Bogeng~nge und Schneckenskalen Dimensionen aufweisen, die sich gar nicht wesentlieh voneinander unter- scheiden, was sowohl ffir den Qnerschnitt, als auch fiir die Lgnge dieser f!iissigkeitsgefiillten Rohre gilt. Anch dieser Umstand spricht dafiir, dal~ sie Empfangsstellen fiir den gleichen physikalischen Vorgang darstellen.

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c) Eine weitere Tatsache, die bisher weder beachtet noch erkNirt worden ist, ist die Schrggstellung tier ovalen Fenster und der Bogen- gangsapparate beider Seiten zueinander, die auch dutch die vorgebrachte Richtungstheorie eine zwanglose Erkliirung findet: Dadnreh ist bei jeder Schallrichtung immer ein ova]es Fenster bzw. ein Bogengang in anng- hernd optimaler Stetlung ffir den Sehallempfang. Dieser Umstand bildet auch ein weiteres Moment zur Erklgrung des beSseren RichtungshSrens mit beiden Ohren und kommt zur einfachen l~eizsummation yon rechts und ]inks noch hinzu.

d) Auch die Ste]lung der Tromme]felle kSnnte eine plausible Er- kli~rung l inden: Ihre Schrggstellung ist derart, dab das Pessimum des Schal]empfanges ffir beide Ohren (Sehwingung parallel zur Flgche) gerade etwa in der eigenen Kehlkopfgegend gelegen ist; dadurch kSnnte eine fJbertSnung bzw. L~rmsehgdigung durch die eigene Stimme ver- hindert werden. Man braueht sich nur z. B. das Bellen eines Hundes 10 cm vor dem eigenen Ohr vorzustellen, um die Wichtigkeit einer solehen Schutzmal~nahme zu erkennen. Die flache Trichterform des Tromme]felles gewghrleistet es anderseits, dal~ die Membran auf Schal] aus jeder Richtung ansprechen kann, da niemals die ganze ~embran vollkommen parallel zur Schal]richtung stehen kann and somit wenig- stens mit einem Tell immer in Schwingungen geraten mul~.

3. Um sehlieBlich Beweise ffir die i~ichtigkeit der Theorie a~s der menschlichen PhysioIogie zu erhalten, ist es nStig, mSglichst v ide ex- perimentelle Daten fiber das RichtungshSren zu sammeln und sie dann mit den theoretischen Forderungen zu vergleiche n. Seltsamerweise finden sieh trotz vieler ~nd genauer Arbeiten auf diesem Gebiet nut wenige verstreute Angaben, die fiber einfache quantitative Versuche bei Mensch und Tier hinausgehen, wghrend die meisten zur Stfitzung der versehiedenen Theorien herangezogenen Experimente ausgesprochen unphysiologische Gr~mdbedingungen vora~ssetzen.

a) Eine der einfaehsten, , ,primitivsten" Tatsaehen ist das nnleugbar bessere l~ichtungsh5ren mit beiden gegenfiber dem mit einem Ohr. Aber gerade hier bringt das Experiment eine interessante Feststellung: Die Differenzen in der Genanigkeit tier t~iehtungsbestimmnng zeigen sich nicht nur in der Horizontalen, sondern - - vielleicht etwas weniger dentlich, aber immerhin sieher feststellbar - - , aneh in der Vertika]en, wo ein binaura.ler Mechanismns fiir das Richtungsh5ren tiberhaupt nicht in Frage kommt. Riehtnngsangabefehler in der Vertikalen bei Verschlul~ eines Ohres werden bei Abheben des verschliel~enden Fingers sofort und immer richtig korrigiert, die Fehler dabei meist betrgchtlieh ver- ringert. Das binanrale bessere Riehtungsh5ren erweist sich also im wesentlichen als ein einfacher Summationseffekt, wie :man etwa aneh

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312 MAX KRAUS :

in der D~mmerung mit beiden Augen deutlicher sieht als mit einem allein. Damit f/illt aber auch das I-Iauptargument S~mtlicher binauraler Theorien.

b) DaB die Lokalisation in der N/the tier Medianen besser ist als weit seitlich oder riickwi~rts (WILsKA u. a.), l~l~t sich mit einer ,, Schali- bildtheorie" ebenfalls einfach erklaren, da ohne weiteres die Unter- scheidung derjenigen Schallbilder im Zentrum besser differenziert sein kann, die ffir den Bedarf des Lebewesens wichtig stud.

c) In manchen Arbeiten finder Sich auch vermerkt, dab die Loka- lisation yon Ger~uschen besser ist als die yon einfachen TSnen; TULLIO erw/ihnt dies als Argument gegen die Phasentheorie. Man kSnnte sieh nun vorstellen, dag TSne oder Kl~nge an den Sinnesendstellen in den Ampullen Schwingungsvorg~nge ~hnlich den CELAD~Ysehen Klang- figuren hervorrufen, wobei also gewisse Zellen st~ndig, andere gar nicht gereizt wfirden. Ger~usche mfil~ten dann ganz unregelmi~gig die gauze Fl/iehe des Sinnesorganes reizen. Im ersten Fall wiirden einige Zellen durch den st~ndigen Reiz rasch ermfiden, die anderen gar nicht gereizt sein, w~hrend beim Ger/iusch eine unregelmi~gige und daher viel wirk- samere l~eizung si~mtlicher Zellen anzunehmen w/ire. Das Ger/iusch mug daher bet gleicher objektiver LautstKrke die ausgiebigere Wirkung auf ein nach solchen Prinzipien arbeitendes Organ ausfiben.

d--e) Die gleiche Erkl~rung finden 2 weitere, in der Literatur nicht erw/s Tatsachen: Dag laute TSne besser als leise lokalisiert werden und bewegte Schallquellen besser als ruhende. Auch hier ist die Ver- deutlichung d e s ,,Schallbildes", des Reizzustandes in den Ampullen, aufdie Steigerung der Intensit/~t bzw. VergrSgerung der gereizten Sinnes- epithelfI~chen zurfiekzufiihren, wobei bei der wandernden Sehallquelle noch der Fortfall der Ermfidungserscheinungen einzelner Zellgruppen zus~tzlich in Betracht kommt.

In diesem Sinne erkl~rt sich auch das Hauptexperiment der Inten- sit~tstheorie, das seinerseits gegen die Zeittheorie spricht : Bet Ger~usch- zuleitung zu beiden Ohren durch Gummischl~uche erfolgt die Laterali- sation nach der Svite des sti~rkeren Reizes. D~s Experiment ist un- physiologisch und kann als Sinnest/iuschung in der oben beschriebenen Art leicht erkliirt werden. (Ein Hilfsfaktor, der zur Erkl~rung noch beitr/igt, soll sp~ter besproehen werden.)

Ebenso erkli~rt sich das ebenfalls unphysiologische Hauptexperiment der Zeittheorie ohne Schwierigkeiten: Zwei rein seitliche Ger~usehe werden so kurz hintereinander gegeben, dag sie nieht mehr voneinander getrennt werden kSnnen, worauf dann Lateralisation nach der Seite des frfiher einsetzenden Ger~usches erfolgt. Auch hier liegt eine Sinnes- t~uschung vor; nachdem die Eindrficke beider Ohren im Zentrum ver- schmolzen werden, ist es verst~ndlieh, dag dasjenige Ger~usch fiber-

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gTber das Erkennen der Schallrichtung. 313

wiegen wird, das vol lkommen unerregte Sinneszellen im Zentrum trifft. Es handelt sieh hier - - nebenbei bemerkt - - um weir grSBere Zeit- differenzen, als sie diese Auffassung bei theoretischer Ableitung ver- langen mu~, was an sich schon ein weiteres Gegenargument gegen diese Hypothese dars te l l t .

D~ es nicht m5glieh ist, so kleine Zeitdjfferenzen (hunderttausendstel S~kunden), wie sie diese Theorie verlangt, experimentell einwandfrei darzustellen, werden d i e E x p e r i m e n t e der Zeittheorie gewShnlich so durchgeffihrt, dab ein und dasselbe Ger~nsch auf versehieden langen Wegen den beiden Ohren zugeleitet wird, sei es nun durch verschieden lange Gummischl~uehe oder durch versehieden weit yon der Ger~usch- quelle aufgestellte Mikrophone (~WILSKA). Bei solchen Versuehsanord- nungen sind aber keineswegs die Zeitdifferenzen ma~gebend, sondern nur Intensits was aus den folgenden (~berlegungen hervor- geht: Steht ein 1Kikrophon beispielsweise 1 m,. das andere 1,20 m weir yon der Geri~uschquelle entfernt, so verhalten sich die ankommenden Sehallintensit~ten infolge der Abnahme mit dem Quadrat der Entfer- nung wie l : 1/1,44 oder nahezu wie 3 : 2.

Wenn im geschlossenen R a u m dieses einfaehe Gesetz vielleicht auch nicht volle Geltung hat, so ist es doeh ohne weiteres ersichtlich, daI3 durch solche Versuehsanordnungen recht betr~chtliche Schallintensit~ts- differenzen erzeugt werden, deren Perzeption welt eher im Bereieh der physiologischen Fi~higkeiten des Nervensystems gelegen ist, als die hypo- thetischen Zeitmessungen yon hundert tausendstel Sekunden.

Armiert man ein einfaehes Ste thoskop 'mi t 2 Gummischli~uchen, die um 21 em an L~nge differieren, so erscheint ein an der Membran des Stethoskops erzeugtes Ger~useh nach der Seite des kiirzeren Gummi- sch]auches (z. B. nach reehts) verlagert. Drfickt man nun den linken Gummischlauch ab, so wandert das Ger~usch noch viel s tarker seitlich rechts, obwoh] nach der Zeittheorie bei einer Wegdffferenz yon 21 cm sehon das Maximum an Seitenverlagerung auftreten mfiBte. Driickt man umgekehrt den rechten, kiirzeren Gummischlauch langsam zu- san]men, so wandert das Geriiusch fiber die Mitte langsam nach links. W~re der Richtungsmechanismus rein auf Messung von Zeitunter- schieden eingestetlt, so k5nnte er durch blol3e Intensjt~tsunterschiede, wie sie bei dieser Versuchsanordnung erzeugt werden, nicht in diesem Ma~ beeinfluBt werden. Abgesehen davon w~ren bei Annahme zweier Faktoren doch eher Doppellokalisationen nach Art von Doppelbildern zu erwarten und nicht einegegenseitige Korrektur der beiden Richtungs- mechanismen, wobei das subjektive Resultat dann keinem der beiden physikalischen Faktoren mehr entspricht. Die angebliche Zeitkompo- nente dieses Versuches mul~ daher ebenfalls als reiner Intensit~ts- untersehied aufgefai~t werden, was das Versuchsergebnis sofort erkli~rt.

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Die Experimente der Zeittheorie sind daher als Modifikationen zum Nachweis der Perzeption yon Intensit~tsunterschieden aufzufassen, welchem Vorgang eine gewisse bescheidene Rolle als Hilfsmechanismus znkommt, wie spate~ noch zu erSrtern sein ~vird. Experimente dieser Art fiihren blol~ zur Vort~uschung einer Scha]]richtung und haben mit tatsach]ichem RichtnngshSren nichts zu tun. SinnestKuschungen dieser Art lassen sich viele erreichen. Werden z. B. in einem Stereoskop zwei korrespondierende F1Kchen schwarz und weil~ gehaltens so kommt die Empfindung des Glanzes zustande. Es w~re nun durchaus falsch, diesen Mechanismus als die grnnds~tzliche Erkl~rnng der Glanzwirknng an- zunehmen und der beste Gegenbeweis die Tatsache, dab die normale Empfindung des Glanzes auch bei ein~ugigem Sehen zus~ar~de kommt.

4. An die physio]ogischen Versuchsergebnisse sch]iel~en sich patho- logische F~lle an, die die vorgebrachte Theorie welter stiitzen und best~tigen.

a) Das Ansprechen des Bogengangsapparates auf Schall erkl~rt das Auftreten yon Vestibularissch~digungen bei chronischem L~rmtranma,. wie sie THIELEMANN nachgewiesen hat.

b) A~ch V. B]~K]~SY erw~hnt, dab starke akustische Reize Gleicb gewichtsst5rungen auslSsen.

c) Bei einem Kranken mit Labyrinthfiste] trat bei Tongebnng Vorbeizeigen auf (Qwx).

d) G]sRLI~Gs beschreibt einen vestibul~ren Nystagmus bei einer Patientin, tier bei akustischem Reiz: nnd zwar beim Aussprechen des Buchstabens ,,N" auftrat.

e) U~BA~TSC~ITSC~ beobachtete bei einem Kranken einen Nystag- mus, der nnr bei bestimmten TSnen auftrat.

Wghrend diese F~lle nur das Ansprechen des Bogenganges auf Schallreiz beweisen, bringen die fo]gendenBeobachtnngen einen direkten Hinweis auf die Richtungsfunktion dieses Organes:

f) E. ROTg beschrieb einen Fall yon beiderseitiger akuter Otitis, bei welchem das rechte Labyrinth nnerregbar wurde und mit dem rechten Ohr trotz erhaltener HSrfnnktion keine Schallokalisation mehr mSg]ich Wt~I ~.

g) CASELLA findet eine akustische Desorientierung nach Labyrinth- reizung.

h) Von 4 Patienten Gt~TTIC~S mit gesch~digtem Vestibularis und erhaltenem Cochlearis versagten alle mehr oder weniger bei der l~ich~ tungsbestimmung.

Dal~ solche Angaben in der Literatur nicht hgufiger sind, ist nicht welter verwunderlich, da ein isolierter peripherer Ansfall des Vesti- bularis zn den grSBten Seltenheiten gehSrt. Aus zent, ralen Ursachen

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Ober das Erkennen der SchalMchtung. 315

ausgesehaltete Labyrinthe (etwa naeh Tumoren oder dureh Strepto- myeinbehandlung usw.) k6nnen fiir diese Versuehe nicht herangezogen werden, da die Funktion des Riehtungsh6rens dabei ohne weiteres erhalten geblieben sein kann.

i) ~N~aeh 1V[UNICH, KREIDL, GATSIJttER U. a. k6nnen einseitig Taube noeh iiberrasehend gut lokalisieren.

j) Bei manehen Taubstummen finder man eine ,,Vibrationsempfin- dung", auf welehe es oft zuriickgeftihrt wird, dab solche 1V[enschen sich bei H~ndeklatsehen, Sehritten usw. hinter ihrem Riieken umdrehen. Es ist aber auffallend, dab dies fast immer nach der riehtigen Richtung geschieht, die Drehung erfolgt bei Geriiuschen rechts riickw~trts immer naeh reehts und umgekehrt. Dureh die einfaehe Perzeption einer ,,Vibra- t ion" der Luft, des Bodens usw. ist dies nicht zu erkl/~ren, da eine solche ja nicht riehtungsbestimmt sein kann. Vielleicht handelt es sieh hier um ein ,,l%estgehSr" des Bogengangsapparates, das auBer der Richtung keine weiteren Sehallqualit~ten vermittelt.

5. Zur vollstandigen Verifizierung der Bogengangstheorie des Rich- tungsh6rens fehlt nur noch die Erkl~rung, wie es m6glich ist, gleichzeitig 2 verschiedene T5ne aus verschiedenen Richtungen richtig zu lokalisieren. Dag die feinere Sehallanalyse nur durch die Sehneeke erfolgen kann, steht auBer Zweifel. Die wesentlieh einfaeher gebauten Sinnesendstellen in den Ampullen kSnnen nieht die gleiehen Funktionen und F~higkeiten haben. TonhShenuntersehiede kSnnten hier rein theoretiseh nur dureh die Entstehung untersehiedlieher Sehallbilder erfaBt werden und diese k6nnten sich wohl nur bei gr6geren Intervallen genfigend ~tndern. Man kann dem Bogengang als HSrfunktion neben der giehtungsperzeption im wesentliehen nur die Erkennung der Tonintensitiit zusehreiben. Offenbar versehmelzen diese getrennt perzipierten Tonqualit~ten (Riehtung, H6he und Intensit~t) im Gehirn zu einer einzigen Wahr- nehmung. Dabei kann es dann nur so sein, dab die Intensit~t das Binde- glied darstellt: Kommt z. B. der st~trkere und zugleieh tiefere Ton yon links her, so verbindet sieh im Bogengang mit der st~rkeren Inten- sitar die Riehtung ,,links", in der Sehnecke die Qualitiit ,,tier" und im Zentrum wird dann durch Versehmelzung der beiden Empfindungen der tiefere Ton riehtig nach links lokalisiert.

Aueh fiir diese theoretisehe Fordernng lgBt sieh ein experimenteller Beweis erbringen, ein riehtiges ,,experimentum crueis", dessen Ergebnis mit keiner anderen Theorie auch nur ann~hernd gedeutet werden kSnnte.

H~lt man 2 Stimmgabeln yon etwas versehiedener Abklingdauer und I{She (etw~ % und %) naeh dem Anschlag derart seitlich vor ein Ohr, dab die eine Gabel welter vorne, die andere riiekw/~rts gelegen ist, und beide mit dem Ohr ein gleichseitiges Dreieck von z. B. 20 cm Seitenl~nge einsehliegen, so wird im Verlaufe des Abklingens bei zu-

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nehmender Angleichung der Tonintensitaten die Lokalisation der ein- zelnen Gabel immer schwieriger, w~hrend die Differenzierung der beiden TSne in keiner Weise leidet. Verfolgt man nun das Abklingen sehr aufmerksam, so kommt bald ein Moment, wo man tatsgehlieh nicht mehr genau sagen kann, woher jetzt der h6here und woher der tiefere Ton kommt. Wechselt man in diesem Angenb]iek ruckartig dureh 13berkrenzen der H~nde die Positionen beider Gabeln, so bleibt die Sinnesempfindung vol lkommen g]eieh, die Gabeln scheinen ihren Standoff beibehalten zu haben. Erst wenn durch verschiedenes Ab- klingen der eine Ton wieder leiser wird als der andere, kann man die Riehtung jedes einzelnen Tones wieder genau erkennen.

Der Versueh l~l~t sich noeh exakter mit Hilfe zweier Otaudione durchfiihren, die man in einiger Entfernung voneinander mit einem kleinen Tonintervall einstellt (z. B. Terz, %--%). Stellt man sich dann so dazu auf, dab man mit beiden Apparaten ein Dreieck einsehliel~t, so kann man bei IntensitAtsgleichheit auch nicht mehr sicher angeben, yon welcher Seite der hShere Ton kommt. Wichtig ist es dabei, ein Ohr zu verschlie~en, da sonst fiir jedes einze]ne Ohr die Intensit~tten der beiden T6ne versehieden w~tren, weiter mul~ man den Kopf vol lkommen ruhig halten und bei den dargebotenen TSnen diirfen keine Neben- ger~usche und Intensi t~tsschwankungen vorkommen, da alle diese Nebenumst~nde sonst die Lokalisation ermSglichen kSnnten. W~hlt man das Tonintervall grS~er, so wird die Loka]isationsmSglichkeit sehon leichter; ganz deutlich merkt man abet die Besserung der Richtungs- erkennung, wenn man einen der beiden TSne des Zweiklangs wesent]ich verst~rkt oder abschw~cht; in diesem Augenbliek besteht kein Zweifel mehr fiber die Richtung, aus weleher ]eder ein~elne Ton kommt .

I)iese beiden Experimente weisen nach, dal~ die Richtungserkennung zweier verschieden lokalisierter Scha]lquellen um so schlechter ist, je ~hnlicher ihre Tonquali taten und vor allem Intensi t~ten sind. I)ieses F a k t n m ist nicht nur eine theoretisehe l~orderung der Bogengangstheorie, die d a m i t eine weitere Stiitze erhalten hat, sondern eine Tatsache, die durch keine der bestehenden Richtungstheorien aueh nu r andentungs- weise erkl~,rt werden kSnnte.

Wenn mit der dargelegten Theorie bewiesen wurde, dal~ das ~ieh- tungshSren eine monaurale Leistung darstellt, so mu$ man t rotzdem noeh gewisse Hilfsmechanismen anerkennen. Als solche kSnnen Laut- st~rkendifferenzen zwischen beiden Ohren gelten, wie das die t t aup t - experimente der Intensit~tstheorie darzulegen versuchen. Dal~ diesem Hilfsmechanismus keine entscheidende Bedeutung z~kommen kann, warde schon eingehend erSrtert.

Dieser Hilfsmechanismus besteht aber nicht nur ffir alas binaurale ftSren, sondern auch fiir alas einohrige! Jedes Obr hat eine bes t immte

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beste tt6rrichtnng, die etwa nach vorne--auBen oben geht. tIunde z. B. halten beim Lauschen ihren Kopf schief, trotz Verschlechterung des HSreffektes ffir das abgewendete Ohr ist die Gesamth5rschgrfe dnrch die Optimumstellung eine gr61~ere. Dttreh Kopfbewegungen und Ein- stellnng des Ohres in die optimale Empfangsriehtnng kann dieser Me- chanismus anch fiir ein Ohr allein zur grleichternng der Richtnngs- bestimmnng beitragen. Experimentell lgl~t er sich nach Art der Ver- suche der Intensitgts- und Zeittheorie darstellen, we der Hauptmecha- nismus des Bogengangsapparates in nnphysiologischer Weise zwriick- gedrgngt wird. DaB er im iibrigen nieht der ausschliel31ich wirksame ist, geht aus der nicht allzn groften Deutlichkeit des Richtungsoptimums fiir das einzelne Ohr hervor und aus der einfachen Tatsache der l~ich- tungserkennung innerhalb der Sagittalebene, dem wirksamsten Argu- ment gegen sgmtliche binauralen Theorien.

Es lgl~t sich abschliel~end feststellen, dal~ die vorgebrachte Theorie des RichtungshSrens alle Erklgrnngsschwierigkeiten sgmtlicher bisher geltender Theorien vermeidet und imstande ist, eine Fiille yon bisher unerklgrt gebliebenen Tatsachen aus Entwicklnngsgeschiehte, Anatomie, Physiologie, Pathologie und Experiment zwanglos zu erklgren. Das Bogengangssystem ist als reines Richtlmgsorgan, das ,,raumakustische" Organ der alien Ohrphysiologen aufzufassen, das naeh seiner Ba~art in erster Linie zur Sehallriehtungserkennung bestimmt ist. Alle iibrigen Funktionen, die ibm noch zugesehrieben werden, wie seine Bedeutung f'tir die Gleiehgewichtsempfindungen uncl die damit zusammenhgngenden I~eflexe, treten dieser lebenswiehtigen Funktion gegeniiber in den Hintergrund.

Der Hauptgrund, weshalb diese-alte Bogengangstheorie in Vergessen- heir geraten ist, diirfte in der {Jberwertung der Augenref]exe nnd Gleich- gewichtsfunktionen des Innenohres zu snehen sein, die dureh die epoche- maehende Entdeekung des labyrinthgren Nystagmus hervorgerufen wurde. Es ist begreifHeh , dab naeh Feststellnng und Analyse dieser Vorgiinge den Theoretikern kein Platz mehr fiir eine reine HSrfnnktion in den Bogenggngen zu bleiben sehien. Gerade in der Wissensehaft ist es jedoeh n6tig, dab gefiihlsmgl~ige Uberbewertungen dureh logisehe SehluBfolgerungen wieder ausgeglichen werden.

Zusammen/assung. Obwohl die Richtungserkennnng eine der wiehtigsten Teilfunktionen

des HSrens durstel]t, war es bis hente noch nicht m5glich, eine allen T~tsaehen gerecht werdende Erklgrnng fiir dieses Phiinomen zn linden. Es werden die Hauptargumente gegen die bestehenden Theorien des RichtnngshSrens angefiihrt nnd dsreh eine Reihe neuer Argumente erg/inzt, die zur restlosen Ablehnung aller bin~uralen sowie auch der

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sogen~nnten ,,nichtakustischen, Theorien ffihren miissen. Ein Unter- wasserexperiment beweist die vSllige Unh~ltbarkeit der heute noch yon vielen Autoren angenommenen Zeittheorie und macht gleichzeitig die Kombination mehrerer :Theorien des l~ichtungshSrens unmSglich.

Die 2'eststellung, daft Iceine der bestehenden Theorien Geltung haben kann, zwingt beinahe zur Annahme, daft nut der Bogengangsap~arat mit einer nnmittelbaren H6rfunktion das RichtungshSren erlcli~ren lcann. Die theoretischen physikalischen M6glichkeiten dazu sind durehaus gegeben. Es wird angenommen, daft in den vom Sehall tangential getro]]enen Bogen- ggngen Vibrationen entstehen, wiihrend bei radiii,rer Sto]3richtu~g diese kleinsten StrSmungen im betreHenden Bogengang ausbleiben. Somit ent- steht je naeh der Sehallriehtung ein verschiedener Reizzustand der Sinnes- endstellen in den 3 Bogengangsampullen ~eder Seite, eine Art Riehtungs- Schallbild.

Die MSglichkeit derartiger yon der Stol3richtung abh~ngiger StrS- mungen zeigt sehon ein einf~eher ~odellversnch im groben.

Die vorliegende Theorie wird a~ls dem Bereich der Entwicklungs~ geschichte durch folgende ~omente gestiitzt:

Dsr enge Zus~mmenhgng zwischen Cochlearis nnd Vestibularis ist dadurch dexltbar, ebenso die phylogenetisch friihere Entwicklung des Bogenganges. Vergleicke a~ch die vor~ns~ehenden Argumente TULLIOS:

Aus der Anatomie : D~s Bogengangssystem ist ffir die ihm zngeschrie- bene Funktion dcr Perzel)tion yon Kopfdrehungen physikalisch schlecht geeignet und unnStig kompliziert gebaut. Die capill~ren Verhgltnisse kindern die StrSmung und auiterdem miissen nach WEI~I~s Argu- mentation wegen des relativ grol~en Quersehnittes der Ampullen bei j~der Kopfdrehung in sgmtlichen Bogengangs~mp~lilen SbrSmnngen auf- treten und nicht nur in der Ampulle des optimgl gelagerten halbzirkel- fSrmigen Kan~ls. Somit ist jede Drehrichtungserkennnng als kompli- zierter Vergleichsvorgang zwischen starker and schwgeher gereizten Sinnesendstellen in den Ampullen ~nzusehen und durch dieses verwickelte System nieht mehr erreicht, als eine einfgche Hohlkugel mit Sinneszellen leisten kSnnte. Die Komplizierung und Weiterentwicklnng eines Or- ganes mit dem Ergebnis einer schlechteren Leistnng wiirde ~ber die Durchbrechung eines wichtigen ~tnrgesetzes bedenten und zwingt d~her zur Ann~hme, da{~ dieser komplizierte Bgn in erster Linie einen anderen Zweck ~ls den der Perzeption yon Kopfdrehungen haben muB.

Die durchaus gleichen Dimensionen yon Bogengang und Sehnecken- skalen sprechen dafiir, daft beide Systeme dem gleichen Reizempfang dienem Die Schr~gstelhlng der beiden Bogengangs~pp~rate zueinander ist durch die ~orliegende Theorie erkl~rbgr: Dadurch ist immer min- destens ein Bogengang in Optimnmstellnng f'ur den Schallrichtnngs- empf~ng. Vielleicht l~Bt sick analog dazu die Schrggstelhmg der Trommel-

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Uber das Erkennen der Scha]lrichtung. 319

felle erkl~ren, wodureh der eigene Keblkopf in Pessimumstellung fiir den Schallempfang kommt, was a]s Sehutzmaftnahme gegen ~dbertSnung aufgefagt werden kann.

Argumente aus der Physiologie: Das bessere giehtungsb.Sren mit beiden Ohren entpuppt sieh bei experimenteller Naeh.priifnng als ein- faeher Summationseffekt, da dieses Ph~nomen aueh in der Vertikalen naehweisbar ist. Die bessere Lokalisation in der N/s der Medianen, yon lauten T6nen nnd yon Ger~usehen ist dureh diese Theorie leieht erkl/irbar. Aueh die Hauptargumente gegen die Intensit/~ts- und die Zeittheorie erfahren ihre Deutung ; die Versuehe der Zeittheorie erweisen sieh bei genauer Analyse als Modifikationen der Intensiti~tsexperimente.

Aus der Pathologie: Von verschiedenen Autoren beobaehtete F~lle yon Augenreaktionen auf rein akustisehe Reize beweisen Str6mungs- vorg/inge im Bogengang beim Sehalh F/~lle yon Ver]ust des giehtungs- hSrens bei isolierter peripherer Bogengangssehgdigung. Erkl/~ru~gs- mSglieb.keit fiir die meist riehtungsbestimmten Vibrationsempfindungen der Taubstummen ?

])as ,,experimentum erueis" bildet sehliel31ieh der Naehweis, daft die naeh der vorgebraehten Theorie zu fordernde Sehwierigkeit, zwei gleieh laute, versehieden hohe T6ne aus versehiedenen Riehtungen riehtig zu lokalisieren, tats/ieb.lieh gegeben ist. Aueh dieses Versueb.s- ergebnis ist dureh keine der bestehenden t%iehtungstheorien zu erkl/iren.

Als Hilfsmeel~.anismus kann in gewissem Grade die Perzeption reiner Intensit/itssehwankungen bei Bewegungen des Kopfes oder der Sehall- quelle anerkannt werden; dies ist abet aueh eine monaurale Leistung, erkl/irbar durch das Perzeptionsoptimum jedes einzelnen Ohres in der Riehtung naeh la tera l - - rome.

Literatur. GUTTICtt: Neurologie des Ohrlabyrinths (1944). - - KI%EIDL-CvATSCIIEtr ttand-

buch der Neurologie des Ohres y o n ALEXAlCl:)EI~-MARBVRQ-BIcuNNER, I. Bd. (1923). - - TULLIO: ])as Ohr und die Entstehang der Sprache und Schrift, ~bersetzung bei Urban 9. Sehwarzenberg (1929).

In diesen drei Werken sind weitere Literaturangaben fiber dieses Thema zu linden und alle erw~hnten Autoren zitiert. Im besonderen wurde noch zu Azlgaben aus den Arbeiten folgender Autoren Stellung genommen:

GILDE~EmTEI~: Probleme und Ergebnisse der neueren Akustik, Z. Iffals- usw. tteilk. 27 (1930). - - ~EIe~: ~ber Probleme des l~Srens, Cibazeitschrift 9. Jg., Nr. 103 (1946). - - SC~EMIZCS~:Y: Die Welt des Schalles. Verlag ,,Das Bergl~ndbueh" (1935). - - W~RZCER: Uber die L~ge and Funktion des ]ateralen Bogenganges usw., Z. I-Ials- usw. Heilk. 39 (1936). - - WILSXA: Untersuehungen fiber das Riehtungs- hSren, ref. im Zbl. t{als- usw. I{eilk. 32 (1939).

Dr. MAx K~A(;s, Graz, Univ.-~Ms-Nasen-Ohren-Klinik.

Arch. Ohr- usw. ]~eilk.u.Z. t ta ls- usw. l te i lk . Bd. 157 (1950). 2 2