Ueber die Entstehung der Eklampsie

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Ueber die Entstehung der Eklampsie. Von Dr. I-Iermann Miiller. Assistenzarz~ im Anhaltischen ~[nfaaterie-Regiment ~o. 93. Die Frage nach dem Ursprung der Eklampsie steht seit mehr als einem ha|ben S~eulum st~;ndig auf der Tagesordnung. Die Versuehe, sie zu 15sen, gingen zuerst aus yon den kli- nisehen Erseheinungen. Welehe derseiben gerade die wiehtigste zu sein sehien~ wurde in Beziehung zur Genese gebraeht~ und fiihrte naturgem~iss zur Lokalisation der Ursaehe in dasjenige Organ, auf welches sie hindeutet~e. Die nahen Beziehungen, welehe man dem Verhalten der Frueht und der Placenta zur Eklampsie erkannte, gaben Veranlassung, aueh diese als Ursprungsort anzusprechen. Mehr theoretisehe Erw';igungen fiihrten sehliesslieh zur Annahme einer eetogenen~ bacteriellen Ursaehe. Keine der vielen Theorien aber, die an diesen Punkten an- kniipffen, war geniigend und ohne Widersprueh. Es ste[ltc sich ,stets als fehlerha[t und undurchfiihrbar heraus, alle oder auch nur die grosse Mehrzahl der Eklampsief/~lle mit einer Theorie erkl/~ren zu wollen. "1) So kam man auf den Gedanken, dass mSglicherweise die Eklampsie iiberhaupt keine einheitliehe Krankheit, sondern nut ein Symlotomenkomplex , der /~hnliche klinische Ausdruek der versehie- densten Erkrankungen sei. Dieser Gedanke war lediglich eine reflexio e negatione, ein Aus- fluss der Misserfolge, die Eklampsie einheitlich zu begriinden. Das klinische Bild der Eklampsie ist so einheitlieh, wie sonst eines; ebenso ist auch tier Sectionsbefund, wie es neuerdings siehergestellt 1) LShlein, Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 8. S. 542.

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Ueber die Entstehung der Eklampsie.

Von

Dr. I-Iermann Miiller. Assistenzarz~ im Anhaltischen ~[nfaaterie-Regiment ~o. 93.

Die Frage nach dem Ursprung der Eklampsie steht seit mehr als einem ha|ben S~eulum st~;ndig auf der Tagesordnung.

Die Versuehe, sie zu 15sen, gingen zuerst aus yon den kli- nisehen Erseheinungen. Welehe derseiben gerade die wiehtigste zu sein sehien~ wurde in Beziehung zur Genese gebraeht~ und fiihrte naturgem~iss zur Lokalisation der Ursaehe in dasjenige Organ, auf welches sie hindeutet~e. Die nahen Beziehungen, welehe man dem Verhalten der Frueht und der Placenta zur Eklampsie erkannte, gaben Veranlassung, aueh diese als Ursprungsort anzusprechen. Mehr theoretisehe Erw';igungen fiihrten sehliesslieh zur Annahme einer eetogenen~ bacteriellen Ursaehe.

Keine der vielen Theorien aber, die an diesen Punkten an- kniipffen, war geniigend und ohne Widersprueh. Es ste[ltc sich ,stets als fehlerha[t und undurchfiihrbar heraus, alle oder auch nur die grosse Mehrzahl der Eklampsief/~lle mit einer Theorie erkl/~ren zu wollen. "1)

So kam man auf den Gedanken, dass mSglicherweise die Eklampsie iiberhaupt keine einheitliehe Krankheit, sondern nut ein Symlotomenkomplex , der /~hnliche klinische Ausdruek der versehie- densten Erkrankungen sei.

Dieser Gedanke war lediglich eine reflexio e negatione, ein Aus- fluss der Misserfolge, die Eklampsie einheitlich zu begriinden. Das klinische Bild der Eklampsie ist so einheitlieh, wie sonst eines; ebenso ist auch tier Sectionsbefund, wie es neuerdings siehergestellt

1) LShlein, Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 8. S. 542.

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ist~ ein ganz einheitlieherund yon demjenigen/i.hnlieher Krankheits- bilder so verschiedener, dass die einheitliehe Genese der Eklampsie keinem Zweifel unterliegt.

Da die klinisehe Betraehtung nieht zum Ziele fiihrte, da ferner aueh die pathologisehe Anatcomie beziiglieh der Genese nut den mehr allgemeinen Aufsehluss braehte, dass die Eklampsie eine Ver- giftung darstelle, so erwartete man den endgileigen Aufsehluss fiber das Wesen derselben vom Experiment, der ehemisehen Analyse.

Diese Erwartung hat sieh nieht erfiillt, und so befinden wi t uns gegenwiirtig in der Eklampsieforsehung sozusagen wieder auf d era todten Punkt.

In den klinisehen Erseheinungen ist die Eklamlosie sehon lange eine der bestgekanneen Krankheiten, hierzu kam in letzter Zeit die genane Kenntniss des paehologisch-anatomisehen Befundes. So um- fassend aber auch die Kenntnisse sind, die wir fiber die Eklampsie besit~zen, das Wesen~ der Ore und die Art ihrer Entcstehung sind uns noeh vollkommen dunkel. ungel6st 7 wie vet Jahren.

Das Problem ihrer Genese ist noeh

i.

Niere.

An die Entdeokung Leve r s (1843), dass bei Eklampsie k o n - stant Eiweiss im Urin vorkomme, kniipften sieh eine Anzahl Theo- rien, die sgmmtlioh yon dem Gesiehtspunkt ausgingen, dass die Erkrankung der Niere das vornehmste eausale Moment der Eklampsie darstelle.

Indem man die eklamptisehen Erseheinungen denjenigen der Urgmie gleiGhsetzte, fiihlte man sieh bereehtigt, die ffir die Ent- stehung der Urgmie giltigen Theorien zur Eklgrung der Eklampsie herbeizuziehen.

Voraussetzung der Theorien waren demnach:

E r s t e n s : Die Identitgt der eklamptisehen und ur/imischen Convulsionen.

Zwei t ens : Die stets vorhandene Erkrankung der Niere.

Was den ersten Punkt betrifft, so hat man inzwischen dureh genauere Beobaeh~ung der urgmisehen und eklamptisohen Convul- sionen ganz pr/~gnante lJntersehiede herausgeftmden~ die eine ein- faohe Iden/:itizirung beider Ersoheinungen durehaus nieht reehtfertigen. Coma und Convulsionen sind beiden zwar gemeinsam~ aber gra-

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dnell wesentlieh versehieden. Bei Eklampsie flreten die Kr/~mpfe periodiseh auf und kehren in la;ngeren odor kiirzeren Zeitr~iumen wieder; wenn sie erseheinen, befallen sie mit elementarer Gewalt fast die ganze Skelettmusknlatur. Das Bewusstsein kehrt in den Zwisehenpausen wenigstens anfangs in der Regel vollkommen zuriiok.

Bei Urgmie sind die Anf~ille weniger allgemein und zeitlieh weniger abgegrenzt. Bin den ganzen K6rper befallender ur~miseher knfall ist selten. Ist ein soleher, der den ganzen KSrper befiel, voriiber, so kehren a b und zu einzelne Zuekungen wieder, bald in dieser 7 bald in jener Muskelgruppe, selten abet allgemeine Anfglle. 1) Das Bewusstsein bleibt aueh in krampffreien Pausen getriibt, iiberhaupt iiberwiegt bei Ur/~mie das tiefe Coma.

H e r vie u x und B o u r n evil 1 e haben auf einen eharakteristisehen Untersehied im Verhalten der Temperatur aufmerksam gemaeht: ,Wghrend bei Eklampsie regelm/tssig eine Temperatursteigerung stattfindet, welehe mit der Frequenz und Intensitgt der A nfglle zu- nimmt und in dem Maasse sinkt~ Ms die Paroxysmen naehlassen, so finder bei Urgmie gerade alas Umgekehrte start, indem die Tem- peratur sinkt in dem Verhgltnisse, als die Anf//lle zunehmen und wieder steigt, wenn die UrS;mie versehwindet. '~ 2) Nieht zum Wenig- sten ins Gewieht f~illt die bei Eklampsie moist gleiehzeitig odor erst im Verlaufe der Convulsionen eintretende Anurie, wghrend bei Niehtsehwangern selbst naoh mehrt/tgiger Anurie urgmisehe Con- vulsionen hgufig genug ausbleiben, a) Sehliesslieh findet man bei Eklampsie anatomisehe Lgsionen, die bei dnfaeher Ur//mie nieht beobaehtcet werden. Nimmg man nun an, dass Urgmie dureh Re- tention der physiologisehen Bestandtheile des Hams odor ihrer Umsetzungen, eines derselben odor aller, entstehe, so lgsst sieh mit der Aehnliehkeit der klinisehen Erseheinungen, die man tier Urgmie und Eklampsie vindieirt~ eine strikte Beweisfiihrung nieht antreten, denn man miisste gerade erst beweisen 7 class trotz der bestehenden klinisehen Untersehiede ein und dieselbe Ursaehe be- steht.

Aueh die zweite Voraussetzung, ngmlieh die stets vorhandene Erkrankung der Niere, ist inzwisehen vollkommen hinf/fllig ge- worden.

1) Zweifel~ Lehrb. d. Gob. 1895. S. 429. 2) Schauta, Dieses Archly. Bd. XVIII. S. 267. 8) Kaltenbach~ Lehrb. d. Gob. 1893. S. 357.

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C h a r p e n t i e r vermisste in 141, I n g e r s l e w in 106 F/illen Eiweiss im Harne Eklamptiseher; naeh L a n t o s fehlte Albuminurie in 8,7 pCt., naeh S e h a u t a in 14,4 pCt., naeh v. Wincke l in 16 pCt. d er beobaehteten F~ille.1) Desgleichen steht tier Grad und die Aus- dehnung der Nierenaffeetion nach den anatomisehen Untersuehungen yon P r u t z 2) in zum Theil ganz auffallendem Missverh/iltnisse zur Sehwere des einzelnen Falles. Dieser giebt naeh seinen Befunden nur Nr den kleineren Theil der F'iille iiberhaupt die M6gliehkeit zu~ sie auf Nierenver~nderungen zuriiekzufiihren; ~denn", sagt e5 ~in- wiefern diejenigen Ver/inderungen, welche nach den bisher gesammelten Erfahrungen nieht zur tterbeifiihrung der Ur~;mie geniigen, zur Er- zeugung yon Eklampsie ausreiehen sollen, ist durchaus unklar. ~' Stehen somi~ die auf der Nierenerkrankung fussenden Theorien yon vorneherein auf sehr sehwankendem Boden, so ist aueh der Nachweis des speziell verantwortlieh gemaehten Noeens in keiner Weise erbracht. Der yon F r e r i e h s besehuldigte Harnstoff wurde bei Eklampsie in der Regel nieht in grSsserer Menge gefunden, als bei Gesunden, im Gegentheil enthielten nach Volt und S t u m p f s) die Organe an Eklampsie Verstorbener weniger ftarnstoff als ge- w5hnlich, und der Harn Genesender nur soviel, als im absoluten ttungerzustande im Minimum ausgeschieden wird. Ebenso existiren beziiglieh des kohlensauren Ammoniaks, welches im Blute bezw. in den Geweben sich anh~;ufen soll, nur ganz vereinzelte positive Beobaehtungen. Der Naehweis desselben im Bluie is~ erst zwei Autoren in zusammen I F~llen gelungen (Braun und Spiege l - berg) , und S p i e g e l b e r g sagt selbst, dass die Ammoni~mie als eine der seltensten Ursaehen der Convulsionen zu betraehten sei. ~) Die Vermehrung des Harnstoffs bezw. des kohlensauren Ammoniaks, durch deren Retention F r e r i e h s die ek]amptisehen Convulsionen erkl/irt, ist also bei Eklampsie ein ganz exeeptioneller Befund. Diejenigen, welehe mit P l e i s e h e r , C. Braun und S p i e g e l b e r g die Retention s~tmmtlieher dutch die Niere auszuseheidenden Stoffe ansehuldigen, haben den Vortheil, dass man ihnen die Retention bei bestehender Anurie ohne Weiteres glaubt, dass aber diese Stoffe die Eklampsie erzeugen, ist damit nieht bewiesen, vielmehr spreehen

1) Lantos, Dieses Archly. Bd. XXXII. S. 390. 2) Prutz, Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. XXlll. S. 46 u. 47. 3) v. Winckel, Lehrb. d. Geb. 1889. S. 582. 4) Schauta, Dieses Archly. Bd. XVlII. S. 287.

Archly L Gyn~kologie. Bd. ~6. H. 2. 16

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die F/ille mit hochgradiger Nierenerkrankung sonstigen Ursprungs~ die ohne Eklampsie verlaufen, durehaus dagegen, trotzdem hier die Bedingungen zur Retention s/~mmtlieher exerementieller Stoffe in h6herem Grade gegeben sind, als bei den h/~nfig ganz geringen Ver//nderungen bei Eklampsie.

Ganz hypothetisch ist die T r a u b e - M u n k - R o s e n s t e i n ' s e h e Theorio, und S p i e g e l b e r g diirfte wohl Reeht haben, wenner sic als ~ganz in der Luft h//ngend ~' bezeiehnet. Die angenommene hydrgmisohe Besehaffenheit des Blutes Sehwangerer ist ein M~trchen. Die Behanptung cler /~lteren Antoren, dass der Sehwangersehaft ein hydr/imisoher odor ehloroangmiseher .Zustand eigenthSmlieh sei, wurde dureh die experimentellen Studien S p i e g e l b e r g ' s und G s e h e i d l e n ' s an Thieren, sowie dureh die klinisehen Unter- suehungen des menschliohen Blutes (Feh l ing , t le in l , Winke l - mann~ R. Seh rSde r ) hinf/~llig. Ferner ist die Eklampsie in 38 pet. der F/~lle sicher unabh/ingig yon den Wehenl). Drittens ist nieht recht verst/indlieh, wie ErhShung des arteriellen Druckes 0edem des Gehirns herbeifiihren sell2). Sehliesslieh findet man bei der Section ebenso oft Hypergmie wie Angmie des Gehirns. So folgt im Gang der Theorie eine Unwahrseheinliehkeit anf die andere, und wenn man schliesslieh mit einem Herzen yeller Con- cessionen his zum Ziel mit fortgeschritten ist, so finder man noeh nieht einmal, was man sueht, die An/~mie des Gehirns.

Sind nun die oben erw/ihnten Theorien zweifellos unzutreffend, so sind sic naeh dem heutigen Stande unserer Kenntnisse aueh vollkommen unzureiehend 7 da sic die Endursaehe der Eklampsie nieht treffen. Sic gehen yon tier Voraussetzung einer Nieren- erkrankung aus~ ohne sie zu erkl/iren. Nun aber kommt die Nephritis nicht yon ungef/~hr herangeflogen, sondern aueh sic setzt wieder eine Sehgdliehkeit voraus, welche auf den Organismus ein- gewirkt hat. Es ist bekannt, class eine vet der Sehwangersehaft bestehende Nephritis aueh in den hSehsten Graden ihrer Entwick- lung wghrend der Graviditgt durehaus keine auffallende Disposition zur Eklampsie setzt, dass vielmehr eine anatomiseh ganz eigenartige, erst in tier Graviditgt auftretende Erkrankung der Niere in zweifel- losem Zusammenhang mit tier Eklampsie steht: Die Leyden ' sehe Sehwangersehaftsniere. So lange aber deren Entstehung nieht

1) Bidder~ Dieses Archly. Bd. XLIV. S. 172. 2) K~ltenbach~ Lehrb. d. Gebh. S. 357.

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Miill er~ Ueber die Entstehang der Eklampsi~. 239

sicher bekannt ist, so lange fehlt jeder auf der Niercnerkrankung sich aufbauenden Theorie der siehere Boden.

Nervensystem.

Die Convulsionen und das Coma, die sinnf~tlligsten Erschei- nungen der Eklampsie, ]eiteten die Forschnng in das Bereich des Nervensystems. Die bet der Autopsie an Eklampsie verstorbener Frauen zumeis~ gefundene Anb;mie des @ehirns erweekte die Mei- nung, dass diese die Convulsionen erzeuge, die Eklampsie also einer FunctionsstSrung des Gehirns entspreehe, zumal Kussmaul und Tenner den experimentellen Naehweis erbraehten, dass man durch Unterbrechung der arteriellen Biutzufuhr zum @ehirn Con- v-ulsionen erzeugen kSnne. AnS;mie des Pons und der Medulla oblon- gala sollte Conv-ulsionen, solche der GrosshirnhemisphS;ren Coma erzeugen. Da organische Veranderungen nieht gefunden wurden, erklb;r~e man dieso acute An/~mie des Gehirns einfach durch vor- iibergehende Einengung des Blutstroms infolge Krampfes der Gehirn- arterien. Diesen grampf wiederum betraehtete man als einen re- fleetorisehen, d. h. dutch /~ussere Reize ausgel6sten~ entspreehend der Beobaehtung, dass Eklamptisehe in einem Zustand eri~Shter Nervenerregbarkeit sieh befinden, und die Anftille hervorgerufen werden kSnnen dutch /tussere Reize als Wehen, lautes Anrufen, /trztliche Eingriffe. Die Lehre yon der reflektorisehen Entstehung der Eklampsie (Cohnheim, Spiegelberg , SehrSder) basirte also auf der prims Affection des Nerv-ensystems. Da nun aber nieht alle Schwangeren, I;reissenden und WSehnerinnen an Eklam- psie erkranken, trotzdem die angenommenen urs~;ehliehen Reize aueh dort nieht fehlen, so war eine :~Dispbsition ~ anzunehmen, bestehend in erhShter Reflexerregbarkeit bezw. Convulsibilit/it, auf deren Grundlage sonst unsehiidliohe periphere Reize einen unter normalen Verhb;ltnissen ihnen nieht zukommenden ]~influss auf die I(Srperorgane auszuiiben vermSgen. Eine solehe Disposition kSnne angeboren odor erworben sein. Die angeborene Disposition ent- spreche der heredit/~ren Belastung, wie sic die Naehkommen ner- vSser ]~ranker so h~ufig auszeiehnet. Die erworbene Disposition werde entweder bedingt dutch die Sehwangersehaft~ an und fiir sich, dutch welche die in diesem ZusCande befindliehe Frau dis dem Kindesalter eigenthiimliehe erhShte Convulsibilit/it wieder er- lange, oder dureh fehlerhafte Blutmischung (Hydr/~mie etc.), oder sehliesslieh duieh im Blute kreisende Gifte unbekannter Natur.

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Was nun die angeborene Disposition anbetrifft, so ist deren H.aufigkeit bei Eklampsie durch die klinisehen Thatsaehen in keiner Weise erwiesen. u ist es eine ausserordentliehe Seltenheit, dass dis weiblichen Descendenten einer Frau, welche Eklampsie gehabt, ebenfalls daran erkranken; und jene F/~lle, wo eine er- erbte Disposition in der That naehgewiesen ist, sind solche Seleen- hsiten, dass sic um dieser Eigensehaft willsn eine ganz besondere Beachtung in tier Literatur gefunden haben. Die heredit~tre Dis- position halter, weil angeboren~ dem betrsffenden Individunm w~/h- rend des ganzen Lebens an, sic wird mit ihm geboren und geht mit ibm zu Grunde. W~thrend nun ein zu nervOsen Erkrankungen disponirter Nensch~ wenn er yon einer in ihrem Wesen voriiber- gehenden nerv6sen Erseheinung befallen worden war, zu Riick- fgllen ganz ausserordentlich neigt, so finden wir bei Eklampsie gerade das Gegentheil~ dass n~mlieh eine zweite Erkrankung an Eklampsie gnsserst selten ist, dass einmaligss Uebcrstehen der Eklampsie naeh Ansicht maneher Autoren sogar gegen dieselbe immun maeht.

5Ian k6nnte infolgedessen die Eklampsie viel eher ftir eins lnfeetionskrankheit, als fiir eine auf der Grundlage hereditgreq nerv6ser Disposition entstehende Erkrankung halten.

Die Ansieht, dass der Sehwangersehaftszustand an und fiir sich eine erhiihte nerv{Sse Disposition bedinge, hat ihre Bereehti- gung, obwohl es fraglieh ist, class man hier yon einer Disposition schleehtweg reden kann. Das Erbrechen, die Uebelkeit, die Ge- miithsver//nderungen~ die abnormen Geliiste sind eine ganz regel- mgssige Erscheinung der ersten Sehwangersehaftsmonate. Sis m6gen reflektoriseh entstehen dutch den ungewohnten Reiz, den die Ge- bgrmutter dureh die Ansiedelung des Eies nnd ihre Ausdehnung erleidet. Es handelt sich dann aber nm Ursaehe und Wirkung in gleicher Weise, wie bei einer Affection des Magens oder einem Rachenkatarrh~ nieht um eine Disposition, die besonderer Gelegen- heitsursaehen bedarr, um zu einer offenbaren Krankheitserseheinung zu werden. Dass aber eine erh~Sbte Convulsibilitgt, d. i. die Nei- gung, auf gussere geize durch Convulsionen zu antworten~ be- stehe, ist auf Grund der vielfach gemachtcn Wahrnehmung zu be- streiten, dass epileptisehe Frauen wghrend Graviditgt, Geburt und Wochenbctt in auffallender Weise yon Anfgllen verschont bleiben. Thatsaehe ist, dass die Eklampsie der Frau eine puerperale Ver- gnderung tier Genitalien zar Voraussetzung hat, u n d m a n kann mit

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~liiller, Uebor die Entstehung der Eklampsie. 24t

der Annahme einer dutch die Gravidit/tt erworbenen Disposition wohl begreifen, dass gerade die in solehem Zustande befindliehen Frauen vet anderen erkranken, nieht aber, warum diese und jeno Gravida erkrankt, eine andere jedoeh nieht, die der gleiehen Dis- position und den gleiehen auslSsenden Gelegenheitsursaehen unter- liegt. Man kSnnte nun leieht einwerfen, class selbstverst/tndlioh nieht sowohl die Disposition, wio aueh die angeschuldigten Gelegen- heitsursaehen an und ffir sieh fiir die EnLstehung der Eklampsie maass- geblieh sind, sondern vielmehr der Grad, in welehem jeder der nothwendigen Faetoren oder beide vorhanden sind und einwirken. St(itzt man sieh nun auf die Ansehauung, dass die vorhin ge- nannten nerv6sen Erseheinungen der Oravidit/tt als Erbreehen, Nausea, Gemfithsver/tnderungen der Ausdruek einer besonderen nervSsen Disposition sind, so finde ieh, abgesehen yon dem per- nieiSsen Erbreehen Sehwangerer gegen die ~Iitte der Sehwanger- sehaft und den puerperalen Psychosen, welehe erst um die Zeit aufzutreten pflegen, we aueh die Eklampsie eintreten kann, nirgends Beobaehtungen, welehe eine Correspondenz in der St/trke der ner- vSsen Sehwangersehaflssymptome mit der I-I/tufigkei~ der Eklam- psie darthun. Im Gegentheil f/tilt es auf, dass die Eklampsie sehr oft bei Franen auftritt, die in der Sehwangersehaft ausserordent- lieh geringe odor gar keine St6rungen erfahren batten. Was nun den Grad der Gelegenheitsursaehen anbetrifft, so ist es naehge- wiesen, dass Eklampsie ganz ohne Wehen eintreten, wie sie aueh nach der sehwersten Gebnrt ausbleiben kann, dass ferner eine Frau mit einem 8monatliehen Geb/trmutterinhalt an Eklampsie er- kranken kann, w/ihrend trotz des stets waehsenden [nhaltes, we- fern das Kind am Leben geblieben war, 2 Monate sp/tter eine ganz normal% yon keinerlei Stgrungen begleitete Geburt eintreten kann. Es l~isst sieh somit auch ffir die gelegentliehen, mi~ der angenommenen Disposition eine Krankheitserseheinung bildenden /tusseren Ursaehen, eine direete proportionale Beziehung nicht aut- ste[len~ wie man sie naeh der Theorie der reflektorisehen Eklam- psie eigentlich erwarten miisste.

Vermuthet man ferner eine Disposition in der Verw~tsserung des Blutes odor Ueberladung desselben mit seinen physiologisel~en Exerementen, so widersprieht diese Annahme, wie bereits friiher erw/thnt, den thats~iehliehen, in dieser Riehtung negativen Be- funden, und es bleibt von den bestehenden Ansi&ten nur noeh eine iibrig, n/tmlieh die Uebersehwemmung des Blutes mit giftigen

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Substanzen unbekannter Natur und Ursprunges. Aber~ die Rich- tigkeit dieser 3~nnahme vorausgesetzt, bleibt es doch fraglich, ob diese Vergiftung nut eine Disposition darstellt, oder ob sic nicht vielmehr selbst ohne hinzukommende Ileize eklamptische Anf~ille hervorzurufen vermag. Denn~ so wenig es geleugnet werden soll, dass durch ~usserc Einwirkungcn gelegcntlich ein eklamptischer Anfall ausgclgst warden kann~ so steht dem doch die bereits er- w~hnte Thatsache gegeniiber, dass die Anf~ille ohne jeden naeh- weisbaren ~usseren Eindruek entstehen bezw. sich wiederholen k/Snnen. Ausserdem habe ich die Wahrnehmung gemacht, dass nach einem Anfglle ganz br/iske Reize, als Blendung, Geb~irmutter- " spiilung, innere Untersuehung, Extraction mit der Zange, ein- wirken kSnnen~ ohne dass dadureh ein eklamptiseher Anfall aus- gel/Sst wiirde. Erst nach einer gewissen Zeit, je nach der Schwere der Erkrankung, verm/Sgen /~ussere Eindriicke wieder einen Anfall hervorzurufen, einen Anfall, der aller Wahrscheinlichkeit naeh bald yon selbst aufgetreten w~tre.

Es scheint demnach den ~iusscren Einwirkungen lediglich die !golle eines gelegentlichen unterstiitzenden Momentes zuzukommen, das zum Zustandekommen des eklamptischen Anfalles eine con- ditio sine qua non in keiner Weise darstellt, das aber einen bevor- stehenden Anfall besehleunigen oder einem zu spontaner Erscheinung sonst nicht gelangendenden Impuls zum Ausbruch verhelfen kann. In diesem Sinne kSnnte man hSchstens yon einem reflektorischen Anfall, aber n ieh t yon reflektoriseher Eklampsie sehlechtweg spreehen." Somit ist die Auffassung der Eklampsie als Reflexneu- rose zweifellos nicht zutreffend, und zwar um so weniger~ als man aueh hier post mortem das Endergebniss tier Theorie nicht regel- mXssigvorzufinden pflegt, die An/imie des Gehirns. Damit f~llt eine Theorie, die unter den bisherigen die befriedigendste und umfassendste war~ da sic zugleich die Entstehung der Schwanger- sehaftsniere wie der Eklampsie einigermaassen erkl~.r~e und aueh sonst die maneherlei Widerspriiche zu iiberbriieken vermochte, an denen die iibrigen Theorien scheiterten. Allerdings krankt aueh sic an einer ganzen tleihe yon Unwahrscheinliehkeiten, die yon vornherein dieselbe einnehmen. So sollen einerseits die insensiblen Sehwangerschaftswehen, auf der anderen Seite die im Verh/iltniss zu den m~chtigen Geburtsstrapazen unbedeutenden Woehenbetts- wehen Reize darstellen 7 welche Eklampsie reflektoriseh hervor-

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lfiller~ Ueber die Entstehung tier Eklamlosie. 243

zurufen im Stande sind~ wghrend bei einer langdauernden und sehmerzhaften Geburt dieselbe ausbleibt. Und die "con v. Her f f so lebhaft ver~retene Summation der Reize muthet einen im ttin- blick au f d i e Eklampsie im Sp~ttwochenbett ungef/~hr an, wie wenn einem gesagL wfirde: Zur Entzfindung yon Holz muss man 2 ttolzscheite 1000real kr/fftig gegen einander reiben. Hat man die Reibung 999mal vorsehriftsm/~ssig ausgeffihrt, so braueht man am folgenden Morgen nut noeh 1 his 2real zu reiben~ um Feuer zu haben.

Ferner beruht die ganze Theorie nur auf zugegebenen 316g- ]ichkeiten; fiber St~rke und Dauer der Arterienkr~mpfe hat man keine Vorstellung, aueh fehlt bisher jeder klinisehe Erfahrungs- beweis~ dass eine st~rkere, zur vollst~ndiger Blutleere der Organe ffihrende Contraction der Arterien l~;ngere Zeit for~dauert, so lang% dass man eine SeMdigung im Ern~;hrungszustande tier betroffenen Gewebe anzunehmen bereehtigt w~;re. Zugleich fehlt gerade bei den hysterisehen Convulsionen, wo die Nerven sieh dureh ausser- ordentliche functionelle AbnormitS;ten auszuzeichnen pflegen, als fleekweiser tIyper//sthesie mad AMsthesie, abnorme Contractions- und Ersehlaffungszust~tnde der Gef~;sse, die Bewusstlosigkei~, ob- wohl es doeh gerade hier besonders leieh~ zu abnormer Function der Vasoconstrietoren der Gehirnarterien kommen mfisste. Schliess- lieh sieht man bei aeuter Gehirnan/tmie mit Bewusstseinsverlust~ in F~llen, wo zugleich Anomalien der Blutmischung bestehen (Ohn- maehtszust~nde Chlorotiseher), niemals Kr~/mpfe.

So ist die Grundidee der Theorie zum Mindesten eine sehr unsichere~ ja unwahrscheinliche; die klinisehen Erscheinungen miissten demnach in ausserordentlieh frappirender und prS;eiser Weise auf sic hindeuten, um sie zu stfitzen, sie wahrseheinlich zu maehen. Aber auch diese lassen so aussererdent]ich h/~ufig im Stiche, dass sic, statt die Sieherheit zu vermehren~ stets zu neuen Zweifeln anregen.

Hesse und N o t h n a g e l erkliirten die Eklampsie ffir acute Epilepsie. N o t h n a g e l sieht das Wesen tier F~rkrankung in einer VerS;nderung des Centralnervensystems, welehe bei Epilepsie eine dauernde, bei Eklampsie eine voriibergehende sei. Aeussere Er- seheinungen, welehe hinzuk/imen, erzeugten in beiden F/tllen das Krankheitsbild. Verh~ilt sich die Sache nut so, wie N o t h n a g e l meint~ so mfissten bei epileptisehen Frauen, bei denen ja die an-

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244 Miillor, Ueber die btstehung der Eklampsie.

genommeno Ver'anderung des Contralnorvonsystems bestoht, die epileptischen Anf/tlle sieh auffallend vormehren~ sobald dureh die puerperalen gergnderungen des K/Srpers die Gologenheit zum Ein- wirken der 7~'ausseren Erseheinungen ~ gegeben ist. l~s miissten sozusagen epileptisehe Frauen auffallend oft an Eklampsie er- kranken. Nun ist es abet yon jeher aufgefallen, wie wonig dutch don generativen Zustand der Prau die H/iui3gkeit, der epileptisehon Anf~ille beeinflusst wird, ja es wird behauptet, dass in manehen 7P/illen die Goburt oinen gtinstigen Einfluss auf die Epilepsie aus- getibt h/itte, trotzdem doeh gerado unter der Geburt die gussoron Roize am stgrkston auftreten. Ebenso ist es bokannt, dass man ausserordentlioh solten Eklampsie vorfindet bei Frauen, welehe zu- vor an epileptisehen Anf//llen gelitten hatton. Naeh dem Ver- halten der Epileptiker im statu puorperali~ wie naeh der Betheili- gung derselbon an der Frequenz dot Eklampsie zu schliossen, hat man also keine Bereehtigung Epilopsie und Eklamlosio in Zusammon- hang zu bringen.

Zweiffellos ist ja beiden Erkrankungen eino sehr in die Augen fallende Erseheinungsform gemeinsam, n~mlieh die Convulsionen mit Verlust des Bewusstsoins. Auf der anderen Seite bieten sic aber aueh so bedeutendo Versehiedenheiten in ihron Erseheinungen, dass yon oinor Gleiehsetzung dot Epilepsie und Eklampsio keine Rode sein kann. gegen die hoehgradige Erkrankung der Niere mit botr'ae.htlieher Albuminurie, massenhafter Bildung yon Cylindorn und Auftreton yon Oedomen, wie sie bei Eklampsie die Regel ist, ist die gelegentlieho leioh~e Mbuminurie bei Epilopsio kein Aoqui- valour. Desgleiohen ist solbst bei gowaltigen Anfgllen dot Epilep- tiker eine Temperaturerh6hung urn mehr als einige zohntel Grade die Ausnahme, bei gklampsie - - auoh don leiehteren Formen - - die Regol~ so dass auoh hier yon einfaehen graduellen Versohieden- heiten nioht die Redo sein kann. Nanehe haben auoh die den oklamptisehen Anfgllen vorausgohenden subjeotivon StiSrungen, als Kopfweh, Uebelkeit ere., als Aura angesproehen und darin oino neue Unterstiitzung tier Auffassung orbliekt, class Eklampsie und t~pilopsie identisohe Erkrankungen soien. Es handelt sieh abor boi Eklampsie nioht um merkwiirdige St~Srungen eines fernerlie- genden Organs, dessen eigenthiimlioher Zusammenhang mit den Convulsionen den besonderen Namon einer Aura benCSthigt, sondern nm eine St6rung des M!gomeinbofindens, wie sio regelmgssig fiobor- haften Erkrankungen vorauszugoholl pflogt.

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Mfiller, Ueber die EntstehEmg der Eklampsie. 245

lnf01ge dieser wesentliehen Abweiehungen yore klinisehen Bilde der Epilepsie ist die Eklampsie der Epilepsie meines Era&tens ebenso wenig ohne Weiteres gleiehzusetzen als der Ur/imie, mit weleher sie auch manehe Aehnliehkeit in den klinisehen Erseheinungen hat. Einen nennenswerthen Portsehritt in der K@ntniss tier Ent- stehung der Eklampsie wiirde zudem diese Auffassung als Eioitepsie nieht mit sieh bringen, denn iibertragen wit das Dunkel in der Aetiologie tier Epilepsie gar auf die Eklampsie, so wird es start heller, immer dasterer um uns her.

L e b e r .

Im letzten Jahrzehnt war nun auch die Leber berufen in der Aetiologie der Eklampsie eine hervorragende Rolle zu spielen. Ausgehend yon der klinisehen E,'fahrung, dass Eklampsie nieht selten mit Ikterus verlaufe, gestiitzt auf zahlreiche Seetionsbefunde, dutch welche krankhafte Ver~inderungen in der Leber festgestellt wurden: vindieirte man der Lebererkrankung eine /ihnliche Be- deutung bet der Entstehung der Eklampsie, wie man sic friiher der Niere zugesehrieben hatte.

Insbesondere warenes franz6sisehe Autoren: Pinard, Bouffe de St. Blaise, Budin, welche den Entstehungsort der Eklampsie in der Leber suehten. Dieselben glaubten, dass die Erkrankung der Leber deren Ftihigkeit vermindere, die aus dem Darm in den Kreislauf gelangenden, oder sonst durch den Stoffweehsel ent- stehenden giftigen Stoffe in ausreiehendem Maasse unseMdlieh zu maehen, und dass infolgedessen der Organismus eine sehwere All- gemeinvergiftung erleide, welehe zum Ausbrueh eklamptiseher An- t'~lle fiihre.

Bouffe de St. Blaise bezeiehnete die Eklampsie deshalb geradezu als HepatotoxhSmie.

Sehr entschieden nimmt Fehl ing I) Stellung gegen diese Auf- fassung des hepatogenen Ursprunges der l~klampsie, und das zwei- fellos mit P~eeht. An der Hand der Sectionsbefunde yon Jiirgens, Sehmorl, Lubarsch, Prutz , Pels-Leusden~ Winkler und Per roehe t thut er dar, dass keineswegs in allen, sondern nur in einem Theil der F/~lle Leberver~nderungen vorhanden sind. Jeden- fails seien die Leberver/tnderungen viel weniger constant als die-

1) Fehl ing, Die Pathogenese und Behandlung der Eklampsie im Li~hte der heutigen Anschauung. Volkmann's Sammlung klin. Vortrg~ge. No. 248.

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9~46 Mfiller, Ueber die Entstehung der Eklampsie.

jenigen der Nieren, und wenn man wegen der gelegentlich doch fehlenden Erkrankung der Niere, sowie dem Missverh/tltniss zwi- sehen der Schwere der Nierenaffeetion und der Krankheitsersehci- nung kein Recht habe, die Eklampsie direkt auf die I~rkrankung der Niere zuriickzufiihren, so habe man noeh viel weniger das Reehf~ die Leber als Ausgangspunkt der Eklampsie anzuspreehen. Andererseits finder man solehe gergnderungen~ wie sic die Leber betreffen (Nekrobiosen, Embolien, H~morrhagien), aueh in zahl- reiehen anderen Organen der Mutter (Nieren, Gehirn, Riiekenmark~ Lungen~ Darm~ Haut) und des Kindes~ ohne dass die Leber in alien F~llen dutch In- und Extensitgt der anatomischen Ver/tnderungen am meisten ausgezeiehnet w~re. Es is~ in Folge dessen kaum an- g~ngig, die Leber ohne Weiteres herauszugreifen und far die gleieh- geartete und h~ufig gleichausgedehnte Erkrankung der iibrigen Or- gane verantwortlich zu machen, ganz abgesehen devon, class man mit tier Annahme der priln'~ren Lebererkrankung wiederum die Endursache tier Eklampsie nieht einmal getroffen h/ttte, da ja aueh diese ein Noeens voraussetzC. Es ist also die Erkrankung der Leber weder das wesentliche, noeh das primitre Moment in der Genese der Eklampsie.

Uebrige Organe.

Aueh die iibrigen lebenswiehtigen Organe des miitterlichen KSrpers Wurden zum grossen Theil in den Kreis der ttypothesen einbezogen. So legten die Anh~nger der Traube'schen Theorie besonderen Werth auf die Hypertrophic des Herzens, welehe sieh bei allen Sehwangeren infolge der erhShten Arbeitsleistung des gSrpers mehr oder weniger ausbildet; andere sehenkten der Enge des Gef~sssystems (infantiler Typus) besondere Beaehtung, wieder andere der fehlerhaften Misehung des Blutes. Aueh der Nagen- darmeanal wurde nieht vergessen. Namentlieh die Fs yon Eklampsie im Woehenbett, ffir welehe alle gel~tufigen Theorien night passten, warden vielfaeh auf eine dureh Dis oder Ob- sl~ipation bedingte Affection des 5Iagendarmeanals bezogen. Keines dieser Organe aber war der Ausgangspunkt einer selbststiindigen Theorie.

Frucht. Da keine tier zahlreiehen Theorien~ welehe an die Erkrankung

miitterlieher Organe ankniipften, eine fiir alle F~ille ausreiehende Erkl~irung der Genese der Eklampsie ermSgliehte, so daehte Stump f,

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Mfiller~ Uebgr die Entsi~ehung der Eklampsie. 247

nachdem v. Wineke l bereits im Jahre 1865') den prognostiseh giinstigen Einfluss des Fruchttodes auf den Verlauf der Eklampsia gravidarum hervorgehoben hatte, daran, die Ursachen der Eklampsie in tier Frucht zu suehen. Und in der That sehienen eine ganze Reihe yon Erfahrungen die Idee S t u m p f ' s zu best/itigen: Die HS;ufigkeit der Eklampsie bei Zwillings- und Drillingssehwanger- sehaften, die hohe Yfortalit/itsziffer der Fr[ichte eklamptiseher Miitter, der g0nstige Einfluss der Geburt, die Thatsaehe, dass yon Dohrn und S t u m p f todtenstarre Kinder aus Eklamptisehen ex- trahirt wurden, welehe auf vorausgegangene Muskelkr~;mpfe deu-

te te , die Beobaeh~ung ferner, dass nach dem Tode der Frucht in der Sehwangersehaft s~immtliehe Erseheinungen der Eklampsie, aueh die NierenstSrungen zuriickgingen, die Erfahrung schliesslieh, dass die eklamptisehen Kr/impfe, welehe den Tod der Frueht herbeigefiihrt batten, ohne jedoeh die Sehwangersehaft zu un~er- breehen, aueh bei der Geburt nieht wiederkehr~en.

Gesti~tzt auf solehe Thatsaehen, gestiitz( ferner auf den con- stanten Nachweis yon Aeeton im Urin Eklamptischer, nahm S~umpf an, dass vom K/3)Ter des Kindes eine N-freie toxiseh wirkende Substanz (vielleieht Aeeton) auf den KSrper der Mutter iiberginge und Eklampsie erzeugte.

Inzwisehen wurden aber die Grund]agen der S tumpf ' sehen Theorie durch die Beobaehtungen yon Ol shausen , C. Braun , H e n s o l d t ' u n d B r u m m e r s t / / d t ersehiittert, nach denen trotz vorausgegangener Eklampsie die Sehwangersehaff noch mehrere Tage weiterging, und lebende Kinder geboren wurden. F i s c h e r 2) hat einen Fall yon Eklampsie beobaehtet, wo 12 Tage naeh den eklamp~isehen Anf~llen die spontane Geburt eines lebenden Kindes er[olgte. Der Causalnexus zwisehen dem Abs~erben der Frucht und tier Eklampsie ist demnaeh kein so zwingender, WiG S t u m p f angenommen hatte, und zwar um so vcenige% als es aueh Ffille giebt~ wo erst einige Tage naeh dem Abs~erben des Kindes der Ausbrueh der Eklampsie.erfolgte3). Schliesslieh trit~ naeh Bidder~) die Eklampsie in etwa einem Drittel s~mmtlicher Fitlle zu einer Zeit ein (naeh der Geburt des Kindes), wo S~offweehseliorodukte

de s Kindesk~irpers als Ursaehe kaum noeh in Frage kommen.

1) v. Winckel, Beriehte u. Studien. I. S. 2'28. 2) Fischer: Dieses Archiv. Bd. 44. S. 258. 3) Diihrssen, Dieses Archly. Bd. 43. S. 151. 4) Bidder, Dieses Archly. Bd. 44. S. 174.

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248 M/ill er ~ Ueber die Entstehnng ~ter Eklampsie.

P l acen t a .

Der Weg, den S t u m p f eingeschlagen hatte, indem er die Ur- sachen der Eklampsie im fStalen Stoffweehselgebiete suehte, wurde dureh sp/itere Autoren weiter begangen. Was S t u m p f im kind- lie,hen KSrper suc,hte, suchten diese in der Plac,enta. Hatte sehon Wiedow darauf hingewiesen, dass bei Eklampsie recht h~ufig Placentarvedinderungen vorkommen, welehe er in Beziehung zur Albuminurie und Sehwangersehat'tsnephritis braehte, so wurde die H~iufigkeit dieser Beobaehtung noeh yon Anderen, besonders yon F e h l i n g , betonL und ebenso gedeutet.

Nac,hdem nun vollends S eh m o r l Ansammlungen yon Plaeentar- riesenzellen in den Blutgef/~ssen a n Eklampsie verstorbener Frauen naehgewiesen hatte, sehien die/~tiologisehe Beziehung der Plaeentar- erkrankung zur Eklampsie zweife]los zu sein.

S e h m o r [ 1) nahm an, dass alas Zot~enepithel in tier Umgebtmg tier Erkrankungsherde der Placenta aufgelockert, dutch den hohen Druek, unter welt,hem das Blur w/~hrend der Wehen in die inter- villSsen R/~ume einstrSme, losgerissen und in den miitterliehen Kreislauf eingesc,hwemmt werde. Dortselbst sollen die Riesenzellen naeh Art zelliger Aufsc,hwemmungen (Klebs) eine mec,hanisehe und eine toxisehe Wirkung entfalten: Eine mechanisehe, indem sie die Capillaren und feinsten Argerien, besonders in den Lungen, verstopfen und dadureh Circ,ulationsstSrungen hervor~ufen~ eine toxisehe, indem sie eine Seh~digung des Blutes in seiner ehemi- schen Zusammensetzung bewirken, die Gef~issw~inde alteriren un.d so Anlass geben zu Gerinnungsvorggngen im Blute einerseits~ zur Berstung der Gefgssw~inde und zahlreiehen H/imorrhagien in das Ge- webe andererseits. Die nekrobiotisehen Vorg/inge in den paren- ehymatSsen Organen seien bedingt dureh die autoehth0nen Throm- bosen in den Gef~issen.

Nun giebt S e h m o r l yon vornherein zu, dass er nieht wisse, ob das Eindringen der Plaeentarriesenzellen ein tier Eklampsie eigenthiimliches greigniss sei, oder ob es nieht aueh unter anderen Umst/inden, besonders bei sehweren Geburten, statthabe, da dies- beziigliehe Untersuehungen fehlen. P e l s - L e u s d e n , der in e inem der beiden yon ihm verSffentliehten Eklampsiefglle ebenfalls Riesen-

1) S o h m o r 1 ~ Pathologisch-anatomische Untersuchungen iiber Puerperal- Eklampsie. Laipzig 1893.

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Miiller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie. 249

zellen land/ sieht ihr Vorkommen lediglich als ein accidentelles Ereigniss an. Nach meiner Ansieht lgsst sieh natSrlich hieriiber streiten, solange nieht genaue Untersuchungen fiber eine Reihe night an Eklampsie verstorbener Parturientes odor Puerperae vor- ]iegen. Ausserdem w/ire es zur Kritik der Sehmorl ' sehen Theorie aueh wichtig, zu wissen, ob diese Riesenzellenembolien aueh bei an Eklampsie verstorbenen Gravidae zu finden sind, bei denen Wehen nicht zu beobaehten waren, bei denen also noeh an keiner Stelle eine kblSsung des Eies yon der Geb/irmutterwand statt- gefunden h/itte. Von S c h m o r l ' s 17 F/illen sind 16 post partum~ einer intra partum gestorben. Da nun die Gewebesehieh~c~ welche die Riesenzellen fiihrt, bei der A blSsung des Eies einzureissen pflegt, so muss es dabei nothwendigerweise zu einer massenhaften Losl6sung von sol ehen Zellen kommen~ welehe leiGht in die weir geSffneten Uteringefgsse aspirirt werden kSnnen, und zwar jeden- falls leiehter auf diesem Wege~ als auf die eomplicirte, unwahr- seheinliehe Art und Weise, wie sic Schmor l 1) annimmt. So un- bestritten nun S c h m o r l ' s Verdienste um die Feststellung des pa- thologiseh-anatomisehen Befundes sind, so ist seine Theorie zweifellos ungeniigend begriindet und, was bier speeiell in Frage kommt, aueh night ausreichend. Denn wie wollen wit die Fa;lle yon Eklampsie begrrinden, welehe erst nach Ausstossung der Naehgeburt ent- stehen? Zwar weiss Schmor l sigh auch bier zu helfen, indem or das Zuriiekbleiben yon Stricken der PlaGenta in's Fold fiihrt~ tin Ereigniss, welches er in einem Falle thats~;ehlieh beobaehtet hat. Aber, erscheint uns diese Erkl/irung schon nicht reeht glaubhaft, da das regelm/tssige Fehlen yon Plaeentarstiieken bei Woehenbetts- eklampsie gewiss sehon aufgefallen w/ire, so gesteht Sehmor l , eine Begrrindung frir die Eklampsie des spgteren Woehenbettes schuldig bleiben zu miissen~ und w/ihlt den schon oft vor ihm betretenen Ausweg, diese night in die Theorie passenden Fglle als Nicht-Eklampsie anzuspre&en.

Was nun die thb;ts/iehlichen Befunde an der Placenta anbetrifft, so ist allerdings gefunden worden, class dieselbe bei Ek!ampsie wie aueh bei Sehwangerschaf{nephritis- auffallend h/iufig jene Spuren degenera{iver Proeesse aufweist, welche man als weisse Infarcte

1) Uebrigens erJalgrt Sohm0rl neuerdings selbst~ (lass die Plaeentar- embolien nieh~ ats pathognomoniseh gelten kSnnen. Mtincb. med. Woehenschr. 1901. No. 23. S. 946. Referat tiber die Verbandl. d. gyngkol. Congresses in Giessen.

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250 MiHler~ Ueber die Entstehung der Eklampsie.

bezeiehnet; doeh geben selbst diejenigen Beobaehter, welche den Ver~tnderungen an der Plaeenta eine grosse Bedeutung beimessen, zu, dass dieselben bet Eklampsie und Albuminurie einerseits nicht selten fehlen~ andererseits in solehen F~llen vorhanden sind, wo weder Eklampsie noch auch Albuminurie beobachtet wurde. Dem- m~ch diirfte aueh der Placenta an sieh kaum diejenige Rolle in der Genese der Eklampsie zustehen, die man ihr zumuthete.

Bakte r ien .

Wurden nun die Ursaehen der Ek]ampsie sowohl im K6rper dor Mutter wie im f6talen Stoffwechselgebiet gesucht~ so blieb auch die dritte und letzte 515gliahkeit night unversueht~ die M6gliohkeit ectogenen, bakteriellen Ursprungs.

D61ore kam dutch vergleichende Erw//gungen fiber die viel- faehe Aehnlichkeit der klinischen Nrscheinungen bet Eklampsie und bestimmten Infectionskrankheiten zu dem Schlusse , dass die Eklampsie eine infeeti6se Erkrankung set. Dol~ris und Poney fanden bet 5 Eklamptischen '2 real eine auf Mikrokokken beruhende Nephritis; ,die Blutinfeetion nahm ab und zu mit den Anfgllen". Blanc ziichtete aus dem Urin eklamptiseher Frauen ein kleines St~tbchen, und sprach dasselbe als speeifisGhen Erreger der Eklampsie an, da er durch Injection yon Reinculturen dieses Bacillus Con- vulsionen bet Thieren erzeugen konnte. Waren also schon die als Infectionstr~ger angesproehenen Mikroorganismen beide Male ggnz- lieh verschieden, so fielen ausserdem sp~ttere zuverl/issige Naeh- priifungen negativ aus, und der Gerdes'sehe ,Bacillus eklampsiae" wurde yon Hofme i s t e r als Proteus vulgaris, der gewShnlichste Erreger der Leiehenfgulniss erkannt. Zudem spricht der Urn- stand, dass die Eklampsie niemals epidemisch aufgetreten ist, nicht zu Gunsten eines einheitliehen Infeetionstrggers.

Favre , weleher aus zwei Placenten eklamptisGher Frauen .3 versehiedene Soften yon Mikroorganisinen zfichtete, glaubt night an einen specifischen [nfectionserreger~ vielmehr sollen verschiedene Arten yon Mikroorganismen~ indem sic sigh in der Plaeenta an- siedeln und daselbst die weissen Infarete bilden, durGh Produc- tion yon Stoffwechselproduoten das Krankheitsbild erzeugen~ wenn tier Organismus infolge St6rung der Nierenfunetion nicht im Stande sei~ dJeselben Unseh/idlieh zu ma.ohen. Diese Ansicht Favre 's stetit allerdings auf sehr sehwaehen Fiissen, da seine bakteriologischen Untersuohungen sioh nut auf 2 Placenten beziehen, welohe noeh

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Mfiller, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 251

nieht einmal einwandfreie Untersuehungsobjeete darstellen I da sic beim Durehgang durch den Geburtskanal mit allerlei I{eimen be- siedelt werden konnten. Zudem ist dot weisse Infarct der Placenta, welehen er als Brutst/itte der Bakterien anspricht, zwar ein reeht h//ufiger Befund bei Sehwangersehaftsnephritis, wie bei Eklampsie, doeh kein eonstanter. Was sehliesslieh die erfolgreiehe~ Convul- sionen erzeugende Injection yon Bakterieneulturen anbetrifft, so sei mir erlaubt, auf die in tier Eklamiosie-Literatur zu findenden Mittel hinzuweisen, durch welche man experimentell Convulsionen er- zeugen kann:

K u s s m a u l und Tenne r erzeugten Convulsionen dureh Ab- sohneidung der arteriellen Blutzufuhr zum Gehirn;

F r e r i e h s dureh Einspritzen yon kohlensaurem Ammoniak; Gerdes , Dol6r is , B lanc dilreh Einspritzen yon Ham

Eklamptisoher und Ot~lturen bestimmter Pilze; S e h o t t i n , Hoiope-Se i le r , Opp le r duroh Einspritzen v-on

Extraetivstoffen des Blutes, Kreatin, Leuein u. s. w. Bei einer solehen Piille yon Experimenten, die auf den ver-

sehiedensten Wegen denselben Erfolg zeitigten~ h/Srt wohl die Be- weiskraft des Einzelnen auf. Somit gilt au& clie.Ansehauung, dass die Eklampsie eine bakterielle Erkrankung sei, als ~gliieklie, h iiberwunden".

C o m b i n a t i o n e n .

So anspreehend und iiberzeugend manehe der zahlreiehen Hypothesen fiber die Genese der Eklampsie sehienen, so hatte doeh jede bei n~;herer Prtifung reeht sehwaehe Seiten, und was die Haupt- saehe ist, mehr oder weniger grosse Liieken aufzuweisen; keine derselben reiehte aus, urn alle Erseheinungen dieser seltsamen Krankheit zu umfassen, intolge dessen fiel der C~edanke auf fru~htbaren Boden, dass die Eklampsie m6glicherweise iiberhaupt gar keine einheitliehe Ursaehe habe, dass vielmehr eine Reihe ver- sehiedener Ursaehen denselben Symptomeneomplex hervorzurufen vermiS&ten, den wit als Eklampsie bezeiehnen. Dieser Gedanke war dureh niehts begriindet, als dureh den Umstand, dass sieh andauernd .iede einheitliehe Itypothese in dieser oder jener Rich- tung als unzureichend erwies, er war also eine blosse Vermu~hung. Andererseits aber war er zu praktiseh~ zu viel Bediirfniss, um nicht aufgegriffen und in ausgiebigster und mannigfaehster Weise verwirklieht zu werden. Namentlieh die Tl~eorie der reflektoris.e, hen

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252 Miiller, Uebsr die Entstehung tier Eklampsie.

Eklampsio war zu diesem Zwecke sehr geeignet, und es ist ja be- kannt, wie dieselbe zuerst dazu berufen war, jene Liieke auszu- fallen, welohe duroh die Entdeokung entstand 7 dass es aueh F'alle van Eklampsie ohne Albuminerie giebt (Spiege]berg-, Wern ieh , Galabin). Soleher Combinationen giebt es sehr vide, van den sin- faehsten bis zu den eomplieirtesten, deren Aufzghlung nieht im Plane dieser Arbeit liegt. Nut ein Paradigma sei angefahrt: Die Combination D ah rs s on's, welohe die wichtigsten Auffassungen iiber die Eklampsie enthglt~ da ihr der Plan zu Grunde liegt~ die Therapie mit allen gangbaren Theorien in Uebereinstimmung zu bringen.

D a h r s sen 1) unterscheidet oine Eklampsia haematogenes und refleetoria. Erstere sei due Intoxication des Blutes und ontstehe dureh Rentention van Krea{in und Kreatinin. Die genannten Stoffe lagern sigh in der (~rosshirnrinde ab, setzen bestimmte Grosshirneentren in Erregung und bringen hierdurch sowohl Coma wie aueh Convulsionen horror (Laurie is). An ansl6senden Gelegenheits- ursaehen spielen hierbei manehmal Reizungen sensibler Nerven (am h/iufigsten derjenigen des Genitaltraetus) odor psyehisehe Erregungen eine Rolle. Mtiglieherweise kann Eklampsia haematogenes aueh duroh Bakterien bez. deren Prodnkte erzeugt werden, zumal wenn sehon eine Nierenerkrankung besteht.

In seltenen F/tllen ist die Eklampsie eine gklampsia reflec- toria, d. h. die l(rampfeentren treten dutch Reizung sensibler Nerven odor psyehisehe grregungen in kktion, und zwar entweder: wenn die geize sehr stark sind (z. B. bei abnormer Ausdehnung des Uterus) odor die Erregbarkeit der Krampfeentren eine gesteigerte ist (bei nerviSsen Individuen). Liegen Nr beide Formen in dem eonereten Fall keine Anhaltspunkte vat, so ist es m{Sglich, dass es sich um Epilepsie handdt odor um eine Gehirnkrankhdt.

Ein Versuch abet, dureh Vergleieh van Krankheitsgesehiehten und Sektionsbefunden die Grundkrankheiten zu rubridron und ihren Antheil an der Erzeugung der Eklampsie statistisoh festzustellen, wurde nioht gemaeht.

Uebrigens, wenn die Eklampsie, wie D i i h r s s e n und Andere meinen , nut sin Symptom, ein gleiehargiger Ausdruek der ver- schiedensten Krankheiten w/ire, so wgre deren nahe Beziehung zum Status puerperalis nieht reeht verst/indlieh.

1) Dieses Archly. Bd. 43. 8. 155 u. 158.

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Miiller, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 253

Die zahlreiehen Combinationen yon Theorien sind zumeist nur rein phantastisehe Compositionen. Irgend welchen nennenswerthen positiven oder negativen Beitrag zur Klgrung der Frage fiber den Ursprung der ~Eklampsie haben sie demgemitss nicht gebraeht. Denn was ist z. B. der ~,Riiekbliek ~ Sehae f fe r ' s ~auf die Aetio- logie der Eklampsie sonst nnd jetzt '~1) anders, als ein Phantasie- gebilde ! S eh ae f fe r konstruirt n~mlieh folgenden Circulus vitiosus: g~umiiehe Bewegung durch den graviden Uterus - - Druck auf irgend ein Organ (Niere) - - , Retention sehon im Blut kreisender, giftiger Stoffe (Mikroben bezw. deren Produkte) - - sch~dliche Einwirkung derselben auf den ganzen KSrper, besondet:s 'auf den Plexus coeliacus - - Li/hmung des Plexus eoeliaeus - - Folge davon: Geff/ssparesen etc. und StoffweehselstSrungen, wie Aeetonurie, Albuminurie, Glykosurie. Vermuthlieh kommen nun auch bald die Krb;mpfe!

Den Eindruek babe ieh jedenfalls gewonnen, dass man sieh in der Ansehauung, dass die Eklampsie keine einheitliehe Krank- heir sei, nieht reeht behaglich fiihlt. Jeder, der eine neue Theorie bringt, sueht dieselbe einheitlieh zu begriinden, und aueh S e h m o r l fiihrt die Eklampsie mSgliehst auf die Einsehwemmung der Placentar- zellen zuriiek, doeh gieb~ er zu, dass die Eklampsie eigentlich nut ein Symptomenkomplex sei.

Das klinische Krankheitsbild der Eklampsie ist so einheitlieh, wie sonst eines, und yon anderen mit Coma und Convulsionen einhergehendeD Krankheiten dureh ganz eharakteristische Merkmale zu unterscheiden. Ausserdem ist gerade dutch die neueren genauen anatomischen Untersuchungen eine Cebereinstimmung darin erzielt worden, dass der Eklampsie immer ganz gleiehe anatomisehe L/isionen zu Grunde liegen, die zwar die versehiedenen 0rgane in versehiedenem Grade befallen, die abet ihrer Natur naeh voll- kommen einheitlieh aufzufassen sind.

Die E k l a m p s i e ' i s t also nieht nut ein Symptomenkomplex, sondern eine K r a n k h e i t sui gener i s , eine a n a t o m i s e h wie k l i n i s ch v o i l k o m m e n e inhe i t l i ehe K r a n k h e i t .

1) Centralbl. f. Gym Jahrg. 16. S. 764.

Archly L Gyni~kologie. Bd. 66, H. 2. 17

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254 Mtiller, Ueber die Entstehung der Eklampsie.

II.

Die grosse Anzahl yon Theorien, welche fiber die Entstehung der Ektampsie aufgestellt worden sind, besagt uns, wie wenig wir in Wirklichkeit dartiber wissen. Dos eine aber seheint nunmehr festzustehen~ dass die Eklampsie ihrem Wesen naeh eine Intoxi- cation darstellt. Allgemein h~:lt man dieseibe ffir eine Auto- intoxication, d. h. eine Vergiftung des Organismus dureh die yon ihm selbst gebildeten Stoffwechselgifte.

Ludwig und Savor, 1) welche in jfingster Zr diesbezfigliche experimentelle Untersuohu'ngen anstellten~ behaupteten, die Giftigkeit des B[utserums bei Eklamptisehen sei grSsseq als bei normalen Schwangeren und GebS.renden, w/ihrend der Horn, besonders im Anfall, eine geringere Giftigkek besitze~ als der normale Harm Hieraus zogen sic den Schluss, dass dutch die Sehwangerschaft an sieh giftige Substanzen erzeugt werden, welche, im Blur zurtiek- gehalten, die Eklampsie hervorrufen, und best~ttigten dadurch die alte Lehre eines Boueha rd , Rivi6re, Laulani6 und Chambre - lent. Hingegen behauptet Volhard, 2) dass der eklamptisehe Ilgrn zur Zeit seiner hSchsten Giftigkeit nicht giftiger sei, als der I-Iarn bei Nephritis ohne Eklampsie~ und aueh dos Blutserum Eklamptischer sei nieht giftiger, als alas normaler Schwangerer.

Massin s) sucht die wirksamen toxischen Suhstanzen in den mangelhaft oxydirten, pathologisehen Stoffwechselprodukten des KSrpers, den sog. Leukomainen, welche bei ungeniigender Funktion tier Leber und conseeutiver Affektion der Niere im Organismus zuriickgehalten werden sollen. Unter diesen Leukomainen scheint ibm die Carbamins~ure das eigentliehe Eklampsiegift zu sein.

Ludwig und Savor stehen im Widerspruch mit go lhard . Massin 's Eklampsiegift ist, obwohl es experimentell gefunden wurde, nicht weniger hypothetisch, als die friiher verantwortlich gemachten Stoffwechselgifte (Harnstoff, kohlensaures Ammoniak, Kreatin etc.).

Die Frage, ob die Eklampsie wirklieh eine Autointoxication ist, oder eine sol&e, bei deren Entwickelung ectogene Einflfisse mit- spielen, ist dutch die experimentellen Untersuchungen nicht ent-

1) Monatsschr. f. Gob. u. Gyn. 1895. Bd. I. S. 447. 2) Monatsschr. f. G~b. u. Gym Bd. u S. 411. 3) Centralbl. f. Gyn. 1895. S. 1106.

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Mfiller, Ueber die Entstehung der Eklampsi< 255

schieden. Eine Intoxication aber liegt zweifellos vor: ,Die pro- dromalen, gastrischen und cerebralen Krankheitserscheinungen , die rasch eintretenden tiefen StSrungen der 6ehirntMtigkeit", die in allen Graden sich findende Albuminurie und Nephritis, ,die post- mortalen Temperatursteigerungen, die Art und die H~ufigkeit ner- vSser Nachkrankheiten, welche ihre Analogie in den wahrsaheinlieh durch Toxalbumine en~stehenden Neurosen naeh Typhus und Diphthe- ritis finden, lassen sich fast nur durch die Annahme einer Ver- giftung erkl~ren. "1) Die neueren pathologisch-anatomischen Unter- ,suchungen yon Virchow, J i i rgensen, Klebs, Pi l l ie t , Lu- barseh~ Prutz , Knndra t , Schmorl , Pels Leusden haben dar- gethan, .dass es sieh der bei Eklampsie handelt um nekrobiotische Vorg~inge und multiple Hgmorrhagien in den verschiedensten, be- senders den parenchymatSsen Organen, neben Verstopfungen in dem Geffisssystem. Diese= anatomischen L/isionen wurden ebenso- wohl nachgewiesen in den Organen der Mutter (Leber, Niere, PancreaS, Magen und Darm, Herz, Gehirn, I-Iaut)~ wie in denjenigen des Kindes. Ihrem Oharakter naeh sind es dieselben, welche wit auch bei Phosphor-, Blei-, Arsenikvergiftung und neben den yon den Gifterzeugern selbst her~orgerufenen spezifisehen Vergnderungen aueh bei schweren bakteriellen Intoxieationen (Typhus, Septik/imie) zu finden pflegen.

Diese konstanten anatomisehen Befunde sind in ihrem Wesen vollkommen einhei~lich, aber an den einzelnen Organen in ver- schiedenen F~illen in versehiedenem Grade ausgeprggt. Die Schltisse welche wit aus diesen Thatsachen ziehen kSnnen, sind folgende:

1. Die GleicharCigkeit der Lgsionen in den verschiedenen Or- ganen weist auf eine gemeinsame Ursache bin.

2. Die Aehnlichkeit tier anatomischen Lgsionen mit denen bei anderen Vergiftungen deutet darauf bin, dass aueh die Ursache .dieser ein ~oxisches Agens ist. ,

3. Der Umstand, dass keines der Organe unter allen Urn- s~/inden als das zumeist ergriffene in den Vordergrund trite, son- dern. dass einmal dieses, ein anderes Nal jenes in hSherem Grade und grSsserer Ausdehnung yon der so gleichartigen L~sion be- troffen ist, macht es unwahrseheinlieh, dass eines derselben der Ausgangspunkt und die prim~ire Ursache der Erkrankung der

1) Kaltenbach, Lehrb. d. Ges 1893, S. 858. . ' : 17"

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256 Mfiller, Ueber die Entstetmng der Eklampsie.

anderen ist. Vielmehr miissen sic einem ausserhalb ihrer selbst ent- stammenden Virus unterliegen.

4. Die Thatsaehe, dass wir die gleichen Veriinderungen, wie im miitterliehen K6rper, auch in den Organen des Kindes finden, besagt, dass es sich um tin permeables Gift handelt, welches auch das Kreislaufsintermedium durchdringt, gleichgiiltig; ob man die Entstehung desselben im Kinde, in der Mutter oder sonst we such t .

Es handelt sich demnach bei Eklampsie um einheitliehe Ur- saehe, ein Gift, welches im K6rper der Mutter, wie des Kindes kreist. Die Ausdehnung der anatomischen Liisionen giebt uns keinen Anhaltspunkt dafiir, dass dieses Gift etwa dutch die pri- m~re Erkrankung eines dieser ergriffenen Organe entstiinde. Natur- gem~ss sind allerdings Leber und Nieren, welche nach ihrem Bau und ihrer physiologischen Aufgabe dazu berufcn sind, das Gift zu vernichten bezw. auszuseheiden, am meisten den Schiidigungen dutch dasselbe ausgesetzt.

Es g i e i ch t also die E k l a m p s i e a n a t o m i s c h -~Tie auch k l i n i s c h d u r c h a u s e iner g e r g i f t u n g .

Ort der Ents tehung.

Wenn es nun ausser Zweifel steht, dass die Eklampsie ihrem Wesen nach eine Vergiftung darstcllt, so ist es doeh his zum heu- tigen Tage noch night gelungen, den Oft ausfindig zu machen, den wir mit Bestimmtheit als Ausgangspunkt dieser Vergiftung an- spreehen kiinnten~ sei es, dass man denselben im K~rper der Mutter, oder ill der Frueht, oder im Gebiet des intermedi//ren Stoffwechsels gesucht, sei es, dass man eetogene Einfliisse verant- wortlich gemaeht hat, welche an irgend einer Stelle auf den Or- ganismus einwirken.

Wie die Fiil[e yon Eklampsie im Woehenbett and Sp/itwochen- bert uns beweisen, ist die Anwesenheit tier Frueht 1) und der Pla- centa zum Ausbrueh der Eklampsie nioht nothwendig; das einzige Allgegenwgrtige bei der Eklampsie ist die Mater generativa. Es muss demnach der Ursprungsort der Eklampsie im Ktirper der Mutter zu suohen sein.

1) Bid. der, Dioses Archiv. Bd. 44. S. 174. ,In etwa einem DrRtol sgmmtlicher Fgllo trRt Eklampsie ein zll einor Zeit, wo Stoffwechsellorodukto des KindeskSrpers als Ursache kaum mehr in Frage kommen."

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Mtiller, Uebet: die Entstehung tier Eklampsie. 257

Die Eklampsie ist gebunden an die Zeit, in welcher die Ge- sehleehtsorgane des Weibes den dureh das Fortpflanzungsgeseh/ift bedingten Ver~tnderungen unterliegenl), sie wurde beobaehtet vor der Mitte der Sehwangersehaff his einige Wochen naeh der G-eburt. Die einzige bekannte, absolut nothwendige Vorbedingung zur Ent- stehung der Eklampsie ist als0 der Status puerperalis des Uterus, er ist offenbar die eonditio sine qua non.' Seine ~;tiologisehe Be- ziehung liegt abet nieht in der Richtung, in weleher man sie his- her gesucht hat; weder beruht die Eklampsie lediglieh auf der zu- nehmenden Ausdehnung desselben w/ihrend der Gravidit/it, noeh auf tier Wehenth~igkeit, denn die Eklampsie kann auch zu der Zeit auftreten, wo diese Verh/iltnisse nieht bestehen2). Es scheint mir vielmehr eine andere Eigensehafg des puerperalen Uterus in Frage zu kommen, auf welehe die yon S c h m o r l beobachteten Ein- sehwemmungen yon Riesenzellen und die mannigfaehen Bakterien- befunde im K6rper eklamptiseher Frauen hindeuten, n~m]ieh dessen erhShtes gesorptionsvermSgen.

Wie bekann~, land SehmorlS) massenhafte Einschwemmungen yon Riesenzellen fin den 6efgssen der mtitterliehen Organe. Naeh dessen Auffassung zwar handelt es sieh erstens nur um plaeentare Riesen- zellen und zweitens sollen dieselben direct dutch den intermedi~tren greislauf in die miitterliehe Blutbahn gela~igen, indem sie dutch die Aufloekerung des Plaeentargewebes in der Umgebung der weissen In- farete eine Loekerung im Zusammenhange des Gewebes erfahren und so dutch das eireulirende Blu~ leieht abgesehwemmt werden. Diese Auffassung Sehmor l ' s ist nieht sehr wahrseheinlieh. Denn man sollte meinen: es mfissten sieh eher die durch die degenerativen Proeesse in der Placenta direct gesehg~digten Zellen abl6sen und in den g6rper ge- langen. Ausserdem wgre nicht zu erwarten~ dass die ausserhalb des Degenerationsgebietes liegenden Zellen ungeseh~tdigt blei!)en, wean solehe Seh~tdliehkeiten auf sie einwirken~ dass sie aus dem Zusammen- hang des Gewebes gebraeht werden: sondern sie wfirden einen ge-

1) Bidder, Dieses Archiv. Bd. 44. S. 174. ,Bei alledem diirfen wir nicht vergessen, dass die Eldampsie nur Schwanger% Kreissende und WSch- nerinnen bef~llt; die Ursache als% die Eklampsie hervorruft, setzt als Bedin~ gang die Ver~inderungen voraus, denen der weibliche ILSrper w~hrond des Fortpflanzungsgeschg.ftes unterworfen ist."

2) Nach Bidder (Dieses Archiv, Bd. 44, S. 170) trat die Eklampsie unter 455 Fgllen in 172 ein zu der Zeit~ wo der Uterus nicht arbeitet% nnd zwar in 38 Fgllen vor Beginn del 1Wehenthi~tigkeit, in 134 Fgllen in der Nach- gebur~szeit nnd post partum~ d. h. mehr oder weniger spg~t naeh Vollendung der Geburt des Kindes.

3) S chm orl~ P~thologisch-anatomische Untersuchungen fiber Puerperal- Eklampsie. Leipzig 1893. S. 21.

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258 Miillsr~ Usber die Entstehnng der Eklampsie.

quollenen Zellleib and zum mindesten einen undeutliehen~ verwasehenen Kern besitzen. Hat nun S e h m o r l solehe in ihrer Structur geseh~tdigte Zellen vorgefunden? Hat er nieht ,~ielmehr betont~ dass gerade die Zellen, welehe er fand, Strueturver~nderungen und die Zeiehen des Zer- falls nicht darboten, will er nieht sogar auf Grund des morpholo- gisehen Yerhaltens, wie der intensiven P~trbbarkeit des Kerns naeh- weisen~ dass es sieh hier urn plaeentare und nieht um deeiduale Riesen- zellen handelt? Zudem kSnnen nach der 3Ieinung anderer Autoren: wie Lubarseh~ Pe ls Leusden l ) : die ,~extravaseul~tr gelegenen ~ deci-

d u a l e n Riesenzellen ebenfalls embolisiert werden. Wir haben deshalb keinen Grund, den yon vornherein viel wahrseheinlieheren Ein- sehwemmungsmodus nieht anzunehmen: die Geburts- wie aueh die Sehwangersehaftswehen bedingen die allmalige Abl~sung des Eies yon der 6eb~rmutterwand. Die Trennung findet in der Deeidua und dem miitterliehen Theil der Placenta start und bedingt einerseits in der Trennungsflitehe des Gewebes die Abstossung yon Zellenmassen, welehe dann zwisehen Gebftrmutterwand und Eifrei zu liegen kommen~ anderer- seits die ErOffnung der miitterliehen Gef~sse~ dureh welehe dieselben an- gesaugt werden. Plaeentare wie deeiduale Riesenzellen werden also in Wirkliehkeit arts der Geb';trmutterhShle resorbirt.

Ebenso weisen die mannigfaehen Bakterienbefunde eines Dol6ris~ �9 Poney und B lanc im Blute and in den Organen Eklamptiseher auf reaorptive Vorgfings in der Gesehleehtsh6hle hin. J. Beyer 2) konnte ebenfalls im Blute Eklamptiseher mehrfaeh Staphylokokken naehweisen, und ieh selbst.habe einen Fall beobaehtet~ in dem, naeh dem klinischen Befnnde zu urtheilen, eine massenhafte Einsehwemmnng yon Staphylo- kokken ins Bh t sta*tgefunden hatte. Gerade die .51annigfaltigkeit der Bakterisnbefunde mit auffMlendem Ueberwiegen des Staphylococcus pyogenes verrathen deren Herkunft aus der GesehlechtshShle, wo einer- seits eine ganze Baeterienflora vegetirt , andererseits die Staphylokokken bedeutend iiberwiegen.

Der selbst beobaehtete Fall betrifft die 20j~hrige Ipara M. S.3)~ bei weleher sieh 17 Stunden naeh der spontanen Geburt der erste An- fall einstellt% dem im Zeitraum yon 11/2 Stunden noeh 7 weitere folgten. AufhSren der Anf~tlle~ Riiekkehr des Bewusstseins im heissen Bade. Als die S. naeh 2sttindigem Schwitzen in der Paekung zum zum ersten'Male aufgedeekt wurde~ zeigten sieh am Leib and an der Innenfl~ehe der Oberarme zahlreiehe Haemorrhagien in der Haut. So[ehe entwiekeltsn sich in den n~ehsten Stunden aueh an der Innen- fl5ehe der Obersehenkel und auf dem Rtieken. Auf dem Grunde dieses Aussehlages entstand im Laufe der folgenden Tage ganz gleiehm~tssig ein bl~sChenfSrmiger, herpes~hnlieher Aussehlag. In dem ser6sen In- halt der Bl~sehen land sieh~ wie dutch mikroskopisehe Untersuehung und Culturverfahren festgestellt wurde~ Staphylococcus pyogenes albus in ungeheuren Mengen and zwar in Reineultur. Die reihenfOrmig ange- ordneten, seharf abgegrenzten, zaekigen und rundliehen Haemorrhagien~ welche sieh nicht an vorhandene Injeetionsstellen ansehlossen~ sondern

1) P e 1 s- L s u s d s n ~ Beitrag znr pathologisehen Anatomic der Puerperal- eklampsis. Virchow~s Arch. Bd. 14~. S. 33.

"2) l~lonatssehr, f. Gsb. u. Gym Bd. X. H. 1. 3~ 1900. J.-No. 65 d. Kgl. Entbindungsanstalt Bamberg.

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M ill 1 e r ~ Uober die Entstehung der Eldampsie. 259

bestimmten Oef~ssbezirken entspraehen, waren als embolisehe Prozesse zu deuten, da sich auf denselben ganz gleiehzeitig und gleiehm~issig~ soweit dieselben reiehten~ die genannten kokkenhaltigen Bli~sehen bil- deten. Allerdings ware es ja, wenn aueh nieht wahrseheinlieh, so doeh wenigstens mSglieh, dass die subeutanen Haemorrhagien naehtrfiglieh dureh die Staphyiokokken besiedelt worden wSzen~ da ill der Epider- mis sieh stets solehe vorfinden und gelegentlieh aueh bis in den PapillarkSrper vordringen kSnnen. Dann ware indessendie ganz gleieh- massige und gleiehzeitige Entwickehng des Blasehenaussehlages, den zweifelsohne die Kokken erzeugten, auf der ganzen Linie unmOglieh ge- wesen. Wenn aber die Staphylokokken nieht aus der Haut stammen~ so mfissen sic auf dem Blutwege dorthin gelangt sein, und wenn wit naeh dem Orte forsehen~ yon dem eine so massenhafte Einschwemmung derselben stattfinden konnte, woran soIlen wir dann anders denken, als an die Gesehleehtsh6hle, deren haufigste Bewohner die Staohylokokken sind? Nur yon hier aus konnten sie in solchen Mengen in die Circu- lation gelangen. Infolge der vermehrten Blutzufuhr zur Haut dutch alas heisse Bad nnd die folgende Einpaekung wurden dieselben in d ie Capillaren der PapillarkOrper eil~gesehwemmt, woselbst sie die embo- lisehe Blutung veranlassten, auf deren Boden sieh dann die erwiihnten Bllisehen bildeten. Besonderes Interesse gewinnt der Naehweis der Staphylokokken in diesem Falle dadureh, dass dieselben an einer klassisehen Stell% in einem h~morrhagisehen Herd gefunden wurden; wodureh die sehr bemerkenswerthe 5rtliche Beziehung der Staphylo- kokken zu dem muthmaassliehen Gifte der Eklampsie sehr deutlieh hervortritt. Denn~ wenn man etwa der Alisieht nieht zustimm L dass die Kokken selbst die Blutung veranlassten~ so weist jedenfalls die ge- meinsame Etablirung dersetben mit dem Eklampsiegift darauf hin, dass beide aueh desselben Weges kamen, namlieh aus der GebarmutterhShle.

Dass diese Zellen- und Bakterieneinsehwemmungen Eklampsio erzeugen, ist durchaus unerwiesen und aueh unwahrseheinlich. Wenn abet das Eklamiosiegiff an irgend einer Stelle des miitter- lichen KOrpers in die Circulation gelangen muss, und diese Ein- sehwemmungen iiberhaupt eine Beziehung zur Eklampsie haben, so diirfen wit aus denselben wenigsgens den einen Schluss mit grosser Wahrscheinliehkeit ziehen, dass sic den Ort, wo das muihmass- liehe Eklampsiegift sich bildet~ und den Weg bezeichen, auf welehem dasselbe in den miitterliehen Kreislauf gelangt:

Die B i l d u n g s s t X t t e des E k l a m p s i e g i f t e s i s t die Ge- s e h l e e h t s h S h l e , d u t c h R e s o r p t i o n g e l a n g t es in das B lu r d er Mut te r .

Art del" Entstehung.

Wenn wir das.klinische Bild der Eklampsie betrachten, so repriisentirt sich dasselbe als eine Combination dreier Cardinal: erseheinungen:

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260 3]I iil I er ~ Ueber die gntstehung der Eklampsie.

als Convulsionen, Coma~ Auf- 1. Der nerv6sen Symptome, regungszust~tnde etc.,

2. der Nierenst6rung, 3. des Fiebers. Jede dieser Haupterseheinungen war je naeh der Wichtigkeit

und der urs~iehliehen Beziehungen, welehe man in ihnen suehte, der Ausgangspunkt yon Theorien; besonders bevorzug~ wurden die ersten beiden. Die NierenstSrung fiihrte bekanntlieh zu den Theorien yon Frer iehs und Traube-Munk-Rosenste in , auf den nervSsen StSrungen basirte die Theorie tier refleetorischen Eklampsie. Die geringste Beaehtung hinsiehtlieh der Genese fand das Fieber trotz D61ore, Favre und deter, die einen spezifisehen Infectionstrgger naehgewiesen zn haben glaubten. Der Grund hier- Nr lag darin, dass einerseits einwandfreie Beweise flit eine bak- terielle Entstehung der Eklampsie nieht erbraeht wurden, anderer- seits eine solehe mit den klinisehen Thatsaehen in Widersprueh zu stehen sehien (Fehling). Zudem verlor das eonstante Symptom des Fiebers dadurch an Bedeutung, dass man es als eine Folge der Kr~mpfe ansah. Die klinisehe Erfahrung, dass die Tempe- ratur zunimmt mit der Anzahl der Anfglle, bedingte die Auf- fassung, dass die hohen Temperaturen die Folge der krampfhaften Nuskelthgtigkeit unter den Anf~illen seien.

Heutzntage wissen wit, dass bei den epileptischen Krgmpfen keine oder nut eine TemperaturerhShung um einige Zehntel elnes Grades eintritt, wir wissen ferner, dass aueh bei Tetanus eine directe nrs~ehliehe Beziehung zwisehen guskelkr~;mpfen und dem Fieber might besteht. Ebenso ist bekannt, dass aueh bei Eklampsie die Temperamr nieht im Einklang zn stehen braneht mit der Anzahl der Anfglle. 1) Das Fieber ist also night die Folge der Convul- sionen, sondern muss als etwas Selbstst~indiges im Krankheitsbilde tier Eklampsie aufgefasst werden.

1) W i n t e r 7 Pieber in tier Geburt. Zeitsehr. f. Geb. u. Gym Bd. 23. S. 181. ,Die Eklampsie macht in tier Oeburt sehr hgufig Temperatursteig'e- rungen, zn deren Erklgrung man versohiedene Ursaehen heranziehen muss; Zam geringen Theil ist die Muskelarbeit wghrend der AnNlle an tier Erhghung cler Temperatur schuld; in erster Linie aber sehe ieh die Ursaehe fiir alas Fieber in den im Blur oircnlirenden Toxinen; die Fglle, we Kranke vollstgndig comatSs oder ohne alle Anfiille daliegen~ oder solehe, bei denen vor hasbruch tier Convulsionen die hohen Temperatursteigerungen auRreten, sprechen daftir, class der Krankheitsprocess an sich auch ohne Anfglle hohe Temperatnren er- zeugen kann."

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�9 Mtiller, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 261

Eklampsie ist eine Allgemeinvergiftung mit eonstanter Tem- peraturerhghung, die in der Regel mit Beginn der Vergiftungs:- erseheinungen auftritt and eine gewisse Proportionalit/tt mit dem Grade der Intoxication aufweist. Bei anderen Vergif~ungen, solehen mit mineralisehen and organischen Giffen~ pflegt mit Eintritt der Vergiftungserseheinungen, als sehwaehem flatterndem Puls; aeuter Nierenreizung (,toxische Nephritis"), nerv6sen Symptomen (Somnolenz, Coma, Convulsionen) ein Absinken der K6rpertempe- ratur sieh geltend zu maehen. 1)

Die sparer auftretenden TemperaturerhiShungen sind zu be- traehten als eine Folge reaetiver Entziindung der verletzten Ge- webe (S/~uren, Alkalien), des gew@nlieh erst naeh Tagen auftreten- den Zerfalls grosset Gewebsmassen in den parenchymatSsen Or- ganen (Vergiftung mit Phosphor, Arsenwasserstoff) oder sieh an die Vergiftung ansehliessender infeeti/Sser Proeesse, wie Lymph- adenitis, Lymphangoitis, localer Phlegmonen (Sehlang'enbiss). Jeden- falls sind die beobaehteten TemperaturerhShungen nieht constant, treten nieht glelchzeitig mit deJ~ iibrigen Vergiftungserseheinungen auf and lassen iiberhaupt eine bestimmte gesetzm/issige Beziehung zu dem Grade der Vergiftung vermissen. Die Autointoxicationen des Organismus iibrigens~ mit welehen man die Eklampsie zu ver- gleichen am ehesten geneigt and berechtigt w~re, das Coma dia- betieum und uraemieum, sowie die Ammonaemie, sind gerade ge- kennzeiehnet durch alas Auflreten tagelang anhaltender abnorm niedrig'er Temperaturen (his 32, ja 280 im Rectum), Verh/fltnisse, welche bei Eklampsie niemals beobaehtet warden.

Oonstante Temperaturerh/Shungen, die auch den Graden tier Vergiftung einigermaassen proportional sich verhalten, sind bisher nur bekannt bei bakteriellen Vergiftungen. Wit haben demnaeh allen Grand, die Argumente D~lore ' s yon neuem in Erwggung zu ziehen.

Das Pieber ist eine mit Convulsionen durehaus nieht eng ver- kniipfte Ecseheinung, im Gegentheil,.es fiel gerade sein eonstantes Vorkommen bei Eklampsie besonders auf und maehte dasselbe - - neben der Nierenaffection - - zu einem Hauptunterseheidungsmerk- real zwisehen Eklampsie and anderen Convulsionen.

Die ,Nephritis" bei Eklampsie deutet anf eine Vergiftnng

1) No~hnagel, Speo. Pathologic a. Thorapie. Bd. I. -- v. Jaksch, Die Vergiftnngen.

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262 Mailer, Ueber die Entstehung der Eklampsie.

schlechtweg. Convulsionen und Coma kommen vet bet allen mag- lichen Affectionen des Nervensystems, bet Verletzungen~ Ge- schwfilsten des Gehirns, Behinderung der arteriellen Blutzufuhr zu demselben, bet Epilepsie, Uraemie, chemischen und bakteriellen A1]gemeinvergiftungen etc. Kommt es nun darauf an, die Eklampsie von anderen Vergiftungen, wie yon anderen mit Con- vulsionen und Coma einhergehenden Erkrankungen zu unter- scheiden, So bleibt uns als Tertium eomparationis das dritte con- stante Cardinalsympt0m: das FiBber. Die Aufschltisse fiber das Wesan der Eklampsie, die wir aus tier Betrachtung der klinisahan Erscheinungen noah erwarten diirfen, liegen bier verb0rgen; nut d~s Fieber kann naeh meiner A nsicht der Wegweiser seth, der die Riehtung bezeichnet, in der wit die Urs~che der Eklampsie zu suahen Mben~ und dieser deutet - - auf eine bakterielle Genese.

In der Arbeit fiber das Pieber unter tier Geburt glaube ieh naehgewiesen zu haben, dass der Nuskelarbeit unter tier Geburt - - tier enormen, wie der abnormen - - nieht diBjenige Rolle zu- kommt, welehe man bisher ihr zuspraeh, dass ein sog. functio- nelles FiBber'ffir den Geburtshelfer kaum in Betracht kommt.

Es ist vielmehr .yon vorneherein jedes Fieber unter der Geburt - - wenn nieht das Gegentheil sieh direct beweisen l~isst - - ebenso als der Ausdruak ether Vergiftung des Organismus dutch bakterielle Zersetzungsproduete zu betraehten~ wie das Woehenbetts- und Sehwangersehaftsfieber. Mit ether solchan Auffassung tiber, das FiBber unter der Geburt eraffnet sieh aueh ffir die Genese der Eklampsie eine neue Perspective.

Wenn ieh nun die vorausgehenden Darlegungen fiber das Fieber bet Eklampsie zusammenfasse~ so eNeben sieh fol.gende Punkte:

1. Dasselbe ist als selbststiindige Erseheinung aufzufassen. 2. Dassalbe unterseheidat: die Eklampsie van andern Convul-

sionen. 3. Dasselbe unterscheidet die Eklampsie yon anderen Ver-

giftungen und eharakterisirt dieselbe als fine bakterietle. Das Fieber ist offenbar diejenige Erscheinung, d i e uns noeh

am ehesten zur Erkenntniss des Ursprungs tier Eklampsie fiihrt, und wenn wir ihren Spuren folgen, so dr~ingt sieh uns der Ver- gleieh zwischen Eklampsie und einer anderen Allgemeinvergif~ung bet Schwangeren, Kreissenden und Waehnerinnen, dem Resorptions- fibber, geradezu auf.

ES ergeben sieh zwisehen beiden folgende Beziehungen:

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Mfiller~ Ueber die Entstehung tier Eldampsie. 2 6 3

1. Die Eklampsie ist eine Allgemeinvergiftung des Organis- mus, bestehend aus 3 Kardinalsymptomen: der TemperaturerhShung, der Nierenst/3rung und den nerv6sen Erscheinungen.

Aueh das Resorptionsfieber ist eine Allgemeinvergiftung, aus- gezeichnet dureh 3 Hauptsymptome, als TemperaturerhShung, NierenstSrung und nerv/~se Erseheinungen.

2. Der Ursprungsort der Eklampsievergiftung ist, ebenso wie derjenige des Resorptionsfiebers, jedenfalls in der Gesehlechtsh6hle zu suohen.

3. Das Gift, welches das Resorptionsfieber hervorruft, ent- steht dutch Einwirkung yon Bakterien auf zersetzungsf~hige Nassen

' und gelangt dureh Resorption in die Blutbahn, es ist also bakte- riellen Ursprungs.

Das konstante Pieber, welches ein ganz specifisches Attribut der Eklampsie ist~ 1/isst sieh nieht anders erkl~ren~ als dureh die Annahme, dass bei der Bildung des Eklampsiegiftes bakterielle Einfliisse thb;tig sind.

Wir haben also bier zwei bei Sehwangeren, Kreissenden nnd W6ehnerinnen vorkommende A llgemeinvergiftungen, denen augen- seheinlioh gemeinsam sind:

1. Die Ursaehe, 2. Der Ursprungsort, 3. Die klinisehen I-Iaupterscheinungen. Es ist nun die Frage, ob aueh die Verh~Itnisse, unter denen

sie auftreten, und ihr Verlauf solche Uebereinstimmung darbieten.

Geburt l ) .

Fieber und Eklampsie treten unter der Geburt mit Vor- liebe auf unter folgenden Umstanden:

Bei Ersegebb;renden. F ieber .

Bekannt ist das ganz enorme Ueberwiegen der Erstgeb~renden beim Pieber unter der Geburt.

Ek l amps i e . Ebenso ist der hervorragende

AntheH der Erstgebarenden an tier Eklampsiefrequenz sehr ill die Augen fallend. Adf 100 Eklam- psien kommmen naeh:

1) Da ieh in diesem Abschnitt der Arbeit in die Lage versetzt bin~ haupts~chlieh mit Literaturangaben operiren zu m/issen~ so gebe ich naeh dem Beispiel 01 s h au s e n' s am Sehlusse desselben eine Uebersicht fiber die heran- gezogene Literatur. Die jedesmalige Bezeichnnng der herr. Literaturangabe erfolgt in der Wels% dass ich den Namen des Autors nnd die Seifcenzahl der

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264~ Mfiller~ Ueber die Entstehung der Eldampsie.

L0h l e in a) . . . . 85,47 S e h a u t a . . . . . 82~6~ B r u m m e r s t g d t . 8075 , C. B raun . . . . . 86,37 v. W i n e k e l . . . . 83,0, O l s h a u s e n . . . . 74,0, L 6 h l e i n d) . . . . 7570 , B i d d e r . . . . . . 7473.

B e s o n d e r s bei ~ l t e r e n E r s t g e b i i r e n d e n .

Naeh G 15 e k n e r (S. 4~19) finden Unter den 145 Erstgebgrenden sieh unter den fiebernden Erstge- mit Eklampsie befanden sich naeh barenden 3271 pCt., welehe das O l s h a u s e n (S. 327) 37 (25,5 pCt.)7 30. Jahr fibersehritten hatten, unter 83 Erstgeb~trenden naeh

L g h l e i n a) 24 (29 pCt.) solehe yon 28 Jahren nnd darfiber.

Be i g e b u r t s e r s e h w e r e n d e m V e r h a l ~ e n s e i t e n s de r W e i e h -

t h e i l e des G e b u r t s e a n a l s ( R i g i d i t s de r We ieh the i l e~ Ver -

w a e h s u n g e n ~ A n s e h w e l l n n g e n , N e u b i l d u n g e n ) .

Rigidit~t der Weiehtheile stellte G15ekne r (Tab. VIII) lest in 13,2 pCt. Diese Complication land er h~ufiger bei Erstgeb~renden (Erstgeb~rende 25 pCt., Mehrgeb~t- rende 575 pCt.).

Es folgen Beispiel% welehe die Wirkung der obengenann~en Anomalien zeigen :

v. W i n c k e l a) (S. 436), Con- glutination des ~usseren Mutter- muades. ,,Die Temperamr stieg in der ErSffnungsperiod% w~hrend der Muttermund die ttervorw61bung der Blase verhindert% auf 38,90 C. und fiel naeh Zerreissung der Ex- sudationsmembran innerhalb 8/~ Std. a~ff 38787 naeh weiteren 1]/s Std. atif 38749 und betrug naeh der Geburt 38~32o C.

G15ekne r (Fall 3, S. 401), Frfihgeburt im 6. Monat. Stenosis orifie, ext. In der ErSffnungsperiode steigt die Temperatur auf 3975 , sinkt in der Austreibungsperiod% Mso naeh ErSffnung des Mutter-

Das Vorhandensein von ge- burtsersehwerenden Anomalien ist in der Literatur bei Eklampsie wenig hervorgehoben warden.

Die lange Darter der Er6ff- nungsperiode~ der hohe Antheil der ftlteren Erstgebarenden spricht da- ffir 7 dass Rigidit~t des Mutter- mundes h~ufig vorhanden ist. Die wenigen Mittheilungen, die wit fiber diesen Gegenstand finden 7 stammen yon Dfihrssen . weleher als Urheber der lneisionen dem- selben begreiflieherweise am ehe- sten seine Aufmerksamkeit sehenkte. Derselbe hebt mehrfaeh die Derb- heit nnd Festigkeit des Mutter- mundes bei Eklampsie hervor [Dt ih rssen @7 S. 5387 Fall 3 u. S. 54~1, Fall 5].

In der Austreibungsperiode giebt seitens der Weiehtheile haupt- s~ehlieh der Datum das geburts- ersehwerende Moment ab. Ieh beobaehtete einen Fall yon Eklam- psie in der Austreibungsperiode.

Zeitsehrift angeb% in welcher doron Arbeit vorSffontlieht warde. Der Titel der Arbeit selbst und die Zeitschrift, in der sic erschien~ finder man dann in dora hinter diesem Capitel aufgefiihrten Verzeichniss unter dem Namen 7 tier citirt wurde.

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Mfiller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie. 265

mundes: auf 38,3 (hSehste Tempe- ratur im Woehenbett am 2. Tage 38:20 C.).

G'~lt)ckner (S. 426), ,hierher sind" (zu den meehanischen Hinder- nissen) ,ferner die F~tlle zu rechnen, wo z. B. Stenose des ausseren Muttermundes, bezw. gigiditgt des- selben, don Fortsehritt der Geburt hemmeu, gltufig sehen wit un- mittelbar naeh operativer Beseiti- gang dieser Anomalie, gegen welehe kr~ftige Wehen bislang erfolglos sieh abarbeiteten~ die hierdureh be- dingte Temperatursteigerung prompt zurfiekgehen. Aueh bei abnormer Deviation des Uterus sah ieh bei Stillstand der Geburt trotz kr~f- tiger Wehen in 3 Fftllen die er- h6hte Temperatur abfallen, naeh- dem infolge riehtiger Lagerung bezw. naeh dem Aufbinden des H~ngebauehes die den Geburtsfort- sehritt t~mmende Ursache beseitigt worden war."

LOhlein c) (S. 537): 38j'Xhr. Erstgeb~rend% bathe bereits 36 Std. gekreisst, das Fruchtwasser war vor mehreren Stunden abgeflossen; Kopf in dec BeekenhShle, schmaler Saum des Muttermundes gesehwol- len. Forceps. ,Sowie der erste ZangenlOffel neben dem Kopf empor- gefiihrt wurde, entwieh neben eini- gen LOffeln fibelrieehenden 7 ein Oefiihl yon Brennen auf der Hand hervorrufenden Fruehtwassers un- ter prasselndem Ger~iuseh eine Quantitiit stinkenden Gases aus dem Uterus."

wo die Resistenz des Dammes den Austritt des Kindes verhindert% und die Convulsionen ausbrachen, nachdem derselbe colossal 6dematSs und so morseh geworden war, dass nach der Extraction mittelst For- ceps 7 bei der der Datum eingerissen war 7 aueh die weitgreifenden Nahte durehschni~ten. (19007 J.-No. 69 der Kiinigl. Entbindungs-Anstalt Bamberg.)

Einen Fall yon t6dtlieh ver- laufener Eklampsie in der Geburt bei Verwachsung der Seheide b e - sehreibt T r a u t e n r o t h (Zeitsehr. f. Gob. u. Gyn. Bd. XXX. S. 163.)

Bei engem B e e k e n .

Von den 211 F~llen G1ock- n e r ' s (Tab. 1[ 7 S. 415) wiesen 63 (29~8 pCt.) ein enges Beeken auf. Wiihrend die gewOhnliche Frequeuz des engen Beckens 14--20 pCt. (hath v. Wincke l 10--15 pCt.) betr~gt~ erhSh~ sie sich bei Fieber auf 30 pCt. Ah l f e ld (S. 491) fa.nd unter 62 Fieberf~llen 45real (72,6 pCt.) enge Becken.

LOhle in a) (S. 93) sah unter 32 Fgllen yon Eklampsie 12real Beekenverengerungen. Besonders fallt ihm, wie aueh anderen 7 auf, dass namentlich die ,durehweg engen Beeken" zu Eklampsie dis- poniren [L 5h le in b)~ S. 63].

Page 33: Ueber die Entstehung der Eklampsie

266 ~Iiiller i Uober die Entstehung der Eklampsie.

Be i r a u m b e e n g e n d e m V e r h a l t e n des K i n d e s ( V o r a n g e h e n des S c h i i d e l s bei der G e b u r t 7 g r o s s e n D u r c h m e s s e r n ,

~. u n g i i n s t i g e n E l n s t e l l u n g e n d e s se lb en ) .

Unter den Langslagen dispo- niren die Kopflagen am meisten zum Fieber,

und unter diesen besonders die- jenigen, bei welehen grosse Durch- messer des Sch~dels die Geburt ersehw eren.

Infolgedessen ist die Fieber- freqaenz gr0sser bei der Geburt "con Knaben, welche durehsehnitt- lieh gr6ssere Schi~deldurehmesser besitzen, als bet M~dehen. Oas gerh~tltniss der Knaben zu den Madehen betr~gt nach G16ekner (Tabelle Iu bei fieberhaften Ge- burten 137:100, bei Erstgeb~tren- den sogar 151 : 100, statt 106,31 zu 100 bei fieberfreien Geburten.

G15ckner (S. 419) land unter seinen 211 Fieberf~tllen 3 Vorder- hauptlagen, 2 Gesiehts- und 2 Stirn- lagen, Ah l fe ld (S. 491) unter 62 Fieberanfallen 2 u lagen, 1 Gesiehtslage, w~hrend sonst [v. Wineke l b), S. 142] die Frequenz der 6esiehts- und Stirn- lagen zusammen nur 0,6--0,8 pCt. betr~gt.

Bei v o r z e i t i g e m B l a s e n

u Blasensprung land naeh Gl(Sekner (Tab. u S. 417) bei 211 fieberhaften Geburten 134mal statt, also in 63,5 pCt. tier Ffdle, und zw.ar ebensowoh[ bei Erst-, als bei Mehrgeb~irenden.

Seh au t a (Tab. u S. 274) fand unter 315 bei Eklampsie beob- aehteten Kindslagen (mit Ausnahme der Zwillingsgeburten) 308 Kopf- lagen.

Naeh S taude Iv. Wineke l b), S. 586] zeigten bei 30 Eklam- ptisehen mit Nephritis die Kin@s- seh~del viel gr0ssere Durehmesser~ als die Kindesk6pfe yon 10 Frauen mit Nephritis ohne Eklampsie.

Aueh bei Eklampsie wird ein Knabenfibersehuss yon S eh au t a (Tabelle I.) eonstatirt.

Unter den 308 Kopflagen S c h a u t a ' s befauden sich 4 Ge- sichtsIagen.

s p r u n g , W e h e n a u o m a [ i e n .

Die Beziehung des vorzeitigen Blasensprungs zur Entstehung der Eklampsie in der Geburt hat einen s~atistisehen Ausdruek in der Lite- ratur noeh nieht gefunden. Gleieh- wohl begegnet man beim Studium soleher F~lle diesem Faetum ausser- ordentiieh h~ufig.

Unter den6 F~llen D iihr s s en's a) (S. 535--541), yon denen 5, so welt dies aus der Besehreibung, zu ersehen ist, am Eude tier Sehwan- gersehaft stattfanden, war aueh

Page 34: Ueber die Entstehung der Eklampsie

Miiller, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 267

Wehensehw~iehe, wie aueh Krampfwehen, wirken: wie ieh in der Arbeit tiber die Aetiologie des Geburtsfiebers betont habe~ fieber- begtinstigend durch die Verl~tnge- rung der Geburtsdauer; und der bei fieberhafteu Geburten, speeie]l in der ersteu Periode, so h~ufig in Betracht kommende Trismus wirkt ganz nach der Art eines rigiden Nuttermundes. Bei Trismus con- statiren wir sehr hfiufig die auf- fallendeThatsaehe, dass, sobald nach ]~ngerer Dauer der ersten Periode das Fieber hohe Grade erreieht, der Muttermund sich in sehr kurzer Zeit vollkommen erweitert und da- mit. das Fieber sehnell abfi~llt. v. W i n c k e l a) (S. 432--33) be- sehreibt einen Fall you Frfihgeburt im VII. Monat mit Temperatur- erh6hung, (39,10 C.), ,die einzig und allein yon der ffihlbaren Stricmr des innern Muttermundes abhangig~ genau so lange anhielt, wie dies% mit der Dauer derselben noeh stieg (von 38,9--3921o C.) und direct mi~ Beseitigung derselben dureh die ktinstliehe Beendigung der Geburt einem ungew6hnliehem Sinken der Temperatur Platz maehte". Das Gleiehe lehren die beiden folgen- den Fiille (1. e. S. 434~436).

die Blase 5real vorzeitig gesprun- gen. In den 3 F~illen~ die ieh in Bamberg zu beobachten Gelegenheit hatt% braeh die Eklampsie einmal in der Geburt 7 einmal sofort nach der Geburt aus. In beiden F~illen hatte tier Blasensprung vorzeitig stattgefunden.

Ebensowenig wie der Blasen- spmng~ wurden die Wehenanoma- lien bei Eklampsie hervorgehoben. Die auffallend haufige lange Dauer der Er6ffnungsperiode bei Eklamp- si% umgekehrt die ausgesproehene Disposition der Eklampsie zum Aus- bruch in der ErSffnungsperfode er- lauben den Sehluss, dass neben Rigidit~tt des Muttermundes und vorzeitigen Blasensprung aueh die Wehenanomalien in Beziehung zur Entstehung der Eklampsie stehen m fissen. Wit sehen ja ,mit Ein- tritt einer prompten, an Stelle einer bis dahin zSgernden Wehenthatig- kei~ die Eklampsie h~ufig~sehwin- den" (LShleiD). Besonders muss der Trismus des Muttermundes, der bei der Ents~ehung des Geburts- fiebers eine so grosse Rolle spielt~ aueh bei Eklampsie sehr h~tufig in Frage kommen. ,Bekannt sind in dieser Beziehung die Fiille, we die in nasse Laken eingepaekten Eklamptisehen~ bei denen die Ex- ploration kurze Zeit vor der Ein- paekung den Muttermund nur ganz wenig ge(iffnet gezeigt hatte~ raseh wieder aufgewiekelt werden muss- tell, well die Geburt dutch wenige Wehen vollendet wurde": (LSh- l e i n d), S. 98). Die ganz ausser- ordentlich 'sehnelle Erweiterung des Mu~termundes beobaehten wit sonst nur bei Krampfwehen. S[e ist aueh nieht anders denkbar. Der Widerstand, welehen die Weieh- theile des Geburtskanals, beson- ders bei Erstgebgreuden, bieten, ist nieht pl/Stzlieh dureh 3-- r krfif- tige Wehen zu fiberwinden, wenn dieselben nieht sehon zuvor eine stSrkere Dehnung erfahren batten. Die pl(itzliehe Erweiterung des

Page 35: Ueber die Entstehung der Eklampsie

268 Mfiller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie.

Muttermundes ist nur so zu er- kl~ren: dass das Gewebe desselben, in dem die circuli~ren Muskelfasern sieh in den Wehen fest contra- hirten, eine starke Dehnung erlitt. Li~sst nun plStzlich der Muskel- krampf nach, dann ist dasselbe schon so ausgedehnt, dass es dem vordringenden Ei bei Eintritt kr~if- tiger Wehen keinen grossen Wider- stand mehr bietet. Die Eklampsie kann wohl die kr'Mtigen Wehen erzeugen~ .abet es w~ire nieht ver- stiindlieh~ wie sie plStzlieh eine in der Struetur des Gewebes liegende Unnaehgiebigkeit desselben in die vollkommenste Naehgiebigkeit ver- wandeln sollte. Ein langere Zeit bestehender Widerstand des Mutter- mundes, der ganz plStzlieh auf- gegeben wird, muss also, - - a b - gesehen yon der Ruptur - - aueh yon einer Ursaehe abhfingig ge- wesen sein, die ebensosehnell ver- sehwinden kann, und als solehe wtisste ieh keine andere ausfindig zu maehen, als den Krampf des Nuttermundes. Vergl. die F~ille Dtihrssen 's a) S. 532, 534, 537 (feste Ansehntirung des Fingers dutch die Cervix) 538~ bei welehem auf den krampfartigen Charakter der Wehen hingewiesen wird.

Die Disposi t ion zur En t s tehung des F i e b e r s und tier Ek lamps ie ist aber n icht allein an dieselben 0r t l ichen , sonde rn auch an dieselben zei t l ichen Verh~iltnisse gebunden. Beide werden

begtinstigt d u r c h die lange D a u e r der Geburt~ und z w a r so- woh l der Er t i f fnungs- wie der Aus t re ibungsper iode .

Mit zunehmender Dauer der ErSffnungsperide nehmen die fieber- haften Woehenbetten stetig zu (Ahlfeld , S. 486)~ desgl, init zu- nehmender Dauer der Austreibungs- periode (1. c. S. 487).

Ebenso nehmen die Eklam- psien zu mit der Dauer der Er~Sff- nungsperiode (Lan tos , S. 376) und Austreibungsperiode.

Page 36: Ueber die Entstehung der Eklampsie

M fi 11 e r, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 26 9

Auch im Verlaufe des Fiebers und der Eklampsie zeigen sich auffallende Uebereinstimmungen:

i. P i ebe r und E k l a m p s i e , s t anden , kSnnen aueh unter bezw. aufhOren, - - und zwar

G15ekner (S. 429): ,,Hier fie] sehon vor (oder unmittelbar naeh) der Geburt die abnorm erhOhte Temperatur dauernd zur Norm herab.

Beispiele: 1. c. S. 4017 Fall 2u. 3.

v. Winekel a) S. 422, Remis- sion der Temperatur ,trotz" kr'Xf- tiger Wehen.

G]Sekner S.426 (siehe S. 265 dieses Heftes).

welche in der Gebur t ent_ der Gebur t wieder a b n e h m e n mit E i n t r i t t krS;ftiger Wehen.

Bidder (S.172). Inl2,3pOt. aller derjenigen Eklampsien, die vet oder w'Xhrend der eigentlichen Geburt einsetzten, hat die Eklam- psie sehon vor der Geburt wieder aufgeh6rt.

L6hlein b) S.56/57 hat mehr- fach Kranke gesehen, bei denen mit Eintritt der Wehen bez. mit Beginn einer prompten an Stelle einer bis dahin zOgernden Wehen- th~ttigkeit die Anf~lle sehwanden oder doeh seltener wurden.

2. Wie F ieber und E k l a m p s i e mit E i n t r i t t gu t e r Wehen h//ufig abfal len, so wirken u m g e k e h r t F i e b e r u n d E k l a m p s i e wehene r r egend und bewirken oft eine au f f a l l end schnel le

Beend igung der Geburt.

Ahlfeld: S. 492. ,,Es zeigte sieh, dass mit Beginn des Fiebers, genauer nach Beginn desselben~ eine ungemein starke WehenthStig- keit begann, und binnen kurzer Zeit die Geburt beendet wurde. Es gesehah dies mit einer solchen Haufigkeit~ dass wir bei unseren zahlreichen F~tl!en yon kfinstlicher Anregung der Geburt, sobald die Wehenlosigkeit fiber einen Tag und dartiber gedauert hatte, auf die Temperatursteigerung und damit aueh auf den Eintritt krSftiger Wehen warteten."

Lshlein, d )S . 98. Siehe S. 267 dieses Heftes unter Krampf- wehen.

Dfihrssen: a) S. 537. Auf- fallend sehnelle Fortsehritt% welche die erste und zweite Periode bei erkrankten Frauen macht (Veit).

3. Von p r o g n 0 s t i s c h g r5ss te r Bedeu tung ffir den Verlauf der E k l a m p s i e wie des F iebers ist der Z e i t p u n k t , in wel-

t hem die E r sche inungen auf t re ten . Ahlfeld: S. 495: ,,Wiehtiger LShlein, b) S. 56. ,:Die Ge-

als die ttShe des Fiebers und fahr ist um so geringer~ je n~ther Pulses bei der Prognese ist- Die der Ausbruch der Eklampsie der Zeit des Eintritts des Fiebers im Beendigung der Geburt liegt".

Archiv f. G-yniikologle. Bd. 66, tI. 2. 13

Page 37: Ueber die Entstehung der Eklampsie

270 M[iller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie.

Verh~ltniss zum Fortsehritt in der Geburt; d. h. tritt das Pieber zu einer Zeit ein~ wo die Geburt noch nicht bald endet~ oder kfinstlieh zu beenden ist, so ist dies un- giinstiger ftir das Woehenbett. ~

Schauta~ S. 269. ,Die Pro- gnose fiir die Mutter ist um so giinstiger, je naher der Ausbruch tier gklampsie dem Ende der Ge: burr liegt".

4. D e n g i i n s t i g s t e n E i n f l u s s a u f d e n V e r l a u f de r E k l a m p s i e

u n d des P i e b e r s h a t die t ~ n t l e e r u n g des U t e r u s ; doeh

k S n n e n b e i d e E r s c h e i n u n g e n s i ch f ibe r die G e b u r t h i n a u s

in das W o c h e n b e t t f o r t s e t z e n .

G16ekner , S. 423. Yon 211 Die Anf~tlle hSrten sofort oder P~tllen fieberhafter Geburten weisen gleieh naeh der Geburt auf 132normale Woehenbetten auf. Der naeh L a n t o s in 69,2 pCt. Einfluss des Fiebers fibertrug sieh naeh LSh le in in 80 pCt. auf das Woehenbett in 37~4pCt. naeh O l s h a u s e n in 85 pCt.

naeh Df ih r s sen in 89 pCt. der F~lle.

A h l f e ] d , S. 494. Aufd ie62 N a c h W i e g e r (D i ih r s sen a) Geburten mit Fieber f olgte S. 518) htirten die Anflille naeh 22real ~ 35~5 pCt. ein normales der Geburt auf

Wochenbett, 39real = 35~1 pCt., 18mal -~- 29,8 pCt. ein fast nor- wurden schw~tcher

males Woehenbett~ 35 real -~ 31~5 pCt, 22mal ~--- 35~5 pCt. ein fieberhaf- blieben stark

tes Wochenbett. 37mal = 33,33 pCt. Unter den 143 F~llen Ols-

h a u s e n ' s (S. 3r hSrten die An- f~lle mit der Geburtsbeendigung sofort auf 92real, kamen 1--2real wieder 29mal~ kamen3mal und 5fterwieder 22real.

5. S p o n t a n e und o p e r a t i v e B e e n d i g u n g de r G e b u r t z e i g e n

k e i n e n U n t e r s e h i e d in de r g i i n s t i g e n B e e i n f l u s s u n g des

V e r l a u f e s be i F i e b e r u n d E k l a m p s i e .

G16ckner , S. 421. Opera- tionen haben keinen Einfluss auf die Woehenbettiiebermortalitlit.

�9 Spontane Geburten: operati- riven wie 24 : 26.

Olshausen~ S. 340. Bei 73 spontan ver]aufenen Geburten kehrte:

kein Anfall . : wieder 43real 1--2 Anf~lle . ,1 17 ,1 3 u. mehr AnfNle ,, 13 ,

bei 70 operativen: kein Anfall . . wieder 49real 1--2 Anf~tlle . ,I 12 71 3 u. mehr A nfalie ,~ 9 ,

D t ih r s sen b) S. 126. Die Eklampsie hSrt h$ufiger auf naeh kiinstlieher, als nach spontaner Ent- leerung des Uterus.

Page 38: Ueber die Entstehung der Eklampsie

Mfiller, Uebcr die Entstehnng der Eklampsie. 271

6 . . D e r T o d des K i n d e s h a t au f die E n t s t e h u n g und

:Ex i s t enz des F i e b e r s und de r E k i a m p s i e e inen n a c h - ' : �9 th e i ] i gen E i n f l u s s .

A h l f e l d , S. 485. ,,Die Ge- bUi't macerirter Frfiehte bietet die gfinstigsten Aussiehten ffir den Wochenbettsverlauf. (76pCt. fieber- lose Woehettbetten.)

Dieses Resultat ist abhangig van dem schon vor der Geburt vallendeten Versehluss der deei- dualen Gefitsse. ,Mit dem Ab- sterben des Kindes verSdet die Placenta und secund~r das mfitter- liche Oecidualgewebe' (Plae. ma- terna)."

7. D a s L e b e n des K i n d e s i s t

B idd e r , S. 173. Die Eklam- psie tritt ~usserst selten auf bei r Kinde.

S c h a u t a , S. 286. 3 Fitlle yon Auih~iren der Eklamps[e und Albuminurie ante et sub part.; spi~tere Geburt maeerirter Kinder. (Centralbl. f. Gym 1900. No. 49. S. 495) nach Entleerung des Uterus crier Absterben des Kindes h6rten die Anfalle in 90 pCt. auf.

bei F i e b e r und E k l a m p s i e

s e h r g e f a h r d e t .

G15ckner~ S. 420. Tadtge- barene Kinder bei Fieber 38~4 pC~. (unter 195 ausgetragenen Kindern 75).

W in t e r , S. 208. 22pCt. der Kinder unterliegen dem Fieber in .tier Geburt.

B idder s S. 176. Verlust der Kinder bei Eklampsie:

B idder 2321 pCt. S c h a u t a 24,3 pCt. P a w p e r t o n 2477 pCt.

Literatur.

1 ) Ah 1 fel d, Bei~r~ge zur Lehre vom Resorptiansfieber in der Geburt und im Wochenbett etc. Zeitschr. f. Geb. u. Gym Bd. XXVII. S. 466.

2) B i d der, Beitrag zur Eklampsie anf Grund van 81 Fiillen. ])ieses Arch. Bd. 41 u. 42.

.3) Diihrssen, a) Ueber di e Behandlung' der Eklampsie. Dieses Archiv~ Bd. 4~: S. 5131

b) Ueber Eklampsie. Dieses Archly. Bd. 43. S. 116. 4) G15ckner, Temperaturstudien bci GoNirenden. Zoitschr. f. Geb. u. Gym

Bd. XXI. S. 3S6.

.5) Lantos , Beitfiige zu der Lehre yon tier Eklampsie und Albuminurie. Dieses Archiv. Bd. 32. S. 364.

~6) L:ghlein, a) Bemerkungen zur Eldampsie. - - Frage I. Zei~sohr. f. Gob. u. Gym Bd. IV. S. 88.

b) Bemerkungen zur Eklampsie. - - Frag'e II. Zeitschr. L Geb. u. Gym Bd. VI. ,S. 49.

C) Eldampsie im Sp~itwochenbett. Zeitschrl f. Geb. u. Gym Bd. VIII. S. 535.

d) GynSkologischo Tagesfragen I I , Ueber ggufigkeit, Prognose and Behandlung d~r Eklampsie.

Page 39: Ueber die Entstehung der Eklampsie

272 Mfiller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie.

7) Olshausen. Ueber Eklampsie. Volkm. Sammlung klin. Vortr~ge. N.F. ~o. 39.

8) Sch~uta~ Beitr~ge zur Lehre yon dot Ekl~mpsie. Dieses Arch. Bd. 18. S. 267.

9) v. Winckel: a) Temper~turstudion bei der Geburt und im Wochenbett. Monatschr. f. GeburtsL u. Frauenkrankh. Bd. XX. S. 409.

b) Lehrbuch der Geburtshilfe. 10) Winter: Fieber in der Geburt. Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. XXHI.

S. 208.

Fassen wir die vorstehenden Vergleiche zusammen, so finder, wir folgende Beziehnngen zwischen Fieber und Eklampsie:

1. Oertliche Disposition zur Entstehung beider ist vorhander~ bei Erstgeb~renden, besonders '/tlteren, bei r~umlichen Missverh~tlt. nissen zwischen Geburtskanal und Frucht, als engem Becken, raum- behinderndem und den Geburtsfortschritt verzSgerndem Verhalte~ der Weichtheile, grossem Kindskopf, ung~nstigen Einstellunger~ desselben, also Verh~ltnissen, die zu vermehrter Quetschung des Gewebes und Ansammlung zersetzungsf~thigen Materials fiihren. Ferner unter Solchen Umst/~nden, welche an und fiir sich die Ge- burt verzSgern und die Zersetzung des angesammelten Secrets be- giinstigen, vorzeitige m Blasensprung und Wehenanomalien.

2. Zeitliche Disposition ist gegeben dureh die lange Dauer der Geburt, und zwar sowohl der ErSffnungs- wie der Austreibungs- periode.

3. Im Verlauf zeigen beide iibereinstimmende Eigenth~imlieh- keiten. Beide, in der Geburt entstanden, kSnnen unter der 6eburt wieder abfallen; yon giinstigem Einfluss sind haufig der Eintritt kr~ftiger Wehen und die fortschreitende ErSffnung des Mutter- mundes. Den gtinstigsten Einfluss auf den Verlauf abet iibt die Beendigung der Geburt, gleichgiiltig, ob dieselbe sponta~ oder auf kiinstlichem Wege erfolgte, doch kSnnen sich Fieber und Eklampsie auch in das Wochenbett fortsetzen.

Von grSsster prognostiseher Bedeutung ftir den Verlauf ist der Zeitpunkt, in welehem die Erscheinungen auftreten. Fieber und Eklampsie wirken wehenerregend.

Das Leben des Kindes ist dutch beide Vergiftungen sehr be- droht; der Verlust betragt durchsehnittlich 1/4 his 1/a derselben. Der Tod des Kindes bietet giinstige Chaneen fiir den Verlauf der Eklampsie, wie des Fiebers.

Eklampsie und Fieber in der Geburt entstehen also unter

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Mtiller,, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 273

ganz gleichen 5rtlichen und zeitlichen Verh~iltnissen, ferner zeigen sie eine ganz auffallende Uebereinstimmung im Verlauf.

Wenn wir nun dieses Ergebniss zu den frfher gewonnenen hinzufiigen~ so ergiebt sich folgendes:

Beide sind A1]gemeinvergiftungen~ in ihrem Auftreten gebunden an den generativen Zustand des Weibes. Das Gift entsteht dureh bakterielle Zersetzungsvorgga)ge in der GesehleehtshShle und wird yon dort resorbirt und in das Blut aufgenommen. Ihre klinisehen Symptome sind die g]eichen: TemperaturerhShung~ 7~Nephritis"7 nerv6se Erseheinungen; ihre Entstehung ist gebunden .an die glei- chert 5rtliehen und zeitliehen gerh/~ltnisse, und im Verlauf unter tier Geburt stimmen sie iiberein.

Wir haben demnaeh ausreiehende GrSnde, anzunehmen, dass F~klampsie und Fieber sieh wesentlieh ganz nahestehende ]~r- krankungen sind.

Nun wird man aber einwenden: dieses Alles zugegeben~ woher kommen dann die Convulsionen? Solehe beobaehtet man doeh beim Pieber nieht?

Wenn man einem 5Iensehen eine kleine Dosis Morphium ver- abreieht, so entsteht eine A]]gemeinvergiftung, welehe sieh in einer sedativen Einwirkung auf das Nervensystem ~ussert. Verleibt man demselben al]m/ilig noch eine Anzahl soleher Morphiumdosen ein, so wird die Vergiftung immer sehwerer, die Bet~iubung des Nerven- systems tiefer:

Mit diesem Effekte kann man dem Menschen eine ganz er- hebliehe Qua, ntit~t Morphium zufiihren. Verleibt man demselben aber die ganze Quantit~t auf einmal ein~ so wird er sofort mit Kr/impfen reagiren. Dieselbe Erseheinung seh.en wir aueh bei anderen Vergiftungen, solehen mit Arsenik~ Chinin~ Coeai'n e t c , also Giften7 denen an sieh krampferregende Wirkungen nieht zu- kommen. Sammeln sieh allm~ilig grosse Dosen eines Giftes im Blute an~ so entstehen die specifisehen Erseheinungen desselJoen im hohem Maasse und fiihren in der Regel zu eomatSsen Zust~nden. Gelangen aber grosse Mengen eines Giftes sehr Sehnell in den Kreislauf~ so antwortet der Organismus - - obwohl dem Gift eine krampferregende Eigensehaft yon Natur nieht i n n e w o h n t - mit Convulsionen. Ebenso liegt die Sache bei den 5akteriellen In- toxieationen und speeiell beim Fieber der Sehwangeren, Geb~irenden und WSchnerinnen. Durch die Resorption geringer Mengen bak- terieller Zersetzungsprodukte entstehen leiehte nervSse Symptome

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274 M ii 11 e r ~ Ueber die Entstehmlg der Eklumpsie.

(StSrung des AHgemeinbefindens, Kopfweh, Sehwindel~ Erbrechen)~ dutch die allm/~lige Resorption grosser Giftmengen Erregungszu. st~inde,,Delirien, Coma, durch die plStzliche Aufnahme grosser Gift- mengen Convulsionen.

Es sind also die Convulsionen niehts anderes 7 als eine Etappe in den durch die Vergiftung bedingten nervSsen Erscheinungen; sic sind aufzufassen als eine gewaltige Reaction des Organismus geger~ pl5tzlieh : i h m einverleibte hohe Giftwerth% an die er sich nicht anpassen konnte.

Bet d er eigentlichen puerperalen Infection finden wir alle die bekannten,nervSsen Symptome yon einer leichten St5rung des All- gemeinbefindens b]s zum schwersten tSdtliehen Coma: je naeti der Schwere der Vergiftung, aber keine Gonvulsionenl Dies hat seinerL Grund darin, dass der infectiSse Process allm/ilig fortgchreitet I und dementsprechend die Giftbildung. Das Blur wird zwar mit/ ether grossen Giftmenge iiberschwemmt, aber allmiilig, der Or- ganismus passt sich der ver/mderten Zusammensetzung des Blutes an, es tritt Fieber auf, die grossartige Reaction der Corivulsion'en bleibt aus, selbst bet der schwersten Septiks Spielen sich aber infectiSse Zersetzungen nicht an dem ]ebenden~ direkt im Bereiche der Blutcirkulation liegenden, sondern in dem abgestossenen Ge- w e b e und den Sekreten in einem h5hlenfSrmigen Organ ab, so wird das Gift nicht sofort in derselben Menge in's Nut aiufge- nommen, ix der es gebildet wird. Dasselbe sammelt' sich vielmehr~ sofern es nicht abfliessen kann, in grSsseren Mengen an und kann unter giinstigen Umst/indcn (grosse Resorptionsfl.tiehe,. hoher intra- uteriner Druck) plStzlich in grosset Masse zur Resorption Re, langen.

Die F01ge davon ist der eklamptische Anfall. ES ist demgem~ss die Eklampsie dem sog. Resorptionsfieber

gleichzustellen. N u n ist zwar das eigentliclae Infectionsfieber und das Resorptionsfieber in Wirklichkeit nicht genau zu trennen, wenn man das erstere als eine Infection des bleibenden: das letztere als eine solche des bereits abgestossenen oder in Abstossung be- griffenen Gewebes betrachtet. Ist die Geb~rmutterwand inficirt; so kommt eS gewShnlich aueh zu ether Infection des GeMrmutter- inhaltes. Ist umgekehrt der Geb/trmutterinhalt inficirt,o so kann se - cund/tr eine Infection des. bleibenden Gewebes entstehen, gs kSnnen a l s o einfaehe Resorption infectiGs zersetzter Massen- und wirkliche Infection neben einander hergehen. Convulsionen treten

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M[iller, Uober die Entstehung der Eklampsie. 275

abet nut dann auf, wenn es zu plStzlicher Resorption grosset, in der GeschlechtShi~hle angestauter Giftmengen kommt. Diese beiden Arten yon Fieber kSnnen wir, da uns hSchstens der weitere Ver- lauf, und dieser oft nicht einmal, Aufschluss fiber ihre Natur geben kann, in der Geburt zumeist nicht yon einander unterscheiden. Gleich- wohl abet dfirfen wit, wenn wir das Fieber und die Eklampsi e unter tier Oeburt mit einander vergleichen, nicht vergessen, dasses diese beiden Arten gieb L donn hieraus erkt/iren sich auoh einige Ver- schiedenheiten, die sich inmitten der auffallenden Uebereinstimmung herausheben, so z. B. die yon LShle in betonte eigenthfimliche Pr/idilection der Eklampsie ffir das ,,durchweg verengte Beckon". Sobald wit bedenken: class die Eklampsie clem Resorptionsfieber gMchzustellen ist, bei d e m e s auf die Resorption gr6sserer, frei in tier Geb~rmutterh5hle angestauter Oiftmengen ankommt, so wird uns diese Eigenthfimlichkeit sofort begroiflich, denn bei dem all- gemein verengten Beckon findet sich ein ganz gleichm~tssiger Ab' schluss des Geburtskanals~ der den Abfluss des inficirten Sekrets in tier Wehe besser verhindert, als der liickenhafte Abscbluss bei ungleichm~ssig verengtem Beckon, w/thrend natfirlich in Folge der Quetschung des Gewebes .die Gelegenheit zur Infection hier ebens0 gegeben ist, wie bei dem gleichm~tssig verengten Beckon.

Dass nun der eklamptische Anfall in dcr That zu Stande kommt durch schnelle Aufnahme grosset Giftmengen, dafi~r finden sich ganz bestimmte Anhaltspunkte. Das so h/iuflge Fehlen aller Prodrome: der unvermittelte Eintritt sehwerster Allgemeinerschei- nungen, die pl6tzliche und' schnell zu vollkommener Anurie ffihrende Affection der Nieren - - die :,:Nephritis acutissima '' - - beweisen, class es sick um eine ganz acute Vergiftung handelt; diese wiederum kann natfirlich nut durch plStzliche Aufnahme grosset" Giftmengen entstanden sein.

Neben der Quantit/tt des Giftes scheint abet auch die Qualit~tt desselben in Betraeht zu kommen. Die Bakteriengifte entstehen nicht aus den Bakterien selbst, sondern aus dem Substrat, welches sic zersetzenl). Es kSnnen grosse Bakterienmengen im Blut eir- culiren, ohne schwere Vergiftungserseheinungen hervorzurufen. Bei Py/imie, we es zur Ueberschwemmung des Blutes mit Bakterien und Verschleppung derselben in die Organe komm L treten die

l) v. Jaksoh~ Die Vorgiftungen. Nothnagol, Speciello Pathologic u, Theraioie. Bd. I. $. 6.

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276 Mfiller, Ueber die Entstehung der Eklampsie.

Vergiftungssymptome weniger stark hervor, als bei Septik~mie; d i e Verschlechterung der Pulsqualit~t, die nervSsen Erscheinungen sind geringer, hingegen die Temperaturen h5her, deren HShe man des- halb vielfaeh geradezu als bezeiehnend fiir geringere Vergiftungs- grade ansieht. Bei der Septik~mie hingegen, wo wegen der auf dem Lymphwege fortsehreitenden Infection haupts~chlieh fertige Gifte ins Blur gelangen, treten die sehweren nervSsen Ersehei- nungen, Delirien, Coma und die Versehleehterung tier Pulsqualitiit in den Vordergrund, wiihrend die Temperatur dabei oft nicht einmal sehr hoeh ist.

Die Sehwere der Vergiftung also, die ihren Ausdruek findet in der Sehwere der nervSsen Erseheinungen und der Verschleehte- rung der Pulsqualit/it, w/ihrend das Fieber als Vergiftungsindikator zuriicktritt I wird beeinflusst besonders dutch die Qualitiit des Giftes, sozusagen einer gewissen Reife desselben. Das tiefe Coma, die hohe Pulsfrequenz bei relativ nieht bedeutender TemperaturerhShung, die kolossale Degeneration der Niere, der geffihrliehe, oft und schnell zu Tode fiihrende Verlauf lassen darauf sehliessen, dass aueh bei Eklampsie eine gewisse Reife des G'iftes. in Betracht kommt. Natiirlieh kann ein kleineres Quantum qualitativ starken Giftes ein grSsseres yon geringerer Qualit/~t ersetzen. Das Wesent- liehe fiir den eklamptisehen Anfall ist die plStzliehe Einverleibung hoher Giftwerthe in den Organismus!

Die Sehiittelfr5ste, die bei Py~mie so stark hervortreten add offenbar eine sehnelle Resorption grSsserer Bakterienmengen be- zeichnen, sind in gewisser Beziehung mit den eklamptisehen Con- vulsionen zu vergleiehen; aueh sic bestehen ja in unwillkiirlichen krampfhaften Muskelzuckungen, die allerdings leiehter Natur sind nnd mit vollkommener Erhaltung des Bewusstseins, dafiir abet mit hohen Temperaturexaeerbationen verlaufen.

Die Convulsionen, die entspreehend dem Grad der Vergiftung an sieh alas eine Mal leiehter, das andre Mal sehwerer sind, be- deuten einfaeh die Reaction des Organismus gegen das gewaltsame Eindringen des Giftes, an das er sioh nieht adaptiren konnte.

Ieh stelle also die Eklampsie derjenigen Vergiftung vollkommen gleieh~ die wit als Resorptionsfieber bezeiehnen, undhalte sic nut fiir eine besondere Aeusserungsform derselben. Das Gift, welches beide Erseheinungen hervorruft, ist dasselbe, es entsteht dadureh, class die im Gesehleehtskanal angesammelten Sekrete und abge- s~orbenen Gewebsmassen dureh die in demselben vorhandenen

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Mfiller, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 277

Mikroorganismen eine Zersetzung erfahren~ und es besteht nur ein gradueller Unterschied in der Weise, dass des Eklampsiegift infolge weiter vorgesehrittener Zersetzung ein reiferes, hoehwerthigeres Gift darstellt.

Woehenbet t .

Auf die 62 fieberhaften Geburten Ahl fe ld ' s (S. t9oi) folgte 22 mal (= 35,5 pCt.) ein fieberhaftes Woehenbett. Naeh G15ekner (S. 423) iibertrug sieh tier Einfluss des Fiebers in der Geburt auf das Woehenbett in 37,t pCt. Es maehen sieh also in etwas mehr als einem Drittel aller F/ille bei fieberhaftem Geburtsverlauf aueh StSrungen im Woehenbett geltend. Entspreehend dem vermehrten Geburtstrauma bei Erstgeb~renden und der dadureh bedingten hi/ufigeren Infection des bleibenden Gewebes haben dieselben natiir- lieh geringere Aussieht auf einnormales Woehenbett als fiebernde Mehrgebb;rende. Das Verh/iltniss der normalen Woehenbetten bei Erst- und Mehrgeb~renden ist naeh GlSekner 51,2:70 pCt.

Wie ieh aber bereits in dem Beitrag ,zur Aetiologie des Fiebers unter der Geburt" 1) betont babe, sind aueh diejenigen Geburts~eber, welehe man nicht als ins Woehenbett fortgesetzt zu betraehten pflegt~ mit der Beendigung der Geburt nieht sogleieh versehwunden, sondern setzen sieh~ wenn aueh xumeist mit der Tendenz zum Ab- fallen, in die ersten Stunden des Woehenbettes fort. Dieser Abfall des Piebers zur Norm naeh beendeter Geburt erstreekt sieh auf mehrere, bis auf eine ganze Reihe vo~ Stunden und ,es giebt Fitlle~ in denen die der Geburt folgende Temperatursteigerung sieh fiber die n//ehsten 12 Stunden hinaus erstre&t, und die folgende Temperaturabnahme sieh erst am'zweiten Tage des Woehenbettes zeigt"' 5. Die g!eiche Thatsaehe beriehtet Fisehela) .

Es kommt abet aueh vet 7 wie Fall M. W. (1900, J.-No. 96 der K. Entbindungsanstalt Bamberg)~) beweist, dass die Temperatur naeh tier Geburt noeh einige Stunden lang weiter steigt, um dann dauernd zur Norm abzufallen. Diese Erseheinung ist offenbar

1) Dieses Archly. Bd. 65. It. 2. 2) Winckel, Monatsschr. L Geb. u.-Frauenkrankh. Bd. XXII. S. 330. 3) Fischel~ Zur Therapio der pnerperalen Sepsis. Dieses Archly.

Bd. XX. S. 16. ~\Venn wit yore ersten Wochenbettstag% an welchem man recht hgufig eine Temporatur bis 38,5 ~ C., manehmal his zu 39 0 C.~ in sel- tenen Fiillen sogar bis 40~ C. beobaohten kann, die ganz spontan r~ickg~ngig wird, und an die sich ein g~nz afebriles Wochenbett ansohliessen kann etc."

4) Dieses Archiv. Bd. 65. tt. 2. S. 336.

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278 l~i/iller~ [Jeber die Entstehung der Eklampsie.

nicht ganz selten, nut pflegt man diese naehtr/igliehen Temperatur- erhShungen zu iibersehen, da der unter odor kurz naeh der Geburt vorgenommenen Messung in der Regel erst nach einer ganzen Reihe yon Stunden die nSoehste folgt.

Daraus geht horror, dass in den n~tehsten Stunden naeh der Geburt noch fiebererzeugendes Gift in tier GebgrmutterhShle sieh befindet. Die Giftbildung nimmt zwar in der Regel unter den dureh die Beendigung tier Geburt gesehaffenen neuen Verh~iltnissen ab, abet die Fortsehaffung desselhen nimmt doeh eine gewisse Zeit in Anspruch.

Andererseits ist dutch die AblSsung der Placenta eine grosse, freie Resorpfi0nsflgehe gesehaffen und die Gelegenheit zur Resorp- tion in hSherem Grade gegeben als zuvor. Diese Erleiehterung der t~esorption bedingt es wohl aueh, dass alas Pieber nach der Geburt zuweilen noeh ansteigt, obwohl die Neubildung des Giftes zumeist geringer und die Abflussverh~ltnisse fiir alas infieirte Secret giinstigere sind. Es geniJgt jetzt eine ganz unbedeutende Retentions- gelegenheit odor Druekerhebung in der Geb/irmutter, wie alas Cel- ]abiren des Nuttermundesl die Verstopfung des Halseanals durch Bluteoagula, eine ungfinstige Lage oder ein Druek auf den Uterus, um die Resorption betr~iehtlieher Giftmassen zu ermSgliehen~ be- senders in den ersten Stunden naeh der Geburt~ we derVerschluss tier .Gef~[sse an tier Plaeentarstelle noeh sehr wenig feat isL

Wenn man nun annimmt~ dass die Eklampsie eine dem Resorp- tionsfieber durehaus analoge Ersoheinung ist, und tier eklamptisehe Anfall speeiell haupts~ehlieh zu Stande kommt dutch eine plStz- lithe, gewaltige Uebersehwemmung des Blutes mit denselben Gift- stoffen, welehe in geringerer ~'Ienge and Qualit~tt einfaeh Fieber er- zeugen, so ist es leieht begreiflieh, dass die Eklampsie so beson- tiers h~tufig in den ersten Stunden naeh der Geburt auftritt.

Da die Bildung des Giftes hauptsitehlieh unter den dutch die Geburt gegebenen Bedinguagen stattfand, dasselbe also sozusagen yon der Geburt in alas Woehenbett iibernommen wird, so miissen naturgem/~ss aueh diejenigen Verh~tltnisse, welehe die Entstehung des Fiebers und der Eklampsie unter der Geburt begiinstigen dureh Ersehwerung und VerzSgerung derselben: einen Einfluss besonders auf die kurz n~eh der Geburt ausbreehenden Eklampsien ausiiben. Ja es ist sogar mSglieh, dass dieser Einfluss sieh manehmal weiter ins Woehenbett hinein erstreekt, da die Zersetzung hervorrufenden Keime in tier GesehleehtshShle vorhanden sind~ u n d e s nut einer Re'sorptionsgelegenheit und einer Drue, kerhebung im Uterus bedarf,

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M ii 11 or ~ Uebor dio Entstehung der Eklampsie. 2 7 9

um Fieber wie Eklampsie hervorzurufen. Gelegentlich kommen auch andere Momente in Betracht, als Geburtserschwerung und VerzSgerung. Bumml) betont die MSglichkeit der Fieberentstehung dureh Hinaufkriechen der Bakterien an einem in die Scheide hin- einragenden Eihautstrange. Ich beobaehLete einen Fall yon Eklam- psie kurz naeh der Geburt2), wo nach vorzeitigem glasensprung die Wasserhaut sowie ein Theil tier Leder- und Siebhaut vorgefallen waren und aus der Vulva hinausragten. Der hohe Grad yon Aus- trocknung i den diese It/iute bei der Besichtigung naeh Ausstossung der Naehgeburt zeigten 7 liess darauf s&liessen, dass sie sehon lange vor der Geburt prolabirt waren und m6glieherweise die Einwande- rung yon Bakterien in die Geb~rmutterh6hle besonders erleiehtert hatten.

Beziiglieh der Fortsetzung der Eklampsie yon der Gebur~ in das Woehenbett finden wir iibrigens, wie aueh bereits bei der Be- s&reibung des giinstigen Einflusses der Entbindung auf den Ver- lauf yon Fieber und Eklampsie hervorgehoben wurde, eine ganz auffallende Uebereinstimmung in der Frecluenz , so dass aueh im Woehenbett die unter der Geburt beobaehtete Aehnlichkeit zwisehen Fieber und Eklampsie deutlieh zu Tage tritt.

Die autoehthonen Woehenbettfieber treten zumeist auf in der Zeit vom dritten his siebenten Wdehenbettstage und werden dann in Folge der Regeneration der Geb~irmuttersehleimhaut und des zu- nehmenden Absehlusses der Plaeentarwunde immer seltener; doeh sind naeh Ah l f e ld a) solehe Temperatursteigerungen~ welehe erst naeh dem siebenten Tage beginnen, nieht selten~ naeh ihm be- tragen dieselben sogar 31,1 pCt. aller Woehenbettfieber. Sehon naeh aeht Tagen erkrankt eine W~iehnerin selten~ und noeh sp~tere Fieber geh6ren natiirlieh zu den Seltenheiten, immerNn ist die Disposition dazu gegeben, so lange der Uterus im puerperalen Zu- stand sieh betindet, und so lange nieht dutch die Riie kbildung des Uterus die gleiehen oder ann/~hernd die gleiehen Verh~ltnisse wieder hergestellt sind, wie sie vor der Schwangersehaft be- stamen.

Das Resorptionsfieber im Woehenbett entsteht dureh die Zer- setzung des Loehialseeretes dutch Mikroorganismen und Anstauung

1) Centralbt. f. Gym 1897. S. 1342. 2) 1901. J.-No. 43. Kgl. Entbindungsanstal~ Bamberg. 3) Zeitschr. f. Geb. u. Gym Bd. 27. S. 471.

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280 Mtiller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie.

dessdben in der Geschlechtsh6hle. Die Ursachen desselben sind zumeist 8t6rungen des Secretabflusses in Folge Verstopfung bezw. Abknickung des Cervicalcanals duroh unzweckm~issige Lage der W6chnerin und starke Ante- bozw. l~otroflexio des Uterus odor aber momentane DruckerhUhungen in der Gebitrmutterh6hle, bedingt durch Aufrichten der WSchnerinnen und [rrigationen des Gesehlechts- canals. Bekannt ist ja die rapide vorfibergehende Erh6hung der Temperatur nach Irrigation der GeMrmutterh6hle bei vorhandenem Wochenbettfieber. Im Allgemdnen sind ,'tiese l~esorptionsfieber im Wochenbett ganz ungefghrlieh~ wenn niaht etwa Eihautfetzen zurfiek- geblieben waren~ die infidrt werden und eino Endometritis erzeugen, auch gehen sie zumeist schndl voriiber. Ein Seealepulver~ eine Vaginatdouche, Aufrichtung des anteflectirten Uters bedingen zumdst einen schnellen Abfall des Fiebers.

So lange nun die Bedingungen gegeben sind zur Entstehung des R esorptionsfiebers, so lange besteb_t die MSglichkeit der Ent- stehung der Eklampsie. Da aber die Eklampsie, wie bereits er- w~thnt, g[instigere l{esorptionsverMltnissa erheiseht 7 so muss siah nothwendigerweise mit dem Vorriiakan der Woehenbettszeit dn Untarsehied zwisehen Fiebar und Eklampsie in der Richtung her- ausstellen: dass die Eklampsia in der Frequenz relativ vial schneller abnimmt als das Resorptionsfieber. Die klinische Erfahrung steht damit vollkomman in Einklang:

~Es ist bekannt, dass die Mehrzahl allar Anfglle bei Neu- entbundenen und WSehnerinnan in die erstan Stunden nach be- endigter GeburtstMtigkeit igllt. ~Nach meinen Erfahrungen treten zwei Drittel der Woehenbettseklampsian in den ersten 12 Stunden post partum auf, nur ein Drittal spgter. Diejenigen Eklampsien wiederam, welahe sparer als 12 Stunden pos t partum zum Aus- brueh kommen~ gehSren doch fast aussehliesslieh den ersten anr bis sechs Tagen des Woehenbetts an, Beobaehtungen aus noch spgterer Zeit bilden grosse Sel{enheiten.*)"

Der spgteste Fall yon Eklampsie, weleher bisher in der Lite- ratur verzeiehnet war~ ereignate sieh am 28. Tage des Woahen- betts (Fall Thei lhaber)2) . Den Fall S i m p s o n , weleher in der neunten Woehe des Woehenbetts auftrat, erkennt LShla in a) nicht

1) LShlein ~ Eklampsie im SpgtwoGhenbett. Zeit~chr. f. Geb. u. Gyn. Bd. VIII. S. 535.

2) Aerztl. Intelligenzblatt. 1884. Re. 19. S. 7)*2. 3) 1. o.

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M/i l 1 er ~ Ueber die Entstehung der Eklampsie, ~81

als Eklampsie an. Neuerdings ist indessen noeh ein Fall yon ,Eklampsia tardissima" yon GStz 1) vergffentlicht worden, der dem Fall S impson in der Zeit des Auftretcns nieht viol naehgiebt. Er ereignete sich zwei Monate naeh der Entbindung.

Sehr interessant im Hinblick auf die Annahme, dass die Eklampsie entstehe durch plStzliehe Resorption grSsserer Mengen desselben Giftes, welches das Fieber erzeugt, ist iibrigens der yon Schau ta 2) besehriebene Fall, in dem am fiinften Tage des Woehen- betts dutch eine Gebttrmutterspiilung bei septischer Endo- metritis der erste Anfall ausgelSst wurde.

DerVerlauf, welchen die Eklampsie im Woehenbett zu nehmen pflegt, ist bekanntlieh viol giinstiger als in der Geburt und bosch- ders in der Sehwangerschaft. Dies ist nach meiner Ansieht darauf zuriiekzufiihren, dass im Wochenbett die natiirlichen Abwehrvorrich- tungen des Organismus mit sehnellerem Erfolge arbeiten kSnnen. Die Retention and Resorption begiinstigenden Verh/tltnisse sind hier leichter zu. iiberwinden , und das Gift wird durch die unter den An- f~llen auftretenden Contraetionen aus der GebiirmutterhShle ausge. st0ssen.

Schwangersehaf t .

Wie wir beim Vergleiche der Eklampsie und des Resorptions- fiebers unter der Geburt und imWoehenbett sahen, ist.das Wesent- lithe beim Zustandekommcn beider Erscheinungen:

1. Die Ansammlung zersetzungsf~higer Gewebsmassen und Secrete, hinzukommend

2. die Einwirkung yon Bakterien, 3. die Gelegenheit zurResorption der entstandenen Zersetzungs-

producte, Es ist nun die Prage: Sind diese Verh~ltnisse auch in tier

Schwangersehaft gegeben ? Wie bekannt, nimmt die Deeidua vera an Dioke his zum Ende

des fiinften Sehwangerschaftsmonats zu und erreieht zu dieser Zeit ! em and mehr. Mit zunehmendem Waehsthum des Eies legen sieh Deeidaa reflexa und vera allmglig aneinander an and ver- kleben gegen die Mitte der Sehwangersehaft. Um diese Zeit be- ginnt auch die gera an Masse bedeutend abzunehmen, ihre ober-

1) Contralbl. f. Gym 1901. No. 21 u. 22. 2) Dieses Archly. Bd. 18. S. 292.

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289 Miiller 7 Ueber die Entstehung der Ekl~mpsie.

fls Sehichten fallen der Coagulationsnekrose anheim, welche allm/~lig in die Tiefe fortsehreitet. Aueh an der Reflexa spielen sieh.nekrotische Proeesse ab, desgleiehen bilden sieh aueh an tier Serotina (Placenta) in der zweiten H/~lfte der Sehwangersehaft nekrodsehe Partien aus. Bis zu dem Zeitpunkt, wo Deeidua vera und reflexa verkleben, wo also das Ei sieh fest an die Geb/~r- mutterwand anlegt, kSnnen wit, da die Deeidua vera niehts anderes ist, als die in eigen~hiimlieher Weise ver/~nderte und verdiekte Ge- b~rmuttermueosa, yon einer Geb~irmutterhShle reden. Naeh diesem Zeitpunkte obliterirt die Geb~rmutterhShle: Wie w i t aus den pathologisehen Vorg~ngen in tier Geb/trmutterhShle w/thrend der Gravidit~t - - der Hydrorrho% den endometritisehen Ausfliissen - - erkennen, vollzieht sieh der Stoffweehsel der Geb~irmutter und der ihr angehSrigen deeidualen Gebilde z. Th. in der Weise, dass die Absonderungen zwischen Deeidua vera und reflexa sieh ergiessen und yon dort dureh den Halscanal naeh aussen abfliessen.

Zu tier ZeR nun, wo die Decidaa vera und reflexa sieh an- einander legen, wird dieser Weg naeh und naeh verlegt und ver- sehwindet vollst~indig mit der Obliteration der Geb/trmutterhShle. DerStoffweehsel, weleher sieh zuvor zum grossen Theil auf diesem Wege vollzog, kann jetzt offenbar nut noeh in tier Weise vor sieh gehen, dass die zur Ausseheidung bestimmten Stoffe resorbirt warden, ins Blur gelangen und yon dort aUS zur Ausseheidung kommen. Sind die Stoffe aber, welche zur Ausseheidung ge]angen, z. B. die Sehleimabsonderung, sehr reiehlich, so kann dadureh eine Verklebung der Deciduabl~itter iiberhaupt verhindert oder eine sehon bestehende gewaltsam wieder gel/Sst werden, wobei es dann zu- weilen zum Beginn tier Friihgeburt kommt. Besonders h/iufig finden wit solehes Verhalten bei endometritisehen Proeessen tier Geb~r- mutterwand, wo die Absonderung yon Stoffweehselprodueten eine pathologisehe und vermehrte ist, und es kann ja nieht allein zur Absonderung yon Sehleim, sondern aueh yon Eiter und blutiger Fliissigkeit kommen. 1)

Wir sehen also um die Mitre t i e r Sehwangersehaft einen fiir den Stoffwechsel der Geb/~rmutter nieht unwiehtigen Weg verleg~ gleiehzeitig treten die nekrotisehen Vorg/~nge an der stark ge- wueherten Vera ein und fiihren zum Absterben und zum Zerfall massenhafter Zellen~ die jetzt zuriiekgehalten, nut mehr dureh Re-

1) v. Winekel~ Lehrb. S. 278.

Page 50: Ueber die Entstehung der Eklampsie

M ~il 1 e r~ Ueber die Entstehung der Eklampsie. 283

sorlotion fortgesehafft und aus dem Organismus eliminirt werden kSnnen.

Spielen sieh nun yon vornherein an der Geb~rmutterwand endometritisehe Proeesse ab~ so ist~ wie wit das an dem man&- real zu beobaehtendem gewaltsamen Durehbrueh des Secrets sehen~ nieht nur die Retention zersetzungsf~thiger Nassen eine grSssere, sondern es werden offenbar aueh Bak~erien zuriiekgehalten~ deren Stoffweehselproduete dann in das Blur gelangen.

Gs giebt nieht allein Geburts- und Woehenbettsfieber, sondernl aueh Sehwangersehaftsfieber. Ah l f e ld (Lehrb. S. 200) beobaehtete zwei F~ille yon Sehwangersehaftsfieber, den einen mit intermiftiren- dem, den anderen mit remittirendem Fieberverlauf; S e h a u t a (Lehrb. I. S. 557) besehreibt einen solehen bei Zwillingssehwanger- sehait, in dem zwei bis drei Woehen Vor der Geburt Sehmerzen und Fieberbewegungen bis 3874 auftraten, desgleiehen Wolff (Cen- tralblatt f. Gyn. 1894, S. 1153) einen solehen bei aeutem ttydram- hies im fSnften Monat. Wegen Verdaeht auf Perityphlitis - - das Fieber begann mit Sehmerzen und Erbreehen - - wurde die Lapa- rotomie gemaeht, tier Wurmfortsatz aber gesund befunden. Aeht Tage sp/iter kiinstliehe Friihgeburt, sofortige Heilung. H e y m a n n l ) i dem ieh die Zusammenstellung dieser F/~lle entnehme, beobaehtete die regelm/~ssige Wiederkehr des Sehwangersehaftsfiebers bei einer MehrgebS;renden in vier Gravidit~ten. Jedesmal naeh Ausbleiben der Periode stellten sieh SehiittelfrSste~ Ausfluss und sehweres Krankheitsgeffihl ein. Zweimal erfolgte im Ansehluss an das Fieber spontaner Abort, zweimal musste naeh mehrwSehentliehem hohem Fieber tier kiinstliehe Abort eingeleitet werden, zum letzten =Male im vierten SehwangersehaRsmonat. So'tort naeh jedesmaliger gnt- leerung des Uterus kritisehe Entfieberung und vollkommenes Wohl- betinden. Die Eier waren stets ohne F~iulnisserseheinungen. In der Zwisehenzeit zwisehen den Gravidit~ten bes~and keine naeh- weisbare Endometritis, far Gonorrhoe und Lues fanden sieh weder beim Manne noeh bei der Frau Anhaltspunkte. Abtreibungsver- suehe waren ausgesehlossen.

Die Erseheinungen der aeuten und subaeuten Endometritis w~hrend der Sehwangersehaft, als deren Ausdruek ja das Sehwan- gersehaftsfieber zu betraehten ist, tre~en naeh S e h a u t a gewShnlieh

1) Heymann~ Ueber 5Iethode und Indication der kfinstliehen Unter- brechung der Sohwangersshaft. Dieses Arohiv. Bd. 59. S. 460.

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284 Miiller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie.

erst in den letzten Wochen derselben auf. H~ufig erweist sieh die Placenta nach der Geburt adhs 7~Mit der Entleerung des Uterus f~llt die Temperatur ab und bleibt dauernd normal. r

Bekannt ist, class die bestehende Endometritis h'~ufig dureh die Sehwangersehaft eine Exacerbation erf~i.hrt. E m a n u e l 1) sah bei drei Gravidits derselben Frau acute, bakterielle Endometritis. Solche bestand aueh in der Zwisehenzeit, aber die ws der Sehwangerschaft nachgewiesenen Bakterien waren jetzt nieht zu finden.

Nieht selten fehlt ausserhalb der Graviditiit iiberhaupt jedes subjective und objective Zeiehen einer Endometritis, und doeh miissen w i t aus sp~teren Vorg~ingen auf eine solohe sehiiessen. Die Thatsaehe, dass die Endometritis besonders in den letzten Woehen der Schwangerschaft erst Erseheinungen maeht, ist jeden- falls damit in Zusammenhang zu bringen, class in Folge des zn. nehmenden Inhaltsdruckes der Geb/irmutter die'Resorption der bak, teriellen Zersetzungsproducte erleiehtert wird.

Es ist also wie in tier Geburt und im Woehenbett, so auch in der Schwangerschaft Gelegenheit gegeben zur Ueberschwemmung des miitterlichen Blutes mit toxischen Substanzen.

Es ~ sind vorhanden: Zersetzungsf~;hige Gewebemassen in Folge der nekrotisehen

Vorg~nge an der Deeidua und des Zerfalles yon Zellen bei Endo- metritis,

Baeterien, welche die Zersetzung besorgen und dieselben zu toxiseh wirkenclen Substanzen verarbeiten.

Dutch die Verw~ehsung der Deeiduabl~tter werden diese Stoffe zuriickgehalten und kSnnen nut auf dem Blutwege ausge- se, hieden werden.

Mit fortsehreitender Schwangersehaft und zunehmender Aus, dehnung des Uterus, ebenso bei abnormer Ausdehnung desselben dutch mehrfaehe Sehwangerschaft, Hydramnios etc. gelangen die Stoffe unter einen immer zunehmenclen Druck und werden, dem- selben entsprechend, in grSsserer Menge ins.-Blut aufgenommen.

Wie wir sehon bei der Eklampsie in der Geburt und im Woehenbett sahen, ergab sieh insofern ein Untersehied im Auftreten des Resorptionsfiebers und clef Convulsionen, als letztere ganz be- senders giinstige Resorptionsverh/iltnisse voraussetzen. Die Resorp-

1) Zeitschr. f. Gob. u. Gym Bd. 36. S. 383.

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M/il 1 e r, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 285

tionsf~ihigkeit des Uterus ist einerseits abMngig yon der Besehaffen- heit der Resorptionsflgche, andererseits yon dem Druek, unter welohem das in der UterushShle zuriiekgehaltene Gift sioh befindet~ und zwar stehen diese Fae.{oren in einem gewissen reciproken Ver- hgltniss. Je ~eeigneter die Resorptionsflgehe ist zur Aufnahme grSsserer Giftmengen~ wie z.B. die Plaoentarstelle der Neuentbun- denen und WSchnerinnen, um so geringer braucht der intrauterine Druok zu sein, umgekehrt muss der Druek um so grSsser werden~ je ungiinstiger die Resorptionsflgohe ist. Die Resorptionsfiihigkeit des sehwangeren Uterus ist grSsser als die des nichts&wangeren, aber geringer in der Sohwangersohaft als in der Geburt und beson- ders im Wochenbett. Wenn man die Plaeentarstelle als wiohtigste l~esorptionsfl/tohe ansieht~ so muss dieselbe in der Schwangerschaft dann die Aufnahme grosser Giftmengen besonders begtinstigen~ wenn sie sehr gross ist und weiter gegen den Muttermund hinab- reieht, bei mehrfacher Sohwangersohaft und bei Vorliegen des Mutterkuchens.

Mehr als die Resorptionsfl~iehe kommt in der Schwangersehaft der intrauterine Druek in Frage. Entspreohend der erst durch die Obliteration der GebgrmutterhShle ermSglichten Ansammlung grosser Giitmengen~ tritt die Eklampsie erst gegen die Mitre der Sehwanger- schaft auf. Beobachtungen yon Eklampsie vor dem f~nften Monat liegen bisher in der Literatur nur zwei vor, die B. Meye 1) in seiner Inauguraldissertation besehriebeu hat.

Der Fall yon Eklampsie im vierten Sehwangerschaftsmonat (Fall I) betraf eiue 34ji~hrige Zweitgeb~rende mit Albu.minurie (,an Morbus Brightii leidend"), welche bereits in der ersten Sehwangersehaft im viermn Monat abortirt hatte. Die Geburt begann mit einer Blutung aus dell Genitalien, worauf die Weheu einsetzten. Im Laufe der n'achsten 8tunden traten Trtibung des Bewusstseins und 4 eklamptische Anfi~lle auf. Naeh dem vierten Anfall wurde ein viermonatlicher FStus aus- gestossen; die Placenta konnte nur zmn Theft entfernt werden. ,,Die Chorionzotten waren thdlweise 6dematSs entartet, weshalb der Uterus bis zum Nabel ausgedehnt war". 3lit der Genesung ,,sehwanden Ei- weiss und Cylinder aus dem Urin". Es handelte sich hier offenbar um eine Mehrgebitrende mit Endometritis, woffir der bei der ersten Gravi- ditat durehgemachte Abort und die hydropisehe Degeneration der Chorionzotten sprechea, und mit Sehwangersehaftsniere, denn Eiweiss und Cylinder schwanden naeh der Entbinduug.

Die Eklampsie im dritten Sehwangerschaftsmona~ (Fall III) trat auf bei einer 37j~hrigen XIpara, welehe 3m~l zuvor abortirt hatte. Bei hohem Eingeheu mit dem Finger in die Geb~irmutterh6hle zur digitalen

1) B. M eye~ Ueber Puerperaleklampsie. Inaug.-Diss. Hallo 1869. Archiv f. Gyn~.kologle. Bd. 66. H. 2. ! 9

Page 53: Ueber die Entstehung der Eklampsie

286 Mfiller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie.

Entfernung des Eies starke Ohnmacht der Frau~ beim Erwaehen Er- brechen. Ei sammt Decidua wurden vollstS, ndig entfernt. Einige Zeit, nachdem tier behandelnde Arzt die Patientin verlassen hatt% erster eklamptischer Anfall, dem innerhalb mehrerer Stunden 7 weitere folgten. Am folgenden Tage Spuren yon Albumen im Urin. Wie aus tier Beschreibung ersichtlieh~ handelt es sieh hier nicht um eine Eklampsie in der eigentlichen 8chwangerschaft, sondern de facto um eine solche im Wochenbett.

Diese F~lle sind demnaeh keine Zeugnisse gegen die Ansieht, dass die eigentliehen Schwangersehaftseklampsien die Obliteration tier GeMrmutterhShle voraussetzen. Im ersten Fall~ der bier nur in Betraeht kommt, waren die verlangten VerMltnisse gegeben: Partielte, myxomatSse Degeneration des Eies mit iibermitssiger Ausdehnung des Uterus und Verschluss der GeMrmutterhShle. Erkrankungen der Eihitute mit vorzeitigem Absehluss der Ge- MrmutterhShle und iiberm//ssiger Ausdehnung ihrer Wandung kSnnen dieselben, fiir den Ausbrueh der Eklampsie giinstigen Ver- h/iltsisse vorzeitig herstellen: die sonst erst gegen die Mitte der Sehwangerschaft gegeben sind.

Nit der Zunahme des intrauterinen Druekes erhSht sieh die MSgliehkeit der Resorption grSsserer Giftmengen und die M5glieh- keit der Eklampsie.

Die tt~iuflgkeit der Eklampsie muss demnaeh waehsen: mit der Zahl tier Sehwangersehaftsmonate. Unter den

455 P~llen Bidders l) trat Eklampsie 140 real ein bei vorzeitigen Geburt~n; davon entfallen

auf den 5. Monat 1 Eklampsien

:~ :: 9 . ~ 49 ~:

das gewShnliehe l~[aass fibersehreitenden Aus- mit tier dehnung des Uterus. Solehe VerMltnisse sind gegeben bei mehrfaeher Sehwangerschaft~ (Zwillings- und Drillings- sehwangersehaft), Molenbildung und Itydramnios; die auffallende I-I~tufigkeit des Auftretens der Eklampsie unter diesen VerMltnissen ist ja bekannt.

Mit der Abnahme des intrauterinen Druckes wird die M6g- lichkeit des Ausbrnehes der Eklampsie geringer.

i) Bidder, Dieses Arohiv. Bd. 44. S. 168 u. 169.

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Miiller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie. 287

Nach den Untersuehungen yon Scha tz nimmC mit der Ab- nahme der Fruehtwassermenge der intrauterine Druek sehnell ab; es muss also nach Absterben des Kindes die Eklampsie selten ausbrechen~ oder eine bereits bestehende durch dasselbe ungfinstig beeinflusst werden, wie das auch den klinischen Erfahrungen ent- sprieht. B idde r (1. c. S. 173) betont die Seltenheit des Eintrittes yon Eklampsie bei todtem Kin@; die 2 pCt. macerirte Frtichte, welehe seine Zah]en aufweisen~ seien erst die Folge iiberstandener ]~klampsie. gaum dot Erw/~hnung bedarf der giinstige Einflnss7 welehen der Tod des Kindes auf den Verlauf der Eklampsie aus- iibt; die h~iufige Beobachtung dieser auffallenden Thatsaehe fiihrte

ja zu der Annahme, dass alas Eklampsiegift aus dem Stoffwechsel des Kindes hervorgehe. Dass die in der Sehwangersehaft aus- gebrochene Eklampsie sp/iter so h~tufig nieht wiederkehr~, mag aueh mit dem nach dem Absterben des Kindes erfolgenden Ver- schlusse tier Placentargefasse zusammenhb:ngen, dazu kommt fiir die Geburt der leieh~e Durehtritt des Kindes dureh den Geburts- kanal infolge der Schlaffheit der Sehitdelknoehen.

Auf dem gleichen Prineip der Druekerniedrigung im Uterus mag auch der vielfaeh beobaehtete giinstige Einfluss des kiinst- lichen Blasensprungs beruhen bei Eklampsien, die in der Sehwan- gersehaft oder ganz im Beginne der Geburt ausgebrochen ~aren.

Wie dureh die Entspannnng des Eies die Resorptionsf~ihigkeit des Uterus herabgemindert wird, wodureh das - - wenn ieh mieh so ausdriieken darf, - - zwisehen Ei und Geb/~rmutterwand befind- liehe Secret nieht in grossen Mengen zur Resorption gelangt, so kSnnen auch Verh/tltnisse eintreten, dureh welche dasselbe zum Abfluss kommt. Bei Eklampsie stellen sich gewShnlieh sehwaehe, ~aum f~ihlbare Wehen (travail insensible) ein, welehe alas untere Uterinsegment aufloekern und dilatirenl). Ebenso besteht die Be- obachtung, dass unter den Anf/illen der U~erus sieh mit zu con- trahiren pflegt, in den weitaus meisten Fiillen abet kommt mit dem Ausbrueh der gr~impfe eine deutliche, kr/fftige Wehenth~;tig- keit in Gang, welehe manchma] mit der Eklampsie wieder aufhSrt~ zumeist abet sieh fortsetzt und, wenn nieht vorher der Exitus le- talis ein~ritt, zur Ausstossung der Frucht fiihrt.

Dutch dlese Wehen und vielleieht auch dutch die Erschfitte-

1) Diihrssen~ Dieses Archiv. Bd. 42. S. 557.

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288 M/iller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie.

rung des Uterus unter den Kr~mpfen der Bauehpresse wira das Ei geloekert und vielfaeh aus dem Zusammenhang mit der Geb~tr- mutterwand gel6st. Hierdurch gewinnt unter giinstigen Umstg, nden~ besonders, wenn die Anstauung in der N/~he des Muttermundes stattfand, das zwisehen Ei und GeMrmutterwand angesammelte Gift Gelegenheit zum Abfluss und wird dutch die Arbeit des Uterus unter den Wehen oder den Krampfanfgllen ausgestossen; die Eklampsie kann aufhSren, und braueht, ohne dass das Kind abgestorben ist, nieht wiedeckehcen, wie das die Regel mit ihren Ausnahmen ist.

Der grosse Antheil dec Erstgeb//renden an der Eklampsie in der Geburt und im Woehenbett war begriindet worden mit dem Hinweis auf die bei diesen vocwaltenden, das Zustandekommen baeterieller Zersetzungsvocg~inge begiinstigenden Umsta;nde. Wenn wit nun die Verh~tltnisse in der Sehwangersehaft betraehten~ so sind dieselben etwas anders gelagert. Zwar ist auch hi'er bei ErstgeMrenden tier intrauterine Druek infolge der grSsseren Span- hung der Gewebe gcSsser und damit aueh die MSgliehkeit der t~esorption grSsserer Giftmengen, dafiir sind abet bei Mehrgeb~i- renden in der Sehwangerschaft die Bedingungen zur Bildung des zu resorbirenden Giftstoffes in hSherem Grade gegeben als bei jenen. Die Gelegenheit dec Einwanderung yon Baeterien in die Geb/~rmutterhShle ist zweifellos aueh in der Sehwangersehaft ge- geben dureh die zu den versehiedensten Zweeken vorgenommeneu Manipulationen an den inneren Genitalien, oder dutch Foctkrieehen einec Endometcitis eolli, zumeist aber ist ihre Anwesenheit wohl veranlasst durch zuvor iiberstandene EndometritiSi und eine solehe is~ bei Mehrgeb~;renden h/~ufigec als bei Erstgeb~renden. Wenn wir demnach die Erstgeb/irenden und Mehrgeb/~renden beziiglich ihrer Norbidit~t in der Sehwangersehaft vergleiehen~ so miisste sich eine Versehiebung in der relativen Frequenz der Sehwanger- schaftseklampsie zu Gunsten tier Mehrgeb~renden herausstellen. Die klinisehe Erfahrung stimmt hiermit iiberein. ~Aueh in Bezug auf die Zeit der Schwangerschait~ in dec die yon Eklampsie be- fallenen Frauen entbunden worden sind, herrscht eine Differenz in der Weise vor, dass die grSsste Zahl der Erstgeb~renden am nocmalen Ende, die Mehrgeb~irenden abet beinahe zur tt/~lfte vor derselben zur Entbindung kommen. 1) Unter 251 Eklampsien bei Erstgebg~-

I) Schauta~ Dieses Archiv. Bd. 18. S, 267.

Page 56: Ueber die Entstehung der Eklampsie

Miiller~ Ueber die Entstehung der Eldampsie. "289

renden begannen die Convuls~onen "25 real (10 pCt.), unter 53 Eklampsien bei Mehrgeb~renden 15 real (28 pot.) aute partum (Tabelle I).

Nit der relativen H/~uflgkeit der Eklampsie ante partum h~ingt offenbar auch die grSssere Mortalit~it der Mehrgeb~ren~len (naeh Sehau t a 37,3 pCt. Erstgeb~rende: 4A,8 pCt. Mehrgebgzende) and deren kinder (18,3 : 27,2) zusammen: 1) Es erfiillt sieh hier das Gesetz, class die Prognose der Eklampsie fii~ Mutter and Kind umso ungiinstiger ist, je fr[iher dieselbe vet Entleerung des Uterus ausbrieht, and dieses Gesetz findet darin seine Begriindung, dass bier beide der Einwirkung des Giftes lb;ngere Zeit un~erliegen. ttinsiehtlieh der Friiehte f~llt noeh in die Wagsehale deren ge- ringere Lebensf/~higkeig bei vorzeitiger unterbreehung der Sehwan- gerschaff, wie solehe dureh die Eklampsie in der Regel herbei- geftihrt wird.

Die Ansieht~ die wit uns aus den einleitenden Betrachtungen and der auffallenden UebeinstJmmung in der 5rtliehen und zeit- lichen Entstehung, sowie dem Verlaufe beider Vergiftungen in der Geburt herleiteten, dass ngmlieh die Ek]ampsie eine dem Resorp- tionsfieber gleiehgeartete und nut graduell yon diesem versehie- dene Erkrankung sei, l~sst sieh, wie wir sahen, aueh f[ir die Sehwangersehaft and das Woehenbett zwanglos durehfiihren. Die Differenz ihrer Erseheinungsform liegt begriindet in der versehie- denen Qualit~t und Quantit~it Bin and desselben Giffes. Die qua- litative Verschiedenheit, wJederum beruht aut der dauernden bezw. intensiveren Einwirkung der Baeterien auf das zersetzungsf/thige ~laterial, die quantitative auf den unter gewissen Umstb;nden sieh einstellenden giinstigen Resorptionsverh~fltnissen. Hieraus geht hervor, dass die Eklampsie bei den sehweren JnfectiSsen Erkran- kungen, der Py/tmie und der Septie~imie, gewShnlieh nicht auf- treten hnn . Bei der Septicemic krieeht der Infeetionsproeess langsam in den Lymphspalten vorw~trts, der Organismus wird iibersehwemmt mit g'rossen und stark toxiseh wirkenden Gift- mengen, aber allmglig; der Organismus adaptirt sieh~ untbrliegt ohne die starken Reaetionen. Hohe Fieberbewegungen, Sehiittel-

1) LShlein, Zoitsr f. Geb. u. Gym Bd. VI. S. 61. 7~Wir wissen~ class gerade die gef/~hrlichsten Formen tier Eklampsie in der Schwangersohaft oder doch vor Eintritt krMtiger Wehenth~itigkeit ausbreehen."

Page 57: Ueber die Entstehung der Eklampsie

290 Miitler, Uobor die Entstehung der Eklampsie.

frSste bleibcn in der Regel au G und gar ein eklamptischer Anfa]I ist unmSglich. Bei der Pygmie, welehe entsteht durch den Zerfall der inficirten Thromben, gelangt das Gift direkt in die Blutbahn~ daher die gewaltige Reaction des Organismus: hohe Temperatur- anstiege, SehiittelfrSste. Die Ausbildung einer starken Giftqualitiit aber ist unmSglich, well die inficirten Thromben sehr leicht zer- fallen, jedenfalls ehe die Zersetzung die im Interesse der Gift- bildung nothwendigen Grade erreioht hat. Deshalb treten hier die schweren nervSsen Symptome und die Verschlechterung des Pulses zuriick. Beziiglieh der Qualit/it des Giftes steht also die Eklampsie der Septicgmie, beziiglich der schnellen Resorption grosser Quanti. t/~ten der Py/imie nahe. Was aber der einen eigen ist, fehlt der andern, und die plStzliehe, unvermittelte Aufnahme hoher Gift- werthe ist nicht mSglich. Deshalb wird bei den s~hweren Infec- tionen die Eklampsie in der Regel nicht bcobachtet. Die Combi- nation yon Quantitgt und Qualititt ist nur dann gegeben, wenn das Gift ausser dem directen eirculatorischen Zusammenhang mit der Blu{bahn, in der GebgrmutterhShle sich bilden, hohe Werthe annehmen und sieh in grosser Menge ansammeln kann, ohne so- fort in der Nenge, in d e r e s sich bildet, in den Kreislauf zu gelangen. Der zum Zustandekommen der E klampsie nothwendige Verg.iftungsmechanismus entspricht also dem Typus des sog. Re- sorptionsfiebers.

ttieraus ergiebt sigh die eigenthiimliehe Thatsache, dass wir gerade bei der sehwersten, so hgufig den Ted herbeifiihrenden Form der Vergiftung die geringsten Spuren ihrer Ursache am KSrloer ent- decken, ngmlich die relative Seltenheit der bei der Section nach- weisbaren puerperalen Proeesse.

Andrerseits gehen natiirlich Infection des HShleninhaltes und Infection der I-IShlenwand nicht selten nebeneinander her, so dass die ttiiufigkeit der puerperalen Proeesse bei Eklampsie~ welehe naeh O l s h a u s e n 1) arts allen Statistiken hervorgeht, nieht etwa etwas rein Zufglliges ist. In der nachantiseptischen Zeit sind die wirk- lichen tiefgreifenden Infectionen selten geworden, die Frequenz tier Resorptionsfieber aber hat eine nennenswerthe Einschr~;nkung, wie B u m m in seiner Arbeit iiber das Eintagsfieber im Wochenbett '2)

1) Olshausen~ Volkm. Sammlung klinischer VortrSge. S. 337.

2) Centralbl. f. Gym 1897. S. 1337.

N. F. No. 25.

Page 58: Ueber die Entstehung der Eklampsie

Mii l l e r : Ueber die Entstehung der Eklampsie. 291

darlegt, nicht erfahren. Damit mussten natiirlich aueh die naeh- weisbaren puerperalen Proeesse bei Eklampsie an H/iufigkeit ab- nehmen: denn eine tiefgreifende tSdtliche Infection scheint, wie der Streit fiber die Autoinfection lehrt, durch den inficirten Geb~r- mutterinhalt selden zu entstehen.

Es ist deshalb die yon LiShlein 1) neuerdings constatirte Ab- nahme der Frequenz der anatomisch naehweisbaren puerperalen Processe bei Eklampsie kein Beweis gegen die nahen Beziehungen zur Sepsis. Oefter noeh, als die anatomischen, werden die klinischen Zeichen der Sepsis (iibelriechender Ausfluss etc.) bemerkbar sein, doeh k6nnen auch diese wie beim Resorptionsfieber (hier fehlen sic in 2/3 der F//lle) vollkommen fehlen.

An den klinisehen Vergiftungssymptomen kann man das l~esorpCionsfieber yon dem Infeetionsfieber in der Regel nieht unterseheiden, und das ist aueh sehr begreiflieh, denn die Sym- tome des einen wie des anderen sind ja der Ausdruek derselben Yergiftung. Der Sitz der Giftquelle an und fiir sigh kann den Grad der Vergiftung nicht bestimmen.

Die H~he des Piebers, die Sehwere der nerv6sen Symptom% die Verschlechterung der Pulsqualit/it ist beim Resorptionsfleber oft durchaus night geringer, und G16ekner , der naeh Naassgabe der Sehwere der klinischen Erseheinungen die Woehenbettsprognose er- sehliessen d.h. bestimmen wollte, ob es sigh um Infeetion handle, oder night, giebt selbst zu, dass der wirkliche Verlauf einen sol- ehen Sehluss nieht reehtfertigt. Der Untersehied zwischen 1%- sorptions- und Infeetionsfieber liegt also night wesentlieh in ver- schiedenen Vergiftungsgraden, sondern vielmehr in dem Umstande, dass bei Infection der Giftbildung kein oder nieht sobald ein Ende gesetzt wird, da der Giftherd night so leieht zerstSrt werden und dann allerdings.ausserordentliche Dimensiorren annehmen kann. Es entspricht also die grSssere Gef~thrliehkeit des Infeetionsfiebers weniger der verschiedenen Nenge und Qualitgt des Giges, als viel- mehr der verschiedenen Zeitdauer der Vergiftung.

III.

Genese. Wenn wir also die Eklampsie als eine bakterielle Intoxication

betraehten, die nach dem Typus des Resorptionsfiebers entsteht,

1) L t~ h 1 e i n ~ Gyn~koi Tagesfragen.

Page 59: Ueber die Entstehung der Eklampsie

292 Mfiller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie.

mit der Besonderheit, dass hier eine sehnelle Resorption grosser Giftwerthe stattfindet, so ergeben sich fiir die Entstehung derselben zwei Voraussetzungen:

Erstens: Die Git'tbildung. Zweitens: Giinstige Resorptionsverhaltnisse.

Die Bildung des Giftes geschieht dureh die Einwirkung yon Bakterien auf zersetzungsf~higes Material. Es mfissen also zur Nldung desselben vorhanden sein:

Erstens: Zersetzungsffihiges Material. Zweitens: Bakterien.

In tier Sehwangersehaft kommt es physiologiseherweise zur ausgedehnten Mortification grSsserer Gewebsmassen gegen die Mitre derselben 7 so dass naeh Verklebung der Deeiduabl~tter das deei- duale Gewebe mehr und mehr der Nekrose anheimf~llt, Ierner pathologiseherweise bei entziindliehen Vorg/~ngen an der Geb~ir- mutterwand, dutch wel&% wie der vermehrte Ausfluss bei Endo- metritis beweist~ das betroffene Gewebe in grosser Menge zu Grunde geht und eine reiehliehe Secretion stattfindet. In der Geburt ist die Gelegenheit zur Bildung zersetzungsffihiger Gewebsmassen und Sekrete da besonders gegeben, we infolge Straffheit und Rigidit/it tier Weiehtheile, Verwaehsungen, Missverh/iltniss zwisehen Frueht und Beeken ein grSsseres Geburtstrauma entsteht. Im Woehenbett ist solehes Material infolge Abstossung der Deeidua in reiehliehem Maasse vorhanden~ und zwar um so l~nger, je l~tnger die Rtiek- bildung der Geb~rmutter dauert, besonders aber dann; wenn sieh an die Geburt eine Endometritis ansehliesst.

Bakterien sind w~hrend der Sehwangersehaft in der Geb//r- mutter vorhanden bei entziindlichen Proeessen an der Geb~rmutter- wand (Endometritis, Metritis), sie kSnnen w~hrend derselben hinein- gelangen dureh Fortkrieehen einer Endometritis eervieis, welehe wiederum sehon bestehen oder erst in graviditate dureh Onanie, Explorationen und sonstige Manipulationen am Muttermund ent- standen sein kann. Unter der Geburt sind sie vorhanden unter denjenigen u welehe die Geburtsd~uer verzSgern und ihnen dami~ Zeit und Gelegenheit zur Einwanderung und Vermeh- rung geben, also denselben Verh/iltnissen, welehe ein grSsseres Geburtstrauma bedingen, sowie vorzeitigem Blasensprung und Wehenanomalien; terrier unter solehen Umst~nden, welehe sonst denselben die Ansiedelung in tier G-eb~irmutter erleiehtern, h/~ufigen Explorationen, Hinabh~ingen yon Eihautfetzen in die Seheide. Far

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Miill e r, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 293

die ersten Tage des Woehenbetts kommen beziiglieh der Anwesen- hen yon Bakterien haupts~ehlich die unter der Geburt vorwaltenden Umst~nde in Betracht, die Bakterien wurden nnter der Geburt ein- geschleppt und kommen erst jetzt zur Wirkung; sp~;ter sind es haupts//ehlieh Stockungen des Lochialflusses, welehe eine Infection des Geb~trmutcerinhalts bewirken. Uebrigens kann unter der Ge- burr wie im Woehenbett infolge des negativen Druckes bei ab- sinkender Wehe das bakterielle Gift direkt aus der Scheide in die Geb//rmutterhShle gelangen.

Beztiglieh der Giffbildung also ergiebt sieh eine solehe Ein- wirkung auf die Frequenz der Erstgeb/trenden und Mehrgeb~trenden, dass letztere in der Schwangerschaft, erstere unter tier Geburt und in den ersten Tagen des Wochenbettes besonders h~tnfig erkranken miissen.

Wie abet Bumm dargelegt hat, ist zur Entstehung des Re- sorptionsi%bers nicht allein die Anwesenheit der Bakterien und die Giftbildung, sondern auch ein gewisser intrauteriner Druck nSthig, da sonst die G ifte nicht zur Resorption gelangen. In noch hSherem Grade, wie fiir das Resorptionsfieber, gilt das natiirlieh fiir die Eklampsie; bier miissen die ResorptionsverMltnisse ganz besonders giinstige sein.

Die ResorptionsfS:higkeit der GesehleehtshShle wird bestimmt: 1. dutch den intrauterinen Druck, 2. durch die Beschaffenheit der Resorptionsflgehe. Voraussetzung zum Zustandekommen des intrau~erinen Drucl~es

ist eiu gewisser, im gegebenen Momente vorhandener Absehluss der Gebb;rmutterhShle. Ein solcher wird in tier Schwangersehaft bedingt durch die physiologische oder friihzeitige Obliteration der Geb~rmutterhShle bei i~[olenbildnng und Hydramnios, in tier Geburt dureh die zSgernde ErSffnung des lguttermundes, der Verstopfung des Geburtskanals dutch die Frucht, in tier Nachgeburtsperiode und im Priihwoehenbett dutch Co]labiren, Verkleben des Mutter- mundes und Verstopfung desselben durch die in den Halskanal herabgesunkene Placenta oder Blutcoagula, im Woehenbett endlieh dutch u des Halskanals dureh das {n der Scheide sich anstauende Loehialsekret, dutch starke Ptillung tier Harnblase und Koprostase, dutch Abknickung tier Cervix gegen das Corpus bei Lagever~;nderungen des Uterus.

Diese Verh~tltnisse wirken als Resorptionsgelegenheit; es wird Sekret in grSsseren Mengen angestaut, die in demselben vorhandenen

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294~ Miillor, Uober die Entstehung dot Eklampsie.

Bakterien gewinnen Zeit, sieh reiehlich zu vermehren, auf das N/~hr- substrat geniigend lange einzuwirken und so ein starkes Gift zu bilden. Mit der Behinderung des Abflusses abet nimmt nicht nur die Menge und Giftigkeit des Geb/trmutterinhaltes zu, sondern er gelangt aueh unter einen gewissen Druck, weleher dessen gesorp- tion begiinstigt.

Der zweite, die Resorption bef6rdernde Faktor ist die Be- sehaffenheit der Resorptionsfl~ehe. An und ftir sieh ist ja die Ge- b/irmutterwand in der Schwangersehaft durch die starke Entwiek- lung des Gef~issplexus eine geeignetere Resorptionsfl~ehe, als ausser- halb derselben, eine ganz bescndere Resorptionsfl/tehe ist aber vor- handen, sobald die Naehgeburt sieh ab[6st, also in der Naeh- geburtsperiode, zumal in der ersten Zeit des Woehenbetts. Hier besteht eine ausgedehnte, frisehe Wundfl//che mit weiten vengsen GefSss6ffnungen, dureh die, wie besonders die Luftembolien beweisen, fiir die unmittelbare Ansaugung grosser Stoffmengen so ausserordentlieh giinstige Verh~oltnisse entstehen, wie sie bei keiner andern K6rperwunde gegeben sind.

Naturgemgss stehen diese beiden, die Resorption bestimmenden Faktoren in einem gewissen reeiprokenVerh/iltniss; je weniger ge- eignet die gesorptionsfl~ehe ist, um so gr/Ssser muss der intrauterine Druek sein, um die Aufnahme grosser Giftmengen zu ermSgliehen. In der Sehwangersehaft muss tier Druek grSsser sein, als in der Geburt, wo die LSsung der Placenta sehon beginnt, und in dieser gr6sser als im W oehenbett, besonders im Priihwoehenbett, wo bei der ausserordentlieh gtmstigen Resorptionsfl/iehe sehon eine geringe Druekerhebung in utero geniigt, um eine sehnelle Resorption grosset Giftmengen zu veranlassen.

Der Druek nimmt zu w~ihrend der Sehwangersehaft und in der 6eburt his zur zweiten Periode, in der dritfen Periode und im Woehenbett ab, dagegen wird dann die Resorptionstl/tche geeig- neter und bleibt es, bis die plaeentaren Gef~sse geniigend fest obliterirt sind~ also besonders in den ersten Stunden des Woehen- betts. Sp/iter bedarf es wieder einer gr/3sseren Erhebung des intra- uterinen Druekes, urn eine grSssere Resorptionsf/thigkeit des Uterus zu ermSgliehen.

Die Resorptionsverh/iltnisse sind also in Summa am giin- stigsten um die Geburt herum, einmal infolge des zunehmenden intrauterinen Druekes, alas andere Mal infolge der besonderen Eig- nung der Resorptionsfl/s Da nun dieselben zum Zustande-

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Miiller~ Ueber die En~stehung tier Eklampsie. 295

kommen des besonderen Vergiftungsmodus bei Eklampsie die aus- sehlagende Bedeutung besitzen, so ergiebt sieh zwisehen Fieber und Eklampsie ein Untersehied in der Hinsieht, dass letztere sieh in auffallender Weise um die Zeit der Geburt herum eoneentrirt, w/ihrend dem Fieber so enge Grenzen nieht gezogen sind.

Wenn wir nun, in Erw~gung des Umstandes, dass beim Zu- standekommen der Eklampsie Resorption und Giftbildung con- eurriren, die Frequenz der Eklampsie unter den besonderen Ver- h~ltnissen vergleiehen, so ergiebt sieh Folgendes:

Der intrauterine Druek in tier Sehwangersehaft his zur Geburt ist am gr6ssten bei Erstgeb/irenden in Folge der st/trkeren Spannung des Gewebes; in Folge dessen ist die Eklampsie in der Sehwanger- sehaff wie in der Geburt absolut am h/~ufigsten bei diesen. Die Giftbildung in der Sehwangersehaft ist am h~ufigsten bei Mehr- geb~renden~ in der Geburt bei Erstgeb~irenden. Es miissen deshalb in der Geburt in Folge des Zus~mmenfalls der disponirenden Um- st~nde die Erstgeb~renden ganz auffallend bevorzugt, in der Sehwangerschaft hingegen, wo das nieht der Fall ist, die Mehr- geb~renden relativ bevorzugt sein.

Die Erh6"hung des intrauterinen Druekes bedingt die Zunahme der Morbidit/~tsfrequenz mit der zunehmenden Ausdehnung des Uterus, welehe gegeben ist dureh das Fortsehreiten der Sehwanger- sehaft, die mehrfaohe Sehwangersehaft, Hydramnios, Blasenmole; das Absinken des intrauterinen Druekes bedingt die Abnahme der Frequenz mit abnehmender Ausdehnung des Uterus dureh Ab- sterben des Kindes, Blasensprung. Ebenso kann die Eklampsie aufh/Sren bezw. abnehmen, wenn dureh Loekerung des Eies in Folge der Anfiille odor Wehen dem Gifte zwisehen Ei und Geb~rmutter- wand der Abfluss erm6glieht wird.

In der Geburt muss die Prequenz zunehmen, wo gebnrts- ersehwerende und verz6gernde Verh~tltnisse die Giftbildung be- giinstigen, und wo alas Gift in Folge Retention begfinstigender Momente (z6gernde Erweiterung des Muttermundes, Verlegung des Geburtseanals) bei dem Bestreben des Uterus, sieh zu verkleinern~ unter hohen Druck gelangt. Die Eklampsie nimmt deshalb an tI/~ufigkeit besonders zu bei unwirksamen Wehen, wo zwar der Gebiirmntterinhalt unter hohen Druck versetzt wird, aber keine Er6ffnung des Geburtseanals und kein Fort- schritt der Geburt eintritt, sie kann trotz krb;ftigster Wehen abnehmen, wenn tier Geburtscanal sieh eriSffnet, die Geburt fort-

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296 Mfiller, Ueber die Entstehung der EMampsie.

schreitet und unter dem hohen Druck des Gift ausgestossen wird. Hieraus erkl~;rt sieh die merkwtirdige Thatsache, dass, w~hrend sonst die Wehen einen ungfinstigen Einfluss auf den Verlauf der Eklampsie zu haben scheinen, dieselbe gerade bei Eintritt kr~ftig- ster d. h. wirksamer Wehen so Mufig abnimmt.

Sobald nun der intrauterine Druck ausser Frage und nur mehr die Resorptionsfl~&e in Betracht kommt, also in der Nachgeburts- periode und im Fri~hwochenbett, liegen die ResorptionsverMltnisse im Princip bei Erst- und Mehrgeb~;renden gleich. Ein Unterschied macht sioh aber in der Weise geltend, dass jetzt secund~reWehen- schw~ehe und atonische ZustRnde des Uterus Mufiger bei solchen Kreissenden und Neuentbundenen auftreten, we unter der Geburt vermehrte Widerst~;nde zu tiberwinden waren; und unter diesen sind wieder die ErstgeMrenden, besonders die ~ikeren, am st~;rksten vertreten. In diesem Sinne sind ebenfalls bevorzugt diejenigen Frauen, bei denen in Folge tiberm~issiger Ausdehnung des Uterus prim/ire nnd seeund/ire Wehenschwb;che sich einstellte. Desgleiehen erh~hen auch in der Geburt und im Friihwochenbett mehrfache Schwangerschag und Hydramnios die Disposition zur Eklampsie, einmal in Folge vermehrter Giftbildung durch die VeTz~Sgerung der Geburt~ dann dutch die Atonie des Uterus1). Den Aussehlag giebt zu dieser Zeit, das andere eoncurrirende Moment, die Anwesenheit des Giftes, welches jetzt zur Resorption gelangen kann; dieses ist unter allen Umst~nden Mufiger vorhanden bei ErstgeMrenden als bei MehrgeMrenden, und deshalb die Morbiditgt bei jenen eine grSssere als bei diesen. Fiir das sp~ttere Woehenbett sind die Chancen wohl ftir beide gleich; bei ErstgeMrenden sind die Keime yon der Geburt her iSfter vorhanden, bei Mehrgebgrenden schreitet die Involution langsamer vorw//rts, t:Iier dr/ingt sieh der Untersehied in der lVIiSglichkeit tier Giftbildung weniger in den Vordergrund, als gerade im Friihwochenbet~.

1) Bel~anntlioh wird die Disposition' zum Fieber im Woohenbeit erl~Sht dutch atonisohe Zustgnde das Ute~us~ weIcho sieh in dot dritten Periode und im Frtihwbohenbett gdtend machen und bosonders in den atonischen Blu- tungen ihren Ansdruck finden. Naoh Ahlfeld (1. c. S. 448) nehmen die fieber- haften Wochenbetten zn mit dor Zunahmo des Blutverlustes in tier dritten Pe- riode. Glgokner (1. e. S. 434) eonstatirte in mehr ale der Hglfte tier Pgllo, in denen eine Blntung ante et intra partum stattgefnnden hatte, einen moist hochfieberhaften Woohenbettsverlanf. Ebenso bekannt ist aueh die I-Igufigkeit der atonischen Zustgnde und Blutungen bei Eklampsie (Diihrssen, Dieses /krchiv, Bd. 43, S. 119).

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M/iller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie. 297

Es 1/isst sieh also dureh die Ansieht, dass die Eklampsie ein Resorptionsfieber mit besonders complidrtem Resorptionsmeeha- nismus sei, sowohl die Frequenz ddr Eklampsie in den einzelnen Phasen und besonderen VerMltnissen des Generationszustandes, wie der Antheil, welehen Erst- und Mehrgeb/irende an dieser Prequenz haben, leieht erkl/tren. Sie steht also vollkommen in Einklang mit tier klinisehen Effahrung: ,Das sehon oben auf- gestellte Gesetz, dass die meisten Frauen sub partu befallert wiirden, trifft aueh dann zu, wenn man Erst- und Mehrgebiirende besonders betraehtet, doeh differirt bier die Zahl bei Ers~geb/irenden wesentlieh zu Gunsten der Eklampsie post partum, wghrend bei Mehrgeb/irenden eine Differenz zwisehen der H/iufigkeit des Auf- tretens der Eklampsie vor Eintritt der Wehen und naeh vollendeter Geburt nicht besteht~)."

Wenn wit nun alas Ergebniss aus den vorstehenden getrach- tungen ziehen, so w/ire der Begriff der Eklampsie in fo!gender Weise zu erkl/iren:

Definition.

Die Eklampsie des geschleehtstMtigen Weibes ist eine All- gemeinvergiftung. Das Gift entsteht duroh Einwirkung yon Mikro- organismen auf zersetzungsfghiges Material, die AllgemeinvergiRung durch Resorption dessellen aus dm GesohlechtshShle. Die Eigen- art dieser Allgemeinvergiftung und dementspreohend die Besonder- her des klinischen Bildes ist begriindet in der. Durohbildung des Giftes zu hohen Giftwerthen und der sehnel]en Ueberfluthung des Rreislaufes mit solehen hoehwerthigen Giften.

Hlinische Erscheinungen.

P r o d r o m a l e r s c h e i n u n g e m

Bekanntermaassen gehen dem Ausbrueh der Eklampsie Pro- drome nut in einem Theft der F/ille voraus. Dieselben bestehen in Kopfschmerzen, Benommenheit, kpathie, Somnolenz, Brechneii gung, Unruhe, selbst Delirien und Halludnationen. Solche Zust/inde als Aura anzusprechen, geht naeh meinem Dafiirhalten nieht an, es handelt sich einfaeh um jene prodromalen StSrungen, die wir auch beim ,Pieber" beobachten. Denn diese]ben bestehen nieht allein

I) Schauta 7 Dieses Archiv. Bd. 18. S. 277.

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298 N/iller~ Ueber die Entstehnng der Eklampsie.

vor der Eklampsie, sondern auch inmitten derselben, wend des tiefe Coma nachlgsst und das Bewusstsein zuriiekkehrt, und nach derselben.

Die voriibergehende Ambtyopie, welche sieh zur Amaurose steigern kann, entspricht den Amblyopien bei Vergiffungen (Alkohol~ Tabak, Blei: Chinin etc.) und fieberhaften Krankheiten und theilt mit ihnen die g~instige Prognose. Sic ist eine Intoxikationsamblyopie.

Diese Prodromalerscheinungen entstehen ebenso wie die ner- v6sen Symptome beim Fieber durch allm~ilige Aufnahme des GifCes. Kommt es dann zur schnelleren Aufnahme gr6sserer Gift; mengen, dann trite eben des pli~tzliehe tide Coma und die con- vulsive Reaction des Organismus ein, deren Summe wit als eklamp- tischen Anfall bezeichnen. Geht eine solche allm~.lige l~esorption nicht voraus odor ist dieselbe gering, so fehlen eben die Pro- dromalerseheinungen odor werden nicht bemerkt bezw. empfunden.

Nerv/Sse Ersehe inungen .

Der eklamptische Anfall entsteht dutch die plStzliche Auf- nahme hoher Giftwerthe in die Circulation. Die ganz acute schwere Allgemeinvergiftung bedingt eine plStzliche L~hmung des Central- Nervensystems, vollkommene Bewustlosigkeit , ErlSsehen aller Sinnes- functionen und der Reflexe: das tide eklamptische Coma.

Das eklamptisehe Coma ist der bedeutsamste Ausdruek der eklamptisehen Yergiftung. l) Es giebt viele F/~lle yon Eklampsie, die man dutch einen einzigen, gajaz rudimentg.ren Anfal! gerade als solehe erkennen konnte, es kehrte kein Anfall wieder, aber des defe Coma fiihrte zum Tode, als dessen Ursaehe wir den rudiment~iren Anfall doch keineswegs ansehen kSnnen. Zuweilen geht des Coma den ek]amptischen Anf/illen lunge vorher, und es giebt sicher auch Eklampsien, die ohne jeglichen Anfall verlaufen. -~) Des tiefe Coma, die sehwere L~hmung des Nervensys~ems mit

1) Vgl. Bidder, S. 171 (Fall IV). ,,Ira IV. Fall beobaohteten wir vor der Geburt 2 Anf~ll% w~ihrend der Geburt drei. Die Anf~lle hi3rten auf, und naeh genttgender Erweiterung des Muttermundes wurde des Kind asphyktiseh mit tier Zange extrahirt. Beider Matter abet dauerte des Coma fort~ und 54 Stnnden post partum starb die ~{utter an zunehmendem Collaps: ohne irgend ein Zeiohen puerperaler Erkrankung, was die Section best~tigte."

2) Diese Ansicht finde ich bestg.tigt yon Sehmorl. Dieser erhob bei 3 Prauen: welohe in tier Schwangerschaft im tiefen Coma starben~ ohne Con- ;'ulsionen gehabt zu haben, den far Eklampsie charakteristisehen Sectionsbe- fund. (G. Sehmorl: Zur Lehre yon der Eklampsie. P~ef. M/inch. med.Woohen- schrift. 1902. No. 9. S. 374.)

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M(iller, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 299

vollkommener Bewusstlosigkeit und ErlSschen der Reflexe, tritt beim eklamptisohen Anfall sofort ~uf mi~ Beginn der Convulsionen~ es is[ also nieht, wie man bisher vielfach anzunehmen sehien, die Folge derselben. Wie bereits frtiher erw~ihnt, treten Konvulsionen auf bei Vergi[tungen, wenn pl6tzlieh grosse Dosen der giftigen Substanz dem Organismus einverleibt werden. Diese Convulsionen fasse ieh nicht auf als eine direkte Folge der Vergiftung, weil sie auch auftreten bei solchen Giften, welohe an und f~r sieh nieht krampferregend wirken, aueh wenn sie - - n u t nieht zu s e h n e l l - in grossen Mengen dem K6rper einverleibt werden, vielmehr sehe ieh in denselben eine Reaction des Organismus, der sieh dem ver- ~nderten Zustande dss Blutes nieht adaptiren konnte und nun mit einer gewaltigen Abwehrbewegung antwortet. Die Convulsionen dauern deshalb aueh immer nut kurze Zeit, sie hSren auf, sobald eino gewisse Adapt!rung des Organismus stattgefunden hat, das Coma iiberdauert dieselben, und zwar l~ngere odor kiirzere geit, je nachdem die Entfernung des Giftes aus dem K6rper bezw. dessert UnseMdliehmaehung dauert. Eine absolute Prognose kann deshalb aus Zahl der Anl~ille nieht hergeleite~ werden. Die Zahl der Convulsionen bezeiehnet nut die pl6tzliehen Steigerungen der Giftmengen im Blute, indessen kann der KSrper dureh die an- dauernde Giftzufuhr ohne Convulsionen zu Grunde gehen, l) Je Mufiger nun solehe Paroxysmen auftreten, um so h~;ufiger finde~ eine plStzliehe Uebersehwemmung des KSrpers mit grossen Gift- mengen start, und um so sehwerer ist die Vergiftung; desha]b w~ehst unter allen UmstXnden m i t d e r Anzah! der Anf//lle die Ungunst der Prognose, aber sie vermindert sieh nieht unter allen Umst/inden m i t d e r geringeren Zahl der Anf/tlle. Wiehtiger also in prognostischer Beziehung als die Convu]sionen ist das Coma; so oft Anf~lle vorhandea sind, so oft besteht aueh Coma, das Coma kann abet aueh ohne Anf~lle bestehen.

Als das Wiehtigste des eklamptisehen Anfalles, den eigent- lichen Atlsdruck tier eklamptisehenVergiftung eraehte ieh deshalb das Coma; die Convulsionen sind nut die Begleiterseheinung, eine Reaction des Organismus gegen die plStzliehen Steigerungen der GiRzufuhr.

Die nervSsen Erseheinungen aber, welehe die Vergiftung setzt,

1)' Olshausen, Ueber Eklampsie. (Volkm. Sammlung klinisoher Vor- tr~ige. N.P. No. 39." S. 337. ,In der Mehrzahl der PS~lle aber bleibt die Prognose nich~ nur wEhrend der Dauer der AnNII% sondern auch wghrend des Comas eine dubiSse."

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300 M{iller~ Ueber die Entstehang der Eklampsie.

bestehen nicht allein im Coma~ in einer L~limung des Nerven-

systems, sondern es finden sich, wie aueh bei den Vergiftungen

infolge puerperaler Proeesse, Erregungszustande in don mannig- faehsten i/usseren Formen: Hyper~tsthesie, Hyperalgesie, ErhShung

der Reflexerregbarkeit, Delirien, Hallucinationen, Psyehosen. Diese

Erregungszust//nde repr~tsentiren naeh meiner Ansicht einfach einen

leiehteren Vergiftungsgrad, das Coma isC die schwerste, pro- gnostiseh nngiinstigste Aeusserung der u

Es sei mir erlaubt, an dieser Stelle einen selbstbeobaeh- teten Fall yon Eklampsie einzufiigen, der mir in oben angeregter 7 wie aueh in anderer Beziehung ausserordentlieh wichtige Autschliisse

zu geben seheint.

M. H?)~ sehr kr~ftig gebaute 22j~hrige I para, bisher gesund. NervOse oder sonstige heredit~tre Belastung nieht naehzuweisen. I. Seh~- deilag% normales Beeken. Eintritt in die Anstalt 20. 2. 1 Uhr Vorm. Wehenanfang 19. 2. 7 Uhr u Blasensprung 19. 2. 8 Uhr Vorm. Vollst~ndige Erweiterung des Muttermundes 20. 2.1 Uhr 50 Min. Vorm. Geburt des Kindes 20. 2. 2 Uhr 15 Min. Vorm. Naehgeburt spontan 20. 2. 2 Uhr 25 Min. Vorm.

Kind weiblieh 50:3240 mit mittleren Sehgodelmaassen. Kopf naeh hinten reehts ausgezogen~ geringes Oedem auf dem rechten Seheitelbein. Eihautriss am Rande der Placenta. Das Amnion war vorgefallen ge- wesen und hatte aus der Vulva hervorgeragt~ an demselben haftete ein bandfSrmiger Streifen Chorion und Deeidua, weleher yon dem zurtiek- bleibenden Theft derselben abgerissen war. Die Basis dieses Streifens war auf die mtitterliehe Flgehe der Placenta umgesehlagen und dutch ein derbes~ ganz platt gedrtiektes Blutgerinnsel fest an dieselbe aufge- presst. Die vorgefallenen Eih~ute waren etwas verf~rbt nnd eingetroek- net, in den Falten derselben fanden sieh loekere Blutgerinnsel.

20. 2. 2 Uhr 30 Min. germ. Ohne irgend weiehe Verboten tritt ca. 5 Minuten naeh Ausstossung der Naehgeburt ein leiehter eklamp- tiseher Anfall ein.

3 Uhr Vorm. 2. Anfall. 3 Uhr 20 Min. 3. Anfall. 10 Minuten dauerndes Coma, hierauf

motorische Unruh% maniakalisehe Erregung. 3 Uhr 55 Min. Vorm. 4. Anfall. Dauert 1 Minute. Puls 1~10.

4= Uhr P. 84:. Tp. 37,1. 4 Uhr 40 Min. Rtiekkehr des Bewusstseins. 5 Uhr P. 80. Tp. 3679.

5 Uhr 25 Min. u 5. Anfall im Bad~ Dauer 1/i Minute. Coma 1 Minute, hierauf starke Aufregung. Patientin ist kaum im Bert zu halten. Urinentnahme mittels Katheter. 5 Uhr z~O Min. Morph.

/ .

hydroehlor. 0,02. 5 Uhr 4=5 Min. u 6. Anfall. Dauer ca. 15 Seeunden. 6 Uhr

Rtiekkehr des Erregungszustandes. 6 Uhr 20 Min. Rtiekkehr des Be- wusstseinsl Erbreehen.

6 Uhr 4:5 Min. Vorm. 7. Anfall. Dauer 1 Minute. Tiefes Coma.

1) 1901. J.-No. 34: der KSnigl. Entbindungsanstalt Bamberg.

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M fiiI er, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 301

8 Uhr Vorm. 8. Anfall. Dauer 1 Minute. Kurzdauerndes Coma, Wiederkehr des Erregungszustandes. 8 Uhr 30 Min. 0,01 Morph.

8 Uhr 45 Min. Vorm. 9. Anfall. Dauer 1 Minute. Tiefes Coma. 9 Uhr Bad, Einpaekung.

9 Uhr 45 Min. Vorm. 10. Anfall. l)auerndes Coma. 10 Uhr 8 Min. Vorm. 11. Anfall. Dauerndes Coma 10 Uhr

20 Min. Ergotin. subcutan. 1 Spritze. 11 Uhr 15 Min. Patientin richter sieh auf. Bewusstsein noeh etwas getr~ibt~ leiehte motor. Unruhe. 11 Uhr 28 Min. Morph. Q02.

11 Uhr 30 Min. Vorm. 12. Anfall. Dauer 3/4 :~Iinute. Polar tiefes Coma.

11 Uhr 45 Min. Vorm. 13. Anfall. Dauer 3/~ Minute. Tiefes Coma. 12 Uhr 15 Min. Naehm. P. 96. Tp 88,6.

1 Uhr 45 Mira Naehm. 14. Anfall. Ihm folgt tiefer Sopor. Naeh Wiedereintritt leiehter Erregung 2 Uhr 45 Min. Morpb. 0,01, hierauf andau~J~lder tiefer coma~Cser Sopor. 3 Uhr Bad: E~npack~mg, Schweiss- ~msbrueh. 4 Uhr. Bisher tiefes Coma. Wiedereintritt yon Unruhe, die sieh indessen bald wieder legt. 5 Uhr P. 88. Ptuhiger Sehlaf, zum ersten Male ohne das bisher beobaehtete gergusehvolle stertorOse Athmen. 5 Uhr 80 Min Wiedereintritt des Erregungszustm~des, weleher einige Minuten dauert. Hierauf tritt wieder tiefer ruhiger Sehlaf ein. Haut feueht. 6 Uhr 50 Min. Wiederrm Erregungszustand. Patientin ist sehr gewalthgtig, sehl~igt~ beisst und kratzt und ist mit Mfihe im Bett zu halten, doeh merkte ieh, dass ihre Gewaltthfitigkeit sieh pro- portional verhielt zu der Gewaltsamkeit, mit der sic im Bert zurtiek- gehalten wurde. Ueberhaupt semen mir eine gewisse Zweekm~issigkeit inmitten tier Unvernunft ihres Verhaltens immer mehr hervorzutreten. L-rid da die M. immer yon Neuem den Versueh maehte~ arts dem Bert herauszukommen, so liess ieh sie in der Meinnng, dass aueh ein kranker Menseh in seinem dunklen Drange sieh des reehten Weges wohl be- wusst sein kCnne~ unter entspreehenden V0rsiehtsmaassregeln einmal gewahren.

Sobald dieselbe das Bert verlassen batte~ hoekte sie sieh in ganz natarlicher Weise nieder and liess zuerst ein paar rl'ropfen, dann, naeh- dem sie noeh ein paar Sehritte vorw~trts gemaeht hatte, eine grosse 3lenge Urin yon sieh, dessert Menge ich auf ca. 1]/.~ 1 sehgtzte. Hierauf kehrte die M. yon selbst in das Bert znrfiek nnd ~erfiel in ruhigem 8ehlaf.

Nachm. 10 Uhr 15 Min. Bewusstsein weniger getrfibt. M. giebt zum Theil sinnentspreehende Antworten, Leiehte motor. Unruhe, hier- auf ruhiger leiehter Sehlaf.

21. 2. Bewusstsein ganz klar. Es besteht vollkommene Amnesie ffir den Tag vor Ausbrueh der Eklampsie wgbrend des ganzen Woehenbettes.

In dem w'~hrend der AnfNle entnommenen Urin fund sieh 7 p. M. Albumen naeh E s b a e h , zahlreiehe granulirte Cylinder und einzelne weisse l~lutkOrperehen, am folgenden Tage ~l p. g . Albumen~ keine morpb. Bestandtheile. Eiweissgehalt am 9. Woehenbettstage 1 p. M.

Dieser Fall war, wie wir sehen, combinirt mit maniakalischen ErregungszustXnden, und zwar traten dieselben immer auf mit dem Erwachen aus dem tiefen, eoma.tSsen Sopor; die t/ewusstseins-

Arehiv f. Gyn~tkolo~ie Bd. 6~. n . 2. 20

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302 Mfiller, Ueber die Entstehung der Eklampsie.

stSrung war hierbei weniger tier, es pflegten im Laufe der Erregung lichtere Momente aufzutreten, ja es schienen die Erregungs- zust//nde die Riickkehr des Bewusstseins geradezu einzuleiten (siehe nnter 6. Anfall). Ich fasse deshalb die Erregungszustitnde bei Eklampsie sammt den sogenannten Psyohosen als ein Symptom auf, welches einem geririgeren VergiRungsgrade entsprieht.

Psychosen.

Nach meiner Ansicht sind also die Psychosen bei Eklampsie naoh ihrem gesen nichts anderes als diejenigen bei puerperalen Processen. Wie uns das Fieber in der Geburt und im Wochen- bert (Bumm) lehrt, gieb~ es Allgemeinvergiftungen dutch dasselbe Gift mit den g!eichen Allgemeinerscheinungen wie bei puerperaler Infection, ohne dass aber eine Infection des bleibenden Gewebes odor auch nur ein Zeiehen der septischen Zersetzung (iibelriechender Ausfluss etc.) erkennbar w~re. Wit sehen keinen Grund, mit dieser Erfahrung vor den Psychosen Halt zu maehen. 1) Meine Auffassung der Psyehosen bei puerperalen Erkrankungen deckt sich vollkommen mit derv. Winckel 's, weleher denselben einfach die Bedeutung eines Fieberdeliriums beilegt, und zwar reihe ieh auoh die Psyehosen bei Eklampsie unter diesen Gesichtspunkt ein. Die puerperale Psychose bei pnerperalen Processen und Eklampsie ist ein besonderes, nervSses Symptom ein und derselben Allgemein- vergiftung. Es muss demnach aueh solche puerperalen Psychosen gleieher Provenienz geben, bei denen aber weder Infection noch Eklampsie beobachtet wurde. Ieh glaube also mit einigem Reeht meine Ansicht fiber die puerperalen Psyehosen dahin pdicisiren zu dfirfen, dass ich behaupte: Alle puerperalen Psychosen, welche mit Temperatursteigerung und Albuminurie und sonstigen Vergi&

1) O l s h a u s e n , Beitrag zu den puerperalen Psychosen~ speciell den nach Eklampsie auftretenden. Zeitschr. f. Geb. a. Gym Bd. 21. S. 380/381. ,Bezfiglich tier Symptomatologie ist noch hervorzuheben~ dass in einer Anzahl yon Fi~llen die Temperatur nnd der Puls, ohne dass irgend eine Localerkran- kung beschuldigt werden konnte, nnter der Geburt eine. ungewShnliche HShe erreiehten. In drei F~llen kam die Temperatur auf 8874--38,8, wobei gleichL zeitig Pulsfrequenzen bis 1407 ja 160 Sohliigcn beobachtet wurden. In zwei anderen Fiillen kam die hSchste Temperatur auf 39~ bei 160 Schlggen and einmal auf 3%4." Wenn ich nunmehr den Spiess herumdrehe , so darf ich wohl bohaupten, dass auch das u der Psychosen bei Eklampsie ge- eignet ist, meine in der Arbeit- ausgeffihrte Ansicht tiber die Entstehung der Eklampsie zu stiitzen.

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M til 1 el b Ueber die Entstehung der Eklampsie. 303

tungssymptomen (Verhalten des Pulses) einhergehen, sind der Aus- druck einer Allgemeinvergiftung, welche entsteht durch Resorption unter bakterieller Einwirkung entstandener Gifte aus der Geschleehts- hShle.

T e m p e r a t u r e r h S h u n g .

Die TemperatnrerhShung kennzeichnet die Eklampsie als bak- terielle Intoxieation~ ohne der absolute Ausdruek der Vergiftung zu sein. 1) Sic steigt mit der vermehrten Giftmenge, welehe aufgenommen wird, und f/~llt mit der A bnahme derselben. Wenn der Anfall eintritt, so ist eine grSssere Giftmenge zur Aufnahme gelangt, die Temperatur steigt; sic kann wieder abfallen, wenn die n~ichste Resorptions- gelegenheit, welehe sich im Anfall wiederspiegelt~ lange auf sich warren ]~sst. Die Giftmenge im KSrper nimmt zu mit der Anzahl tier Anf/ille und ist relativ um so grSsser, je schneller dieselben zmfeinanderfolgen, da die Ausscheidung der Aufnahme dann um so weniger entsprieht; die Temperatur wird entspreehend, d. h. pro- portional den Anf/fllen hSher steigen. Sie kann aber auch hSher steigcn ohne Ant/tile, wenn n~mlich die Resorption nieht in Anf~tlle auslSsenden Paroxysmen, sondern allm/flig und dauernd stattfindet und die Giftmenge sich sozusagen stillschweigend ver- mehrt. Diese langsame Resorption kann den Anf~llen voraus- gehen, zwischen ihnen liegen und naeh ihnen kommen, braueht also den Convulsionen in keinerlei Weise zu entspreehen. Dem- gem~ss kann hohes Pieber vet Ansbrueh der Anf/ille, trotz geringer Anf~lle und nach den Anf/illen im tiefen Coma bestehen, ohne dass deshalb eine wirkliehe Infection best~tnde. Allerdings wird aueh zuweilen eine wirkliehe Infection~ d. h. eine solche des bleibenden Gewebes vorhanden sein. Infection des abgestossenen und des im Zusammenhang mit dem Organismus bleibenden Gewebes gehen ja ganz natiirlich oft Hand in Hand.

A l b u m i n u r i e , Cy l ind ru r i e , I t ~ m a t u r i e .

Die Affection der Niere ist aufzufassen als eine ,toxische Nephritis", sic ist eine Degeneration des secernirenden Gewebes in Folge der Einwirkung des auszuseheidenden Giftes. Der plStz- lichen Resorption grosset Giftwerthe entsprieht ihre ganz acute, schnell zu ~-ollkommener Anurie fiihrende, mit schweren Gewebs-

1) Siehe die vergl. Betraehtungen fiber die TemperaturerhShung bei Pyaemie und Septieaemie. S. 276 dieses Heftes.

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304 M/ill er ~ Ueber die Entstehung der Eldampsie.

destruetionen (hochgradiger Albuminurie , massenhafter Abstossung yon Cylindern) und gelegentliehen Blutungen einhergehende Erkran- kung. Je naehdem der plhtzlichen, zum Ausbrueh der Eklampsie fiihrenden Aufnahme grosser Giftmengen eine allm~ilige Resorption derselben vorausging, kann die Affection der Niere erst allm~lig zu hhheren Graden der Erkrankung fiihren, o d e r eine bestehende leichte Albuminurie eine ganz plhtzliche Exacerbation er[ahren. 94 die Nieren als ausscheidende Organe am meisten der Einwirkung des Giftes ausgesetzt sind, so erkranken sic regelm/tssig und sehr sehwer, doch kann ihre Erkrankung, analog anderen Vergiftungen, gelegentlich auch fehlen. Es ist bekannt, dass bet zahlreichen Krankheiten einmal dieses, alas andere Mal jenes Organ mehr aN- cirt ist und dass zuweilen eine ganz typisehe Organaffection, viel- leieht die wiehtigste Componente des Krankheitsbildes, ganz feh]en kann. Diese Erfahrung gilt, wie Schmor l 1) an der Hand seiner Seetionsbefunde naehgewiesen hat, ebenfalls far die Eklampsie.

Maa.ssgeblich ist die Summa der Organver~tnderungen; nieht die oft zuf~iltige grhssere oder geringere Affection des einzelnen Organs, sondern ,der Durehsehnitt giebt das Bild". Deshalb kann aueh die Erkrankung der Niere hier und da ganz fehlen oder eine so geringe seth, dass sie keine naehweisbaren klinischen Erschei- nungen macht.

Sobald die Giftzufuhr in den Orgauismus aufhhrt, lgsst aueh die Erkrankung der Niere naeh und versehwindet in der Regel nach einigen Tagen. Es ist ja bekannt, wie sehnell auch sonst eine acute toxisehe Nephritis rtickg~ngig zu werden loflegt, doeh khnncn in seltenen P~llen aueh dauernde Beseh/~digungen zuriiek- bleiben, besonders bet den chronisehen Vergiftungen. Aus diesen Griinden glaube ieh aueh an die Mhgliehkeit, dass die Schwanger- sehafts- bezw. Geburtsalbuminurie zuweilen eine dauernde Sch/idi- gung der Nier5 hervorbringen kann.

A c e t o n u r i e .

S t u m p f fund bekanntlich im Urin Eklamptischer constant Aceton. Dieses ist ein Product der Eiweisszersetzung und tritt da

i n vermehrter Menge auf, we der Eiweisszerfall vermehrt ist, also

1) Mttnehener reed. W6ehensehr. 1901. No. 23. S. 946. Referat fiber die Verhandlnngen des Gyngkologen-Congresses in Giessen.

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l~Iiiller~ Ueber die Engstehung der Eklampsie. 305

besonders aueh beim Fieberl). ist meines Eraehtens nut ein zerfalles.

Die Aeetonurie bei Eklampsie Symptom des erh6hten Eiweiss-

I e t e rus .

Wie die Niere, so ist aueh ganz besonders das Lebergewebe dureh die Vergiftung gef~hrdet~ well in derselben entspreehend ihror Aufgabe, im Blnte cireulirende Gifte aufzufangen und unsohg~dlieh zu maehen, eine Anstauung und l~ngeres Verbleiben des Giftes stattfindet~ und damit Gelegenheit zu de, letb;rer Einwirkung des. selben gegeben ist. Als klinisehes Symptom der Leberaffeetion erseheint, wenn sie grosse Dimensionen annimmt, der tcterus~ weshalb dessert Auffreten yon abler Vorbedeutung ist. Uebrigens linden sieh, wie die Nierenerkrankung, Ieterus und die sohwere Affection der Leber bis zur aeuten gelben Atrophic2), desgleichen die multiplen H/imorrhagien aueh bei schweren puerperalen Pro- eessen ohne Eklampsie, so dass aueh der pathologiseh-anatomisehe Befund auf die Einheit des puerperalen und eklamptisehen Giftes l~indeutet.

Prognose. Wenn wir uns den Untersehied zwischen Resorp!ionsfieber und

Eklampsie vor Augen halten, der darin besteht, dass ersteres eine ganz allmitlige Vergiftung mit zumeist geringeren, unfertigen Gift- werthen~ letzteres abet eine p]Stzliehe Ueberschwemmung des Orga- nismus mit zu sofortiger Maximalleistung geeigneten Giften hSherer Potenz darstellt, so ergiebt sich yon vornherein ein Untersehied in dem Sinne, dass Eklampsie im u mit dem Resorptionsfieber so ausserordentlich h~uflg zum Tode fiihrt. Die Vergiftuug in der Zeiteinheit ist st~trker, es entsprieht also die Vergiftung bei Eklampsie, wenn man beziiglich der Giftquali~/it einen einheitlichen Maassstab anlegen wiirde, einer solcher~ bei Resorptionsfieber yon so und so viol mal ]/~ngerer Dauer. ttierzu kommt ausserdem der briiske, unvermittelte Eintritt des Giftes in die Blutcireulation, die eine Adaption des Organismus und das wirksame Inkrafttreten seiner Schutz- und Ausscheidungsvorrichtungen ausschliesst. Beiden gemeinsam ist tier Umstand, dass mit der Schwere der klinisehen

1) v. Jacks~h, Vergiffangen. S. 619. 2) v. Win~kel, Lehrbuch. S. 247.

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306 Miiller~ Ueber die Entstehung der Eklampsie.

Erseheinungen~ als ~ hohen Temperaturen; Versehleehterung der Puls- qua]it~tt, Sehwere der nerv6sen Symptome, zunehmender Zahl der SehiittelfrSste und Anf/tlle die Prognose sieh tdibt, da sie der Ver- giftung parallel gehen. Bei diesem aber, wie bei jenem, unterliegen~ wit mit diesen prognostisehen Anhaltspunkten, wie bei aeuten bakteriellen Vergiftungen tiberhaupt, den grSssten Entt~;tlsehungen. Wie oft erleben wit es nieht, dass die desolatest% naeh unserer Meinung ganz sieher zum Tode fiihrende Eklampsie (mit der Coupirung der Giftzufuhr in Polge der Entbindung oder des Kinds- todes) mit einem Sehlage sieh bessert und selinell zur Genesung fiihrt? Es kSnnen eben alle diese sehweren Erscheinungen ver, sehwinden, sobald die Giftquelle versiegt. Von ausserordentlicher Wiehtigkeit far die Prognose des Fiebers, wie der Eklampsie unter der Geburt ist daher die Zeit des Eintritts der Vergiftung im Ver- h/iltniss zum Fortsehritt in der Geburt, weil dureh die Entbindung zumeist der Giftherd zerstSrt wird, Je ferner die Zeit liegt, in weleher die Entleerung des Uterus - - gleiehgiiltig ob spontan oder operativ - - stattfinden kann, um so ungiinstiger ist die Prognose , weiL damit eben die Dauer derGiftbildung und der ZuNhr des Giftes in den Organismus w~ehst. Die Gesetzm~ssigkeit dieses Paetums ist iibrigens aueh fiir die Eklampsie sehon l~tngst festgestellt und geht aus zahlreiehen Statistiken i) hervor. Die Prognose der Eklampsie ist also am ungiins~igsten, wenn dieselbe vor der Geburt ausbrieht, giinstiger unter der Geburg und zwar um so giinstiger, je naher der Ausbrueh der Eklampsie der Beendigung der Geburt liegt~ am giinstigsten naeh der Geburt. Dieses @esetz begriindet auch den Untersehied in tier Mortalit~itsfrequenz, welehe Erst- und Mehrge- b/irende aufweisen. Wie die Statistik Sehau ta ' s lehrt~ erkranken Mehrgeb~irende in der H~i.lfte der F~lle in der Sehwangersehaft (vor Eintritt der Wehen), w~ihrend Erstgeb~irende mehr zur Er- krankung intra und post partum disponirt sind. Die Zeit his zur Entleerung' des Uterus und tier AbIeitung der GiRquelle dauert also bei einem grossen Proeentsatz der Mehrgeb~irenden viel ls aIs bei Erstgebs und es muss dementspreehend auch die Gesammtmortalit/it bei jenen, eine viel grSssere sein. Dass nieht der Umstand an sieh, ob die Erkrankte eine Erst- oder Mehrge- bg.rende ist~ die Prognose haupts~ehlieh beeinflusst, sondern viel-

1) Siehe die Mortalit~tscurven Goldborg's. Dieses Arehiv. Bd. 42. S. 92. Desgl. LShlein~ Gyn~kologisohe Tagesfragen.

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Mfiller: Ueber die Entstehung tier Eklampsie. 307

mehr die Zeit, in weleher die Eklampsie ausbrieht, beweist uns die hohe Mortalit/it auch der Erstgebgrenden, wenn dieselben vor Beginn der Wehen erkranken. Dieselbe betr/igt naeh der Statistik D i ih r s sens 1) 28 pCt. (: 33 pCt. Mehrgeb/irenden). Der geringe Unterschied, weleher dann noeh in der Mortalitiit bei Ausbruch der F, klampsie vet Eintritt der Wehen besteht, ist jedenfalls damit zu begriinden, dass bei Erstgeb~irenden der supravaginale Theit der Cervix bereits im letzten Monat der Sehwangersehaft verstreieht, w~ihrend bei MehrgeMrenden dieses unter der Geburt gesehieht. Es ]iegen bei Mehrgeb/~renden die Aussiehten ffir die sehnelle Er- 5ffnung des Gebartseanales ungiinstiger, als bei Erstgeb/irenden. Brieht die Eklampsie bei MehrgeMrenden unter der Geburt selbst aus, so ist die Mortalit'at bei Mehrgeb/~renden durehaus nieh.t h/~ufiger; alas SterbliehkeitsverMltniss ist naeh Di ih rssen 2) bier sogar giinstiger fiir dieselben, da naeh ibm bei .Eklampsie intra et post partum 20 pCt. Erstgebtirende, 14 pCt. Mehr- gebgzende, intra partum 22 pot. Erstgeb/irende, 20pCt. Mehr- gebtirende starben.

Unter den sensu strietiori puerperalen Eklampsien, d. h. sol- chen, bei welehen der erste Anfal[ einen halben Tag oder noeh l~nger nach der Geburt auftritt, findet Olshausen3) neben den allerleiehtesten aueh die allersehwersten Formen. Die unaufhalt- same Resorption der Giftmassen, welehe den sehwer@ Verlauf be- dingt, h/tngt offenbar mit mangelhafter Involution des Uterus und der damit vorhandenen hSheren Resorptionsf/ihigkeit desselben zu- sammen; and da solehe Verh~tltnisse bei Mehrgeb/irenden h/iufiger sieh finden: so erklgrt sieh hieraus die gelegentlieh zu beobaehtende auffallende 5Iortalit~it der im Woehenbett erkrankten Mehrgeb/iren- den4), welehe dem Gesetze ttohn zu spreehen scheint, dass die Prognose bei Eklampsie im Woehenbett am giinstigsten ist. Viel- leieht spielt hier aueh die vorwiegende Behandlung mit Nareotieis eine ungiinstige Rolle, da sie die Gef~;sse erweitern, eine Er- schlaffung der Geb~irmutterwand herbeifiihren und damit deren gesorptionsffihigkeit erhShen. Im Allgemeinen aber ist die Pro- gnose, auoh bei 3'Iehrgeb/trenden am giinstigsten bei Ausbrueh

1) Dieses Archiv. Bd. 43. S. 151. 2) Dieses Archiv. Bd. 43, S. 151. Tabelle. 3) S. 533. (Volkm. Samml, klin. Vortr. Neue Folge. No. 39.) 4) Diihrssen: Dieses Archiv. Bd. 43, S. 151. Tabelle.

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308 Miiller, Ueber die Etatstehung der Eklampsie.

der Eklampsie post porCum, und zwar nicht ungiinstiger, als bei ErstgeMrenden 1).

Wie zuvor hcrvorgehoben, erlcben wires bei Ekiampsic wie auch bei anderen bakteriellen Vergiftungen nicl~t selten, dass eine absolut infausC gestellte Prognose sich als trSgerisch erweist. Der gef/ihrlichste und desolateste Zustand kann sich mit einem Schlage gndern, undes tritt sehr schnelle Genesung ein zu cincr Zeit, wo man den Tod erwartete. GewShnlich abet ist, wenn die gklampsie schon lgnger dauerte, die Vergiftung nicht spurlos an dem Or- ganismus voriibergegangen; dieser hat inzwischen einen sehr schweren Schaden erlitten, tier trotz der oft geringer werdendcn oder aufhSrenden Giftzufuhr den tSdtlichen Ausgang herbeifiihrt. Dieser Schaden besteht neben der mehr accessorischen Schluckpneumonie nnd der Complication mit Septik~imie and atonisehen Blutungen in den schweren Affectionen der Organe, als ausgedehnter Apoplcxie in das Gehirn, den schwcren bis zur acuten Atrophic sich ausdehnen- den degenerativen Processen in der Leber, den parenohymatSsen Yergnderungen des Herzfleisches and der absoluten, zu tSdtliehem Collaps fiihrenden ErschSpfung des Gesammtorganismus, ganz ab- gesehen von den BescMdigungen, welche durch eine lang fort- gesetzte Narkose und die zu der vorhandenen Vergiftung noeh hinzu-

gefiigte Vergiftung mit grossen Dosen narkotischer Mittel gesetzt ~Terden. Es kommt also fiir die Prognose der Eklampsie nicht allein die Zeit in Betracht~ welche his zur Beseitigung des Gift- herdes noch vergchen wird, sondern auch die Zeit, welche seit dem A_uftreten der Eklampsie bereits verstrichen ist. Der Ictcrus und die subcutanen H/~morrhagien sind also ein Ausdruck der schweren BescMdigungen, welche der Organismus bereits erlitten hat, und als solcher yon tier iiblen prognostischen Bedeutung~ welche S tumpf ihm zuschreibt. Aus dcrselben Ursache gehen auch eine Anzahl Eklamptischer zu Grunde, trotzdem z. B. dutch die Entbindung sogar eine voriibergehende Besserung des Zustandes sich bemerkbar gemacht hattc.

Die Prognose der Eklampsic hat also drei Pankte zu um- fassen:

1. Die Zeit~ welche seit dem Ausbruch der Eklampsie ver- flossen ist, und die organischen Schgden, welche bereits nachweis-

1) Goldberg~ Dieses Archiv. Bd. 4"2. S. 93. Tab.

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bar sind (Ieterus, Blutungen, Lghmungen). [Bisherige Dauer der Vergiftung.]

2. Die Zeit, welehe his zur wirksamen Beseitigung der Gift- quelle (Entbindung, Spreugung der Fruehtblase) voraussiehtlieh noeh verfliessen wird. [Weitere Dauer der Vergiftung.]

3. Die tteftigkeit des Verlaufs (Anzahl, zeitliche Folge, Charakter tier Anf~ille, Dauer des Comas, der hohe GrM der Albuminurie und die Vollkommenheit der Anurie) und die Sehwere der Allgemeinersoheinungen (HShe der Temperatur, Frequenz und Qualitgt des Pulses, Tiefe des Comas). [Grad der Vergiftung.]

Prognostisch giinstig sind reiehliehe Sehweisse. Was nun die Prognose der Prfiehte anbotrifft, so ist dieselbe

noeh sehlechter~ wie diejenige der Miitter, well, wie es selbstver- stS;ndlieh und zudem dureh die Seetionsbefunde erwiesen ist, das Gift ebenso im KSrper des Kindes kreist, "wie in dem der Mutter; derzarte kindliehe Organismus demselben abet leiehter erliegt, als derjenige der Mutter. Je geringer die Lebensf~ihigkeit des Igindes ist, um so geringer ist aueh der WJderstand , dem dasselbe den giftigen Einfltissen entgegensetzeu kann; die Prognose fiir sein Leben versehleehtert sieh also proportional seiner Unreife. Nach Diihrssen 1) ist vet der ~8. Sehwangerschaftswoehe die Prueht stets vorloren. Andrerseits wird die Prognose um so giinstiger, je fr[iher das Kind entbunden und aus der giftdurehstrSmten miitter- ]leben Circulation ausgesehaltet wird, denn so lange und so stark die u in der Mutter wirkt, so lange und so stark wirkt sie auch in dem mit ihr verbundenen Kinde, und zwar nur mit dem Untersehiede, dass dieses leiehter unterliegt.

Es sind fiir die prognostisehe Beurtheilung des kindliehen Lebens dieselben Tha~saehen hinsiehtlieh der riiekliegenden und kiinf- tigen Dauer und des Grades der Vergiftung~ die wit an der Mutter beobachten, maassgeblieh; .hinzu kommen die lebensgef~hrliehen Beseh~digungen, denen es dureh die entbindenden Operationen und dureh die Wirkung der Nareotiea ausgesetzt wird.

Therapie. Es liegt mir fern, ein therapeutisches Regulativ aufzustel!en ,

das irgend welehen Ansprueh auf Maassgebliehkeit und Vollstiindig-

1) Dieses Archly. Bd. 43. S. 122.

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,~10 Mailer, Ueber die Entstehung der Eklampsie.

keit machte. Far mich handelt es sieh nur darum, die Con- sequenzen aus der Auffassung Ober des Wesen der Eklampsie zu ziehen, die ieb zuvor dargelegt habe.

Wie wir frOher gesehen hatten, conaurriren bei der Entstehung der Eklampsie zwei Factoren. Erstens die Giftbildung, zweitens die ausserordentlich gfinstigon Resorptionsverh~iltnisse. An diesen Punkten muss aueh die Therapie einsetzen, denn wir kSnnen die Ekla.mpsie nur dann wirksam bek~impfen, wenn wir die Bedingungen~ unter denen die Vergiftung des Organismus zu Stande kommt, be- seitigen. Die causale Therapie also hat sigh zu wenden gegen:

1. die Giftbildung, 2. die Resorption des Giftes. Wie B u m m dargelegt hat, wurde in Basel nach 1;mzug in die

neue Anstalt trotz tier modernsten Einrichtungen und sorgfgltigsten ttandhabung der aseptischen und antiseptisehen Vorschriften keine geringere Frequenz des Wochenbettfiebers in derselben erzielt a l s in der allen. Die schweren Infeetionen lassen sich ja gegenw'~rtig fast ganz vermeiden, abet die 7~gutartigenr Resorptionsfieber sind nicht einmal seltener geworden, und es ist nacb meiner Ansicht iiberhaupt ausgeschlossen, dieselben jemals ganz zu beseitigen , weft wit ebens0wenig die Ansammlung zersetzungsfghiger Massen~ wie die Einwanderung tier im Genitaleanal bereits vorhandenen, crier trotz pcinlichster Asepsis hereingetragenen ubiquistisehen Eiterkokken verhindern kSnnen. Die Anwesenheit bezw. das Zustandetreffen tier' Paetoren, dureh deren Aufeinanderwirken alas Gift entsteht, kSnnen wit also nieht verhindern, wohl abet haben wir therapeu- tisehe Maassnahmen, urn, sobald wit einmal erkannt haben, d.ass G-ifte entstehen, deren Bildung ungiinstig zu beeintlussen. Maass- geblieh ffr die Ausbildung des Giftes ist die Zeitdauer, wghrend weleher zersetzungsf/ihiges Material und Bakterien im Gesehlechts- canal verweilen, sic wird also begiinstigt dutch deren Retention. Die Therapie, welehe die Giftbildung abzustellen sucht, hat also die eine solche Retention begiinstigenden Verhgltnisse zu be- seitigen.

In tier Sehwangersehaft spielen sie h die Giftbildungsvorg/~nge ab zwisehen Ei und Gebgrmutterwand. LSsen wit nun beim Kaiser- sehnitt das Ei yon der Gebgrmutterwand ab, so haben wir den Herd getroffen , in dem alas Gift entstand, aber nicht beseitigt, wenn nunmehr nioht ein gleiehm~tssiger 31bfluss des Giftes und tier giftbildenden Massen durch cinch weir erSffneten ttalseanal gews

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M ~ 1 le r ~ Ueber die Entstehung der Eklampsie. 311

leistet wird. Erstens hat das vorhandene Gift trotz der Entfernung des Eies keinen geni~genden Abfluss, zweitens sammeln sieh wieder zersetzungsf/~hige Massen an~ in denen die Bakterien immer neues Gift bilden. Sind abet diese Poraussetzungen gegeben, so kann die Giftbildung und damit die Eklampsie aufh6ren, Uebrigens kann sieh die Natur aueh in der Sehwangerschaft selbst helfen,. indem unter den Anf~tllen selbst oder den damit verbundenen Con- tractionen des Uterus das Ei sieh loekert und das zwischen Ei und GeMrmutterwand angeMufte Gift, wie aueh die giftbildenden Substanzen nunmehr zum Abfluss kommen k6nnen. Deshalb kann in der Sehwangersehaft die Eklampsie gelegentlieh auth~ren, ohne dass das Kind abstirbt, und ohne dass eine zur Geburt fiihrende WehentMtigkeit entsteht. Die Eklampsie braueht dann spt~ter nieht wiederzukehren, kann es abet, wenn es wieder zur Bildung und Ansammlung neuer Giftmengen kommt.

In der Er~itI'nungsperiode bildet sigh alas Gift, wie ieh i• der Arbeit fiber das Fieber in der Geburt darzulegen versucht habe, haupts/~ehlieh im untersten Absehnitt der GeMrmutterh6hle: in dem Raume zwisehen Eispi~ze einerseits, der ursloriingliehen Cervix und dem vom Ei bereits entbl6ssten Theil der (}eMrmutterwand an- dererseits. Bei ungeniigender, mit der Wehenth/itigkeit nieht ent- spreehend fortsehreitender Er6ffnung des Muttermundes sammeln sigh die abgestossenen Gewebsmassen und Secrete an~ werden dutch die vorhandenen, aus der Seheide eingewanderten oder ein- gebraehten Bakterien zersetzt und', da, sic nicht abfliessen k6nnen, resorbirt. Treten aber kr/iftige Wehen ein, er6ffnet sieh der Mutter- mund~ so dass ein geniigender Abfluss des Giftes wie der gift- bildenden Substanzen mgglieh ist, dann kann Fieber und Eklam- psie~ wie die klinisehe Erfahrung beweist~ aufh6ren. Gew/3hnlieh erzeugt ja die Eklampsie starke, auffallend sehnell wirkende Wehen, wo dies aber nieht oder voraussiehtlieh nieht .sehnell genug ge- schieht, da hat die Therapie einzusetzen; schnell erweitert werden.

In der Austreibungsperiode wird die Gift nicht sehon in tier ErSffnungsperiode

der Muttermund muss

Giftbildung, wenn das entstaM, dadurch er-

m~iglicht, dass der vorliegende Theil den Geburtscanal fest aus- tamponirt und die zur~ckgehaltenen'Gewebsmassen zersetzt werden. Der Kunsthilfe liegt es oh, diesen Zustand zu beseitigen und die Austreibungsperi0de schnell zu beenden. In der Nachgeburts- periode und im Friihwochenbett ist die Giftbildung , sofern die Be-

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312 M iille r, Uebor die Entstehung der Eklampsie.

dingungen hierzu nicht sehon zuvor vorhanden waren, wenig be- giinstigt, weil die bier in Betraeht kommenden Retentionsgelegen- heiten (Verlegung dos Halseanals dureh Bluteoagula, Naehgeburt, Collabiren des l~Iuttermundes) yon geringer Kraft und Dauer sind. ttier kommen mehr die Resorptionsverh~tltnisse in Betraeht. Aehn- lieh liegen die Yerh/i.ltnisse im Woehenbett (einfaehe Stauung des Woehenflusses), doeh k6nnen hier die Retentionsgelegenheiten (Ab- kniekung der Cervix, Verlegung dos Halseanals durch starke Fiillnng des Nastdarms und der Blase) erheblieh werden. Die Therapie hat die Beseitigung der die Retention bewirkenden Um- st~tnde zu besorgen.

Das in der GebgrmutterhShle sieh ansammelnde Gift ist an nnd fiir sieh fiir den Organismus ungefiihrlieh, es maeht keineVer- giftung und keine Vergiftungserseheinungen, so ]ange es nieht in die Circulation gelangt. Ebenso wiehtig wie die Giftbildung, ja fiir das Zustandekommen der ganz aeuten schweren Allgemein- vergiftung bet Eklampsie ganz ausserordentlieh wiehtig ist deshalb das Vorhandensein sehr giinstiger Resorptionsverh~iltnisse. Solehe sind gegeben in der Sehwangersehaft bis zum Ende der Aus- treibungsperiode dureh den hohen Inhaltsdruck in der Ge- b~irmutterhOhle, in der Naehgeburtsperlode, dem Woehenbett, besonders dem Friihwoehenbett in tier ausserordentliehen Eig- nnng der Resorptionsfl~iehe zur sehnellen Aufnahme grosset Gift- mengen. Resorptionsfiihigkeit der resorbirenden l?laehen und In- haltsdruek stehen aber, wie wit gesehen batten, in einem gewissen reeiproken Verh~tltniss zu einander, je grSsser der Inhaltsdruek ist, um so weniger geeignet braueht die Resorptionsfls zu sein. Der intrauterine Druek ist also in tier Sehwangersehaft und in der ersten und zweitenGeburtsperiode der ttauptfaetor, in der dritten Periode und im Frtihwoehenbett die Besehaffenheit der Resorptions- fl~tehe; im sp~teren Wochenbett, we-die Plaeentarstelle mehr und mehr an Resorptionsf~thigkeit verliert, treten wieder ErhShungen des intrauterinen Druckes mehr in Geltung. Die Therapie, welehe eine geringe Resorption der vorhandenen Giftmengen erzielen will, hat also in den Zeiten, in denen die bestimmten Umst/inde reset p- tionsbefSrdernd wirken, dieselben zu bek~tmpfen.

Dieselben Momente nun, welehe die Retention tier giftbildenden Faetoren und damir die Giftbildung begiinstigen~ sind aueh die Ur- saehe~ dass alas zuriiekgehaltene Gift in tier Geb~trmutter unter einen hSheren Druek gelangen kann. Mit tier Beseitigung tier Re-

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M ~ ll er, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 313

tentionsgelegenheiten haben wit also nieht allein die Giftbildung, sondern vielfaeh auoh die Resorption .beeintrgohtigt~ indem wit die M6glichkei~ der Erh/Shung des intrauterinen Druekes ver- ringerten. Ausserdem k6nnen wir den intrauterinen Druek herab- setzen dureh die Sprengung der Fruehtblase in der Sehwangersehaft oder der ersten Geburtsperiode, in vollkommenster Weise aber dureh die Entleerung des Uterus. In dieser Maassregel vereinigt sieh die denkbar sieherste Zerst/Srung dec Giftquelle and zuver- lgssigste Beseitigung des intrauterinen Druekes, deshalb ist sie aueh die wirkungsvollste Maassregel, die wit im Kampfe gegen die Eklampsie haben.

Die Eignung .der Resorptionsfl/iehe k6nnen wir naeh den be- kannten Regeln beeintr/iehtigen, in dem wit fiir einen m6gliehst guten Contraetionszustand der entleerten Geb~irmutter sorgen. Es treten in Action Seeale, Eisbeutel. Frietionen der Geb~irmutter und intrauterine Douehen, welch' letztere man ja aueh zur voll- kommenen Entfernung des Oiftes aus der Gebgrmutter in Betraeht ziehen k6nnte, m{Sehte ieh nieht empfehlen~ da man dutch die- selben den in.trauterinen Druek pl6tzlieh stark erh/Sht, und deshalb, bis der erwtinsehte Contraetionszustand erzielt ist, gerade eine

erneute massenhafte Einsehwemmung yon Giften und h//ufig eine neue Besehgdigung der Geb~irmutterwand, welehe dieselbe zu neuer Resorption geeignet maeht~ herbeifiihrt. Es ist ja bekannt, dass bet in frauterinen lrrigationen starke Fieberexaeerbationen statt- linden, dass ebenso hierdureh (Fall Sehau ta ) und dutch Druek auf die Gebiirmutter eklamptisehe AnNlle ausgel/Sst wurden.

I nd ioa t i o eausa l i s .

Das Prineip der eaasalen Therapie besteh~c also einerseits in der Ableitung nnd Zerst/Srung der Giftquelle, andrerseits in der Beseitigung der vorhandenen giinstigen Resorptionsverh/iltnisse. Wenn wir nun die aus dieser Auffassung begriindeten therapeuti- sehen Eingriffe naeh dem Zeitpunkt ordnen, in welehem die Eklampsie ausbricht und dieselben in Betraeht kommen~ so ergiebt sioh folgendes :

1. Ausbrueh in tier Sehwangersehaft: Der Grundzug aller Therapie bet Eklampsie in der Sehwan-

g'ersehaft muss sein~ den Zeitpunkt der Entbindung demjenigen des Ausbruehes der Convulsionen mSgliehst nahe zu riieken. Die erste therapeutisehe Maassnahme mass also se in die kiinstliehe

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314 Miillor~ Ueber die Entstehung der Eklamlosie.

Erweiterung des Muttermundes dureh Metreuryse eventl, mit Be- lastung des Ballons, und zwar um so mehr, als die ErSffnung desselben aueh die ~Voraussetzung der sonstigen, die causale Indi- cation erfiillenden Maassnahmen ist, des artifieiellen Blasensprungs und der Entbindung. Sobald die Fruehtblase zu erreiehen ist, wird dieselbe gesprengt. Je naehdem es nun tier Verlauf der Eklampsie erfordert, muss die weitere Ediffnung des Muttermundes besehleunigt werden. Die einfaehe Metreuryse ist dann zu er- setzen durch die Methode Di ihrssen , die Combination der mecha- nisehen und blutigen Dilatation, 1) vermSge deren man, wie Di ih rssen gezeigt hat, in sehr kurzer Zeit einen vollkommen gesehlossenen Cervialkanal zu einem den Durehsehnitt des Kindes ermSglichenden Kanal gestalten kann. Sobald es dann der Mutter- mund erlaubt~ wird entbunden.

Die Prognose der therapeutisehen Maassnahmen hgngt naeh wie vet davon ab, wie lunge zeit seit dem Ausbrueh der Eklampsie beim Beginn der Therapie verflossen war, und wenn man die.Pro- gnose der Sehwangersehaftseklamps~e bessern will, muss man zuerst an diesem Punkte angreifen.

Man muss es Hebammen zur Pflieht, den Aerzten zur Ge- wissenssaehe maehen, sofern sie die nothwendige IIiilfe nieht selbst bringen k5nnen, sofort einen geeigneten Beistand hinzuzuziehen. Hierdureh wird man_ die Prognose der Sehwangerschaftseklampsie viel sieherer bessern kSnnen, als wenn bei moribund in .speeiali- stisehe Behandlung Kommenden der Kaisersehnitt gemaeht wird.

gommen nun solche Sehwerkranke in Behandlung: bei denen yon vornherein die Prognose nahezu ungiinstig zu stellen ist, so hat man doeh keinen Grund, die Hiinde in den Schooss zu legen. Zum Min- desten lasse man~ wenn voraussiehtlieh selbst ein Aeeouehement fore6 im Sinne Di ihrssens nicht mehr die Entleerung des Uterus vet dem Tode herbeifiihren wird, die Sprengung der Fruehtblase nieht unversueht.

Als ]etzte therapeutisehe Naassnahme kommt in Frage der Kaiserschnitt. Wie ieh zuvor betont babe: wird dureh den Kaiserschnitt an und fiir sieh nieht viel geniitzt, daher neben den einzelnen giinstigen Erfolgen die grosse Zahl der ungiinstigen. Seine Prognose wird ja immer die ungiinstigste yon allen thera- peutische~ Maassnahmen bleiben, da er in der Regel erst in den prognostiseh sehr ungiinstigen F'allen in Prage kommt~ we die

1) Dtihrssen, Dieses Arohiv. Bd. zI2. S. 555.

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M ~il 1 e r ~ Ueber die Entstehung der Eklampsie. 315

iibrigen Entbindungsmethoden voraussichtlich nieht mehr helfen. Wenner aber iiberhaupt einen Nutzen bringen soil 7 so muss naeh ErSffnung des Giftherdes aueh die MSgliehkeit bestehen, dass Gift und Giftbildner aus tier Geb/trmutterhShle sieh enffernen; eine solehe ist gegeben in der mSglichst weiten ErSffnung des Hals- kanals. Es ist deshalb in jedem Falle yon Eklampsie in der Sehwangerschaft gut, mit der Dilatation des Muttermundes nieht zu s~umen. Sehr Mufig tritt nach Vornahme des Kaisersehnitts Uterusatonie ein 7 so dass man wegen der daraus hervorgehenden unstillbaren Blutung mehrfach den Uterus naeh dem Kaisersohnitt hat supravaginal amputiren miissen.

Diese Gefahr der Atonie kommt fiir die Eklampsie ganz be- sonders in Betracht, well sieh hierdurch dem vorhandenen und naeh der Operation noeh bildenden G-iRe eine noeh giinstigere Re- sorptionsfl~;ehe darbietet, als bei den moisten per vias naturales entbundenen WSchnerinnen, ganz besonders, wenn in Folge unge- niigender ErSffnung des Halskanals die Abflussverh~ltnisse sehr sehleeht sind. Man muss deshalb, wie Di ihrssen es vorgesehlagen hat, naeh dem Kaisersehnitt stets tamponiren, um eine mSgliehst t'este Contraction des Uterus zu erzielen, und zwar nieht nut wegen der zu befiirohtenden atonischen Blutung, sondern in direkter eaui saler Indication der Eklampsie.

Auch in dieser Riehtung erweist sieh die mSglichst weite Er- 5ffnung des ttalskanals yon Vortheil, aIs man, indem man das Anfangsstiick des Gazestreifens in den tIalskanal einlegt, naeh der Tamponade die Bauehwunde sehliessen und dieselbe sp~;ter per vias naturales entfernen kann. Als therapeutisehes Mittel gegen die Eklampsie hat also der Kaisersehnitt nut dann Sinn und Worth, wenn man nach tier Entfernung des Eies auch die resorptiven Ver- h~;ltnisse des Uterus im Auge hat.

Die giinstigen Erfolge, welehe D/ ihrssen mit seinen Kaiser- sehnitten erzielte~ sind also kaum zuf/illige; das Geheimniss des: t~rfolges liegt in der ausgezeiehneten Contraction der Geb~rmutter nach der Operation.

2. Ausbruch in der Geburt: Wie in der Schwangersehaft, so ist aueh in der Geburt der

leitende Gedanke der Therapie die mSgliehst sehnelle Herbei-. fiihrung der Entbindung. Der Verlauf der Eklampsie, der Terrain des Ausbruches im Verh~iltniss zum Termin der voraussichtliehen Geburtsbeendigung bestimmt die Eile und die Energie 7 mit tier man

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31 6 N ~ 11e r, Ueber die Entstehung der Eklampsie.

zu Werke geht.. Die therapeutischen 3~Iaassnahmen bestehen in Dilatation des Muttermundes dutch Metreuryse, dem mit Incisionen eombinirken Verfahrens Di ihrssen 's und in der durch die be- stimmten Yerh~ltnisse gegebenen entbindenden Operation, sobMd das Verhalten des Muttermundes dieselbe erlaubt.

Die Indication fiir den t~aisersehnitt ist, wie in der Schwanger- sehaft, dann gegeben, wenn naeh Maassgabe der vorliegenden Ver- hKltnisse die iibrigen entbindenden Operationen die Rettung des miitterlichen Lebens nieht .in Aussieht stellen, oder wenn aus anderen Griinden die absolute Anzeige dazu besteht. Ob man je- mals bei Eklampsie eine absolute oder relative Indication wird unterscheiden diirfen, werden die kiinftigen Erfahrungen mit dem Kaiserschnitt lehren, vorl/~ufig existirt nut die absolute Indication.

Die Frage, ob man beim Ausbrueh der Eklampsie in der Ge- burr zur I-Ierabsetzung des intrauterinen Druckes die Blase sprengetl soll, wird~ da der Blasensprung h/~ufig vorzeitig erfolgt, oft gar night zu stellen sein. In den F/~llen aber, wo das nieht der Fall ist, miissen die besonderen Verh~ltnisse entscheiden. Erlaubt es der Zustand der Frau,. bestehen kr/~fdge Wehen und bewirkt die Fruchtblase nachweisbar eine sehnelle Erweiterung des Mutter- mundes , so wiirde ich sic im Interesse der schnellen Entbindung erst dann sprengen, wenn der Muttermund die entbindende Ope- ration erlaubt. Man muss sich n~mlich vor Augen haken, dass auch durch den kiinstlichen Ersatz der Blase, den Metreurynter, tier intrauterine Druck erh6ht wird. Ist aber der Zustand tier Frau bedenklich, so wiirde ic~h zur sofortigen Herabsetzung des intrauterinen Druckes, bestehen keine oder geringe Wehen, zur Anregung der Wehenth/itigkeit die Blase sprengen und auf kiinst- liehem Wege eine mOgliehst sehnelle, die Entbindung erm6glichende Erweiterung des Muttermundes herbeizufiihren suehen. Bedenklich ist hash meiner Auffassung das vorzeitige Sprengen der Pruchc- blase keinesfalls, da ja gew6hnlich mit Ausbrueh der Gonvulsionen sehr starke Wehen auftreten und der Muttermund sehr sehnell nachgiebt; treten solehe aber nieht auf, so ist man ohnedies ge- zwungen, an Stelle der natiirlichen Dilatation dureh die Blase die kiinstliehe zu setzen. Der Vortheil, den das Sprengen der Frueht- blase bringt, d i e - wenn auch bei Wehenth/~tigkeit mehr voriiber- gehende - - I-Ierabsetzung des intrauterinen Druekes und die wehen- anregende Wirkung desselben, reehtfertigen seine Vornahme.

Immerhin hake ieh den artifieiellen Blasensprung-um jeden Preis

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M til 1 e r, Ueber die Entstehung der Eklampsie. 317

in tier Geburt - - besonders der fortschreitenden - -n i ch t fiir rich- tit; man muss eben im einzelnen Falle bedenken, in welchem Ver- Mltniss der Vortheil steht zum Nachtheil, den man dagegen ein- tauscht.

Nit der Entbindung ist abet die TMtigkeit des Geburtshelfers noch nicht beendigt, auch wenn sich nichk die Convulsionen fort- setzen, sondern nur das Coma. Die Leitung der Naehgeburtsperiode~ die Controle des Contract'ionszustandes der Geb/~rmulter ist yon grosset Wiehtigkeit. Es kommen hier dieselben therapeutischen Naassnahmen in Betracht, wie bei Ausbruch der Eklampsie naeh der Geburt.

3. Ausbruch im Wochenbett: Bricht die Eklampsie in den ersten 1 2 - - 2 4 Stunden des

Wochenbettes aus, bezw. setzt sic sich yon der Geburt in das Wochen- bert fort~ so muss man~ da bier d ie Retentionsgelegenheit eine sehr geringe, yon der Natur selbst leicht zu iiberwindende ist, das ursgchliche Itauptmoment vielmehr in tier Einengung der Resorptions- fl'ache liegt, in erster Linie diese Resorptionsfghigkeit herabzusetzen und einen dauernd guten Contraetionszustand der Geb/trmutter her- beizuf{ihren suchen. Die Therapie ist dementsprechend sehr ein- faeh: Entleerung yon Blase und Nastdarm~ subcutane Ergotininjec- tion, Eisbeutel auf den Leib, bezw. vorsichtiges Auflegen des Sand, sackes fiber kaltem Umschlag.

Im spgteren Wochenbett, in dem wegen der geringeren Resorp- tionsf~higkeit des Uterus die l~etentionsgelegenheit eine gri3ssere ls spielt, ist es nothwendig, dieselbe zu erkennen. Lagever- /inderungen des Uterus, starke Ffillung der Urinblase, Koprostase mfissen behoben, bei Verlegung de s Cerviealcanals dutch ange- s tautes Secret eine vorsichtige Vaginalspfilung gemacht werden. Im Uebrigen, wie zuvor, Secale, Sorge fiir dauernd guten Contraetions- zustand des Uterus.

I nd i ca t i o morbi.

Die Indicatio causalis wird geleitet dutch das Bestreben, die Gif~quetle zu zerst6ren, besonders abet die Aufnahme des Giftes in den greislauf zu verhindern; der Indicatio morbi fg, llt es zu, die bereits aufgenommenen G-iRe m/Sglichst schnell wieder aus dem Organismus zu eliminiren; ihr Sinn ist also die Entgiftung des K6rpers. Dieser Aufgabe entsprechen:

Archly f. Oyni iko logie . 1~d. 6C,. H. 2. 21

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18 Malle r, Ueber 'die Entstehung der Ek[ampsie.

1. Die heissen B~der und Einpackungen nach Breus , durch Erzeugung einer starken Diaphorese;

2. Die Ableitung auf den Darm nach v. Wincke l durch Er- zielung reiehlicher wgssriger Defecation.

3. Die Venaesectio und Kochsalzinfusion dutch Verdiinnung des vergifteten Blutes und Herabsetzung des procentualen Giffge- haltes im Blute.

I n d i c a t i o s y m p t o m a t i c a .

Die ausgiebige Verwendung, welche die Narootica bisher fanden, fusste auf der knsicht, dass die Eklampsie auf reflectorisehem Wege entstehe oder wenigstens refleetoriSeh ausgelSs{ werde, sic entsprang also mehr oder weniger einer eausalen Indication. Ieh kann den Narcoticis, wenn iiberhaupt eine, so nut eine symptomatisehe Be- deutung beimessen. Als das Wesentliche des eklamptischen An- falls fasse ieh, wie friiher dargelegt, das Coma auf 7 die Con- vulsionen, ebenso wie das J~ieber als eine Abwehr/iusserung des Organismus. Die Abwehrbewegungen des KSrpers abet hat man keinen Grund zu bek~impfen7 so lange diese nieht dutch ihre Heftigkeit selbst das Leben gefghrden. Das Pieber kann dutch seine Dauer und HShe eine Lebensgefahr bedingen. Auoh die eklamptischen Convulsionen kSnnen als eine sehr heftige Reaction fiir den KSrper nichts Gleiehgiiltiges sein; derselbe kann dureh seine eigenen~ zu kr~tffig gefiihrten Waffen verungliicken. 'Man kSnnte also daran denken, die Convulsionen zu mildern. Es ist n u n die Frage, kann man durch die Narootica die Heftigkeit der gonvulsionen herabstimmen und den KSrper zu so explosiver Reaction unfiihig maohen, d. h. weitere Anf~ille verhindern, bezw. seltener und schw/ieher gestalten? Dariiber sind sieh eben die Ge- lehrten nieht einig. Die einen sehen di'e giinstigen Erfolge tier letzten Jahre in tier reichliehen Verwendung der Nareotiea be- griindet, O l s hausen l) und Di ih r ssen 2) meinen ~ die besseren Resultate seien zuffiekzufiihren auf den geringeren Gebraueh des Morphins bezw. Chloroforms. Gtirieh wendet sieh in seiner Disser- tation ganz energiseh gegen die Ansicht, dass die Morphiumnarkose einen giinstigen Einfluss auf die Eklampsie ausiibe, und nach den

1) Mfinehener reed. Wochenschr. 1901. S. 985. Referat fiber die Ver- handlungen des gyn~kologischen Congresses zu Giessen.

2) Dieses Archiv. Bd. 42. S. 515.

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H/iller, Ueber die Entstehung'der Ekl~mpsie. 319

Erfolgen; die ieh in dem besehriebenen Fallel) zu beobaehten oder vielmehr nieht zu beobaehten Gelegenheit hatte, glaube ich mit ihm und anderen aueh nieht daran.

20. 2. "Corm. 5 Uhr 40 Min. 0102 Morph., 5 Uhr 45 Min. 6 . Anfall. 20. 2; u 8 Uhr 30 Min. 0,01 Morph., 8 Ubr 45 Min. u

9. Anfall mit folgendem tiefen Coma. 20. 2. Vorm. 11 Uhr 28 Min. 0,02 Morph., 11 Uhr 30 Min.

12. Anfall und 11 Uhr 45 Min. 13. Anfall, beide mit sehwerem an- dauernden Coma, w~thrend auf die 10 Uhr 20 M~n. vorgenommene Ergotin-Injeetion eine anfallsfreie, zu allm~liger l~fiekkehr des Be- wusstseins fi~hrende Zeit folgte.

20. 2. Naehm. 2 Uhr 45 Min. 0,01 Morph. Hierauf, naehdem kurz zuvor wieder leiehte Erregung eingetreten war, Riiekfalt in schweren, eomat~sen Sopor: der sieh erst naeh reiehlieher Diaph0rese wieder behob.

Die Morphiuminjeetionen wurden in der Regel vorgenommen, so- bald die Aufregung der Kcanken erbeblieh wurde, und der Erfolg war prompt. Des bereits in der Rttekkehr begriffene Bewusstsein war im ~u wieder vollkommen erloschenl und ein tiefes Coma mit sehwerer stertorSser Atbmung l~ste den Erregungszustand ab. Ausserdem traten einmal im Zeitraum yon5 und und 15 Minuten naeh der Injection je ein sehwerer Anfall, einmal nach 2 Minuten zwei kurz auf einander folgende sehr schwere Anf~lle ein.

Die Erfolge mit den Narcotieis s~nd jedenfalls viel zu unge- wiss und zu wenig zwingend, um eine Therapie zu begrfinden~ ver- m/Sge deren man zu einer vorhandenen schweren Vergiftung noeh eine weitere eolossale Yergiftung mit so grossen Dosen sehwerer ~ervengifte hinzufi~gt. Speeiell fiir das Chloroform und Morphium ist es ja durch die Seetiensbefunde und das Verhalten des Kindes naehgewiesen~ welch' sGhwere Beseh~idigungen des Organismus sic setzen, und es wird j a vielfaeh der Tod der Mutter wie des Kindes weniger auf die Eklampsie als vielmehr auf die ergiebige Verwen- dung der Nareo~ica zurfickgefiihrt. Eine yon meinem Standpunkt aus so gef~hrliehe Beeinflussung derKiSrperreaetion halte ich fiber- haupt f[ir unzweckm~issig. Die Gefahren~ welehen man den fiebernden KSrper dureh die Verabreiehung yon Antipyretieis aus- setzt, sind bekannt; dass man aueh den Eklamptisehen dureh die Nareotiea Gefahren bringt, ist erwiesen. Hat man in diesen Ge- fahren den Grund erblickt, die Antipyretiea bei so!ehenFiebernden, wo sic nicht eine specifische Wirkung (Malaria, Rheumatismus) ent- falten, dureh B~.der und Einwiekelungen zu ersetzen, dureh welche man ebenso wie dutch jene eine vorfibergehende Herabsetzung der

1) Siehe S. 300 u. 301 dieses Heftes. 9A*

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320 Miiller~ Ueber die Entstehung dor Eklampsie.

Temperaturgrade~ zugleich aber aueh start des Schweren Collapses eine augenfiillige Besserung des A1]gemeinzustandes erzielt, so sind solehe hydrotherapeutische Maassnahmen aueh bei Eklampsie den Narcoticis vorzuziehen~ zumal dieselben sedative Wirkungen be- sitzen, wie ihre Aufnahme in den psychiatrisehen Heilsehatz be- weist. Die Breus'schen Einwickelungen warden also neben tier !ndieatio morbi auch die lndieatio symptomatica zu erfiillen gabon. Eine viol vitalere Bedeutung als die Sedativa hagen jedenfalls die Analeptiea und Exoitantien. Die mSgliehste Erhaltung der Krafte und die Verhiitung der I-Ierzparalyse seh/ttze ieh als die vornehmste Aufgabe der symptomatischen Behandlung.

Die Therapie, welche ieh auf der Basis meiner Auffassung yon der Entstehung der Ekiampsi e zu entwickeln versucht habe, deekt sieh in der tIauptsaehe vollkommen mit der bisherigen, empiriseh gewonnenen his auf die Verwendung der Narcotiea, welehe ieh principiell verwerfe, und yon tier man aueh allgemein mehr und mehr abzukommen seheint. Der Einwand Fehl ing 's , class der Erfolg der Therapie gegen eine bakterielle Genese iiberhaupt spreche, wird damit wohl gegenstandslos.

Die in der Arbeit en~haltenen Krankengeschiehten verdanke ieh der Gate des tJerrn Dr. GSttling, Kgl. Directors der t~nt- bindungsanstalt und Hebammensehule zu Bamberg.