Über die Oxydation des Thallium(I)-sulfids. Chemismus und Kinetik der Oxydation bei höheren...

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Uber die Oxydation des Thallium(l)-sulfids. VI Chemismus und Kinetik der Oxydation bei hoheren Temperaturen 1'011 BERTOLD REUTER und HANS V\70LFGANC LEVI Mit 7 Abbildungen Inhaltsubersicht Gefalltes T1,S w r d e bei 250' durch Sauerstoff yon 100 bis 200 nini Druck unter FeuchtigkeitsausschluB oxydiert. Der Oxydationsvcrlauf wurde durch Messung der Druckabnahme, analytisch und rontgenographisch vcrfolgt. Das Primarprodukt der Oxydation ist aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso wie bei Zimmerteinperatur ein Ge- misch von T1,O und TlzSz03, das bei 250" aber sehr rasch weiterreagiert, wobei in der Hauptsache das schon von v. HIPPEL und Mitarbeitern beschriebene TI,SO, entsteht. Bei langerer Einwirkung von Sauerstoff oxydiert sich das Tl,SO, weiter zu merkwiirdiger- weise gelb gefarbtem TI,SO,, das das einzige Oxydationscndprodukt bei 250' ist. Der Chemismus der Oxydation wird im einzelnen diskutiert. Die Kinetik der Sauerstoff- aufnahme wird mit der bei Zimmertemperatur verglichen und qualitativ zu deuten ver- sucht. In der I. 1) und V. , ) Mitteilung dieser Reihe wurde iiber den Chernis- inus und die Kinetik der T1,S-Oxydation an der Luft bzw. in einer Sauerstoffatmosphare bei Zimmerternperatur berichtet, fur die das folgende Reaktionsschema gilt : 2 T1,S + 2 0, = Tl,S,O, + T1,O T1,O + 0, = T1,0, 2 T1,S + 3 0, = T12S,03 + T1,0,. Die Prirnarprodukte der Oxydation sind also TI,S,O, und T1,0, das im Laufe der Zeit weiter zu T1,0, oxydiert wird. Nuii ist TI,S,O, bei hoheren Temperaturen unbestandig. Nach a,lteren Untersuchungen von JOCHUM 3, tritt namlich schon bei etwa 130" Zersetzung ein. Es war daher zu er- l) B. REUTER u. H. KNOLL, Z. Naturforschg. 4b, 8 (1949). ,) B. REUTER u. -4. GOEBEL, Z. anorg. allg. Chem. 271, 321 (1953). 3, P. JOCHUM, Dissertation Berlin 1885, S. 25. 16*

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Uber die Oxydation des Thallium(l)-sulfids. VI

Chemismus und Kinetik der Oxydation bei hoheren Temperaturen

1'011 BERTOLD REUTER und HANS V\70LFGANC LEVI

Mit 7 Abbildungen

Inhaltsubersicht Gefalltes T1,S w r d e bei 250' durch Sauerstoff yon 100 bis 200 nini Druck unter

FeuchtigkeitsausschluB oxydiert. Der Oxydationsvcrlauf wurde durch Messung der Druckabnahme, analytisch und rontgenographisch vcrfolgt. Das Primarprodukt der Oxydation ist aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso wie bei Zimmerteinperatur ein Ge- misch von T1,O und TlzSz03, das bei 250" aber sehr rasch weiterreagiert, wobei in der Hauptsache das schon von v. HIPPEL und Mitarbeitern beschriebene TI,SO, entsteht. Bei langerer Einwirkung von Sauerstoff oxydiert sich das Tl,SO, weiter zu merkwiirdiger- weise gelb gefarbtem TI,SO,, das das einzige Oxydationscndprodukt bei 250' ist. Der Chemismus der Oxydation wird im einzelnen diskutiert. Die Kinetik der Sauerstoff- aufnahme wird mit der bei Zimmertemperatur verglichen und qualitativ zu deuten ver- sucht.

In der I. 1) und V. ,) Mitteilung dieser Reihe wurde iiber den Chernis- inus und die Kinetik der T1,S-Oxydation an der Luft bzw. in einer Sauerstoffatmosphare bei Zimmerternperatur berichtet, fur die das folgende Reaktionsschema gilt :

2 T1,S + 2 0, = Tl,S,O, + T1,O

T1,O + 0, = T1,0,

2 T1,S + 3 0, = T12S,03 + T1,0,.

Die Prirnarprodukte der Oxydation sind also TI,S,O, und T1,0, das im Laufe der Zeit weiter zu T1,0, oxydiert wird. Nuii ist TI,S,O, bei hoheren Temperaturen unbestandig. Nach a,lteren Untersuchungen von JOCHUM 3,

tritt namlich schon bei etwa 130" Zersetzung ein. Es war daher zu er-

l) B. REUTER u. H. KNOLL, Z. Naturforschg. 4b, 8 (1949). ,) B. REUTER u. -4. GOEBEL, Z. anorg. allg. Chem. 271, 321 (1953). 3, P. JOCHUM, Dissertation Berlin 1885, S. 25.

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warten, da13 die Oxydation oberhalb dieser Temperatur anders verliiuft. Schon aus diesem Grunde schien es wichtig, den Oxydationsverlauf des T1,S bei hoheren Temperaturen zu untersuchen. Hinzu kommt, daB auch die zur Herstellung von Thalofid-Photozellen erforderliche partielle Oxydation des TI$ im allgemeinen nicht bei Zimmertemperatur, sondern in einem Temperaturbereich durchgefuhrt wird, in dem T12S,0, nicht, mehr bestandig ist.

In der Literatur liegeri bislier nur bruchstiickhafte Beitriige zu diesem Problem vor. ASSAI~) gab an, daB die Oxydation bei 100-200" nach T1,S + 0, = 2 T1 + SO, und bci 300-360" nacli 2 TI,S 0, = 2 T1,O + 2 S verlauft. ISKOLDSKI~) fand, dafl T1,S bri 700" in kurzer Zeit zu Tl,SO, oxydiert wird, wobei als Zwischenprodukt Thallium(II1)- oxysulfid (TI,O,S) und Thalliuin(1)-sulfit (TI,SO,) entstelien sollen. v. HIPPEL und Mit- arbeiter6) brobachteten, dalJ TI$ bei 250 bis 350" 1 Mol O,/Mol T1,S aufniniint und dabri in eine grungelbc, kubisch-flachcnzcntriert kristallisiereiide Verbindung ubcrgeht, der sie auf Grund der aufgenomnienen Sauerstoffmenge die Forinel Tl,SO, zuerkanntcn. FEN- TRESS und SELWOOD~) cndlich oxydierten T1,S bci Zirnirierteriiperatur und erhitzten dann irn Vakuuni auf 250". Sic liicltcri das dahei gewonnene Produkt fur identisch mit dem HrPPELschen Tl,SO, untl hetrachteten es als das Thalliuni(1)-salz der Sulfoxylsaurc. R E U T E R ~ ) konntt. diese Ansicht jcdoeh schon allein auf Grund des voii FERTRESS uncl SELWOOD in ihrrr Arbeit niitgeteiltcn ltoritgeridiagrarrims widerlegen und zeigen, dalj tlas Produkt wedrr mit dein HrPPELsclien Tl,SO, identiscli ist noch ein Salz der Sulfoxyl- saure sciri kanii, da sic11 das Rontgcndiagrarnrii zweifelsfrei als das cines Geniischs vou TI,SO, und TI,S,O, identifizieren I a B t .

Als Oxydationstemperatur fur die vorliegenden Untersuchungeii wurde in ifbereinstimmung mit der von v. HIPPEL und von FENTRESS und SELWOOD benutzten Temperatur 250" gewiihlt.

1. Ausgangsmaterial Das verwcndctc TI$ wurde nach 2 verschiedeneii Mctliodeii unter LuftausschluR

dargestellt. Einiiial wurde es durch Einleiten von H,S in kalte wiiBrige TlOH-Losung, dic. durch Uehaiidelii von schwaniinigem T1 mit Wasserdanipf und 0, crhaltlich ist, gc- wonncn l) 2) . Rri deni zweitcn Verfaliren wurde dagegon in cinein wasserfreien Medium gearbeitet. Durch Einleiten von troclieriem H,S in cine absol ut alkoholische Losung von TIOC,H, wurdr TI& gefallt und durch anschlielkndes Abdestiilieren des Alkohols isoliert?). TIOC,H, ist durch Behandth von T1-SpBncri mit 0, und Alkolioldairipf zuganglichlO)

I ) C. ASSAI, Rih\iaagaku-krnlryu-jo Iho, 14, 797 (1933) u. 19, 1 (1940). 5) I. I. ISKOLDSKI, ~ I I I I T ~ M T I T I ) ~ CLipi,r [Mineral. llohstoffc] 1931, 404 (Chein. Zbl.

b, A. v. HIPPEL, F. G. CHESLEY, H. S. DENMARK, P. B. CLIN 11. E. S. RITTNER,

') V. J. E'ENTRESS u. 1'. W. SELWOOD, J. Ainer. cheiii. Soc. i0, 711 (1948). 8 ) €3. REurrm, Z. Xaturforschp. 4b, 65 (1949). y, S. REUTEH u. A. GOEBEI., Z. ariorg. allg. Cheni. 268, 101 (1952). lo) A. LAME., Ann. Chim. [4j 3, 373 (1864). Vgl. dazu aucli KFREUDENBERG u.

G. UTHEMANN, Ber. dtsch. cheiii. Ges. 52, 1509 (1919).

1931, 11, 1396).

J. chern. Physics 14, 355 (1946).

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B. REUTEK u. H. W. LEVI, CIicniismus und Kinetik der T1,S-Oxydation 241

2. Vcrsuchsanordnung Abb. I zeigt die Apparatur, in der die Oxydationsx rrsuche durchgefuhrt wurden.

Die Anordnung gestattete, das OxydationsgefaU zunachst mit einer Quecksilber-Diffusions- pumpe zu evakuieren und dann mittels eines Nadclventils bis zu einem dcfinierten Drucl; mit getrocknetem Sauerstoff aus einer Stahlflasche zu fullen. Das eigentliche OxydationsgefaB war ein mit einern Schliff angesetztes, ctwa 5 cm langes zylindrisches Glaskolbchen von etwa 2 cni Durchmcsser, dessen Wandung innen niit einigen Langsrippen versehen war, niit dercn Hilfe die Substanz beim Drehen des Kolbens um den Schliff durchmischt werden konnte. Der Sauer- stoffdruck wurdc mit einem verkurzten Hg-Manometer gemessen, einc P,05- Birne sorgte dafiir, dal3 die Oxydation unter FeuchtigkeitsausschluU vor sich ging. Ein auswechselbarer Vorratskolben fur Sauerstoff gab die Moglichkeit, die fur die Oxydation zur Verfiigung stehcndc 0,-Meiige bei gleichem Druck zu variieren. Erhitzt wurde das Kolbchcn durcli einen daruber geschobenen, elek- triseh beheizten Aluminium-Block, des- sen Temperatur mittels eines in einer Bohrung steclrcnden Kontaktthermo- meters konstant gehalten wurde.

Der Oxydationsverlauf wurde ver- folgt, indem die Anderung des 0,- Druckes gemessen wurde. Uni aus dcr Druckabnahme den 0,-Verbrauch be- stimmen zu konnen, muUte das Volurnen der Apparatur bekannt sein; es wurde durch Auslitern ermittelt.

Bei der Durchfuhrung der Versuche

n Sauerstoff- Vorrat

Y Diff.-Pumpe n

Abb. 1. Oxydationsapparatur

wurde so vorgegangen, daU das Oxgdations- _ _ -

kolbchen mit einer gewogenen Menge TI,S gefiillt uiid dann evakuiert wurde. AnschlieUend wurde der schon vorher angeheizte Ofen uber das Kolbchen gesehoben und dieses auf die gewiinschte Ternperatur gcbracht, wofur 20 Minuten in jcdem Falle ausrsichten. Sauerstoff wurde bei geschlossenern Hahn zunachst nur in den oberen Teil der Apparatur eingelassen, um ein Einsetzen der Oxydation bereits wahrend des Einstromens zu ver- hindern. Der Sauerstoff wurde dann durch Offnen von Hahn H mit dcm Oxydationsgut in Beruhrung gebraclit und der Anfangsdruck abgelesen. Die Oxydation lronnte durch Abpumpen des Sauerstoffs niit der Vorpunipe innerhalb wcniger Sekunden unterbrochen werdcn.

3. Die Oxydationsprodukte des T1,S bei hoheren Temperaturen a) Das Endprodukt der Oxydation

Schon rein auBerlich traten bei der Oxydation des T1,S bei 250" zwei sehr auffallende Erscheinungen hervor, die bei der Oxydation bei

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Substanz- Nr.

1 2 3 4 5

Zimmertemperatur nicht zu beobachten waren: 1. Bei 250" entstanden immer stark inhomogene Produkte. In dem anfangs schwarzen T1,S- Pulver bildeten sich im Laufe der Oxydation inehr oder weniger aus- gedehnte gelbe Stellen, wahrend sich das Aussehen des ubrigen T1,S wenig anderte. 2. Die andere merkwurdige Beobaohtung bestand darin, da13 sich die Oxydation nach einer von Versuch zu Versuch wechselnden Sauerstoffaufnahme plotzlich sehr stark verlangsamte und praktisch zum Stillstand kam, obwohl das Produkt an vielen Stellen offenbar noch nicht oder nur sehr wenig oxydiert war.

Oxydations- Aufgenommene 0,-Menge Gcw.-% Gew.-% dauer Mol O,/Mol TI,S TI,S Tl,S04

5 Tage 0,26 82 14 6 Tage 0,34 80 17

4 Tage 1,21 37 61 4 Tage 0,88 57 44

15 Tage 1,98 3 95

Tabelle 1 S a u e r s t o f f a u f n a h m e und Zusammense tzung mehrere T a g e l a n g b e i 250"

ox y d i e r t e r T1,S-Pr o ben

TizS I I I 1

0.26 5 Tage

0.34 6 Tage

1.M 4 Tage

'( 98 15 Tage

Abb. 2. Rontgendiagramme von TI$, mehrere Tagc lang oxydierten T1,S-Proben und TI,SO,. (Die Zahlen geben den Sauer- stoffgehalt in Mol O,/Mol T1,S und die

Oxydationsdaucr an)

Tab. 1, Substanz 1-4, zeigt die sehr unterschiedliche Sauerstoffaufnahme sol- cher 4-6 Tage oxydierten Produkte. Da es nicht moglicli war, die gelben Teilchcn von den schwarzen zu trennen, wurden die Produkte vor der Analyse in eincr Reib- schale homogenisiert, wobci ein mehr oder weniger graugelbes Pulver cntstand. Dir nach den1 fruher angegebenen Verfahrcn 11) durchgefuhrten Analysen ergaben, daB die Substanzen zu annahcrnd 100% aus TI$ und Tl,SO, hestanden. In voller gbe r - einstimrnung hiermit standen die Ergeb- nisse der rontgenographischen Unter-

zeigten mit wachsendem Saucrstoffgehalt der Praparate in steigendcm MaBe die Reflexc des Tl,SO,, wahrend die des T1,S sllrnahlich verschwanden. Reflexe anderer Thalliumverbindungen traten nicht auf. Abb. 2 zeigt die Rontgendiagramme einiger der in Tab. 1 verzeichneten Produktc.

suchung.Die DEBYE-SCHERRER-Diagramme

11) B. REUTER u. H. W:LEVI, Z. a.norg. allg. Chem. 270, 100 (1952).

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B. REUTER u. H. W. LEVI , Chemismus und Kinetik der TI,S-Oxydation 243

Durch haufiges Unterbrechen der Oxydation und Zerreiben des Oxydationsgutes gelang es schlieBlich, innerhalb von 15 Tagen ein Produkt (Tab. 1, Substanz 5) zu er- lialten, das 1,98 Mol O,/Mol T1,S aufgenommen hatte und einheitlich gefarbt war, und zwar in der Hitze orangefarben, in der Kalte zitronengelb. Die Substanz loste sich bis auf einen geringen schwarzen Ruckstand, der als T1,S identifiziert wurde, ziemlich leicht in Wasser. Die Analyse ergab 95% Tl,SO, und 3% T1,S. Dieses Ergebnis wurde auch durch das DEBYE-SCHERRER-Diagramm bestatigt, das mit dem von reinem Tl,SO, identisch war.

Damit folgt also aus den Messungen der 0,-Aufnahme bei der Oxy- dation, der quantitativen chemischen Analyse und der rontgenographi- when Untersuchung des Oxydationsprodukts iibereinstimmend, da B d i e O x y d a t i o n von TI$ bei 250" zu Tl,SO, a l s E n d p r o d u k t ent- sprechend der Gleichung

T1,S + 2 0, = Tl,SO,

f uhr t . Eine Verbindung des dreiwertigen Thalliums, wie sie durch Oxydation bei Zimmertemperatur gebildet wird, konnte hier weder chemisch noch rontgenographisch nachgewiesen werden.

AuRerordentlich uberraschend ist es, daS das bei der Oxydation von T1,S erhaltene und eindeutig als solches identifizierte Tl,S04 gelb ist, wahrend normales, beispielsweise durch Auflosen von Thallium in H,SO, dargestelltes TI,S04 farblose Kristalle bildet. Im Rontgendiagrainm unterscheiden sich das gelbe und das farblose Tl,SO, innerhalb der MeSfehler weder hinsichtlich der Lage noch der Intensitat der Linien. Diese merkwiirdige Gelbfarbung konnte entweder durch T1,S-Spuren, die im TI,SO,-Gitter gelost sind, oder durch einen geringen Gehalt an TP+-Ionen gedeutet werden. Nach einer Beobachtung von STORTENBECKER~~) tritt eine solche, wahrscheinlich durch TI3+-Ionen verursachte Gelbfarbung YOU Tl,SO, auf, wenn man es in Gegenwart von Luft und H,SO, langere Zeit in der Nahe des Schmelzpunktes halt.

b) Zwischenprodukte

Aus der Tatsache, da13 bei den vorstehend beschriebenen Oxyda- tionsversuchen als einziges Reaktionsprodukt immer nur mehr oder minder grol3e Mengen Tl,SO, neben noch nicht oxydiertem T1,S ge- funden wurden, kann nun noch nicht geschlossen werden, da13 die Oxy- dation des T1,S zum Tl,SO, nicht uber irgendwelche - moglicherweise auch fallbaren - Zwischenprodukte lauft.

Die Versuche wurden ja, wie erwahnt, stets erst dann abgebrochen, wenn die Gauer- stoffaufnahme praktisch zum Stillstand gekommen war. Etwa gebildete Zwischen- produkte hatten also genugend Zeit - die Versuche dauerten 4 und mehr Tage -, sich weiter zu Tl,SO, zu oxydieren.

Nun hatten ja bereits fruher v. HIPPEL und Mitarbeiter6) bei der Oxydation von T1,S ein Oxydationsprodukt der Zusarnmensetzung Tl,SO, gefunden, das sie fur das End- produkt der Oxydation hielten. Nach den Ergebnissen der vorstehend beschriebenen Versuche war zu vermuten, daB es sich beim Tl,SO, um ein verhaltnismaSig bestandiges

12) W. STORTENBECKER, Recueil Trav. chim. Pays-Bas 21, 93 (1902).

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Zwischenprodukt der Oxydation handelt. Es sollte dahcr moglich scin, diescs Zwischcn- produkt zu fassen, wenn man die Sauerstoffeinwirkung so kurz wahlt, daO es lreine Zeit hat, sich vollstandig zum TI,SO, weiter zu oxydieren.

Solche nur kurzzeitig oxydierten Praparate hatten dafj gleiche inhomogene gelb- schwarze Aussehen wie die mehrere Tage lang oxydicrtcn Produkte, vorausgcsctzt, dafi sie in der Vcrsuchszcit cine ausreichend groRc Sauerstoffmenge aufgenomrnen hatten, was, wie gcsagt, von Versuch zu Versuch sehr verschieden war. I n dem waljrigen Auszug

eines nur 5 Minutfen oxydierten T1,S licDeii sich qualitativ',) groOe Mengen von Sulfit- ioncn, dagegen ltein Sulfat nachweisen. Nach einer Oxydationszeit yon 30 Minuten wurden neben reichlich Sulfit bereits Spuren von Sulfat gefunden. Bei weiterer Steigerung der Versuchsdauer nahm die Sulfatnienge auf Kosten des Sulfits mehr und mehr zu,

Iro 8o '*O 240stdn. bis schlieBlich im Bereich von 100 Stundrn Abb. 3. Der analYtiscli gefundene praktisch alles Sulfit verschwunden und nur n f o h b r u c h So,z-/(s0,2- f Sod2-) in noch Sulfat nachzuweisen war. Abb. 3 zeigt AbhBngigkeit vori dcr Oxytiationsdauer die Abhgngigkeit des Molellbruchs SO,,-/

(SO,,- + SO,2-) von der Oxydationszeit. Auf Grund dieser Versuche lag der Schlulj nahe, daR bei der Oxydation von T1,S

liri 250" Tl,SO, als Zwischenprodukt auftritt. Die Rontgendiagramme der Praparat,r,

Mol Tl,SO, MOl

1.0

0.6

0.2

TI, S

T'z.so2 n. v. Uppel

0.43 5 Min.

0,30 3 Stdn.

0.99 21 Stdn.

117Sfdn. I I 1 1 1 1 1 111

Ahb. 4. Rontgendiagrammc von TI$, Tl,SO, nach v. HIPPEL, verschieden langc oxydiertrm T1,S-Probcn und Tl,SO,. (Die Zahlen geben den Sauer- stoffgehalt in Mol O,/Mol T1,S und

die Oxydationsdaucr an)

in denen TI,SO, analytisch nachgewiesen werdcri konnte, bestatigten diese iZnnahrne jedoch keineswegs. I n keineni Falle waren die Linien des Tl,SO, auch nur andeutungsweisc zu erkennen. Vielrriehr traten nehen den Inter- ferenzen dcs unoxydierten T1,S neuc Linien auf, die sich kubisch indizieren lieBen. Sie stimmten genau mit dem von HIPPE PEL und Mitarbeitern 6 , angegebenen Diagranini des Tl,SO, uberein. Bri langerer Oxydatioii er- schienen dann daneben die Linien des Tl,SO,. I n Abb. 4 sind die Rontgendiagramme von Pro- dukten, die zwischen 5 Minuten und 11 7 S tundm oxydiert wordcn warm, wiedergegchen.

Die auffallende Diskrepanz zwisehen dcin rontgenographischen uud dem analytischen Be- fund erklart sich, wie ini folgenden Kapitcl ge- zeigt werden soll, dadurch, daB Tl,SO, nur in fester Phase bestandig ist, bei Einwirkung von Wasser jcdoch unter Bildung von Tl,SO, und T1,S zerfallt. Die Gegenwart von Tl,SO, in dern waBrigen Auszug der Oxydationsproduktc kart t i

daher als Malj fur dercn Gehalt an Tl,SO, dienen.

13) Zum qualitativen Nachweis von SO,2- hat sich eine Mischlosung von Fuchsin und Malachitgriin (3: 1 ) bestens brwiihrt. Vgl. E. V O T O ~ E K , Ber. dtsch. chrni. Ges. -10, 414 (1907).

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Die Suche nach weiteren Zwischenprodukten der T1,S-Oxydation war zunachst ver geblich. Es war jedoch zu vermuten, da13 bei der Oxydation bei 250" cbenso wie bei Zimmertemperatur zunachst Tl,S,O, und T1,O gebildet werden, die dann sekundar infolge der thermischen Unbestandigkeit von Tl,S,O, in irgendeiner Weise weiter reagieren. Man konnte nun annehmen, da8 die Primarprodukte Tl,S,O, und T1,O deshalb nicht zu fassen sind, weil die Geschwindigkeit der Folgereaktion bei 250" schon zu gro13 ist. Es schien daher angezeigt, diese Primarprodukte der T1,S-Oxydation in Praparaten zu suchen, die bei etwas tieferer Teinperatur oxydiert worden waren.

Bereits bei einer Oxydationsternperatur von 200" war diese Suche erfolgreich. Eine zwei Stunden bei dieser Temperatur oxydierte T1,S-Probe glich im Aussehen vollkommen den bei 250" erhaltenen Produkten. In einem waRrigen Auszug waren jedoch nicht nur wie bei 250" reichlich Sulfit und wenig Sulfat nachzuweisen, sondern daruber hinaus auch Tl,O, Spuren T1,03 und eine so gro13e Menge Tl,S,O,, da13 dieses Salz beim Abkuhlen der hei13en Losung auskristallisierte. Durch rontgenographische Untersuchung des Oxyda- tionsprodukts lie13 sich dieaer Befund allerdings nicht bestatigen, was nicht vcrwunderlich ist, da die rontgenographischen Nachwcisgrenzen fur Tl,S,O, und T1,O ungewohnlich hoch sind. In einem Praparat, das mehrere Tage bei 200" oxydiert worden war, lie13en sich T1,S,03, T1,O und T1,0, nicht mehr nachweisen, ein Zeichen dafiir, da13 dime Primar- produkte inzwischen offenbar in Folgereaktionen verbraucht worden waren.

B e i d e r O x y d a t i o n von T1,S bei 200" werden a l s o ta t sa ,ch l ich i n t e r m e d i a r Tl,S,O, u n d T1,O gebi ldet . Da nun der Temperatur- unterschied zwischen 200 und 250" nicht sehr grog ist und der weitere Verlauf der Oxydation uber Tl,SO, zum Tl,SO, offenbar in beiden Fallen der gleiche ist, ist wohl anzumehmen, dag auch bei 250" primar Tl,S,O, und T1,O gebildet werden, jedoch infolge der hoheren Geschwindigkeit der Folgereaktionen nicht mehr nachzuweisen sind.

c) Das Verhalten von Tl2SgO3, Tl2O und T1203 bei 250'

Es war nun die Frage, welcher Art diese Folgereaktionen sind, die vom Tl,S,O,, T1,O und moglicherweise auch T1,0, zur Bildung von Tl,SO, und schlieBlich von Tl,SO, fuhren. Da sowohl Tl,SO, als auch Tl,SO, im Gegensatz zu Tl,S,O, ein Verhaltnis T1: S = 2: 1 aufweisen und eine schwefelfreie Thallium-Sauerstoff-Verbindung im weiteren Verlauf der Oxydation neben diesen Produkten nicht zu beobachten war, war anzunehmen, daB T12S0, und Tl,SO, durch Reaktion zwischen TI,S,O, einerseits und T1,O oder T1,0, andererseits entstehen, gegebenen- falls unter weiterer Sauerstoffaufnahme.

Um den weiteren Rcaktionsverlauf zu klaren, war cs daher notwendig, das Ver- halten yon T1,O und T1,S,03 gegeniiber Sauerstoff bei 250" zu untersuchen und die Reak- tionsmoglichkeiten zwischen Tl,S,03 und T1,O bzw. T1,0, bei 250" zu verfolgen.

T1,O wird bei 250" durch elementaren Sauerstoff ziemlich lebhaft oxydiert. Innerhalb von 2 Stunden hatte eine Probe 1 Mol O,/Mol T1,O aufgenommen und war entsprechend der Gleichung T1,O + 0, = T1,0, quantitativ in T1,0, iibergegangen.

'7, anorg. sllg. Chemie. Bd. 291. 16h

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Auch TI,S,O, reagiert bei 250" mit Sauerstoff, allerdings vie1 langsamer als T1,O. Innerhalb von etwa 3 Tagen hatte es sich quantitativ entspreohend der Gleichung

TI,S,03 + 11/, 0, = TI,SO, + SO,

oxydiert. Das entstandene Tl,SO, war farblos.

Ein besonders interessantes Ergebnis wurde beim Erhitzen eines aquimolekularen Gemischs aus Tl,S,O, und T1,O bei 250" im Vakuum erhalten. Bereits nach wenigen Minuten bildete sich hierbei ein in der Hitze braunrotes, in der Kalte gelbgrunes Produkt, dessen Rontgen- diagramm mit dem des bei der Oxydation von T1,S bei 250" intermediar gebildeten uiid zuerst von v. HIPPEL und Mitarbeitern 6, beschriebenen Tl,SO, identisch war. Die U m s e t z u n g k a n n d a n a c h d u r c h d i e Gleichung

T1,O + TI,S20, = 2 Tl,SO,

wiedergegeben werden. Die Reaktion erfolgte ubrigens so rasch, dalS innerhalb von 2 Stunden eine nahezu vollstiindige Umsetzung er- zielt wurde. Durch diese Reaktionsgleichung wird die von v. HIPPEL und Mitarbeitern nur auf Grund der Sauerstoffaufnahme aufgestellte Formel des Tl,SO, erhartet.

Beim Behandeln des Tl,SO, rnit heiRem Wasser entsteht eine Losung von TI,SO, und ein dunkler Ruckstand, der als T1,S identifiziert werden konnte. Dabei stehen TI,SO, und T1,S ungefahr im Molverhaltnis 2:1, die Zersetzung des Tl,SO, durch Wasser konnte danach durch die Gleichnng

3 Tl,SO, = 2 Tl,SO, + T1,S

wiedergegeben werden. Unter der Einwirkung von Sauerstoff bei 250' wird TI,SO, inner- halb einiger Wochen quantitativ zu farblosem TI,SO, oxydiert.

Schlieljlich reagieren auch T1,0, und Tl,S,O, bei 250" rniteinander. Ein aquimole- kulares Gemisch verfarbte sich beim Erhitzen im Vakuum innerhalb einiger Tage von braun nach grau, wobei ein Gemiseh von Tl,SO, und TI,S im Molverhaltiiis 3: 1 gebildet wurde, entsprechend der Glcichung

2 T1,0, + 2 TI,S,O, = 3 Tl,SO, +- T1,S.

I n Gegenwart von Sauerstoff fiihrte die Umsetzung von T1,0, und Tl,S,O, bei 250" in etwa der gleichen Zeit quantitativ zu farblosem TI,SO,, entsprechend der Umsetzungs- gleichung

T1,0, + T12S203 + 0, = 2 TI,SO,..

d) Diskussion der Ergebnisse

Aus den vorstehend beschriebenen Versuchen folgt, dalJ die Oxy- dation von T1,S bei 200" mit Sicherheit und bei 250" mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenso wie bei Zimmertemperatur primar

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zur Bildung von T1,O und Tl,S,O, fuhrt. Fur den weiteren Oxydations- verlauf gibt es nun verschiedene Moglichkeiten :

1. T1,O und T1,S,03 konnen zu TI,SO, reagieren, das weiter zu TI,SO, oxydiert wird.

2. Andererseits kann T1,O auch zu T1,0, oxydiert werden, das dann mit der ayuivalenten Menge Tl,S,O, in Gegenwart von Sauerstoff zu Tl,SO, weiter reagiert.

3. SchlieBlich ware auch eine direkte Oxydation von Tl,S,O, zu Tl,SO, moglich, wenn man annimmt, da13 das dabei entstehende SO, mit T1,O Tl,SO, bildet, das dann weiter zum Tl,SO, oxydiert wird. In einem gesonderten Versuch konnte gezeigt werden, da13 sich Tl,S03 unter der Einwirkung von Sauerstoff bei 250" tatsachlich zu TI,SO, oxydiert, wenn auch sehr langsam.

Wie das Auftreten groBer Mengen von Tl,SO, in den kurzzeitig oxydierten Praparaten zeigt, wird der erste dieser 3 moglichen Reak- tionswege tatsachlich eingeschlagen. Bei 250" wird Tl,SO, aus T1,O und Tl,S,O, mit so groljer Geschwindigkeit gebildet, daB es nicht ver- wunderlich ist, da13 diese beiden Primarprodukte der Oxydation bei dieser Temperatur nicht zu fassen sind. Die Weiteroxydation des T1,S02 zum Tl,SO, verlauft dagegen vergleichsweise so langsam, dalj die im Anfang der Oxydation beobachtete Ansammlung groBerer Mengen von Tl,SO, als Zwischenprodukt durchaus den Erwartungen entspricht.

Da nun bei 250" die Oxydation von T1,O zu T120, und die Bildung von TI,SO, aus T1,O und Tl,S,O, mit durchaus vergleichbaren Ge- schwindigkeiten verlaufen, ist mit Sicherheit anzunehmen, da13 bei dieser Temperatur auch der uber T1,0, verlaufende Reaktionsweg eine gewisse Rolle spielt. Der Grund dafur, dalj T1,0, im Gegensatz zu Tl,SO, als Zwischenprodukt nur bei 200°, nicht jedoch bei 250" faljbar ist, durfte darin liegen, daB die Reaktion zwischen T1,0,, Tl,S,O, und Sauerstoff bei 250" sehr vie1 schneller verlauft als die Oxydation von Tl,SO, zu TI,SO,, die Lebensdauer des TI,S02 daher wesentlich langer als die von T1,0, ist.

Fur die dritte Reaktionsmogliclikeit schlieRlich, die iiber eine direkte Oxydation vonTI,S,O, fuhrt, gibt es keine schlussigen Beweise, und zwar weder positive noch negative, da TI,SO,, das dabei als Zwischenprodukt cntstehen miiSte, sehr schwierig nachzuweisen ist. Der chemische Nachweis scheitert daran, daU bei der Zersetzung des gleichzeitig vor- handenen TI,SO, durch Wasser ohnehin groSe Mengen Tl,SO, gebildet werdcn, und die rontgenographische Erfassungsgrenze dcs TI,SO, ist ebenso wie die des T1,S20, und T1,O sehr hoch. Eine Beteiligung dcs dritten Reaktionswcges an dem Gesamtablauf der TI$- Oxydation bei 250" kann daher nicht ausgeschlossen werden, wenngleich er weniger wahr- scheinlich als die beiden anderen ist.

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248 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 291. 1957

Die Oxydation von T1,S zu TI,SO, hei 250" laBt sich zusammen- fassend durch folgendes Reaktionsschema wiedergeben :

I 1.2 0%

I

TlzS,O, + T1,O

TI,SO, J J . ,--

Tl,S,O, + TIzO3 2 Tl,SO, Tl,SO, -1 SO, + T1,O

4. Kinetik der T1,S-Oxydation

Die Oxydation des T1,S zum TI,SO, bei 250" setzt sich also aus einer groBeren Anzahl von Teilrealitionen zusam men, die teils hinter- einander, teils aber auch nebeneinander ablaufen. Bei einer derartig Mol 02 kom plizierten ifberlage-

rung mehrerer Einzelreak- tionen diirfte es kaum nioglich sein, die Kinetik

49 0.7 der Gesamtumsetzung im

einzelnen aufzuklaren. Es 45 sol1 jedoch versucht wer-

43 den, wenigstens die charak- 03

teristischen Merkmale des zeitlichen Verlaufs der Oxydation qualitativ zu deu ten.

In Abb. 5 sind einige Oxydationskurven wiedergegeben, die bei 250" unter gleichen Versuchsbedingungen erhalten wurden. An diesen Kurven fallen zwei Eigentiimlichkeiten auf :

1. Die Kurven steigen zunachst auflerordentlich steil an und gehen dann nach sehr kurzer Zeit mit einem ziemlich scharfen Knick in einen zweiten, erheblich flacher verlaufenden Ast uber.

2. Die bis zu diesem Knick vom T1,S aufgenommene Sauerstoff- menge ist bei den einzelnen Versuchen sehr unterschiedlich, jedoch nie so grol3, da13 nicht noch reichlich unoxydiertes T1,S zur Verfugung stande.

Tf

0 10 20 30 40 50 60 Stdn.

Abb. 5. Zeitliclier Verlauf der Sauerstoffaufnahrne verschiedcner T1,S-Proben bei 250"

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Die Oxydationsdauer, nach der dieser Knick auftritt, ist ziemlich konstant und betragt im Mittel 10-30Minuten. Da etwa von diesem Zeitpunkt ab eine nennenswerte Tl,SO,-Bildung beobachtet wurde, darf man wohl annehmen, daB das steile Anfangsstiick der Oxydations- kurve im wesentlichen der Primaroxydation des T1,S zum T1,O und Tl,S,O,, der flache Teil der Kurven dagegen in der Hauptsache der Oxy- dation des aus den Primerprodukten ohne weitere Sauerstoffaufnahme ge- bildeten Tl,SO, zum Tl,SO, zuzuord- nen ist.

Das bedeutet also, daB die primare Oxydation des T1,S am Knickpunkt der Oxydationskurve plotzlich abgebremst wird. Aus der Tatsache, daB dieser Knick, von Versuch zu Versuch wech- selnd, bei sehr verschiedenen Oxydations- graden auftritt, mu6 geschlossen werden. daB die einzelnen Praparate eine auBer- orden tlich un terschiedliche Reaktions- fahigkeit aufweisen.

Tabelle 2 S a u e r s t o f f a u f n a h m e verschie- denerT1,S-Proben i n d e n e r s t e n 5 M i n u t e n d e r O x y d a t i o n b e i

250"

Praparat- Nr.

111 I V IT V v V

V I I l IX X

Mol O,/Mol T1,S

0,12 0,04 0,20 0,43 0,14 0,47 0,07 0,lO 0,11

Tab. 2 zeigt die Sauerstoffmengen, die verschiedene T1,S-Proben in den ersten 5Minuten der Oxydation aufgenommen haben. Dabei stammen Priiparate gleicher Nummer jeweils aus der gleichen Her- stellungscharge. Man sieht, daB die Reaktionsfahigkeit des TI$ von Versuch zu Versuch stark schwankt und da13 sich sogar Proben gleicher Herstellung (vgl. Praparat V) ganz verschieden verhalten.

In diesen Zusammenhang gehort auch die bereits friiher erwahnte starke Inhomogenitat der Oxydationsprodukte. Die Tatsache, daB makroskopische Gebiete der gleichen T1,S-Probe in ein und demselben Versuch so verschieden stark angegriffen werden, daB die Produkte stellenweise gelb und an anderen Stellen unverandert schwarz aus- sehen, zeigt namlich, daB sogar die Reaktionsfahigkeit verschiedener Korner der gleichen Probe sehr unterschiedlich ist.

Der von REUTER und GOEBEL,) untersuchte zeitliche Verlauf der T1,S-Oxydation bei Zimmertemperatur unterscheidet sich nun, wie Abb. 6 zeigt, in verschiedenen Punkten grundsatzlich von dem bei 250". Der allgemeine Verlauf der Oxydationskurven ist bei Zimmertemperatur sehr vie1 flacher; ein Knick tritt in der Kurve nicht auf, die Oxydations- geschwindigkeit nimmt vielmehr ziemlich gleichmaljig ab. Ferner ist der Kurvenverlauf bei verschiedenen Versuchen vollkommen reprodu-

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zierbar, und die Oxydationsprodukte sind vollig homogen . Schliefilich ist bei Zimmertemperatur eine deutliche Induktionsperiode zu erkennen, die sich uber 5-6 Tage erstreckt und die von REUTER und GOEBEL als Keimbildungseffekt gedeutet wird. Bei 250" fehlt diese Induktions- periode. Um in diesem letzten Punkt ganz sicher zu gehen, wurde in einem besonderen Versuch die Oxydation bei 250 O wahrend der ersten 20 Minuten in kleinsten Intervallen verfolgt. Abb. 7 zeigt, daQ in der Tat keine Andeutung einer Induktionsperiode zu finden ist.

Abb. 7. Zeitlicher Verlauf der Sauerstoffaufnahme im

Abb. 6. Zeitlicher Verlauf der Sauerstoffaufnahme bei Anfangsstadium der Oxy- dation bei 250" Zimmertemperatur (nach REUTER und GOESEL~) )

So weit das experimentelle Material. Man darf nun wohl annehmen, daQ ebenso wie bei der Oxydation anderer fester Korper durch gasformigen Sauerstoff auch bei der des T1,S zunachst einmal Sauerstoff an der Ober- flache adsorbiert wird und erst dann die eigentliche chemische Reaktion zwischen dern adsorbierten Sauerstoff und den Gitterbausteinen des T1,S und die damit verbundenen Diffusionsvorgiinge stattfinden. Eine Keimbildung kann nun nur bei diesem zweiten Reaktionschritt eine Rolle spielen, da nur hierbei uberhaupt neue Pliasen gebildet werden. Aus dem Auftreten einer Indulrtionsperiode bei der T1,S-Oxydation bei Zimmertemperatur mu13 man daher schlieQen, da13 hier der zweite Reaktionsschritt bzw. ein Ted desselben geschwindigkeitsbestimmend ist. Umgekehrt darf man aus dem Fehlen einer Induktionsperiode bei 250" demnach wohl folgern, da13 die Keimbildung und damit die Bildung neuer Phasen hier keinen EinfluB auf die Reaktionsgeschwindigkeit hat, sondern dalJ in diesem Fall der erste Schritt, :namlich die Adsorption von Sauerstoff an der Tl,S-Oberflache, geschwincligkeitsbestimmend ist.

Damit wird auch die bei 250" im Gegensatz zu den Versuchen hei Zimmertemperatu r beobach te te, au Oerorden tlicli schwan kende Reak- tionsfa,higkeit des als Ausgangsmaterial verwendeten T1,S verstandlicher. Wahrend niimlich die bei 250 O geschwindigkeitsbestimmende Adsorption

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von Sauerstoff entscheidend von der Oberflachenbeschaffenheit des T1,S abhangt, ist die Reaktion zwischen adsorbiertem Sauerstoff und TI,S, die bei Zimmertemperatur fur die Oxydationsgeschwindigkeit mnBgebend sein soll, hiervon weitgehend unabhangig. Voraussetzung ist nur, daB die Adsorptionsfahigkeit so pol3 ist, da13 immer genugend adsorbierter Sauerstoff fur die langsam verlaufende eigentliche chemische Reaktion zur Verfugung steht. Nun sind aber Schwankungen in der Oberflachenbeschaffenheit, die dieses Verhalten erklaren konnen, bei einer festen Substanz, die durch Fallung aus kalten Losungen ohne thermi- sche Nachbehandlung hergestellt wird, durchaus denkbar.

Zu diskutieren bleibt jetzt die Frage, warum bei 250" die Adsorption, bei Zimmertemperatur dagegen die Reaktion zwischen Sauerstoff und T1,S die geschwindigkeitsbestimmende Teilreaktion ist. Man kiinnte auf den Gedanken kommen, den Grund hierfur in dem positiven Ein- f luI3 der Temperatur auf die Geschwindigkeit der chemisehen Reaktion und dem negativen EinfluB auf die Sattigungsbelegung der T1,S-Ober- flache mit adsorbiertem Sauerstoff bei gleichem Sauerstoffdruck zu suchen. Es ist jedoch sehr fraglich, ob dieser Effekt bei einer Tern- peraturdifferenz von etwa 230" grol3 genug ist, um zu einer Vertauschung der geschwindigkeitsbestimmenden Schritte zu fuhren.

Auf eine andere mogliche Ursache deutet die Tatsache hin, da13 die Reaktionsfahigkeit des T1,S bereits nach kurzer Zeit so rapide abfallt, da13 die Primaroxydation praktisch zum Stillstand kommt, wahrend die Oxydationsgeschwindigkeit bei Zimmertemperatur, die anfangs ja vie1 geringer als bei 250" ist, nur sehr langsam abnimmt. Man darf vielleicht annehmen, da13 bei erhohter Temperatur mit der chemischen Reaktion zwischen adsorbiertem Sauerstoff und T1,S irgendeine adsorp- tionshemmende Veranderung der Oberflache verbunden ist, die bei Zimmertemperatur nicht auftritt. Dieser Vorgang mul3te unmittelbar nach dem Beginn der Sauerstoffeinwirkung einsetzen und zu einer so starken Abnahme der Adsorptionsfahigkeit fuhren, daI3 die Adsorption des Sauerstoffs bereits nach wenigen Sekunden zum geschwindigkeits- bestimmenden Schritt der Gesamtreaktion wird und spater die Sauer- stoffaufnahme fast ganz zum Stillstand kommt.

Worin diese Oberflachenveranderung besteht und warum sie bei 250", nich t aber bei Zimmertemperatur auftritt, durfte schwer zu klaren sein. Man konnte zunachst an einen reinenTemperungseffekt denken, zumal die Praparate vor Beginn der Oxydation erst durch 20niinutiges Anheizen auf die Reaktionstemperatur gebracht und bei dieser Gelegen- heit erstmalig hoher erhitzt werden.

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Um diese Moglichkeit nachzupriifen, wurden Oxydationsversuche mit T12S-Pra- paraten gemacht, die vor der Einwirkung des Sauerstoffs verschieden lange im Vakuum bei d50" getempert worden waren. Die Ergebnisse dieser Versuche sind in Tab. 3 zusammengestellt.

S a u e r s t o f f a u f n a h m e v e r s c h i e d e n l a n g e im V a k u u m b e i 250" v o r g e t e m p e r - t e r T1,S-Proben

Tabelle 3

Praparat Nr. 1 Temperungsdauer I Versuchsdauer

I11 I11 I11 I V IV

VI I VII VI I

X x

- 15 Minuten 20 Stunden

15 Minuten 5 Minuten

30 Minuten 24 Stunden 20 Minuten 24 Stunden

-

30 Minuten 30 Minuten

2 Stunden 5 Minuten 5 Minuten 5 Minuten 5 Minuten 5 Minuten 5 Minuten 5 Minuten

~

Mol O,/Mol TI$

0,30 0,22 0,09 0,18 0,02 0,09 0,05 0,04 0,11 0,02

Die gefundenen Werte lassen erkennen, daW die Teniperung die Reaktionsfahigkeit der Praparate deutlich, wenn auch nicht sehr stark, herabsetzt. Auch im Rontgendiagramm rnacht sich ein deutlicher Rekristallisationseffekt bemerkbar. Ein mit ruhendem Pra- parat aufgenommenes DEBYE-SCHERRER-Diagramm einer nicht vorbehandelten Probe zeigt vollkommen gleichmaRig geschwarzte Linien ; nach 44stundiger Temperung sind die Linien dagegen bei glcichcii Aufnahmebedingungen weitgchend ip einzelne Punkte auf- gcspalten. Die Ternperung fiihrt also, wie vermutct, zu einer merklichen Rekristallisation des T1,S und, damit verbunden, zu einer Herabsetzung der Reaktionsfahigkeit. Der Effekt ist jedoch bci weiteni nicht groR genug, um das bei 250" beobachtete schnellc Absinken der Oxydationsgeschwindigkeit zu erklaren.

Die fur das beobachtete Verhalten verantwortliche Oberflachen- veriinderung mu13 also im wesentliehen anderer Art sein. Es kame hier z. B. die von N O L L E R ~ ~ ) erwahnte Moglichkeit in Frage, bei der Vergiftung von Katalysatoren eine Blockierung der fur den Adsorptions- vorgang entscheidenden Porenmiindungen anzunehmen. Man konnte sich vorstellen, da13 im Falle des T1,S der Sauerstoff infolge seiner bei Zimmertemperatur geringen Reaktionsgeschwindigkeit mit dem T1,S bei der Adsorption in das Innere der Poreii diffundieren kann und irn wesentlichen erst dort reagiert, so da13 die Porenmiindungen offen bleiben und weiteren Sauerstoff aufnehmen koniien, wahrend bei 250 a infolge der gesteigerten Reaktionsgeschwindigkeit die Reaktion bereits ganz uberwiegend an den Porenmundungen shttfindet, so dafi diese blockiert und fur die weitere Adsorption von Sauerstoff ausgeschaltet

la) H. NOLLER, Angew. Chem. 6A, 761 (1956).

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werden. Durch diesen Vorgang wurde die wirksame Oberflache so weit verkleinert, daB nicht mehr die Reaktion zwischen adsorbiertem Sauer- stoff und TI&, sondern die Adsorption selbst der geschwindigkeitsbe- stimmende Vorgang ware.

Der Duisburger Kupferhutte, die uns auch fur diese Arbeit das erforderliche reine Thallium grol3ziigig zur Verfugung gestellt hat, danken wir herzlichst.

Berlin-Charlottenburg, Anorgnnisch-chemisches Institut der Tech- nischen Universitat Berlin.

Bei der Redaktion eingegangen am 14. Februar 1957.

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