Übersichten Orthopädisch-traumatologische Impulse · Die Olympischen Spiele 1972 in München...

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The described development of the orthopaedic traumatology in sports began about 1920 and improved dramatically in the early 70ties. Epi- demiological studies give information about typical risks and injury pat- terns in particular sports disciplines. Sports orthopaedics has always sti- mulated the progress of the general orthopaedics and traumatology to a great extent. Most modern diagnostic tools (ultrasound, MRI etc.) found early application in sports injuries. Minimally-invasive arthroscopic procedures combined with early functional, highly qualified physio- therapy and an early return to sports have replaced open operative pro- cedures, cast immobilisation and a prolonged rehabilitation. Sports me- thods have become increasingly important in therapy and rehabilitati- on of several diseases. Treatment of some typical sports orthopaedic and traumatologic disorders is described in its historical development. Keywords: Orthopaedic traumatology, sports medicine, historical development Summary 330 DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN Jahrgang 55, Nr. 12 (2004) Übersichten Orthopädisch-traumatologische Impulse Steinbrück K Orthopädisch-Traumatologische Impulse für die Sportmedizin Orthopaedic-Traumatologic Impulse for Sports Medicine Orthopädische Klinik Stuttgart - Botnang Die dargestellte Entwicklung der orthopädisch-traumatologischen Sportmedizin begann um 1920 und hatte ab 1970 spektakuläre Fort- schritte. Epidemiologische Studien geben Auskunft über typische Risi- ken und Verletzungsmuster in den einzelnen Disziplinen. Die Sportor- thopädie hat in vielen Bereichen wesentliche Impulse für das Kernfach Orthopädie/ Traumatologie gebracht. Viele neue diagnostische Verfah- ren (z.B. Extremitäten-Ultraschall, Kernspintomographie) erfuhren frühe Anwendung bei Sportverletzungen. Minimalinvasive arthroskopische Eingriffe mit frühfunktioneller, hoch qualifizierter physiotherapeuti- scher Nachbehandlung und möglichst frühzeitiger Wiedereingliederung in das sportliche Geschehen haben offene Operationen mit Gipsruhig- stellung und langer Rehabilitationsphase abgelöst. Mittel und Methoden des Sports haben verbreiteten Eingang in die Nachbehandlung und Re- habilitation vieler Erkrankungen gefunden. Einige typische sportor- thopädisch-traumatologische Krankheitsbilder werden in ihrem Wandel vorgestellt. Schlüsselwörter: Sportorthopädie/-traumatologie, Sportmedizin, geschichtliche Entwicklung Zusammenfassung Acht Jahre nach Konstitution einer ersten deutschen sportmedizinischen Vereinigung in Oberhof (Thüringen) am 21. September 1912 wurde 1920 in Berlin die Deutsche Hochschule für Leibesübungen gegründet. Erster Rektor war der berühmte Chirurg Professor August Bier. Nach- folger wurde 1932 sein Schüler, der nicht weniger bedeu- tende Ferdinand Sauerbruch. 1920 übernahm auch W. Kohlrausch bei Bier die 1. Abteilung für Heilgymnastik und Massage - er wurde 1936 a.o. Professor für Sportme- dizin in Freiburg. Die 20er Jahre waren der Beginn einer großen Aktivität chirurgisch-orthopädischer Ärzte auf sportmedizinischem Gebiet. 1927 erschien von W. Baetz- ner eine erste Arbeit über „Sportschäden am Bewegungs- apparat“. F. Heiss, sein Schüler, ebenfalls Assistent bei Bier und einer der Pioniere der Sportmedizin, bestätigte diese Befunde anhand von Röntgenaufnahmen bei Teilnehmern der Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam. Er führte da- Entwicklung der Sporttraumatologie mals auch die erste Röntgen-Kontrastmittelfüllung (Ar- thrographie) am Kniegelenk durch und war im selben Jahr in St. Moritz Mitbegründer der Internationalen Gesell- schaft für Sportmedizin (AIMS; seit 1934 FIMS). 1936 hat er im Reichssportfeld in Berlin das Zentrum für Sportme- dizin geplant, die deutsche Olympiamannschaft betreut sowie den 4. internationalen Sportärztekongress mitgelei- tet. In Hohenlychen entstand in dieser Zeit die erste „Sportheilstätte“ von Weltruf. Nach dem Krieg wurden bereits 1946 in Nordrhein-West- falen vom „Zonensportrat“ die Sporthilfe, die Sporthoch- schule in Köln und die Sportheilstätte Lüdenscheid-Hel- lersen gegründet. Heiss, der 1949 zunächst den Südwest- deutschen Sportärzteverband mitbegründete, war nach Wiedergründung des Deutschen Sportärztebundes 1950 sein erster Präsident. Auf seine Initiative entstand 1954 in Fortschritte nach 1945

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The described development of the orthopaedic traumatology in sports

began about 1920 and improved dramatically in the early 70ties. Epi-

demiological studies give information about typical risks and injury pat-

terns in particular sports disciplines. Sports orthopaedics has always sti-

mulated the progress of the general orthopaedics and traumatology to a

great extent. Most modern diagnostic tools (ultrasound, MRI etc.) found

early application in sports injuries. Minimally-invasive arthroscopic

procedures combined with early functional, highly qualified physio-

therapy and an early return to sports have replaced open operative pro-

cedures, cast immobilisation and a prolonged rehabilitation. Sports me-

thods have become increasingly important in therapy and rehabilitati-

on of several diseases. Treatment of some typical sports orthopaedic and

traumatologic disorders is described in its historical development.

Keywords: Orthopaedic traumatology, sports medicine, historical

development

Summary

330 DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN Jahrgang 55, Nr. 12 (2004)

Übersichten Orthopädisch-traumatologische Impulse

Steinbrück K

Orthopädisch-Traumatologische Impulse für die Sportmedizin

Orthopaedic-Traumatologic Impulse for Sports Medicine

Orthopädische Klinik Stuttgart - Botnang

Die dargestellte Entwicklung der orthopädisch-traumatologischen

Sportmedizin begann um 1920 und hatte ab 1970 spektakuläre Fort-

schritte. Epidemiologische Studien geben Auskunft über typische Risi-

ken und Verletzungsmuster in den einzelnen Disziplinen. Die Sportor-

thopädie hat in vielen Bereichen wesentliche Impulse für das Kernfach

Orthopädie/ Traumatologie gebracht. Viele neue diagnostische Verfah-

ren (z.B. Extremitäten-Ultraschall, Kernspintomographie) erfuhren frühe

Anwendung bei Sportverletzungen. Minimalinvasive arthroskopische

Eingriffe mit frühfunktioneller, hoch qualifizierter physiotherapeuti-

scher Nachbehandlung und möglichst frühzeitiger Wiedereingliederung

in das sportliche Geschehen haben offene Operationen mit Gipsruhig-

stellung und langer Rehabilitationsphase abgelöst. Mittel und Methoden

des Sports haben verbreiteten Eingang in die Nachbehandlung und Re-

habilitation vieler Erkrankungen gefunden. Einige typische sportor-

thopädisch-traumatologische Krankheitsbilder werden in ihrem Wandel

vorgestellt.

Schlüsselwörter: Sportorthopädie/-traumatologie, Sportmedizin,

geschichtliche Entwicklung

Zusammenfassung

Acht Jahre nach Konstitution einer ersten deutschensportmedizinischen Vereinigung in Oberhof (Thüringen)am 21. September 1912 wurde 1920 in Berlin die DeutscheHochschule für Leibesübungen gegründet. Erster Rektorwar der berühmte Chirurg Professor August Bier. Nach-folger wurde 1932 sein Schüler, der nicht weniger bedeu-tende Ferdinand Sauerbruch. 1920 übernahm auch W.Kohlrausch bei Bier die 1. Abteilung für Heilgymnastikund Massage - er wurde 1936 a.o. Professor für Sportme-dizin in Freiburg. Die 20er Jahre waren der Beginn einergroßen Aktivität chirurgisch-orthopädischer Ärzte aufsportmedizinischem Gebiet. 1927 erschien von W. Baetz-ner eine erste Arbeit über „Sportschäden am Bewegungs-apparat“. F. Heiss, sein Schüler, ebenfalls Assistent bei Bierund einer der Pioniere der Sportmedizin, bestätigte dieseBefunde anhand von Röntgenaufnahmen bei Teilnehmernder Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam. Er führte da-

Entwicklung der Sporttraumatologie mals auch die erste Röntgen-Kontrastmittelfüllung (Ar-thrographie) am Kniegelenk durch und war im selben Jahrin St. Moritz Mitbegründer der Internationalen Gesell-schaft für Sportmedizin (AIMS; seit 1934 FIMS). 1936 hater im Reichssportfeld in Berlin das Zentrum für Sportme-dizin geplant, die deutsche Olympiamannschaft betreutsowie den 4. internationalen Sportärztekongress mitgelei-tet. In Hohenlychen entstand in dieser Zeit die erste„Sportheilstätte“ von Weltruf.

Nach dem Krieg wurden bereits 1946 in Nordrhein-West-falen vom „Zonensportrat“ die Sporthilfe, die Sporthoch-schule in Köln und die Sportheilstätte Lüdenscheid-Hel-lersen gegründet. Heiss, der 1949 zunächst den Südwest-deutschen Sportärzteverband mitbegründete, war nachWiedergründung des Deutschen Sportärztebundes 1950sein erster Präsident. Auf seine Initiative entstand 1954 in

Fortschritte nach 1945

Jahrgang 55, Nr. 12 (2004) DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN 331

Orthopädisch-traumatologische Impulse ÜbersichtenStuttgart-Bad Cannstatt das Krankenhaus für Sportver-letzte mit 27 Betten (Träger: Sporthilfe Baden-Württem-berg), dessen erster Chefarzt er wurde. 1957 hat er hier an-lässlich eines Besuchs des Japaners Watanabe auch dieersten Arthroskopien in der Sportmedizin durchgeführt(Abb. 1; 6). Sein Assistent P. G. Schneider war viele Jah-re Leiter der AG für Sportmedizin in der DGOT (DeutscheGesellschaft für Orthopädie und Traumatologie). 1966 er-folgten in Stuttgart (BW) und in Lüdenscheid-Hellersen(NRW) Grundsteinlegungen von Neubauten der Sportkli-niken - letztere mit 229 Betten die größte Klinik dieser Artin Europa.

Die Sporthilfe in der BRD hatte als Sozialwerk seiner-zeit drei Säulen: eine Sportunfallversicherung, das Kran-kenhaus für Sportverletzte und eine Zuschusskasse alsBeihilfe für Folgen von Sportunfällen. Sie wurde durchden so genannten „Sportzehner“ finanziert.

An den Hochschulen entwickelten sich in den 50erJahren zunehmend Abteilungen oder Lehrstühle fürSportmedizin, die ausschließlich aus dem Bereich derInneren Medizin oder Physiologie besetzt wurden. Denhohen Anforderungen des Leistungssports wurde hin-gegen in der damaligen DDR schon früh mit der Schaf-fung sporttraumatologisch (Berlin-Pankow) bzw. sport-orthopädisch (Bad Düben) spezialisierter EinrichtungenRechnung getragen. 1963 wurde dort die Orthopädie/Traumatologie in die Ausbildung zum Facharzt fürSportmedizin voll eingebunden, während in der BRDdie „Sportorthopädie“ in Universitätskliniken oderKrankenhäusern zunächst nur am Rande mit abgedecktwurde. Der Orthopäde H. Groh aus Saarbrücken (6) wur-de 1968 an das von W. Hollmann in der Sporthoch-schule Köln eingerichtete Institut für Biomechanik be-rufen. In den Orthopädischen Universitätskliniken inBerlin, Freiburg, Frankfurt, Heidelberg, Homburg/Saarund München wurden die ersten sportorthopädischenAmbulanzen etabliert bzw. „toleriert“ und Untersu-chungsstellen zur Betreuung von Leistungssportlerneingerichtet.

Die Olympischen Spiele 1972 in München gaben für dieweiteren Entwicklungen wichtige Impulse. An der Or-thopädischen Universitätsklinik in Heidelberg unter H.Cotta haben wir mit H. Krahl eine Sportambulanz aufge-baut und die Daten systematisch manuell registriert undausgewertet (25-Jahresanalyse von 34 742 Sportverlet-zungen). 1978 und 1979 fanden hier auch die erstengroßen internationalen Kongresse der Kniechirurgie (un-ter Beteiligung von Blazina, Kennedy, O’Donoghue, Tril-lat etc.) bzw. der Sportorthopädie (Eriksson, Goldie, VijdikProkop, Nigg, Segesser et al.; 2) statt. Anfang der 80igerJahre entstand eine erste sporttraumatologische C3-Ab-teilung an der TU in München unter Leitung von Bernett.Die Zeit war reif, und die Anregungen aus Skandinavien,Frankreich und den USA sowie die Internationalisierungder Sportmedizin veranlasste während einer Sportärzteta-gung in Ulm 1985 sieben sportmedizinisch engagierteund befreundete Orthopäden die Gesellschaft für Or-thopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) zukonzipieren und 1986 als deutschsprachige Vereinigungfür Spezialisten der Länder Deutschland, Österreich undSchweiz zu gründen. Ihr erster Präsident wurde H. Hess.Später folgten übergreifende Synergien der Fachrichtun-gen Orthopädie, Unfallchirurgie, Biomechanik, Physio-therapie, Psychologie und Sportwissenschaften. In derFolge kam es auch zu einer engeren Zusammenarbeit mitder DGOT und dem Deutschen Sportärztebund (DSÄB).

Heute findet der Jahreskongress der GOTS in Münchenmit bis zu 700 Teilnehmern unter internationaler Beteili-gung statt. Der Michael-Jäger-Preis für innovative wis-senschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Sporttrau-matologie wurde im Wechsel mit dem höchstdotierten GOTS-Beiersdorf-Forschungspreis verliehen. Der jährli-che Ehrengast ist Zeichen der internationalen Bedeutung.Die GOTS führt für ihre Mitglieder auch Intensivkurse in„Wettkampfmedizin“ durch. Das GOTS-Manual (4) ist dasumfangreichste Gemeinschaftswerk von Spezialisten aufdem Gebiet der deutschsprachigen Sporttraumatologie/Sportorthopädie, die praxisorientierte Zeitschrift „Sport-orthopädie – Sporttraumatologie“ erscheint im Zuck-schwerdt-Verlag und ein weiteres Journal „Sportverletzung- Sportschaden“ bei Thieme. Auch in der Deutschen Zeit-schrift für Sportmedizin finden zunehmend orthopädisch-traumatologische Publikationen Raum. Ein jährliches Eu-ropa- sowie Asien-Fellowship sind weitere Zeichen der In-ternationalisierung. Mit über 700 Mitgliedern, die anUniversitäten, in Kliniken und Praxen, in Sportverbändensowie Vereinen für eine optimale Diagnostik, Therapie undRehabilitation im Amateur- und Hochleistungssport sor-gen, ist die GOTS nach der Amerikanischen Society (AOS-

Internationale und interdisziplinäreSynergien

Entwicklung seit 1972

Abbildung 1: F. Heiss, 1957: Erste Kniegelenksarthroskopie SportklinikStuttgart - Bad Cannstatt

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SM) inzwischen die zweitgrößte und bedeutendste sportor-thopädisch-traumatologische Gesellschaft der Welt. In ihrsind fast alle Verbandsärzte integriert.

Im Rahmen der EU haben sich jetzt orthopädisch-trau-matologisch orientierte Sportmediziner Europas in der Euro-pean Federation of National Societies of Orthopaedic SportsTraumatology (EFOST) zusammen geschlossen und führenseit dem 1. gemeinsamen GOTS-Kongress 2001 in Münchenjährlich internationale Tagungen in den rasch zunehmendenMitgliedsländern durch.

Im Rahmen der fortschreitenden Spezialisierung wer-den die operativ tätigen Sportmediziner immer stärker inspezielle orthopädische, unfallchirurgische oder arthro-skopische Kongresse und Fortbildungen eingebunden. Einewichtige gemeinsame interdisziplinäre Basis bildet vorallem der in zweijährigem Intervall stattfindende DeutscheKongress für Sportmedizin und Prävention neben denSportmedizinischen Wochenkursen und Tagungen der Ver-bandsärzte.

28 Millionen (ein Drittel der Bevölkerung) sind im Deut-schen Sportbund (DSB) organisiert. Die Zahl der Sport-treibenden wird auf über 40 Millionen geschätzt. Hier-in sind die 5-7 Millionen Wintersportler, die auf 15 Mil-lionen taxierten freizeitmäßigen Jogger, Radfahrer,Inlineskater, Skateboarder, Mountainbiker, Schwimmeroder in Fitness-Studios Aktiven mitgerechnet. Immerneue Trendsportarten oder Risikodisziplinen sind envogue. Zunehmendes Freizeitbewusstsein, mit immerhöherer sportlicher Intensität im Breitensport einerseitsoder extreme zeitliche und körperliche Beanspruchungmit immer kürzeren regenerativen Pausen beim Hoch-leistungssportler andererseits erfordern bei entspre-chend gestiegenem Verletzungsrisiko bzw. Überlas-tungsschäden eine qualifizierte Betreuung durch gutausgebildete Sportärzte.

Epidemiologie der Sportverletzungen

Die Zunahme typischer sportartspezifischer Verände-rungen ist auffällig: das „Blumenkohlohr“ des Ringers, die„Golfer- und Tennisschulter“ bzw. der „Golfer,- Tennisoder Werferellenbogen“, der „Pferdekuss“ des Fußballers,„Radfahrerrücken“ oder „Turnerbuckel“, „Schwimmerknie“oder „Skidaumen“ u.a. wurden feste Begriffe. WährendFörster 1910 in Wien nur 1 % aller Unfälle auf den Sportbezog, schätzt man heute den Anteil Sport bedingter Un-fälle in Deutschland auf 25-30 % (jährlich 1,5 bis 2 Mil-lionen). Umfangreiche epidemiologische Studien (Tab.1)geben Auskunft über die typischen Risiken und Verlet-zungsmuster in den einzelnen Disziplinen (Abb. 2 und 3).Sie liefern wichtige Hinweise für spezielle moderne Be-handlungsmöglichkeiten, sportartspezifische Rehabilitati-on sowie insbesondere für die Prävention (3, 7, 8, 11, 12,14, 16, 17).

Die bei der Betreuung von Hochleistungssportlern gesam-melten Erkenntnisse mit möglichst frühzeitiger Rückkehrzu Training und Wettkampf, aber auch die Auswertungender inzwischen großen Behandlungszahlen von Verlet-zungen im Breitensport haben die moderne Diagnostikund Therapie in der allgemeinen Orthopädie und Trau-matologie wesentlich beeinflusst.

So gewannen viele neue diagnostische Verfahren (u.a.Extremitäten-Ultraschall und Kernspin) sowie minima-linvasive oder arthroskopische Eingriffe (schon seit Jah-ren ambulant) mit frühfunktioneller, hoch qualifizierterphysiotherapeutischer Nachbehandlung erste klinischeAnwendung in der Sportorthopädie. Im konservativenBereich spielen heute funktionelle Verbände, spezielleBandagen oder Orthesen eine wichtige Rolle, und viele imSport erlangte Erkenntnisse haben inzwischen Eingangin die allgemeine Prävention und Rehabilitation von Ver-letzungen gefunden. Erinnert sei u.a. an die Rehabilitati-on von Endoprothesenträgern oder Bandscheibenope-rierten im Rahmen eines Aufbautrainings mit sportlicherBeübung.

Die klinische Untersuchungstechnik hat sich am Bei-spiel von Knie-, Schulter- oder Sprunggelenk in den letz-ten Jahren erheblich verfeinert. Am Kniegelenk sind nachgenauer sportspezifischer Erhebung der Anamnese diffe-renzierte Stabilitätsprüfungen (Lachman-Test, Pivot shift-Zeichen, Rolimeter-Messung, KT-1000 Test u.a.) ebensoStandard wie im Schulterbereich Impingementtest nachHawkins, Jobe-Test, Apprehension-Zeichen etc. Die Ultra-schallsonografie mit immer besserer Darstellung bei sehrgünstiger Kostenrelation spielt besonders bei Weichteil-verletzungen (Rotatorenmanschettenläsionen, Muskel-verletzungen (Schweregrad, Lokalisation), Sehnenverlet-zungen (Achillessehnenruptur) oder in der Differential-diagnose von Schwellungen (Bursitiden) eine wichtigeRolle. Für besondere Fragestellungen kommt in der Sport-medizin vor allem die Extremitäten-Kernspintomographie

Fortschritte der Sportorthopädie-Traumatologie

Tabelle 1: 25-Jahresanalyse – 30.603 Sportverletzte in 87 Disziplinen(1972-1997). Sportambulanz Orthopädie Heidelberg/Sportklinik Stuttgart

Nr. Sportart Sportler1972-1997 1972-1997

Anzahl %

1 Fußball 10.493 34,32 Skilauf 3.632 11,93 Handball 2.307 7,54 Tennis 1.643 5,45 Volleyball 1.550 5,16 Leichtathletik 1.190 3,97 Basketball 1.099 3,68 Radsport 815 2,79 Turnen 778 2,510 Schulsport 626 2,011 Squash 436 1,412 Judo 401 1,313 Tanz 392 1,314 Jogging 376 1,215 Reiten 344 1,1… … … …87 Casting 1 0,003

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Orthopädisch-traumatologische Impulse Übersichten

in Betracht, so bei Meniskusschäden, Bandrupturen, Seh-nenläsionen, Knorpelschäden oder Degeneration. Typischist dabei das sehr spezifische „Bone bruise“-Zeichen beiKreuzbandrupturen, Kontusionen, Frakturen oder Ermü-dungsbrüchen. Speziell am Knochen kommt eine Compu-tertomographie (CT) zur Anwendung, insbesondere zurdreidimensionalen Beurteilung von Frakturen, gelegent-lich auch eine Kontrastmitteluntersuchung oder Szinti-graphie.

Die Therapie hat sich zum einen durch neue klinische undbiomechanische Erkenntnisse, durch gute Resultate kon-sequenter konservativer Behandlung auch mit funktio-nellen Verbänden, Bandagen und Orthesen, zum anderndurch den Trend zu minimalinvasiven Techniken mitfrühfunktioneller Nachbehandlung ganz wesentlich ver-ändert. Beispielhaft seien einige im Sport typische Verlet-zungen dargestellt.

Vordere KreuzbandverletzungWar in den 70er und 80er Jahren diese Diagnose nochvielfach unsicher und wurde erst bei der Operation odereiner diagnostischen Arthroskopie gestellt, so kann heu-te die Situation durch ein Magnet Resonance Imaging(MRI) schon weitgehend präoperativ abgeklärt werden.Die große offene Gelenkoperation (z.B. OP nach Nicho-las mit Kreuzbandnaht, knöcherner Innenbandverset-zung und Pes anserinus-Transfer etc.) mit 2-3wöchigemstationären Aufenthalt, 6wöchiger Gipsruhigstellungund danach mehrmonatiger funktioneller Nachbehand-lung ist Vergangenheit. Heute wird vorrangig arthrosko-pisch minimalinvasiv operiert (ambulant oder kurzsta-

Sportorthopädisch-TraumatologischeKrankheitsbilder

tionär) und unmittelbar postoperativ früh-funktionell nachbehandelt. Beim aktiven,sporttreibenden Patienten sollten daherKnieinstabilitäten wegen des erhöhten Risi-kos von Sekundärschäden wie Meniskuslä-sionen und vorzeitiger Arthrose operativstabilisiert werden. Altersgrenzen sind indi-viduell zu sehen und Kreuzbandoperationen,insbesondere bei deutlichem Instabilitätsge-fühl mit einer sog. „giving way“-Sympto-matik im Alltag sind daher auch im Altervon 60 oder 70 Jahren bei entsprechendenAmbitionen indiziert und mit Erfolg durch-führbar. Meist wird heute eine „verzögertePrimärversorgung“ (vPvs) nach Abklingender Akutsymptomatik (ca. 4-6 Wochen)empfohlen, da so neben der besseren Plan-barkeit eine geringere Komplikationsrate(vermindertes Arthrofibroserisiko) undraschere sowie bessere Rehabilitation be-steht. Eine sofortige Operation wird nur bei

ausgeprägten Komplexverletzungen, bei zu refixieren-den Meniskusrissen, Knorpelabsprengungen oder imHochleistungssport nach entsprechender Aufklärungvorgeschlagen. Diese Zusatzläsionen können durch eineKernspintomographie im Rahmen der Erstdiagnostik si-cher erkannt werden. In der präoperativen Phase kanneine Orthese evtl. auch eine Bandage die äußere Stabili-sierung und Koordination („Propriozeption“) verbessern.Vor der OP sollte eine volle Beweglichkeit und ein weitgehend normales Gangbild bei abgeschwollenem Gelenkwiedererlangt sein.

Bezüglich der Operationstechnik haben wir Erfahrungenaus 600-700 Kreuzbandplastiken jährlich in allen Varianten.Bei jungen aktiven Sportlern verwenden wir seit vielen Jah-ren mit Erfolg das mittlere Lig. patellae-Drittel mit 2 Kno-chenblöckchen (Bone-Tendon-Bone – BTB) in femoralerPress-fit-Technik und Spongiosaauffüllung der Entnahme-kanäle. Alternativ kommt die Semitendinosus/Gracilis-Plas-tik (STG) in Quadrupletechnik mit Fixation femoral (Trans-fix oder Rigid-Fix) sowie tibial (z.B. mit bioresorbierbarerSchraube) in Betracht. Diese Technik hat eine geringere Ent-nahmemorbidität, ist günstiger bei ambulanter OP und fin-det besonders bei Frauen oder knieenden Berufen Anwen-dung. Bei Re-Operationen bietet sich die Quadrizepssehnen-plastik an. Heterologe Transplantate sind heute noch dieAusnahme, Kunstbänder inzwischen weitgehend obsolet. DieEingriffe werden in Spezialkliniken fast ausschließlich arth-roskopisch durchgeführt.

In der Rehabilitation haben sich die in der Sporttrauma-tologie gewonnenen Erfahrungen auch bei Allgemeinpatien-ten umsetzen lassen. Bei kurzstationärem Aufenthalt beginntsofort postoperativ die frühfunktionelle Behandlung mit Be-wegungsschiene und Teilbelastung. In den folgenden 4 Wo-chen ist das Bewegungsausmaß auf 90° Beugung zu steigern,eine zunächst limitierende Orthese freizugeben und langsamzur Vollbelastung überzugehen. Geräte wie Beinpresse,

Ski alpin 64,5 %Skilanglauf 62,3 %Windsurfen 59,3 %American Football 47,8 %Bergsteigen 42,3 %Tischtennis 41,8 %Rudern 41,4 %Motorsport 40,6 %Fußball 39,0 %Eislauf 38,3 %

Abbildung 2: 12 708 (36,6 %) Knieverletzungen. Relativprozentuale Verteilung auf Sportarten

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Crosstrainer oder Stepper werden eingesetzt, bewährt habensich auch Aquajogging, Kraulschwimmen oder Radfahren.Später kann man über Walking zu vorsichtigem Lauftrainingübergehen. Wettkampfsport sollte abhängig von den Dis-ziplinen frühestens 6 Monate postoperativ wieder begonnenwerden (Abb. 4a, b).

Proximale Knieinnenbandverletzungen werden heute -selbst bei ausgeprägter medialer Aufklappbarkeit aber Stabi-lität des zentralen Pfeilers (Kreuzband) - konservativ funk-tionell behandelt.

PatellaluxationDie primär traumatische, oft übersehene Patellaluxationkann heute durch subtile klinische und kernspintomogra-phische Diagnostik sicher erkannt und entsprechend the-rapiert werden. Im MRI ist eine Flakefraktur oder ein Ab-riss des medialen Kapselbandapparates gut zu sehen (Abb.5). Bei nur leichter patellarer Instabilität wird nach Häm-arthros-Punktion z.B. mit einer medialisierenden Genu-train-P3-Bandage versorgt und konservativ funktionellbehandelt. Bei stärkerer Instabilität oder Rezidivluxatio-nen ergibt eine minimalinvasive, arthroskopische media-le Kapselplastik mit lateralem Release (OP nach Yamamo-to) sehr gute Resultate. Bei eventuellen Rezidiven führenwir vor allem distal korrigierende knöcherne Eingriffedurch (z.B. Tuberositasversetzung nach Elmslie). Eine sys-tematische langsame, die Bewegung steigernde funktio-nelle Behandlung mit einer Orthese schließt sich an.

SprunggelenksverletzungenAußenbandrupturen am Sprunggelenk (fibulotarsal) sindals Supinationstraumata, insbesondere bei Ballsportarten

und beim Joggen die häufigsten Ver-letzungen. Während diese Bänderris-se früher fast ausnahmslos operativversorgt und anschließend 4-6 Wo-chen im Unterschenkelgips ruhig ge-stellt wurden, haben wir in Heidelbergschon Ende der 70er Jahre in prospek-tiven Studien bei Sportlern nachge-wiesen, dass eine konsequente konser-vativ funktionelle Therapie ebenbürti-ge Ergebnisse erbringt. Heute erfolgtdie Akutversorgung nach radiologi-schem Frakturausschluss – gehalteneAufnahmen sind inzwischen obsolet -nach dem „PECH-Schema“ (Pause –Eis – Compression – Hochlagerung).Nach Hämatomabschwellung, vor al-lem bei den Schweregraden I und IIwird mit einer Sprunggelenksorthese(z.B. Aircast) stabilisiert und beglei-tend Physiotherapie durchgeführt.Drei-Band-Verletzungen (fta – lig. fi-bulo talare ant., fc – fibulo calcaneare,ftp – fibulo talare post.) können beiLeistungssportlern auch ausnahms-

weise primär operativ stabilisiert und dann frühfunktionellnachbehandelt werden. Sehr wichtig ist eine gute Koordi-nationsschulung (z.B. Wackelbrett, Kreisel, Posturomed) so-wie ein muskuläres Aufbautraining. Orthesen, Bandagenoder funktionelle Tapeverbände sollten zu Beginn derSportausübung als Sicherung angewandt werden.

Chronische Bandinstabilitäten (ca. 3-5 %), die vielfachdurch insuffiziente bzw. mangelhaft überwachte konservati-ve Behandlung entstehen, sollten erst nach erfolgloser, in-tensiver koordinatorischer Physiotherapie operativ versorgtwerden. Dabei hat sich eine modifizierte, isometrische, zwei-zügelige Periostlappenplastik mit distaler Fadenankerfixati-on bewährt. Die früher vorwiegend praktizierte Watson-Jo-nes-Plastik (Peronealsehne) schädigt andere Sehnenstruktu-ren und führt meist nicht zur isometrischen Stabilisierung(Präarthrose). Nach einer Bandplastik wird nach einer kurz-fristigen Immobilisation ebenfalls eine funktionelle Nachbe-handlung in einer Orthese vorgenommen.

Nicht dislozierte Sprunggelenksfrakturen nach Typ WeberA oder auch Weber B können nach Abschwellung und kurz-fristiger Ruhigstellung bei entsprechend engmaschigenRöntgenkontrollen nach 2-3 Wochen in einer Sprungge-lenksorthese unter zunehmendem Belastungsaufbau konser-vativ funktionell behandelt werden. Auch nach indizierteroperativer Versorgung ist eine frühe funktionelle Behand-lung mit vorsichtigem und kontrolliertem Belastungsaufbauanzustreben. Geringeres Thromboserisiko und Muskeldefizitsowie bessere Funktion sind wichtige Vorteile.

AchillessehnenrupturVon den jährlich ca. 20 000 Achillessehnenrupturen er-eignen sich etwa 80 % beim Sport, die meisten bei Män-

Abbildung 3: 23 434 (70,3 %) Verletzungen an großen Gelenken. Relativprozentuale sportartspezifischeHäufung

Mountainbike 55,0 %Golf 39,5 %Bodybuilding 39,0 %

n = 2.6907,7 %

n = 7062,0 %

Golf 11,6 %Ringen 8,8 %Bodybuilding 8,4 %

Boxen 13,5 %Bergsteigen 10,6 %Eislauf 9,7 %

Karate 2,9 %Boxen 2,7 %Leichtathletik 2,1 %

Ski alpin 64,5 %Skilanglauf 62,3 %Windsurfen 59,3 %

Jogging 42,2 %Basketball 41,5 %Volleyball 39,9 %

n = 1.2283,5 %

n = 1280,5 %

n = 12.70836,6 %

n = 6.92019,9 %

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Orthopädisch-traumatologische Impulse Übersichten

nern und besonders in den Disziplinen Fußball, Tennis,Handball, Volleyball, Badminton oder Squash. RascherAntritt, Verdrehtrauma, Sprung oder harte Landung sinddie häufigsten Ursachen. Heute ist bewiesen, dass beiplötzlichen extremen Belastungen im Sport auch eine ge-sunde Sehne reißen kann. Etwa 10 bis 20 % dieser Verlet-zungen werden wegen starker Schwellung und Schmer-zen primär nicht erkannt (1).

Typisch ist eine palpable Delle bei Dorsalextension unddie Unmöglichkeit zum einbeinigen langsamen Zehenspit-

zenstand. Der verletzte Sportler berichtet häufig über einen„peitschenknallartigen“ Schlag, oder das Gefühl, einen Trittin die Wade bekommen zu haben. Die Sonographie ist einrasch durchführbares, sicheres funktionelles Untersuchungs-verfahren. Ein MRT kommt bei sonographisch unzureichen-der Annäherung (M. soleus-Ruptur?) oder alten Rupturen inBetracht, um die Art des Operationsverfahrens festzulegen.

Bei inzwischen über 1 200 versorgten und analysiertenAchillessehnenrupturen hat sich bei uns in den letzten Jah-ren zunehmend die minimalinvasive perkutane Nahttechnikmit einer PDS-Kordel bewährt (Abb. 6; 15). Voraussetzungist, dass die Ruptur frisch ist (bis 3 Tage), die Sehnenendensich in Spitzfußstellung gut annähern und keine degenerati-ven Vorveränderungen vorliegen. Kurze OP-Zeit, minimalesInfektionsrisiko, kosmetisch günstiges Resultat und funkti-onsstabile Versorgung sind wesentliche Vorteile. Eine offeneRahmennaht ist bei stärker retrahierten Sehnenrissen oderverspäteter Operation angezeigt. Ist diese Technik nicht aus-reichend, führen wir eine Sehnenumkippplastik durch, beinoch größeren Defekten eine Peronaeus brevis- oder Flexor-hallucis-longus-Ersatzplastik. In einer prospektiv randomi-sierten Studie haben wir nachgewiesen, dass konservativeBehandlungen insbesondere bei falscher Indikationsstellungoder schlechter Compliance der Patienten häufig zu einerElongation der regenerierten Sehne mit funktioneller Insuf-fizienz führen – für Lauf- und Ballsportler das Ende der Lauf-bahn. Früher wurde postoperativ für 6 Wochen im Ober-bzw. Unterschenkelgips immobilisiert, heute stellen wir we-nige Tage in einem Steigbügelgips in 20°-Spitzfußstellungruhig, danach folgt bereits die frühfunktionelle Nachbe-handlung. In einem Spezialschuh (Variostabilschuh; Abb. 6).Mit 3-4 cm entlastender Fersenerhöhung kann die Belastungschmerzabhängig rasch gesteigert werden. Nach 4 Wochenkann die Erhöhung langsam reduziert, nach 8 Wochen derSpezialschuh gekürzt und nach 12 Wochen durch einen Kon-fektions- oder Sportschuh ersetzt werden. Ab der 10. bis 12.Woche ist ein muskuläres und koordinatives Training mitLaufvorbereitung im Schuh oder barfuß angezeigt. Arbeits-fähigkeit ist so im allgemeinen nach 2-6 Wochen, Sport-fähigkeit nach 3-6 Monaten erreicht.

Bei traumatischen Knorpelschäden kommt am Kniegelenkbei röntgenologisch oder im MRI erkennbaren osteochon-dralen Flakes (bei Patellaluxationen in über 70 %) einemöglichst frühzeitige Operation mit Gelenklavage bzw.dem Versuch der Refixation eines größeren Fragmentes inBetracht (z.B. mit resorbierbaren Darts). Bei isoliertenKnorpelschäden hat man früher Pridiebohrungen vorge-nommen, heute werden zur Vermeidung von Hitzeschä-den häufiger Mikrofrakturierungen (Chondropick) durch-geführt. Hierdurch kommt es vorwiegend zur Faserknor-pelbildung mit recht guten Resultaten in den ersten 5Jahren. Bei etwas größeren Defekten führen wir eine sogenannte Mosaikplastik mit Verpflanzung osteochondra-ler Zylinder aus dem lateralen Patellagleitlager in den De-

Knorpelschäden bei Sportlern

Abbildung 4b: Nachbehandlung von Kreuzbandoperationen einst

Abbildung 4a: Nachbehandlung von Kreuzbandoperationen heute:frühfunktionell + SofTec-Orthese

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Übersichten Orthopädisch-traumatologische Impulse

fektbereich durch. Operationstechnische Probleme, Nach-blutungen oder Umbaustörungen an den Grenzflächender Zylinder können das Ergebnis beeinträchtigen. Beinoch größeren Knorpeldefekten ist derzeit die AutologeChondrozyten-Transplantation (ACT) immer mehr imKommen. Hierbei wird arthroskopisch entnommenerKnorpel in speziellen Labors gezüchtet und die zellange-reicherte Suspension mit einer Membran nach 4-6 Wo-chen implantiert. Eine 6-12wöchige Ent- bzw. Teilbelas-tung mit intensiver funktioneller Behandlung (täglichmehrere Stunden Bewegungsschiene) ist für ein gutes Er-gebnis Voraussetzung. Das Verfahren ist noch kostspielig,nur für jüngere Patienten (bis ca. 50 Jahre) und nicht beigenereller Arthrose geeignet. Die Knorpelqualität scheinthierbei besser zu sein. Tissue engineering und Gentechniksind weitere Entwicklungen, die in die Zukunft weisen.

Meniskus-Schä-denWährend früher of-fene subtotale bis to-tale Meniskusresek-tionen mit spätermeist schweren Arth-rosen die Regel wa-ren, werden heuteMeniskusoperationenfast nur noch arthro-skopisch minimalin-vasiv durchgeführt.Die Ergebnisse bei Sportlern mit rasch wiederhergestellterSportfähigkeit sind spektakulär, vielfach publiziert undsomit auch richtungsweisend für Allgemeinpatienten. Beider OP versucht man möglichst viel Meniskusgewebe zuerhalten. Basisnahe, gut durchblutete Risse werden nachAnfrischung refixiert. Hierbei hat sich eine gemischteTechnik mit 1-2 PDS-Nähten in Outside-In-Technik imvorderen Anteil sowie eine Fixation mit resorbierbarenImplantaten (Rapid loc, Darts etc.) im schwer zugäng-lichen dorsalen Bereich bewährt. Zwei Wochen Teilbelas-tung mit leicht eingeschränkter Beweglichkeit, danachRadfahren, Aquajogging, Walking sowie Vollbelastung abder 4.-6. Woche und sportartspezifisches Training ab der12. Woche schließen sich an.

Sportlerschulter - SchulterluxationSchulterverletzungen finden wir gehäuft bei Skifahrern,Fuß- und Handballspielern oder Mountainbikern.Überlastungsschäden imponieren in Sportarten wie Ten-nis oder Golf (Überkopfsportarten), Schwimmen, Werfenoder Turnen. Mittels Sonographie können Bursaverände-rungen, Rotatorenmanschettendefekte oder Kalkdepotsgut dynamisch dargestellt werden. Im Kernspintomo-gramm kann man das Ausmaß einer Rotatorenmanschet-ten- oder Labrumläsion aufzeigen. Bei der Arthroskopiewird heute die Diagnostik unmittelbar mit der Therapieverbunden. Spezielle Probleme sind eine Rotatorenman-

schettenruptur mit gleichzeitigem Instabilitätsimpingement. Von Bedeutung ist beim Sportler besonders die Schulter-luxation. Bei einer traumatischen Erstluxation ist nebeneiner genauen Anamneseerhebung, die exakte klinischeUntersuchung (Apprehension-Tests) sowie apparative Maß-nahmen wie Standardröntgenprojektionen, Kernspin oderArthro-CT zur Darstellung von Bankartläsionen, Hill-Sachs-Defekten oder Labrumdissektionen sinnvoll. Die früher prak-tizierte 2-3-wöchige Ruhigstellung im Desault-Verband istbeim jungen Patienten wegen der hohen Rezidivrate eineraktiven operativen Behandlung mit minimalinvasiven arth-roskopischen Nahttechniken gewichen. Die Nachbehandlungerfolgt dann ebenfalls frühfunktionell mit primärer Ein-schränkung der Außenrotation. Chronische vordere Instabi-litäten oder Rezidive werden dagegen meist offen operiert(z.B. OP nach Bankart).

Unsere verletzungsepidemiologischen Studien eröffnenuns heute viele Möglichkeiten einer gezielten Prävention.Eine gute körperliche Verfassung, ein langsam progre-dienter Trainingsaufbau sowie eine systematische Vorbe-reitung mit entsprechender Aufwärmphase und Dehnungvon Muskeln und Gelenken sind von großer verletzungs-prophylaktischer Bedeutung. Ein gezieltes sportartspezifi-sches Training, Regelkenntnis sowie eine optimaleAusrüstung ergänzen diese Maßnahmen. Umgekehrt be-deutet jede Verletzung – wird sie nun konservativ oderoperativ versorgt – Schädigung von Gewebe und bedarfeiner gezielten Rehabilitation. Während früher nach lan-ger Gipsimmobilisation die Krankengymnastin vorsichtigmit Bewegungsübungen begann, der Masseur muskuläreVerspannungen lockerte, wird heute eine aktive früh-funktionelle, kombinierte Nachbehandlung angestrebt.Die 1994 erfolgte Zusammenfassung dieser beiden Be-rufsbilder in Ausbildung und Praxis zum Physiothera-peuten, vielfach mit Spezialschulung in der Sportphysio-therapie, hat eine wesentliche qualitative Bereicherungerbracht. Dies führte dann weiter zur Medizinischen Trai-ningstherapie (MTT) mit speziellen Kenntnissen der The-rapeuten über neuromuskuläre Zusammenhänge (pro-priozeptive neuromuskuläre Facilitation – PNF) mitWechsel von isometrischen und isotonischen Kontraktio-nen sowie anschließender Entspannung - häufig in Formvon Partnerübungen. Das statische Stretching mit passi-ver Muskeldehnung ist risikoärmer als das dynamische,welches vor allem in den späteren Stadien der Rehabilita-tion eingesetzt wird. Auch die Unterscheidung von Übun-gen in geschlossenen Bewegungsketten mit Fixierung desdistalen Körpersegmentes (z.B. Klimmzüge oder Liege-stütze) im Gegensatz zu Übungen in offenen Verfahrenmit Fixation des proximalen Körpersegmentes (z.B.Streckübungen der Kniegelenke im Sitzen oder Zug-übungen) haben unterschiedliche Indikationen. Isokineti-sche Trainingsprogramme mit entsprechenden Geräten,moderne Dokumentations- und Auswertungsmöglichkei-

Prävention – Rehabilitation

Abbildung 5: Patellaluxation mit Flakefrak-tur Patella und med. Retinaculumriss im MRIsagittal und transversal

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Orthopädisch-traumatologische Impulse Übersichten

ten sind weitere wichtige Programme in der Rehabilitati-on. Diesen Entwicklungen wird auch von Seiten der Kran-kenversicherungen zunehmend Rechnung getragen durchdas Konzept einer Erweiterten Ambulanten Physiothera-pie (EAP) u.a. nach Operationen (z.B. Endoprothesen,Osteosynthesen, Bandplastiken etc.), bei Gelenkinstabi-litäten oder Wirbelsäulenproblemen. Der behandelndeArzt stimmt dabei kooperativ die einzelnen Maßnahmenmit dem Krankengymnasten (Sport-Physiotherapeuten)und Sportlehrer ab, um auch die Kostenübernahme vonden Trägern zu beantragen. Ähnlich ist auch das Angeboteiner speziellen intensiven Rehabilitation nach Sportver-letzungen in bestimmten Altersgruppen. Der Rehabilitati-onssport kann sich dann - häufig in Gruppen - anschließen,wobei hier inzwischen sehr fundiert organisierte Gelenk-schulen (Rücken-, Schulter-, Hüft- oder Knieschulen) ent-wickelt wurden. In diesem Bereich sind auch die speziel-len Rehabilitationsprogramme nach Endoprothesenim-plantation zu sehen. Während früher nach Hüft- undKnieprothesen Bewegungen und Belastungen nur äußerstvorsichtig gesteigert wurden, stellt sich heute schon dieFrage nach Art und Intensität sportlicher Belastbarkeit imSinne einer gehobenen Lebensqualität (8).

Die orthopädisch-traumatologische Sportmedizin hat inden letzten Jahrzehnten große Veränderungen erlebt.Neben den weiter entwickelten klinischen diagnosti-schen Verfahren sind vor allem durch die Sonographieund die Kernspintomographie neue Möglichkeiten ins-besondere für die Weichteildiagnostik entwickelt wor-

Fazit und Ausblick

den. Kapselband- und Meniskusverletzungen, Sehnen-degenerationen und Knorpelschäden können hierdurchmit entsprechenden therapeutischen Konsequenzen ge-nau beurteilt werden. Insbesondere die minimalinvasivearthroskopische, aber auch endoskopische Chirurgie hatvöllig neue Dimensionen eröffnet und u.a. dazu geführt,dass die über Jahrzehnte übliche immobilisierende Be-handlung nach konservativen oder operativen Verfah-ren zu Gunsten einer frühfunktionellen Nachbehand-lung weit gehend verlassen werden konnte. Neuere Er-kenntnisse über die Bandheilung und Knorpelrestitutionhaben auch im Rahmen der konservativen Therapie zufrüher Bewegung mit dosierter Belastung geführt. Einequalifizierte Rehabilitation durch speziell ausgebildeteSportphysiotherapeuten im Team mit Arzt, Sportlehrerund Trainer hat eine frühe, risikoarme Wiedereingliede-rung nach Verletzungen in Training und Wettkampf mitsich gebracht. Viele Erkenntnisse aus der Behandlungvon Leistungs- und Breitensportlern kommen inzwi-schen allen Patienten zugute. Die Rehabilitation beiGelenkerkrankungen, Wirbelsäulenbeschwerden odernach Endoprothesenversorgung kann durch gezielteMaßnahmen des Sports mit Eigenaktivierung des Pa-tienten zu bisher nicht bekannten guten Resultatenführen.

Eine immer weitere Spezialisierung von Ärzten undTherapeuten, ein weiterer Ausbau der minimalinvasivenEingriffe und neue Erkenntnisse in der Grundlagenfor-schung ( „tissue engeneering“ und Gentechnologie) wer-den im Rahmen der Globalisierung rasch weitere Fort-schritte bringen. Zunehmend werden auch im operativenBereich viele Eingriffe im ambulanten Sektor und in spe-

Abbildung 6: Minimalinvasive Achillessehnen-OP , Versorgung mit Variostabilschuh

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Übersichten Orthopädisch-traumatologische Impulse

ziellen Zentren beim insgesamt mobilen Patienten durch-geführt. Durch Sport kann viel Motivation, Freude undGesundheit im Leben gewonnen werden. Die Schädendurch Immobilisation in allen Bereichen sind insgesamtungleich größer als die Folgen von Sportverletzungen,welche durch einen weiteren Ausbau präventiver Maß-nahmen weiter reduziert werden können.

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Korrespondenzadresse:Prof. Dr. med. habil. Dr. h.c. mult. Klaus Steinbrück

Orthopädische Klinik Stuttgart - BotnangRegerstr. 1

70195 StuttgartE-Mail: [email protected]