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Überblick 33 Mithilfe der Femtosekunden-Spektroskopie las- sen sich atomare Bewegungen in Molekülen zeitaufgelöst beobachten. Seit kurzem ist es mit speziell geformten Femtosekunden-Laserpulsen sogar möglich, über diese bloße Beobachtung hinauszugehen, „von außen“ steuernd einzu- greifen und den Ablauf molekularer Dynamik „mikroskopisch“ gezielt zu beeinflussen. Durch den Einsatz lernender Algorithmen mit experi- menteller Rückkopplung lassen sich komplexe Licht-Materie-Wechselwirkungen in vielen Anwendungsbereichen optimieren. In diesem Artikel wird schwerpunktmäßig die Quanten- kontrolle der Femtochemie, also die Steuerung chemischer Prozesse auf einer Femtosekunden- Zeitskala, diskutiert. S chon seit langem träumt man davon, chemische Reaktionen auf molekularer Ebene aktiv zu steu- ern, also beispielsweise ausgewählte chemische Bindungen in einem Molekül zu brechen oder zu er- zeugen [1]. Da die Methoden der „konventionellen“ Chemie jedoch vor allem auf makroskopischen Steuer- parametern wie Temperatur, Druck, pH-Wert und Konzentration basieren, ist im Allgemeinen nur eine indirekte Einflussnahme auf den Reaktionsprozess möglich. Basierend auf statistischen Vorgängen, den inkohärenten Stößen zwischen den beteiligten Mo- lekülen, wird versucht, das Gleichgewicht zwischen Edukten und Produkten geeignet zu verschieben. Der eigentliche molekulare Reaktionsablauf ist nicht verän- derbar. Ein direkter Eingriff in die molekulare Dyna- mik könnte daher völlig neue Wege eröffnen und eventuell die effiziente und gezielte Synthese auch komplexer chemischer Substanzen bei gleichzeitiger Reduzierung unerwünschter Nebenprodukte ermög- lichen. In diesem Zusammenhang weist die Anwendung von Licht interessante Perspektiven auf. Durch ent- sprechende Photoanregungen sollte es möglich sein, Potentialbarrieren zu überwinden oder zu umgehen. Die Erfolge der „traditionellen“ Photochemie sind je- doch durch die Komplexität der molekularen Potential- flächen begrenzt. Diese Potentialflächen müssen im Allgemeinen als Funktionen der Ortskoordinaten aller beteiligten Atome betrachtet werden und ergeben so ein komplexes multidimensionales „Gebirge“. Wenn sich nach klassischer Vorstellung das System zeitlich entlang des steilsten Potential- gradienten entwickelt, so ist anschaulich klar, dass eine photoinitiierte Reaktion nicht notwendigerweise zum gewünschten Endprodukt hin ab- läuft. Neuen Auf- wind erhielt die Photochemie durch die Erfin- dung der ersten Laser vor nunmehr 40 Jahren. Man wollte die Frequenz der anregenden schmalbandi- gen Laserstrahlung exakt auf die Eigenschwingungsfrequenz der zu spaltenden Bindung einstellen und diese durch die auftretende Reso- nanzabsorption und die damit verbundenen hohen Schwingungs- amplituden aufbrechen. Dieses Konzept der so genannten „moden- selektiven Chemie“ ist leider nur in Ausnahmefällen erfolgreich, da in aller Regel die Kopplung der ver- schiedenen Schwingungsmoden des angeregten Moleküls die zugeführte Energie so rasch umverteilt („intramolecular vibrational energy redistri- bution“, IVR), dass bis zum Zeitpunkt des vorgesehe- nen Bindungsbruchs keine selektive Schwingungs- anregung mehr vorhanden ist. Der Laser bewirkt dann effektiv nur ein teures „Aufheizen“ des gesamten Mo- leküls. Die Entwicklung der Quantenkontrolle Aufgrund der Kohärenzeigenschaften der Laser ist es jedoch möglich, eine selektive Steuerung mithilfe quantenmechanischer Interferenzeffekte zu erzielen. Bei dieser so genannten „Quantenkontrolle“ („quan- tum control“) versucht man, die spektral-zeitlichen Ei- genschaften des angewendeten kohärenten Lichtfeldes so geschickt zu wählen, dass eine gegebene quanten- mechanische Wellenfunktion in eine bestimmte Ziel- wellenfunktion überführt wird. Die quantenmecha- nisch kohärente (phasenrichtige) Manipulation des Systems erlaubt es, aus der Vielzahl theoretisch mögli- cher Trajektorien durch das komplexe Potentialgebirge Ultrakurzzeitphysik Laser-optimierte Femtochemie Quantenkontrolle durch lernfähige Femtosekunden-Laser Tobias Brixner und Gustav Gerber Dipl.-Phys. Tobias Brixner und Prof. Dr. Gustav Gerber, Physikalisches Insti- tut der Universität Würzburg, Am Hub- land, 97074 Würz- burg, E-Mail: gerber@physik. uni-wuerzburg.de Physikalische Blätter 57 (2001) Nr. 4 0031-9279/01/0404-33 $17.50+50/0 © WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 2001 Abb. 1: Die Photodissoziation lässt sich auf Quantenebene kontrollieren: Durch die Anregung mit speziell gestalteten Licht- feldern (rot) wird ein molekulares Wel- lenpaket selektiv in bestimmte Endkanäle (blau oder gelb) gesteuert. Die Laser-Mo- lekül-Wechselwirkung ist nicht auf den ersten Anregungsprozess beschränkt, sondern kann im Allgemeinen während der zeitlichen Entwicklung des Wellenpa- kets andauern.

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Mithilfe der Femtosekunden-Spektroskopie las-sen sich atomare Bewegungen in Molekülenzeitaufgelöst beobachten. Seit kurzem ist es mitspeziell geformten Femtosekunden-Laserpulsensogar möglich, über diese bloße Beobachtunghinauszugehen, „von außen“ steuernd einzu-greifen und den Ablauf molekularer Dynamik„mikroskopisch“ gezielt zu beeinflussen. Durchden Einsatz lernender Algorithmen mit experi-menteller Rückkopplung lassen sich komplexeLicht-Materie-Wechselwirkungen in vielenAnwendungsbereichen optimieren. In diesemArtikel wird schwerpunktmäßig die Quanten-kontrolle der Femtochemie, also die Steuerungchemischer Prozesse auf einer Femtosekunden-Zeitskala, diskutiert.

Schon seit langem träumt man davon, chemischeReaktionen auf molekularer Ebene aktiv zu steu-ern, also beispielsweise ausgewählte chemische

Bindungen in einem Molekül zu brechen oder zu er-zeugen [1]. Da die Methoden der „konventionellen“Chemie jedoch vor allem auf makroskopischen Steuer-parametern wie Temperatur, Druck, pH-Wert undKonzentration basieren, ist im Allgemeinen nur eineindirekte Einflussnahme auf den Reaktionsprozessmöglich. Basierend auf statistischen Vorgängen, deninkohärenten Stößen zwischen den beteiligten Mo-lekülen, wird versucht, das Gleichgewicht zwischenEdukten und Produkten geeignet zu verschieben. Dereigentliche molekulare Reaktionsablauf ist nicht verän-derbar. Ein direkter Eingriff in die molekulare Dyna-mik könnte daher völlig neue Wege eröffnen undeventuell die effiziente und gezielte Synthese auchkomplexer chemischer Substanzen bei gleichzeitigerReduzierung unerwünschter Nebenprodukte ermög-lichen.

In diesem Zusammenhang weist die Anwendungvon Licht interessante Perspektiven auf. Durch ent-sprechende Photoanregungen sollte es möglich sein,Potentialbarrieren zu überwinden oder zu umgehen.Die Erfolge der „traditionellen“ Photochemie sind je-doch durch die Komplexität der molekularen Potential-flächen begrenzt. Diese Potentialflächen müssen imAllgemeinen als Funktionen der Ortskoordinaten allerbeteiligten Atome betrachtet werden und ergeben soein komplexes multidimensionales „Gebirge“. Wennsich nach klassischer Vorstellung das System zeitlich

entlang des steilsten Potential-gradienten entwickelt, so istanschaulich klar, dass einephotoinitiierte Reaktionnicht notwendigerweisezum gewünschtenEndprodukt hin ab-läuft. Neuen Auf-wind erhielt diePhotochemiedurch die Erfin-dung der ersten Laservor nunmehr 40 Jahren.Man wollte die Frequenzder anregenden schmalbandi-gen Laserstrahlung exakt auf dieEigenschwingungsfrequenz der zuspaltenden Bindung einstellen unddiese durch die auftretende Reso-nanzabsorption und die damitverbundenen hohen Schwingungs-amplituden aufbrechen. DiesesKonzept der so genannten „moden-selektiven Chemie“ ist leider nur inAusnahmefällen erfolgreich, da inaller Regel die Kopplung der ver-schiedenen Schwingungsmoden desangeregten Moleküls die zugeführte Energie so raschumverteilt („intramolecular vibrational energy redistri-bution“, IVR), dass bis zum Zeitpunkt des vorgesehe-nen Bindungsbruchs keine selektive Schwingungs-anregung mehr vorhanden ist. Der Laser bewirkt danneffektiv nur ein teures „Aufheizen“ des gesamten Mo-leküls.

Die Entwicklung der QuantenkontrolleAufgrund der Kohärenzeigenschaften der Laser ist

es jedoch möglich, eine selektive Steuerung mithilfequantenmechanischer Interferenzeffekte zu erzielen.Bei dieser so genannten „Quantenkontrolle“ („quan-tum control“) versucht man, die spektral-zeitlichen Ei-genschaften des angewendeten kohärenten Lichtfeldesso geschickt zu wählen, dass eine gegebene quanten-mechanische Wellenfunktion in eine bestimmte Ziel-wellenfunktion überführt wird. Die quantenmecha-nisch kohärente (phasenrichtige) Manipulation desSystems erlaubt es, aus der Vielzahl theoretisch mögli-cher Trajektorien durch das komplexe Potentialgebirge

Ultrakurzzeitphysik

Laser-optimierte FemtochemieQuantenkontrolle durch lernfähige Femtosekunden-Laser

Tobias Brixner und Gustav Gerber

Dipl.-Phys. TobiasBrixner und Prof.Dr. Gustav Gerber,Physikalisches Insti-tut der UniversitätWürzburg, Am Hub-land, 97074 Würz-burg, E-Mail: [email protected]

Physikalische Blätter57 (2001) Nr. 40031-9279/01/0404-33$17.50+50/0© WILEY-VCH Verlag GmbH,D-69451 Weinheim, 2001

Abb. 1:Die Photodissoziation lässt sich aufQuantenebene kontrollieren: Durch dieAnregung mit speziell gestalteten Licht-feldern (rot) wird ein molekulares Wel-lenpaket selektiv in bestimmte Endkanäle(blau oder gelb) gesteuert. Die Laser-Mo-lekül-Wechselwirkung ist nicht auf denersten Anregungsprozess beschränkt,sondern kann im Allgemeinen währendder zeitlichen Entwicklung des Wellenpa-kets andauern.

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jene Pfade herauszusuchen (also konstruktiv interferie-ren zu lassen), welche zum gewünschten Ergebnisführen. Dies lässt sich am Beispiel der Photodissoziati-on eines linearen Moleküls ABC (Abb. 1) illustrieren,da hier die Potentialfläche als Funktion von lediglichzwei Koordinaten (den beiden Bindungslängen AB undBC) darstellbar ist. Bei geeigneter Wahl des Lichtfeldesführt die zeitliche Entwicklung des photogeneriertenWellenpakets (rot) selektiv entweder zur Spaltung derAB-Bindung (gelb) oder zur Spaltung der BC-Bindung(blau).

Das Forschungsgebiet der Quantenkontrolle wurdezu Beginn im Wesentlichen durch drei verschiedeneAnsätze geprägt, die im Folgenden kurz beschriebenwerden. Obwohl diese Konzepte auf den ersten Blickrecht unterschiedlich erscheinen, ist heutzutage klar,dass sie lediglich verschiedene Aspekte einer allgemei-nen Vorgehensweise betonen.

Das von Brumer und Shapiro vorgeschlagene Ver-fahren [2] basiert darauf, Interferenzen zwischen ver-schiedenen lichtinduzierten Reaktionswegen auszunut-zen (Abb. 2a). Dies kann beispielsweise geschehen, in-dem simultan zwei (kontinuierliche) Laserfelder derFrequenzen v und 3v eingestrahlt werden, welcheAnfangs- und (energetisch entartete) Endzustände imEnergieabstand 3�v koppeln. Wird die relative PhaseDo = ov–o3v der beiden Laserfelder geändert, so vari-ieren auch die Wahrscheinlichkeitsamplituden der bei-den möglichen Reaktionspfade (Absorption eines Pho-tons der Frequenz 3v oder Absorption dreier Photonender Frequenz v) zwischen den Grenzfällen konstrukti-ver und destruktiver Interferenz. Dies entspricht denbekannten Erscheinungen quantenmechanischer Dop-pelspaltexperimente. Unter Ausnutzung der in aller Re-gel unterschiedlichen Phasenabhängigkeiten der Inter-ferenzen in den verschiedenen Endkanälen �J⟩ und�J'⟩ lassen sich die relativen und absoluten Populatio-nen dieser Zustände modulieren. Dieses Verfahrenwurde experimentell an Atomen und kleinen Mole-külen demonstriert und „coherent control“ genannt[3]. Bei der deutschen Übersetzung „kohärente Kon-trolle“ ist „Kontrolle“ also im Sinne von „Steuerung“zu sehen und nicht im Sinne von „Überprüfung“.

Eine weitere Methode der Quantenkontrolle mole-kularer Dynamik wurde von Tannor, Kosloff und Ricevorgeschlagen [4] und lässt sich am einfachsten imZeitraum beschreiben (Abb. 2b). Mit Hilfe eines ultra-kurzen (und daher spektral breiten) „Pump“-Laser-pulses (grüner Pfeil) wird zunächst zum Zeitpunkt t0

durch die kohärente Kopplung mehrerer Vibrationsmo-den des untersuchten Moleküls ein Vibrationswellen-

paket auf einer elektronisch angeregten Potentialflächeerzeugt. Die zeitliche Propagation dieses Wellenpakets(gemäß den molekularen elektronischen Eigenschaf-ten) entspricht einer klassischen Schwingung bestimm-ter Atome des Molekülverbands gegeneinander. Wennnach einer gewissen Zeit t1 oder t2 die molekulareKonfiguration günstig ist, die zu brechende Bindung al-so bildlich gesprochen gerade stark gedehnt ist, dannwird durch einen zweiten ultrakurzen „Dump“-Laser-puls (einer der beiden roten Pfeile) das Wellenpaket inden entsprechenden dissoziativen Endkanal �J⟩ oder�J'⟩ transferiert, der im Allgemeinen auf einer anderenelektronischen Potentialfläche liegt. Auch diese Tech-nik wurde erfolgreich zur Steuerung der Fragmenta-tionsprozesse kleiner Moleküle eingesetzt [5].

Eine dritte Kontrolltechnik wurde von Bergmannund Mitarbeitern entwickelt [6] und ist unter dem Na-men STIRAP („stimulated Raman adiabatic passage“)bekannt (Abb. 2c). In der ursprünglichen Formulierungwerden zwei zeitlich abgestimmte Laserwechselwirkun-gen zum Populationstransfer in Dreizustands-L-Syste-men benutzt. Ein so genannter „Pump“-Laser koppeltAnfangszustand �1⟩ und Zwischenzustand �2⟩, ein „Sto-kes“-Laser Zwischenzustand �2⟩ und Endzustand �3⟩.Bei entsprechender Intensität der beiden Laser ist esmöglich, effizienten Transfer von �1⟩ nach �3⟩ zu erzie-len, indem zuerst der Stokes- und dann erst der (zeit-lich teilweise überlappende) Pumplaser angewendetwerden. Eine genauere Analyse zeigt, dass hierdurchdie Population in �2⟩ während der ganzen Zeit gleichNull bleibt. Damit können Verluste �V⟩ über dissipativeKanäle aus dem Zwischenzustand heraus vermiedenwerden.

In den beschriebenen Verfahren wird jeweils eineVariable geändert (der Phasenunterschied zweier kon-tinuierlicher Laser oder der Zeitabstand zweier Laser-pulse), um das untersuchte System zu kontrollieren. Imallgemeinen Fall größerer Moleküle mit komplexen Po-tentialenergieflächen reichen aber diese einfachen Me-thoden nicht aus. Man kann sich vorstellen, dass exaktan das vorliegende Problem angepasste elektrischeFeldverläufe benötigt werden. Diese Möglichkeit wurdezuerst von Rabitz und Mitarbeitern theoretisch unter-sucht [7]. Mithilfe der so genannten „optimalen Kon-trolltheorie“ („optimal control theory“) werden elektri-sche Feldverläufe berechnet, die ein Wellenpaket auchauf komplexen multidimensionalen Potentialflächen inden gewünschten Endkanal steuern. Wegen der ultra-schnellen Zeitskala der Atombewegungen erfordertdieses Vorhaben elektrische Felder mit zeitlichenStrukturen entsprechender Kürze, also speziell „ge-formte“ Femtosekunden-Laserpulse. Bildlich gespro-chen sollen dem Molekül durch den speziell ange-passten zeitlich strukturierten spektralen Gehalt einesLaserpulses zu jedem Zeitpunkt der Wellenpaketbewe-gung die für die gewünschten Übergänge notwendigenLichtfrequenzen angeboten werden. Die Kohärenzbe-ziehungen zwischen den einzelnen Vibrationsmodenwerden so laufend geeignet angepasst. Kohärenz-zerstörende Prozesse (durch spontane Emission oderintermolekulare Stöße) laufen zumindest in der Gas-phase verglichen mit der Dissoziation auf einer viellangsameren Zeitskala ab. Somit ist es auch bei diesemSzenario angebracht, von „kohärenter Kontrolle“ zusprechen, selbst wenn sich die „Form“ der Wellenpake-te während des Reaktionsverlaufs eventuell drastischändert.

Abb. 2:Es gibt drei Metho-den zur kohären-ten Kontrolle, de-nen die Variationeines einzelnenSteuerparameterszugrunde liegt: diePhasenkontrollevon Brumer undShapiro (a), dieZeitkontrolle vonTannor, Kosloffund Rice (b) sowiedie STIRAP-Kon-trolle von Berg-mann et al. (c)(siehe Text).

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Kohärente Kontrolle quantenmechanischer SystemeWenn man die Komplexität des Problems in Be-

tracht zieht, stellt sich die Frage, in welchem Rahmenein quantenmechanisches System (eventuell mit vielenFreiheitsgraden) überhaupt kontrolliert werden kann.Huang, Tarn und Clark haben in ihren theoretischenArbeiten schon 1983 einen Existenzbeweis für dieMöglichkeit vollständiger quantenmechanischer Kon-trolle abgeleitet [8]. Unter der hinreichenden (abernicht notwendigen) Bedingung, dass das betrachteteSystem in Abwesenheit externer Felder ein diskretesSpektrum aufweist, ist es grundsätzlich immer möglich,mit Hilfe stückweise konstanter elektrischer Felder ei-nen Anfangszustand beliebig genau in einen gegebenenEndzustand zu transferieren. Diese Aussage bildet einewichtige theoretische Stütze für die kohärente Kontrol-le, liefert allerdings kein Rezept, wie sich die erforder-lichen Felder tatsächlich finden lassen. In der Praxiswerden außerdem oszillierende (Licht-)Felder mit ei-ner gegebenen maximalen Intensität und spektralenVerteilung eingesetzt. Mit der optimalen Kontrolltheo-rie sucht man dann den unter diesen Bedingungenbestmöglichen Verlauf. Im Allgemeinen gibt es dabeieine große Anzahl lokaler Optima, deren Abweichun-gen vom globalen Optimum aber häufig sehr geringsein können. Von einem pragmatischen Standpunktaus betrachtet ist es daher in vielen Fällen schon eben-so „sinnvoll“, eines der lokalen Optima zu finden.

Die Berechnung elektrischer Felder mit anschließen-der experimenteller Überprüfung wird auch als Verfah-ren mit „offener Schleife“ („open loop“) bezeichnet. Ei-ne große Schwierigkeit dabei ist, dass für reale, größereMoleküle die Potentialflächen meist nicht genau genugbekannt sind und sich somit auch die notwendigenelektrischen Felder nicht berechnen lassen. Daher wur-de 1992 von Judson und Rabitz unter dem Titel „Tea-ching lasers to control molecules“ eine „geschlosseneSchleife“ („closed loop“) vorgeschlagen [9], in welcherdie experimentellen Ergebnisse direkt in das Optimie-rungsverfahren eingebunden werden (Abb. 3). Mit ge-formten ultrakurzen Laserpulsen sollte das untersuchteSystem angeregt, die Ausbeute der entstehenden Pho-toprodukte gemessen und die daraus gewonnene Infor-mation in einem Optimierungsalgorithmus verwendetwerden, um verbesserte Laserpulsformen zu erzeugen.So sollte Schritt für Schritt ein geeigneter Laserpulsentwickelt werden, ohne dass zu Beginn des Verfah-rens irgendwelche Informationen über das Moleküloder den Reaktionsmechanismus vorliegen müssen.Der jeweils nächste Iterationsschritt einer Optimierungfindet an einem „neuen“, aber identisch präpariertenquantenmechanischen System statt. Man spricht daherauch von einer Lernschleife („learning loop“), in dererst nach Ablauf eines vollständigen Steuerungsprozes-ses das Ergebnis bewertet wird, mit dem Ziel, es imnächsten Versuch unter den gleichen Anfangsbedin-gungen „besser“ zu machen, also dazuzulernen. Ausder makroskopischen Welt der Steuer- und Regelungs-technik kennt man das von den Lernalgorithmen zuunterscheidende Verfahren der Rückkopplungsschleife(„feedback loop“), in der die Steuerparameter in Echt-zeit so angepasst werden, dass bestimmte Messgrößenvorgegebene Bereiche erreichen. Dort wird also nichtmit einem ganzen Ensemble von Teilchen, sondern miteinem einzigen System gearbeitet, was sich im Fall derSteuerung molekularer Dynamik aufgrund der kurzen

Zeitskalen weitaus schwieriger, wenn überhaupt, reali-sieren ließe.

Das Erreichen eines bestimmten Endzustands („tar-get control“) ist nicht die einzig denkbare Anwendungder Quantenkontrolle. Darüber hinaus kann man ver-suchen, die optimierten elektrischen Felder zu benut-zen, um etwas über das untersuchte System zu lernen,also letztendlich um Reaktionsmechanismen aufzu-klären. Diese Fragestellung wird auch als die Inversi-onsaufgabe („problem of inversion“) bezeichnet [10].Der Nutzen speziell geformter elektrischer Felder fürdie Lösung dieser Aufgabe ist anschaulich klar: Durchden kontrollierbaren Anregungsprozess lassen sich spe-ziell geformte quantenmechanische Wellenpakete er-zeugen, welche die zu untersuchenden Potentialflächenviel spezifischer abtasten können als jene Wellenpake-te, die durch ungeformte Laserpulse erzeugt wurden.Damit wird prinzipiell eine Fülle neuer Informationenzugänglich, die mit geeigneten Algorithmen ausgewer-tet werden können.

Die experimentelle Realisierungder optimalen Quantenkontrollewurde ermöglicht durch die Ent-wicklung so genannter Femtosekun-den-Pulsformer in den Gruppen vonHeritage, Weiner und Nelson [11].Mit dieser Technologie können diegeforderten zeitlich gezielt struktu-rierten Laserpulse erzeugt werden.Nachdem die Methode der „lernen-den“ (oder auch „adaptiven“) Fem-tosekunden-Pulsformung zunächstvon Wilson und Mitarbeitern ein-gesetzt wurde, um die Fluoreszenz-Effizienz eines Farbstoffes zu maxi-mieren [12], gelang unserer Gruppeschließlich die automatisierte Steu-erung von molekularen Photodisso-ziationsreaktionen in der Gasphase[13–15]. Es ist im Rahmen diesesArtikels nicht möglich, alle weite-ren in der Literatur bekannten Anwendungen aufzu-führen, darum sollen stellvertretend nur einige Beispie-le genannt werden. In atomaren Systemen etwa wur-den Zweiphotonenabsorptionen gesteuert [16],geformte Rydberg-Wellenpakete präpariert [17] sowiedie Effizienz bei der Erzeugung hoher Harmonischergesteigert [18]. Vierwellenmischexperimente mit ge-formten Laserpulsen wurden zur Kontrolle molekularerVibrationsdynamik in der Gasphase durchgeführt [19],und auch in der flüssigen Phase gelang die selektiveAnregung molekularer Vibrationsmoden [20].

Experimentelle RealisierungIm Folgenden beschreiben wir die Technik der „ler-

nenden“ kohärenten Kontrolle mit Anwendungsbei-spielen auf dem Gebiet der Steuerung photochemischerProzesse (Abb. 4). Als Ausgangsbasis dient in unseremLabor ein kommerzielles Titan-Saphir-Lasersystem,das Laserpulse von 1 mJ Energie und 80 fs Dauer beieiner Zentralwellenlänge von 800 nm und einer Repe-titionsrate von 1 kHz erzeugt. Diese Laserpulse werdenin einem so genannten Pulsformer [11, 21] spektralphasenmoduliert. Dazu wird das aufgrund der Heisen-bergschen Unschärferelation bei kurzen Pulsen ent-sprechend breite Spektrum in einem so genanntenNulldispersionskompressor in seine Bestandteile zer-

Abb. 3:Bei der lernenden optimalen Kontrollenach Judson und Rabitz werden experi-mentelle Ergebnisse direkt in das Opti-mierungsverfahren eingebunden. So lässtsich ein geeigneter Laserpuls Schritt fürSchritt entwickeln.

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legt und anschließend wieder zusammengesetzt. In derzentralen Symmetrieebene können die spektralen Pha-sen und Amplituden mithilfe eines Flüssigkristalldis-plays (LCD) manipuliert werden. Durch Anlegen geeig-neter Spannungen an die verschiedenen LCD-Pixellassen sich die Brechungsindizes individuell ändern,sodass die einzelnen Wellenlängenkomponenten beimDurchlaufen der LCD-Schicht optische Verzögerungengegeneinander erfahren (spektrale Phasenmodulation).Amplitudenmodulationen lassen sich über eine zweiteLCD-Schicht in Verbindung mit einem Polarisator rea-lisieren. Entsprechend den Eigenschaften der Fourier-Transformation führen die spektralen Phasen- und Am-plitudenmodulationen zu einer Vielzahl möglicher zeit-licher Verläufe von Intensität und Phase.

Die modulierten Laserpulse werden dann beispiels-weise in einen Molekularstrahl der zu untersuchendenSubstanz fokussiert und lösen dort verschiedene Frag-mentations- und Ionisationsprozesse aus. Die Ausbeuteder einzelnen Photoprodukte wird mithilfe eines Flug-zeit-Massenspektrometers bestimmt und schließlich imSteuercomputer ausgewertet. Da es aufgrund der un-vorstellbar großen Zahl von ca. 10400 Einstellungsmög-lichkeiten (bedingt durch die in unserem Fall 128 un-abhängigen LCD-Pixel, die mit einer Auflösung vonjeweils 12 Bit angesteuert werden) unmöglich ist, allevom Pulsformer generierbaren Muster einzeln auszu-testen, muss ein geeignetes Suchverfahren eingesetztwerden. Wir verwenden dafür einen so genannten evo-lutionären Algorithmus [21, 22]. Diese Art von Algo-rithmus ist an die Konzepte der natürlichen Evolutionangelehnt und wurde in den Ingenieurswissenschaftenentwickelt. Typische Einsatzgebiete sind Optimierungs-probleme, die zu komplex sind, um einfache Modell-rechnungen zuzulassen. In unserer Implementierungwird jeder mögliche Laserpuls zunächst durch eine „ge-netische Konfiguration“ charakterisiert, also beispiels-weise durch die Spannungen, die an den einzelnenLCD-Pixeln im Pulsformer angelegt werden. In der Na-tur besitzen besser an die Umwelt angepasste Vertretereiner Spezies im Kampf ums Dasein einen Vorteil ge-genüber ihren Artgenossen. Dies führt zu einer natürli-chen Selektion, die auch als „survival of the fittest“ be-zeichnet wird. Genetisch bevorzugte Individuen habendaher verstärkt die Möglichkeit, ihre guten Eigenschaf-ten an Nachkommen weiterzuvererben. In unseremFall wird die Messung der Photoproduktausbeuten be-nutzt, um die individuelle „Fitness“ eines Laserpulseszu bestimmen und entsprechend für die „Fortpflan-zung“ auszuwählen oder zu verwerfen. Im Fortpflan-zungsprozess wird genetisches Material (Spannungender einzelnen LCD-Pixel) ausgewählter Laserpulse mit-hilfe von „Kreuzungs-“ und „Mutationsoperatoren“ zuneuem Erbgut „rekombiniert“. Einige der so erzeugtenNachkommen sind dann besser an die Umwelt ange-passt als ihre Eltern und vermitteln dies wiederum andie Folgegeneration. Wegen des ständigen Selektions-prozesses steigt die durchschnittliche Fitness im Laufeder Evolution an, und der genetische Code nähert sicheiner „Optimalkonfiguration“, d. h. der zugeordneteLaserpuls ist schließlich optimal dazu in der Lage, diePhotoprodukte der chemischen Reaktion in der ge-wünschten Ausbeute zu erzeugen.

BeispieleDie Methode der automatisierten kohärenten Kon-

trolle soll nun an einigen experimentellen Beispielenerläutert werden. Im ersten Fall betrachten wir dasmetallorganische Molekül CpFe(CO)2Cl (wobei Cp =Cyclopentadienyl = C5H5), welches verschiedene che-mische Bindungstypen aufweist. Nach Lichtanregungmit Femtosekunden-Laserpulsen werden verschiedeneFragmentationskanäle beobachtet. Wir haben die bei-den Produkte CpFeCOCl+ und FeCl+ ausgewählt undihr Verzweigungsverhältnis mithilfe des evolutionärenAlgorithmus sowohl maximiert als auch minimiert. DieOptimierungsergebnisse sind in Abb. 5 dargestellt. Ei-ne Analyse der Massenspektren ergab, dass es tatsäch-lich möglich ist, das CpFeCOCl+/FeCl+-Verhältnis zwi-schen etwa 5:1 und 1:1 „umzuschalten“, indem speziellgeformte Laserpulse eingestrahlt werden. Die zeitli-chen Verläufe der elektrischen Felder zeigen sehr kom-

Abb. 4:Experimenteller Aufbau der automati-sierten kohärenten Kontrolle. Ein Femto-sekunden-Pulsformer (rechts) erzeugtdurch Modulation der spektralen Phasespeziell geformte Laserpulse, welchedann an einem Molekularstrahl (links)verschiedene Dissoziations- und Ionisa-tionsprozesse auslösen. Die entstehendenPhotoprodukte werden mit einem Flug-zeitmassenspektrometer quantitativ nach-gewiesen. Ein Computer-Algorithmusverarbeitet die gemessenen Ausbeutenund vergleicht sie mit dem vom Benutzer

vorgegebenen Optimierungsziel. Auf die-ser Basis werden verbesserte Steuerfelderermittelt, welche dann erneut von demPulsformer generiert und experimentellam Molekularstrahl getestet werden.Wird diese Schleife häufig genug durch-laufen, hat der Steuercomputer die opti-malen Pulsformen ohne vorheriges Wis-sen über die untersuchten Moleküleselbsttätig erlernt, und die Dissoziationwird auf molekularer Ebene selektiv undoptimal gesteuert.

Abb. 5:Kohärente Kontrolle der Photodissozia-tion von CpFe(CO)2Cl. Das Verhältniszweier ausgewählter Fragmente (CpFe-COCl+/FeCl+) kann durch speziell ge-formte Femtosekunden-Laserpulse gezielt

gesteuert werden. Die elektrischen Feld-verläufe führen entweder zu einer Maxi-mierung (blau) oder zu einer Minimie-rung (orange) des Produktverhältnisses.

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plexe Strukturen, die offenbar die Wellenpaketdynamikim CpFe(CO)2Cl-Molekül geeignet steuern. Der evolu-tionäre Algorithmus wurde jeweils mit zufälligen Gen-konfigurationen gestartet. Die chemisch voneinanderund vom Ausgangsmolekül verschiedenen Produktekonnten also mit signifikant veränderbaren Ausbeutenerzeugt werden, ohne dass zusätzliche Informationenüber Molekülpotentiale oder Reaktionsmechanismenerforderlich waren. Das Optimum wird jeweils unterden gegebenen experimentellen Randbedingungen undKontrollzielen gefunden. Wir haben dieses Verfahrenerfolgreich auf eine Reihe weiterer Moleküle (Fe(CO)5,CH2ClBr, CpFe(CO)2Br, Milchsäure CH3CHOH-COOH) angewendet. Eine Komplexitätsanalyse im Falldes CpFe(CO)2Cl ergibt, dass sich der Mechanismusdieser Steuerung nicht durch einfache Intensitätsvaria-tionen erklären lässt, sondern dass tatsächlich spezielleE(t)-Verläufe notwendig sind [15].

Im folgenden Experiment wird gezeigt, dass dieAnalyse optimierter elektrischer Felder auch ohne spe-zielle Inversionsalgorithmen neue Erkenntnisse überdie photoinduzierten Prozesse liefern kann. In diesemFall wurde die Einfachionisation in atomarem Kalziumoptimiert. Betrachtet man das Energieniveauschemavon Ca (Abb. 6b) bei einer Laserwellenlänge von 800nm, so erkennt man, dass vier nichtresonante Photo-nen zur Ionisation erforderlich sind. Aufgrund dieserNichtlinearität vierter Ordnung sollte man daher er-warten, dass bei gegebener Laserpulsenergie ein mög-lichst intensives elektrisches Feld, also ein möglichstkurzer Laserpuls generiert wird. Erstaunlicherweisewird aber eine optimale Einfachionisation mit im We-sentlichen linear positiv „gechirpten“ (und damit auchweniger intensiven) Laserpulsen beobachtet (Abb. 6a).Die momentane Lichtfrequenz, d. h. die zeitliche Ab-leitung der zeitlichen Phase, steigt im Lauf des Laser-pulses an. Die Erklärung hierfür liegt darin, dass dasIonisationspotential (Ip) aufgrund der ponderomotivenVerschiebung (Up = e2E2/4mv2, wobei E die elektrischeFeldstärke und v die Lichtfrequenz bezeichnet) durchdas Lichtfeld proportional zur Intensität ( � E2) energe-tisch angehoben wird (Abb. 6b, strichpunktierte Linie).Nun ist aber die Dichte der ionischen Kontinuums-Endzustände nahe der Ionisationsschwelle am größten.Für einen optimalen Populationstransfer sollte also dieEnergie der vier absorbierten Photonen möglichst andie Energiedifferenz zwischen Grundzustand und Ioni-sationsschwelle angepasst werden. Die optimierte La-serpulsform erfüllt gerade diese Bedingung. Wie durchdie gestrichelten Linien angedeutet, sind zu Beginn desLaserpulses vor allem Photonen mit geringeren Energi-en (rote Pfeile) vorhanden. Die zunehmende Verschie-bung der Ionisationsschwelle wird dann durch anstei-gende Photonen-Energien (blaue Pfeile) ausgeglichen,und eine optimierte Ca+-Ausbeute wird generiert. Mankann also in diesem Beispiel anhand optimierter elek-trischer Felder ablesen, wie der entsprechende pho-toinduzierte Prozess effizient abläuft.

Im Hinblick auf die synthetisch-chemische Anwen-dung der kohärenten Kontrolle stellt sich die Frage,wie die beschriebenen Verfahren wegen der erforderli-chen höheren Teilchendichte von Atom- und Moleku-larstrahlen auf die flüssige Phase übertragen werdenkönnen. Von prinzipiellem Interesse ist dabei, wie sichdie molekulare Wellenpaketdynamik wegen möglicherWechselwirkungsprozesse mit dem umgebenden Lö-sungsmittel ändert. Praktische Herausforderungen be-

treffen vor allem die Wahl eines geeigneten Rückkopp-lungssignals. Die durch einen bestimmten Laserpuls er-zeugten Photoprodukte sollen schnell und quantitativnachgewiesen werden. Methoden der optischen Spek-troskopie erscheinen hierfür geeignet. Ein erstes Expe-riment zur lernenden Quantenkontrolle in Flüssigkei-ten wurde von Wilson und Mitarbeitern anhand derAnregungsoptimierung in einem Laserfarbstoff durch-geführt [12].

Als Ausgangspunkt für Optimierungsexperimente inder flüssigen Phase haben wir einen elektronischenTransferprozess in [Ru(dpb)3](PF6)2 (wobei dpb = 4,4’-Diphenyl-2,2’-Bipyridin), gelöst in Methanol, gewählt.Durch die Absorption zweier 800-nm-Photonen kannin diesem Chromophor ein Metall-Ligand-Ladungs-transfer („metal-to-ligand charge transfer“, MLCT) aus-gelöst werden. Nach der Relaxation in den Triplett-Zu-stand geht das Chromophor durch spontane Emission

in den Grundzustand über (Abb. 7a). Dieses Emissi-onssignal (um 650 nm) kann als Maß für die ursprüng-liche Population des 1MLCT-Zustands betrachtet wer-den. Die MLCT-Anregung erfolgt durch einen nicht re-sonanzunterstützten Zweiphotonenschritt und weistsomit in diesem speziellen Beispiel eine dominante In-tensitätsabhängigkeit zweiter Ordnung auf. Eine direk-te Optimierung des Emissionssignals führt entspre-chend zu optimal kurzen Laserpulsen. Von Interesse istjedoch, Eigenschaften der Struktur des 1MLCT-Zu-stands mithilfe der Optimierung elektrischer Felder ab-zufragen. Dieses Vorhaben lässt sich realisieren, indemein rein quadratisch intensitätsabhängiges Signal zur„Normierung“ der Fitnessfunktion benutzt wird. Geeig-net ist hier die Erzeugung der zweiten Harmonischen(„second harmonic generation“, SHG) des geformtenLaserpulses in einem nichtlinearen Kristall, da dort nurein strukturloser virtueller Zwischenzustand erreichtwird. Bei den durchgeführten Optimierungen des Emis-sion/SHG-Verhältnisses wird daher die Intensitätsab-hängigkeit aufgrund ihrer Präsenz in Zähler und Nen-ner des Rückkopplungssignals herausgekürzt, und dieoptimierten Pulsformen zeigen die speziellen Eigen-

Abb. 6:Optimierung der Einfachionisation inatomarem Kalzium. Die Wigner-Darstel-lung (a) gibt die Wahrscheinlichkeit (alsodie Intensität) dafür an, in einem be-stimmten (kleinen) Zeitintervall Photo-nen aus einem bestimmten Frequenzin-tervall zu finden. Blaue Bereiche entspre-chen positiven, rote Bereiche negativenWerten dieser „Frequenz-Zeit-Phasen-raumdichte“. Aufgrund der Unschärfe-relation müssen die Werte der Wigner-

Verteilung jeweils über endliche Interval-le integriert werden, sodass nur positiveWahrscheinlichkeiten übrigbleiben. DasKalzium-Niveauschema (b) lässt einequalitative Deutung der optimalen Puls-form zu, da die im Lauf der Zeit anstei-genden Photonen-Energien gerade dieponderomotive Verschiebung des Ionisa-tionspotentials von Ip nach Ip+Up ausglei-chen.

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schaften des 1MLCT-Zustands an. In anderen Mo-lekülen ist diese „Normierung“ eventuell nicht erfor-derlich. Die Entwicklung des Emission/SHG-Verhält-nisses bei der automatisierten Maximierung und Mini-mierung ist in Abb. 7b gezeigt. Man erkennt, dass hiertatsächlich eine Steuerung möglich ist. Die Mechanis-men der SHG-Erzeugung und des MLCT-Prozessessind also verschieden, und die wiederum in 128 unab-hängigen Parametern optimierten elektrischen Felder(hier nicht gezeigt) können erfolgreich zwischen ihnenunterscheiden.

Zukünftige Entwicklungen und weitere EinsatzgebieteDie bislang durchgeführten Quantenkontrollexpe-

rimente in der flüssigen Phase stellen einen erstenSchritt dar, den alten Traum der auf molekularer Ebenesteuerbaren synthetischen Chemie zu verwirklichen.Die Frage der dabei erzielbaren Produktausbeuten lässtsich nur schwer allgemein beantworten, da die relevan-ten Mehrphotonen-Wirkungsquerschnitte meist unbe-kannt sind. Einfache Abschätzungen zeigen aber, dassman mit einem Lasersystem im Labormaßstab für Mo-leküle einiger hundert Atommassen durchaus in denBereich von einigen Mikrogramm bis Milligramm proTag gelangen könnte. Da die Synthese komplexer che-mischer Verbindungen nach konventionellen Metho-

den häufig viele einzelne Reaktionsschritte erfordert,könnten mithilfe der kohärenten Kontrolle diese Reak-tionswege eventuell „abgekürzt“ oder effizienter durch-schritten werden. Eventuell könnten durch diese Me-thode sogar neue Reaktionswege gefunden werden, andie man zuvor gar nicht gedacht hatte (wie am Beispieldes Kalzium illustriert). Weitere Möglichkeiten bietensich über den Einsatz von Photokatalysatoren, diedurch speziell geformte Laserpulse in ihrer Wirkungoptimiert werden. Auch die Synthese von Molekülenbestimmter Chiralität unter Verwendung der adaptivenPulsformung wird derzeit heiß diskutiert.

Eine technologische Anwendung der lernendenPulsformung ist die Optimierung von Laserpulsen auskommerziellen Femtosekunden-Lasersystemen. Ohnezusätzlichen Justageaufwand ist es mithilfe eines Puls-formers möglich, bandbreitebegrenzte (also optimal

kurze) Laserpulse (oder auch komplexere Pulsfolgenund -formen) vollautomatisch erzeugen zu lassen, ohnedass vorher eine Charakterisierung der für die nichtoptimalen Pulse verantwortlichen Phasenfehler erfor-derlich ist [21]. Denkbar sind auch Anwendungen inder nichtlinearen Mikroskopie, beispielsweise in derMehrphotonen-Fluoreszenzmikroskopie. Der Einsatzvon Femtosekunden-Lasern hält hier aufgrund geringerLaserpulsenergien die thermische Belastung des unter-suchten Materials klein, wobei kurze Pulsdauern unddie damit verbundenen hohen Spitzenintensitäten ho-he Übergangsraten und damit hohe Fluoreszenzaus-beuten mit sich bringen. Der erzielbare Kontrast kanndurch den Einsatz speziell geformter Femtosekunden-Laserpulse nochmals gesteigert werden, da die Anre-gungswahrscheinlichkeiten (und damit auch die resul-tierenden Fluoreszenzsignale) der unterschiedlichen zumikroskopierenden Substanzen von den eingestrahltenPulsformen abhängen [16], wie auch am oben gezeig-ten Beispiel des Ruthenium-Komplexes illustriert wur-de. Auf diese Weise wäre es beispielsweise möglich, be-stimmte Materialien selektiv zum Leuchten anzuregen,während andere Bestandteile der Probe weitgehenddunkel bleiben. Zudem kann die beim Durchlaufen derProbe oder der verwendeten Optiken auftretende La-serpulsveränderung aufgrund der Materialdispersionautomatisch „vorkompensiert“ werden. Ähnliche Über-legungen lassen sich auf die Gebiete der Mikromateri-albearbeitung oder der Laserchirurgie übertragen.Auch hier ist es denkbar, mit Hilfe speziell angepassterPulsformen die Wechselwirkungen auf bestimmte Mo-lekülgruppen/Gewebebestandteile abzustimmen. ImBereich der Telekommunikation bieten Femtosekun-den-Pulsformer ebenfalls Einsatzmöglichkeiten [11],wenn Datenpakete in optische Pulsformen codiert undwieder entschlüsselt werden. Auf dem Gebiet der Glas-faserübertragung von Femtosekunden-Laserpulsenkann der Pulsformer zudem eingesetzt werden, umDispersionseffekte auszugleichen.

Die technologischen Möglichkeiten zur Verwirkli-chung dieser Ziele sind gegeben, und die ersten Schrit-te auf einem neuen Forschungsgebiet sind getan. Eshängt jetzt vom Maß finanzieller und personeller Inve-stitionen ab, wie schnell der alte Traum der auf mole-kularer Ebene gezielt steuerbaren Synthese chemischerSubstanzen unter gleichzeitiger Verringerung uner-wünschter Nebenprodukte tatsächlich Realität werdenkann. Die Benutzung „lernender“ Computeralgorith-men mit anschließender Analyse der Ergebnisse ermög-licht neue Methoden wissenschaftlicher Forschung.Diese Perspektiven stellen neue Herausforderungen anExperiment und Theorie.

DanksagungUnser Dank gilt an dieser Stelle den zahlreichen

Mitarbeitern, die durch ihr fortwährendes Engagementdie oben dargelegten Experimente ermöglichten. Be-sonderen Anteil haben T. Baumert (jetzt UniversitätKassel) mit seiner ständigen Motivation und Unterstüt-zung sowie A. Assion, M. Bergt, N. H. Damrauer, B.Kiefer, V. Seyfried und M. Strehle. Theoretische Unter-stützung durch V. Engel und P. Lambropoulos waraußerordentlich hilfreich. Finanzielle und wissen-schaftliche Hilfe erhielten wir außerdem durch denSonderforschungsbereich 347 der Universität Würz-burg („Selektive Reaktionen Metall-aktivierter Mo-leküle“), das DFG-Schwerpunktprogramm „Femtose-

Abb. 7:Optimierung der [Ru(dpb)3]

2+-Emissionin Methanol. �� a) Zweiphotonenanregung des 1MLCT-Zustands mit geformten Laserpulsenführt zu einem schnellen Systemübergang(„intersystem crossing“) nach 3MLCT

und schließlich zu spontaner Emission. �� b) Das Emission/SHG-Verhältnis alsFunktion der Optimierungsgeneration fürdie Maximierung (blau), die Minimierung(rot) und für ungeformte Laserpulse(schwarz).

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kunden-Spektroskopie elementarer Anregungen inAtomen, Molekülen und Clustern“, das „EuropäischeNetzwerk für kohärente Kontrolle (COCOMO)HPRN-CT-1999-00129“ sowie den „Fonds der Chemi-schen Industrie“.

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