Umgang mit dem Tod und mit der eigenen Endlichkeit Inhalte/PDF/umgan… · Beschreibung nach John...

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Seite 1 www.uniklinikum-dresden.de Umgang mit dem Tod und mit der eigenen Endlichkeit Fortbildung der SozialarbeiterInnen der Tumorberatungsstellen, Bad Elster, 9. September 2011 Ulrich Braun, Projekt Medizinethik MK1, UKD

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Umgang mit dem Tod

und mit der eigenen Endlichkeit

Fortbildung der SozialarbeiterInnen der Tumorberatungsstellen, Bad Elster, 9. September 2011

Ulrich Braun, Projekt Medizinethik MK1, UKD

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Blaise Pascal 1623-1662

Da die Menschen unfähig waren, Tod, Elend, Unwissenheit zu

überwinden, sind sie, um glücklich zu sein, übereingekommen,

nicht daran zu denken.

Das einzige, was uns in unserem Elend tröstet, ist die

Zerstreuung, …

… und dabei ist sie es, die uns grundsätzlich hindert, über uns

selbst nachzudenken, die uns unmerklich verkommen lässt.

Sonst würden wir uns langweilen, und diese Langeweile würde

uns antreiben, ein besseres Mittel zu suchen, um sie zu

überwinden. Die Zerstreuungen aber vergnügen uns und

geleiten uns unmerklich bis zum Tode

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Susan Sontag 1933-2004

Krankheit als Metapher, 1978

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Gesichter

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Gesichter

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Die Situation

Konfrontation mit:

Angst

Unsicherheit

Hoffnung

Fragen: Was ist möglich?

Was ist realistisch?

Unklaren Erwartungen

… und mit der eigenen Sterblichkeit

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Ron Mueck - In Bed 2005

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DIe Frage nach dem Sinn

My idea for a short story about, uhm, people in Manhattan, who, uh, are constantly creating these real, unnecessary neurotic problems for themselves, 'cause it keeps them from dealing with more unsolvable, terrifying problems about the universe. Uhm, let's, uh, well, it has to be optimistic. Well, why is life worth living? That's a very good question. Uhm, well, there are certain things I-I guess that make it worthwhile. Uh, like what? Okay. Uhm, for me, ah, ooh, I would say - what, Groucho Marx, to name one thing. Uh, uhmm, and Willie Mays, and uhm, uh, the Second Movement of the Jupiter Symphony. And uhm, Louis Armstrong recording Potatohead Blues. Uhm, Swedish movies, naturally, Sentimental Education by Flaubert, uh, Marlon Brando, Frank Sinatra. Uhm, those incredible apples and pears by Cézanne. Uh, the crabs at Sam Wo's. Uhm, Tracy's face...

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I. Analysen

II. Perspektiven

III. Strategien

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Was passiert, wenn der Patient fragt?

Warum ist das eine so schwierige Situation?

Empathie Professionelle Aufgabe:

Balance von Nähe und Distanz

Empathie und Selbstschutz

Begleitung und Abgrenzung

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Das Problem mit der Empathie

Empathie strebt auf eine Art Ausgleich der Situation: „Geteiltes Leid ist halbes Leid“

Die Situation ist aber wesenhaft zutiefst asymmetrisch krank-gesund „Laie“-„Experte“ ggfs. ungleiche Information

Eine gelingende maximale Annäherung oder ein Ausgleich der

Gefühle zwischen Patient und Pflegendem ist weder möglich

noch wünschenswert

Schlimmstenfalls wird der Pflegende handlungsunfähig und der Patient erhält

gerade nicht das, was er dringend brauchtbraucht: professionelle Hilfe

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Was erwarten Klienten von Beraterinnen und Beratern?

Möglicherweise alles:

Gesund machen

Gute Nachrichten überbringen

Trösten

etc.

Jedenfalls befürchte wir das, wenn wir einem Klienten mit schlechter Prognose begegnen

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Was können Patienten/Klienten und Angehörige zu Recht von

Beraterinnen und Beratern erwarten?

- Aufrichtigkeit

- Anteilnahme

- Zuwendung

- Aushalten

- Garantie stabiler Rahmenbedingungen

- Trost (?), Zurückhaltung, Einfühlungsvermögen

- soziale und kulturelle Kompetenzen

- gegebenenfalls religiöses Wissen

- ästhetisches Gespür

- … in jedem Falle, dass sie nicht zum ersten Mal mit dem Thema „eigene Endlichkeit“ konfrontiert sind

-

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Professioneller Umgang mit Patienten

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Klassische Einteilung der Sterbephasen nach Elisabeth Kübler-Ross 1926-2004

aus: On Death and Dying, New York 1969

- Nichtwahrhabenwollen, Verleugnung (denial)

- Zorn, Protest (anger)

- Verhandeln (bargaining)

- Depression, Niedergeschlagenheit, Rückzug (depression)

- Akzeptanz (acceptance)

Kritik:

Die einzelnen Phasen treten nicht notwendigerweise und schon gar nicht

notwendigerweise in der genannten Reihenfolge auf. Einzelne Phasen können

entfallen, andere mehrfach auftreten. Eine Abfolge kann also weder

chronologisch behauptet noch darf sie in irgend einer Weise hierarchisch

gedacht werden oder gar normativen Charakter erhalten.

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Aufgaben und Schwierigkeiten für Patienten Beschreibung nach John Hinton, Whom do dying patients tell, British Medical Journal 1980

etwa 80% der Sterbenden spüren den nahen Tod bzw. die Aussichtslosigkeit

der Krankheitsbehandlung lange bevor sie mit einem Arzt oder Angehörigen

darüber reden:

Zugleich stellen sich ihnen große adaptive Aufgaben:

- Dem Leben einen Sinn geben und mit negativen Gefühlen

umgehen (gegenüber Vergangenem, sich selbst gegenüber

oder hinsichtlich wichtiger Bezugspersonen)

- den Verlust der äußeren Welt und der körperlichen Integrität

zu betrauern

- körperliche Veränderungen, Schmerzerleben, Verletzung des

Selbstwertgefühls akzeptieren

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Strategien des Umgangs – Coping- und Abwehrstrategien:

Coping:

in der Regel aktive, überwiegend bewusst gewählte und

realitätsorientierte Formen des Auseinandersetzung mit der

Krankheit und dem drohenden Tod

Abwehrmechanismen:

Vorwiegend unbewusste und die Realität verzerrende Formen

der Auseinandersetzung

beide Konzepte sind komplementär zueinander

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Was hilft am meisten?

Was hilft am ehesten?

Am häufigsten trifft man eine Haltung irgendwo dazwischen an „middle knowledge“ (Carol S. Weisman, Social Science & Medicine, Vol. 20, 11/1985

- eher günstig ist eine bewusste Auseinandersetzung mit der

eigenen Situation

- eher ungünstig sind Resignation, Depression, Fatalismus,

Vermeidung, Verleugnung, Schuldzuschreibungen und

Hoffnungslosigkeit

- ob die jeweilige Haltung einen Einfluss auf die

Überlebensdauer hat, ist umstritten

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Welche Gefühle aktiviert das Thema Tod und Sterben

Ängste:

- Ängste hinsichtlich der eigenen Sterblichkeit

- Ängste in Bezug auf unbeherrschbare Situationen mit dem

Sterbenden (Schmerzen, emotionale Ausbrüche,

Unerreichbarkeit)

- Versagensängste bei Arztinnen und Ärzten

Schuldgefühle auf Seiten der Überlebenden

- Bei den Angehörigen

- aber auch bei Ärztinnen und Ärzten (siehe auch

Versagensängste)

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Professioneller Umgang mit sich selbst

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Wo stehen Patienten?

Was wissen Patienten?

Was befürchten Patienten?

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„Bewältigungsstrategien“ und Risiken auf Seiten von Pflegenden:

- Vermeidung des Kontakts mit Sterbenden

z.B. kürzere Visitendauer, verzögerte Reaktion auf das Klingeln des Patienten

- Verleugnung

z.B wenn dem Patienten unrealistische Therapien in Aussicht gestellt werden

- Flucht in medizinische und pflegerische Überaktivität

z.B. unnötige Diagnostik und Therapie

- Entmündigung, Versachlichung

z.B. durch Vermeidung des direkten Ansprechens des Patienten

- Verlust von Distanz bzw. Identifikation

gelegentlich bei Patienten, die in Alter und Geschlecht dem Behandler nahe stehen

- Resignation und Beziehungsabbruch

z.B. durch Kontaktvermeidung, evtl. Verlegung

- schuldhaft erlebte Euthanasie- und Todeswünsche

- Verschiebung und Austragung von Teamkonflikten

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Faustregeln:

1. Wir können nicht trösten

2. Wir können aber aushalten und da sein

3. Wir dürfen uns nicht entziehen

4. Wir müssen uns nicht überfordern

5. Wir sind mit vielen Reaktionen (Ärger, Wut, aber auch dem Wunsch nach Nähe über den in der Klinik gesetzten Rahmen hinaus) nicht als Personen gemeint

6. Wir müssen keine Antworten auf prinzipiell nicht zu beantwortende Fragen geben

7. Wir können aber die Fragen ernst nehmen und mit Empathie aushalten

8. Wir dürfen unsere Möglichkeiten nicht überschätzen

9. Wir sollten unsere Möglichkeiten auf keinen Fall unterschätzen

10. Ein Glas Wasser, eine organisatorische Hilfeleistung und eine angezündete Kerze zur rechten Zeit ist sehr wertvoll

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Ressourcen zur Bewältigung

- Kommunikation in Stations- Pflegeund Beratungsteams

- Supervision (Team- oder Einzelsupervision)

- achtsamer Umgang mit sich selbst

- dazu gehört: Wahrnehmung von Warnsignalen (z.B. für

Burnout)

- Reflektieren der eigenen Vorstellungen von Tod und Sterben

- Finden der persönlichen Distanz zum Thema

- Reflektieren der empfindlichen Stellen

- Entlastung durch Kultur, Hobby, Humor ...

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Das Universum expandiert

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… aber Brooklyn expandiert nicht

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Die Frage nach dem Sinn

… in nachreligiöser Zeit

These: Sinn ist dort,

wo Zusammenhang ist

Vier Dimensionen von Sinn

1. Sinn in Beziehung (Familie, Freunde, Beruf)

2. Sinn und Sinnlichkeit

3. Sinn in der Erkenntnis

4. Sinn und Transzendenz

Wilhelm Schmid, Philosoph

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DIe Frage nach dem Sinn

My idea for a short story about, uhm, people in Manhattan, who, uh, are constantly creating these real, unnecessary neurotic problems for themselves, 'cause it keeps them from dealing with more unsolvable, terrifying problems about the universe. Uhm, let's, uh, well, it has to be optimistic. Well, why is life worth living? That's a very good question. Uhm, well, there are certain things I-I guess that make it worthwhile. Uh, like what? Okay. Uhm, for me, ah, ooh, I would say - what, Groucho Marx, to name one thing. Uh, uhmm, and Willie Mays, and uhm, uh, the Second Movement of the Jupiter Symphony. And uhm, Louis Armstrong recording Potatohead Blues. Uhm, Swedish movies, naturally, Sentimental Education by Flaubert, uh, Marlon Brando, Frank Sinatra. Uhm, those incredible apples and pears by Cézanne. Uh, the crabs at Sam Wo's. Uhm, Tracy's face...

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DIe Frage nach dem Sinn

My idea for a short story about, uhm, people in Manhattan, who, uh, are constantly creating these real, unnecessary neurotic problems for themselves, 'cause it keeps them from dealing with more unsolvable, terrifying problems about the universe. Uhm, let's, uh, well, it has to be optimistic. Well, why is life worth living? That's a very good question. Uhm, well, there are certain things I-I guess that make it worthwhile. Uh, like what? Okay. Uhm, for me, ah, ooh, I would say - what, Groucho Marx, to name one thing. Uh, uhmm, and Willie Mays, and uhm, uh, the Second Movement of the Jupiter Symphony. And uhm, Louis Armstrong recording Potatohead Blues. Uhm, Swedish movies, naturally, Sentimental Education by Flaubert, uh, Marlon Brando, Frank Sinatra. Uhm, those incredible apples and pears by Cézanne. Uh, the crabs at Sam Wo's. Uhm, Tracy's face...

Kunst und Kultur

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DIe Frage nach dem Sinn

My idea for a short story about, uhm, people in Manhattan, who, uh, are constantly creating these real, unnecessary neurotic problems for themselves, 'cause it keeps them from dealing with more unsolvable, terrifying problems about the universe. Uhm, let's, uh, well, it has to be optimistic. Well, why is life worth living? That's a very good question. Uhm, well, there are certain things I-I guess that make it worthwhile. Uh, like what? Okay. Uhm, for me, ah, ooh, I would say - what, Groucho Marx, to name one thing. Uh, uhmm, and Willie Mays, and uhm, uh, the Second Movement of the Jupiter Symphony. And uhm, Louis Armstrong recording Potatohead Blues. Uhm, Swedish movies, naturally, Sentimental Education by Flaubert, uh, Marlon Brando, Frank Sinatra. Uhm, those incredible apples and pears by Cézanne. Uh, the crabs at Sam Wo's. Uhm, Tracy's face...

Sinnlichkeit z.B. gutes Essen

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DIe Frage nach dem Sinn

My idea for a short story about, uhm, people in Manhattan, who, uh, are constantly creating these real, unnecessary neurotic problems for themselves, 'cause it keeps them from dealing with more unsolvable, terrifying problems about the universe. Uhm, let's, uh, well, it has to be optimistic. Well, why is life worth living? That's a very good question. Uhm, well, there are certain things I-I guess that make it worthwhile. Uh, like what? Okay. Uhm, for me, ah, ooh, I would say - what, Groucho Marx, to name one thing. Uh, uhmm, and Willie Mays, and uhm, uh, the Second Movement of the Jupiter Symphony. And uhm, Louis Armstrong recording Potatohead Blues. Uhm, Swedish movies, naturally, Sentimental Education by Flaubert, uh, Marlon Brando, Frank Sinatra. Uhm, those incredible apples and pears by Cézanne. Uh, the crabs at Sam Wo's. Uhm, Tracy's face...

Beziehungen

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DIe Frage nach dem Sinn

My idea for a short story about, uhm, people in Manhattan, who, uh, are constantly creating these real, unnecessary neurotic problems for themselves, 'cause it keeps them from dealing with more unsolvable, terrifying problems about the universe. Uhm, let's, uh, well, it has to be optimistic. Well, why is life worth living? That's a very good question. Uhm, well, there are certain things I-I guess that make it worthwhile. Uh, like what? Okay. Uhm, for me, ah, ooh, I would say - what, Groucho Marx, to name one thing. Uh, uhmm, and Willie Mays, and uhm, uh, the Second Movement of the Jupiter Symphony. And uhm, Louis Armstrong recording Potatohead Blues. Uhm, Swedish movies, naturally, Sentimental Education by Flaubert, uh, Marlon Brando, Frank Sinatra. Uhm, those incredible apples and pears by Cézanne. Uh, the crabs at Sam Wo's. Uhm, Tracy's face...

Humor

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Noch einmal bei Pascal nachgefragt:

-Verdrängung

-Zerstreuung

-Reflexion

-Was halte ich aus?

-Was brauche ich?

-Wie erhalte ich mich arbeits- und beziehungsfähig?

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So viel Reflexion

wie möglich

So viel Verdrängung

wie nötig

So viel Zerstreuung

wie gut tut

… und dabei

möglichst

fröhlich bleiben

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Literatur:

Elisabeth Kübler-Ross, On Death and Dying, New York 1969 (deutsch: Interviews mit Sterbenden)

Psychotherapeutischer Umgang mit Todkranken und Sterben im Konsiliardienst, M. E. Beutel, in Arolt/Diefenbacher, Psychatrie in der klinischen Medizin, Darmstadt 2004

Maxie Wander, Leben wär‘ eine prima Alternative, Darmstadt Neuwied 1980

John Hinton, Whom do Dying Patients Tell?, 1980

Carol Weisman, Physician gender and the physician-patient relationship: Recent evidence and relevant questions,Social Science& Medicine, 1985

Susan Sontag, Krankheit als Metapher, 1978

David Rieff, Tod einer Untröstlichen, Die letzten Tage von Susan Sontag, Hanser 2009

Wilhelm SChmid, Philosophie der Lebenskunst, Suhrkamp 2004

Woody Allen, Annie Hall, USA 1978

Ders. Manhattan, USA 1977

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Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.