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Beiträge zum Forum Tunnelbau, Aachen, 18.11.2016 1 Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen Heft x ∙ 2016 Umgang mit den Erfolgsfaktoren bei Projektierung und Bau des Gotthard-Basistunnels Ehrbar, Heinz 1) DB Netz AG, Frankfurt am Main 1) vormals Leiter Tunnel- und Trasseebau Gotthard, AlpTransit Gotthard AG Zusammenfassung Ein Projekt erfolgreich zu realisieren, heisst die anfänglich gestellten Anforderungen an das Pro- jekt vollumfänglich zu erfüllen. Die Projektanforderungen umfassen dabei eindeutig mehr als nur die Anforderungen bezüglich Qualität, Kosten und Terminen. Es gilt auch die Anforderungen der Arbeitssicherheit, zur Schonung der Umwelt, bezüglich Organisation und Prozessen, die Anfor- derungen des Marktes und der öffentlichen Meinung zu berücksichtigen. Der nachfolgende Artikel zeigt auf, mit welchen Überlegungen und Massnahmen die an das Projekt Gotthard-Basistunnel gestellten Anforderungen gemeistert wurden, welches somit wesentliche Erfolgsfaktoren waren. Summary Implementing a project successfully means the complete fulfilment of the initial set of the project requirements. The project requirements include clearly more than just the requirements with regard to quality, costs and deadlines. The requirements of occupational health and safety, of environ- mental protection, with respect to organization and processes, as well as the requirements of the market and of the public opinion need to be considered. This paper shows which considerations and measures were imposed on the Gotthard Base Tunnel Project in order to fulfil the project requirements. An indication on the decisive success factors is given. 1 Projektanforderungen und Erfolgsfaktoren Der Bau von Grossprojekten lässt sich bildlich mit einer schwierigen Bergtour vergleichen. Das Ziel, das Erreichens des Gipfels und die sichere Rückkehr, ist klar formuliert. Dabei will man den Gipfel gesund, mit haushälterischem Einsatz der Kräfte, ohne Umweltschäden zu verursachen und in gutem Einvernehmen mit dem Bergführer erreichen. Der Bergsteiger bereitet sich dementsprechend sorgfältig vor, um diese Ziele zu erreichen (Bild 1). Die Wahl des Bergführers, die Beschaffung der richtigen Ausrüstung, die Analyse der Wettervor- hersage und die richtige Routenplanung sind wesentliche Faktoren, damit das Vorhaben trotz der im Hochgebirge stets lauernden Gefahren möglichst gut gelingt. Analog verhält es sich mit dem Bau von Grossprojekte. Grossprojekte zeichnen sich dadurch aus, dass eine Vielzahl an Projekt- anforderungen zur erfüllen haben.

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Beiträge zum Forum Tunnelbau, Aachen, 18.11.2016 1

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen Heft x ∙ 2016

Umgang mit den Erfolgsfaktoren bei Projektierung und Bau des Gotthard-Basistunnels

Ehrbar, Heinz1)

DB Netz AG, Frankfurt am Main 1) vormals Leiter Tunnel- und Trasseebau Gotthard, AlpTransit Gotthard AG

Zusammenfassung Ein Projekt erfolgreich zu realisieren, heisst die anfänglich gestellten Anforderungen an das Pro-jekt vollumfänglich zu erfüllen. Die Projektanforderungen umfassen dabei eindeutig mehr als nur die Anforderungen bezüglich Qualität, Kosten und Terminen. Es gilt auch die Anforderungen der Arbeitssicherheit, zur Schonung der Umwelt, bezüglich Organisation und Prozessen, die Anfor-derungen des Marktes und der öffentlichen Meinung zu berücksichtigen. Der nachfolgende Artikel zeigt auf, mit welchen Überlegungen und Massnahmen die an das Projekt Gotthard-Basistunnel gestellten Anforderungen gemeistert wurden, welches somit wesentliche Erfolgsfaktoren waren.

Summary Implementing a project successfully means the complete fulfilment of the initial set of the project requirements. The project requirements include clearly more than just the requirements with regard to quality, costs and deadlines. The requirements of occupational health and safety, of environ-mental protection, with respect to organization and processes, as well as the requirements of the market and of the public opinion need to be considered. This paper shows which considerations and measures were imposed on the Gotthard Base Tunnel Project in order to fulfil the project requirements. An indication on the decisive success factors is given.

1 Projektanforderungen und Erfolgsfaktoren Der Bau von Grossprojekten lässt sich bildlich mit einer schwierigen Bergtour vergleichen. Das Ziel, das Erreichens des Gipfels und die sichere Rückkehr, ist klar formuliert. Dabei will man den Gipfel gesund, mit haushälterischem Einsatz der Kräfte, ohne Umweltschäden zu verursachen und in gutem Einvernehmen mit dem Bergführer erreichen.

Der Bergsteiger bereitet sich dementsprechend sorgfältig vor, um diese Ziele zu erreichen (Bild 1). Die Wahl des Bergführers, die Beschaffung der richtigen Ausrüstung, die Analyse der Wettervor-hersage und die richtige Routenplanung sind wesentliche Faktoren, damit das Vorhaben trotz der im Hochgebirge stets lauernden Gefahren möglichst gut gelingt. Analog verhält es sich mit dem Bau von Grossprojekte. Grossprojekte zeichnen sich dadurch aus, dass eine Vielzahl an Projekt-anforderungen zur erfüllen haben.

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Bild 1: Bergsteiger ©bergsteigen.tips

Ein weit verbreiteter Irrtum besteht darin, zu glauben, der Erfolg wäre dann gegeben, wenn die Anforderungen des magischen Dreiecks des Projektmanagements, nämlich die geforderte Quali-tät, das Terminziel und das Kostenziel erfüllt sind. Das Erfüllen dieser Anforderungen ist eine notwendige Voraussetzung für den Projekterfolg, aber keine hinreichende. Für den vollständigen Projekterfolg müssen auch die Anforderungen der Arbeitssicherheit und des Umweltschutzes, die Anforderungen an die Organisation und an die Prozesse, an die lokalen Gegebenheiten (Geologie, Topographie etc.), an die lokalen Marktverhältnisse und die öffentliche Meinung berücksichtigt werden (Bild 2). Grossprojekte reagieren äusserst sensibel darauf, wenn auch nur eine der Anfor-derungen nicht richtig beherrscht wird, wie verschiedene Beispiele zeigen [1]. Das Nichtbeherr-schen einer Anforderung kann ein Projekt verunmöglichen oder aber verzögern und verteuern. Im Extremfall ist die geforderte Funktionalität langfristig nicht gewährleistet.

Im Bild der Bergtour, sind die Projektanforderungen die schwierigen Passagen und allfällig ver-schlechterte Wetterbedingungen, welche zu meistern sind und auf die es gewappnet zu sein gilt.

Bild 2: Projektanforderungen

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Die Erfolgsfaktoren wiederum umschreiben alle Massnahmen zur optimalen Vorbereitung. Aus der langen Geschichte des schweizerischen Tunnelbaus, lassen sich für den Bau von Grossprojek-ten die folgenden Erfolgsfaktoren herleiten [1]:

a) Respekt vor der Aufgabe - Berücksichtigung von Erfahrungen - Zusammenarbeit und Wissensaustausch mit Lehre und Praxis

b) Sorgfältige Projektvorbereitung

- Schaffung eines positiven politischen Umfelds durch Aufzeigen des Projektnutzens und den frühzeitigen Einbezug von Betroffenen

- Schaffung einer stabilen Finanzierung für korrekte und nicht politisch manipulierte Kos-tenangaben

- frühzeitiger Einbezug der Betreiberinteressen - Betriebs-, Unterhalts- und Sicherheitskonzepte als Grundlage für die Bestellung der Pla-

nung

c) Wahl von geeigneten Organisationsformen und optimalen Prozessen - Schaffung einer geeigneten Organisation der Bauherrschaft, der Aufsichtsorgane und der

politischen Behörden - Sicherstellen der aufgabengerechten, eindeutigen und ungeteilten Verantwortung bei klar

zugewiesenen Kompetenzen - Auswahl der am besten geeigneten Planungsteams bei einer fairen Vergütung

d) Konsequentes Qualitäts- und Risikomanagement ab den frühesten Projektphasen

- Schaffung klarer Grundsätze zu Planung und Projektierung (Projektbasis) - das Sicherstellen des 4-Augenprinzips als Bestandteil eines konsequenten Qualitätsmana-

gements - ein konsequentes Risikomanagement (Risikoanalysen und Massnahmenplanung) ab den

frühesten Projektphasen

e) Partnerschaftlichen Umgang mit den Auftragnehmern - Sicherung des partnerschaftlichen Verhaltens durch vertragliche Regelungen - Auswahl des geeignetsten und wirtschaftlich günstigsten Unternehmers über richtig for-

mulierte Eignungs- und Zuschlagskriterien - Widerspruchsfreie Ausschreibungen mit fairer Risikoverteilung zwischen Auftraggeber

und Auftragnehmer - Einbezug eines Streitschlichtungsteams

f) Unternehmens- und Projektkultur unter Berücksichtigung ethischer Prinzipien

- Arbeitssicherheit hat erste Priorität - Durch den frühen Einbezug der Raumplanung, der Architektur und der Umweltschutzor-

ganisationen aus Betroffenen Beteiligte machen. - Etablierung einer nachvollziehbaren Unternehmens- und Projektkultur (VVV- Kultur)

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2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

2.1 Respekt vor der Aufgabe Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Projektverantwortlichen zu Beginn eines Grossprojekts Respekt vor der übernommenen Aufgabe und dem betroffenen Umfeld haben. Man-gelnder Respekt vor der Aufgabe führt zu Übermut und zu Überraschungen oft verbunden mit negativen Auswirkungen. Schon eine an sich geringe Ursache, kann wegen der grossen Hebelwir-kung ein Grossprojekt in arge Schieflage oder gar zum Scheitern bringen, wie die Beispiele im Beitrag von Peter Zbinden zeigen [1].

Die Verantwortlichen des GBT der ersten Stunde waren sich ihrer hohen Verantwortung bewusst und suchten deshalb von Anbeginn den Wissensaustausch mit dem Betreiber des längsten Eisen-bahntunnels in Europa, dem Kanaltunnel (heute Eurotunnel) [1]. Zudem war man sich bewusst, dass beim Projekt Gotthard-Basistunnel anspruchsvolle Fragestellungen zu beantworten waren, welche sich im Grenzbereich der wissenschaftlichen Erkenntnisse befanden (Bild 3). Dies betraf insbesondere einzelne Fragen der baulichen Machbarkeit, aber auch Fragen der Materialtechnolo-gie. Es war deshalb nichts als konsequent, dass die beiden Projektorganisationen am Lötschberg und am Gotthard beschlossen, für die Projektphase gemeinsame Arbeitsgruppen zu bilden, welche sich mit den Fragen der baulichen Machbarkeit (Arbeitsgruppe Bautechnik, Leitung Prof. Dr. Kovári, ETH Zürich) und den speziellen Fragen der Materialtechnologie (Arbeitsgruppe Materi-altechnik, Leitung Prof. Dr. Böhni, ETH Zürich) auseinanderzusetzen hatten. Die Arbeitsgruppen waren gemischt zusammengesetzt, mit Mitgliedern aus dem Bereich der Wissenschaft, Projekt-verfassern, Unternehmervertretern und ausgewählten Experten aus der Praxis und dem Bauherrn.

Bild 3: Geologisches Befundprofil 2011 mit Gebirgstemperaturen

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Die Projektverfasser hatten ihre Projektvorschläge diesen Fachgremien vorzulegen und Lösungen zu suchen, welche von den Arbeitsgruppen gegenüber dem Bauherrn mit positiver Empfehlung mitgetragen wurden. Die Projektverantwortung blieb in ungeteilter Form beim Projektingenieur.

Typische Ergebnisse aus dieser Zusammenarbeit waren die Konzepte zur Durchörterung der bau-technisch schwierigen Zonen in der Piora-Mulde und des nördlichen Tavetscher Zwischenmassivs sowie das Abdichtungs- und Entwässerungskonzept mit der Entwicklung einer neuartigen Qualität an Abdichtungsfolien, welche bei hohen Temperaturen und Drücken eine 100-jährige Lebensdauer zu garantieren haben.

Unter der Devise „ein Weltrekord genügt“, galt der Grundsatz, dass am längsten Verkehrstunnel der Welt keine unnötigen Experimente getätigt werden. Neue technische Lösungen basierten des-halb auf der Weiterentwicklung von bereits bewährter Technik. Für die Durchörterung des nörd-lichen Tavetscher Zwischenmassivs musste für das dort anstehende druckhafte Gebirge mit bisher noch nicht dagewesenen Überlagerungshöhen von bis zu 900 Metern eine Baumethode entwickelt werden. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus dem deutschen Steinkohle-Bergbau und von italienischen und französischen Tunnelbauten in ähnlichen (aber nicht identischen) Verhältnissen wurde ein neuartiges, konsistentes Vortriebskonzept entwickelt (Bild 4). Dieses beruhte auf einem, in der damaligen Fachwelt stark diskutierten, kreisförmigen Vollausbruch, der sofortigen Siche-rung mit einem Felssicherungssystem mit hohem Deformationsvermögen und dem Einsatz wenig verformungsfähiger Stützmittel, wie z.B. Spritzbeton, erst im Bereich der abgeklungenen Defor-mationen. Für alle Elemente des Konzeptes gab es aber schon Erfahrungen. Die Durchörterung des bautechnisch schwierigen 1150 Meter langen nördlichen Tavetscher Zwischenmassivs, mit der geplanten Vortriebsgeschwindigkeit von 1 Meter pro Tag während dreier Jahre, unter Einhal-tung der Kosten- und Terminziele, ist der Beweis für die Richtigkeit der gewählten Lösung.

Bild 4: Konzept und Ausführung der Durchquerung des TZM Nord

Auch bezüglich des Einsatzes der technischen Ausrüstung gab es grossen Respekt. Um das Ge-samtsystem nicht zu „überzüchten“ galt der Grundsatz „so viel wie nötig – so einfach wie möglich“ [1], ein Grundsatz der sich später, auf Grund äusserer Umstände, nicht mehr in der gewünschten Konsequenz umsetzen liess.

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2.2 Sorgfältige Projektvorbereitung Während das Bauprojekt 1975 der SBB zu einem Basistunnelprojekt [2] noch am fehlenden poli-tischen Willen scheiterte, änderte sich die Stimmung nach der Eröffnung des Gotthard-Strassen-tunnels im Jahr 1980 rasch. Die Mitte der Achtziger-Jahre festgestellte Verkehrszunahme im Gü-tertransitverkehr schürte Ängste vor einer Lastwagenlawine auf den schweizerischen Transit-strecken, insbesondere in den engen Alpentälern. Parallel dazu dominierten ökologische Themen die Innenpolitik, wie z.B. die Debatte über das Waldsterben. Das Fenster für eine Entscheidung zu Gunsten der Eisenbahn-Basistunnel-Projekte war eine kurze Zeit offen. Dies wurde vom dama-ligen Verkehrsminister Adolf Ogi erkannt und er liess das Konzept der Neuen Eisenbahn Alpen-transversalen (NEAT) ausarbeiten. Für die Ausarbeitung dieses Konzeptes konnte bezüglich der baulichen Konzepte und der Kostenermittlung auf die hochwertigen Vorarbeiten aus dem Baupro-jekt 1975 der SBB zurückgegriffen werden.

Das NEAT-Konzept mit der Untertunnelung der Schweizer Alpen mit drei Basistunneln (Lötsch-berg, Gotthard und Ceneri) war in jenem politischen Umfeld mehrheitsfähig geworden. Dank dem Konzept der Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene war die Bevölkerung vom Nutzen des Projektes überzeugt und stimmte diesem im Jahr 1992 mit 63.6% Ja-Stimmenan-teil zu. Dank der Verlagerungspolitik des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene wurde das NEAT-Projekt rasch zum grössten schweizerischen Umweltprojekt.

Der endgültige Durchbruch war aber trotz gewonnener Volksabstimmung noch nicht erzielt. Im Gefolge der sich ab 1994 verschlechterten wirtschaftlichen Randbedingungen kam eine intensive Diskussion über die Finanzierbarkeit des Projektes auf. 1992 war die Politik noch davon ausge-gangen, dass die künftigen Nutzergenerationen ihren Anteil an die Investitionen beizusteuern hät-ten, weshalb eine Finanzierung der Investitionen zu 75% über den privaten Kapitalmarkt vorgese-hen war. Neue betriebswirtschaftliche Berechnungen zeigten nun, dass der künftige Betreiber nicht in der Lage sein würde die Zinslast und die Rückzahlungsverpflichtungen zu übernehmen, weshalb neue Finanzierungsmodelle unter Berücksichtigung des volkswirtschaftlichen Nutzens gefunden werden mussten. Mit der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA, Zustimmung 57.2% im Sept. 1998) und der Zustimmung zum Bundesbeschluss über Bau und Finanzierung von Infrastrukturvorhaben des öffentlichen Verkehrs („FinöV-Fonds“, Zustimmung 63.5 % im No-vember 1998) war per Ende 1998 eine langfristig stabile Finanzierung gesichert. Allerdings kam es damit zu einer kräftigen Kostenumverteilung von der künftigen Nutzergeneration zum heutigen Steuerzahler. Die Interessen der Politik und der künftigen Betreiber blieben damit jedoch gewahrt. Mit dem Bau des nun mehrfach etappierten NEAT-Projekts konnte begonnen werden.

2.3 Geeignete Organisationsform und Prozesse Der Bau der NEAT-Achsen in der Schweiz war eine nationale öffentliche Aufgabe, für welche die Exekutive des Landes verantwortlich war. Oberstes Exekutivorgan auf nationaler Ebene ist der schweizerische Bundesrat. Die operative Umsetzungsverantwortung lag beim Departement für Umwelt, Energie, Verkehr und Kommunikation (UVEK) und beim Bundesamt für Verkehr (BAV). Das Parlament, als Vertreter des Souveräns, hatte in diesem Konstrukt die oberste Aufsicht über die Projektrealisierung sicherzustellen. Dazu setzte das Parlament mit der NEAT-Aufsichts-

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delegation (NAD) einen speziellen Ausschuss ein. Die NAD überwachte die Arbeit des Bundes-rates, des Departements (= Ebene Ministerium) und des Bundesamtes für Verkehr. Sie prüfte ins-besondere die Einhaltung der Kosten und Termine, der Kredite und der vom Bund bestellten Leis-tungen sowie der rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen.

Gestützt auf die positiven Erfahrungen beim Bau der S-Bahn Zürich und beim Umbau des Haupt-bahnhofs Zürich wurde für die operative Umsetzung des Projektes von den Schweizerischen Bun-desbahnen (SBB) mit einem entsprechenden Angebot frühzeitig das Besteller - Ersteller – Prinzip vorgeschlagen (Bild 5) und schliesslich gegenseitig vereinbart.

Dieses Beschaffungsprinzip erlaubte eine klare Entflechtung der politischen Verantwortlichkeiten von den unternehmerischen, sorgte für systemimmanente Kontrollen an der Nahtstelle Besteller – Ersteller und damit für ein hohes Mass an Transparenz.

Den grössten Teil der delegierbaren Bauherrenfunktionen übertrug der Bund mittels einer entspre-chenden Vereinbarung an die neu gegründete Projektgesellschaft AlpTransit Gotthard AG [3], welche damit die Erstellerfunktion wahrnahm. In einer zusätzlichen separaten Vereinbarung wur-den zwischen dem Bund und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) die Sicherstellung der Betreiberinteressen geregelt [4].

Bild 5: Das Besteller – Ersteller – Modell

Beim Aufbau der gesamten Projektorganisation wurde darauf geachtet, dass die Aufgaben, Ver-antwortlichkeiten und Kompetenzen in einem gegenseitig ausgewogenen Verhältnis standen (Kongruenzprinzip) und dass die Entscheidungshoheit innerhalb der vereinbarten Zuständigkeiten auf die tiefst mögliche operative Ebene delegiert wurde, um rasche Entscheidungen vor Ort zu ermöglichen (Subsidiaritätsprinzip). So verblieb die gesamte operative Verantwortung konsequent bei den Erstellergesellschaften.

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Es darf die damaligen Verantwortlichen für den Aufbau der Organisation der NEAT-Projekte mit Stolz erfüllen, dass sie den Mut hatten das in hohem Masse handlungsfähige Besteller – Ersteller Modell zu wählen, mit welchem stets rasche und stufengerechte Entscheidungen ermöglicht wur-den. Der Erfolg auf den NEAT Achsen am Gotthard und am Lötschberg hat die Richtigkeit des gewählten Modells bestätigt.

Bild 6 veranschaulicht in vereinfachter Weise die zentrale Funktion der Erstellergesellschaften welche die Steuerungskreisläufe sowohl gegenüber dem Besteller als auch gegenüber den ausfüh-renden Auftragnehmern zu bedienen hatten.

Bild 6: Die Erstellergesellschaft im Zentrum der Projektsteuerungsaktivitäten

Die Aufbau- und die Ablauforganisation (Prozessmodell) wurden auf der Bestellerseite (Bund) als auch auf Erstellerseite (AlpTransit Gotthard AG, ATG) erarbeitet, dokumentiert und in Kraft ge-setzt, bevor überhaupt mit den Projektierungs- und Bauarbeiten im grossen Stil begonnen wurde. Entstanden sind leicht lesbare, praxistaugliche und sich auf das Grundsätzliche beschränkende Anweisungen in Form der NEAT-Controlling-Weisung des Bundes (NCW, Bild 7) und in Form des Projekthandbuchs der ATG.

Tabelle 1: Inhaltsverzeichnis Projekthandbuch ATG

ATG-Handbuch (allgemeiner Teil)

Leitfäden Führungsprozesse Kernprozesse Unterstützungsprozesse

1. Geschäftsführung 2. Risikomanagement 3. Personal 4. Kommunikation 5. Finanzen und Compliance

6. Tunnel- und Trasseebau 7. Bahntechnik 8. Inbetriebsetzung 9. Bewilligungsverfahren 10. Vertragsmanagement 11. Liegenschaftsmanagement 12. Geomatik

13. Dokumentation 14. Informatik 15. Umweltmanagement 16. Arbeitssicherheit 17. Qualitätsmanagement

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Bild 7: Aufbau NEAT – Controlling – Weisung (NCW)

2.4 Konsequentes Qualitäts- und Risikomanagement ab den frühesten Projektphasen

Klare Grundsätze

Die neue Alpentransversale am Gotthard stellte in Anbetracht der Grösse, der langen Bauzeit, der politischen Bedeutung und dem aussergewöhnlich langen Gotthard-Basistunnel für alle Beteilig-ten eine nicht alltägliche Herausforderung dar. Dabei war den Projektverantwortlichen von Anfang an klar, dass das Grossprojekt AlpTransit Gotthard kein Abenteuer werden durfte. Der Bund als Auftraggeber musste sich darauf verlassen können, dass das Projekt so ausgeführt wurde, wie es von Parlament und Volk beschlossen wurde: in der verlangten Qualität, im vorgegebenen Zeitraum und im vereinbarten Kostenrahmen [7].

Es war deshalb selbstverständlich, dass sich die Verantwortlichen schon ab den frühsten Pro-jektphasen intensive Gedanken darüber machten, wie dieses im Brennpunkt des nationalen und internationalen Interesses stehende Bauvorhaben bestmöglich und treffsicher realisiert werden konnte.

Basierend auf der damals gültigen Norm SN EN ISO 8402 „Qualitätsmanagement – Begriffe“ (1994), wurde unter dem Begriff „Qualität“ die Gesamtheit von Merkmalen eines Projektes ver-standen, welche geeignet waren festgelegte oder vorausgesetzte Anforderungen zu erfüllen.

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Die damalige Projektleitung AlpTransit Gotthard der SBB1 und später die AlpTransit Gotthard AG liessen sich bei der Festlegung der Qualitätsforderung vom Grundgedanken leiten, dass die Qualitätskriterien nicht nur die bau- und bahntechnischen sowie betrieblichen Aspekte, sondern zusätzlich auch die zeit- und kostenbezogenen Grössen, aber auch die gesellschaftlichen Anliegen umfassen sollten.

Dementsprechend wurde die Bauwerksqualität wie folgt definiert (SN EN 8602, 1994):

Bauwerksqualität ist die technisch und wirtschaftlich optimale Erfüllung aller festgelegten, vereinbarten und vorausgesetzten Anforderungen des Bestellers an ein Bauwerk in Bezug auf das fertige Produkt, d.h.:

• Bauwerke oder Anlagen (Funktion, Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Ästhetik usw.)

• die Kosten (Investitions-, Betriebs-, Unterhalts und Folgekosten usw.)

• und die Termine (Planungs- und Bauzeit, Nutzungsdauer usw.),

unter angemessener Berücksichtigung der Anliegen der Gesellschaft (Immissionen, Ressourcen, Ökologie usw.).

Alle Projektbeteiligten waren vertraglich verpflichtet das Notwendige zu tun, um die mit den kon-kreten Projektanforderungen festgelegten Qualitätsziele auch zu erreichen. Dadurch entstand ein wirkungsvolles, integrales und projektspezifisches Qualitätsmanagement (PQM).

In Anbetracht der langen Projektdauer wurde das Qualitätsmanagement-System, nie als starres Regelwerk, sondern als ein sich stets weiterentwickelndes Führungsinstrument verstanden, wel-ches Initiative und Innovation fördern sollte. Eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und nicht eine der Schuldzuweisung wurde angestrebt.

Mit der konsequenten Durchsetzung eines systematischen, projektbezogenen Qualitätsmanage-ments (PQM) wollte der Bauherr sicherstellen, dass

a) alle wesentlichen Anforderungen des Bestellers und der öffentlichen Meinung an das Projekt AlpTransit Achse Gotthard rechtzeitig erkannt und während dem Bau und der Nutzung ins-gesamt optimal erfüllt wurden,

b) die Wahrscheinlichkeit von mangelhaften Projektgrundlagen und -annahmen sowie von Fehl-entscheidungen minimal war,

c) die zielrelevanten Projektgefahren erkannt, eliminiert oder wenigstens möglichst geringge-halten und unter Kontrolle gebracht werden konnten, bzw. Chancen genutzt werden

d) und allfällig notwendige Präventiv- und Korrekturmassnahmen rechtzeitig eingeleitet wur-den.

1 Bis Ende 1997 war die Bauherrenfunktion in einer Projektorganisation der Schweizerischen Bundesbah-nen angesiedelt, Projektleitung AlpTransit SBB. Ab 1998 ging diese Organisation in die neu Erstellerorga-nisation „AlpTransit Gotthard AG“ über. Im Zuge dieses Beitrags wird für beide Organisationen der Begriff Bauherr verwendet.

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Das PQM sollte dabei weder als allgemeines «Schmiermittel» flächendeckend eingesetzt werden, noch durfte es die Beteiligten von ihrer Selbstkontrolle und Eigenverantwortung entbinden. Der Bauherr vertrat dementsprechend die Grundhaltung, dass sich das PQM primär auf die wesentli-chen, phasenbezogenen Projektrisiken konzentrieren sollte. Als Projektrisiken wurden die folgen-den besonders gefährdeten Projektanforderungen betrachtet:

• Investitionskosten • Bauzeit • Sicherheit (Bauwerkssicherheit, Arbeitssicherheit, betriebliche Sicherheit) • Dauerhaftigkeit • Gebrauchstauglichkeit • Unterhaltskosten

Die Rangfolge der Projektrisiken war von der betrachteten Projektphase und vom konkreten Bau-vorhaben abhängig. So stellte z.B. die Dauer des Bewilligungs- und Genehmigungsverfahrens vor allem in den Phasen Vor- und Auflageprojekt ein grosses zeitliches Risiko dar während es in den nachfolgenden Phasen Bau- und Ausführungsprojekt praktisch bedeutungslos wurde.

Der Bauherr beauftragte praktisch ausschliesslich ISO 9001-zertifizierte Auftragnehmer, welche somit über ihr eigenes unternehmensbezogene Qualitätsmanagementsystem (UQM) verfügten. Um seiner Vorbildfunktion den Auftragnehmern gegenüber gerecht zu werden, liess sich die Alp-Transit Gotthard AG bei ihrer Gründung im Jahr 1998 nach ISO 9001 zertifizieren. Mit dem ISO-Standard, bauherrenseitigen Vorgaben und der vertraglichen Verpflichtung der Auftragnehmer, diese Vorgaben einzuhalten, stellte der Bauherr sicher, dass ein in sich geschlossenes projektbe-zogenes Qualitätsmanagement entstand (Bild 8).

Bild 8: Das PQM bildet die projektbezogene Klammer über die verschiedenen unterneh-

mensbezogenen Qualitätsmanagementsysteme (UQM)

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Mit diesen Regelungen im Bereich des Qualitätsmanagements im Bauwesen hatte der Bauherr Neuland betreten. Die Auftragnehmer gingen diesen Weg mit hoher Professionalität mit, wie das Beispiel der Arbeitsgemeinschaft Transco Sedrun zeigt. Diese liess ihr Führungssystem gleich zu Beginn der Ausführungstätigkeit im Jahr 2002 ebenfalls nach ISO 9001 zertifizieren. Rückbli-ckend kann festgestellt werden, dass sich die konsequente Anwendung des gewählten Qualitäts-managementsystems eindeutig bewährt hat.

4-Augen-Prinzip

Vier Augen sehen mehr als zwei – eine einfache Tatsache – für die erfolgreiche Abwicklung von Grossprojekten aber von grösster Bedeutung. Die Erstellerorganisation entschloss sich, das Regel-geschäft von einem Team von externen Fachleuten mit internationaler Erfahrung, unabhängig von den projektierenden Ingenieuren, begleiten zu lassen. Dem Bauherrn sollte die Gewissheit gege-ben werden, dass die Risiken von den Projektingenieuren richtig erkannt waren und geeignete bauliche Massnahmen zu deren Beherrschung eingesetzt waren.

Für ausgewählte Risikoschwerpunkte, wie z.B. die langen TBM-Vortriebe in Faido, die Durchör-terung der druckhaften Zonen im Teilabschnitt Sedrun und den Tunnelbau im Gebiet der Stauan-lagen wurden weitere, themenspezifische Arbeitsgruppen, unter Einbezug der zuständigen ETH-Professoren, Unternehmervertretern und der Projektingenieure und örtlichen Bauleitung geschaf-fen. Diese Arbeitsgruppen kamen im Fall von ausserordentlichen Ereignissen als rasche Eingreif-truppe zum Einsatz. Alle Gremien haben wertvolle Beiträge geleistet und wesentlich dazu beige-tragen, dass baulichen Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe abgewendet werden konnten.

Das «Vier-Augen-Prinzip» war unverzichtbarer Teil des Qualitätsmanagements und wurde als echte unabhängige Projektbegleitung gelebt und wurde nicht als „Chefaufsicht“ in der Linienfunk-tion verstanden, welche nicht frei von ökonomischen Sachzwängen gewesen wäre.

Systematisches Risikomanagement ab den frühesten Phasen

Bild 9: Grundprinzip des Risikomanagements [8]

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Die Projektverantwortlichen waren sich vom Projektbeginn an bewusst, dass das vollumfängliche Erfüllen der Projektziele in jedem Prozessschritt gefährdet sein konnte (Bild 9). Nur wer mögliche Gefahren frühzeitig erkennt, kann rechtzeitig und verantwortungsbewusst die notwendigen Mass-nahmen einleiten. Das Risikomanagement war deshalb von Anbeginn an, ein wesentlicher Be-standteil des Projektmanagements. Klar formuliertes Ziel war die Minimierung der Projektgefah-ren und die optimale Nutzung von Chancen.

Dazu wurde ein einfaches, in der Umsetzung aber äusserst wirkungsvolles, semiquantitatives Ri-sikomanagement eingeführt (Bild 10). Semiquantitativ bedeutet, dass die Eintretenswahrschein-lichkeit qualitativ mit drei Kategorien (klein, mittel, hoch) umschrieben wurde, während die Be-wertung des Schadensausmasses, bezüglich Kosten und Zeit in Franken und Monaten bewertet wurde. Diesem System liegt der Gedanke zu Grunde, dass es für viele der baulichen Risiken keine verlässlichen Stichproben gibt, welche eine probabilistische Analyse mit exakten Eintretenswahr-scheinlichkeiten erlauben. Man wollte keinesfalls mit prozentscharfen Wahrscheinlichkeiten eine Genauigkeit vortäuschen, welche es im Bauwesen nicht geben kann. Das angewandte Risikoma-nagement hatte den Vorteil, einfach zu sein und damit allseits, auch auf den Baustellen, akzeptiert und umgesetzt zu werden.

Bild 10: Semiquantitativer Ansatz des Risikomanagements

Obwohl das Risikomanagementsystem einfach war, erlaubte es hochkomplexe Aufgaben zu meis-tern, wie z.B. der Tunnelvortrieb im Bereich der Stauanlagen der Kraftwerke Vorderrhein.

Bei der Wahl der Linienführung des GBT wurde bewusst entschieden, die drei Stauhaltungen der Kraftwerke Vorderrhein im Raum Sedrun – Lukmanier (vgl. Bild 12), nicht direkt zu unterfahren, kannte man doch den schweren Schadenfall aus dem Jahr 1978 bei der Staumauer Zeuzier, als Folge des Baus des Sondierstollens zum Autobahntunnel Rawil [9].

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Eine massive Beschädigung der Staumauern, hätte eine langdauernde Beeinträchtigung der Vor-triebsarbeiten für den GBT mit Kostenfolgen im dreistelligen Millionenbereich und mit Termin-verzögerungen von mehreren Monaten bis Jahren zur Folge gehabt. Aufgrund der entsprechenden Erfahrungen mit der Staumauer Zeuzier wurde die Eintretenswahrscheinlichkeit als „mittel“ ein-gestuft, womit sich ein Risikoniveau von 6 ergab welches zwingend nach Gegenmassnahmen ver-langte. Die folgenden Massnahmen wurden definiert:

Tabelle 2: Massnahmenplanung zum Tunnelbau im Bereich der Stauanlagen

Typ Beschreibung Begründung

Organisatorisch • Einsatz eines Expertengremiums • Enger Informationsaustausch mit dem

Eigentümer der Stauanlagen zur Abstim-mung der Modellvorstellungen und der Massnahmenpläne

• Enger Informationsaustausch mit den Aufsichtsbehörden

• Aufgabenstellung im Grenzbereich der damaligen wissenschaftlichen Er-kenntnis

• Hohes Schadenpotenzial • Verkürzung der Reaktionszeiten

Materiell • Installation eines ganzjährig, täglich messenden Geländeüberwachungssys-tems mindestens zwei Jahre vor Vor-triebsbeginn (Bild 12)

• Jährliche Messung von über 100 km ober- und unterirdischer Präzisions- nivellementsstrecken (Bild 12)

• Sammlung von Erfahrungen über das natürliche Verformungsverhalten, Schaffung einer Datengrundlage zur Modellverfeinerung.

• Planung von Massnahmen zur Behebung von allfälligen Schäden an den Staumau-ern (Injektionen, Entspannungsschnitte)

• Schaffung von Handlungsspielräu-men für den „worst case“

Ressourcen • Vorhalten von Geräten und Materialien, welche Injektionen in klüftigem Gebirge bei hohen Wasserdrücken erlaubten

• Ermöglichung rascher Abdichtungs-massnahmen aus dem Tunnelvortrieb im Fall der Erfordernis

Ab dem Jahr 2000 wurden die Massnahmen während rund 15 Jahren konsequent umgesetzt. Dank dem messtechnischen Überwachungssystem konnte die dem Vortrieb folgende Setzungsmulde im hochalpinen Gelände ganzjährig beobachtet werden (Bild 12). Die kontinuierlich verfeinerten Mo-delle erlaubten es die Gefährdungspotenziale der betroffenen Stauanlagen mit angemessener Ge-nauigkeit vorherzusagen.

Am 13. September 2006 kam es im direkten Einflussbereich der Staumauer Nalps zu einem Was-serzutritt von initial 13 l/s. Wegen des hohen Gefährdungspotenzials wurde während dreier Mo-nate eine Injektionskampagne zur Zuflussreduktion ausgeführt. Die zufliessende Wassermenge konnte auf etwas unter 3 l/s reduziert werden. Die Verformungen der Mauer Nalps blieben stets im akzeptablen Bereich.

Es ist müssig darüber zu diskutieren, ob die Verformungen ohne Injektionen nicht auch im zuläs-sigen Bereich geblieben wären. Angesichts des kritischen Ortes und der Erstmaligkeit des Was-

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sereintritts hätte eine Untätigkeit mit Sicherheit nicht zum notwendigen Vertrauen seitens der Auf-sichtsbehörden und des Kraftwerksbetreibers geführt, dank welchem sich später wesentlich um-fangreichere Massnahmen verhindern liessen.

Bild 11: Wasserzutritt im zum TBM-Vortrieb Faido im Jahr 2010 (links) und Messpfeiler im Val Termine oberhalb der Stauhaltung Santa Maria

Im Sommer 2010 kam es nämlich auf der letzten Strecke der TBM-Vortriebe in Faido im Bereich der höchsten Überlagerungen zu grossen Wasserzutritten (initial über 90 l/s, Bild 11) [9]. Dank der verfeinerten Modelle, den gewonnenen Erfahrungen und den bereits geplanten Massnahmen zur Schadensbeseitigung an der Mauer Santa Maria konnte im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Kraftwerksbetreiber und der Aufsichtsbehörde die ursprünglichen Zuflussgrenzwerte über-schritten und auf langwierige Injektionskampagnen verzichtet werden, obwohl damals an der be-nachbarten Staumauer Nalps bereits Setzungen von rund 4 cm registriert wurden.

Bild 12: Geländeüberwachungssystem (links) und gemessene Setzungsmulde im Jahr 2013 (Nord – Süd – Ausdehnung rund 12 km bei einer Breite von ca. 7 km)

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Ohne die aus dem Risikomanagement hergeleiteten Massnahmen (Tab. 2) wären im Jahr 2010 die zu Projektbeginn festgelegten, tiefen Zuflussgrenzwerte uneingeschränkt einzuhalten gewesen, was zu langwierigen und teuren Injektionskampagnen geführt hätte. Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe und weit über ein Jahr Bauzeitverzögerung wären die Folge gewesen. Dies alles hätte wenige Wochen vor dem bereits kommunizierten Durchschlagsdatum stattgefunden. Mit Si-cherheit wäre dem Projekt nebst erheblichen Mehrkosten auch ein erheblicher Reputationsschaden entstanden. Die Investitionen in die risikomindernden Massnahmen haben sich in diesem Fall mehrfach ausbezahlt.

Künftiger Handlungsbedarf zum Qualitätsmanagement

Für künftige Projekte ergibt sich trotz dem angewandten integralen PQM ein Handlungsbedarf. Dieser betrifft vor allem den Nachweis der einheitlichen Produktequalität. Die am GBT eingesetz-ten Baumaterialien hatten durchwegs die aktuellen Industriestandards zu erfüllen. Trotzdem kam es in Einzelfällen zu Qualitätsproblemen, weil die Industriestandards einer laufenden Entwicklung unterworfen sind. Dieses Phänomen kann bei lang dauernden Projekten zu einer Rechtsunsicher-heit führen. Die vorhandenen Industriestandards sind deshalb eine notwendige Voraussetzung zur Sicherung der geforderten hohen Qualität, hinreichend sind sie aber nicht. Dazu braucht es zusätz-liche Überlegungen:

1. Bei einem Grossprojekt wie dem Gotthard-Basistunnel genügt das Vertrauen in die normge-mässen Qualitätsprüfungen alleine nicht. Der Bauherr muss deshalb aufgrund seiner spezifi-schen Risikoanalyse für systemrelevante Produkte bewusst festlegen, welche Eigenschaften ihm bei diesen Produkten besonders wichtig sind und mit welchen Mitteln (auch bauherren-seitig angeordneten Prüfungen) er den einheitlichen Qualitätsstandard langfristig sicherstellt.

2. Die Dokumentation der Ergebnisse der Qualitätsprüfungen ist im heutigen Bauwesen nicht mehr zeitgemäss. Zur Beantwortung von Fragestellungen zur Qualität eines einzelnen Bau-elementes über das gesamte Objekt, war am GBT das händische Befüllen von Vergleichsta-bellen das Standardwerkzeug (wie in vielen andern Projekten auch). Diese Methode ist auf-wändig und liefert kaum zeitgerechte Resultate. Es ist ein Gebot der Stunde die Dokumentation der eingebauten Qualität, durch den Einsatz neuester digitaler Techniken wie Building Information Management und künstlicher DNA konsequent und systematisch einen grossen Schritt vorwärts zu bringen. „Weg vom Papier – hin zu digitalen Dokumentation“ muss das Motto sein.

2.5 Partnerschaftlichen Umgang mit Unternehmern und Dritten

Frühe Grundlagenarbeit

Wie im Tagungsbeitrag von P. Zbinden gezeigt, gab es in der Geschichte des schweizerischen Tunnelbaus verschieden Beispiele von konfrontativer Projektabwicklung [1]. Im Hinblick auf die Realisierung der AlpTransit-Bauten hat sich deshalb die Schweizerische Bauwirtschaft, an deren Spitze der Schweizerische Baumeisterverband, bereits anfangs der neunziger Jahre für eine part-nerschaftliche Zusammenarbeit stark gemacht. Die Vorschläge fielen bei den Verantwortlichen

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für die Gotthard-Achse auf fruchtbaren Boden. Unter dem Motto „in guten Zeiten an die schlech-ten denken“, gingen die Vertreter von Bauherren, Unternehmern und Planern ans Werk.

Unter der Leitung des Bundesamtes für Verkehr (BAV) und mit starker Mitwirkung des Schwei-zerischen Baumeisterverbandes (SBV), des Bundesamtes für Strassenbau (heute ASTRA), des Kantonsingenieurs Bern, des Baurechtsexperten Prof. Gauch, den Projektingenieuren und den Bahngesellschaften BLS und SBB fand im März 1992 das Seminar „grosse Verkehrsinfrastruk-turvorhaben in der Schweiz“ in Beatenberg statt. Ziel dieses Seminars war die Suche nach einer verbesserten Partnerschaft aller Beteiligter, um faire und möglichst widerspruchsfreie Verträge abschliessen zu können und damit das Potenzial für Spekulationen möglichst gering zu halten.

Aus dem „Beatenberg-Seminar“ heraus entstand die „Arbeitsgruppe Verträge AlpTransit“ welche 1995 zum Schluss kam, dass die bewährte Norm SIA 118 „Allgemeine Bedingungen für Bauar-beiten“ anzuwenden sei. Diese Empfehlung wurde nach eingehender Auseinandersetzung mit den FIDIC-Bedingungen abgegeben. Wegen ihrer Herkunft aus der englischen Baupraxis wurden die FIDIC-Bedingungen als für schweizerische Verhältnisse wenig geeignet beurteilt. Man entschied sich, nicht ohne Not auf das Bewährte zu verzichten, dieses aber wo nötig mit gezielten Massnah-men zu verstärken. Damit wurde der in der SIA 118 seit der Revision 1977 stipulierte partner-schaftliche Ansatz für die kommenden Grossprojekte gesetzt.

Streitschlichtung

Weil die Norm SIA 118 grundsätzlich auf die Realisierung kleinerer und mittlerer Bauvorhaben, nicht aber auf Grossprojekte zugeschnitten war, war deshalb trotzdem Handlungsbedarf angesagt. Die Gruppe „Grosse Infrastrukturbauten Bauwirtschaft “ (GIB) der Schweizerischen Bauwirt-schaftskonferenz verfasste dann 1996 Vorschläge zur Übernahme bewährter ausländischer Ver-tragsregeln wie das Einführen einer Streitschlichtung oder angemessener Erfüllungsgarantien. Die Umsetzung der Empfehlungen zur aussergerichtlichen Streitbeilegung erfolgte 1998 mit der von der Vereinigung Schweizerischer Strassenfachleute herausgegebenen Empfehlung VSS 641'510 „Streiterledigung“ (Bild 13), welche die aus dem amerikanischen Raum stammenden Mechanis-men der „Alternative Dispute Resolution“ (ADR) aufnahm.

Die darin enthaltenen Verfahren führen aber nicht per se zum Erfolg. Nur wenn sowohl auf Bau-herren- als auch auf der Unternehmerseite geeignete Personen mit Erfahrung und entsprechendem Charakter im Streitschlichtungsprozess tätig sind, kann eine Basis für eine vertrauensvolle Zusam-menarbeit geschaffen werden. Ohne vertrauensvolle Gespräche auf Chefebene, wären in kritischen Situationen Arbeitsstillstände wohl kaum zu vermeiden gewesen. Dass es trotz intensivster Dis-kussionen nie zu solchen Unterbrüchen kam, ist ein Indiz für die tatsächlich gelebte Partnerschaft.

Grundlage für diese Partnerschaft war ein klar definierter Baustellenentscheidungsweg mit dem Ziel, dass sich die Parteien bemühten Streitigkeiten vorerst unter sich und wenn immer möglich auf der Baustellenebene zu bereinigen. Dieses Vorgehen bedingte das zeitnahe Aufbereiten der Argumente und Sachverhalte. Führte dies nicht zum Erfolg, trat die Streitschlichtung als Gremium in Aktion, welches wesentliche Vorzüge gegenüber einem Zivilprozess hatte. Dr. Anton Egli, der Vorsitzende der drei Streitschlichtungsgremien am GBT, spricht von einem kulturellen Fortschritt

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[10]. Die Parteien behielten damit das Heft des Handelns selber in der Hand, was bei einem Zivil-prozess nicht mehr der Fall ist. Die dreizehn echten Streitigkeiten und Differenzen, welche schliesslich zum Streitschlichtungsgremium kamen, konnten allesamt auf dem Vergleichsweg er-ledigt werden, womit die Richtigkeit des gewählten Vorgehens belegt ist. Der GBT, mit einer Investitionssume von rund 9.5 Milliarden CHF (Preisbasis 1998) wird ohne ein hängiges Gerichts-verfahren gegenüber einem Bauunternehmer in Betrieb gehen.

Bild 13. Streitschlichtungsmodell gemäss VSS 641'510 (vereinfacht)

Faire Risikoverteilung

Nebst dem Einführen eines Streitschlichtungsmodells war die ausgewogene Risikozuordnung un-ter den Vertragspartnern die Grundvoraussetzung für eine technisch und wirtschaftlich erfolgrei-che Projektabwicklung. Diese Tatsache wurde im schweizerischen Untertagbau aufgrund der ne-gativen historischen Erfahrungen frühzeitig erkannt und fand im Jahr 1975 Eingang in die erste Ausgabe der Norm SIA 198 „Untertagbauten“ (heute SIA 118/198 „Allgemeine Bedingungen für Untertagbau“).

Öffentliches Gericht

Phas

e 3:

G

eric

ht

Gerichtsentscheid

Streitschlichtung

Empfehlung Streitschlichtung

Schiedsgericht

Entscheid Schiedsgericht

ja nein

Phas

e 2:

St

reits

chlic

htun

g un

d Sc

hied

sger

icht

Streitwert tief ?

Streitschlichtungs-vereinbarung

Zustimmung beider Partner

Baustellensitzungen Phas

e 1:

B

aust

elle

nweg

Chefgespräch auf Geschäftsleitungsebene

Schriftliche Vereinbarung

Unterschiedliche Interpretation des Vertrags

•  Änderungen •  Forderungen •  Diverse

Schriftliche Anzeige •  Offerte/Forderung •  Brief

Schriftliche Vereinbarung

ja

nein

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Bild 14. Risiken gemeinsam tragen, ein Gebot der SIA Norm 198 seit 1975 [13]

Eine ausgewogene Risikozuordnung bedeutet, dass keiner der Vertragspartner die Risiken gänz-lich oder in einem Übermass zu tragen hat (Bild 14). Jeder Vertragspartner soll für jene Risiken einstehen, welche er am besten beeinflussen kann [11]. Daraus folgt, dass

- der Bauherr die Folgen für Baugrundverhältnisse, welche ausserhalb der Bandbreite seiner Prognose liegen, zu tragen hat, da er den Baugrund zur Verfügung stellt und diesen nach ei-genem Ermessen zum Voraus erkunden kann.

- der Unternehmer das Risiko für das Erreichen der vertraglich festgelegten Leistungen für Baugrundverhältnisse innerhalb der vertraglichen Bandbreite trägt, wählt er doch in Kenntnis der Randbedingungen des Projektes die von ihm einzusetzenden Mittel und Methoden.

Die Norm SIA 118/198 (Ziff. 8.7) enthält eine Zuordnung der Risiken zwischen Bauherr und Un-ternehmer, welche als vereinbart gilt, sofern die Norm Vertragsbestandteil ist und keine anderwei-tigen Abreden getroffen werden. Die Vertragspartner sind jedoch frei, die Risikozuordnung unter-einander in anderer Form vereinbaren. Ziff. 59 der Norm SIA 118 regelt im Weiteren die Vergütungsansprüche des Unternehmers beim Eintreten ausserordentlicher Umstände. Damit sind Ereignisse gemeint, welche die Fertigstellung des Werks hindern, übermässig erschweren und nicht vorausgesehen werden konnten oder nach den von beiden Vertragspartnern angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen waren.

Das Beschaffungswesen – Suche nach dem optimalen Partner

Jegliche Absichten und Regelungen zur kooperativen, partnerschaftlichen Projektabwicklung tau-gen nichts, wenn nicht der dazu geeignete Partner gefunden wird. Mittels geeigneter Beschaf-fungsverfahren versucht der Auftraggeber, die optimalen Partner für Planung und Ausführung zu finden. Gemäss dem gültigen Vergaberecht gilt es einen für die Aufgabenstellung geeigneten Part-ner zu finden, welcher das wirtschaftlichste Angebot präsentiert, d.h. das am besten bewertete Angebot unter Berücksichtigung des Preises und vordefinierter qualitativer Kriterien,

Im Hinblick auf die Beschaffungen analysierte die ATG mittels Risikoanalysen jeweils die Ge-fahren und Chancen der Leistungserbringung mit Fokus auf die Erfüllung der Projektanforderun-gen. Als Ergebnis wurden losspezifische Massnahmen formuliert, welche helfen sollten die Ge-fahren zu beherrschen oder allfällige Chancen zu nutzen. Die wesentlichsten Anforderungen aus diesen Massnahmen wurden in der Submission in Form von auftragsspezifischen Eignungs- und Zuschlagskriterien abgebildet.

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Mit den Eignungskriterien wurde von den Anbietern verlangt, dass sie den Nachweis ihrer finan-ziellen, wirtschaftlichen und technischen Leistungsfähigkeit erbringen. Den Zuschlag soll nur er-halten, wer zur Ausführung des geplanten Auftrages geeignet ist. Die Eignungskriterien bezogen sich deshalb auf die Person des Anbieters, auf dessen Organisation, das Personal und allgemein auf dessen technische und finanzielle Leistungsfähigkeit.

Erwiesen sich mehrere oder alle Anbieter nach Prüfung der Eignungskriterien als geeignet, galt der Grundsatz, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhält. Was der Auftrag-geber hierunter verstand, definierte er über die wohlüberlegte Festlegung der Zuschlagskriterien. Bei den Zuschlagskriterien handelte es sich um auftragsbezogene Merkmale, die ein Angebot in mehr oder weniger hohem Masse besitzt und die ein Abwägen des wirtschaftlichen Wertes ermög-lichen. Anders als die Eignungskriterien beziehen sich die Zuschlagskriterien nicht auf die Person des Anbieters, sondern auf das Angebot selber [12].

Der Auftraggeber blieb an die von ihm aufgestellten und publizierten Eignungs- und Zuschlags-kriterien gebunden. Nach Eingang der Offerten beurteilte die ATG die Anbieter deshalb einzig nach diesen Eignungskriterien und ermittelt das wirtschaftlich günstigste Angebot ausschliesslich nach den mit der Ausschreibung festgelegten Zuschlagskriterien unter Einschluss der bekanntge-gebenen Subkriterien und Gewichtung. Im Rahmen dieses Verfahrens fanden keine Preisverhand-lungen statt, was die Unternehmer aus der Vergabepraxis der Vorlose bereits wussten. Durch diese stringente Haltung konnte vermieden werden, dass entsprechende Spekulationspotenziale für Preisnachlässe eingebaut wurden. Der Unternehmer musste sich auf den angebotenen Preis ver-pflichten lassen. Um trotzdem Transparenz über die angebotenen Preise zu haben, wurde der Un-ternehmer verpflichtet seine Kalkulation zu jeglichen Einheitspreisen offen zu legen und die ge-samte Kalkulation bei einem Notar zwecks allfälliger Einsichtnahme durch den Bauherrn zu hinterlegen [12].

Sowohl bei der Auswahl der Planer als auch bei den Hauptunternehmern hat sich das gewählte Verfahren sehr gut bewährt. So lange die vertraglichen Bedingungen angetroffen wurden, war es klar, dass einzig der Unternehmer alleine für seine Preisbildung verantwortlich war.

Partnerschaft auch gegenüber Dritten

Auch gegenüber der vom Projekt betroffenen Bevölkerung war der partnerschaftliche Umgang von grösster Wichtigkeit. Vom Projekt Betroffene sollten zu Beteiligten gemacht werden, weshalb die betroffenen Kantone bereits 1992 vom Bundesamt für Verkehr in das Projekt integriert wur-den. So wurden in den drei „Gotthard“ - Kantonen Tessin, Graubünden und Uri Projektkommis-sionen als Bindeglied zwischen dem Projekt und der betroffenen Region gebildet in denen die verantwortlichen Chefbeamten Einsitz nahmen. Dies allein gab zwar noch keine Garantie für einen Erfolg. Die unterschiedlichen Ergebnisse in den drei Kantonen zeigten dies deutlich. Was in einem Kanton gelang musste nicht zwingend im anderen Kanton auch zum Erfolg führen. Oft waren politische Forderungen oder Hindernisse im Raum deren Lösung Zeit und ein Engagement auf höchsten Entscheidungsebenen (Bundesrat, bzw. BAV) benötigten. Im Rückblick darf festgehal-ten werden, dass sich die gewählten Zusammenarbeitsformen bewährt haben. In allen Projektkom-missionen arbeitete man trotz unterschiedlicher Interessenlage mit grosser gegenseitiger Achtung.

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Auch auf der Ebene der Erstellergesellschaft setzte man sich deshalb ab Projektbeginn eine offene, aktive und ehrliche Kommunikation nach allen Seiten (Kantone, Gemeinden, Umwelt-organisati-onen) zum Ziel. Offenheit und Ehrlichkeit in der Kommunikation schaffte das notwendige Ver-trauen für einen partnerschaftlichen Umgang, eine der wesentlichsten Voraussetzungen für den gesamten Projekterfolg.

Voraussetzungen für erfolgreiche Partnerschaften

Erfolgreiche Partnerschaften verlangen, dass sich die Partner auf gleicher Augenhöhe begegnen und die berechtigten Interessen gegenseitig gewürdigt und respektiert werden. Grundvorausset-zungen für eine erfolgreiche Projektpartnerschaft sind deshalb (Bild 15):

a) Die Festlegung gemeinsamer Projektziele mit einer ausgewogenen Verteilung der zu tra-genden Lasten.

b) Das gemeinsame Beobachten des Arbeitsfortschritts in Relation zur Zielerreichung. c) Das gemeinsame Festlegen und Umsetzen von Massnahmen, falls Abweichungen von der

Zielerreichung festgestellt werden.

Bild 15. Grundpfeiler des partnerschaftlichen Umgangs [14]

Gegenseitiges Vertrauen, gegenseitiger Respekt sowie die angemessene Übernahme von Verant-wortung durch jeden Partner sind die Grundvoraussetzung, dass diese Mechanismen funktionie-ren. Misstrauen, fehlender Respekt und allfällige Versuche sich aus der Verantwortung zu stehlen sind Gift für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit und können durch keine Zusatzmassnahme korrigiert werden. Ohne das entsprechende kulturelle Umfeld, ist eine Partnerschaft zum Scheitern verurteilt und kann nicht per Dekret oder Anreizsysteme organisiert werden.

Nebst dem kulturellen Umfeld und dem bereits beschriebenen grossen Willen zur Konfliktberei-nigung vor Ort sei aber nicht verschwiegen, dass in wenigen Einzelfällen auch das Vorhandensein einer Erfüllungsgarantie in der Höhe von 8% auf erstes Verlangen und die Möglichkeit zur Ein-sichtnahme in die notariell hinterlegte Kalkulation des Unternehmers die eine günstige zur raschen Lösungsfindung Wirkung entfalteten.

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Bewährungsprobe während der Ausführung

Mit dem Beginn der Bauarbeiten wurde ein durchgängiges, stufengerechtes Berichtswesen imple-mentiert. Auf der Leitungsebene wurde der Projektfortschritt mindestens monatlich in entspre-chenden Führungssitzungen gegenseitig abgeglichen. Dabei hat sich der aus der Norm SIA 118/198 stammende Sollbauzeit- und Abrechnungsbauzeitmechanismus zur Situationsana-lyse bestens bewährt.

Ab dem Jahr 2002 entwickelten sich die Bauarbeiten in den verschiedenen Hauptlosen recht un-terschiedlich. Während in den Teilabschnitten Erstfeld, Amsteg und Sedrun die prognostizierten Baugrundverhältnisse weitestgehend eintrafen, hatten die Teilabschnitte Bodio und Faido jeweils direkt nach dem Vortriebsbeginn mit wesentlich ungünstigeren Baugrundverhältnissen zu kämp-fen als prognostiziert. Besonders schwierig gestaltete sich der Ausbruch der Multifunktionsstelle in Faido, wo ein erster Niederbruch vom 22. April 2002 den Beginn eines bis ins Jahr 2009 an-dauernden Kampfs mit schwierigsten Gebirgsverhältnissen darstellt. Zwei unerwartet aufgetretene Störzonen führten dazu, dass sich das Gebirge über grosse Strecken stark druckhaft verhielt. Stre-ckenweise mussten bereits ausgebrochene Tunnel- und Stollenabschnitte nachprofiliert werden. Als Folge der hohen Überlagerung traten zudem häufige Bergschlagerscheinungen auf, welche den Vortrieb aus Sicherheitsgründen wesentlich verzögerten. Zu guter Letzt zeigten zu Beginn der TBM-Vortrieb Faido in Richtung Norden die an sich als gut eingestuften Lucomagno-Gneise (Bild 3) ein äusserst grosses Verformungsverhalten. Nur dank beherztem Eingreifen der Verant-wortlichen vor Ort konnte Mitte Februar 2008 das Festklemmen des für einen Durchmesser vom 8.80 Meter ausgelegten Nachläufers bei einem Ausbruchdurchmessser von 9.50 Metern verhindert werden (Bild 16) – echt gelebte Partnerschaft!

Bild 16. 13.02.2008, Vortrieb EST Faido West: Verhindern des Verklemmens des auf D = 8.80 m ausgelegten Nachläufers bei einem Ausbruchdurchmesser von 9.50 m!

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All diese schwierigen Baugrundverhältnisse führten dazu, dass das Projekt bei laufendem Vortrieb angepasst werden musste. Die Umsetzung der Projektanpassungen, welche eine Neudisposition der Multifunktionsstelle Faido und damit erhebliche Mehrausbrüche zur Folge hatte, gelang ohne einen einzigen Tag Stillstand auf der Baustelle [14].

Trotz beherztem Handeln auf der Baustelle verursachten die ungünstigen Baugrundverhältnisse eine mehr als 2-jährige Verspätung, während die Vortriebe auf der Nordseite termingerecht, teil-weise sogar mit Vorsprung auf das Vertragsprogramm ausgeführt werden konnten. So lag es dann nahe bereits ab dem Jahr 2005, im Rahmen der ordentlichen Terminsteuerungsprozesse, eine Ver-schiebung der Losgrenze von Sedrun/Faido Richtung Süden als terminsichernde Massnahme ins Auge zu fassen. Die geplante Losgrenzenverschiebung hatte zur Folge, dass öffentlich-rechtliche Plangenehmigungsverfahren durchgeführt werden mussten um neue Materialablagerungen für rund 1 Mio. Tonnen zusätzlichen Ausbruch im Raum Sedrun zu ermöglichen. Dank offener Pla-nung und dem Einbezug aller Interessenspartner konnte das Materialbewirtschaftungskonzept für den Raum Sedrun bis Ende 2006 innerhalb von nur 6 Monaten neu definiert werden. Vorausschau-ende Planung und partnerschaftliches Verhalten aller Beteiligter ermöglichten die Abwicklung der öffentlich-rechtlichen Verfahren unter Einhaltung der regulären Fristen.

Auch mit den betroffenen Unternehmern musste Einigkeit erzielt werden. Wohl war eine mögliche Verschiebung der Losgrenze um einen Kilometer in beide Richtungen vertraglich vereinbart ge-wesen. Die äusserst ungünstigen Verhältnisse in Faido hatten aber zur Folge, dass dieses Ausmass nicht ausreichte. Eine weitergehende Verschiebung war somit zu verhandeln, eine Situation bei welcher der Auftraggeber eine relativ schwache Ausgangsposition hatte. Wiederum im Geiste der Partnerschaft konnte eine allseits verträgliche Lösung erarbeitet werden und am 19.12.2008 beim Sedruner Konsortium ARGE Transco zusätzliche 1'359 m (Oströhre) und 1’692 m (Weströhre), sowie eine Option für einen weiteren Kilometer Vortrieb pro Röhre bestellt werden.

Mit dieser Losgrenzenverschiebung wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass der Gotthard Basistunnel 2016 (Bild 17) und damit ein Jahr früher als 2005 geplant in Betrieb gehen konnte.

Bild 17. Effekt der Losgrenzenverschiebung Sedrun – Faido Vergleich Bauprogramme 2005 und aktuell (Bild ATG)

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2.6 Unternehmens- und Projektkultur – Respektvoller Umgang ge-genüber Personen und Umwelt

Trotz hohem Mechanisierungsgrad der Baustellen bestimmen die beteiligten Personen über Erfolg und Misserfolg eines Grossprojektes. Das zielorientierte, partnerschaftliche Handeln kann nur dann Fuss fassen, wenn das persönliche Verhalten aller Beteiligter und das kulturelle Umfeld im Projekt und bei den beteiligten Unternehmungen stimmt.

Partnerschaft setzt Vertrauen und den Willen zur Übernahme der zugewiesenen Verantwortung voraus. Charakter, Wollen und Können bestimmen das Verhalten der Personen. Jede Person und jeder Partner soll sich so verhalten, dass sein Handeln als generell gültige Verhaltensweise defi-niert werden könnte, d.h. er sollte sich im Sinne des Projekterfolgs vorbildlich verhalten (Bild 18).

Bild 18. Grösster Erfolgsfaktor ist der Mensch – er will gehegt und gepflegt sein

Genau auf diesen drei Pfeilern beruhte die VVV-Unternehmenskultur der AlpTransit Gotthard AG:

• Vorbild sein • Verantwortung übernehmen • Vertrauen schenken

Dazu kommt die Forderung nach respektvollem Umgang gegenüber Personen und der Umwelt, woraus der höchste Stellenwert für die Arbeitssicherheit und die die Umweltanforderungen ablei-tet.

An alle Beteiligten werden bei einem Grossprojekt wie dem GBT allerhöchste Anforderungen beim Thema der Arbeitssicherheit gestellt, weil das Gesetz der grossen Zahlen vermuten lässt, dass schwere Unfallereignisse trotz aller Sorgfalt eintreten werden. Gegenüber dem Industrie-durchschnitt in der Schweiz wurden am GBT zwar erhebliche Fortschritte erzielt und auch im internationalen Vergleich ergaben sich tiefe spezifische Kennzahlen. Trotzdem ereigneten sich

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neun tödliche Unfälle – im Verständnis aller Projektbeteiligter neun zu viel. „Target zero“ – „Ziel-wert null“ – muss deshalb die Vorgabe für alle künftigen Projekte sein, wie dies beim Projekt Crossrail in London vorgelebt wird.

Auch den Umweltanforderungen gegenüber ist bei Grossprojekten mit hohem Respekt zu begeg-nen, stellen diese doch immer einen erheblichen Eingriff in die Umwelt dar. Umso mehr wird erwartet, dass die Grossprojekte ihrer Verantwortung gerecht werden und eine Umweltvorreiter-rolle einnehmen. Dieser Rolle wurden die Verantwortlichen am GBT in mehrfacher Hinsicht ge-recht. Zum einen wurde über vertragliche Regelungen sichergestellt, dass der Luftreinhaltung, dem Staubschutz und dem Gewässerschutz höchste Priorität beigemessen wurde. Die Partikelfil-terpflicht für Baumaschinen wurde eingeführt, bevor das entsprechende gesetzliche Obligatorium dazu bestand.

Zum anderen wurden die natürlichen Kiesvorkommen wurden dadurch geschont, dass frühzeitig der strategische Entscheid gefällt wurde, für sämtlichen Beton der Tunnelhauptlose, die Betonzu-schlagstoffe aus dem Ausbruchmaterial, sei es aus konventionellen Vortrieben oder aber aus den maschinellen Vortrieben zu gewinnen. Damit brauchte es rund ein Drittel weniger Deponievolu-men und rund neun Millionen Tonnen alluvialer Kiesreserven konnten geschont werden. Trotz schwieriger technischer Randbedingungen konnte für 100% des Betons für den Rohbau der Tun-nelröhren mit Zuschlagstoffen aus dem Ausbruchmaterial erstellt werde, ohne dass es je zu Qua-litätsproblemen kam.

Aber auch der Schutz von Flora und Fauna, Luft, Wasser und Boden sind berechtigte Anliegen, welche es zu beherzigen gilt. Oft kann im Rahmen von Grossprojekten mit relativ wenig Geld viel Gutes getan werden kann. So haben denn die Ersatzmassnahmen zum Naturschutz nachweislich eine positive Wirkung zur Erhöhung der Artenvielfalt geliefert.

Luft, Wasser, Boden und die Umgebung wurden auf allen Baustellen mit geeigneten Massnahmen, basierend auf dem aktuellsten Stand der Technik, stark geschützt. Das Sorgentelefon für die be-troffene Bevölkerung war ein Indikator, wie gut die Massnahmen griffen. In einzelnen Abschnitten kam es während Monaten zu keinen Anrufen, trotz periodischer Publikation der Nummer des Sor-gentelefons in den Medien.

Die Vertrauenskultur und der Respekt vor den Umweltanliegen haben sich insbesondere in kriti-schen Situationen voll bewährt. Sowohl die Unternehmer als auch die Umweltorganisationen stell-ten sich immer in den Dienst des Gesamterfolgs des Projektes und boten Hand zu entsprechenden Kompromissen gegenüber ihren Partikularinteressen. Ein typisches Beispiel dazu ist die Neudefi-nition des Materialbewirtschaftungskonzeptes in Sedrun im Zuge der damals geplanten Losgren-zenverschiebung. Innert nur sechs Monaten gelang es, im engen Bergtal ein zusätzliches Depo-nievolumen für eine Million Tonnen zusätzliches Ausbruchmaterial zu finden.

Die zusätzlichen Deponien wurden zum einen so gestaltet, begrünt und bewirtschaftet, dass sie einen Beitrag zur Erhöhung der Artenvielfalt leisteten. Die durchgeführten Zählungen bestätigen der Erfolg der Massnahmen. Eine zweite, anfänglich umstrittene Zusatzdeponie konnte derart ge-staltet werden, dass ein Badesee entstand und damit ein seitens der Gemeinde lange gehegter Wunsch erfüllt werden konnte (Bild 19). Die anfänglich konfliktträchtige Situation, wurde

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schliesslich dank dem Willen zur Zusammenarbeit und dem Können aller Fachleute in eine echte Win – Win – Situation für alle umgewandelt.

Bild 19. Als natürlicher Badesee gestaltete Zusatzdeponie in Sedrun

3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen Mit der kommerziellen Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels im Dezember 2016 geht die Erfolgsgeschichte dieses Projekts von der Realisierung in die Betriebsphase über. Eine langge-hegte Vision wird zur Realität!

Wurden bei früheren Tunnelbauten schon ähnliche Vortriebslängen (Seikan-Tunnel, Eurotunnel) und ähnlich schwierige Baugrundverhältnisse gemeistert (Simplon-Tunnel), so ist die Kombina-tion an Herausforderungen am Gotthard-Basistunnel in der bisherigen Geschichte des Ver-kehrstunnelbaus wohl einmalig.

Diese wurden mit Mut, Ausdauer, Weitblick und gegenseitiger Respekt von allen Beteiligten in unterschiedlichsten Rollen gemeistert. Immer war bei den Entscheidungsträgern die klare Ver-pflichtung gegenüber dem übergeordneten Projekterfolg spürbar. Auch in den stürmischsten Zei-ten liessen sich diese nicht von ihrer Überzeugung abbringen, dass das zu Werk zum angestrebten grossen Erfolg geführt werden müsse – was schliesslich gelang.

Welches waren die entscheidenden Erfolgsfaktoren? Wie eingangs schon aufgelistet können rück-blickend die folgenden Faktoren als entscheidend für den Erfolg hergeleitet werden:

1. Respekt vor der Aufgabe

2. Sorgfältige Projektvorbereitung

3. Wahl von geeigneten Organisationsformen und optimalen Prozessen

4. Konsequentes Qualitäts- und Risikomanagement ab den frühesten Projektphasen 5. Partnerschaftlichen Umgang mit Unternehmern und Dritten

6. Unternehmens- und Projektkultur unter Berücksichtigung ethischer Prinzipien

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Betrachtet man diese Erfolgsfaktoren im Vergleich zu den Empfehlungen der deutschen Reform-kommission zum Bau von Grossprojekten [15], so sind diese weitestgehend identisch. Weshalb war das Projekt Gotthard Basistunnel erfolgreich, andere Projekte sind es aber nicht?

Dafür gibt es eine eindeutige Erklärung: Am GBT wurden die Dinge rechtzeitig entwickelt und umgesetzt. Andernorts wüsste man auch was zu tun ist, häufig hapert es aber an der Umsetzung; da nützt dann alles Wissen nichts. In diesem Sinne kann auch hier als Schlussempfehlung einmal mehr aus Johann Wolfgang von Goethes „Wilhelm Meister“ zitiert werden:

„Es ist nicht genug zu wissen - man muss auch anwenden.

Es ist nicht genug zu wollen - man muss auch tun.“

Mögen die positiven Erfahrungen vom Gotthard-Basistunnel Ansporn geben, die allgemein aner-kannten Erfolgsfaktoren vermehrt und rechtzeitig anzuwenden und dass dort, wo es noch rechtli-che Hindernisse zur Anwendung der Erfolgsfaktoren bestehen, diese möglichst rasch eliminiert werden und eine Kultur des partnerschaftlichen Miteinanders entstehen kann.

4 Verdankung Der Autor bedankt sich bei Herrn Peter Zbinden für die jahrelange enge Zusammenarbeit in der Planungs- und Realisierungsphase sowie den wertvollen Gedankenaustausch zur Gesamtbilanz aus der Realisierung des Projektes Gotthard-Basistunnel.

Der AlpTransit Gotthard AG gebührt der Dank für das Bildmaterial.

Der Deutschen Bahn danke ich, dass sie es mir ermöglichte, einen Teil des hier beschriebenen Gedankenguts in die Reformkommission Bau von Grossprojekte zu tragen.

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Literaturverzeichnis [1] Zbinden, P. (2016): Von den historischen Alpendurchstichen zu den Erfolgsfaktoren des

Gotthard-Basistunnels, Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen, Heft x

[2] Rutschmann, W. (2004): Neue Eisenbahn-Alpentransversale Gotthard-Basislinie, Von ersten Studien zum Bauprojekt 1975, SBB Historic

[3] Schweizerischen Eidgenossenschaft (2000): Vereinbarung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der AlpTransit Gotthard AG vom 19. September / 8. Oktober 2000

[4] Schweizerischen Eidgenossenschaft (2000): Vereinbarung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Schweizerischen Bundesbahnen vom 19./27. September 2000

[5] Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (1998 inkl. spätere Ausgaben), NEAT Controlling Weisung (NCW)

[6] AlpTransit Gotthard AG (1997 inkl. spätere Ausgaben): Projekthandbuch

[7] Zuber, P., Sieber, A., et al. (1996): AlpTransit Gotthard Qualitätsmanagement, Vorgaben für Projektqualität, Sonderbeilage zum Schweizerischen Baublatt Nr. 82/1996

[8] Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein (1997): Merkblatt 2007, Qualität im Bauwesen – Aufbau und Anwendung von Managementsystemen

[9] Ehrbar, H., Bremen, R., Otto, B., (2012): Gotthard Base Tunnel - Mastering surface de-formations in the area of two concrete arch dams - innovative solutions, Proceedings World Tunnel Congress 2012, Bangkok

[10] Egli, A. (2016): Erfahrungen mit dem Streitschlichtungsverfahren, Tunnelling the Gott-hard, S. 658 – 661

[11] Anagnostou, G., Ehrbar, H. (2013): Das Bauen unter Tage in der Schweiz und die Tun-nelnormen, Tunnelling Switzerland, S. 10 – 38

[12] Ehrbar, H., Seiler, W., Neuenschwander, M., Wick, R. (2013): Rohbau Gotthard-Basis-tunnel, Vertragsmanagement ein wichtiger Erfolgsfaktor für Grossprojekte, Swiss Tunnel Congress 2013

[13] Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein (1995): Dokumentation D 0124, Vertragswesen im Untertagbau“

[14] Ehrbar, H., (2014): Partnerschaftlicher Umgang in Grossprojekten Erfahrungen vom Gotthard-Basistunnel, 4. Münchner Tunnelbausymposium

[15] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2015): Reformkommis-sion Bau von Grossprojekten, Endbericht vom Juni 2015