Umwelt, Entwicklung und · Menschenrechte 1993 in Wien,die Bevölkerungsentwicklung 1994 in Kairo,...

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Globale Gerechtigkeit ökologisch gestalten Kirchl. Umweltbeauftragte in der EKD artefact ASW Unterzeichner der Kampagne: Kontakt: Forum Umwelt & Entwicklung Am Michaelshof 8-10 · 53177 Bonn Tel.: 02 28 - 35 97 04 · Fax: o2 28 - 92 39 93 56 E-Mail: [email protected] · www.forumue.de Agenda 21 Stralsund / Allerweltsladen / Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft / ASA Programm / autofrei leben! / Baobab Infoladen Eine Welt / Bundesverband für Umweltbera- tung / Bürgerstiftung zukunftsfähiges München / Christoffel- Blindenmission / Connecting Worlds / Die Umwelt- Akademie / Earthlink / Eine Welt Forum Siegen-Wittenstein / Energie gewinnt! / Förderkreis Umweltschutz in Unterfranken / Indien- hilfe / Informationszentrum 3. Welt Minden / Institut für Ökolo- gie und Aktions-Ethnologie / Initiative Solidarische Welt / Initia- tive 2000 plus / Institut für Kirche und Gesellschaft / Katalyse / Kinderhilfswerk PLAN / Kirchenkreis Hersfeld Arbeits- und Koor- dinierungsstelle Praktische Schritte für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung / Klima-Bündnis-Agentur Nord / Naturfreundejugend Deutschlands / NaturwissenschaftlerInnen Initiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit / Nord-Süd-Forum Bremerhaven / Offene Arbeit Erfurt / Pestizid- Aktions-Netzwerk Germany / Peter-Hesse-Stiftung – Solidarität in Partnerschaft für eine Welt / ufafabrik - Internationales Kulturcen- trum / Umweltberatung Nordost / UnternehmensGrün / Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen / Verein zum Schutz der Bergwelt / Welt Ethik Forum / Weltfriedensdienst / Welthaus Bielefeld / World Vision Deutschland / Zentrum für Entwick- lungsbezogene Bildung der Ev. Landeskirche in Württemberg / Zukunftsfähiges Bonn Umwelt, Entwicklung und Globalisierung Eine Bilanz 10 Jahre nach Rio

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Globale Gerechtigkeit ökologisch gestalten

Kirchl. Umweltbeauftragte in der EKD artefact ASW

Unterzeichner der Kampagne:

Kontakt: Forum Umwelt & Entwicklung Am Michaelshof 8-10 · 53177 Bonn Tel.: 02 28 - 35 97 04 · Fax: o2 28 - 92 39 93 56E-Mail: [email protected] · www.forumue.de

Agenda 21 Stralsund / Allerweltsladen / Arbeitsgemeinschaftbäuerliche Landwirtschaft / ASA Programm / autofrei leben! /Baobab Infoladen Eine Welt / Bundesverband für Umweltbera-tung / Bürgerstiftung zukunftsfähiges München / Christoffel-Blindenmission / Connecting Worlds / Die Umwelt- Akademie /Earthlink / Eine Welt Forum Siegen-Wittenstein / Energiegewinnt! / Förderkreis Umweltschutz in Unterfranken / Indien-hilfe / Informationszentrum 3. Welt Minden / Institut für Ökolo-gie und Aktions-Ethnologie / Initiative Solidarische Welt / Initia-tive 2000 plus / Institut für Kirche und Gesellschaft / Katalyse /Kinderhilfswerk PLAN / Kirchenkreis Hersfeld Arbeits- und Koor-dinierungsstelle Praktische Schritte für Gerechtigkeit, Frieden undBewahrung der Schöpfung / Klima-Bündnis-Agentur Nord /Naturfreundejugend Deutschlands / NaturwissenschaftlerInnenInitiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit /Nord-Süd-Forum Bremerhaven / Offene Arbeit Erfurt / Pestizid-Aktions-Netzwerk Germany / Peter-Hesse-Stiftung – Solidarität inPartnerschaft für eine Welt / ufafabrik - Internationales Kulturcen-trum / Umweltberatung Nordost / UnternehmensGrün / VereinNiedersächsischer Bildungsinitiativen / Verein zum Schutz derBergwelt / Welt Ethik Forum / Weltfriedensdienst / WelthausBielefeld / World Vision Deutschland / Zentrum für Entwick-lungsbezogene Bildung der Ev. Landeskirche in Württemberg /Zukunftsfähiges Bonn

Umwelt, Entwicklung und Globalisierung

Eine Bilanz 10 Jahre nach Rio

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Inhalt

Einleitung 6

1. Aufbruchstimmung – Der „Geist von Rio“ 8

2. Verlorene Liebesmüh’? - Die Rio-Konventionen 12

3. Finanzierung – (Keine) Wende in letzter Minute 14

4. Die „Neue Internationale“ der NRO – die Gewinner von Rio? 16

5. Die WTO und der Rio-Prozess 18

6. Achtung, Baustelle globale Nachhaltigkeitspolitik! 22

7. Johannesburg – Neue Chance für nachhaltige Entwicklung? 24

Impressum

Autor:Uwe Hoering

Heraugeber:Forum Umwelt & EntwicklungAm Michaelshof 8-10531777 BonnTelefon.: +49-(0)228-35 97 04Fax: +49-(0)228-92 39 93 56E-mail: [email protected]: www.forumue.de

Verantwortlich:Jürgen Maier

Layout: Petra PingerIllustration: Christa GuttFotos:BMZ, Werner Gartung (epd), Anja Kessler (epd), Keystone (epd),Werner Rudhart (epd), Karel Prinsloo (epd), Sönke Tollkühn (epd),Forum U&E, Lambon (Greenpeace), IISD, UN/DPI,Ronald Raeffle (visipix.com), Mali Veith (visipix.com)

Herstellung:Knotenpunkt GmbH, Buch

Bonn, Mai 2002

Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) und dem Bundes-ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) gefördert.Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung von BMU/BMZwieder.

Diese Publikation ist Teil der Kampagne „Globale Gerechtigkeitökologisch gestalten“ der deutschen Umwelt- und Entwick-lungsorganisationen zum Weltgipfel für Nachhaltige Entwick-lung in Johannesburg 2002.

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Einleitung

„Rio“ steht für eine Vision. Beider UN-Konferenz Umweltund Entwicklung (UNCED),

die im Juni 1992 in Rio de Janeiro statt-fand, verpflichteten sich über 100Staats- und Regierungschefs auf dasLeitbild nachhaltiger Entwicklung. Sieversprachen Lösungen für die immerbedrohlicher werdenden globalenUmweltkrisen und die anhaltendenEntwicklungsprobleme vieler Länderdes Südens, die gleichzeitig wirtschaft-lich erfolgreich, sozial gerecht undumweltverträglich sind. Der „Erdgipfel“beschwor die Vision einer „GlobalenPartnerschaft“ nicht nur zwischenUmwelt und Entwicklung, Ökologieund Ökonomie, sondern auch zwischenNord und Süd; und entwarf die Umrissefür eine Entwicklung, die nicht längerdie Umwelt und damit die Lebens-grundlagen zerstört sowie Hunger undArmut insbesondere in Entwicklungs-ländern zementiert.

„Rio“ erwies sich als kraftvolle Vision.Auf globaler, nationaler und lokalerEbene stimulierte UNCED eine Vielzahlvon Aktivitäten, die die Beschlüsse,Ankündigungen und Versprechungenvon Rio aufnahmen, weiterführten undumsetzten:

� Das in Rio erarbeitete Aktionspro-gramm, die Agenda 21, wurde zum Impuls und Bezugspunkt vielfältiger Ansätze, um nachhaltige Entwicklungvoranzubringen;

� In den Verhandlungsprozessen der „Rio-Konventionen“ zum Klima-schutz, zu Biologischer Vielfalt und Desertifikationsbekämpfung kristalli-sierten sich Grundstrukturen einer neuen, innovativen internationalen Umweltpolitik heraus, die über einen reinen Schutz der Natur hinausgeht;

� Zahlreiche Regierungen haben die Chancen einer gesellschaftlichen,politischen und wirtschaftlichen Modernisierung erkannt, die die Erar-beitung nationaler Nachhaltigkeits-strategien bieten kann;

� In Städten, Kommunen und Gemein-den hat die Vision von Rio eine Welle von Initiativen im Rahmen der Loka-len Agenda 21 in Gang gesetzt, um von der lokalen Ebene ausgehend und unter breiter Beteiligung gesell-schaftlicher Gruppen Beiträge zu globaler Nachhaltigkeit anzustoßen.

Darüber hinaus war UNCED die „Mut-ter“ aller großen Weltkonferenzen derneunziger Jahre, bei denen zentraleAspekte einer nachhaltigen Entwick-lung auf der Tagesordnung standen: dieMenschenrechte 1993 in Wien, dieBevölkerungsentwicklung 1994 in Kairo,Gesundheit, Bildung und Armuts-bekämpfung 1995 in Kopenhagen,Gleichberechtigung und die Rechte vonFrauen ebenfalls 1995 in Beijing,Ernährung 1996 in Rom, Stadtentwick-lung (Habitat) 1997 in Istanbul usw.Nach dem Vorbild von UNCED öffnetensich die Regierungsverhandlungendabei mehr und mehr für eine Beteili-gung nichtstaatlicher Akteure wieNichtregierungsorganisationen,Gewerkschaften oder die Privatwirt-schaft. Nichtregierungsorganisationensind seither zu anerkannten Mitspielernauf der Bühne von UN-Konferenzengeworden.

GlaubwürdigkeitslückeZehn Jahre nach dem „Erdgipfel“ ist dieLuft in den meisten Industrieländernbesser, das Wasser sauberer und dieWaldflächen und Naturschutzgebietegrößer geworden. Umweltbelastungendurch Industrien und der weltweitePestizidverbrauch sind zurückgegan-gen. Ökosteuer, Recycling und Dosen-pfand, der Boom erneuerbarer Energienund weitere internationale Abkommen,etwa zum Verbot langlebiger chemi-scher Substanzen (POP), sind durchUNCED zumindest befördert worden.Insgesamt jedoch, so räumt UN-Gene-ralsekretär Kofi Annan ein, war „derFortschritt in Hinblick auf die Ziele, diein Rio vereinbart wurden, langsamer alserwartet und in mancher Hinsicht istdie Situation heute schlechter als vorzehn Jahren“.

Die Faktenlage ist klar: Der Klimawan-del beschleunigt sich, der Verlust derbiologischen Vielfalt geht ungebremstweiter, lebensnotwendige öffentlicheGüter wie Trinkwasser werden knapp.

In den Industrieländern blieb die ver-sprochene „Effizienzrevolution“ weit-gehend aus. Sparsamere Motoren ver-brauchen zwar weniger Benzin, dochwird die Einsparung durch mehr Autos,mehr Transport auf der Straße undhöhere Fahrleistungen wieder aufge-fressen. Der Flugverkehr ist auf demWeg, Spitzenreiter unter den Ursachendes Klimawandels zu werden. Und wiedie meisten Regierungen der Industrie-länder, so kürzte auch die Bundesregie-rung die Entwicklungsgelder, anstattsie, wie in Rio zugesagt, zu erhöhen. Stattkleiner zu werden, ist im vergangenenJahrzehnt weltweit die Ungleichheit inder Verteilung von Macht und Wohlstandgrößer geworden, sowohl zwischen denLändern als auch in den meisten Län-dern. Im Gefolge transnationaler Kon-zerne halten Produktions- und Konsum-muster der Industrieländer mit ihrerFast-Food-Kultur, High-Tech-Lösungenund Gentechnologie, Ressourcenver-schwendung und der Produktion vonAbfallbergen und Giftmüll Einzug inimmer mehr Ländern. Die Grenzen derverfügbaren Ressourcen und der Belast-barkeit der Biosphäre rücken immerschneller näher, in vielen Fällen, etwabeim Fischbestand, sind sie bereitsüberschritten.

Der Glaubwürdigkeitsverlust der Indu-strieländer, der aus der Differenz zwi-schen Worten und Taten resultiert,überschattet die Erfolgsaussichten vonJohannesburg. Denn die mangelndeUmsetzung der Rio-Versprechungendurch die Regierungen der Industrielän-der dämpft auch die Bereitschaft derEntwicklungsländer, ihren Beitrag zurVerringerung globaler Umweltproble-me zu leisten. Nach wie vor buchstabie-ren die meisten Regierungen desSüdens nachhaltige Entwicklung alsnachholende Entwicklung, nacheifernddem Vorbild der Industrieländer, das in

„Rio“ stehtfür eine Vision!

Rio als eine wesentliche Ursache fürden drohenden Kollaps des Planetenidentifiziert worden war.

Zehn Jahre nach dem „Erdgipfel“ Riobefindet sich die Vision von Rio in einerKrise. Fortschritte, so sie denn zu erken-nen sind, kommen zu langsam. Wennes gelingen soll, in Johannesburg dennotwendigen neuen Schwung in denRio-Prozess zu bringen und in einem„New Deal“ den „Geist von Rio“ wieder-zubeleben, wie von den UN, vielenRegierungen, Nichtregierungsorganisa-tionen und zivilgesellschaftlichen Grup-pen erhofft, muss vom Weltgipfel einglaubwürdiges Signal ausgehen, dassin Zukunft den Worten auch Taten, denDokumenten auch Aktionen, den aus-gehandelten Vereinbarungen auch ihreUmsetzung folgen wird. Eine Verausset-zung hierfür ist aber auch eine ehrlicheAnalyse, warum die Vision von Rio trotzvielfältiger Aktivitäten, Initiativen undErfolge auch nach zehn Jahren nochweit von ihrer Realisierung entfernt ist.R

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„Armut ist die größte Umweltverschmut-zung“ erklärte Indiens MinisterpräsidentinIndira Gandhi bei der ersten Umweltkonfe-

renz der Vereinten Nationen 1972 in Stockholm. Siefasste damit die Position vieler Entwicklungsländerzusammen, deren Prioritäten die wirtschaftliche Ent-wicklung, das Aufschließen zu den Industrieländerund die Beseitigung der Armut waren. Natur- undUmweltschutz galten dagegen als Luxus, Umweltzer-störungen als Preis des Fortschritts.

Zwanzig Jahre später ging es in der brasilianischenMetropole Rio de Janeiro dann um den Versuch, Ent-wicklungsanliegen und Umweltschutz zusammenzu-führen. Der Konferenzort war gut gewählt. Das Gast-geberland bot nicht nur ein umfassendes Spektrumvon Anschauungsmaterial für die sozialen und wirt-schaftlichen Probleme von Unter- und Fehlentwick-lung in den Ländern des Südens. Mit dem Raubbau anden Regenwäldern des Amazonasgebiets war Brasilienauch einer der Brennpunkte für die ökologischenKosten rücksichtsloser Ausbeutung der Natur und denwachsenden Widerstand von Umweltschützern, sozia-len Bewegungen und indigenen Völkern gegen dieseZerstörungen. Der Schutz der Wälder und der biologi-schen Vielfalt standen in Rio denn auch ganz oben aufder Tagesordnung.

Gleichzeitig befand sich die Entwicklungspolitik ineiner tiefen Krise. Der Handlungsspielraum vieler Ent-wicklungsländer wurde durch die Überschuldung dra-stisch eingeschränkt, die Strukturanpassungsprogram-me, die die Gläubiger Internationaler Währungsfonds(IWF) und Weltbank den Schuldnerländern verordne-ten, hatten die Umweltzerstörung und Ressourcen-plünderung beschleunigt und die wirtschaftliche undsoziale Lage vieler Bevölkerungsgruppen verschlech-tert. Weltweit wuchsen die Proteste gegen weiterenSozialabbau und wirtschaftlichen Ausverkauf an aus-ländische Konzerne, gegen die anhaltende Benachtei-ligung von Frauen, gegen Großstaudämme, Raubbaudurch Bergbau und Abholzung, gegen Unterdrückung,Vertreibung und Verlust kultureller Identität.

KurswechselHoffnungen auf einen „Kurswechsel“, auf eine neue„Erdpolitik“, auf ein neues „Entwicklungsparadigma“und auf den Beginn eines „Jahrhunderts der Umwelt“stützten sich unter anderem auf das Ende des KaltenKrieges und der Blockkonfrontation. Von der „Frie-densdividende“ sollten auch die Nord-Süd-Beziehun-gen profitieren - politisch und materiell. Die neueweltpolitische Situation eröffnete zudem die Aussichtauf eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen in einerneuen, globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik.Angesichts begrenzter Möglichkeiten, die zunehmend

interdependenten Problemlagen noch allein zu lösen,wuchs der Druck auf die Regierungen zu verstärkterKooperation und Konsenssuche.

In dieser Situation stellte Rio einen „Meilenstein“ dar.UNCED war nicht nur das bis dahin größte Treffen vonStaats- und Regierungschefs, Ministern und Medien-vertretern, Interessengruppen, Nichtregierungsorgani-sationen und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Ebensobreit und vielfältig war die Palette kontroverser undkonfliktträchtiger Themen, die einerseits von den UN-Mitgliedern im gut gesicherten Konferenzzentrumaußerhalb der Stadt, andererseits beim „GlobalForum“ der NRO mitten im quirligen Stadtzentrum inSichtweite des Zuckerhuts diskutiert wurden. Im Vor-dergrund standen dabei vielfach die Kompromiss- undKonsenssuche, die Bereitschaft zu konstruktiverZusammenarbeit und zu einer breiten Einbeziehungunterschiedlicher Akteure in die Aushandlung vonneuen, innovativen Lösungen für die Umwelt- undEntwicklungskrise.

Mit einer Reihe von Zusagen gelang es den Industrie-ländern, auch die Entwicklungsländer ins Boot nach-haltiger Entwicklung zu holen, obwohl für viele vonihnen die Rio-Agenda mit ihrer starken Betonung vonUmweltthemen primär eine „Agenda des Nordens“war. Ihr „Recht auf Entwicklung“ wurde anerkannt.Gleichzeitig sagten die Industrieländer als die Haupt-verursacher globaler Umweltprobleme zu, durch dieVerringerung von Treibhausgas-Emissionen und dieEinschränkung nicht-nachhaltiger Produktions- undKonsummuster die Spielräume für ein weiteres Wirt-schaftswachstum in den Ländern des Südens zu schaf-fen, und sie mit neuen, zusätzlichen Finanzmittelnund dem Transfer umweltfreundlicher Technologienverstärkt zu unterstützen.

ErfolgeUnd Rio war durchaus erfolgreich. In der abschließen-den „Rio-Erklärung zu Umwelt und Entwicklung“ wer-den grundsätzliche Rechte und Verantwortlichkeitender Staaten gegenüber der Umwelt formuliert. Mitder Agenda 21 wurde ein umfassendes, detailliertesAktionsprogramm für die Umsetzung nachhaltigerEntwicklung beschlossen, das allerdings für die Regie-rungen nicht verbindlich ist. Völkerrechtlich bindenddagegen sind die Klimarahmenkonvention (FCCC) unddie Konvention über Biologische Vielfalt (CBD), ebensowie die in Rio auf den Weg gebrachte Konvention zurBekämpfung der Desertifikation (CCD). Mit der Kom-mission für nachhaltige Entwicklung (CSD) wurdezudem ein ständiges Forum geschaffen, dass dieRegierungen bei der Umsetzung der Agenda 21 beglei-tet und unterstützt.

1. Aufbruchstimmung - Der „Geist von Rio“

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Seit Rio haben NROs in derinternationalen Politikzwar mitreden können, dieVerantwortung liegt aberbei den Regierungen.

(Major Groups) wie indigenen Völkern, Jugendlichenund Frauen, Vertretungen von Städten und Gemein-den, Gewerkschaften und der Privatwirtschaft;

� Gleichzeitig war Rio der Kristallisationspunkt für zahllose globale NGO-Netzwerke, deren Gewicht in einer neuen „Weltinnenpolitik“ ständig gewachsen ist;

� Rio legte zudem die Grundlagen für den allerdings noch andauernden Prozess der globalen Anerken-nung wichtiger Grundsätze wie Gleichberechtigung,der gerechten Teilung von Lasten und Nutzen zwi-schen Industrie- und Entwicklungsländern, dem Vor-sorge- und dem Verursacherprinzip oder den Rechtenvon lokalen Gemeinschaften und indigenen Völkern;

� Außerdem können es sich Konzerne und Unterneh-men seit Rio kaum noch leisten, als „Nachhaltigkeits-ignoranten“ dazustehen. Mit Organisationen wie dem World Business Council for Sustainable Deve-lopment (WBCSD) schlossen sich Unternehmen, für die eine „grüne“ Entwicklungsperspektive durch mehr Umweltschutz, Energieeffizienz oder erneuer-bare Energiequellen rosige Geschäftsaussichten eröffnet, zusammen. Aber auch die Front der Erdöl- und Autolobby, die Fortschritte bei Klima- oder Res-sourcenschutz blockierte, bröckelte in den folgen-den Jahren.

Einerseits stieß der „Geist von Rio“ so das Tor auf, umdurch ein neues globales Umweltregime, größere Par-tizipation der Zivilgesellschaft und Handlungsver-pflichtungen für Regierungen Weichen in RichtungNachhaltigkeit zu stellen. Doch zeigten sich bereits inRio auch die deutlichen Schwachstellen der frischgeschlossenen Vereinbarungen, Kompromisse undPartnerschaftsschwüre.

MinimalkonsensSo konnten sich die Regierungen in allen wichtigenBereichen nur auf einen Minimalkonsens einigen. Invielen Kernfragen gab es keine befriedigenden Lösun-gen. Ein Grund dafür ist das Konsensprinzip der Ver-einten Nationen, wodurch der Langsamste das Tempobestimmen kann. Dadurch wurde auch in der Regelverhindert, dass eingegangene Verpflichtungen ver-bindlich wurden und Versprechen durch zeitliche Fri-sten oder finanzielle Zusagen für ihre Umsetzungkonkretisiert wurden. Ohne Überprüfungsmechanis-men, geschweige denn Sanktionen bei Nicht-Einhal-

tung, wurden viele Versprechungen von Rio von vorn-herein auf reine Absichtserklärungen reduziert.

Zudem positionierte sich bereits in Rio die US-Regie-rung als eine der entscheidenden Bremser des Rio-Prozesses. Washington machte auch aus seiner prinzi-piellen Ablehnung multilateraler Verhandlungenkeinen Hehl. Und obwohl die USA mit ihren CO2-Emis-sionen und hohem Ressourcenverbrauch zu denschlimmsten globalen Umweltsündern gehören,erklärte Präsident George Bush (senior) öffentlich:„Unser Lebensstil ist nicht verhandelbar“.Ausgeklammert wurden auch die strukturellen Ursa-chen von Umweltzerstörungen, Ungerechtigkeit undEntwicklungshemmnissen im wirtschaftlichen undpolitischen System. Eine öffentliche Auseinanderset-zung um Herrschaft, Marktmacht, Monopole und ihredemokratische Kontrolle wurde vermieden. Auch dieSprengkraft tiefgreifender Interessenunterschiedeund -gegensätze, unterschiedlicher Vorstellungenüber die zukünftige Entwicklung und die Verteilungvon Lasten und Nutzen sowie ungleicher Machtver-hältnisse zwischen den beteiligten Akteuren wurdekaum thematisiert.

Ein blinder Fleck blieben vor allem die AktivitätenTransnationaler Konzerne. Sie tragen nicht nur inwachsendem Umfang zu Umweltproblemen bei, siebeeinflussen auch die Handlungssouveränität vonRegierungen der Entwicklungsländer. Dennoch wur-

den in Rio Vorschläge, die Konzerne wirksamer zuregulieren oder zur Einhaltung von Vorgaben zu zwin-gen, ausgeblendet und damit nach Auffassung vonMartin Khor von der malaysischen NRO Third WorldNetwork (TWN) die „wichtigste Voraussetzung füreine nachhaltige Entwicklung versäumt“.

„Während UNCED redeten die Regierungen von „nach-haltiger Entwicklung“ – ein neues Entwicklungsmodellist jedoch nicht in Sicht“, lautete daher das Resümeedeutscher NRO. Stattdessen wurden herkömmlicheKonzepte wie Wirtschaftswachstum, technologischerFortschritt sowie größerer Finanztransfer zu Maximenfür die soziale und ökologische Umgestaltung erho-ben. „UNCED enttäuscht all jene, die geglaubt haben,dass ein globaler Konsens über eine ökologisch undsozial gerechte Verteilung erreicht werden könnte.Eine neue Qualität der Nord-Süd-Zusammenarbeit, dieauf gleichen Rechten, Pflichten und Lebenschancenaufbaut, lässt sich nicht erkennen“, so ein Statementdeutscher NRO zum Abschluss der Rio-Konferenz.

Ohne Frage war der „Erdgipfel“ ein „historischer Mei-lenstein“. Doch zeigte sich rasch, dass bei vielen Regie-rungen in Nord und Süd der Enthusiasmus geringblieb, die in Rio gefassten Beschlüsse auch umzuset-zen, den Worten Aktionen folgen zu lassen und denangekündigten „Kurswechsel“ wirklich vorzunehmen. R

Darüber hinaus hat Rio der Umwelt- und Entwick-lungspolitik zahlreiche Anstöße gegeben, die bis heutenachwirken:

� Das internationale Problembewusstsein über das Ausmaß der Doppelkrise von Umweltzerstörung und Armut und die Wechselwirkungen von Umwelt-situation, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaft-licher Entwicklung wurde geschärft;

� erstmals räumten die Industrieländer offiziell ein,dass sie die Hauptverantwortung für die ökologi-sche Krise und damit auch für die Korrektur der Fehlentwicklungen tragen;

� mit dem Eingeständnis, dass die Wirtschafts- und Konsumweise der Industrieländer aus ökologischen Gründen nicht für alle Menschen gelten kann,wurden implizit die „Grenzen das Wachstums“ und die Notwendigkeit alternativer Wirtschafts- und Lebensweisen anerkannt, eines „neuen Wohlstands-modells“, das auch für die Entwicklungsländer attraktives Leitbild sein kann;

� Rio brachte den Durchbruch für erweiterte Beteili-gungsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisa-tionen und anderen gesellschaftlichen Gruppen

„Armut ist die größte Umweltverschmutzung!“Indira Gandhi

ErnährungNach Schätzung der UN-Organisation für Ernährung und Land-wirtschaft, FAO, ist die Zahl der Hungernden seit dem Welt-ernährungsgipfel 1996 nur um jährlich sechs Millionen gesunken,weit weniger als notwendig, um das Ziel des Milleniums-Gipfelszu erreichen, ihre Gesamtzahl auf 400 Millionen bis zum Jahr 2015zu halbieren. Gleichzeitig stieg die Zahl der Menschen mit Über-gewicht in den Entwicklungsländern, in den Industrieländern istjeder zweite Erwachsene zu dick.(Quelle: WWW, WS Policy Brief #1)

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Einer der größten Fehlschläge des Rio-Prozesses ist dieWälderpolitik. Nachdem sich die Regierungen in Riobereits mit der „Wald-Erklärung“ lediglich auf einevage Absichtsbekundung für eine internationale Rege-lung verständigen konnten, wurde seither in immerneuen Gremien und Foren ergebnislos verhandelt.Während der Verlust der natürlichen Wälder in Brasili-en, Indonesien, Kanada oder Russland mit jährlich 12,5 Millionen Hektar nahezu ungebremst weiter geht,blockieren viele Regierungen des Südens wie des Nor-dens gemeinsam mit der Holzindustrie jede wirksameRegelung.

Wie die Verhandlungen um ein Wälderabkommen zei-gen, haben die global operierenden Konzerne längstdie Bedeutung des Rio-Prozesses erkannt und versu-chen, die Verhandlungen in ihrem Sinne zu beeinflus-sen. Hilfreich sind dabei ihre guten Beziehungen zuRegierungen, Ministerien, Vereinten Nationen undinternationalen staatlichen Entwicklungsorganisatio-nen. Erdölkonzerne, Autohersteller und Bergbau-Multisbemühen sich, Umweltziele zu verwässern. Dagegenbieten sich Unternehmen, die den zukunftsträchtigenMarkt für umweltverträgliche Technologien und Pro-dukte im Visier haben, als Verbündete für eine nach-haltige Entwicklung an.

Die Erfahrungen zeigen, dass ökologische Problemewie Waldverlust oder Klimaveränderungen selektivund entlang verschiedenster Macht- und Interessen-bündnisse bearbeitet werden. Handfeste wirtschaftli-che Interessen bestimmen die Verhandlungen – zumBeispiel der Zugang zu profitträchtigen genetischenRessourcen für die Pharma- und Nahrungsmittelindu-strie, die Absatzmöglichkeiten für umweltschonendemoderne Technologien oder die Verhinderung vonwirtschaftlichen Nachteilen, etwa durch strenge Auf-lagen zur Emissionsminderung. Es geht vor allem uminternationale Wettbewerbs- und Standortvorteile,um Investitionen und Geschäfte in Milliardenhöheund weniger um die Lösung globaler Umweltproble-me oder um die Verbesserung der Lebensverhältnisseder Armen.

ImplementierungskriseNoch schwieriger als die Verhandlungen selbst ist viel-fach der nächste Schritt, die Umsetzung. Denn mitLeben gefüllt und in praktische Politik gegossen wer-den müssen die internationalen Konventionen undProtokolle, die in Rio, New York, Cartagena, Kyoto undanderswo geschmiedet wurden, zuvörderst in denLändern selbst. Diese Bilanz fällt bislang unbefriedi-gend aus. „Kaum einer der Verträge, die in Rio oderdanach unterzeichnet wurden, wurde ernsthaftumgesetzt“, kritisiert zum Beispiel das CSE in einem

jüngst erschienenen Bericht über die GlobalenUmweltverhandlungen.

Eine Ursache für diese „Implementierungskrise“, dieauch der UN-Generalsekretär in seiner Bilanzierungder Rio-Beschlüsse konstatiert, ist, dass die Abkom-men meist von Umwelt- und Entwicklungsministerienausgehandelt werden – für die Umsetzung müssenaber die Regierungschefs, die Finanz- und Wirtschafts-minister gewonnen werden. Und die haben oft ihreeigenen Prioritäten und Interessen.

Außerdem haben Regierungen bei fehlendem politi-schem Umsetzungswillen keine Konsequenzen zubefürchten. Die Abkommen sehen dafür meist keineStrafen vor, weil sonst viele Länder gar nicht erstzustimmen würden. Oberstes Gremium der Überwa-chung ist die Vertragsstaatenkonferenz, das heißt, dieRegierungen kontrollieren sich selbst. Und verbindli-che Indikatoren, um Verbesserungen der Umweltqua-lität oder der Nachhaltigkeit wirklich zuverlässig undobjektiv zu messen, fehlen vielfach.

Andererseits fehlen vielen Regierungen des Südensaber auch schlicht die administrativen und personel-len Kapazitäten für eine Umsetzung auf nationalerEbene. Und ebenso das Geld. Zwar finanziert der Glo-bale Umweltfonds GEF (Global Environment Facility)Maßnahmen zum Klimaschutz und zum Schutz biolo-gischer Vielfalt. Doch die etwa fünf Milliarden US-Dollar, die die Industrieländer bislang dafür bereit-stellten, reichen bei weitem nicht aus. Weiterebilaterale Leistungen, auf die zum Beispiel afrikani-sche Regierungen zur Umsetzung der Konvention zurDesertifikationsbekämpfung angewiesen sind, sindnoch spärlicher: „Abkommen, die vor allem von denLändern des Südens vorangetrieben wurden wie dieCCD, sind wegen unzureichender Mittel Totgeburtengeblieben“, lautet daher das harsche Urteil von CSE.So wurden die Chancen der Rio-Konventionen nurunzureichend genutzt. Sie können einen globalenOrdnungsrahmen für eine internationale ökologischeModernisierungsstrategie abgeben und dazu beitra-gen, Ressourcenplünderung und Atmosphärenver-schmutzung zu verlangsamen. Mit Abkommen wiedem Kyoto-Protokoll zum Beispiel ist ein solcherAnfang für die Industrieländer gemacht. Für die Län-der des Südens ist das weitaus schwieriger. Sie benöti-gen dafür ausreichende finanzielle Mittel, Zugang zutechnischer Expertise, weiterhin die Entwicklunggrundlegender Kapazitäten, wie das UN-Umweltpro-gramm UNEP fordert, und „eine klare Rolle für nicht-staatliche Akteure“. R

Wenn alles gut geht, wird in Johannesburg dasInkrafttreten des Kyoto-Protokolls, einemZusatzprotokoll zur Klimarahmenkonvention,

bekanntgegeben – trotz des Ausstiegs der USA, desgrößten Klimasünders. Gefordert sind nun die übrigenRegierungen der Industrieländer, es bis dahin zu ratifi-zieren und der internationalen Klimapolitik neuenSchwung zu geben.

Die Rio-Konventionen sind ein Kernstück des Rio-Pro-zesses. Im Unterschied zu vielen reinen Umweltab-kommen wie der Konvention zum Handel mit bedrohtenTierarten (CITES) gehen sie davon aus, dass ein Schutzder globalen Umwelt nur erreicht werden kann, wennauch die wirtschaftliche und soziale Situation derMenschen in den Entwicklungsländern verbessertwird.

Die Aufbruchstimmung von Rio trug dazu bei, dass diebeiden dort beschlossenen Konventionen zu Klimaver-änderungen und zu biologischer Vielfalt bereits imDezember 1993 beziehungsweise im März 1994 inKraft traten. Auch die Verhandlungen über die Kon-vention zur Bekämpfung der Desertifikation (CCD)wurden bis 1996 erfolgreich abgeschlossen. Insbeson-dere afrikanische Regierungen, deren Länder vonVegetationsverlust, Bodenerosion, Trockenheit unddaraus resultierenden Katastrophen für die ländlicheBevölkerung besonders betroffen sind, hatten in Rioein solches Abkommen durchgesetzt.

Die Mühlen internationaler VerhandlungenDie Verhandlungen über weitere Abkommen verliefenallerdings zäher. Die komplizierte Materie, die Vielzahl

von Akteuren und unterschiedlichen Interessen mach-ten die Aushandlung zu einem schwierigen, langwieri-gen Prozess. Das Konsensprinzip der Vereinten Natio-nen bringt es mit sich, dass Kompromisse häufig nurauf dem kleinsten gemeinsamen Nenner gelingen.Interessen- und Meinungsunterschiede werden durchvage Formulierungen und unverbindliche Zusagenumschifft, unlösbare Differenzen ausgeklammert.Regelungen und Vereinbarungen kommen oft nurdurch „Tauschgeschäfte“ zustande, die Sunita Narainvom renommierten indischen Center for Science andEnvironment (CSE) an „geschäftliche Transaktionen“erinnern: „Umweltdiplomatie ist zu einem kleinlichenHandel geworden, bei dem das Prinzip wechselseiti-gen Vorteils ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichenKosten Vorrang hat, und nicht das Ziel einer gerechtenglobalen Umweltpolitik, die auf Grundsätzen wieDemokratie, Gerechtigkeit und Gleichheit basiert“.

Je mehr politisch und wirtschaftlich auf dem Spielsteht, desto verhärteter die Positionen. So drohte dasKyoto-Protokoll, das Industrie- und Transitionsländerverpflichtet, ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2010 imSchnitt um 5,2 Prozent gegenüber 1990 zu verringern,mehrfach zu scheitern. Auch das Protokoll zur Biologi-schen Sicherheit, das Gefahren durch den grenzüber-schreitenden Handel mit genetisch veränderten Orga-nismen vorbeugen und Schadensersatzansprücheregeln soll, wurde erst nach langwierigen, konfliktrei-chen Verhandlungen vor zwei Jahren abgeschlossen.Doch die meisten Industrieländer, darunter auchDeutschland, haben es bislang nicht ratifiziert.

2. Verlorene Liebesmüh’? Die Rio-Konventionen

< Die drängendsten Umweltprobleme sindheute nur noch global zu lösen.

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Das rapide Anwachsen der inter-nationalen Handelsströme bringtden Armen kaum etwas.

schen Direktinvestitionen, die in denneunziger Jahren sprunghaft anstiegenund zeitweise viermal so hoch lagenwie die offiziellen Entwicklungs-Gelder.Doch leisten die Konzerne damit kaumeinen Beitrag zu nachhaltiger Entwick-lung: Die Milliarden kommen nur zueinem Bruchteil armen Ländern oderRegionen zugute, sie fließen überwie-gend in einige wenige Schwellenländerund besonders profitable Wirtschafts-bereiche. Zudem tragen sie vielfachdazu bei, die nationale Souveränitätauszuhöhlen, einheimische Produktionzu verdrängen und die Ausbeutung vonnatürlichen Ressourcen wie Boden-schätzen und Wäldern zu intensivieren.

„Monterrey-Konsens“Die UN-Konferenz zur Entwicklungsfi-nanzierung, die vom 18. bis 22. März2002 im mexikanischen Monterreystattfand, galt als Lackmus-Test für dieBereitschaft der Industrieländer, zehnJahre Sparkurs in der internationalenUmwelt- und Entwicklungspolitikumzukehren. Nur dann, so die Progno-sen, könne es auch gelingen, die Unter-stützung der Entwicklungsländer füreinen neuen Anschub nachhaltiger Ent-wicklung durch den „Weltgipfel“ inJohannesburg zu bekommen.

Mit ihrer Zusage, die offizielle Entwick-lungshilfe der europäischen Länder vongegenwärtig im Schnitt 0,33 Prozentdes Bruttosozialprodukts auf 0,39 Pro-zent bis zum Jahr 2006 zu steigern,

setzte die EU in Monterrey in letzterMinute immerhin ein positives Signal,da nicht nur eine Trendwende, sondernauch ein Zeitziel versprochen wurde.Weder damit noch mit der ebenfallsangekündigten Steigerung der US-Hil-fe, die von Präsident George W.Bushzudem an politisches Wohlverhaltengeknüpft wurde, lässt sich jedoch dieauf dem Milleniums-Gipfel 2000 vonden Staats- und Regierungschefangekündigte Halbierung der Zahl der Armen bis 2015 erreichen.

Stattdessen wurde in Monterrey dieVerantwortung, die Finanzierungslückezu schließen, abgeschoben:

� Der Zufluss privaten Kapitals in die Länder des Südens soll durch weitere Handels- und Investitionsliberalisie-rung verstärkt werden, obwohl es zunehmend Belege dafür gibt, dass die Armen der Welt davon kaum pro-fitieren;

� Die Regierungen des Südens sollen mehr eigene Ressourcen durch Steuernund Abgaben mobilisieren und die Korruption eindämmen. Ihre Spielräu-me dafür sind allerdings angesichts verbreiteter Armut und unzulängli-cher Finanzbehörden gering.

Zudem werden die grundlegendenstrukturellen Probleme, etwa im Welt-handel, die der Verwirklichung einernachhaltigen Entwicklung im Wege ste-hen, oder die überfällige Reform derinternationalen Finanzsysteme in derSchlusserklärung von Monterrey nichtangesprochen. Dabei liegen innovativeKonzepte längst auf dem Tisch:

� Die „Tobin-Steuer“ zum Beispiel würdedurch eine geringe Abgabe auf Devi-sentransaktionen die spekulativen Finanzkrisen mit ihren negativen Auswirkungen auf die Handlungs-fähigkeit von Regierungen des Südens,auf Umweltpolitik und Lebenssituationder Bevölkerung dämpfen und gleich-zeitig Finanzmittel bereitstellen, die für eine nachhaltige Entwicklung ein-gesetzt werden könnten. Während die gesellschaftliche und wissenschaft-liche Unterstützung dafür wächst, ist

Beim „Erdgipfel“ in Rio ging esnicht nur um Visionen, sondernauch ganz handfest ums Geld.

Allein für die Umsetzung der Agenda 21in den Ländern des Südens, so dieSchätzung des UNCED-Sekretariats,müssten jährlich 600 Milliarden US-Dollar aufgebracht werden. Für ihrenAnteil daran hätten die Industrieländerihre Entwicklungshilfe auf 125 Milliar-den US-Dollar verdoppeln müssen.Auch wenn nachhaltige Entwicklungnicht allein am Geld hängt – die Finanz-frage ist ein Indikator politischen Wil-lens und ein Seismograph für Macht-verhältnisse.

Die einzige konkrete Zusage der Indu-strieländer auf multilateraler Ebenewar die Global Environment Facility(GEF). Der Globale Umweltfonds, derauf Drängen der USA von der Weltbankverwaltet wird, finanziert Maßnahmenim Rahmen der Rio-Konventionen undAktivitäten zum Schutz der Meere undder Ozonschicht. Er war bereits 1991durch Frankreich und Deutschland initi-iert worden – einerseits als Geste gutenWillens im Vorfeld von Rio, andererseitsaber auch als Gegen-Konzept zu einemunabhängigen „Grünen Fonds“, wie ihneinige Entwicklungsländer favorisierten.Abgesehen von GEF und einer Reihebilateraler Zusagen für einzelne Kon-ventions-Aktivitäten und Programmefällt die Finanz-Bilanz seit Rio düster aus:

3. Finanzierung:(keine) Wende in letzter Minute

� Im Gegensatz zu ihrer in Rio noch einmal erneuerten Zusage, 0,7 Pro-zent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit bereit-zustellen, schraubten die meisten Industrieländer die öffentliche Ent-wicklungshilfe seither zurück. Derzeitwerden durchschnittlich 0,24 Prozenterreicht, die USA liegen bei 0.10%,Deutschland stagniert bei 0,27 Prozent.

� Die Mittel für die Weltbank-Tochter IDA, die für die armen und ärmsten Länder Kredite zu besonders günsti-gen Bedingungen zur Verfügung stellt, wurden nach Rio kräftig gekürzt;

� Erst nachdem die weltweite Schul-denkampagne „Erlassjahr 2000“ Druck machte, kamen mit der HIPC-Initiative Erleichterungen für die ärm-sten Schuldnerländer in Gang, die allerdings vielfach nur eine Atempausebedeuten und kaum geeignet sind,sie dauerhaft aus der Schuldenfalle herausführen;

� Gleichzeitig geben die Industrielän-der Milliarden Dollar an Subventio-nen zur Stützung umweltschädlicher wirtschaftlicher Aktivitäten aus, vom Kohlebergbau über Flugverkehr bis hin zur chemie-intensiven industriellenLandwirtschaft.

Optisch wird die finanzielle Nord-Süd-Bilanz aufgehellt durch die ausländi-

Quick Check: Wirtschaftliche Entwicklung

EntwicklungszusammenarbeitDie Entwicklungshilfe (ODA) fiel von 58,3 Mrd. US-Dollar (1992) auf53,1 Mrd. US-Dollar (2000), der Anteil am Bruttosozialprodukt derIndustrieländer damit von 0,35 auf 0,22 Prozent.

RessourcenverbrauchZwar ist der Ressourceneinsatz pro Kopf der Bevölkerung und je US-Dollar Bruttosozialprodukt rückläufig, der gesamte Rohstoffver-brauch stieg allerdings weiter an.

RecyclingDie Wiederverwertungs-Quote von Abfällen stagniert in den Indu-strieländern zwischen 30 und 50 Prozent.

Ungleichheit1960 war das Verhältnis laut Human Development Report von 1999zwischen dem Einkommen der 20 Prozent der Weltbevölkerung, diein den reichsten Ländern leben, und dem Einkommen der 20 Prozentin den ärmsten Ländern 30 : 1, 1990 betrug es 60 : 1 und 1997 sogar74 : 1.

EnergieverbrauchZwischen 1980 und 2000 stieg der Energieverbrauch weltweit um 42 Prozent und wird, so die Schätzungen, in den nächsten 50 Jahrenweiter um 150 bis 230 Prozent wachsen.

Überschuldung1992 belief sich der Gesamtschuldenstand aller Entwicklungsländerauf 1,62 Billionen US-Dollar, bis 2000 war er auf 2,5 Billionen gestie-gen. Der langfristige Schuldendienst verdoppelte sich bis 1998gegenüber 1992 nahezu von 147 Milliarden auf 281 Milliarden US-Dollar.

die Bundesregierung gespalten – das BMZ machte sich in Monterrey dafür stark, Wirtschafts- und Finanzmini-sterium sind dagegen, ebenso wie dieEU-Kommission.

� Ähnlich könnten durch eine Abgabe auf die Nutzung globaler Gemein-schaftsgüter wie den internationalen Luftraum, die Weltmeere oder den Weltraum, die unter anderem vom Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesre-gierung (WBGU) vorgeschlagen wird,globale Umweltaufgaben finanziertund gleichzeitig Anreize zum globalen

Umweltschutz, etwa zur Verringe-rung von klimaschädlichen Emissio-nen durch Flugzeuge, geschaffen werden.

Beide Konzepte fielen im „Monterrey-Konsens“ unter den Tisch. Bleibt dieHoffnung auf Johannesburg, wo sievoraussichtlich wieder auf der Tages-ordnung stehen werden. R

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Der Flamengo-Park, mit Blick auf den Zuckerhut,ist der Geburtsort der internationalen NRO-Bewegung. VertreterInnen von mehr als 1.400

Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, Frauen-netzwerken, Menschenrechtsgruppen, Kirchen,Gewerkschaften und sozialen Bewegungen warennach Rio gekommen, um das Angebot der VereintenNationen auf Beteiligung und Kooperation auszulo-ten. „Die Nichtregierungsorganisationen können dieVerhandlungen der Konferenz bereichern und voran-bringen“, hatte das UN-Vorbereitungskomitee einge-laden, und „zur Verbreitung ihrer Ergebnisse und zurMobilisierung öffentlicher Unterstützung beitragen“.

„Immer mehr Probleme von Umwelt und Entwicklungkönnten ohne Nichtregierungsorganisationen nicht inAngriff genommen werden“, hieß es bereits 1987 imBrundtland-Bericht, der die programmatischen Grund-lagen für Rio legte. Die Einbeziehung der NRO, die sichin den achtziger Jahren zu einer breiten, vielfältigenund zunehmend wirkungsvolleren Bewegung ent-wickelt hatten, bot den Regierungen zwei große Vor-züge für die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung:

� NRO bringen vielfältige Erfahrungen und Kenntnisse sowie einen engen Kontakt zu Bevölkerungsgruppen,die von Behörden und Regierungsprogrammen oftnicht erreicht werden, mit. Zudem, so die Hoffnung,fällt ein Abglanz des guten Rufs der NRO von Basis-nähe, Effizienz und uneigennützigem Engagementauch auf den staatlichen Kooperationspartner. „Einepartizipatorische Herangehensweise erhöht die öffentliche Anerkennung und Legitimität von Leis-tungen der Regierung“, weiß die Weltbank.

� NRO sind zudem ein kostengünstiger Träger für die Verlagerung von staatlichen Umwelt- und Entwick-lungsprogrammen im Zuge der Reduktion und Privatisierung von Staatsaufgaben, die die Regierun-gen angesichts leerer Kassen und Überschuldung nicht mehr schultern wollen.

4. Die „neue Internationale“ der NRO

Rio legte den Grundstein für ein großangelegtes Parti-zipationsexperiment, das auch die folgenden UN-Kon-ferenzen von Kopenhagen über Kairo bis Beijing präg-te. Der David NRO, im Kampf gegen Goliaths wieWeltbank, internationale Konzerne und Regierungenstark geworden, wurde zum gesuchten Gesprächs-und Kooperationspartner. Um ihre Kritik einzubindenund ihre Potentiale zu nutzen, boten die VereintenNationen und viele Regierungen den NRO neue Betei-ligungsmöglichkeiten an, die alten Fronten wurdenaufgelockert.

Chancen und RisikenFür die NRO öffnete sich damit die Tür zu den Korrido-ren der Macht – zumindest einen Spalt breit. Die Mög-lichkeiten für Lobby-Arbeit, die Kombination vonöffentlichem Druck und stillen Verhandlungen, ver-besserten sich durch den Zugang zu Informationenund Ministerien. Von der Lokalen Agenda 21 über Dia-log-Veranstaltungen und Konsultationen bis hin zurAufnahme von NRO-VertreterInnen in offizielle Ver-handlungsdelegationen entwickelten sich vielfältigeneue Kooperationsformen. Für Aktivitäten der NROwie die kritische Kontrolle der Umsetzung der Rio-Beschlüsse durch Ministerien, Regierungen und UN-Organisationen gab es „Staatsknete“.

Indem die NRO die Spielräume und Beteiligungsmög-lichkeiten, die sich seit Rio eröffneten, geschickt nutz-ten, haben sie weltweit und auf allen Ebenen erheb-lich an Einfluss auf den Rio-Prozess gewonnen – undmit ihnen einige der anderen Major Groups wie Frauen,Gewerkschaften oder die Privatwirtschaft, die in derAgenda 21 als wichtige gesellschaftliche Akteure zurBeteiligung an der Umsetzung des Aktionsprogrammaufgefordert wurden.

Ein wichtiges Forum dafür ist die UN-Kommission fürnachhaltige Entwicklung (CSD), die die nationale undinternationale Umsetzung der Rio-Beschlüsse überwa-chen und Empfehlungen für den weiteren Prozess for-mulieren soll. In der CSD hat sich eine enge Kooperati-

4. Die „neue Internationale“ der NRO Die Gewinner von Rio?

on zwischen Regierungsvertretern und den MajorGroups entwickelt, die Pilotfunktion für das gesamteUN-System haben könnte.

Ohne den ständigen Druck und die vielfältigen Akti-vitäten von NRO sähe die Rio-Bilanz noch weitausschlechter aus. So ist in Bangladesh das ländlicheGesundheitswesen fast völlig in der Hand von NRO,ebenso Entwicklungsprojekte und Bildungsmaßnah-men. Bei der Lokalen Agenda 21 sind Gruppen derZivilgesellschaft meist die Initiatoren und treibendeKraft. Insbesondere in Themenbereichen, wo sie wahr-nehmbare wirtschaftliche Pluspunkte und ökonomi-sche Interessengruppen wie die „grüne“ Industrie aufihrer Seite haben wie etwa bei der Schaffung vonArbeitsplätzen durch erneuerbare Energien, ist ihreDurchschlagskraft deutlich gestiegen.

Andererseits wurden die NRO durch ihre Beteiligungan den Weltkonferenzen in eine Agenda eingebunden,die die Regierungen und die UN aufgestellt haben.Spielräume, Spielregeln und Verhandlungsthemensind weitgehend vorgegeben. Außerdem versuchteneine Reihe von Süd-Regierungen immer wieder, eineAusweitung der NRO-Partizipation in den VereintenNationen zu bremsen.

So beschränken sich die Einflussmöglichkeiten derNRO weitgehend auf die „soft institutions“ wie dieCSD, die wenig Entscheidungsbefugnisse hat undderen Beschlüsse nur Empfehlungen an die nationa-len Regierungen sind, und auf „soft issues“ wieUmweltfragen und Entwicklungsmaßnahmen. In deninnersten Kreis der Weltpolitik sind sie nicht vorge-lassen worden.

Die „harten“ Themen wie Wirtschaft, Finanzen, Han-delsfragen und die nächsten Etappen der Globalisie-rung mit ihren Auswirkungen auf Menschen undUmwelt werden weitgehend hinter verschlossenenTüren verhandelt - bei der WelthandelsorganisationWTO, dem IWF und den G7-Treffen der führendenIndustriestaaten. Die Einflussmöglichkeiten und Wir-kungen von NRO und anderen zivilgesellschaftlichenGruppen sind daher meist weitaus geringer geblie-ben, als die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie als„Neue Internationale“ genießen, vermuten lässt.Zudem haben die erweiterten Beteiligungsmöglich-keiten Spuren in der NRO-Szene hinterlassen. Dendamit verbundenen Arbeitsaufwand können am ehe-sten die finanzkräftigen großen Nichtregierungsorga-nisationen aus den Industrieländern, die bingos, wahr-nehmen. Entstanden ist damit eine neue Gruppethemenorientierter Spezialisten und Jet-Set-NRO, die

Gefahr laufen, „den Kontakt zu denen, die an der Basisdie Menschen für Veränderungen mobilisieren, zu ver-lieren“, wie Heinz Greijn vom Umwelt-Liaison-Zen-trum ELCI in Nairobi warnt.

Neue PartnerschaftenSpätestens seit der UN-Generalversammlung Rio+5,die 1997 in New York eine erste Zwischenbilanz zog,müssen die NRO zudem ihre Rolle als Hoffnungsträgermit der Privatwirtschaft teilen, die als eine der MajorGroups aufgefordert ist, sich an der Umsetzung derAgenda 21 zu beteiligen. Von ihr verspricht sich dieUNO Geld und Technologie. Unternehmensverbändeversprachen denn auch 1997 in New York Investitio-nen, um die Einsparungen bei der offiziellen Entwick-lungshilfe auszugleichen, und technologische Lösun-gen für die Probleme der Agenda 21, „vom saurenRegen über Armutsbekämpfung bis hin zu Ressour-censchonung“, so ein Vertreter des World BusinessCouncil for Sustainable Development.

Ihre Preisvorstellung dafür nannte der Abgesandte der Internationalen Handelskammer, David Kerr, denpolitischen Vertretern der Welt ebenfalls: „GünstigeInvestitionsbedingungen, freien Handel, Selbstver-pflichtungen statt staatlicher Regulierungen, politi-sche Unterstützung für den Technologie-Export....“.Denn vor den Beitrag der Industrie zur Umsetzung der Rio-Versprechungen haben die Marktgesetze denkommerziellen Erfolg gesetzt.

Seither ist mit dem Konzept der „Öffentlich-PrivatenPartnerschaft“ und dem Global Compact von UN-Generalsekretär Kofi Annan der Schulterschluss zwi-schen Regierungen und Wirtschaft, Vereinten Natio-nen und Global Players immer enger geworden - eineEntwicklung, die dazu führen könnte, dass privatwirt-schaftliche Profitinteressen und Entwicklungsvorstel-lungen einen übermächtigen Einfluss auf die Verein-ten Nationen und damit auf die Ergebnisse vonJohannesburg bekommen.

Beim „Weltgipfel“ in Johannesburg steuert die Part-nerschaft zwischen Vereinten Nationen, einzelnenRegierungen, der Privatwirtschaft und zivilgesell-schaftlichen Akteuren auf eine neue intensive Intimitätzu: Wie nie zuvor wurde der Vorbereitungsprozess fürden Weltgipfel für die Beteiligung nichtstaatlicherAkteure geöffnet, sowohl auf nationaler Ebene, alsauch bei den regionalen und den vier internationalenVorbereitungskonferenzen (PrepCom).

Eine Plattform dafür sind die „Multi-Stakeholder-Dia-loge“, die zunächst im Rahmen der CSD erprobt wur-

In Johannesburg besteht die Gefahr, dass der Dialog auch dann als Erfolg gewertetwird, wenn ihm keine Taten folgen.

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Darf eine Regierung die kleinbäu-erliche Landwirtschaft vor billi-gen Importen schützen, um die

Ernährung zu sichern? Darf sie Rechteindigener Gemeinschaften festschrei-ben, Maßnahmen zum Schutz derUmwelt und der Gesundheit ergreifenoder Grundnahrungsmittel subventio-nieren? Darüber entscheidet immerhäufiger nicht sie selbst, sondern dieWelthandelsorganisation WTO.Welthandel und Weltwirtschaft fairerund nachhaltiger zu gestalten war einewichtige Forderung in Rio. Insbesonde-re viele Entwicklungsländer hofften aufeinen neuen Anlauf zu einer weltwirt-schaftlichen Umstrukturierung, nach-dem sie in den siebziger Jahren mitihrer Forderung nach einer Neuen Welt-wirtschaftsordnung gescheitert warenund in den achtziger Jahren durchSchuldendienst und Strukturanpas-

5. Die WTO und der Rio-Prozesssungsprogramme gebeutelt wurden.Doch was die Handels- und Wirt-schaftsminister in der Uruguay-Rundedes Allgemeinen Zoll- und Handelsab-kommens (GATT) ausgehandelt hattenund mit der Gründung der WTO 1995institutionalisiert wurde, widersprichtden Anforderungen an eine gerechteund nachhaltige Entwicklung in vielerHinsicht.

Zwar verpflichtet sich die WTO in ihrerPräambel auf Nachhaltigkeit. Dochansonsten stehen bei ihr Markt undWirtschaftswachstum, freier Handel,Deregulierung und Rückzug des Staatesaus der Wirtschaft auf dem Programm.Dafür sollen Zölle und andere Handels-barrieren abgebaut, Rechte an geisti-gem Eigentum (etwa Patentrechte)gestärkt und Marktöffnungen für einenfreien Handel mit Dienstleistungen

durchgesetzt werden. Von freiem Han-del als Zugpferd für Entwicklung wür-den alle profitieren, so die Versprechun-gen - auch die ärmeren Länder undBevölkerungsgruppen.

Bei den Verhandlungen ging es aller-dings vorrangig um Vorteile für Unter-nehmen, um Zugang zu lukrativenMärkten und Ressourcen und umgewinnbringende Investitionsmöglich-keiten. Nachhaltige Entwicklung spieltedabei kaum eine Rolle, Handelsinteres-sen hatten Vorrang vor sozialen undUmwelt-Anliegen.

Mit der WTO ist ein zudem neues,intransparentes Machtzentrum ent-standen, in dem die Regierungen derIndustrieländer dominieren und dasaußerhalb des UN-Systems steht.Anders als bei den multilateralen

Umweltabkommen ermöglichen dieWTO-Regelungen Sanktionen gegenMitglieder, die ausgehandelte Abkom-men nicht einhalten.

Freier Handel vs.nachhaltige EntwicklungDie Ergebnisse der WTO-Verhandlun-gen trugen dazu bei, dass Welthandelund Auslandsinvestitionen in denneunziger Jahren geradezu explodier-ten. Eine Reihe von Ländern verzeichne-ten hohe Wachstumsraten, transnatio-nale Konzerne eroberten immer mehrMärkte in den Ländern des Südens.Doch die Handelsregeln benachteiligendie Länder des Südens. Subventionier-ter US-Mais ist in Kenia billiger als derMais einheimischer Kleinbauern, IndiensAgrarmarkt wird durch Baumwolle,Speiseöl und Milchpulver zu Dumping-Preisen überschwemmt. Traditionelle

Fischer müssen mit hochmodernenFangfabriken, die die Fischbestände vorAfrikas Küsten leer fegen, konkurrieren.Gleichzeitig sind die Preise vieler klassi-scher Exportprodukte des Südens wieKaffee in den Keller gerutscht.

Die ungleichen Machtverhältnisse aufdem Weltmarkt führen dazu, dass vomAbbau von Handelsschranken vor allemdie mächtigen Konzerne profitieren.Während viele EntwicklungsländerHandelsbarrieren verringert haben,wird ihr eigener Zugang zu den Märk-ten der Industrieländer durch vielfältigeHürden weiter behindert. Die Subven-tionen für die Bauern in den OECD-Län-dern sind weiter auf inzwischen eineMilliarde US-Dollar am Tag gestiegen.Zu Recht klagte Ugandas PräsidentYoweri Museveni über „Doppelstan-dards“ der Industrieländer.

eröffnen sich Informationszugänge und Einflusschan-cen, die genutzt werden sollten. Dabei dürfen die Risi-ken aber nicht aus den Augen verloren werden. Dazugehört die Gefahr, durch die Einbindung an kritischerSchärfe und eigenem Profil zu verlieren und sich inkomplizierten Verhandlungsprozessen aufzureiben,aber nur marginale Veränderungen bewirken zu kön-nen. Klassische NRO-Instrumente wie Lobby-Arbeit,eigenständige Aktionsformen und Agenda-Setting,also der Versuch, auch unbequeme Themen und For-derungen auf die Tagesordnung zu bringen, werdendaher nicht überflüssig.

Allzuviel „Multistakeholder“-Ansätze bergen dieGefahr, dass die Verantwortung für die Umsetzunginternationaler Politik verschwimmt. Letztendlichhaben Regierungen nicht nur das letzte Wort bei derBeschlussfassung, sondern auch bei der Umsetzung.Wenn in Johannesburg das Ergebnis sich vorwiegendin der Ankündigung neuer Partnerschaften zivilgesell-schaftlicher Akteure erschöpft („Typ 2-Ergebnisse“),wird es Zeit, die Regierungen wieder stärker in diePflicht zu nehmen. R

den und nun die gesamte Konferenz-Dramaturgie mitprägen. Nach einem festgelegten Drehbuch bekom-men alle Stakeholder, das heißt die Vertreter der neunMajor Groups, aber auch der Regierungen und inter-nationaler Entwicklungs- und UN-OrganisationenGelegenheit, ihre Positionen vorzutragen und zu dis-kutieren. Ergebnis können zum Beispiel im Konsensbeschlossene Empfehlungen für die Regierungsver-handlungen oder eine Einigung auf gemeinsame Akti-vitäten sein.

Der erhebliche Zeit-, Organisations- und Arbeitsauf-wand, den die Vorbereitung und Durchführung solcherMulti-Stakeholder-Dialoge erfordert, steht allerdingsin keinem Verhältnis zu dem tatsächlichen geringenEinfluss auf die Verhandlungen und Beschluss-Texte.Zudem, so die Kritik des Third World Network, wirddamit „der Mythos verbreitet, dass kollektives Han-deln möglich ist, dass alle Beteiligten gleich sind undInteressenkonflikte durch die Suche nach einem Kon-sens am Runden Tisch gelöst werden können“.

Für die NRO bedeuten die Beteiligungsmöglichkeitendamit eine schwierige Gratwanderung: einerseits

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Mit der Ausweitung des weitreichenden,wirtschaftsfreundlichen Patentrechtsder Industrieländer auf die Länder desSüdens durch das sog. TRIPS- Abkom-men der WTO sichern sich die Pharma-und Nahrungsmittelkonzerne zudemdie Kontrolle über die genetischen Res-sourcen. Ihrer Ausbeutung ohne eineangemessene Beteiligung der lokalenBevölkerung wird Tür und Tor geöffnet,die Rechte bäuerlicher Gemeinschaftenan ihrem Saatgut ausgehöhlt. UnterBerufung auf den Patentschutz ver-suchten Pharmakonzerne mit allen Mit-teln zu verhindern, dass Südafrika Aus-nahmeregelungen für die Herstellungbilliger AIDS-Medikamente, das Rechtauf sogenannte „Zwangslizenzen“, inAnspruch nahm.

Die meisten Entwicklungsländer sind in einer schwachen Position, um ihreInteressen zu verteidigen. Bei den kom-plexen Aushandlungsprozessen sind sievielfach nicht in der Lage, Bedingungenfestzulegen, die vorbeugend dieUmweltauswirkungen von Handels-und Patentregelungen begrenzen odereine gerechte Beteiligung an der Nut-zung von Ressourcen bringen würden,oder zu verhindern, dass die WTOSchutzrechte von Umwelt und sozialschwachen Bevölkerungsgruppen als„unnötige Handelsbarrieren“ verbietet.

Zwei RechtssystemeMit Patentrecht, Handelsregeln und derKampfansage an Protektionismus undSubventionen hat die WTO nicht nurSchutzmöglichkeiten für schwächereVolkswirtschaften, traditionelle Wirt-schaftszweige oder Bevölkerungsgrup-pen abgebaut. Entstanden sind auchzwei nebeneinander existierende inter-nationale Rechtssysteme: Das WTO-Regelwerk, in dessen Zentrum der freieHandel steht, und die Rio-Konventionensowie andere multilaterale Umweltab-

kommen, die den Schutz globalerUmweltgüter wie der Ozonschicht, desKlimas oder der biologischen Vielfaltvor zerstörerischem wirtschaftlichenHandeln anstreben.

Das führt zu Konflikten: Während dasVorsorgeprinzip in der Rio-Erklärungund dem nationalen Umweltrecht fastaller Staaten - auch derer, die sich inter-national heftig dagegen stemmen –mehr oder weniger stark verankert ist,pocht die WTO etwa beim Streit zwi-schen den USA und der EU über denHandel mit Hormon-Fleisch darauf,dass zunächst wissenschaftlich eindeu-tig Gefahren nachgewiesen werden,bevor Handelsbeschränkungen zulässigsind. Bis dahin können Schutzmaßnah-men aber zu spät sein.

Im Konfliktfall zieht der Umweltschutzgegenüber Handelsinteressen immerwieder den Kürzeren, ist die Macht vonMultis größer als die von bäuerlichenGemeinschaften oder indigenen Völ-kern. So gingen die meisten Streitfällezwischen Mitgliedsstaaten in der WTObislang zu Gunsten uneingeschränktenHandels und zum Nachteil von Gesund-heit oder Umweltschutz aus. De factowerden die multilateralen Umweltab-kommen den WTO-Regelungen nachge-ordnet.

„Entwicklungsrunde“Nach dem spektakulären Scheitern derWTO-Ministerkonferenz in Seattle 1999sollte auf Drängen von WTO-Sekretariatund Industrieländern in einem neuenAnlauf in Doha, Katar, im November2001 eine neue Verhandlungsrundeüber den weiteren beschleunigtenAbbau von Handelsbarrieren eingelei-tet werden, um das schwächelnde glo-bale Wirtschaftswachstum anzukurbeln.Dagegen wollten die meisten Entwick-lungsländer zunächst die Probleme mitbestehenden WTO-Abkommen bereini-gen, etwa die mangelnde Einhaltung

von Zusagen der Industrieländer, ihrer-seits Handelsbarrieren und Subventio-nen abzubauen. Doch ihr Widerstand-blieb letztlich erfolglos, die Macht derIndustriestaaten, in diesem Falle insbe-sondere der EU, setzte sich durch.

Während das WTO-Sekretariat Doha alsEinstieg in eine „Entwicklungsrunde“und damit als ein positives Signal fürJohannesburg rühmt, leitete die Konfe-renz aus der Sicht vieler Süd-Regierungenund nichtstaatlicher Entwicklungsorga-nisationen die nächste Drehung derLiberalisierungs-Schraube ein. In zentralenPunkten brachte Doha keine Fortschritte:Zum Verhältnis von WTO-Regelungenund multilateralen Umweltabkommengab es ein problematisches Verhand-lungsmandat, das WTO-Abkommennicht zur Disposition stellt. Die EU bliebbei ihrem Widerstand gegen Subventi-onsabbau für landwirtschaftliche Pro-dukte.

In Doha wurde auch kein klares Mandatbezüglich des Vorstosses von insbeson-dere afrikanischen Ländern, eine „Ent-wicklungs-Box“ einzurichten, erteilt.Eine Entwicklungsbox würde Ausnah-men von den allgemeinen WTO-Regelnbeinhalten, die es armen Ländern erlau-ben würden, zum Beispiel Grundnah-rungsmittel zu subventionieren oderdurch Importzölle zu schützen, um so

die Ernährungssicherheit armer Bevöl-kerungsgruppen und ländliche Entwick-lungsmöglichkeiten zu verbessern.Doha gab zudem einen zusätzlichenSchub für die seit zwei Jahren laufen-den Verhandlungen über ein Abkom-men im Dienstleistungssektor, dasGeneral Agreement on Trade in Services,kurz: GATS. Hier stehen viele Bereiche aufder Liberalisierungs-Forderungsliste, diefür die große Bevölkerungsmehrheitund insbesondere die Armen lebens-wichtig sind: die Versorgung mit Trink-wasser und sanitären Einrichtungen,mit Schulen, Krankhäusern, Wohnungund sozialer Sicherung.

Ein Beispiel ist die Privatisierung im Was-sersektor, die seit Jahren von Banken,global operierenden Versorgungskon-zernen und der Weltbank vorangetrie-ben wird und die auch in Johannesburgein wichtiges Thema sein wird. Bislangsind für die Wasserversorgung meistdie Regierungen und Stadtverwaltun-gen zuständig. Doch mit dem Argument,private Unternehmen würden eine bes-sere und effizientere Versorgunggewährleisten, wird der Wassermarktvieler Länder mehr und mehr für aus-ländische Konzerne geöffnet. Damitsteht nicht nur der öffentliche Dienst-leistungssektor, der vielfach besser alssein Ruf ist, auf der Abschussliste, son-dern auch die Möglichkeiten von Regie-rungen, Umwelt- und Ressourcenschutzim Wassersektor und Gesundheitsan-forderungen an Trinkwasser gegenmächtige, globale Konzerne durchzu-setzen. Am Ende steht die öffentlicheKontrolle über das lebenswichtigeGemeinschaftsgut Wasser selbst aufdem Spiel.

Der Welthandel mag von Liberalisie-rung und Deregulierung profitieren.Doch die Armen und die Umwelt zah-len den Preis: mehr Ressourcenplünde-rung, Verlust von Kontrolle überLebensgrundlagen, Verdrängung und

Verelendung. Nicht-nachhaltige Pro-duktions- und Konsummuster, die inRio einvernehmlich als wesentlicheUrsache für die Bedrohung des Plane-ten ausgemacht worden waren, tretenim Gefolge der globalisierten Aktivitä-ten der Transnationalen Konzerne ihrenSiegeszug rund um den Globus an. DieWTO und die hinter ihr stehenden Wirt-schafts- und Handelsministerien sinddabei, ihre Agenda zum eigentlichenAktionsprogramm für das 21.Jahrhun-dert zu machen. R

Quick Check: Soziales1990 hatten 1,55 Milliarden Menschen keinen Zugang zu saube-rem Wasser, 1998 waren es noch 968 Millionen;

1990 hatten 1,99 Milliarden Menschen keinen Zugang zu ele-mentarer sanitärer Versorgung, 1998 waren es 2,4 Milliarden;

1990 waren 1 Milliarde Erwachsene Analphabeten, zehn Jahrespäter 854 Millionen, wobei die Zahl der Frauen auf 543 Millio-nen anstieg;

1990 besuchen 300 Millionen Kinder, davon zwei DrittelMädchen, keine Schule, 2000 waren es 325 Millionen, davon 183 Millionen Mädchen;

1990 gab es 1,2 Milliarden Menschen, die von weniger als 1 US-Dollar täglich lebten, 1998 sind es noch genauso viele, 2,8 Milli-arden Menschen leben von weniger als 2 US-Dollar täglich;

1990 sind 177 Millionen Kinder, die jünger als fünf Jahre sind,untergewichtig, 1998 sind es 163 Millionen;

1990 sterben 14,4 Millionen Kinder unter fünf Jahren jährlichdurch Ursachen, die vermeidbar wären, 1998 sind es 11 Millio-nen Kinder.

(Quellen: Human Development Report 1991; Bericht über die menschlicheEntwicklung 2001)

< Ungleicher Wettbewerb: Gegen hoch-subventionierte Fabrikschiffe aus der EUhaben örtliche Fischer keine Chance.

22 23

Angesichts „zunehmender Umweltzerstörungund einer alarmierenden Diskrepanz zwischenVersprechungen und Aktionen sind die beste-

henden Ansätze eines globalen Umweltmanagementsunzureichend“, klagt UNEP-Chef Klaus Töpfer. Nichtnur beim UN-Umweltprogramm wird daher intensivüber die Stärken und Schwächen der institutionellenArchitektur globaler Umweltpolitik diskutiert. NeueBaupläne für eine International Environmental Gover-nance, IEG, werden auch in Johannesburg auf derTagesordnung stehen. UN-Generalsekretär Kofi Annanhofft, dass beim Weltgipfel „die Grundlagen geschaf-fen werden für ein stärkeres und kohärenteres Systeminternationaler ‚Governance’ für nachhaltige Entwick-lung, einschließlich institutioneller Reformen“.

Denn viele Bausteine allein machen noch kein Haus.In den vergangenen 30 Jahren ist die Zahl internatio-naler Umweltabkommen rasch gestiegen, ein Prozess,der sich seit Rio erheblich beschleunigt hat. Doch dasinternationale Umweltrecht ist nicht kohärent, dieunterschiedlichen Umweltthemen und -problemewerden isoliert geregelt. Es kommt sogar zu Wider-sprüchen: So können Plantagen schnell wachsenderBäume, die unter dem Kyoto-Protokoll als „CO2-Sen-ken“ mit Bonus-Punkten belohnt und gefördert wer-den, den Verlust natürlicher Wälder und biologischerVielfalt beschleunigen.

Außerdem wird an vielen Stellen gleichzeitig gebaut,ist die Zahl der Konferenzen, Kommissionen, Konventi-ons-Sekretariate und Organisationen schier unüber-schaubar geworden. UNEP meldet einen Führungsan-spruch als „die globale Umweltbehörde, die dieglobale Umweltagenda bestimmt“, an. Aber auchandere UN-Organisationen wie die Kommission fürnachhaltige Entwicklung (CSD), die Landwirtschafts-und Ernährungsorganisation FAO, das UN-Entwick-lungsprogramm UNDP oder Habitat befassen sich mit

Umwelt- und Entwicklungsthemen. Die Vielzahl vonAkteuren, Interessengruppen und Diskussionsforenmit eigenen Werkzeugen und teils konkurrierendenBauplänen, die zunehmende Komplexität von Abkom-men und das breite Spektrum von Regelungsberei-chen erschweren einen Überblick, erst recht eineAbstimmung und eine gemeinsame, wirksame Politik.Zudem geht es auf der Baustelle internationalerUmweltpolitik nicht gerade demokratisch zu: Nachwie vor bestimmen die Regierungen, und darunterinsbesondere die Regierungen der Industrieländer,Tagesordnungen und Ergebnisse. Die Beteiligung vonZivilgesellschaft oder Parlamenten an Entscheidungenist begrenzt.

Bislang fehlt der globalen Umweltpolitik zudem einsolides Fundament. Finanziell bleibt sie abhängig vonder mehr oder minder ausgeprägten Großzügigkeitder UN-Mitgliedsregierungen, von Entwicklungsgel-dern und Umweltfonds, die mit dem spitzen Stift derFinanzminister der Industrieländer gerechnet werden.Und im Unterschied zur WelthandelsorganisationWTO oder der Weltbank und dem IWF haben die Ver-einten Nationen wenig Sanktionsmöglichkeiten. Ohnewirksame Kontrollbefugnisse, ausreichende und gesi-cherte finanzielle und personelle Kapazitäten kann dieglobale Umweltpolitik weder die Einhaltung vonAbkommen durchsetzen, noch nationale Bemühungenum nachhaltige Entwicklung, insbesondere in denLändern des Südens, ausreichend unterstützen.

Nachhaltigkeits-GovernanceUnmittelbar könnten durch verbesserte Kooperationund Koordination Kosten gespart, die Effizienz gestei-gert und Synergie-Effekte erzielt werden. Doch sindauch grundlegende Reformen notwendig, um der „Kri-se der Implementierung“ zu begegnen und Anforde-rungen an eine nachhaltige Entwicklung gegenüberder Dominanz von Wirtschafts- und Handelsinteres-sen in der Globalisierung Geltung zu verschaffen. DieFrage ist, wer die Rolle des Bauherrn bekommt undwelche Kompetenzen ihm zugestanden werden.Ein möglicher und notwendiger Schritt wäre dabei die

6. Achtung, Baustelle globale Nachhaltigkeitspolitik!

Aufwertung von UNEP. Ebenso müssen aber auch alldie anderen Bestandteile des UN-Systems wie die CSD,der Globale Umweltfonds GEF, usw. überprüft undgestärkt werden.

Insbesondere die CSD, die sich als relativ offenes, par-tizipatives Diskussionsforum sowohl für Umwelt- alsauch für soziale Aspekte von nachhaltiger Entwick-lung bewährt hat, könnte mit mehr Personal, Finanzenund Kompetenzen wirksamer als bisher die einzelnenRegierungen bei der Implementierung der Agenda 21kontrollieren und unterstützen. Zudem könnte ihrGewicht dadurch gestärkt werden, dass nicht nur wiebislang Umwelt- und Entwicklungsministerien betei-ligt sind, sondern auch andere Ressorts, insbesondereWirtschaft und Finanzen, sich der Nachhaltigkeitsdis-kussion stellen.

Der weitreichendste Vorschlag ist die Gründung einerWeltumweltorganisation, der insbesondere von eini-gen europäischen Industrieländern in die Debattegebracht wird. Vorbild ist dabei unverkennbar dieWTO, die nach Töpfers Worten vormacht, wie interna-tionale Politik „nationale Prozesse beeinflussen“ kann,sprich: den Widerstand von Regierungen gegen eineVerlagerung von mehr Kompetenzen auf internationa-le Organisationen zu überwinden.

Ablehnung kommt nicht nur von den USA, Russlandoder Japan. Auch viele Entwicklungsländer sehen Vor-stöße für eine Aufwertung von UNEP oder gar eineWeltumweltorganisation mit weitreichenden Kompe-tenzen, einschließlich Sanktionsmöglichkeiten, mitgemischten Gefühlen. Sie befürchten eine ähnlicheDominanz der Industrieländer wie in der WTO, die –etwa durch international verbindliche Umweltstan-dards – Handelshindernisse aufbauen könnten.Institutionelle Aspekte sollten zudem nicht überbe-wertet werden, ein Wildwuchs von Koordinationsgre-mien kann sogar kontraproduktiv sein. Da die gegen-wärtige Schwäche und strukturelle Unfähigkeitinternationaler Umweltpolitik wesentlich auf Interes-sengegensätze, Verteilungs- und Machtproblemesowie soziale und ökologische Zielkonflikte zurückzu-führen ist, besteht die Gefahr, dass eine nur bürokra-tisch-administrative Neuordnung nicht viel mehr als„symbolische Politik“ darstellt.

Zudem werden in der Diskussion bislang mit Umwelt-aspekten vorrangig Anliegen der Industrieländerbetont. Für eine weitergehende „Nachhaltigkeits-Governance“ müssen aber auch die sozialen und öko-nomischen Planken der Umsetzung der Rio-Beschlüs-se gestärkt werden. Auf den Governance-Prüfstand inJohannesburg gehören daher nicht nur die VereintenNationen und die multilateralen Umwelt-Abkommen,sondern auch die Globalisierung und ihre Institutio-nen wie WTO, IWF und Weltbank, OECD und die G7,der Führungszirkel der Industrieländer. Denn sie tra-

Quick Check: UmweltKlimaDie energiebedingten Kohlendioxid-Emissionen stiegen zwi-schen 1992 und 2001 weltweit um 9 Prozent, in den USA um 18Prozent. In der EU gingen sie um 1,4 Prozent zurück, in Deutsch-land um 19 Prozent, dies knapp zur Hälfte durch die Schließungvon Betrieben in dem neuen Bundesländern.

Biologische VielfaltDie Naturschutzorganisation IUCN schätzte Mitte der neunzi-ger Jahre, dass 12,5 der Pflanzenarten, 11 Prozent der Vogelar-ten, 20 Prozent der Reptilien, 25 Prozent der Säugetiere und 34Prozent aller Fischarten vom Aussterben bedroht sind, vorallem durch den Verlust von Lebensräumen. Im Jahr 2000 mel-dete sie bei vielen Arten, insbesondere bei Säugetieren undVögeln, einen Anstieg dieser Zahlen.

Korallenriffe Von 1992 bis 2000 stieg der Anteil der schwer geschädigtenKorallenriffen, eines Ökosystems mit besonders großer biologi-scher Vielfalt, von 10 Prozent auf 27 Prozent.

WälderIm vergangenen Jahrzehnt verschwand jedes Jahr eine Wald-fläche von 16 Millionen Hektar, ein Gebiet fünfmal so groß wieNordrhein-Westfalen, davon 15,2 Millionen Hektar in den Tropen, wo die Wälder jährlich um 0,8 Prozent zurückgingen.Viele der verbliebenen Wälder sind bereits stark beeinträchtigt.

LandwirtschaftNach einem Rückgang des Einsatzes von chemischem Dünger inder Landwirtschaft, der u.a. die Wasserressourcen schädigt, biszur Mitte der neunziger Jahre stieg er bis Ende des Jahrzehntswieder auf die gleiche Höhe wie 1990. Weltweit werden gegen-wärtig zudem rund 2,5 Millionen Tonnen Agrargifte eingesetzt

gen entscheidend dazu bei, im Norden wie im SüdenHindernisse für nachhaltige Entwicklung aufzubauen.Und damit bleiben alle isolierten Bestrebungen, dasglobale Umwelt- und Entwicklungsmanagement derVereinten Nationen zu verbessern, Versuche, miteinem löchrigen Eimer Wasser zu schöpfen. R

6. Achtung, Baustelle globale Nachhaltigkeitspolitik!

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Am Anfang des 21.Jahrhunderts stehen sich zwei sehr unterschiedliche Vorstellungen von

globaler Entwicklung gegenüber:

� das Konzept nachhaltiger Entwicklung als Leitbild der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung undder folgenden Weltkonferenzen in den neunziger Jahren, das wesentlich dazu beigetragen hat, dass Werte wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Demokratie und Solidarität in der internationalen Politik an Gewicht und Anerkennung gewonnen haben, und

� die wirtschaftliche Globalisierung mit ihrer Vision vom freien Weltmarkt und ungehinderter Mobilitätvon Kapital, Waren, Unternehmen und Dienstleis- tungen – nicht aber von Menschen – und ihren ehernen Gesetzen von Profit, shareholder value und Machtkonzentration in der Hand transnationaler Konzerne.

Hinter der Globalisierung stehen eindeutig die stärke-ren Bataillone: Die Weichen der weltweiten wirt-schaftlichen Entwicklung werden in der Welthandels-organisation WTO, durch Weltbank und den IWF, aufden G7-Treffen der wichtigsten Industrieländer, in denBörsen von Frankfurt bis Tokio und den Chefetagenglobal operierender Konzerne gestellt. Damit habendie Vereinten Nationen und die Weltkonferenzen ineinem zentralen Bereich nachhaltiger Entwicklungkaum Entscheidungsmacht, die Spielräume, um dieVision von Rio umzusetzen, werden mehr und mehrdurch die wirtschaftliche Globalisierung bestimmt.

Nachhaltigkeit heuteMit dem Konzept nachhaltiger Entwicklung schafftees UNCED, die beiden Bereiche Umwelt und Entwick-lung zusammenzuspannen und ihr in vieler Hinsichtspannungs- und konfliktreiches Verhältnis zu über-spielen. Doch gelang es in den Jahren seither nicht,diesen Begriff so zu konkretisieren und mit Inhalt zufüllen, dass er anschaulich und greifbar wurde,geschweige denn, eine breite Öffentlichkeit erreichteoder gar motivieren konnte. Längst wird er je nachInteressenlage und politischer Opportunität ganzunterschiedlich gefüllt oder als Worthülse undinhaltsleere Beschönigung missbraucht.

7. Johannesburg – Neue Chancen für Nachhaltigkeit?

Während die Länder des Südens nach wie vor mitihrem „Recht auf Entwicklung“ stärker den Entwick-lungsaspekt von Nachhaltigkeit betonen, setzen ande-re, insbesondere in den Industrieländern, den Akzentstärker auf Umwelt und ökologische Nachhaltigkeit.Oder die verschiedenen Aspekte werden gegeneinan-der gewendet und die „ökonomische Nachhaltigkeit“,etwa von Seiten der Industrie, als Totschlagargumentgegen die „ökologische Nachhaltigkeit“ eingesetzt.Steigende Benzinpreise zum Beispiel werden alsweder sozial noch wirtschaftlich nachhaltig kritisiertund abgelehnt, womit die ökologische Nachhaltigkeitwieder einmal das Nachsehen hat. Der Begriff „Nach-haltigkeit“ wird damit geradezu pervertiert.

Dabei wird übersehen, dass die Begrenzung unseresPlaneten in erster Linie in der Ökologie, in der Bios-phäre, in endlichen Ressourcen und nicht erneuerba-ren Lebensgrundlagen besteht. Soziale Gerechtigkeitund wirtschaftlicher Wohlstand müssen unausweich-lich innerhalb dieser Grenzen verwirklicht werden.Ohne diese Grenzen und die globalen ökologischenKrisen gäbe es die Idee von Nachhaltigkeit und dieForderung nach Nachhaltigkeitsstrategien überhauptnicht.

Berliner NachhaltigkeitsstrategieEin Auftrag von Rio 1992 war, dass alle Staaten natio-nale Nachhaltigkeitsstrategien erstellen, in denen dieRegierungen darlegen sollten, wie sie die Agenda 21umsetzen. In Deutschland kam erst mit der rot-grü-nen Koalition Bewegung in die Ausführung diesesAuftrags, doch dauerte es bis April 2002, ehe das Kabi-nett die nationale Nachhaltigkeitsstrategie fürDeutschland verabschiedete, um in Johannesburgnicht als Möchtegern-Klassenprimus, der seine Haus-aufgaben nicht gemacht hat, dazustehen.

Obwohl die Regierung vollmundig erklärt, die Strate-gie sei in einem breit angelegten Dialog entstanden,beschränkte sich die gesellschaftliche Partizipationauf ein Minimum. Nicht der Rat für nachhaltige Ent-wicklung, der mit einiger Verspätung ins Leben geru-fen worden war und aus Vertretern der gesellschaftli-chen Gruppen besteht, sondern das „Grüne Kabinett“,ein Staatssekretärsausschuss, schrieb die Strategieeinfach selbst. Auch das Parlament war kaum betei-ligt, die Anhörung gesellschaftlicher Gruppen

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beschränkte sich auf wenige kurze Dialog-Veranstal-tungen und das Angebot, im Internet Vorschläge ein-zubringen.

Ebenso fehlt eine ehrliche Analyse, wo Deutschlandbislang nicht nachhaltig ist, warum das so ist undwelche strategischen Lösungsoptionen es gibt, um das zu ändern. Stattdessen handelt es sich um eineAnsammlung von Fakten, Statistiken und Schaubildernmit der vollmundigen Schlussfolgerung, Deutschlandsei auf dem richtigen Weg.

Der Mangel an politischen Innovationen und konse-quenten Umsetzungsschritten zeigt sich in den ver-schiedenen Schlüsselsektoren:

� bei der Energiepolitik, nach Aussage des Umwelt-bundesamts der „Flaschenhals für nachhaltige Ent-wicklung in Deutschland“, heißt es im wesentlichen „weiter so“, der weltweiten Spitzenstellung bei Kohlesubventionen beispielsweise zum Trotz.

� Im Verkehrsbereich fehlen Angaben, wie die Ankün-digung, den Anstieg der CO2-Emissionen, der insbe-sondere auf den Flugverkehr zurückzuführen ist, zu stoppen und umzukehren, umgesetzt werden soll.Statt der Fortführung der ökologischen Steuerreform,wie sie durch die Ökosteuer begonnen wurde, wird unverbindlich auf die Suche nach „besser geeigneten“Instrumenten vertröstet.

� Trotz der ungewöhnlich klaren Warnung vor dem unerträglich hohen Flächenverbrauch durch Woh-nungsbau, Verkehrsinfrastruktur und Industrie fehlen klare Worte über dessen Ursachen und deren Bekämpfung, etwa über die Problematik der Entfer-nungspauschale, die einen höchst wirksamen Zer-siedelungsanreiz darstellt.

� Mit der durchsichtigen Ausflucht, Deutschland wollenicht weiter „einseitige Vorleistungen“ im Klima-schutz bringen, will sich die Bundesregierung nichtauf das Ziel einer Reduktion der CO2-Emissionen auf40 Prozent bis zum Jahr 2020 festlegen, obwohl es Umweltwissenschaftler und -verbände ebenso wie der Nachhaltigkeitsrat für unabdingbar halten und seine Signalwirkung enorm wäre. Der Bundesver-band der deutschen Industrie BDI applaudiert dem Verzicht.

� Lediglich mit der „Agrarwende“, die durch die BSE-Krise unausweichlich auf die politische Tagesord-nung gesetzt wurde, werden erste, wichtige Weichenin Richtung einer nachhaltigen Landwirtschaftgestellt.

Auch im internationalen Bereich bleibt die Liste politi-scher Maßnahmen, durch die Deutschland einen Bei-trag zur nachhaltigen Entwicklung in den Ländern desSüdens oder gerechteren globalen Strukturen leistenwill, dünn. Weder zum weiteren Schuldenerlass, zumerleichterten Marktzugang für Entwicklungsländernoch zu konkreten Schritten, wann und wie das 0,7-Prozent Ziel über die in Monterrey zugesagte Steige-rung auf 0,33 Prozent bis 2006 hinaus erreicht werdensoll, finden sich substanzielle Aussagen.

Der strategische Fokus liegt auf technischen Innova-tionen, privaten Investitionen und der „Effizienzrevo-lution“, um Energie- und Ressourceneinsatz in Produk-tion und Dienstleistungen zu verringern – nicht auf„Suffizienz“, Einsparungen und Ressourcenschutz,etwa durch einen anderen Lebensstil. Wie jedoch eineVeränderung von gesellschaftlichen und wirtschaftli-chen Strukturen sowie von Produktions- und Verhal-tensweisen, die dazu führen, dass durch ständigesWirtschaftswachstum und steigenden Konsum alleEffizienzgewinne aufgefressen werden, zustandekommen soll, bleibt im Dunkeln. Ausgespart werdenerst recht Interessen- und Machtkonflikte.

Damit wird auch die Vorstellung der 21 teils durchausambitionierten Indikatoren, an denen Nachhaltig-keitsfortschritte gemessen werden sollen, zur Augen-wischerei – handelt es sich doch um Zielvorgaben,ohne den Weg dorthin zu weisen. Stattdessen wirdalles Mögliche unter dem Begriff der Nachhaltigkeitsubsummiert, von der Haushaltskonsolidierung überdie Steuerreform, das Altersvermögensgesetz, Bildungund Fortschritt bis hin zu Schutz vor Terror und derBekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Nicht das Interesse an Nachhaltigkeit, sondern Wahl-kampfüberlegungen haben anscheinend die last-minute-Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategiebestimmt. Eine Reihe von wohlklingenden Zielen wer-den formuliert, doch wie sie erreicht werden sollen,

wird nicht gesagt, um keine Wählerklientel zu ver-schrecken.

Nachhaltigkeit und GlobalisierungDie in Rio verkündete Nachhaltigkeitskonzeptionkrankt wesentlich daran, dass die wirtschaftlichenEntwicklungsvorstellungen, die ihr zugrunde liegen,weitgehend am herkömmlichen Modell wirtschaftli-chen Wachstums orientiert bleiben. Ein Grundproblemdes Rio-Prozesses besteht darin, dass es nicht gelungenist, eine glaubwürdige, konkrete Alternative zu diesertraditionellen Entwicklungsidee, in der Wirtschafts-wachstum, privates Kapital, Technologie und Effizienz-steigerungen als ausreichende Bedingungen fürArmutsminderung und Schutz begrenzter Ressourcengelten, zu entwickeln.

Neue Wohlstandsmodelle, die Infragestellung vonKonsumgewohnheiten und Lebensstilen hatten esdagegen schwer. Die Debatte darüber, wie sie etwa inder Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ angestoßenwurde, verebbte schnell wieder. Der notwendige radi-kale Strukturwandel in nahezu allen Sektoren undWirtschaftsbranchen blieb aus, die Politik beschränktesich in vielen Ländern auf kosmetische Korrekturenoder auf Initiativen in ökologischen Nischen, etwa imNaturschutz, oder in Armutsprogrammen, die dienegativen Folgen konventioneller Entwicklung abfe-dern sollten.

Mit der wirtschaftlichen Globalisierung wird diesesKonzept im Turbogang weltweit vorangetrieben.Durch wirtschaftliche Liberalisierung, Deregulierung,Privatisierung und den Rückzug des Staates ausimmer mehr wirtschaftlichen Bereichen werden ins-besondere in den Ländern des Südens weitreichende,tiefgreifende Strukturveränderungen durchgesetzt.Doch ihr Ziel ist nicht Nachhaltigkeit, sondern diegrenzenlose Mobilität von Kapital, Waren und Unter-nehmen. Damit wird das Nachhaltigkeitsprinzip aufden Kopf gestellt. Statt mehr Staat und stärkererRegulierung, wie sie zum Schutz und zur gerechtenNutzung öffentlicher Güter wie Atmosphäre, geneti-schen Ressourcen oder Gesundheit notwendig sind,setzen die Globalisierungsbefürworter durch, dass derStaat seine Verantwortung in diesen Bereichenzurückfährt, Kontrollen und Regulierung werdendurch Freiwilligkeit und Selbstverpflichtungen ersetzt.Obwohl transnationale Konzerne und ihre ungehin-derte Mobilität Teil des Problems sind, werden sie alsTeil der Lösung propagiert – grenzenlos, weltweit.

Während die weltumspannende Finanzspekulation,die Auslandsinvestitionen und der grenzüberschrei-tende Handel sprunghaft anstiegen, wuchsen auch

Ressourcenausplünderung, Umweltzerstörungen undArmut. Anlegerschutz war wichtiger als Umwelt-schutz, Rechte für Konzerne und Investoren wichtigerals Rechte von Regierungen oder Gemeinschaften,Investitionsgarantien wichtiger als die Überlebenssi-cherheit ärmerer Bevölkerungsgruppen.

Leitplanken für die GlobalisierungSpätestens seit dem gescheiterten multilateralenInvestitionsabkommen MAI und den Protesten gegendas WTO-Ministertreffen im US-amerikanischen Seattle1999 hat sich die internationale Diskussion von denklassischen Umwelt- und Entwicklungsthemen hin zurAuseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Globali-sierung und ihren Folgen verschoben. Gleichzeitigmeldete sich mit den Demonstrationen und Aktionenin Seattle eine neue soziale Bewegung, eine breite,bunte und vielstimmige globale Allianz der Globalisie-rungskritik nachdrücklich zu Wort. Offensiv undöffentlichkeitswirksam wurde seither die Kritik an derneoliberalen Globalisierung nicht nur bei vielen Gele-genheiten auf die Straßen getragen, sondern kreativmit neuen Ideen, Konzepten und Instrumenten dennegativen Auswirkungen der Globalisierung begeg-net, Alternativen entwickeln und eine politische Glo-balisierung vorangetrieben. Ihre Motive sind Prinzipienwie Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit und Demokratie.

Soll durch Johannesburg neuer Schwung in die Nach-haltigkeitsentwicklung gebracht werden, muss esgelingen, den „Geist von Rio“ gegen die seit dem „Erd-gipfel“ stattgefundene real existierendeGlobalisierung wieder zu stärken.Dafür müssen die Regierungenund die Vereinten Nationenbeweisen, dass sie nach wievor die Prinzipien, Verspre-chungen und Visionen vonRio ernst nehmen. Und dasssie tatsächlich in der Lagesind und bereit, durch starkesoziale und ökologische „Leit-planken“ – wie es die Bundesre-gierung zum Beispiel angekündigthat – den mächtigen Globalisie-rungs-Tanker auf Nachhaltigkeits-kurs zu bringen.R

Erdöl vergiftet nicht nur die Umwelt,sondern auch die Demokratie:

Ken Saro-Wiwa, ermordetvon Nigerias Öl-Kleptokratie.