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dbuch der Religionen
MICHAEL KLÖCKER | UDO TWORUSCHKA (HG.)
HANDBUCH DER RELIGIONEN Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland und im deutschsprachigen Raum
Produkthinweis Der vorliegende Beitrag ist Teil des Standardwerkes »Handbuch der Religionen« der Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG*.
* Ausgaben 1997 bis 2015 erschienen bei OLZOG Verlag GmbH, München
Das »Handbuch der Religionen« ist ein in Anspruch und Umfang einzigartiges, wissen‐schaftlich fundiertes Nachschlagewerk über orthodoxe, römisch-katholische und reformatorische Kirche/n, weitere transkonfessionelle Bewegungen, ökumenische Bestrebungen, Christliche Glaubensgemeinschaften außerhalb der Großkirchen, Judentum, Islam, aus dem Islam hervorgegangene Gemeinschaften (z.B. Ahmadiyya, Aleviten), weitere kleinere Religionen (z.B. Yezidi, Mandäer), Buddhismus, asiatische bzw. von Asien ausgehende Gruppen, neue Bewegungen (z.B. Fiat Lux, Scientology u.a.), Sikhismus, Jainismus, ethnische Religionen (z.B. Neugermanische Gruppierungen, Wicca u.a.) sowie über Ethik und das Verhältnis von Religion/en zu Kunst, Politik, Medien oder Psychologie.
Erarbeitet von einem Team kompetenter Experten aus namhaften Herausgebern, Fachgebietsleitern und mittlerweile über 200 Autoren bietet es Ihnen wissenschaftlich fundiertes Orientierungswissen über Geschichte, religiöse Kernaussagen und Autoritäten, Organisationen und Verbreitung, Glaubenspraxis, das Verhältnis zum Staat und zu anderen Religionen sowie kontinuierliche Informationen zu neuen Entwicklungen, wichtigen Persönlichkeiten, Literatur und Kontaktadressen.
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Ausgabe: 27
Titel: Brasilianische Religionen in Deutschland (17 S.)
Thema: IX | Neuere religiöse Bewegungen
Brasilianische Religionen in Deutschland IX - 26
Klöcker/Tworuschka: Handbuch der Religionen 27. EL 2011 1
IX - 26 Brasilianische Religionen in Deutschland
Von Roland Spliesgart
Neben den großen christlichen Religionen gibt es in Brasilien zahlreiche syn-
kretistische und nichtchristliche Religionen. Etliche Forscher postulieren ein
gemeinsames kulturelles Feld der brasilianischen Religionen, die zum Teil aus-
einander hervorgegangen sind und sich in vielen Bereichen überschneiden.1
Da die Gläubigen mitunter mehrere Religionen gleichzeitig praktizieren, kann
eine klare Abgrenzung der verschiedenen Gruppierungen nicht immer mit letz-
ter Eindeutigkeit vorgenommen werden. Nachdem die Präsenz brasilianischer
Christen in Deutschland in einem eigenen Artikel dargestellt wurde, soll im
Folgenden den nichtchristlichen brasilianischen Religionen in Deutschland
nachgegangen werden. Damit ist ein weites Feld aufgetan, in dem Brasilianer
ebenso wie Deutsche anzutreffen sind.
Nicht christliche Religionen in Brasilien
Wenn die offizielle Statistik der Religionszugehörigkeit der brasilianischen
Bevölkerung aus dem Jahr 2000 1,3 % Spiritisten, 0,2 % Anhänger der Umban-da und 0,1 % Anhänger des Candomblé ausweist,2 dann sind damit zunächst
die drei bedeutendsten nichtchristlichen Gruppierungen genannt. Gleichwohl
geben die statistischen Zahlen die wahren Verhältnisse nur unzureichend wie-
der. Spiritismus, die afrobrasilianischen Religionen Umbanda und Candomblé
spielen im Alltag der Brasilianer eine weitaus größere Rolle, denn zum einen
haben sie Einzug in die religiöse Vorstellungswelt der brasilianischen Kultur
gefunden und zum anderen werden sie auch von zahlreichen Katholiken in
bestimmten Situationen gerne konsultiert – die Protestanten haben hier über-
wiegend Vorbehalte. Gleichwohl wird ein offenes Bekenntnis zur Umbanda
oder zum Candomblé häufig vermieden, da beide Religionen aufgrund ihrer
afrobrasilianischen Herkunft und ihrer großen Verbreitung in der Unterschicht
mitunter Stigmatisierungen ausgesetzt sind.
Ein gängiger Interpretationsansatz zu den genannten drei Religionen – Candom-
blé, Umbanda und Spiritismus – stammt von dem brasilianischen Soziologen
Cândido Procópio Ferreira de Camargo.3 Er vertritt die These, dass zwischen
den traditionellen afrikanischen – schwarzen – Religionen und dem aus Frank-
reich stammenden – weißen – Spiritismus ein sog. „mediumistisches Kontinu-
um“ mit einer Vielzahl von Religionsvarianten besteht. Sie alle verbindet eine
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IX - 26 Brasilianische Religionen in Deutschland
2 Olzog Verlag, 81373 München
mythische Erklärung der Welt, die Möglichkeit der Partizipation an einem über-
natürlichen Geschehen durch besonders dafür ausgebildete Personen (initiierte
Medien) und dadurch eine bessere Kenntnis und Bewältigung der Realität für
ihre Anhänger. Die beiden Pole des Kontinuums werden durch den Candomblé
– als den heutigen Vertreter traditioneller afrikanischer Religiosität – und den
europäischen Spiritismus konstituiert. Deren Aufeinandertreffen führte zu einer
Veränderung afrikanischer Religionen, die sich zunehmend an die Gegeben-
heiten der modernen Gesellschaft sowie das Bedürfnis nach wissenschaftlich-
rationaler Welterklärung anpassten: In diesem Prozess entstand die Umbanda
als neue, genuin brasilianische, synkretistische Religion, die eine Vielzahl von
Ausprägungen innerhalb des Kontinuums besitzt.
Darüber hinaus findet man auch in Deutschland Anhänger der aus dem Ama-
zonas stammenden Religion des Santo Daime. Diese ist einerseits mit dem
in den Anden verbreiteten Typus der sog. Ayahuasca-Religionen verwandt,
andererseits aber auch Ergebnis eines – „typisch brasilianischen“ – synkretis-
tischen Prozesses. Schließlich begegnet man immer wieder Personen, die sich
als „Schamanen“ oder „Heiler“ bezeichnen und Elemente brasilianischer Reli-
gionen in ihre ethnotherapeutische Praxis integrieren. Sie bieten ihre Dienste
vorwiegend über das Internet an und bereichern das Spektrum der Ethnome-
dizin und Esoterik in Deutschland. Die Darstellung brasilianischer Religionen
in Deutschland wird sich zunächst an den in Brasilien vorhandenen Religi-
onsformen orientieren und jeweils eine kurze Einführung in ihre Genese und
Charakteristika geben. Danach soll ihrer Präsenz in Deutschland und damit
verbundenen Akkulturationsphänomenen nachgegangen werden. Es wird un-
ter anderem zu fragen sein, welche besonderen Verhaltensweisen hier lebende
Brasilianer ausbilden und welchen Beitrag ihre Religion zu ihrer Integration in
die deutsche Gesellschaft leistet. Nicht zuletzt spielt dabei eine Rolle, inwiefern
die Religion auch für Deutsche attraktiv ist.
Candomblé – eine afrobrasilianische Religion
Der Candomblé entstand in Brasilien, indem die aus Afrika verschleppten Skla-
vinnen und Sklaven Elemente lokaler Yoruba- und Bantukulte in eine gemein sa-
me Religion der Sklaven integrierten.4 Sein Zentrum liegt in Salvador da Bahia,
dem wichtigsten südamerikanischen Einfuhrhafen für Sklaven; mittlerweile ist
er in allen Küstenstädten Brasiliens verbreitet. Bis in die 1950er-Jahre wurde
der Candomblé wegen seiner als illegal eingestuften magischen Praktiken po-
lizeilich verfolgt, erst seit den 1970er-Jahren wird er nach dem Grundsatz der
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Religionsfreiheit voll anerkannt. Seine Anhänger gehören überwiegend der af-
robrasilianischen Unterschicht an, in jüngster Zeit findet er jedoch auch Zulauf
aus der Oberschicht, besonders aus Kreisen von Künstlern und Intellektuellen.
Die soziale Bezugsgröße des Candomblé sind autonome Kultzentren, die als
terreiro (deutsch: „Gelände“) bezeichnet werden und in der Regel das Haus
und das Grundstück, meist mit Nebengebäuden, der Kultleiterin („Mutter [des
Kultes] des Heiligen“: mãe-de-santo) oder des Leiters („Vater [des Kultes] des
Heiligen“: pai-de-santo) umfassen. Diese Kultleiter sind nach einem langen
Prozess der Initiation in der Lage, die ihnen aus dem Götterpantheon zuge-
wiesene Gottheit (orixá; sprich: orischa [endbetont]) in Trance zu empfangen.
Durch komplexe rituelle Abläufe soll das axé (sprich: asche [endbetont]) der
orixás gestärkt werden, die mystische Kraft des Lebens, die sich auch auf die
Menschen überträgt. Eine zentrale Rolle spielen dabei das Opfern spezieller
Speisen sowie die Feste, in denen – begleitet von Trommeln und Gesang – in-
itiierte Kultmitglieder („Töchter und Söhne [des Kultes] des Heiligen“: filhas e filhos-de-santo) in Trance jeweils ihren orixá empfangen. Dabei kommt es
zu einer kollektiven rituellen Inszenierung, die vom Leben und Wirken der
orixá erzählt. Neben den initiierten Mitgliedern eines terreiro gibt es auch
Sympathisanten, die zum Teil an den Festen teilnehmen und ihre mãe oder
ihren pai-de-santo zu Lebensfragen konsultieren.
Unter den in Deutschland lebenden Brasilianern befinden sich zahlreiche Sym-
pathisanten und eingeweihte Mitglieder afrobrasilianischer Religionen. Dies
zeigt bereits ein kurzer Blick in das bei Brasilianern besonders beliebte soziale
Netzwerk Orkut.5 Die geschiedene L., derzeit wohnhaft in Bochum, gibt an, in
dem „Voodoo-Kult der Mina“ für Oxum initiiert zu sein, ein S. bezeichnet sich
als Macumbeiro (abschätzige Bezeichnung für Anhänger afrobrasilianischer
Religionen), der v. a. den Candomblé pflegt, und Nina S. aus Bahia beklagt,
dass ihr die Religion sehr fehle, nämlich „unser Candomblé“. Damit ist bereits
das Grundproblem benannt: Wie kann man in Deutschland eine Religion prak-
tizieren, für die die Zugehörigkeit zu einem terreiro und die Bindung an einen
pai-de-santo konstitutiv sind? Wie kann man seinen orixás regelmäßig Spei-
seopfer bringen, deren Zutaten nur in Brasilien zu beschaffen sind? Wie lassen
sich Feste feiern, bei deren Lärm die meisten deutschen Nachbarn sofort die
Polizei rufen würden? Die aus Rio de Janeiro stammende Iêda Maria, die seit
19 Jahren in Köln lebt, stellt zudem fest, dass die Ausübung des Candomblé an
bestimmten Orten einfach schwierig ist: „Was soll man am 2. Februar machen,
an dem das Meer unsere Opfergabe der Meeresgöttin Iemanjá bringen sollte?
Hier gibt es nur einen Fluss, und der ist zu dieser Jahreszeit darüber hinaus
zugefroren!“6 – Iêda Maria hat Lösungen gefunden, die es ihr ermöglichen,
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