und wenn Türken und Heiden kämen

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"und wenn Türken und Heiden kämen" – Bundesdeutsche Geschichtsdidaktik in nuce Propaganda Das Friedrich-Jahr 2012 hat es erwartungsgemäß mit sich gebracht, dass von offizieller Stelle der Anlass missbraucht wurde, um zu aktuellen Fragen Stellung zu nehmen und Meinung zu machen. So legte der seinerzeit noch amtierende Bundespräsident Wulff beim Festakt zum 300. Geburtstag des Königs auch den Schwerpunkt seiner Rede auf die "tolerante Zuwanderungspolitik" Friedrichs des Großen und erklärte diese zum direkten Vorläufer bundesdeutscher Migrationspolitik: "Tausende durften sich in Preußen niederlassen: ob in Salzburg oder Sachsen geboren, ob Hugenotten, Katholiken oder Muslime." (Christian Wulff: Rede zum Festakt zum 300. Geburtstag von Friedrich II., 24.01.2012, online ) Die Presse nahm diese Vorlage dankend auf und resümierte folglich: "Wulff preist Zuwanderungspolitik des Alten Fritz" (Süddeutsche Zeitung, 24.02.2012, online ). Ähnliche Verlautbarungen finden sich allerdings bereits vor der durch die Sarrazin-Debatte angeheizten Propagandaschlacht um Einwanderung und Multikulturalismus. So wird in einem der zahlreichen Traktate aus dem Hause 'Spiegel' mit dem bezeichnenden Titel "Ein Volk erkennt sich selbst. Vom Schlachtfeld zur Kulturnation" eine Sentenz Friedrichs des Großen zitiert und festgestellt: "'Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, so sie professieren, ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land peuplieren, so würden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.' Ein Satz, der auch in der aktuellen Zuwanderungsdebatte der Berliner Republik aktuell ist." (Ulrich Schwarz: "Ein Volk erkennt sich selbst. Vom Schlachtfeld zur Kulturnation". In: Spiegel Special Geschichte, 1/2007, online ) Man lernt, dass die "Zuwanderungsdebatte" irgendwie immer aktuell zu sein scheint und dass Friedrich der Große offenbar Aktualität und Vorbildfunktion, die man ihm als 'Militaristen', 'Kriegstreiber' und 'Despoten' natürlich sonst streitig machen muss, besitzt, wenn es darum geht, die heutige Einwanderungsfrage historisch zu rechtfertigen. Die 'Bundeszentrale für politische Bildung' lässt dann auch in einer Broschüre zum Islam verlauten: "Vor jeder Tradition der Religion kommen die allgemeinen Menschenrechte, das ist die Position unseres säkularen Staates. Schon Friedrich der Große sagte vor 250 Jahren: 'Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sie professieren (d. h. bekennen), ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land populieren (d. h. bevölkern), so wollten wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.' Er wollte, dass in seinem Staat 'jeder nach seiner Façon selig werden' konnte." (Bundeszentrale für politische Bildung, "Islam – Politische Bildung und interreligiöses Lernen", 2005, online ) Und als letztes Beispiel ein Referat einer Evangelischen Akademie, das im Nachklang der Sarrazin-Debatte und angesichts der zwischenzeitlich aus den Reihen der CDU schüchtern geäußerten Zweifel an einer Kontinuität islamischen Daseins in Deutschland kurz und bündig feststellt: "Der Islam gehört zu Deutschland – nicht erst seit gestern", denn Friedrich habe nicht nur "Türken und Heiden" ins Land geholt, sondern grundsätzlich eine besondere Vorliebe für den Islam und die "Menschlichkeit der Muselmänner" gehabt. "Auch in Preußen wurde die Glaubensfreiheit praktiziert. Friedrich der Große schrieb 1740 an den Rand einer Eingabe: 'Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten hier im Land wohnen, dann würden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.' Und 1756 bekannte er einem Vertrauten: 'Ich bin genötigt, meine Zuflucht zu Treu und Glauben und zu der Menschlichkeit der Muselmänner zu nehmen, weil solche bei den Christen nicht mehr zu finden sind.'" (Manfred Budzinski: "Der Islam gehört zu Deutschland – nicht erst seit gestern", Evangelische Akademie Bad Boll, 21.03.2011, online )

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"und wenn Türken und Heiden kämen" – Bundesdeutsche Geschichtsdidaktik in nuce

Propaganda Das Friedrich-Jahr 2012 hat es erwartungsgemäß mit sich gebracht, dass von offizieller Stelle der Anlass missbraucht wurde, um zu aktuellen Fragen Stellung zu nehmen und Meinung zu machen. So legte der seinerzeit noch amtierende Bundespräsident Wulff beim Festakt zum 300. Geburtstag des Königs auch den Schwerpunkt seiner Rede auf die "tolerante Zuwanderungspolitik" Friedrichs des Großen und erklärte diese zum direkten Vorläufer bundesdeutscher Migrationspolitik: "Tausende durften sich in Preußen niederlassen: ob in Salzburg oder Sachsen geboren, ob Hugenotten, Katholiken oder Muslime." (Christian Wulff: Rede zum Festakt zum 300. Geburtstag von Friedrich II., 24.01.2012, online) Die Presse nahm diese Vorlage dankend auf und resümierte folglich: "Wulff preist Zuwanderungspolitik des Alten Fritz" (Süddeutsche Zeitung, 24.02.2012, online). Ähnliche Verlautbarungen finden sich allerdings bereits vor der durch die Sarrazin-Debatte angeheizten Propagandaschlacht um Einwanderung und Multikulturalismus. So wird in einem der zahlreichen Traktate aus dem Hause 'Spiegel' mit dem bezeichnenden Titel "Ein Volk erkennt sich selbst. Vom Schlachtfeld zur Kulturnation" eine Sentenz Friedrichs des Großen zitiert und festgestellt: "'Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, so sie professieren, ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land peuplieren, so würden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.' Ein Satz, der auch in der aktuellen Zuwanderungsdebatte der Berliner Republik aktuell ist." (Ulrich Schwarz: "Ein Volk erkennt sich selbst. Vom Schlachtfeld zur Kulturnation". In: Spiegel Special Geschichte, 1/2007, online) Man lernt, dass die "Zuwanderungsdebatte" irgendwie immer aktuell zu sein scheint und dass Friedrich der Große offenbar Aktualität und Vorbildfunktion, die man ihm als 'Militaristen', 'Kriegstreiber' und 'Despoten' natürlich sonst streitig machen muss, besitzt, wenn es darum geht, die heutige Einwanderungsfrage historisch zu rechtfertigen. Die 'Bundeszentrale für politische Bildung' lässt dann auch in einer Broschüre zum Islam verlauten: "Vor jeder Tradition der Religion kommen die allgemeinen Menschenrechte, das ist die Position unseres säkularen Staates. Schon Friedrich der Große sagte vor 250 Jahren: 'Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sie professieren (d. h. bekennen), ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land populieren (d. h. bevölkern), so wollten wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.' Er wollte, dass in seinem Staat 'jeder nach seiner Façon selig werden' konnte." (Bundeszentrale für politische Bildung, "Islam – Politische Bildung und interreligiöses Lernen", 2005, online) Und als letztes Beispiel ein Referat einer Evangelischen Akademie, das im Nachklang der Sarrazin-Debatte und angesichts der zwischenzeitlich aus den Reihen der CDU schüchtern geäußerten Zweifel an einer Kontinuität islamischen Daseins in Deutschland kurz und bündig feststellt: "Der Islam gehört zu Deutschland – nicht erst seit gestern", denn Friedrich habe nicht nur "Türken und Heiden" ins Land geholt, sondern grundsätzlich eine besondere Vorliebe für den Islam und die "Menschlichkeit der Muselmänner" gehabt. "Auch in Preußen wurde die Glaubensfreiheit praktiziert. Friedrich der Große schrieb 1740 an den Rand einer Eingabe: 'Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten hier im Land wohnen, dann würden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.' Und 1756 bekannte er einem Vertrauten: 'Ich bin genötigt, meine Zuflucht zu Treu und Glauben und zu der Menschlichkeit der Muselmänner zu nehmen, weil solche bei den Christen nicht mehr zu finden sind.'" (Manfred Budzinski: "Der Islam gehört zu Deutschland – nicht erst seit gestern", Evangelische Akademie Bad Boll, 21.03.2011, online)

Ad fontes Als Kern der Argumentation, die das Preußen Friedrichs des Großen zum Vorläufer bundesdeutscher Zuwanderungspolitik machen will, erweist sich also der gern – und in allerlei Variationen und dabei immer falsch – zitierte Satz Friedrichs, er wolle "Türken und Heiden", so sie denn kämen, "Moscheen und Kirchen bauen". Wendet man sich dagegen den Quellen zu, findet man Folgendes: Dieser Satz findet sich als Randnotiz des Königs zu einem Bericht des General-Direktoriums. Überraschenderweise geht es in diesem Bericht aber nicht um Türken oder Heiden und der einigermaßen historisch Gebildete hätte sich bereits fragen können, wie in absolutistischer Zeit, in der Untertanen nicht mal so eben ihre Staatsangehörigkeit wechseln oder Landesgrenzen überschreiten durften, auch ausgerechnet Türken in Brandenburg hätten ansässig werden können. Anlass der Nachfrage der Beamten beim König ist vielmehr die Bitte eine italienischstämmigen Kaufmanns katholischen Glaubens (!), der als Erbe eines Geschäfts darum ersucht, in Frankfurt/Oder das Bürgerrecht und die Mitgliedschaft in der Kaufmannsgilde zu erhalten. Hintergrund dieser Nachfrage wiederum ist der durch den Vater Friedrichs ergangene Erlass, Katholiken nur auf besondere Bewilligung des Königs das Bürgerrecht zu gewähren. Auf diesen – übrigens im schönsten alt-barocken Beamtendeutsch verfassten – Immediat-Bericht nun antwortet Friedrich mit seiner Randnotiz: "alle Religionen Seindt gleich und guht wahn nur die leüte so sie profesiren Erliche leüte seindt, und wen Türken und Heiden kähmen und wolten das Land Pöpliren, so wollen wier sie Mosqueen und Kirchen bauen." (Rand-Verfügung des Königs zum Immediat-Bericht des General-Directoriums. Berlin, 15.06.1740: Ein Katholik sucht in Frankfurt das Bürgerrecht nach. In: Max Lehmann: Preussen und die katholische Kirche seit 1640. Nach den Acten des Geheimen Staatsarchives. 2. Theil: 1740-1747. Leipzig 1881, S. 1*) Im Kontext wird deutlich, dass sich der König – gerade erst in Amt und Würden und deshalb wohl besonders bemüht, einen forschen Eindruck zu hinterlassen – über die Zögerlichkeit seiner Beamten echauffiert und sich über ihre Vorbehalte lustig macht. Das bevölkerungsarme sowie vielfach noch unterentwickelte Preußen braucht tüchtige Einwohner; und wenn es denn nur ein Katholik ist – besser als nichts. Gleichzeitig gibt der König zu erkennen, dass der Erlass seines Vaters und Vorgängers großzügig auszulegen ist und ihm überängstliche Rückfragen einer entscheidungsschwachen Verwaltung ungelegen sind. Von einer besonderen Wertschätzung oder auch nur von einer besonderen Duldung mohammedanischer Einwanderer kann also keine Rede sein. "Türken und Heiden" sind hier schlicht nicht das Thema, sondern nur der zynisch gemeinte Aufhänger für eine deftige Beamtenschelte, die die Betroffenen übrigens verstanden zu haben scheinen, beeilten sie sich doch, dem Wunsch des Königs nachzukommen, und verfügten, dass "dem p. Antonio Ruby erlaubt sein solle, sich in Frankfurth sesshaft zu machen". Es mag in diesem Zusammenhang interessieren, dass Friedrich an anderer Stelle übrigens ganz selbstverständlich von der "Tyrannei der Türken" gesprochen hat (Karl Heinrich Siegfried Rödenbeck: Tagebuch oder Geschichtskalender aus Friedrich's des Großen Regentenleben (1740-1786). Bd. 3. Fünfte Abtheilung, enthaltend die Jahre 1780-1786. Juni 1780, S. 233, online) und auch sonst diesbzgl. wenig multikulturelles Fingerspitzengefühl zeigte: "Die türkische Nation ist von Natur begabt, aber durch Unwissenheit verdummt. Sie ist tapfer, aber ungeschult, versteht nichts von Verwaltung, und von Staatskunst noch weniger. Das Dogma des Fatalismus, woran die Türken hängen, heißt sie, die Ursache alles Unglücks auf Gott schieben, und so bleiben sie stets bei den alten Fehlern. Die Stadt Konstantinopel hat zwei Millionen Einwohner. Die Macht der Türkei beruht auf ihrer großen Ausdehnung; trotzdem würde sie ohne die Eifersucht der europäischen Fürsten nicht mehr bestehen." (Die Werke Friedrichs des Großen in deutscher Übersetzung. 2. Band: Geschichte meiner Zeit (1775). Hg. v. Gustav Berthold Volz. Berlin 1913, S. 43, online) Und zum Religionsstifter selbst: "Seit dem frommen Äneas, seit den Kreuzzügen des heiligen Ludwig

finden wir in der Geschichte kein Beispiel eines religiösen Helden. Denn Mohammed war nicht fromm, sondern nur ein Betrüger, der sich der Religion bediente, um sein Reich und seine Herrschaft zu begründen." (Die Werke Friedrichs des Großen in deutscher Übersetzung. 2. Band: Geschichte meiner Zeit (1775). Hg. v. Gustav Berthold Volz. Berlin 1913, S. 30f., online) Dass ausgerechnet der Islam und das rückständige osmanische Reich vor den Augen eines Aufklärers wie Friedrich Bestand haben könnte, wäre auch mehr als verwunderlich gewesen. Fichte z.B. verweist in seiner Deduktion moderner Staatlichkeit darauf, dass sich orientalische Staaten und europäische Staatlichkeit fundamental unterscheiden, da die alten orientalischen Reiche, auch wenn sie als "der erste Anfang des Staates" anzusehen sind, auf die "Unterwerfung freier Völker" durch und "für gewisse Zwecke eines herrschenden Volkes" gründeten, "übrigens bei vollkommener Freiheit, allenfalls auch Anarchie der Untertanen, in ihren übrigen Handlungen: mit Einem Worte: Despotie". Diese orientalische Despotie meint also weniger Grausamkeit, sondern ein Fehlen der sich im europäischen Absolutismus bereits herausgebildeten – und für Fichte zur Definition eines modernen Staates deshalb selbstverständlichen – gesteigerten staatlichen Intensität im Sinne von Erweiterung des Zugriffs des Staates, v.a. im Bereich der Verwaltung, was wiederum für den Untertanen eine gewisse Regelhaftigkeit staatlichen Handelns mit sich brachte. Wo diese nicht gegeben ist, herrscht Despotie als Willkürlichkeit, herrscht "nur Laune, keineswegs Regel", so dass "nirgends ein bestehendes Gesetz sei". Ein anschauliches Beispiel für diese despotische Frühform des Staates sieht Fichte dann im Osmanischen Reich, "welches Reich, bei allem Fortschritte des Staates um dasselbe herum, noch bis diesen Augenblick in der allerältesten Epoche der Staatsentwicklung steht." (Johann Gottlieb Fichte: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. Zwölfte Vorlesung (1804-1805); zitiert nach Ders.: Volk und Staat. Eine Auswahl aus seinen Schriften. Zusammengestellt und mit einer Einleitung von Otto Braun (= Der deutsche Staatsgedanke. Eine Sammlung. Begründet von Arno Duch. Erste Reihe: Führer und Denker. Bd. IV: Johann Gottlieb Fichte). München 1921, S. 110) Ähnlich hatte bereits Friedrich geurteilt: "Der Beherrscher der Türkei ist Despot; straflos darf er die empörendsten Grausamkeiten begehen." (Die Werke Friedrichs des Großen in deutscher Übersetzung. 7. Band: Antimachiavell und Testamente. Regierungsformen und Herrscherpflichten (1777). Hg. v. Gustav Berthold Volz. Berlin 1913, S. 227, online) Konnte also die orientalische Staatlichkeit – bzw. die für einen Aufklärer nur schwer erträgliche, staatlich kaum 'verkleidete' Anarchie als maß- und regellose Willkürherrschaft – schon auf wenig Verständnis treffen, so noch weniger die vorherrschende Religion, die dann auch, wie das oben bereits angeführte Friedrich-Zitat zeigt, als eine der Quellen der Rückständigkeit ausgemacht wird: "Das Dogma des Fatalismus, woran die Türken hängen, heißt sie, die Ursache alles Unglücks auf Gott schieben, und so bleiben sie stets bei den alten Fehlern." (A.a.O.) Der Islam war also nicht zu tolerieren, weil er besser oder auch nur gleich gut, sondern weil er bestenfalls genauso schlecht wie andere Religionen war. Der König dachte hier wie alle Aufklärer ganz utilitaristisch: Solange die Religionen tüchtige Untertanen mit einem Grundstock an allgemeinen Tugenden heranzogen, erfüllten sie ihren Zweck. Zudem blieb die Anschauung des Islam für Friedrich und die Aufklärer insgesamt doch höchst theoretisch. Die wenigen Mohammedaner, die man kannte, waren pittoreske Exoten wie bei den seinerzeit als leichte Truppen in Mode gekommenen Bosniaken und Ulanen. Wes Geistes Kind diese zunächst vom Balkan stammenden Glücksritter bosnischer, albanischer, türkischer, später auch polnischer, tartarischer und – im Siebenjährigen Krieg als Überläufer – v.a. auch russischer Herkunft waren, illustriert der Ursprung der preußischen Bosniaken, später Ulanen genannt, die von einem bosnischen Juwelenhändler namens Stephan Serkis 1745 angeworben wurden, um in sächsischen Diensten Preußen zu brandschatzen. Nachdem den Sachsen das Geld ausgegangen war, bot Serkis seine Truppe kurzerhand dem preußischen König an, der Humor genug hatte, dieses Angebot anzunehmen. Ursprünglich für den wenig ruhmreichen und ehrenhaften kleinen Krieg, d.h. für Plündern, Brandschatzen und Rauben,

prädestiniert und "nur als Kuriosität angesehen", entwickelte sich die Truppe in preußischen Diensten freilich bald zu einer reputablen Waffengattung, die sich "1757 im Lanzenkampf den Kosaken überlegen zeigte" (Hans Bleckwenn: Die friderizianischen Uniformen. Band III: Berittene Truppen. Dortmund 1984, S. 206), anschließend allerdings rasch ihren orientalischen Einschlag verlor. Den im Volksgedächtnis stärksten Eindruck gemacht hat dann auch die Tat eines Ulanen-Leutnants namens Wilhelm von Gebhard (oder Gebhardt), der 1807 in der Schlacht bei Heilsberg den französischen Kürassier-General Espagne, welcher die leichten preußischen Reiter, die auf die schwere französische Kavallerie zuhielten, verhöhnte ("Machen Sie sich nicht lächerlich!"), dicht vor der Front seines Regiments vom Pferd stach. "Gebhardt, von seinen Kameraden mit fünf Hieb- und 18 Stichwunden geborgen, überlebte." (A.a.O., S. 201; vgl. Johann David von Dziengel: Geschichte des königlichen zweiten Ulanen-Regiments. Berlin 1858, S. 244ff.) Mehr als "folkloristische Spuren" (Hans Bleckwenn: Unter dem Preußen-Adler. Das brandenburgisch-preußische Heer 1640-1807. München 1978, S. 176) haben die – zahlenmäßig unbedeutenden – Mohammedaner in preußischen Diensten dementsprechend kaum hinterlassen, so dass man auch hier schwerlich eine altehrwürdige Tradition islamischen Lebens in Deutschland ausmachen kann. Wir erinnern uns, dass man uns oben zudem wissen ließ: "Und 1756 bekannte er einem Vertrauten: 'Ich bin genötigt, meine Zuflucht zu Treu und Glauben und zu der Menschlichkeit der Muselmänner zu nehmen, weil solche bei den Christen nicht mehr zu finden sind.'", und damit insinuierte, der König habe eine Vorliebe für die 'Muselmänner' gehabt – oder wie der Referent mit Verve betont: "Friedrich der Große schätzte den Islam". Hintergrund des Friedrich-Zitats – und dem Verfasser der zitierten Zeilen, dem es allein um die scheinbar positive, propagandistisch verwertbare Würdigung der Türken geht, vermutlich vollkommen unbekannt – ist Friedrichs Werben um die Türkei auf dem verzweifelten Höhepunkt des Siebenjährigen Krieges, als dem König mit England gerade sein einziger Bündnispartner verlorengegangen war. Folgerichtig hat Friedrich die Begeisterung des Referenten der Evangelischen Akademie Bad Boll auch nicht teilen können und die ganze Angelegenheit etwas realistischer bewertet: "Sie fragen mich, wie ich mit jenem Volke ohne prépuce stehe, das einen halben Mond im Wappen führt? Wissen Sie also, es ist sehr wahr, daß wir einen Bund mit einander geschlossen haben. Ich war gezwungen, zur muselmännischen Redlichkeit und Menschenliebe meine Zuflucht zu nehmen, weil bei den Christen nichts mehr davon zu finden ist." (Karl Heinrich Siegfried Rödenbeck: Tagebuch oder Geschichtskalender aus Friedrich's des Großen Regentenleben (1740-1786). Bd. 2. Dritte Abtheilung, enthaltend die Jahre 1760-1769. Juni 1761, S. 97, online) Und weiter: "Der Himmel stehe uns bei und gebe uns irgend einen großen Vortheil, der es endlich zu dem so sehr gewünschten und nöthigen Frieden bringt. Noch wäre ein Schimmer von Hoffnung von Seiten der Leute im Orient übrig, wenn man sich auf ihr Wort verlassen könnte; aber Fabriz, den ich gelesen habe, macht, daß ich zittere, und ich fürchte, wir werden keinen Nutzen von ihnen ziehen." (Karl Heinrich Siegfried Rödenbeck: Tagebuch oder Geschichtskalender aus Friedrich's des Großen Regentenleben (1740-1786). Bd. 2. Dritte Abtheilung, enthaltend die Jahre 1760-1769. Juni 1762, S. 164, online) Man sieht: keine Liebesheirat, sondern der verzweifelte Versuch des Königs, "von allen Seiten bedrängt, um meiner Selbsterhaltung willen ein Bündnis mit den Türken" (Die Werke Friedrichs des Großen in deutscher Übersetzung. 4. Band: Geschichte des Siebenjährigen Krieges. Zweiter Teil. Hg. v. Gustav Berthold Volz. Berlin 1913, Instruktion für Oberst Freiherr von der Goltz (7. Februar 1762), S. 208, online) zu schließen, ein Bündnis, das man aufgrund der Unzuverlässigkeit der Türken wohl lieber vermieden hätte. Die Unzuverlässigkeit sollte sich übrigens bestätigen und das Bündnis bald Makulatur werden. "120000 Türken sollten im nächsten Jahr in Ungarn einbrechen, 80000 gegen die Russen marschieren. (...) Das war die Hoffnung, an die der König sich in seiner verzweifelten Lage klammerte." Doch: "Die Türken sind nicht gekommen" (Otto Hintze: Die Hohenzollern

und ihr Werk. Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte. Berlin 1915, S. 376). In der Rückschau ordnete Friedrich den Nutzen eines solchen Bündnisses dann auch ganz realistisch in die Machtarithmetik der europäischen Pentarchie ein, in der die Türkei eben nur noch eine Randfigur war, die man wohl gebrauchen konnte, wenn man keinen anderen Bündnispartner fand: "Liegen wir mit Rußland und Österreich im Krieg, so können wir uns keine günstigere Diversion erhoffen, als von seiten der Türken. Diese Nation ist uns wohlgeneigt, und ich glaube, in Ermangelung eines Besseren fänden wir da eine Unterstützung, die keineswegs zu verachten wäre." (Die Werke Friedrichs des Großen in deutscher Übersetzung. 7. Band: Antimachiavell und Testamente. Betrachtungen über den politischen Zustand Europas (9. Mai 1782). Hg. v. Gustav Berthold Volz. Berlin 1913, S. 220, online)

Resümee In der preußischen Einwanderungspolitik haben also Türken und Muslime genauso wenig Bedeutung gehabt wie als – aufgrund ihrer Treuherzigkeit angeblich bevorzugte – Bündnispartner. Als Einwanderer waren sie in einer Zeit, in der das Überwechseln von einer in die andere Staatsangehörigkeit – im wahrsten Sinne des Wortes – ein Staatsakt war, gar nicht greifbar. Bereits die Ansiedlung der Salzburger Protestanten z.B. war eine höchst delikate zwischenstaatliche Angelegenheit, die viel Vorbereitung und v.a. viel Geld kostete. Woher hätten dann die Mohammedaner stammen und v.a. welchen Nutzen hätten sie bringen sollen, der einen solchen Aufwand rechtfertigte? Die Einwanderung wurde schließlich nicht aus altruistischen Motiven betrieben, sondern aus Gründen der Staatsräson. Einwanderer mussten dem Staat Nutzen bringen und wurden unter diesen Gesichtspunkten ausgewählt. Als 'Professionalisten', d.h. Spezialisten in ihrem Fach, mussten sie besondere Qualifikationen vorweisen, um überhaupt berücksichtigt zu werden. Einwanderung bedeutete in diesem Zusammenhang auch immer einen angestrebten Zuwachs an Know How. Einen solchen Technik- und Wissenstransfer hätten Einwanderer aus hoffnungslos rückständigen Gebieten wie dem Balkan oder der Türkei kaum leisten können. Die Zuwanderer, die heute zur Rechtfertigung der Migration und der multikulturellen Gesellschaft herhalten müssen, stammten deshalb auch fast ausschließlich aus dem deutschen 'Ausland'. "Schon die Hugenotten waren eine durchaus exotische, wenngleich aufgrund ihrer Qualifikationen sehr geschätzte Minderheit, die aus dem üblichen Rahmen fiel. Kulturfremde Einwanderer hätten auch nicht in den Rahmen des Landesausbaus gepasst, der darauf ausgerichtet war, schnell Ergebnisse zu zeitigen." (siehe hier) Die preußische Einwanderungspolitik ist deshalb auch viel eher mit der Gesetzgebung klassischer Einwanderungsländer heutiger Zeit vergleichbar, die Interessenten nach Alter, Abstammung und Qualifikation selektiert, als mit der ungeregelten Migration in die BRD. "Friderizianische Toleranz war, theoretisch wie praktisch gleichermaßen, ein Ergebnis aufklärerischen Denkens und zweckrationalen Kalküls. Sie stand im Dienst des Staatsinteresses und sie folgte dem Prinzip der preußischen Staatsräson. Toleranz war nicht umsonst zu haben, nichts war im friderizianischen Preußen umsonst zu haben. Eine solche Orientierung am Zweckmäßigen und Nützlichen markiert denn auch die Grenzen der Toleranz bei Friedrich." (Frank-Lothar Kroll: "Warum Friedrich tolerant war". Preußische Allgemeine Zeitung, 20.06.2012, online) Michael Klonovsky hat deshalb auch mit gewohnter stilistischer Schärfe auf das eingangs erwähnte Wulff'sche Elaborat, in dem die Einwanderer mit überdeutlicher propagandistischer Absicht summarisch als "Hugenotten, Katholiken oder Muslime" klassifiziert wurden, geantwortet: "Allerdings hat Wulff in seiner Rede die Bedingungen unterschlagen, die Preußen seinen Zuwanderern stellte. Als 1732 die ersten von insgesamt 20000 verfolgten Salzburger Protestanten nach Preußen kamen, erkundigte sich König Friedrich Wilhelm I., Friedrichs Vater, bei dem sie begleitenden Kommissar: 'Sind liederliche Leute dabei? Solche, die sich besaufen oder der Völlerei ergeben?' Liederliche oder gar kriminelle Leute wollte Preußen nämlich nicht, und da dieser Staat seiner nicht spotten ließ, kamen auch keine. Jedenfalls haben keine Hugenotten-Clans in

Berlin mit Drogen und Prostituierten gehandelt und, wenn schon mal gegen sie ermittelt wurde, Justizbeamte bedroht. Kein Jugendgangs aus den Vierteln der Salzburger Protestanten machten nachts die Straßen unsicher und stürzten sich mit 'Scheiß Preußen!'-Rufen auf Einheimische. Niemand kam nach Preußen mit der Idee im Kopf, sich sein Leben vom Staat sozialfinanzieren zu lassen, weil er keine 24 Stunden später wieder draußen gewesen wäre. Kurzum: Die preußische Einwanderungspolitik war in der Tat vorbildlich." (Michael Klonovsky: "Bundespräsident im historischen Kontext. Christian Wulff preußisch gesehen". Focus, 25.02.2012, online) So erweist sich die hier angesprochene Diskussion um preußische Toleranz in Zuwanderungsfragen auch nur als ein weiteres Beispiel des üblichen revisionistischen Dreikampfs der bundesdeutschen Geschichtsdidaktik ('Enthistorisieren, Ideologisieren, Propagieren'). Da werden das bevölkerungsarme, technologisch noch rückständige Preußen des 18. Jahrhunderts mit der zeitgenössischen BRD gleichgesetzt, alle geschichtlichen Voraussetzungen der damaligen Situation ausgeblendet und großzügig Zitate aus ihrem Kontext herausgerissen und verfälscht (Enthistorisieren). Daraufhin wird das so gewonnene Rohmaterial mit Ideologemen heutiger Provenienz aufgeladen und die paternalistisch-utilitaristische Toleranz preußischer Prägung des 18. Jahrhunderts in eine hyperaufklärerische Toleranz der zeitgenössischen diversity-Ideologie umgefälscht (Ideologisieren). Abschließend folgt die Einspeisung der neuen Geschichtslesart in die medialen Verteiler und die massenhafte Wiederholung der neuen Argumentationsmuster (Propagieren). Wichtig ist dabei nicht die Sinnhaftigkeit der neuen Argumente und die Verifizierbarkeit ihrer historischen Beispiele, sondern allein die Anzahl ihrer Exegeten und die Reichweite ihrer Verbreitung.

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