UNSERE HEIMATSPITZE BAYERISCHE SEITEN€¦ · kämpfer –und auch die Ex-humierung von Leichen...

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Münchner Merkur Nr. 152 | Wochenende, 4./5. Juli 2020 CHEN Telefon: (089) 53 06-424 [email protected] B W ga D Au ar sc ck ße si gr ch la si tis zi Fr fa üb Ba Ei sc m Au vi üb ne da sc au ga ne ni Es es de D zi st da gl da Ed fe m Si am Au du En O ch m ge ne ge Er di ne lie se so ck Am Brenner: Heimkehrende italienische Soldaten über- queren die Grenze. Ein Tag lang kein Hunger: Ein Tiroler mit einem Ein-Kilo- Brot, das er ergattert hat. Verhaftet: Raketenerfinder Wernher von Braun (Mitte) in Reutte, 3. Mai. Bis sie in Tirol ankamen, hatten die US-Soldaten einen langen Weg zurückgelegt. Die meisten hatten zuvor in Frankreich gekämpft, waren dann langsam über Schwa- ben und Oberbayern vorge- rückt. Aber was heißt das schon: Die jungen US-Solda- ten, die meisten kaum 20 Jah- kann stundenlang in dem Buch blättern, sich in einzel- ne Fotos vertiefen. Und wie immer, wenn es um histori- sche Fotos geht, gibt es mehr Fragen als Antworten. Wie ging es wohl mit den Hitler- jungen weiter, die sich am 5. Mai bei Starkenbach im Ober- inntal an einer Scheune auf- Sie fotografierten die Gräuel im KZ genauso wie Mädchen in Tracht: Amerikanische Fotografen begleiteten die amerikani- sche Armee in den letzten Wochen vor Kriegsende bis nach Tirol. Und hinter- ließen der Nachwelt ein- zigartige Schnappschüsse der Befreiung. VON DIRK WALTER München/Innsbruck – Er hatte im April 1945 halb tote KZ- Häftlinge aus den Lagern Kau- fering und Landsberg gese- hen, er hatte von den ver- brannten Leichen im dorti- gen Krankenlager gehört, so detailliert, dass sich ihm „der Magen umdrehte“ – doch der 20-jährige US-Soldat Herbert Rothschild, Sohn jüdischer Einwanderer aus Polen und Österreich, war nicht verbit- tert. Er war mit seiner Einheit Mitte Mai im Tiroler Dorf Mieders gelandet – ein idylli- scher Ort nach so viel Grau- samkeit. Jetzt konnte er sich erholen. „Wir sind mitten in einem Urlaubsgebiet und es ist wirklich schön hier“, schrieb er nach Hause. „Ich kann verstehen, warum die Leute hier Ferien machen.“ Urlaub im Kriegsgebiet – ei- nen Eindruck über den Alltag der Besatzung, die eine Mi- schung oder (wie man Wiene- risch sagen würde) eine Me- lange aus Gewalt und Zer- streuung war, bietet jetzt ein eindrucksvoller Bildband. Fo- tografen des sogenannten Signal Corps der US Army be- gleiteten Divisionen, die sich von Oberbayern aus über Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald/Scharnitz bis ins Tiroler Inntal kämpften. Im Signal Corps waren die Foto- grafen der US-Armee versam- melt. Sie begleiteten die Kämpfe an fast allen Kriegs- schauplätzen. Bis zum Schluss. Bis nach Tirol. Peter Pirker und Matthias Breit, zwei österreichische Historiker, haben einen wah- ren Bilderschatz in amerika- nischen Archiven gefunden. Jubel, Gewalt, verwesende Leichen, glückliche Tiroler – alles kommt drin vor. Man Elf Stunden lang dauerten die Kämpfe, bei denen sechs US- Soldaten starben – einige zer- rissen durch Sprengfallen. In den Tagen bis zum Kriegsen- de verzeichneten allein zwei der vier beteiligten Großver- bände der US-Armee noch 57 gefallene und 240 verwunde- te Soldaten. Fotos davon gibt letzt griffen Heckenschützen die vordringenden Amerika- ner an, versprengte Einhei- ten, halbe Buben darunter in zusammengeschusterten Uni- formteilen. Im Stubaital be- schossen Soldaten der Tiroler Wehrmachtskasernen und der Hochgebirgsschule der Waffen-SS die Amerikaner. re alt, überlebten ein Inferno der Gewalt, und das bis zum Schluss. Der Krieg ging in Oberbay- ern zumeist am 29. (Dachau) oder 30. April (München) zu Ende, weiter im Süden aber dauerte er indes noch ein paar Tage länger. Innsbruck wurde erst am 3. Mai befreit. Bis zu- es allerdings nicht – das Signal Corps unterlag gewissen Re- geln, es sollte die Verluste des Kriegsgegners festhalten, allerdings nicht die der eige- nen Einheiten. Anders als in Oberbayern gab es in Tirol kein KZ. Aller- dings das „Arbeitserziehungs- lager“ Reichenau, wo unter Gestapo-Regie brutale Bedin- gungen herrschten. Bis kurz vor Schluss ermordeten die Nazis dort Widerstands- kämpfer – und auch die Ex- humierung von Leichen hiel- ten die Fotografen des Signal Corps fest. Doch es ist fast ein Wun- der, dass die Soldaten – dieser Eindruck ergibt sich zumin- dest aus den Fotos – trotz alle- dem nicht auf Rache aus wa- ren. Eher war das Gegenteil richtig. Auf den Fotos domi- niert der lässige US-Soldier, der es sich in Tirol mal einige Wochen gut gehen lassen konnte. Nach all den Strapa- zen machte sich bei den „Amis“ Ferienstimmung breit. Das war auch eine Ein- stellungssache. In der ameri- kanischen Armee dominierte eben nicht der verbissene, politisierte Kämpfertyp, wie sie ihn auf der Gegenseite nur allzu oft kennengelernt hatten. Die Soldaten selbst schweißte der Krieg zusam- men, es bildeten sich Freund- schaften. Statt von Kamera- den sprachen die Amerikaner von Buddies – Kumpel. Viele Fotos dokumentieren das Freizeitverhalten der Buddies: Skifahren auf dem Hafelekar, Tanz, Musik, Schäkern mit den Tiroler Frauen – und na- türlich auch viel Sport. Die Einheimischen staunten bald über dieses seltsame Baseball. Doch es war eine trügeri- sche Ruhe. Am Pazifik tobte noch der Krieg – und viele US- Soldaten waren jung. Nur die Kapitulation Japans am 2. September verhinderte wahr- scheinlich ihre Versetzung. Dass nicht wenige später aber im Koreakrieg starben, steht auf einem anderen Blatt. Das Buch Peter Pirker, Matthias Breit: Schnappschüsse der Befrei- ung. Fotografien amerika- nischer Soldaten im Früh- jahr 1945, Tyrolia Verlag, 304 S., 29,95 Euro. Scharnitz, 1. Mai: Bis zum Ende gerieten die Amerikaner immer wieder unter Beschuss. In Landeck: US-Soldaten befragen Kinder, vermutlich auf der Heimreise. Jubelnde Innsbrucker begrüßen am 3. Mai die einrückenden US-Einheiten. Sie waren wohl, wie ein US-Soldat auf die Rückseite der Fotografie schrieb, froh, die Deutschen los zu sein. Es ist vorbei: Nahe Prutz/Landeck werden Gewehre eingesammelt. stellten und ergaben? Wie mit den erschöpften Solda- ten, die sich am 4. Mai über die verschneite Brenner- Grenze schleppten? Haben die US-Soldaten überlebt, die am 1. Mai in Scharnitz im Straßengraben lagen, weil sie von den Bergen aus unter Beschuss gerieten? 5. Mai 1945 bei Starkenbach im Oberinntal: Hitlerjungen, die bis zum Schluss gekämpft hatten, ergeben sich der amerikanischen 44. Infanterie-Division. Das Alter der Jungen wird mit 10 bis 17 angegeben. ALLE FOTOS: AUS DEM BESPROCHENEN BUCH Gräuel: Der Kommandant des Lagers Rei- chenau muss Leichen identifizieren. Aufruf an unsere Leser Die Amerikaner waren jahrzehntelang in Oberbayern – in München, vor allem aber auch in den Kasernen in Oberbayern. Bis in die 1990er-Jahre prägten US-Soldaten stellenweise das Straßenbild. Wir suchen für einen Artikel Fotos, Dokumente und Erinnerungen aus der Nachkriegszeit. Kontakt: [email protected] betreff: Amerikaner in Oberbayern oder aber: Münchner Merkur, Bayernteil, Paul-Heyse-Str. 2-4, 80336 München 13 Münchner Merkur Nr. 152 BAYERN & SEINE MENSCHEN Telefon: (089) 53 06-424 [email protected]

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  • 12 Münchner Merkur Nr. 152 | Wochenende, 4./5. Juli 2020BAYERN & SEINE MENSCHEN Telefon: (089) 53 [email protected]

    BAYERISCHE SEITEN

    „111 Orte für Kinder inMünchen“ von FlorianKinast, Emons, 240 Sei-ten, 16,90 Euro.

    Das Handbuchfür den

    Zuagroasten

    Wir Bayern sind ja eigentlichganz und gar unerklärlich.Dass trotzdem immer wiederAutoren versuchen, die Groß-artigkeit unserer Heimat zwi-schen zwei Buchdeckel zu pa-cken und so auch dem Au-ßenstehenden – in dem Fallsind die Zuagroasten die Ziel-gruppe – zugänglich zu ma-chen, nehmen wir recht ge-lassen hin. Diesmal habensich zwei bayerische Kabaret-tisten daran gemacht: Fran-ziska Wanninger und MartinFrank nähern sich mit „Derfamose Freistaat“ vor allemüber das Bairische der SeeleBayerns.Freilich darf man so was als

    Einheimischer stellenweiseschmarrig finden. Allerdingsmachen die humorbegabtenAutoren bei ihrem Erstlingvieles richtig: mit durchausüberraschenden Informatio-nen, guten Tipps und demdann halt doch nicht soschmarrigen Ton, der immerauch liebevoll bleibt. Undganz streng genommen ler-nen auchwir famosen Bayernnie aus. kb

    „Der famose Freistaat“von Franziska Wannin-ger und Martin Frank, ro-roro, 208 Seiten, 12 Euro.

    111 Malkindgerechtes

    München

    Es ist ja nun nicht so, als gäbees nicht genügend Angebotefür kindgerechte Ausflüge inder Landeshauptstadt. Nur:Die bekanntesten Ausflugs-ziele sindhaltauchdie,dieamstärksten frequentiert sind –das stresst Kinder und Elterngleichermaßen. Abhilfe kanndabei die neueste MünchnerEdition der „111 Orte“ schaf-fen.Wie wäre es zum Beispielmit einem Besuch bei FrauSiebenmorgen in ihremKioskam Harras? Oder mit einemAusflug ins Ökologische Bil-dungszentrum im StadtteilEnglschalking?Florian Kinast hat in „111

    Orten für Kinder in Mün-chen, dieman gesehen habenmuss“ anschaulich und kind-gerecht spannende und schö-ne Ausflugsziele zusammen-gestellt. Und auch vieleErwachsene entdecken indiesem Buch Plätze der eige-nen Kindheit wieder.Ein schönes Buch für Fami-

    lien, die nicht jeden Tag amselben Spielplatz verbringen,sondern die Stadt neu entde-cken möchten. kb

    Das Arnbacher GedächtnisMEIN DORF Adolf Breitenberger hat die Dorfchronik mit verfasst

    der Allgemeinheit wieder zu-gänglich gemacht worden.

    Und Sie haben bei derOrtschronik mitgeholfen.

    Ja, acht Jahrehabenwir inKir-chenbüchern und im Staats-archiv Nachforschungen an-gestellt. 2005 haben wir sierausgebracht. Die gesamtenEreignisse von 1610 bis datosind darin aufgezeichnet.

    Gibt es in Arnbachnoch ein Gasthaus?

    Seit zehn Jahren ist unsereWirtschaft geschlossen. Da-mals ist der Wirt leider ge-storben. Aber wir haben einSportheim mit einem sehraktiven Wirt, das ist jetzt dergesellschaftliche Treffpunkt.

    Da kann man auch abendsauf ein Bier hingehen?

    Auf ein Bier am Stammtischoder sonntags zum Mittages-sen. Das ist ein sehr guterErsatz für unseren Wirt.

    Interview: Nina Praun

    Ortschaft gar nicht mehrmöglich, sie sorgen für allesGesellschaftliche, für die Un-terhaltungsmöglichkeiten,Sportmöglichkeiten, für dieFreizeitgestaltung, für alles.

    Sind Sie dort engagiert?In den meisten bin ich Mit-glied, im Veteranenverein, inder Dorfchronik, im Schüt-zenverein, im Sportverein...

    Was machen Sie dennim Sportverein?

    Mit 81 Jahren macht man danichtsmehr, ich binnurnochpassives Mitglied. Aktiv warich aber auch in der Feuer-wehr und im Schützenverein.Und 40 Jahrewar ich Kirchen-pfleger, in der Kirche St. Ni-kolaus. Wir hatten eine sehraktive Kirchenverwaltung,und uns ist es damals gelun-gen, den Verkauf von unse-rem Pfarrhof zu verhindern.Er wurde renoviert, dort sindjetzt die Jugendarbeit und dieAltennachmittage – er ist also

    Jede Woche beantwortet einOberbayer Fragen rund umseine Heimat. Adolf Breiten-berger, 81, lebt in Arnbachim Landkreis Dachau. Er hathier eine Landwirtschaft be-trieben und später bei derSparkasse gearbeitet.

    Herr Breitenberger, sindSie in Arnbach geboren?

    Ja, und vor 77 Jahren bin ichhier in den Kindergarten ge-gangen. Denn in Arnbachgibt es schon seit 1927 einenKindergarten beziehungswei-se damals eine „Kinderbe-wahrungsanstalt“. Unsere Be-treuerinnen waren Nonnen.

    War das dort recht streng?Nein, das war ganz locker.

    Was gibt es noch außerdem Kindergarten?

    Nun, wir haben hier zehnVereine. Die sind wirklich ei-ne gesellschaftliche Stützefür den Ort! Ohne die Vereinewäre ein Leben in so einer

    Renoviert statt verkauft: Adolf Breitenberger vor der Kirche St. Nikolaus. FOTO: N. HABSCHIED

    Vom Affenstallzum HeiliggeistlochVON BEZIRKSHEIMATPFLEGER NORBERT GÖTTLER

    UNSERE HEIMATSPITZE

    Wer meint, „social distan-cing“ sei einemoderne, durchCoronagestiftetegesellschaft-liche Einrichtung, täuschtsich gewaltig. Vielmehr sindPhänomene gesellschaftli-cher Trennung uralte Be-standteile der Sozialgeschich-te, auch der bayerischen!

    Entgegen der Lyrik derFremdenverkehrs- und Gas-tronomieverbände war zumBeispiel das bayerischeWirts-haus nur selten ein Hort vonIntegration und Gemeinsinn.Man ging nicht in ein Wirts-haus, auf dasmangerade Lusthatte, sondern ineines, das ei-nem schichtenspezifisch zu-stand.DieHonoratiorenindieTafern- und Brauereigasthäu-ser, die Bauern in die Bauern-wirtshäuser und die Arbeiterin die Arbeiterkneipen. FürKnechte undMägde, Künstlerund andere Underdogs blie-

    Brüderschaft zu trinken. Au-genscheinlichstes Symbol dersozialenTrennungwarder so-genannte Affenstall, eindurchLattenabgegrenztesGe-viert in derWirtsstube, in dasnur Pfarrer, Bürgermeisterund Großbauern Zutritt hat-ten, um darin ihren allabend-lichen Tarock oder Schafkopfzu spielen. Der „Affenstall“war eine Notlösung in Ortenmit nur einemWirtshaus.Dieser Verschlag hatte aber

    auchseineVorteile:DieHono-ratioren waren zwar untersich, konnten aber doch mit

    einem Ohr lauschen, welchaufrührerische oder ketzeri-sche Reden die Untertanenführten. Selbstredend, dasssich der Begriff „Affenstall“eher in den Reihen der Subal-ternen der Beliebtheit erfreu-te, selber bevorzugten die Ho-noratioren Begriffe wie „Sa-lettl“ oder „Haimlichkeit“!Was den Honoratioren des

    Dorfes Recht war, war demLandadel billig. Das Bekennt-nis zu christlicher Brüderlich-keit führte keineswegs soweit, sich am Sonntagsgottes-dienstunterdasgemeineVolkzumischen. Da zwängte mansich lieber eine engeWendel-treppe hinauf in dieGebetsni-sche, die allein für den Hof-marksherrnundseineFamiliereserviert war. Dort war mannicht nur dem Bauernvolkund seinen Stallgerüchenfern, sondern dem eucharisti-schen Geschehen in der Apsisnahe. Mehr noch, das Heilig-geistlochüberdemHaupt ließerhoffen, einer kleinen Porti-on geistlicher Inspiration di-rekt vom Sender, also ohneUmweg priesterlicher Ver-ballhornung, teilhaftig wer-den zu dürfen. Und dass mandem neuen, vielleicht herzje-suroten Kaplan von oben herein wenig in sein Predigtma-nuskript schauen konnte,mochtejaauchnichtschaden.Ob also Affenstall oder Hei-

    liggeistloch: „Social distan-cing“ erfreute sich immerschon einer gewissen Beliebt-heit, wenn es darumging, Ab-stand zu schaffen. Da sind dieheutigen Einmeterfünfzig jageradezu sozialistisch gering!

    ben zwielichtige Stopselwirt-schaften, Gassenschänkenund Branntweinstuben. Auchim nur scheinbar egalitärenBiergarten oder Volksfest wares undenkbar, dass sich derKnecht mir nichts, dir nichtsan den Tisch seines Großbau-ern gesetzt hätte, ummit ihm

    Das einfache Volk trank und spielte in einem Wirtshaus,das der eigenen Schicht entsprach. Hier die Karikatureiner Bierstube aus dem Jahr 1799. ULLSTEIN

    Am Brenner: Heimkehrende italienische Soldaten über-queren die Grenze.

    Ein Tag lang kein Hunger: Ein Tiroler mit einem Ein-Kilo-Brot, das er ergattert hat.

    Verhaftet: Raketenerfinder Wernher vonBraun (Mitte) in Reutte, 3. Mai.

    Bis sie in Tirol ankamen,hatten die US-Soldaten einenlangen Weg zurückgelegt.Die meisten hatten zuvor inFrankreich gekämpft, warendann langsam über Schwa-ben und Oberbayern vorge-rückt. Aber was heißt dasschon: Die jungen US-Solda-ten, diemeisten kaum 20 Jah-

    kann stundenlang in demBuch blättern, sich in einzel-ne Fotos vertiefen. Und wieimmer, wenn es um histori-sche Fotos geht, gibt es mehrFragen als Antworten. Wieging es wohl mit den Hitler-jungen weiter, die sich am 5.Mai bei Starkenbach imOber-inntal an einer Scheune auf-

    Sie fotografierten die

    Gräuel im KZ genauso

    wie Mädchen in Tracht:

    Amerikanische Fotografen

    begleiteten die amerikani-

    sche Armee in den letzten

    Wochen vor Kriegsende

    bis nach Tirol. Und hinter-

    ließen der Nachwelt ein-

    zigartige Schnappschüsse

    der Befreiung.

    VON DIRK WALTER

    München/Innsbruck – Er hatteim April 1945 halb tote KZ-Häftlinge aus den LagernKau-fering und Landsberg gese-hen, er hatte von den ver-brannten Leichen im dorti-gen Krankenlager gehört, sodetailliert, dass sich ihm „derMagen umdrehte“ – doch der20-jährige US-Soldat HerbertRothschild, Sohn jüdischerEinwanderer aus Polen undÖsterreich, war nicht verbit-tert. Er warmit seiner EinheitMitte Mai im Tiroler DorfMieders gelandet – ein idylli-scher Ort nach so viel Grau-samkeit. Jetzt konnte er sicherholen. „Wir sind mitten ineinem Urlaubsgebiet und esist wirklich schön hier“,schrieb er nach Hause. „Ichkann verstehen, warum dieLeute hier Ferien machen.“Urlaub im Kriegsgebiet – ei-

    nen Eindruck über den Alltagder Besatzung, die eine Mi-schung oder (wiemanWiene-risch sagen würde) eine Me-lange aus Gewalt und Zer-streuung war, bietet jetzt eineindrucksvoller Bildband. Fo-tografen des sogenanntenSignal Corps der US Army be-gleiteten Divisionen, die sichvon Oberbayern aus überGarmisch-Partenkirchen undMittenwald/Scharnitz bis insTiroler Inntal kämpften. ImSignal Corps waren die Foto-grafen der US-Armee versam-melt. Sie begleiteten dieKämpfe an fast allen Kriegs-schauplätzen. Bis zumSchluss. Bis nach Tirol.Peter Pirker und Matthias

    Breit, zwei österreichischeHistoriker, haben einen wah-ren Bilderschatz in amerika-nischen Archiven gefunden.Jubel, Gewalt, verwesendeLeichen, glückliche Tiroler –alles kommt drin vor. Man

    Elf Stunden lang dauerten dieKämpfe, bei denen sechs US-Soldaten starben – einige zer-rissen durch Sprengfallen. Inden Tagen bis zum Kriegsen-de verzeichneten allein zweider vier beteiligten Großver-bände der US-Armee noch 57gefallene und 240 verwunde-te Soldaten. Fotos davon gibt

    letzt griffen Heckenschützendie vordringenden Amerika-ner an, versprengte Einhei-ten, halbe Buben darunter inzusammengeschustertenUni-formteilen. Im Stubaital be-schossen Soldaten der TirolerWehrmachtskasernen undder Hochgebirgsschule derWaffen-SS die Amerikaner.

    re alt, überlebten ein Infernoder Gewalt, und das bis zumSchluss.Der Krieg ging in Oberbay-

    ern zumeist am 29. (Dachau)oder 30. April (München) zuEnde, weiter im Süden aberdauerte er indesnocheinpaarTage länger. Innsbruckwurdeerst am 3. Mai befreit. Bis zu-

    es allerdings nicht – das SignalCorps unterlag gewissen Re-geln, es sollte die Verluste desKriegsgegners festhalten,allerdings nicht die der eige-nen Einheiten.Anders als in Oberbayern

    gab es in Tirol kein KZ. Aller-dings das „Arbeitserziehungs-lager“ Reichenau, wo unterGestapo-Regie brutale Bedin-gungen herrschten. Bis kurzvor Schluss ermordeten dieNazis dort Widerstands-kämpfer – und auch die Ex-humierung von Leichen hiel-ten die Fotografen des SignalCorps fest.Doch es ist fast ein Wun-

    der, dass die Soldaten – dieserEindruck ergibt sich zumin-dest aus den Fotos – trotz alle-dem nicht auf Rache aus wa-ren. Eher war das Gegenteilrichtig. Auf den Fotos domi-niert der lässige US-Soldier,der es sich in Tirol mal einigeWochen gut gehen lassenkonnte. Nach all den Strapa-zen machte sich bei den„Amis“ Ferienstimmungbreit. Das war auch eine Ein-stellungssache. In der ameri-kanischen Armee dominierteeben nicht der verbissene,politisierte Kämpfertyp, wiesie ihn auf der Gegenseitenur allzu oft kennengelernthatten. Die Soldaten selbstschweißte der Krieg zusam-men, es bildeten sich Freund-schaften. Statt von Kamera-den sprachen die Amerikanervon Buddies – Kumpel. VieleFotos dokumentieren dasFreizeitverhalten der Buddies:Skifahren auf demHafelekar,Tanz, Musik, Schäkern mitden Tiroler Frauen – und na-türlich auch viel Sport. DieEinheimischen staunten baldüber dieses seltsameBaseball.Doch es war eine trügeri-

    sche Ruhe. Am Pazifik tobtenoch der Krieg – und viele US-Soldaten waren jung. Nur dieKapitulation Japans am 2.September verhinderte wahr-scheinlich ihre Versetzung.Dass nichtwenige später aberim Koreakrieg starben, stehtauf einem anderen Blatt.

    Das BuchPeter Pirker, Matthias Breit:Schnappschüsse der Befrei-ung. Fotografien amerika-nischer Soldaten im Früh-jahr 1945, Tyrolia Verlag,304 S., 29,95 Euro.

    Scharnitz, 1. Mai: Bis zum Ende gerieten die Amerikanerimmer wieder unter Beschuss.

    In Landeck: US-Soldaten befragen Kinder,vermutlich auf der Heimreise.

    Jubelnde Innsbrucker begrüßen am 3. Mai die einrückenden US-Einheiten. Sie waren wohl,wie ein US-Soldat auf die Rückseite der Fotografie schrieb, froh, die Deutschen los zu sein.

    Es ist vorbei: Nahe Prutz/Landeck werden Gewehre eingesammelt.

    stellten und ergaben? Wiemit den erschöpften Solda-ten, die sich am 4. Mai überdie verschneite Brenner-Grenze schleppten? Habendie US-Soldaten überlebt, dieam 1. Mai in Scharnitz imStraßengraben lagen, weil sievon den Bergen aus unterBeschuss gerieten?

    5. Mai 1945 bei Starkenbach im Oberinntal: Hitlerjungen, die bis zum Schluss gekämpft hatten, ergeben sich der amerikanischen 44. Infanterie-Division. Das Alter der Jungen wird mit 10 bis 17 angegeben. ALLE FOTOS: AUS DEM BESPROCHENEN BUCH

    Gräuel: Der Kommandant des Lagers Rei-chenau muss Leichen identifizieren.

    Aufruf an unsere Leser

    Die Amerikaner waren jahrzehntelang inOberbayern – in München, vor allem aberauch in den Kasernen in Oberbayern. Bisin die 1990er-Jahre prägten US-Soldatenstellenweise das Straßenbild.

    Wir suchen für einen Artikel Fotos,Dokumente und Erinnerungen aus derNachkriegszeit.

    Kontakt: [email protected]: Amerikaner in Oberbayernoder aber:Münchner Merkur, Bayernteil,Paul-Heyse-Str. 2-4, 80336 München

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