UNSERE HEIMATSPITZE BAYERISCHE SEITEN€¦ · kämpfer –und auch die Ex-humierung von Leichen...
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12 Münchner Merkur Nr. 152 | Wochenende, 4./5. Juli 2020BAYERN & SEINE MENSCHEN Telefon: (089) 53 [email protected]
BAYERISCHE SEITEN
„111 Orte für Kinder inMünchen“ von FlorianKinast, Emons, 240 Sei-ten, 16,90 Euro.
Das Handbuchfür den
Zuagroasten
Wir Bayern sind ja eigentlichganz und gar unerklärlich.Dass trotzdem immer wiederAutoren versuchen, die Groß-artigkeit unserer Heimat zwi-schen zwei Buchdeckel zu pa-cken und so auch dem Au-ßenstehenden – in dem Fallsind die Zuagroasten die Ziel-gruppe – zugänglich zu ma-chen, nehmen wir recht ge-lassen hin. Diesmal habensich zwei bayerische Kabaret-tisten daran gemacht: Fran-ziska Wanninger und MartinFrank nähern sich mit „Derfamose Freistaat“ vor allemüber das Bairische der SeeleBayerns.Freilich darf man so was als
Einheimischer stellenweiseschmarrig finden. Allerdingsmachen die humorbegabtenAutoren bei ihrem Erstlingvieles richtig: mit durchausüberraschenden Informatio-nen, guten Tipps und demdann halt doch nicht soschmarrigen Ton, der immerauch liebevoll bleibt. Undganz streng genommen ler-nen auchwir famosen Bayernnie aus. kb
„Der famose Freistaat“von Franziska Wannin-ger und Martin Frank, ro-roro, 208 Seiten, 12 Euro.
111 Malkindgerechtes
München
Es ist ja nun nicht so, als gäbees nicht genügend Angebotefür kindgerechte Ausflüge inder Landeshauptstadt. Nur:Die bekanntesten Ausflugs-ziele sindhaltauchdie,dieamstärksten frequentiert sind –das stresst Kinder und Elterngleichermaßen. Abhilfe kanndabei die neueste MünchnerEdition der „111 Orte“ schaf-fen.Wie wäre es zum Beispielmit einem Besuch bei FrauSiebenmorgen in ihremKioskam Harras? Oder mit einemAusflug ins Ökologische Bil-dungszentrum im StadtteilEnglschalking?Florian Kinast hat in „111
Orten für Kinder in Mün-chen, dieman gesehen habenmuss“ anschaulich und kind-gerecht spannende und schö-ne Ausflugsziele zusammen-gestellt. Und auch vieleErwachsene entdecken indiesem Buch Plätze der eige-nen Kindheit wieder.Ein schönes Buch für Fami-
lien, die nicht jeden Tag amselben Spielplatz verbringen,sondern die Stadt neu entde-cken möchten. kb
Das Arnbacher GedächtnisMEIN DORF Adolf Breitenberger hat die Dorfchronik mit verfasst
der Allgemeinheit wieder zu-gänglich gemacht worden.
Und Sie haben bei derOrtschronik mitgeholfen.
Ja, acht Jahrehabenwir inKir-chenbüchern und im Staats-archiv Nachforschungen an-gestellt. 2005 haben wir sierausgebracht. Die gesamtenEreignisse von 1610 bis datosind darin aufgezeichnet.
Gibt es in Arnbachnoch ein Gasthaus?
Seit zehn Jahren ist unsereWirtschaft geschlossen. Da-mals ist der Wirt leider ge-storben. Aber wir haben einSportheim mit einem sehraktiven Wirt, das ist jetzt dergesellschaftliche Treffpunkt.
Da kann man auch abendsauf ein Bier hingehen?
Auf ein Bier am Stammtischoder sonntags zum Mittages-sen. Das ist ein sehr guterErsatz für unseren Wirt.
Interview: Nina Praun
Ortschaft gar nicht mehrmöglich, sie sorgen für allesGesellschaftliche, für die Un-terhaltungsmöglichkeiten,Sportmöglichkeiten, für dieFreizeitgestaltung, für alles.
Sind Sie dort engagiert?In den meisten bin ich Mit-glied, im Veteranenverein, inder Dorfchronik, im Schüt-zenverein, im Sportverein...
Was machen Sie dennim Sportverein?
Mit 81 Jahren macht man danichtsmehr, ich binnurnochpassives Mitglied. Aktiv warich aber auch in der Feuer-wehr und im Schützenverein.Und 40 Jahrewar ich Kirchen-pfleger, in der Kirche St. Ni-kolaus. Wir hatten eine sehraktive Kirchenverwaltung,und uns ist es damals gelun-gen, den Verkauf von unse-rem Pfarrhof zu verhindern.Er wurde renoviert, dort sindjetzt die Jugendarbeit und dieAltennachmittage – er ist also
Jede Woche beantwortet einOberbayer Fragen rund umseine Heimat. Adolf Breiten-berger, 81, lebt in Arnbachim Landkreis Dachau. Er hathier eine Landwirtschaft be-trieben und später bei derSparkasse gearbeitet.
Herr Breitenberger, sindSie in Arnbach geboren?
Ja, und vor 77 Jahren bin ichhier in den Kindergarten ge-gangen. Denn in Arnbachgibt es schon seit 1927 einenKindergarten beziehungswei-se damals eine „Kinderbe-wahrungsanstalt“. Unsere Be-treuerinnen waren Nonnen.
War das dort recht streng?Nein, das war ganz locker.
Was gibt es noch außerdem Kindergarten?
Nun, wir haben hier zehnVereine. Die sind wirklich ei-ne gesellschaftliche Stützefür den Ort! Ohne die Vereinewäre ein Leben in so einer
Renoviert statt verkauft: Adolf Breitenberger vor der Kirche St. Nikolaus. FOTO: N. HABSCHIED
Vom Affenstallzum HeiliggeistlochVON BEZIRKSHEIMATPFLEGER NORBERT GÖTTLER
UNSERE HEIMATSPITZE
Wer meint, „social distan-cing“ sei einemoderne, durchCoronagestiftetegesellschaft-liche Einrichtung, täuschtsich gewaltig. Vielmehr sindPhänomene gesellschaftli-cher Trennung uralte Be-standteile der Sozialgeschich-te, auch der bayerischen!
Entgegen der Lyrik derFremdenverkehrs- und Gas-tronomieverbände war zumBeispiel das bayerischeWirts-haus nur selten ein Hort vonIntegration und Gemeinsinn.Man ging nicht in ein Wirts-haus, auf dasmangerade Lusthatte, sondern ineines, das ei-nem schichtenspezifisch zu-stand.DieHonoratiorenindieTafern- und Brauereigasthäu-ser, die Bauern in die Bauern-wirtshäuser und die Arbeiterin die Arbeiterkneipen. FürKnechte undMägde, Künstlerund andere Underdogs blie-
Brüderschaft zu trinken. Au-genscheinlichstes Symbol dersozialenTrennungwarder so-genannte Affenstall, eindurchLattenabgegrenztesGe-viert in derWirtsstube, in dasnur Pfarrer, Bürgermeisterund Großbauern Zutritt hat-ten, um darin ihren allabend-lichen Tarock oder Schafkopfzu spielen. Der „Affenstall“war eine Notlösung in Ortenmit nur einemWirtshaus.Dieser Verschlag hatte aber
auchseineVorteile:DieHono-ratioren waren zwar untersich, konnten aber doch mit
einem Ohr lauschen, welchaufrührerische oder ketzeri-sche Reden die Untertanenführten. Selbstredend, dasssich der Begriff „Affenstall“eher in den Reihen der Subal-ternen der Beliebtheit erfreu-te, selber bevorzugten die Ho-noratioren Begriffe wie „Sa-lettl“ oder „Haimlichkeit“!Was den Honoratioren des
Dorfes Recht war, war demLandadel billig. Das Bekennt-nis zu christlicher Brüderlich-keit führte keineswegs soweit, sich am Sonntagsgottes-dienstunterdasgemeineVolkzumischen. Da zwängte mansich lieber eine engeWendel-treppe hinauf in dieGebetsni-sche, die allein für den Hof-marksherrnundseineFamiliereserviert war. Dort war mannicht nur dem Bauernvolkund seinen Stallgerüchenfern, sondern dem eucharisti-schen Geschehen in der Apsisnahe. Mehr noch, das Heilig-geistlochüberdemHaupt ließerhoffen, einer kleinen Porti-on geistlicher Inspiration di-rekt vom Sender, also ohneUmweg priesterlicher Ver-ballhornung, teilhaftig wer-den zu dürfen. Und dass mandem neuen, vielleicht herzje-suroten Kaplan von oben herein wenig in sein Predigtma-nuskript schauen konnte,mochtejaauchnichtschaden.Ob also Affenstall oder Hei-
liggeistloch: „Social distan-cing“ erfreute sich immerschon einer gewissen Beliebt-heit, wenn es darumging, Ab-stand zu schaffen. Da sind dieheutigen Einmeterfünfzig jageradezu sozialistisch gering!
ben zwielichtige Stopselwirt-schaften, Gassenschänkenund Branntweinstuben. Auchim nur scheinbar egalitärenBiergarten oder Volksfest wares undenkbar, dass sich derKnecht mir nichts, dir nichtsan den Tisch seines Großbau-ern gesetzt hätte, ummit ihm
Das einfache Volk trank und spielte in einem Wirtshaus,das der eigenen Schicht entsprach. Hier die Karikatureiner Bierstube aus dem Jahr 1799. ULLSTEIN
Am Brenner: Heimkehrende italienische Soldaten über-queren die Grenze.
Ein Tag lang kein Hunger: Ein Tiroler mit einem Ein-Kilo-Brot, das er ergattert hat.
Verhaftet: Raketenerfinder Wernher vonBraun (Mitte) in Reutte, 3. Mai.
Bis sie in Tirol ankamen,hatten die US-Soldaten einenlangen Weg zurückgelegt.Die meisten hatten zuvor inFrankreich gekämpft, warendann langsam über Schwa-ben und Oberbayern vorge-rückt. Aber was heißt dasschon: Die jungen US-Solda-ten, diemeisten kaum 20 Jah-
kann stundenlang in demBuch blättern, sich in einzel-ne Fotos vertiefen. Und wieimmer, wenn es um histori-sche Fotos geht, gibt es mehrFragen als Antworten. Wieging es wohl mit den Hitler-jungen weiter, die sich am 5.Mai bei Starkenbach imOber-inntal an einer Scheune auf-
Sie fotografierten die
Gräuel im KZ genauso
wie Mädchen in Tracht:
Amerikanische Fotografen
begleiteten die amerikani-
sche Armee in den letzten
Wochen vor Kriegsende
bis nach Tirol. Und hinter-
ließen der Nachwelt ein-
zigartige Schnappschüsse
der Befreiung.
VON DIRK WALTER
München/Innsbruck – Er hatteim April 1945 halb tote KZ-Häftlinge aus den LagernKau-fering und Landsberg gese-hen, er hatte von den ver-brannten Leichen im dorti-gen Krankenlager gehört, sodetailliert, dass sich ihm „derMagen umdrehte“ – doch der20-jährige US-Soldat HerbertRothschild, Sohn jüdischerEinwanderer aus Polen undÖsterreich, war nicht verbit-tert. Er warmit seiner EinheitMitte Mai im Tiroler DorfMieders gelandet – ein idylli-scher Ort nach so viel Grau-samkeit. Jetzt konnte er sicherholen. „Wir sind mitten ineinem Urlaubsgebiet und esist wirklich schön hier“,schrieb er nach Hause. „Ichkann verstehen, warum dieLeute hier Ferien machen.“Urlaub im Kriegsgebiet – ei-
nen Eindruck über den Alltagder Besatzung, die eine Mi-schung oder (wiemanWiene-risch sagen würde) eine Me-lange aus Gewalt und Zer-streuung war, bietet jetzt eineindrucksvoller Bildband. Fo-tografen des sogenanntenSignal Corps der US Army be-gleiteten Divisionen, die sichvon Oberbayern aus überGarmisch-Partenkirchen undMittenwald/Scharnitz bis insTiroler Inntal kämpften. ImSignal Corps waren die Foto-grafen der US-Armee versam-melt. Sie begleiteten dieKämpfe an fast allen Kriegs-schauplätzen. Bis zumSchluss. Bis nach Tirol.Peter Pirker und Matthias
Breit, zwei österreichischeHistoriker, haben einen wah-ren Bilderschatz in amerika-nischen Archiven gefunden.Jubel, Gewalt, verwesendeLeichen, glückliche Tiroler –alles kommt drin vor. Man
Elf Stunden lang dauerten dieKämpfe, bei denen sechs US-Soldaten starben – einige zer-rissen durch Sprengfallen. Inden Tagen bis zum Kriegsen-de verzeichneten allein zweider vier beteiligten Großver-bände der US-Armee noch 57gefallene und 240 verwunde-te Soldaten. Fotos davon gibt
letzt griffen Heckenschützendie vordringenden Amerika-ner an, versprengte Einhei-ten, halbe Buben darunter inzusammengeschustertenUni-formteilen. Im Stubaital be-schossen Soldaten der TirolerWehrmachtskasernen undder Hochgebirgsschule derWaffen-SS die Amerikaner.
re alt, überlebten ein Infernoder Gewalt, und das bis zumSchluss.Der Krieg ging in Oberbay-
ern zumeist am 29. (Dachau)oder 30. April (München) zuEnde, weiter im Süden aberdauerte er indesnocheinpaarTage länger. Innsbruckwurdeerst am 3. Mai befreit. Bis zu-
es allerdings nicht – das SignalCorps unterlag gewissen Re-geln, es sollte die Verluste desKriegsgegners festhalten,allerdings nicht die der eige-nen Einheiten.Anders als in Oberbayern
gab es in Tirol kein KZ. Aller-dings das „Arbeitserziehungs-lager“ Reichenau, wo unterGestapo-Regie brutale Bedin-gungen herrschten. Bis kurzvor Schluss ermordeten dieNazis dort Widerstands-kämpfer – und auch die Ex-humierung von Leichen hiel-ten die Fotografen des SignalCorps fest.Doch es ist fast ein Wun-
der, dass die Soldaten – dieserEindruck ergibt sich zumin-dest aus den Fotos – trotz alle-dem nicht auf Rache aus wa-ren. Eher war das Gegenteilrichtig. Auf den Fotos domi-niert der lässige US-Soldier,der es sich in Tirol mal einigeWochen gut gehen lassenkonnte. Nach all den Strapa-zen machte sich bei den„Amis“ Ferienstimmungbreit. Das war auch eine Ein-stellungssache. In der ameri-kanischen Armee dominierteeben nicht der verbissene,politisierte Kämpfertyp, wiesie ihn auf der Gegenseitenur allzu oft kennengelernthatten. Die Soldaten selbstschweißte der Krieg zusam-men, es bildeten sich Freund-schaften. Statt von Kamera-den sprachen die Amerikanervon Buddies – Kumpel. VieleFotos dokumentieren dasFreizeitverhalten der Buddies:Skifahren auf demHafelekar,Tanz, Musik, Schäkern mitden Tiroler Frauen – und na-türlich auch viel Sport. DieEinheimischen staunten baldüber dieses seltsameBaseball.Doch es war eine trügeri-
sche Ruhe. Am Pazifik tobtenoch der Krieg – und viele US-Soldaten waren jung. Nur dieKapitulation Japans am 2.September verhinderte wahr-scheinlich ihre Versetzung.Dass nichtwenige später aberim Koreakrieg starben, stehtauf einem anderen Blatt.
Das BuchPeter Pirker, Matthias Breit:Schnappschüsse der Befrei-ung. Fotografien amerika-nischer Soldaten im Früh-jahr 1945, Tyrolia Verlag,304 S., 29,95 Euro.
Scharnitz, 1. Mai: Bis zum Ende gerieten die Amerikanerimmer wieder unter Beschuss.
In Landeck: US-Soldaten befragen Kinder,vermutlich auf der Heimreise.
Jubelnde Innsbrucker begrüßen am 3. Mai die einrückenden US-Einheiten. Sie waren wohl,wie ein US-Soldat auf die Rückseite der Fotografie schrieb, froh, die Deutschen los zu sein.
Es ist vorbei: Nahe Prutz/Landeck werden Gewehre eingesammelt.
stellten und ergaben? Wiemit den erschöpften Solda-ten, die sich am 4. Mai überdie verschneite Brenner-Grenze schleppten? Habendie US-Soldaten überlebt, dieam 1. Mai in Scharnitz imStraßengraben lagen, weil sievon den Bergen aus unterBeschuss gerieten?
5. Mai 1945 bei Starkenbach im Oberinntal: Hitlerjungen, die bis zum Schluss gekämpft hatten, ergeben sich der amerikanischen 44. Infanterie-Division. Das Alter der Jungen wird mit 10 bis 17 angegeben. ALLE FOTOS: AUS DEM BESPROCHENEN BUCH
Gräuel: Der Kommandant des Lagers Rei-chenau muss Leichen identifizieren.
Aufruf an unsere Leser
Die Amerikaner waren jahrzehntelang inOberbayern – in München, vor allem aberauch in den Kasernen in Oberbayern. Bisin die 1990er-Jahre prägten US-Soldatenstellenweise das Straßenbild.
Wir suchen für einen Artikel Fotos,Dokumente und Erinnerungen aus derNachkriegszeit.
Kontakt: [email protected]: Amerikaner in Oberbayernoder aber:Münchner Merkur, Bayernteil,Paul-Heyse-Str. 2-4, 80336 München
13 Münchner Merkur Nr. 152 | Wochenende, 4./5. Juli 2020BAYERN & SEINE MENSCHEN Telefon: (089) 53 [email protected]