„Unsichtbare“ Gefahr für die Leber? - roche.de · Patien ten benötigen einen Antikoagulan -...

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 40 • 5/2013 16 Medizin – Für Sie gelesen „Unsichtbare“ Gefahr für die Leber? ten. Kommerziell verfügbare Methoden zur Quantifizierung von HBV-DNA und HBsAg unterstützen die Diagnose und die Therapiesteuerung. Besitzen diese Marker auch einen klinischen Wert für die Risikostratifizierung hinsichtlich HCC? Mit dieser Fragestellung beschäf- tigte sich die seit 1991 laufende REVEAL- HBV-Studie aus Taiwan. Ihre Daten spiegeln den „natürlichen“ Krankheits- verlauf wider, da keine therapeutischen Interventionen erfolgten. Risikofaktor HBV-DNA In einem Kollektiv aus 3 653 CHB-Patien- ten – bis 2003 ohne Zugang zu thera- peutischen Maßnahmen – wurde über 13 Jahre die HCC-Inzidenz beobachtet und in verschiedenen Studiengruppen miteinander verglichen 1) . Maßgeblich für die Gruppenzuteilung war die Aus- prägung folgender HCC-Risikofaktoren: Geschlecht, Alter, Nikotin- und Alkohol- konsum, Konzentration der Transami- nasen, HBe-Antigen-Status, bestehende Leberzirrhose sowie Konzentration der HBV-DNA (gemessen mit dem COBAS T AMPLICOR HBV Test Kit von Roche aus tiefgefrorenen Proben vom Beginn und vom Ende der Studie). Das Ergebnis war ein statistisch signifi- kanter Zusammenhang zwischen HBV- DNA und HCC: O Verglichen mit Patienten ohne detektier- bare HBV-DNA (d. h. unter 300 Kopien/ ml), lag das HCC-Risiko bei HVB- DNA-Konzentrationen > 10 4 Kopien/ml etwa 3-fach und bei > 10 5 Kopien/ml etwa 10-fach höher. Bei HBV-DNA- Werten < 10 4 Kopien/ml ließ sich dage- gen kein größeres Risiko erkennen. O Hohe HBV-DNA-Titer korrelieren häufig mit anderen oben genannten Risikofaktoren. Daher wurde die Unabhängigkeit des molekularen Mar- kers hinsichtlich HCC-Risiko geprüft und auch bestätigt: Verglichen mit Patienten ohne detektierbare HBV- DNA lag das angepasste HCC-Risiko bei HVB-DNA-Konzentrationen > 10 4 Patienten mit chronischer Hepatitis B (CHB) tragen ein erhöhtes Risiko für Leberzirrhose und Leberzellkarzinom (HCC). Serumkonzentrationen der Hepa- titis B Virus-DNA (HBV-DNA) und des Hepatitis-B-Antigens (HBsAg) sind für die Diagnose und Therapiesteuerung von CHB etablierte Marker. Sind sie auch prognostisch relevant? Diese Frage beantwortete die große Kohorten- studie REVEAL*-HBV. 2006 beschrie- ben die Autoren bereits einen deutli- chen Zusammenhang zwischen erhöh- ter HBV-DNA und der HCC-Inzidenz 1) . Neuere Daten identifizierten zusätzlich HBsAg als unabhängigen Risikofaktor für die Entwicklung eines HCC 2) . Danach können HBsAg-Tests bis dato „unsicht- bare“ Gefahren identifizieren, denn auch bei niedrigen HBV-DNA-Werten besteht ein gewisses HCC-Risiko. Vor allem für Patienten mit niedriger viraler DNA im Serum ist HBsAg als komplemen- tärer Prognosemarker von klinischer Bedeutung. Weltweit sind mehr als 350 Millionen Menschen mit dem Hepatits B Virus infiziert. Langzeitfolgen wie Leberzir- rhose oder HCC betreffen schätzungs- weise 25 – 40 % der chronisch Infizier- breitung zu stoppen, andererseits, um infizierte Personen über ihren Status aufklären und ihnen eine adäquate Therapie anbieten zu können. Die anti- virale Therapie bei HCV-Infektionen verringert das Risiko von Leberzir- rhose, -karzinom, -transplantation und Tod deutlich. In einer Studie mit 16 864 HCV-Patienten war die Ausheilung der Infektion ( Sustained Virologic Res- ponse / SVR) mit einer Halbierung der Mortalität und einer deutlichen Reduk- tion des HCC-Risikos assoziiert 41) . Die diagnostischen und therapeutischen Voraussetzungen zur Bekämpfung der HCV-Infektion und ihrer Folgen stehen zur Verfügung – die offiziellen Empfeh- lungen müssen allerdings auch konse- quent und kompetent in der täglichen Praxis umgesetzt werden! verschiedene Untersuchungen beziffern die tatsächliche HCV-Testung in Risiko- kollektiven auf 17 – 87 % 33, 34) . Hohe Dunkelziffer bekämpfen Die bisherigen Screening-Strategien hat- ten weltweit keine erkennbare Wirkung auf die hohe Dunkelziffer bei HCV-Infek- tionen O In den USA wissen 45 – 85 % der Infi- zierten nichts von ihrer Infektion 35 – 38) . O In Europa kennen bis zu 90 % der HCV-Infizierten ihren Infektionssta- tus nicht 39) . O Die Rate unerkannter HCV-Infektionen liegt in der Gruppe der i.v. Drogenab- hängigen schätzungsweise bei 72 % 40) . Nationale Screening-Programme sind essenziell, einerseits um die Virusaus- Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Claus Niederau Katholische Kliniken Oberhausen gem. GmbH St. Josef-Hospital Klinik für Innere Medizin Akademisches Lehrkrankenhaus der Universi- tät Duisburg-Essen Mülheimer Straße 83 46045 Oberhausen [email protected] Literatur Die umfangreiche Literaturliste ist über die Redaktion erhältlich. corbis

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 40 • 5/201316

Medizin – Für Sie gelesen

„Unsichtbare“ Gefahr für die Leber?

ten. Kommerziell verfügbare Methoden zur Quantifizierung von HBV-DNA und HBsAg unterstützen die Diagnose und die Therapiesteuerung. Besitzen diese Marker auch einen klinischen Wert für die Risikostratifizierung hinsichtlich HCC? Mit dieser Fragestellung beschäf-tigte sich die seit 1991 laufende REVEAL-HBV-Studie aus Taiwan. Ihre Daten spiegeln den „natürlichen“ Krankheits-verlauf wider, da keine therapeutischen Interventionen erfolgten.

Risikofaktor HBV-DNAIn einem Kollektiv aus 3 653 CHB-Patien-ten – bis 2003 ohne Zugang zu thera-peutischen Maßnahmen – wurde über 13 Jahre die HCC-Inzidenz beobachtet und in verschiedenen Studiengruppen miteinander verglichen 1). Maßgeblich

für die Gruppenzuteilung war die Aus-prägung folgender HCC-Risikofaktoren: Geschlecht, Alter, Nikotin- und Alkohol-konsum, Konzentration der Transami-nasen, HBe-Antigen-Status, bestehende Leberzirrhose sowie Konzentration der HBV-DNA (gemessen mit dem COBAST AMPLICOR HBV Test Kit von Roche aus tiefgefrorenen Proben vom Beginn und vom Ende der Studie).

Das Ergebnis war ein statistisch signifi-kanter Zusammenhang zwischen HBV-DNA und HCC:OVerglichen mit Patienten ohne detektier-

bare HBV-DNA (d. h. unter 300 Kopien/ml), lag das HCC-Risiko bei HVB-DNA-Konzentrationen > 104 Kopien/ml etwa 3-fach und bei > 105 Kopien/ml etwa 10-fach höher. Bei HBV-DNA-Werten < 104 Kopien/ml ließ sich dage-gen kein größeres Risiko erkennen.

OHohe HBV-DNA-Titer korrelieren häufig mit anderen oben genannten Risikofaktoren. Daher wurde die Unabhängigkeit des molekularen Mar-kers hinsichtlich HCC-Risiko geprüft und auch bestätigt: Verglichen mit Patienten ohne detektierbare HBV-DNA lag das angepasste HCC-Risiko bei HVB-DNA-Konzentrationen > 104

Patienten mit chronischer Hepatitis B (CHB) tragen ein erhöhtes Risiko für Leberzirrhose und Leberzellkarzinom (HCC). Serumkonzentrationen der Hepa-titis B Virus-DNA (HBV-DNA) und des Hepatitis-B-Antigens (HBsAg) sind für die Diagnose und Therapiesteuerung von CHB etablierte Marker. Sind sie auch prognostisch relevant? Diese Frage beantwortete die große Kohorten- studie REVEAL*-HBV. 2006 beschrie- ben die Autoren bereits einen deutli- chen Zusammenhang zwischen erhöh- ter HBV-DNA und der HCC-Inzidenz 1). Neuere Daten identifizierten zusätzlich HBsAg als unabhängigen Risikofaktor für die Entwicklung eines HCC 2). Danach können HBsAg-Tests bis dato „unsicht-bare“ Gefahren identifizieren, denn auch bei niedrigen HBV-DNA-Werten besteht ein gewisses HCC-Risiko. Vor allem für Patienten mit niedriger viraler DNA im Serum ist HBsAg als komplemen-tärer Prognosemarker von klinischer Bedeutung.

Weltweit sind mehr als 350 Millionen Menschen mit dem Hepatits B Virus infiziert. Langzeitfolgen wie Leberzir-rhose oder HCC betreffen schätzungs-weise 25 – 40 % der chronisch Infizier-

breitung zu stoppen, andererseits, um infizierte Personen über ihren Status aufklären und ihnen eine adäquate Therapie anbieten zu können. Die anti-virale Therapie bei HCV-Infektionen verringert das Risiko von Leberzir-rhose, -karzinom, -transplantation und Tod deutlich. In einer Studie mit 16 864 HCV-Patienten war die Ausheilung der Infektion (Sustained Virologic Res-ponse / SVR) mit einer Halbierung der Mortalität und einer deutlichen Reduk-tion des HCC-Risikos assoziiert 41). Die diagnostischen und therapeutischen Voraussetzungen zur Bekämpfung der HCV-Infektion und ihrer Folgen stehen zur Verfügung – die offiziellen Empfeh-lungen müssen allerdings auch konse-quent und kompetent in der täglichen Praxis umgesetzt werden!

verschiedene Untersuchungen beziffern die tatsächliche HCV-Testung in Risiko-kollektiven auf 17 – 87 % 33, 34).

Hohe Dunkelziffer bekämpfenDie bisherigen Screening-Strategien hat-ten weltweit keine erkennbare Wirkung auf die hohe Dunkelziffer bei HCV-Infek-tionenOIn den USA wissen 45 – 85 % der Infi-

zierten nichts von ihrer Infektion 35 – 38).OIn Europa kennen bis zu 90 % der

HCV-Infizierten ihren Infektionssta-tus nicht 39).

ODie Rate unerkannter HCV-Infektionen liegt in der Gruppe der i.v. Drogenab-hängigen schätzungsweise bei 72 % 40).

Nationale Screening-Programme sind essenziell, einerseits um die Virusaus-

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Claus NiederauKatholische Kliniken Oberhausen gem. GmbHSt. Josef-HospitalKlinik für Innere MedizinAkademisches Lehrkrankenhaus der Universi-tät Duisburg-EssenMülheimer Straße 8346045 [email protected]

LiteraturDie umfangreiche Literaturliste ist über die Redaktion erhältlich.

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in < 104, 104 – 105 und > 105 Kopien/ml unterteilt (Abb.).

Die Gruppe mit HBV-DNA unter 104 Kopien/ml zeigt insgesamt, wie oben beschrieben, ein geringes HCC-Risiko. Die zusätzliche Messung von HBsAg erlaubt allerdings eine genauere Differenzie-rung dieser „low-risk“-Patienten: Gegen-über einem niedrigen HBsAg-Wert von < 100 IU/ml (Referenz) beträgt die HCC-Inzidenz bei mittleren HBsAg-Titern (100 – 999 IU/ml) das 3-Fache und bei HBsAg > 1 000 IU/ml das über 5-Fache.

Auch bei mittleren und hohen HBV-DNA-Konzentrationen erlaubt die zusätz-liche Bestimmung von HBsAg eine dif-ferenziertere Risikobetrachtung (Abb.). HBV-DNA und HBsAg sind damit zwei relevante und unabhängige Prognosefak-toren für die Entwicklung eines HCC bei Patienten mit chronischer Hepatitis B.

Die Autoren empfehlen eine quantitative Erfassung beider Marker – insbesondere dann, wenn die HBV-DNA niedrig ist.

Kopien/ml etwa 2-fach und bei > 105 Kopien/ml etwa 6-fach höher.

ODie erst kürzlich publizierte soge-nannte ERADICATE-B-Studie** hat diese Erkenntnisse verifiziert 3).

HBsAg für das „unsichtbare“ RisikoBei Patienten mit niedrigen HBV-DNA-Werten zwischen 300 und 10 000 Kopien/ml ist die Stratifizierung hinsichtlich HCC-Risiko schwierig, aber klinisch rele-vant. Denn in diesem Bereich finden sich neben den „inaktiven Trägern“ mit guter Prognose und ohne Therapieindikation auch behandlungsbedürftige Patienten mit deutlich schlechterer Prognose 1).

Die Autoren der REVEAL-HBV-Studie wählten daher einen weiteren Ansatz. Sie bestimmten aus gefrorenem Probenma-terial zusätzlich die HBsAg-Titer (Elec-sysT HBsAg II quant) 2). Zur Auswertung kamen aus dem ursprünglichen Kollek-tiv die Daten von 3 411 Patienten, die 17 Jahre lang beobachtet worden waren. Die Studienteilnehmer wurden entsprechend ihrer HBsAg-Werte in die Kategorien < 100, 100 – 999 und > 1 000 IU/ml sowie in Abhängigkeit ihrer HBV-DNA-Titer

Literatur: 1) Chen et al.: JAMA (2006); 295: 65-73 2) Chen et al.: 62nd AASLD (2011); Abstract 1095 3) Tseng et al.: Gastroenterology (2012); 141: 517-525

* REVEAL-Studie: Risk Elevation of Viral Load Eleva-tion and Associated Liver disease

** ERADICATE-B-Studie: Elucidation of Risk Factors for Disease Control or Advancement in Taiwanese Hepatitis B Carriers

Dr. Bernd Neufeld Produktmanagement Immunologie 0621 [email protected]

Abb.: Relative HCC-Inzidenz in Abhängigkeit von HBV-DNA und HBsAg (modifiziert aus 2)

5,7

2,9

1,0Rel

ativ

es H

CC

-Ris

iko

15

12

9

6

3

0HBV DNA < 104 104 – 105 > 105

HBsAg < 100 100 – 999 > 1000

6,1

4,2

1,5

13,3

11,1

5,6

dem Titel „Mit welchen Fallstricken ist beim Einsatz der neuen oralen Antiko-agulanzien zu rechnen?“ unter anderem auf folgende Missverständnisse hin:ONOAC seien wirksamer als bisherige

AntikoagulanzienOUnter NOAC blute es weniger als

unter herkömmlicher oraler Antiko-agulation

ONOAC seien ein preiswerter Ersatz für niedermolekulares Heparin (NMH) in der ambulanten Medizin

Die Antikoagulation bleibt auch mit den neuen Wirkstoffen anspruchsvoll. Um hämorrhagischen oder thromboembo-lischen „Unfällen“ vorzubeugen, gilt es, zahlreiche Aspekte zu beachten. Hierzu zählt zunächst der indikationsgerechte Einsatz der Medikamente: Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban sind für die Thrombosephrophylaxe bei Hüft- und

Kniegelenksersatz sowie bei nicht val-vulär bedingtem Vorhofflimmern zuge-lassen, Rivaroxaban darüber hinaus zur Therapie bei venöser Thrombose. Von einem „off-label“-Gebrauch ist unbedingt abzuraten und ein „no go“ ist die Verord-nung bei mechanischem Herzklappener-satz und als Überbrückungsmedikation statt der Vitamin K-Antagonisten (VKA) vor geplanten Operationen.

Für eine sichere Antikoagulation müs-sen, genau wie bei den VKA, Patient bzw. Betreuungsperson zu Therapiebeginn und danach in regelmäßigen Abständen immer wieder über die Risiken aufge-klärt werden. Und ganz praktisch gilt: Die Patien ten benötigen einen Antikoagulan-zien-Pass, der wie beim Marcumaraus-weis aus langlebigem Material gefertigt ist. In der Realität erweist sich der schein-bar einfache Einsatz der NOAC hinsicht-

„Brisante Fragen an das Gerinnungsla-bor“ lautet der Titel des jährlichen Roche Symposiums beim Kongress der Gesell-schaft für Thrombose- und Hämostase-forschung (GTH). Es ist ein Thema, das immer wieder brennend interessiert. Die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) sind wohl doch nicht so simpel in der Anwendung, wie gehofft. Bei den Kom-binationstherapien zur Hemmung der Thrombozytenfunktion und der plasmati-schen Gerinnung bedarf das höhere Blu-tungsrisiko besonderer Beachtung. Die Testung der Thrombozytenfunktion unter aggregationshemmender Therapie kann und sollte besonders nach Koronarinter-ventionen als diagnostischer und prog-nostischer Marker genutzt werden.

Fallstricke der NOACProf. Dr. Schellong aus dem Kranken-haus Dresden-Friedrichsstadt wies unter

Medizin

Antikoagulation richtig gemacht