Unternehmer in der Weimarer Republik

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Patrick Bormann / Judith Michel / Joachim Scholtyseck (Hg.) Unternehmer in der Weimarer Republik Wirtschaftsgeschichte Franz Steiner Verlag Beiträge zur Unternehmensgeschichte 35

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Patrick Bormann / Judith Michel / Joachim Scholtyseck (Hg.)

Unternehmer in der Weimarer Republik

Wirtschaftsgeschichte

Franz Steiner Verlag

Beiträge zur Unternehmensgeschichte 35

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Patrick Bormann / Judith Michel / Joachim Scholtyseck (Hg.)Unternehmer in der Weimarer Republik

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beiträge zur unternehmensgeschichte Herausgegeben von Hans Pohl und Günther Schulz

Band 35

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Patrick Bormann / Judith Michel / Joachim Scholtyseck (Hg.)

Unternehmer in der Weimarer Republik

Franz Steiner Verlag

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Hermann Groeber, Der Aufsichtsrat („Rat der Götter“) der IG-Farben AG (1926)

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INHALTSVERZEICHNIS

Patrick Bormann, Judith Michel, Joachim ScholtyseckEinführung ............................................................................................................. 7

Jörg LesczenskiAugust Thyssen (1842–1926) ............................................................................. 19

Esther ReinhartMax Oscar Arnold (1854–1938) ......................................................................... 33

Ulrich S. Soénius Louis Hagen (1855–1932) .................................................................................. 45

Detlef SiegfriedHugo Junkers (1859–1935) ................................................................................. 63

Werner PlumpeCarl Duisberg (1861–1935) ................................................................................ 77

Joachim ScholtyseckRobert Bosch (1861–1942) ................................................................................. 93

Martin L. MüllerFranz Urbig (1864–1944) ................................................................................. 107

Roman KösterHugo Eckener (1868–1954) .............................................................................. 121

Benjamin ObermüllerPaul Reusch (1868–1956) ................................................................................. 133

Per TiedtkeHugo Stinnes (1870–1924) ............................................................................... 147

Patrick Bormann August Rosterg (1870–1945) ............................................................................ 161

Ralf StremmelGustav Krupp von Bohlen und Halbach (1870–1950) ..................................... 177

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6 Inhaltsverzeichnis

Ulrike GrammbitterBruno (1872–1941) und Paul Cassirer (1871–1926) ........................................ 199

Kordula KühlemCarl Bosch (1874–1940) ................................................................................... 211

Werner AbelshauserErnst Brandi (1875–1937) ................................................................................. 227

Boris GehlenPaul Silverberg (1876–1959) ............................................................................ 245

Alfred ReckendreesAlbert Vögler (1877–1945) ............................................................................... 259

Boris BarthRobert Gerling (1878–1935) ............................................................................. 277

Dittmar Dahlmann Otto Wolff (1881–1940) .................................................................................... 291

Judith MichelGünther Quandt (1881–1954) ........................................................................... 305

Tim SchanetzkyFriedrich Flick (1883–1972) ............................................................................. 319

Lutz BudraßClaude Dornier (1884–1969) ............................................................................ 333

Andreas MeyhoffRudolf Blohm (1885–1979) .............................................................................. 343

Florian TriebelFranz Josef Popp (1886–1954) ..........................................................................359

Horst A. WesselWilhelm Zangen (1891–1971) ...........................................................................375

AnhangPersonenverzeichnis ............................................................................................389Autorinnen und Autoren des Bandes ..................................................................395

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EINLEITUNG

Patrick Bormann, Judith Michel und Joachim Scholtyseck

Die Unternehmergeschichte der Weimarer Republik liegt meist im Schatten des „Dritten Reiches“. Der Untersuchungsschwerpunkt ruht entweder auf der Zeit des Nationalsozialismus oder – wenn die Weimarer Jahre mitbehandelt werden – das Wirken wird als eine Art Vorspiel zur Hitler-Diktatur verstanden. Ist dies einmal nicht der Fall, finden die Passagen zu den Weimarer Jahren beim Leser und den Rezensenten weit weniger Aufmerksamkeit als die anschließende nationalsozialis-tische Zeit. Um die Eigenständigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung der Weima-rer Zeit und ihres Unternehmertums deutlicher hervorzuheben, soll dieser Sammel-band konzise Portraits bedeutender Unternehmer verschiedener Branchen in ihrer Weimarer Schaffensphase zusammenstellen. Die Jahre des Nationalsozialismus werden dabei nur noch als Ausblick behandelt.

Eine intensivere Beschäftigung mit dem Unternehmertum in der Weimarer Re-publik ist schon deswegen geboten, weil in der zeitgenössischen Literatur wie in der Historiographie – oftmals mit einem nostalgischen Unterton – für die Weimarer Jahre dessen Wandel beobachtet wird. Bereits für die Generation der „Wilhelminer“, der vor 1880 geborenen und im Bismarck-Reich sozialisierten Unternehmer, kons-tatiert Werner Plumpe, ihr hätten mehr Epigonen als Pioniere angehört, auch wenn sie zahlreiche unternehmerische Talente hervorgebracht habe.1 Diese fortschritt-lichen Wirtschaftsführer motivierten zeitgenössische Soziologen und Ökonomen zum Entwurf von Wirtschaftsmodellen, in denen Unternehmer die „eigentlichen treibenden Kräfte der Moderne“ waren.2 Für die Jahre der Weimarer Republik beobachteten Zeitgenossen eine Verdrängung der Eigentümer- durch Managerun-ternehmer: „Aus dem kleinen Alleinherrscher des beginnenden Hochkapitalismus ist ein Mann geworden, der nach vielen Seiten hin Verantwortung schuldig ist; der, Wotan gleich, durch Verträge Herr, nun der Verträge Knecht geworden ist.“3 In der Historiographie wurde vor allem in der Nachfolge der bahnbrechenden Arbeiten von Alfred D. Chandler4 die Verlagerung vom eigenverantwortlichen Unternehmer zum angestellten Manager als typisch gerade für die Weimarer Jahre ausgemacht.

1 Vgl. Werner Plumpe, Unternehmer und Politik im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Unveröffentlichter Vortrag vor der Historischen Gesellschaft der Deutschen Bank, Frankfurt/Main, 14. Januar 2014, S. 5.

2 Ebd., S. 8.3 Ferdinand Graf von Degenfeld-Schonburg, Die Unternehmerpersönlichkeit in der modernen

Volkswirtschaft, in: Schmollers Jahrbuch 53 (1929), S. 55–75, hier S. 58.4 Vgl. z. B. Alfred D. Chandler, Jr., The Visible Hand. The Managerial Revolution in American

Business, Cambridge/MA und London 1977; Ders., Scale and Scope. The Dynamics of Indus-trial Capitalism, London 1990.

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Für den heroischen Unternehmer5 Schumpeterscher Prägung, der durch neue Kom-binationen von Produktionsfaktoren Innovationen schuf,6 schien die Zeit abgelau-fen zu sein. In der gegenwärtigen Unternehmer- und Innovationsforschung werden statt Individuen vor allem Organisationen und Netzwerke in den Blick genommen.7 Tatsächlich zeigt sich das Bild in der Weimarer Republik vielgestaltiger, denn noch immer gab es Männer wie Hugo Junkers oder Claude Dornier, die vornehmlich in jungen Branchen wie der Flugzeugindustrie Pioniertaten vollbrachten, selbst wenn sie wie der Luftschiffpionier Hugo Eckener auf eine sich letztlich nicht durch-setzende technologische Lösung setzten. Aber auch Männer wie Friedrich Flick, Günther Quandt oder August Rosterg bauten, ohne Erfinderunternehmer zu sein, bedeutende Konzerne auf.

Was unter einem Unternehmer zu verstehen ist, ist bis heute nicht abschlie-ßend definiert, die verschiedenen Ansätze bewegen sich zwischen einem eher funktionalen Verständnis von Unternehmertum und positionalen Definitionen.8 Für diesen Sammelband wurde auf eine bindende Definition bewusst verzichtet, um ein möglichst breites Spektrum an Biographien abzudecken. Viele der Unternehmer-biographien sind dabei zugleich Geschichten ihrer Unternehmen, weil Person und Unternehmen miteinander verwachsen sind. Mitunter ist es sogar schwieriger, den Unternehmer zu beschreiben als sein Unternehmen zu porträtieren. Dies mag damit zusammenhängen, dass sich oftmals außer Geschäftsakten nur wenige private Quellen finden lassen.

Der Krieg und die staatliche Kriegswirtschaft hatten die wirtschaftlichen Rah-menbedingungen im Deutschen Reich grundlegend gewandelt. Die dirigistische Planwirtschaft nach den Plänen von Walther Rathenau und Wichard von Moellen-dorff hatte das freie Unternehmertum in enge Fesseln gesteckt, die 1918 nicht so-fort gelockert wurden. Die harten Bestimmungen des Versailler Vertrages9 führten zudem viele Unternehmen in eine schwere Krise. Unternehmer wie Franz Josef Popp oder Max Oscar Arnold mussten nun mühsam von Rüstungs- auf Friedens-produktion umstellen. Zudem resultierten die Folgen der Kriegsniederlage für zahl-reiche exportorientierte Großunternehmen, die sich vor 1914 internationalisiert hatten, im Verlust des Auslandsvermögens sowie der -niederlassungen und Filialen. Auch Handelsbeziehungen mussten mühsam erst wieder aufgebaut werden – wich-tige Aspekte, die von der Forschung in der Bundesrepublik lange Zeit nicht genü-gend beachtet worden sind. Zahlreiche Unternehmen wurden ins Mark getroffen.

Bis weit ins bürgerliche Lager hinein schien die traumatische Erfahrung der Jahre 1914 bis 1918 das Versagen des liberalen Systems und seiner Wirtschafts-

5 Vgl. Mark Casson, Der Unternehmer, Versuch einer historisch-theoretischen Deutung, in: Ge-schichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 524–544, hier S. 527.

6 Vgl. Joseph A. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 1912.7 Vgl. sich kritisch mit diesem Trend auseinandersetzend Werner Plumpe, Unternehmer – Fakten

und Fiktionen. Einleitung, in: Ders. (Hrsg.), Unternehmer – Fakten und Fiktionen. Historisch-biografische Studien, Oldenburg 2014, S. 1–26.

8 Vgl. Boris Gehlen, Paul Silverberg (1876 bis 1959). Ein Unternehmer, Bonn 2007, S. 25.9 Zusammenfassend Eberhard Kolb, Der Frieden von Versailles, München 2011; Ursula Büttner,

Weimar. Die überforderte Republik 1918–1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008, S. 120–130.

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9Einleitung

weise zu zeigen. Ähnlich wie es im Politischen eine grundsätzliche Abkehr vom Li-beralismus zu geben schien, wurden nun planwirtschaftliche Konzepte salonfähig. Auch wenn man sich darunter viel vorstellen konnte, war in jedem Fall klar, dass die Handlungsautonomie der Unternehmer eingeschränkt und die Handlungsbefugnisse des Staates massiv ausgeweitet werden sollten. Die Erzbergersche Finanzreform von 1919, mit der das Steuersystem vereinheitlicht und die Steuersätze drastisch angehoben wurden, war der unmittelbare Ausdruck dieses staatlichen Geltungsan-spruchs; die Sozialisierungsdebatte, die Einrichtung gemeinschaftlicher Strukturen mit dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat, die Sozialisierung des Kohlenbergbaus und der Kaliindustrie deuteten die weitere Richtung an. „Der Ausbau des Weimarer Sozialstaates und die deutliche Zunahme unternehmerischer Eigenaktivitäten durch den Staat, zeitgenössisch als ‚kalte Sozialisierung‘ bezeichnet, machten überdies klar, dass auch ohne eine Änderung des ökonomischen Systems sich die Rahmen-bedingungen wirtschaftlichen Handelns dramatisch veränderten.“10

In den hier behandelten Biographien spiegelt sich die Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik wider. Inflation und Weltwirtschaftskrise stellten für nahezu je-den der untersuchten Unternehmer besondere Herausforderungen dar.11 Allerdings zeigt sich, dass die meisten der Porträtierten die erste schwere Wirtschaftskrise der Weimarer Zeit gut überstanden: Der demokratische Umbruch von 1918/19 eröff-nete auch dem Unternehmertum neue Chancen.12 Einigen Unternehmern wie Ro-bert Gerling, Friedrich Flick und Günther Quandt gelang es gerade durch geschickte Spekulation und Finanzmanöver in der Inflationszeit, ihr Vermögen zu vermehren. In der Schwerindustrie wurde der schon zuvor einsetzende Konzentrationsprozess während der Inflationsjahre forciert und Männer wie Hugo Stinnes, Albert Vögler aber auch August Rosterg formierten ihre Branchen gänzlich neu. Viele Unterneh-mer folgten in den 1920er Jahren dem amerikanischen Trend zur Rationalisierung von Produktion, Organisation und Arbeitsbeziehungen – wenn auch zunächst mit eingeschränktem Erfolg.13

Für einige Unternehmer wie beispielsweise für Krupp glichen die Weimarer Jahre hingegen einer Dauerkrise, weil sich das Unternehmen mit nur halbherzigen Reformen schwer den neuen wirtschaftlichen Bedingungen anpassen konnte. Der Spielzeugfabrikant Max Oscar Arnold musste 1928 sogar sein Unternehmen liqui-dieren. Andere kamen mit dem wirtschaftlichen Umfeld zwar besser zurecht, aber

10 Plumpe, Unternehmer und Politik, S. 15 f.; zum Begriff der „kalten Sozialisierung“ Carl Böh-ret, Aktionen gegen die „Kalte Sozialisierung“, 1926–1930. Ein Beitrag zum Wirken ökonomi-scher Einflußverbände in der Weimarer Republik, Berlin 1966.

11 Vgl. Gerald D. Feldman, The Great Disorder. Politics, Economics and Society in the German Inflation, 1914–1924, New York u. a. 1997; Heike Knortz, Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik. Eine Einführung in Ökonomie und Gesellschaft der ersten Deutschen Republik, Göt-tingen 2010, bes. S. 63–66; Frederick Taylor, The Downfall of Money. Germanyʼs Hyperinfla-tion and the Destruction of the Middle Class, New York 2013.

12 Vgl. Andreas Wirsching, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, München 2008, S. 51–54.

13 Vgl. Frank-Lothar Kroll, Kultur, Bildung und Wissenschaft im 20. Jahrhundert, München 2003; Gunther Mai, Die Ökonomie der Zeit. Unternehmerische Rationalisierungsstrategien und industrielle Arbeitsbeziehungen, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 311–327.

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die Weltwirtschaftskrise bedeutete einen neuen und umso dramatischeren Rück-schlag.14 Es gelang nur wenigen Unternehmern wie Günther Quandt, August Ros-terg oder Wilhelm Zangen, basierend auf einem weitgehend stabilen Export weiter zu expandieren oder die Verluste wenigstens einzuhegen. Andere Größen wie Otto Wolff, Friedrich Flick oder Louis Hagen gerieten an den Rand ihrer beruflichen Existenz.

Die politischen Wechselfälle der Weimarer Republik stellten an die Unterneh-mer in besonderem Maße Herausforderungen, auf die sie jedoch sehr unterschied-lich reagierten. Parteipolitisches Engagement und die im Einzelfall oft auch Auf-sehen erregende Einflussnahme – beispielhaft sei auf den Beitrag über Franz Urbig verwiesen – auf die internationalen Verhandlungen über die Zukunft Deutschlands blieben zwar eine Ausnahme, es ist allerdings bemerkenswert, dass alleine aus dem Kreis der in diesem Band Vorgestellten Louis Hagen, Albert Vögler und Carl Bosch bei wichtigen Verhandlungen über die Folgen der Kriegsniederlage beteiligt waren. Andere Unternehmer engagierten sich in Interessensverbänden oder suchten mit Privatinitiativen und öffentlichen Stellungnahmen Einfluss auszuüben.

Die Hohenzollernmonarchie hatte sich in den Augen der meisten Industriellen diskreditiert. Den Unternehmern, „die in erster Linie an Schornsteine und Schla-ckehaufen, Eingangsbücher und Gewinnspannen dachten, bedeutete das Schicksal von gekrönten Häuptern wenig“, so ist diese Einstellung, das Kaiserreich wie einen schlecht geführten Betrieb dem Konkursverwalter zu überantworten, treffend be-schrieben worden.15 Nur wenige – wie beispielsweise Paul Reusch und Ernst Brandi – blieben mental der Kaiserzeit verbunden oder hielten wie Rudolf Blohm Kon-takte zu monarchistischen Bewegungen. Der Großteil der Unternehmer reagierte auf die Herausforderungen der Revolution von 1918/19 pragmatisch. Die meisten begrüßten die neue Staatsform weder sonderlich, noch lehnten sie sie explizit ab. Gemessen wurde sie in erster Linie am politischen Output, wobei als Maßstab die Eigeninteressen dienten. Die Unternehmerschaft verzichtete also, von einigen Aus-nahmen wie dem Liberalen Robert Bosch abgesehen, auf eine dezidierte Abwehr des staatlichen Vordringens in die Gefilde der Wirtschaft. Nicht der Staat an sich erschien ihnen als Gegner, lediglich die in ihren Augen zum sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Werkzeug verkommene parlamentarische Republik,16 der augenscheinlich eine „klare Autorität“ fehlte.17

14 Vgl. Florian Pressler, Die erste Weltwirtschaftskrise. Eine kleine Geschichte der großen De-pression, München 2013.

15 Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Berlin 1985, S. 30.16 Vgl. Eric Kurlander, The Price of Exclusion. Ethnicity, National Identity, and the Decline of

German Liberalism 1898–1933, New York u. a. 2006; Jürgen John, Zur politischen Rolle der Großindustrie in der Weimarer Staatskrise. Gesicherte Erkenntnisse und strittige Meinungen, in: Heinrich August Winkler (Hrsg.), Die deutsche Staatskrise 1930–1933. Handlungsspiel-räume und Alternativen, unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner, München 1992, S. 215–237.

17 Gerald D. Feldman, Politische Kultur und Wirtschaft in der Weimarer Zeit. Unternehmer auf dem Weg in die Katastrophe, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 43 (1998), S. 3–18, hier S. 7.

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11Einleitung

In den Sozialbeziehungen zwischen den Unternehmern und der Arbeiterschaft verschoben sich die Machtverhältnisse aus Sicht der Wirtschaftsführer dramatisch. Eine „Herr-im-Hause“-Haltung, wie sie in der Kaiserzeit noch an der Tagesord-nung war, konnte nicht mehr aufrechterhalten werden, stattdessen wurden sozial-partnerschaftliche Ansätze erprobt.18 Für Unternehmer wie August Rosterg oder Paul Reusch wurde der 8-Stunden-Tag zum Ausdruck einer Gewerkschaftsdiktatur, aber auch gemäßigtere Vertreter klagten über die hohen Belastungen durch die Sozialgesetzgebung der Weimarer Republik. Unternehmer wie Carl Duisberg und Robert Bosch, die sich ernsthaft auf Arbeitnehmerinteressen einließen, blieben eher die Ausnahme, mehr noch gilt dies für die Mitgliedschaft Paul Cassirers in der USPD. Viele Unternehmer, die gegenüber der Arbeiterschaft grundsätzlich aufge-schlossen waren, reagierten schockiert auf die teilweise heftig ausgefochtenen Ar-beitskämpfe.

Das Unternehmertum unterstützte hauptsächlich die bürgerlichen Parteien: in erster Linie die rechtsliberale DVP, in geringerem Maße die linksliberale DDP oder die nationalkonservative DNVP. Der hier porträtierte August Rosterg gehörte zu den wenigen bedeutenden Männern aus Unternehmens- und Wirtschaftskreisen, die schon vor 1933 Hitler unterstützten. Oftmals gab es auch keine grundsätzliche Feindschaft zur SPD und den Gewerkschaften, Unternehmer wie Paul Silverberg und Robert Bosch suchten sogar aktiv die Zusammenarbeit. Die Erfahrungen, die man mit den radikalen Kräften wie USPD und KPD in den eigenen Unternehmen 1918/19 bzw. 1923 machte, führten jedoch zu einer fast einhelligen Ablehnung der „Sozialisierungen“ und ihrer Befürworter. Die gemäßigten Kräfte wurden hingegen zumindest akzeptiert und, widerwillig oder bereitwillig, als Partner in die Verhandlungen und Überlegungen aufgenommen. Man gelangte somit zu ei-nem „modus vivendi“ und sicherte sich das Überleben „durch relativ bescheidene Konzessionen“.19

Trotz mancher Ausnahme bestätigen die Beiträge allerdings insgesamt die These Gerald Feldmans, „dass die Wirtschaft als ganze, als mächtige und einfluss-reiche Kraft innerhalb der deutschen Gesellschaft, sich im geringsten um die poli-tische Rettung der Demokratie bemüht“ hat20 – was freilich auch für andere soziale Gruppen gilt. Zugleich zeigt das Sample einmal mehr, dass die Mehrzahl der Unter-nehmer keineswegs zu den „Steigbügelhalter[n] des Faschismus“ gehörte, zu denen sie in der marxistischen Literatur oftmals gemacht worden war.21

Der Sammelband ist chronologisch gegliedert und trägt damit der Beobach-tung Rechnung, dass das Unternehmertum der Weimarer Republik von zwei unter-schiedlichen Generationen geprägt wurde. Die wirtschaftspolitisch liberal, wenn nicht sogar staatsfern eingestellten „Wilhelminer“ waren in der dynamischen Zeit

18 Vgl. Werner Milert / Rudolf Tschirbs, Die andere Demokratie. Betriebliche Interessenvertre-tung in Deutschland, 1848–2008, Essen 2012, insb. S. 107–227; Karl Christian Führer u. a. (Hrsg.), Revolution und Arbeiterbewegung in Deutschland 1918–1920, Essen 2013.

19 Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, S. 27.20 Feldman, Politische Kultur und Wirtschaft, S. 17.21 Hierzu immer noch die klassische Studie von Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg

Hitlers.

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des Kaiserreiches aufgestiegen, die nach dem Ende der „großen Depression“ eine neue wirtschaftliche Dynamik mit sich gebracht hatte. Sie prägten auch nach 1918 zunächst noch die Unternehmen, während am Ende der Republik schon eine neue Generation das Ruder übernommen hatte, für die die geistigen und wirtschafts-politischen Bedingungen der Hohenzollernmonarchie der Jahrhundertwende schon nicht mehr eindeutig prägend gewesen war. Diese neuen Männer hatten die staatli-che Kriegswirtschaft erlebt; sie waren eher dazu bereit, weitere Experimente zuzu-lassen, die mit einem größeren Staatseinfluss auf die Wirtschaft verbunden waren. Auch die jüngere Generation war ordnungsbejahend, jedoch zeigte sie sich in ih-rer politischen Haltung meist flexibler. Sie konnten sich daher auch an die neuen Spielregeln der Demokratie adaptieren – zumindest waren sie meist bereit, ihr eine Chance zu geben. Ebenso leicht fiel es ihnen allerdings später, die Demokratie auf-zugeben, als diese ihre Erwartungen enttäuscht hatte: Die politische Einflussnahme in der parlamentarischen Demokratie erwies sich als schwierig und keineswegs im-mer erfolgreich – ein zunehmendes Frustrationserlebnis für die selbstbewussten Unternehmensführer, zumal sich auch die Präsidialkabinette nicht in der Lage zeig-ten, eine im Sinne dieser Unternehmer zuverlässige Wirtschaftspolitik durchzuset-zen, notfalls über die Parteien hinweg.22

Die Angehörigen der Kriegs- und Krisengeneration trugen schließlich auch in den Jahren des Nationalsozialismus die entscheidende unternehmerische Ver-antwortung. Diese Generation ist noch nicht als solche untersucht und Verbin-dendes wie Trennendes steht nebeneinander. Doch sie waren sowohl an größere Wirtschaftseinheiten gewöhnt als auch krisenerprobt. Nicht zuletzt waren sie mit einer prägenden Mitwirkung des Staates vertraut, was die Mitwirkung in der NS-Wirtschaft erleichterte.

In dieser Hinsicht erheben die folgenden Biographien zwar keinen Anspruch auf Vollständigkeit, bieten aber durchaus einen repräsentativen Querschnitt der Un-ternehmer in Weimar. Jörg Lesczenski untersucht August Thyssen (1842–1926), ei-nen durchaus typischen Gründerunternehmer der Kohle- und Stahlbranche, der seit den 1880er Jahren den Aufbau eines großen vertikalen Konzerns verfolgte. Wäh-rend der Weimarer Jahre agierte er zunehmend als „störrischer Patriarch“. Er fühlte sich zwar der Zentrumspartei nahe, aber innenpolitisch stand er in einer rigorosen Frontstellung gegen das linke politische Spektrum. Den Parlamentariern sprach er grundsätzlich wirtschaftspolitischen Sachverstand ab: Auch diese Einstellung war unter seinen Standesgenossen weitverbreitet. Dass Thyssen sich unmittelbar nach dem Kriegsende 1918 auf mögliche Sozialisierungen einstellte, indem er den Kon-zern so neustrukturierte, dass im Falle von Verstaatlichung die Hüttenwerke vom Zugriff geschützt geblieben wären, ist zwar nicht verallgemeinerungsfähig, zeigt

22 Vgl. Werner Plumpe, Der Reichsverband der Deutschen Industrie und die Krise der Weimarer Republik, in: Andreas Wirsching (Hrsg.), Herausforderungen der parlamentarischen Demokra-tie. Die Weimarer Republik im europäischen Vergleich, München 2007, S. 129–157; daneben Wolfram Pyta, Vernunftrepublikanismus in den Spitzenverbänden der deutschen Industrie, in: Andreas Wirsching (Hrsg.), Vernunftrepublikanismus in der Weimarer Republik. Politik, Lite-ratur, Wissenschaft, Stuttgart 2008, S. 87–108; Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007, S. 127–135.

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13Einleitung

jedoch, wie intensiv die sozialpolitischen Diskussionen der Zeit alle Unternehmer betrafen. Mindestens ebenso bedeutend war der mit der Niederlage einhergehende Verlust zahlreicher Beteiligungen an ausländischen Erzfeldern. Das Gefühl, damit unverschuldet in eine schwere Unternehmenskrise gerissen zu werden, prägte nicht nur das politisch-wirtschaftliche Denken Thyssens.

Esther Reinhart beschäftigt sich mit Max Oscar Arnold (1854–1938), der zu-nächst als Spielzeugfabrikant tätig war, während des Ersten Weltkrieges jedoch ins Rüstungsgeschäft einstieg und sich danach weitgehend erfolglos mit der Produktion von elektrotechnischen Bedarfsartikeln und Möbeln beschäftigte. Seine Vita zeigt die vielfältigen Möglichkeiten des Scheiterns auf, die letztlich sogar wahrschein-licher sind, als der unternehmerische Erfolg. Arnold hatte als Abgeordneter und Präsident des Coburger Landtags sowie als Reichstagsabgeordneter für die Freisin-nige Partei im Kaiserreich sein Unternehmen vernachlässigt; in der Inflationszeit der Weimarer Republik verschlang die Umrüstung der Fabriken auf neue Produkte Unsummen und schließlich führten ein Preisrückgang in der Möbelbranche und billigere Konkurrenten und Managementfehler zur Liquidation im Jahr 1928.

Ulrich S. Soénius betrachtet den Kölner Bankier Louis Hagen (1855–1932), einen Unternehmer der dritten Generation, der zunächst für die Liberalen, dann von 1921 bis 1929 für die Zentrumspartei im Stadtrat saß und engen Kontakt zu Kon-rad Adenauer pflegte. Als Experte der Finanzbranche war er bestens vernetzt und verzeichnete Mitte der zwanziger Jahre zahlreiche Aufsichtsratsmitgliedschaften. Zudem war er in Gremien vertreten, in denen sich Wirtschaft und Politik vermisch-ten: bei den Waffenstillstandskonferenzen und Friedensverhandlungen in Berlin, Spa und Versailles, beim Wirtschaftsausschusses für das besetzte Gebiet und im Ex-pertengremium zur Gestaltung eines Konzeptes über Reparationszahlungen. Aber selbst die ausgespannten Netzwerke retteten nicht vor dem Ruin. Seinem Bankhaus Levy wurden in der Weltwirtschaftskrise die Kursverluste zum Verhängnis.

Ebenso wie Hagen brachte sich auch der von Werner Plumpe analysierte Che-mieindustrielle Carl Duisberg (1861–1935) konstruktiv in die neue Republik ein, blieb aber zugleich wirtschaftlich erfolgreich. Der Managerunternehmer akzep-tierte die Republik und war zu weitgehenden Anpassungen an die neuen Verhält-nisse bereit. So erklärt sich auch die bemerkenswerte Tatsache, dass er 1918 dem Arbeiter- und Soldatenrat beitrat. Die „Arbeitsgemeinschaft“ von Arbeit und Ka-pital wurde ihm zu einem Herzensanliegen und er nutzte seine Möglichkeiten im Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI), um für die Sozialpartnerschaft zu werben. Allerdings bewertete auch er die wirtschaftspolitischen Leistungen der Re-publik mit der Zeit immer kritischer.

Die Besonderheit der weitgehenden Akzeptanz der neuen Verhältnisse verband ihn mit dem Elektroindustriellen Robert Bosch (1861–1942), der von Joachim Scholtyseck porträtiert wird. Der aus eher einfachen Verhältnissen stammende Unternehmer war eine Ausnahmeerscheinung. Vor 1918 teilte er zwar den Fort-schrittsoptimismus mit vielen Standesgenossen und auch seine patriarchalische Betriebsführung war nicht ungewöhnlich. Aber er war nicht nur Vernunftrepublika-ner, sondern wollte als Liberaler Brücken zur Sozialdemokratie bauen. Als export-orientierter Industrieller lehnte er Schutzzölle für Agrarier vehement ab und warb

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für eine europäische Einigung, deren Kern die deutsch-französischen Beziehungen bilden sollten. Mit dem Wunsch nach Völkerverständigung korrespondierte die Ab-lehnung von Nationalsozialismus und Antisemitismus.

Martin L. Müller stellt mit Franz Urbig (1864–1944) einen Aufsteiger und „Selfmademan“ aus der Bankenwelt vor. Als Aufsichtsratsmitglied und Co-Vor-sitzender des Aufsichtsrates der Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft mit rei-cher Erfahrung war er nach 1918 als Sachverständiger an zahlreichen komplexen Verhandlungen über die finanziellen Friedensbedingungen beteiligt. Er vermisste jedoch die Stabilität und unternehmerische Freiheit des Kaiserreichs und lehnte Sozialisierungen ab.

Roman Köster widmet sich dem Luftfahrtpionier Hugo Eckener (1868–1954), der Unternehmer vornehmlich deshalb war, um den Luftschiffbau voranzutreiben – ein weitgehend unpolitischer Techniker-Unternehmer, der seine Vernetzungen mit dem Reichsverkehrsministerium in erster Linie dazu nutzte, um auch während der Weltwirtschaftskrise Staatssubventionen zu erhalten.

Benjamin Obermüller beleuchtet den Montanindustriellen Paul Reusch (1868–1956), der als unangefochtene Führungsfigur der Gutehoffnungshütte (GHH) die vertikale Integration vorantrieb. Reusch blieb lebenslang ein deutschnationaler Monarchist, der sich als Verbandslobbyist für eine wirtschaftliche Ständeordnung einsetzte, gegenüber dem Freihandel skeptisch war, aber auch die angekündigten Eingriffe des NS-Staates in die Wirtschaft ablehnte.

Hugo Stinnes (1870–1924) wird von Per Tiedtke untersucht. Der Magnat des Kohlebergbaus und der Stahlindustrie war als Unternehmensgründer Firmenpatri-arch und Spekulant in einer Person. In der Inflationszeit baute er geschickt einen international verzweigten Konzern mit mehreren Standbeinen auf und wurde zu einer Art Wortführer der deutschen Unternehmer. Die Weimarer Republik gestaltete er als Reichstagsmitglied mit, auch wenn ihm sein primär wirtschaftliches Interesse im Weg stand. Die DVP als Partei, in der die meisten Unternehmer vertreten waren, war seine politische Heimat. Gegnerschaft zur „Erfüllungspolitik“ und Unterstüt-zung des Stinnes-Legien-Abkommens als erster Pfad einer Sozialpartnerschaft gin-gen Hand in Hand. Wie viele andere exportorientierte Männer der Wirtschaft trat er für eine „Europäisierung“ ein.

Patrick Bormann widmet sich dem Kali- und Ölindustriellen August Rosterg (1870–1945), der den Wandel vom Manager- zum Eigentümerunternehmer voll-zog. Dieser plädierte zwar anfangs für Ausgleichsbemühungen mit Frankreich, glaubte bald jedoch an den Nutzen einer Wirtschaftsdiktatur und unterstützte schon früh die Nationalsozialisten. Im eigenen Unternehmen focht er Arbeitskämpfe ent-schlossen aus. In Adaption amerikanischer Vorbilder baute er sein Unternehmen nach strengen Rationalisierungsplänen um und schuf im Zuge eines umfassenden Konzentrationsprozesses den zweitgrößten Chemiekonzern Deutschlands.

Ralf Stremmel betrachtet Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (1870–1950), einen weiteren Mann der Montanindustrie. Der Jurist und zeitweilige Diplomat ge-hörte zur Gründerzeitgeneration, als er 1906 in den Aufsichtsrat von Fried. Krupp AG kam. Als angeheirateter Firmenpatriarch lehnte er den „Manager-Kapitalismus“ und große Interessengemeinschaften mit Konzernen ab. Er setzte sich im Rahmen

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der Krupp’schen Leitidee einer sozialen Verantwortung für die Mitarbeiter für die Einführung einer Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter ein. Als Vernunftrepublikaner und Verfechter einer Verständigungspolitik stand er loyal zur neuen Staatsordnung. Politisch wirkte er 1921 bis 1933 über die Wahl in den Preußischen Staatsrat. Sym-pathie hatte er für Paul von Hindenburg und Franz von Papen. Spenden gingen, wenig verwunderlich, an die DVP und DNVP. Die NSDAP und Hitler lehnte er ab, arrangierte sich schließlich jedoch mit den neuen Machthabern.

Ulrike Grammbitter widmet ihre Doppelbiographie Bruno (1872–1941) und Paul Cassirer (1871–1926). Auch diese Persönlichkeiten, die man eher der Kultur-szene zuordnet, waren Unternehmer im Kunsthandel und im Verlagswesen. Trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere verband sie das Verständnis für innovative Ausstellungsformen und ein Gespür für aufsteigende Künstler der Weimarer Zeit. Während Paul sich sozialistisch orientierte und seinen gut vernetzten Verlag ent-sprechend ausrichtete, blieb Bruno der politischen Welt fern.

Carl Bosch (1874–1940) wird von Kordula Kühlem untersucht. Der promo-vierte Chemiker stieg bei der BASF vom Prokuristen zum Direktor auf und war in der Weimarer Republik Vorstandsvorsitzender bzw. Aufsichtsratsvorsitzender der I. G. Farbenindustrie AG und der BASF, verstand sich letztlich aber stets eher als Wissenschaftler denn als „Wirtschaftsführer“. Er begrüßte die demokratische Staatsform der Weimarer Republik und stand der DDP nahe. Kontakte unterhielt er zu Carl Legien, Präsident des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, und hatte keine Schwierigkeiten beim neuen Zusammenspiel zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Er reagiert jedoch mit Bestürzung und Härte auf die Arbeits-kämpfe in den Werken der BASF in den ersten Nachkriegsjahren. Er lehnte autori-täre Regime genauso ab wie die Herrschaft der Parteien und schätzte das System der Präsidialkabinette unter Brüning. Dem Nationalsozialismus stand er skeptisch und ab 1935 ablehnend gegenüber. Die Besetzung linksrheinischer Gebiete lehnte er ab und vermittelte als Sachverständiger bei den Friedensverhandlungen. Er erkannte das Potential eines friedlichen Europas und sympathisierte mit der Paneuropa-Idee und einer freien Weltwirtschaft.

Der Managerunternehmer Ernst Brandi (1875–1937) wird von Werner Abels-hauser betrachtet. Als Mann des Bergbaus und der Stahlindustrie war er einerseits eine graue Eminenz der DVP, gehörte aber zugleich zur Minderheit der hier Porträ-tierten, die sich rückhaltlos zu den Verhältnissen der Vorkriegszeit bekannten und im Parlamentarismus eher ein Problem als eine Chance sahen. Mit seiner sozialpat-riarchalischen Einstellung korrelierte seine Sympathie für Alfred Hugenberg und die Idee einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der NS-Bewegung.

Der Braunkohlenindustrielle Paul Silverberg (1876–1959) wird von Boris Geh-len unter die Lupe genommen. Er bekannte sich ausdrücklich zur Republik und warb für die wirtschaftlich-politische Zusammenarbeit mit den Sozialdemokra-ten. Im rheinischen Bergbau gab es im hier behandelten Zeitraum keinen einzigen Lohnstreik, was sicherlich auch damit zusammenhing, dass sich die Rheinische Ak-tiengesellschaft für Braunkohle und Brikettfabrikation (RAG) als ausgesprochen krisenresistent erwies und von der zunehmenden Elektrifizierung ebenso profitierte wie von den Defiziten und Problemen, die den Steinkohlebergbau heimsuchten.

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16 Patrick Bormann, Judith Michel und Joachim Scholtyseck

Den Großteil der Zeit in seiner Weimarer Karriere investierte er außerhalb des ei-genen Unternehmens als „Berater, Sanierer, ‚Big Linker‘ und Verbandsfunktionär“, wie Gehlen in seinem Beitrag Silverbergs Tätigkeiten zusammenfasst.

Alfred Reckendrees nimmt sich des Montanindustriellen Albert Vögler (1877–1945) an. Als Prototyp eines strategisch orientierten Managers neuen Typs orga-nisierte dieser moderierend, kompromiss- und durchsetzungsfähig verschiedene Konzerne. Als Generaldirektor der Vereinigte Stahlwerke AG und als Schlüsselper-son in weiteren Gesellschaften war er unbestrittene und entscheidungsstarke Füh-rungsfigur. Politisch zunächst Reichstagsabgeordneter der DPV, rückte er immer stärker nach rechts, unterstützte zunächst seit den Krisenjahren 1929 die DNVP und förderte bald die NSDAP. Sozialeinrichtungen und Pensionskassen verstand er als wichtige Bestandteile einer Sozialpartnerschaft; als gut vernetzter politischer Unternehmer war er als Experte gefragt und u. a. Sachverständiger der deutschen Delegationen bei den Friedensverhandlungen in Spa (1920) und den schwierigen und frustrierenden Verhandlungen über den Young-Plan (1929), was seine zuneh-mende Distanzierung von Weimar zum Teil erklärt.

Der Versicherungsunternehmer Robert Gerling (1878–1935) steht im Zentrum des Beitrags von Boris Barth. Als erfolgreicher Gründer führte dieser mit innova-tiven Geschäftsmodellen ein patriarchalisches Familienunternehmen, was erklären kann, dass er den einzigen Streik in seinem Unternehmen 1920 geradezu als per-sönliche Beleidigung empfand. Politisch war er wenig interessiert. Die Inflations-zeit nutzte er resolut zur Expansion. Von den Wirtschaftskrisen der Weimarer Zeit wurde er dank der hohen Liquidität seines Unternehmens kaum berührt. Stattdessen organisierte er über seine Regionalgesellschaften ein umfangreiches Netzwerk.

Der Eisen-, Stahl- und Metallindustrielle Otto Wolff (1881–1940) wird von Dittmar Dahlmann analysiert. Als Liberaler und Frankophiler der DVP naheste-hend, stand er in Verbindung zum Kölner „Stadtadel“ um Konrad Adenauer und Robert Pferdmenges. Im Ruhrkampf gemäßigt argumentierend galt er vielen bald als „Vaterlandsverräter“ und wurde zum Ende der Weimarer Republik hin aufgrund antisemitischer Schmähungen erst recht zum aktiven Gegner der NSDAP. Im Ex-port nicht zuletzt dank der „Russengeschäfte“ mit der Sowjetunion durchaus erfolg-reich, überwand sein Unternehmen zwar die Inflationsphase, aber nicht mehr die Weltwirtschaftskrise, an deren Ende das Unternehmen überschuldet und illiquide war.

Günther Quandt (1881–1954) wird von Judith Michel vorgestellt. Der Tuch-industrielle passte sich in der Weimarer Zeit schnell in verschiedenen Branchen an, nutzte die Inflation, wurde zum Industriellen auch der Kali-, Akkumulatoren- und Rüstungsindustrie, dabei stets gerne im Verborgenen agierend. Politisch wenig interessiert, trieb er die Internationalisierung seiner Firmen voran. Letztlich nicht eindeutig zu beantworten ist die Frage, ob seine Unternehmen, die in der Weltwirt-schaftskrise teilweise in gefährliche Schräglage gerieten, sich auch ohne die nach 1933 hereinkommenden Rüstungsaufträge hätten erholen können.

Tim Schanetzky betrachtet den Montanindustriellen Friedrich Flick (1883–1972). Als gewandter Spekulant nutzte er für Fusionen und Finanzierungen ver-schachtelte Vermögensstrukturen und war damit als ehrgeiziger und risikoberei-

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17Einleitung

ter Aufsteiger erfolgreich. Die in der Montanindustrie einsetzende Krise nach der Währungsstabilisierung überwand er durch den Zusammenschluss zu Rationalisie-rungsgemeinschaften. In der Weltwirtschaftskrise nutzte er geschickt den Staat zur Rettung und spielte dabei die nationale Karte, wenn es ihm entgegenkam.

Der Flugzeugindustrielle Claude Dornier (1884–1969) wird von Lutz Budraß vorgestellt. Als Techniker und Konstrukteur war der angestellte Geschäftsführer in erster Linie an der Entwicklung interessiert. Weil der Flugzeugbau ganz wesent-lich staatlich gelenkt war, waren unternehmerische Handlungsspielräume geringer als sonst: Die Versailler Bestimmungen konnten zwar durch den Auslandsstandort in der Schweiz umgangen und der Einbruch der Staatssubventionen in der Welt-wirtschaftskrise durch Anleihen kompensiert werden, aber die Fragen des Entwick-lungsstillstands in den späten 1920er Jahren ließen sich dadurch nicht lösen.

Andreas Meyhoff porträtiert Rudolf Blohm (1885–1979), den Sohn des Mit-gründers des Schifffahrtsunternehmens Blohm & Voss. Rudolf Blohm war ein Geg-ner der Weimarer Republik und hielt Verbindung zu deutschnationalen und mo-narchistischen Kreisen; er unterstützte das Freikorps Lettow-Vorbeck und lehnte die Reparationspolitik ab; auch im Verhältnis zur Arbeiterschaft zeigte sich das Misstrauen gegenüber den gewerkschaftliche Organisationen und den Wünschen nach betrieblicher Mitsprache. Als Patriarch wollte er zwar gut entlohnen, aber Blohm radikalisierte sich angesichts der gewaltsamen Arbeitskonflikte zu Beginn der zwanziger Jahre. Wirtschaftlich war das Unternehmen durch Auslandsgeschäfte und mehrere Großaufträge bis 1933 erfolgreich.

Florian Triebel untersucht Franz Josef Popp (1886–1954), einen Managerun-ternehmer bei den Bayerischen Motorenwerken (BMW) – einem Unternehmen, das von den Versailler Bestimmungen besonders hart betroffen war und sich erst mit der Aufweichung der Bestimmungen im Jahr 1922 auf sein Kerngeschäft konzentrie-ren konnte. Popps unternehmerisches Denken und Handeln war das eines von der Produktionslogik geprägten Fabrikdirektors, der innovative wie konservative Ideen gleichermaßen verfolgte, sofern es der Stärkung „seines“ Fabrikstandorts diente. Dadurch geriet er immer wieder in Konflikt mit den anderen BMW-Standorten, was schließlich in den 1940er Jahren zu seinem Ausscheiden führte.

Horst A. Wessel betrachtet mit Wilhelm Zangen (1891–1971) einen Mann der Maschinenbauindustrie. Der Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen agierte geschickt bei Fusionen und Rationalisierungen und war als Sanierer ausgesprochen vorsich-tig. In der Weimarer Republik zeigte sich diese Haltung im Wunsch, dass der Staat sich aus der Wirtschaft heraushalten solle. In der Inflationszeit war es seiner Vor-sicht zu verdanken, dass Vermögenswerte des Unternehmens gerettet und über Aus-landsaufträge selbst die Weltwirtschaftskrise gemeistert wurde.

Am Ende danken wir besonders Frau Gabriele Quandt, der Johanna-Quandt-Stiftung sowie der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn für eine Druckkostenbeteiligung. Unser Dank gilt ebenfalls Va-lentin Wutke, Janina Klement, Inga Raspe und Nina Schnutz für ihre hilfreichen Dienste.

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AUGUST THYSSEN (1842–1926) – IM KRIEGSZUSTAND Das „alte Eisen“ August Thyssen in der neuen Republik von Weimar

Jörg Lesczenski

„Das Schicksal hat Deutschland sehr schwer getroffen[.] Für uns ist der Krieg erst v[on] 1918–1925 eingetreten. An allen Ecken und Enden sehen wir den Untergang der großen deutschen Industrie, deren Aufgang und deren Untergang ich sah“1 – rund vier Monate vor seinem Tod am 4. April 1926 brachte der hoch betagte Ruhr-industrielle August Thyssen seinen Lebensweg als Unternehmer und seine Deutung der eigenen Biographie in wenigen Worten präzise auf den Punkt.

Als erster Sohn von Friedrich und Katharina Thyssen am 17. Mai 1842 in Eschweiler geboren, erlebte er in einer katholischen wirtschaftsbürgerlichen Fami-lie – sein Vater gehörte u. a. zu den Gesellschaftern der im März 1922 gegründeten „Draht-Fabrik-Compagnie“, die Friedrich zwischen 1834 und 1859 auch als Direk-tor leitete – die Anfänge der Industrialisierung von Kindesbeinen an mit. Technisch und kaufmännisch bestens ausgebildet verließ August Thyssen seine Heimatstadt und begann mit großzügiger finanzieller Unterstützung der Eltern seine Laufbahn im aufstrebenden Ruhrgebiet, wo er seit den ausgehenden 1860er-Jahren zum „Auf-gang“ der „deutschen Industrie“ und zum Durchbruch des industriekapitalistischen Systems zweifellos ansehnliche Beiträge leistete.

Thyssen hatte wahrlich genügend Gründe, um seine berufliche Karriere zwi-schen der Reichsgründung und dem Ersten Weltkrieg als eine Lebensphase des kontinuierlichen ökonomischen und persönlichen Fortschritts zu interpretieren (sein Familienleben wurde dagegen von persönlichen Enttäuschungen, der Schei-dung von seiner Frau Hedwig und vielfältigen Konflikten mit seinem vier Kindern Fritz, August junior, Heinrich und Hedwig bestimmt).

Gemeinsam mit dem Belgier Noel Fossoul gründete er am 1. April 1867 in Duisburg zunächst das Puddel- und Bandeisenwalzwerk „Thyssen, Fossoul & Co.“, um nach vier erfolgreichen Jahren als Jungunternehmer schließlich auf eigenen Fü-ßen zu stehen. Erneut mit Hilfe seines Vaters hob er am 16. April 1871 in Styrum das erste eigene Unternehmen, das Bandeisenwalzwerk „Thyssen & Co.“, aus der Taufe, das er mit seinem guten Gespür für Märkte und Trends und mit seiner Be-reitschaft, Risiken zu tragen und sich bietende ökonomische Chancen zu nutzen, in den nächsten Jahre rasch ausbaute. Thyssens Wertekanon, der Arbeit, Leistung und das Unternehmen in das Zentrum der Lebensführung rückte, seine Begeisterung für

1 Brief August Thyssens an Margareta Thyssen-Bornemisza, o. O. [Düsseldorf-Heerdt], o. D. [31. Dezember 1925], in: Manfred Rasch (Hrsg.), August Thyssen und Heinrich Thyssen-Bor-nemisza. Briefe einer Industriellenfamilie 1919–1926, Essen 2010, S. 432.

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den technischen Fortschritt sowie ein sprichwörtliches „glücklichen Händchen“ bei der Auswahl seiner engsten Mitarbeiter kamen der Expansion von Thyssen & Co. zusätzlich zu Gute. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Vorstandsmitglied im Grubenvorstand der AG Schalker Gruben- und Hüttenverein trieb er seit den 1880er-Jahren sein wichtigstes unternehmenspolitisches Ziel immer deutlicher vo-ran: der Aufbau eines großen vertikalen Montankonzern.

1883 wurde er Mitglied im Grubenvorstand der Gewerkschaft Deutscher Kaiser (GDK) in Hamborn und erwarb gemeinsam mit seinem Bruder Joseph in den nächsten acht Jahren alle Kuxe der Gewerkschaft, die nach dem Aufbau ei-nes Stahl- und Walzwerks in Bruckhausen seit dem Winter 1891 als integriertes Hüttenwerk betrieben wurde. In den nächsten Jahren forcierte er die Expansion der GDK, die sich zum Herzstück des expandieren Thyssen-Konzern entwickelte. Auch forcierte er die Internationalisierung der Firmengruppe, die vor allem durch zahlreiche Beteiligungen an ausländischen Erzgruben und durch den Ausbau des eigenen Handels- und Transportnetz beschleunigt wurde. Vor dem Ersten Weltkrieg stand August Thyssen auf dem Höhepunkt seiner ökonomischen Macht. Seine Werke nahmen im Sommer 1914 innerhalb des Ruhrgebiets den dritten Rang bei der Erzeugung von Roheisen sowie den zweiten Rang bei der Rohstahlproduktion und beim Walzen von Stahl ein.

Von „Kriegstreiberei“ hielt sich Thyssen am Vorabend des drohenden militä-rischen Konflikts noch fern. Das Szenario eines europäischen Krieges beunruhigte ihn eher und erschien ihm als eine Bedrohung für seinen international weit ver-zweigten Konzern. Mit den ersten militärischen Erfolgen und von der nationalen Euphorie erfasst, wechselte August Thyssen buchstäblich die Fronten und stand nunmehr aus wirtschaftlichen Gründen eng an der Seite der Annexionisten. Territo-riale Gewinne sollten dazu beitragen, die Versorgung der Thyssen-Werke mit Erzen auf Dauer zu gewährleisten.

Was folgte, waren indes die große Ernüchterung und die Jahre des „Unter-gangs“ – zumindest in der Lesart August Thyssens, der bis zuletzt auf einen erfolg-reichen Kriegsverlauf gehofft hatte und nun als Unternehmer und als Privatmann vom Übergang zur Weimarer Republik sowie den stürmischen politischen und wirt-schaftlichen Wirren der Nachkriegszeit allenthalben eingeholt wurde.

AUGUST THYSSEN ALS ÖKONOMISCHER AKTEUR IN DEN KRISEN DER NACHKRIEGSZEIT

Das Kriegende und die Novemberrevolution 1918 verschoben auch im Ruhrgebiet die politischen Machtverhältnisse. Wie in anderen Städten an Rhein und Ruhr über-trugen in Hamborn Volksversammlungen die Entscheidungsgewalt dem lokalen Arbeiter- und Soldatenrat, der unter dem Einfluss radikaler syndikalistischer Kräfte stand und mit Nachdruck eine durchgreifende Sozialisierung der Montanindustrie forderte. Die Gefahr einer wirtschafts- und ordnungspolitischen Revolution beant-wortete August Thyssen mit einer Reform der Konzernstruktur. Er stellte die GDK organisatorisch neu auf und trennte die Kohlengruben von den Hüttenwerken, die

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21August Thyssen (1842–1926)

bei einer Sozialisierung des Bergbaus so vor dem Zugriff der neuen Machthaber geschützt werden sollten. Nach der Auflösung der GDK am 1. Januar 1919 wurden in der „Gewerkschaft Friedrich Thyssen“ die Zechenbetriebe fortgeführt, während in der „August Thyssen-Hütte, Gewerkschaft“ die Hütte in Bruckhausen und das Walzwerk in Dinslaken die Produktion fortsetzten. Die Neuordnung des Konzerns erwies sich durchaus als weitsichtige Entscheidung, stand doch der laustarke Ruf nach einer Verstaatlichung der Schlüsselindustrien in der zweiten Phase der No-vemberrevolution insbesondere im Ruhrgebiet auf der Agenda der revolutionären Massen- und Streikbewegung, die im Frühjahr 1919 unter dem Einsatz massiver militärischer Gewalt eingedämmt wurde.

Die Unternehmenspolitik August Thyssens blieb freilich nicht nur in der un-mittelbaren Nachkriegszeit, sondern bis in die Jahre 1924/25 hinein darauf aus-gerichtet, die Folgen des Ersten Weltkriegs zu bewältigen, die den Konzern zwar nicht in seiner Existenz bedrohten, sehr wohl aber in seiner Substanz trafen. Der Verlust von Beteiligungen an französischen, britischen, norwegischen, russischen und nordafrikanischen Erzfeldern wirkte sich ebenso störend aus wie der Verlust der Stahlwerk Thyssen AG in Hagendingen. Unter dem Eindruck der Kriegsschä-den, die seine Leistung, „die größten deutschen Unternehmen geschaffen“2 zu ha-ben, nahezu ganz vernichtet hätten, sah August Thyssen nunmehr sein Lebenswerk in Frage gestellt.

Um den Konzern wettbewerbsfähig zu halten, mussten vor allem jene Produkti-onsanlagen, die zwischen 1914 und 1918 abgenutzt worden waren, dringend erneu-ert werden. Oberste Priorität räumte Thyssen der groß angelegten Modernisierung der August Thyssen-Hütte ein, die er in die Hände seines ältesten Sohns Fritz legte. Zum Investitionsprogramm, das in Bruckhausen 1920 begann und bis ins Jahr 1925 reichte, gehörten u. a. der Bau eines siebten Hochofens und einer neuen Gießhalle.

Daneben konzentrierte sich seine Unternehmenspolitik darauf, die Versorgung des Konzerns mit Rohstoffen sicherzustellen. Ohne große Probleme ließ sich der Bedarf an Kohle decken, da den Thyssen-Werken auch nach dem Krieg genügend eigene Grubenfelder verblieben. Überdies entschloss sich Thyssen, der stets an die hohe Bedeutung des Bergbaus für die deutsche Industriewirtschaft glaubte, im Nor-den des Ruhrgebiets weitere Kohlenfelder zu erschließen. Größere Mühe musste er dagegen aufbringen, um die Erzversorgung zu garantieren. Thyssen nahm zunächst deutsche Erzgruben ins Visier und gewann über Beteiligungen an verschiedenen Unternehmen (Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein, Geisweider Eisen-werke AG etc.) Zugriff auf den begehrten Rohstoff. Ferner gewannen Erzlieferun-gen aus Skandinavien in den frühen 1920er-Jahren an Bedeutung, die 1925 47,2 Prozent der in Bruckhausen verwerteten Erze ausmachten (der Anteil deutscher Erze lag im gleichen Jahr bei 19,5 Prozent).3

Schließlich standen auch Fragen der Unternehmensfinanzierung weit oben auf der Tagesordnung, die seit der Hyperinflation 1923 und der Schwäche des inner-

2 ThyssenKrupp-Konzernarchiv (TKA) NJT/028: Brief August Thyssens an Geheimrat Franz von Schönebeck, Baden-Baden, 22. August 1919.

3 Zahlen nach: Wilhelm Treue, Die Feuer verlöschen nie. August Thyssen-Hütte 1890–1926, Düsseldorf und Wien 1966, S. 224 f.

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deutschen Kapitalmarkts seiner besonderen Aufmerksamkeit bedurften. Da die Erinnerungen an die Rolle des wilhelminischen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg im europäischen Ausland noch frisch waren und die Nachbarstaaten gleichfalls ökonomische Krisen zu bewältigen hatten, blickte Thyssen bei seiner Suche nach Geldgebern mit Erfolg in die USA. Das namhafte New Yorker Bankhaus Dillon, Read & Co. legte eine Anleihe auf, die am 1. Januar 1925 platziert wurde und dem Thyssen-Konzern 12 Mio. Dollar einbrachte, die in das Investitionsprogramm zur Modernisierung der August Thyssen-Hütte und in die Schuldentilgung flossen.

Die Versuche, den Konzern wieder in ruhiges Fahrwasser zu führen, wurden immer wieder von der „großen Politik“ überlagert und verzögert. Im Frühjahr 1920 griff der Kapp-Lüttwitz-Putsch in Berlin auf das Ruhrgebiet und seine Großunter-nehmen über, die sich erneut in chaotischen politischen Verhältnisse und einem Klima der Gewalt bewähren mussten. Am 20. März 1920 fielen auf dem Gelände der Bruckhausener Hütte Teile der Produktionsanlagen und des Verwaltungsgebäu-des den gewalttätigen Konflikten zwischen der „Roten Ruhrarmee“ und der Reichs-wehr zum Opfer. Drei Tage später wurde der Betriebsdirektor der Gewerkschaft Lohberg 1/2, Heinrich Sebold, von Rotarmisten ermordet. Am Monatsende legte ein Generalstreik, dem sich rund 330.000 Arbeiter anschlossen, die Werksanlagen des Thyssen-Konzerns nahezu still.

August Thyssen hatte sich bereits am 8. März 1920 in Sicherheit gebracht und flüchtete zunächst zu seiner Schwester Balbina nach Düsseldorf, bevor er von Oberstdorf aus die politischen Wirren im Ruhrgebiet im Auge behielt. In ei-nem Telegramm an die Berliner Regierung forderte er am 2. April 1920 die politi-schen Entscheidungsträger auf, „sofort alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die auf den Schächten noch vorhandenen Arbeitswilligen zu schützen und die Streikenden mit allen Mitteln zur Arbeit anzuhalten“. Weiter führte er aus: „Da eine Ansammlung von Brennstoffvorräten infolge der […] andauernden Streiks auf unseren Schächten völlig unmöglich war, werden die Hochöfen der Werke in Bruckhausen und Meiderich innerhalb weniger Tage zum Erliegen kommen und ein Ersaufen sämtlicher Schachtanlagen im Gefolge haben, da deren maschineller Betrieb, insbesondere die Wasserhaltungen, von der elektrischen Stromversorgung durch die beiden genannten Hochofenwerke vollständig abhängig ist.“ Die „noch Arbeitswilligen“ müssten unbedingt geschützt und „50.000 Arbeiter mit ihren Fa-milien“ vor der Arbeitslosigkeit bewahrt werden.4 Die Regierung um Reichskanzler Gustav Bauer entschloss sich schließlich zum Einsatz massiver Gewalt und be-orderte Einheiten der Reichswehr samt Freikorpsverbände in das Ruhrgebiet, die seit dem 3. April in erbitterten Kämpfen mit der Ruhrarmee die Streikbewegung unterdrückten.

Es dauerte keine drei Jahre, bis eine verhängnisvolle Gemengelage von innen- und außenpolitischen Krisen – der Putsch-Versuch Adolf Hitlers, kommunistische Aufstände, die drückende Last der Reparationszahlungen und die um sich greifende Hyperinflation – die noch junge Republik an den Rand des Abgrunds drängte. Im

4 Telegramm August Thyssens an die Reichsregierung in Berlin, 2. April 1920, abgedruckt in: ebd., S. 199.

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Ruhrgebiet waren es besonders der Zwist um die Reparationen und die Ruhrbeset-zung, die August Thyssen in Atem hielten. Nachdem die Reparationskommission unter dem Druck Frankreichs der deutschen Regierung vorwarf, ihren Reparati-onsleistungen vorsätzlich nicht nachzukommen (es ging um Rückstände bei der Lieferung von Holz und Kohle), delegierte Raymond Poincaré eine Kommission in das Ruhrgebiet, die dafür Sorge tragen sollte, dass Deutschland seine Reparati-onsleistungen einhielt. Zu ihrem Schutz, wie es offiziell hieß, wurden dem Exper-tengremium 60.000 französische und belgische Soldaten zur Seite gestellt, die am 11. Januar in das rheinisch-westfälische Industriegebiet einmarschierten. In Berlin rief der Reichstag zwei Tage später zum passiven Widerstand auf, sprich: Beamte sollten Anordnungen der Besatzungstruppen nicht befolgen. Darüber hinaus unter-blieben Reparationslieferungen nach Frankreich und Belgien.

Die Ruhrbesetzung griff schnell in die persönliche Lebenswelt August Thys-sens ein. Vom 12. Januar bis zum und 22. April 1923 waren auf Schloss Landsberg fast durchgehend französische Offiziere und Mannschaftssoldaten untergebracht, die seinen Wohnsitz erheblich in Mitleidenschaft zogen. Porzellan wurde zerstört, Sessel, Stühle und Parkettböden beschädigt (ob und wie häufig Thyssen zwischen Januar und April auf Landsberg verweilte, lässt sich kaum verlässlich rekonstru-ieren). Im Sommer traf die Ruhrbesetzung auch die Produktionsanlagen des Kon-zerns. Truppenverbände nahmen am 15. Juli die Bruckhausener Hütte in Beschlag, ruinierten die Gleisanlagen und bemächtigten sich der Brennstoffvorräte. Anfang September konfiszierten Militäreinheiten Roheisen, Halbzeuge sowie Fertigpro-dukte und schafften Kohle- und Stahlvorräte fort. Während der Besetzung wurden ferner Beleuchtungsanlagen verwüstet, etwa 200 Motoren zerstört sowie Kupfer- und Wasserleitungen abgetragen.

Persönlich mit der Selbstherrlichkeit der Besatzungstruppen und als Unterneh-mer mit den Rückschlägen bei der Modernisierung der Werksanlagen über Wochen und Monate unmittelbar konfrontiert, gab August Thyssen die Hoffnung auf stabile wirtschaftliche Verhältnisse nahezu ganz auf. Die Ruhrbesetzung habe die deutsche Industrie „auf Jahre hinaus zurückgeworfen“.5 Die rigide Reparationspolitik Frank-reichs und Belgiens betrachtete er als schlichtweg ökonomisch kontraproduktiv: „Ich muss gestehen, dass der Hass, womit Frankreich und Belgien uns verfolg[en], mir unverständlich ist. A[uf] der einen Seite tut man Alles, um Deutschland zu ver-nichten, auf der anderen Seite stellt man die unglaublichsten Forderungen für die Zukunft, die nur ein wohlhabendes Land decken und verdienen kann. Wie sollen wir die jährlichen großen Raten zahlen können, wenn die Gegner unsere Arbeiter im Streik unterstützen, unsere Lebensmittel […] verteuern, unsere Werke und un-sere Eisenbahnen u[nd] Kanäle besetzen, unsere Wohnungen und Möbel uns neh-men und dadurch das Land zur Verzweiflung bringen.“6

Zugleich sprach er sich für eine friedliche Lösung der Reparationsfrage aus, die letztlich im Interesse der gesamten europäischen Wirtschaft sein müsse: „Frank-reich, Belgien und Deutschland sind aufeinander angewiesen, wenn sie gedeihen

5 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Schloss Landsberg, 27. Mai 1923, in: Rasch, August Thyssen, S. 193.

6 Ebd.; die Ausführungen Thyssens wurden der neuen Rechtschreibung angeglichen.

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wollen […] Wie glücklich würde ganz Europa sein, wenn seine Völker mit den Ver-einigten Staaten v[on] Amerika in friedlicher Weise sich entwickeln würden und an dem großen Wohlstand, den Amerika jetzt allein erwirbt, teilnehmen könnten. Die besten Kräfte von Frankreich und Belgien sind jetzt im Rheinlande und Westfalen tätig, um zu vernichten u[nd] zu zerstören, statt im eigenen Lande Gewerbe und Industrie aufzubauen und zu entwickeln.“ Die „Führer der verschiedenen Natio-nen“ müssten „den Mut besitzen, […] ihren Völkern […] zu raten“, untereinander endlich wieder freundschaftliche Beziehungen zu knüpfen. Ansonsten laufe ganz Europa Gefahr, sein ökonomisches Gewicht in der Weltwirtschaft zu verlieren: „Ich sehe in der Feindschaft der europäischen Völker untereinander […] unseren Unter-gang. Nur Amerika, Asien, Australien u[nd] Afrika werden dabei gewinnen“.7

Nach dem Abbruch des passiven Widerstands am 26. September 1923, der Wirtschaft und Gesellschaft zusehends über Gebühr strapaziert hatte, setzten Po-litik, Wirtschaft und die Siegermächte wieder auf das gemeinsame Gespräch. Im Ruhrgebiet liefen nach Abkommen mit der „Mission Interalliée de Controle des Usines et des Mines“ (Micum) die Anlagen der Montanunternehmen wieder an. Im November und Dezember zogen sich die Militäreinheiten von der August-Thyssen-Hütte zurück, im Januar 1924 nahmen die Zechen des Thyssen-Konzerns ihren Betrieb wieder auf. Auf der internationalen Bühne führten neue Verhandlun-gen über die Reparationslast zu annehmbaren Ergebnissen. Des Dawes-Plan, im August 1924 vom Berliner Reichstag angenommen und auch von August Thyssen ausdrücklich begrüßt, verhalf der Republik von Weimar zu etwas größeren finanzi-ellen Spielräumen, indem die jährlichen Belastungen neu festgeschrieben wurden (u. a. sollte Deutschland nun in den kommenden fünf Jahren eine Milliarde Mark aufbringen und die im Londoner Zahlungsplan von 1921 festgelegten Raten von zweieinhalb Milliarden Mark erst wieder 1928/29 leisten). Mit seiner Ratifizierung trat auch die Bestimmung über den Abzug französischer Militärverbände an Rhein und Ruhr in Kraft, die bis zum 1. August 1925 die rheinisch-westfälische Indust-rieregion verließen.

Die politisch ruhigeren Zeiten, der Übergang in eine Phase der „prekären Stabilisierung“8, aber auch die Modernisierung der Produktionsstätten führten zu einer allmählichen Konsolidierung des Thyssen-Konzerns. Zwischen 1923 und 1924 erhöhte sich in Bruckhausen die Produktion von Roheisen von 426.000 auf 765.000 Tonnen. Gleichzeitig stieg der Ausstoß von Thomasstahl, der 1923 343.000 Tonnen betrug, deutlich auf 723.000 Tonnen an. 1924 verließ schließlich auch wie-der mehr Siemens-Martinstahl die Hütte (266.000 Tonnen statt 139.000 Tonnen).9 Die erfreulichen Kennziffern waren für August Thyssen auf der einen Seite Anlass, daran zu glauben, „dass die Basis, worauf unsere Werke aufgebaut sind, auch die heutige sehr schwere Belastung tragen können, weil unsere Werke eine vorzügliche Kohlenbasis, eine sehr gute Wasserlage und gute Arbeiter u[nd] Beamte sowie ganz

7 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Schloss Landsberg, 27. Mai 1923, in: ebd., S. 195.

8 Heinrich August Winkler, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokra-tie, München 1993, S. 244.

9 Produktionszahlen nach: Treue, Die Feuer verlöschen nie, S. 226 f.

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hervorragende Einrichtungen auf allen Abteilungen haben.“10 Auf der anderen Seite zehrte die zähe Rekonstruktion des Konzerns unter fortdauernd labilen politischen Verhältnisse spürbar an seinen Kräften und seinem Fortschrittsoptimismus, der ihn gerade vor dem Ersten Weltkrieg trug. Nichts bringt seine ambivalente Gemütslage, die ihn bis zum seinem Tod 1926 nicht mehr los ließ, besser zum Ausdruck, als seine Analyse des Status quo im Frühjahr 1924. Er räume zwar ein, „dass durch den Aufschwung der Verhältnisse unsere Position […] im Ganzen sich gebessert hat“. Dennoch wäre es „am besten […], wenn ich bald sterben würde, denn ich sehe mit tiefem Kummer in den Abgrund hinein, worin mein armes, unglückliches Vaterland sich befindet.“11 Häufig genug packten ihn nun Selbstzweifel und die Furcht, mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen den komplexen unternehmenspolitischen Aufgaben nicht mehr zu genügen. Er gehöre längst „zum alten Eisen“ und häufig „denkt die Welt heute anders“ als er selbst.12

„DER FEIND STEHT LINKS“. POLITISCHE GRUNDHALTUNGEN

In den politischen Grundhaltungen Thyssens spiegelt sich der Zeitgeist (nicht nur) der Ruhrindustriellen nahezu exemplarisch wider. Sein außenpolitisches Denken stand am Beginn der Weimarer Republik explizit unter dem Eindruck des Versailler Vertrags. In den nationalen Zorn über seine Bestimmungen fügte sich auch August Thyssen ein, der den Vertrag als „den härtesten […], der je geschlossen wurde“, und als gänzlich „unwürdig“ für Deutschland charakterisierte.13 Die Entscheidung der Pariser Konferenz im Januar 1921, Deutschland eine Reparationslast von 269 Mil-liarden Goldmark aufzubürden, nahm er zum Anlass, öffentlich zu den drohenden finanziellen Belastungen Stellung zu nehmen. Die Beschlüsse „bezwecken […] in erster Linie die Vernichtung [von] Deutschlands Handel und Industrie. Unmögli-ches wird diktiert, um später, wenn die Nichterfüllung der auferlegten Bedingungen festgestellt wird, wieder neue Ungeheuerlichkeiten fordern zu können. Regierung und Volk müssen wie ein Mann gegen das Diktat sich aufbäumen, mögen die Kon-sequenzen sein, welche sie wollen, wenn wir zugrunde gehen, müssen auch Frank-reich und Belgien in den Abgrund gerissen werden. Das deutsche Volk muss in sei-ner Gesamtheit die beabsichtigte Versklavung auf Jahrzehnte hinaus ablehnen.“14

10 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Mülheim/Ruhr, 13. Februar 1924, in: Rasch, August Thyssen, S. 279. Hervorhebung von August Thyssen.

11 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, o. O., o. D. [vermutlich nach dem 10. Mai 1924], in: ebd., S. 290

12 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Mülheim/Ruhr, 17. Dezember 1924, in: ebd., S. 354.

13 Briefe August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Schloss Landsberg, 10. Mai, 19. Juni, 8. Juli 1919, in: ebd., S. 89 f., S. 93 f. und S. 100–102; Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Berlin, 26. Oktober 1919, in: ebd., S. 118; Brief August Thyssens an Margareta Thyssen-Bornemisza Sen., Schloss Landsberg, 29. Juni 1919, in: ebd., S. 97 f.

14 TKA A/1763: Wirtschaftliche Nachrichten aus dem Ruhrbezirk, Nr. 8, 12. Februar 1921: Au-gust Thyssen, Die Wahnforderungen des Feindbundes.

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Die innenpolitische Orientierung August Thyssens, der sich als katholischer Großindustrieller der Zentrumspartei nahe fühlte, wurde zeitlebens durch die rigo-rose Frontstellung zum linken politischen Spektrum strukturiert. Die Erfahrungen mit den Arbeiter- und Soldatenräten in Mülheim an der Ruhr untermauerten seine parteipolitische Grundorientierung zusätzlich. In der Regierungsverantwortung wa-ren linke Parteien seiner Meinung nach rundum fehl am Platz. Er schöpfe erst wie-der Vertrauen in die Weimarer Demokratie, wenn es gelungen sei, „Sozialisten und Kommunisten aus der Deutschen Regierung [zu] verdrängen“.15 Darüber hinaus sei ihr Einfluss auch innerhalb des Thyssen-Konzerns verhängnisvoll. Sozialisten und Kommunisten betrachtete Thyssen als ständige Unruheherde, die nichts anderes im Sinn hätten, als zu Streiks aufzurufen und die Autorität der Unternehmensführung zu untergraben.

Zu seinem ausgeprägten antisozialistischem Selbstverständnis gehörte auch sein entschiedenes Veto gegen den Achtstundentag. Im Oktober 1922 interpretierte August Thyssen in einem Schreiben an Reichkanzler Wirth die „unterschiedslose Einführung des Achtstundentages für alle Arbeiter und Angestellten“ als „das Un-glücklichste, das uns die Revolution bringen konnte“. Um Deutschland „vor dem Untergang zu bewahren“, sei vielmehr eine „verlängerte Arbeitszeit“ nötig, die auch gegen breiten Widerstand der Arbeitnehmer durchgesetzt werden müsse: „Wir müssen den Kampf einmal durchfechten, und je eher es geschieht, um so mehr können wir noch retten. Es handelt sich jetzt um Sein oder Nichtsein. Die Masse des Volkes muss – notfalls gegen ihren eigenen heftigen Widerstand – vor dem vollständigen Ruin geschützt werden.“16 Unter Missachtung geltender Gesetze und Tarifvereinbarung verlängerte der Zechenverband am 30. September 1923 die Schichtzeit im Bergbau von bislang siebeneinhalb auf achteinhalb Stunden. Unter dem Eindruck heftiger Proteste gegen das „Unnaer Arbeitszeitdiktat“ ruderte der Verband zunächst zurück, um schließlich doch noch sein Ziel zu erreichen. Die Ar-beitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 bestätigte formell den Achtstunden-tag als Normalarbeitstag, erlaubte aber den Zehnstundentag – eine Entscheidung, die auch auf das Wohlwollen Thyssens stieß.

Dem Regierungssystem von Weimar misstraute August Thyssen nicht nur we-gen des latent drohenden Einflusses linker Parteien. Wie bereits im wilhelmini-schen Zeitalter sprach er den Parlamentsmitgliedern auch nach dem Kriegsende den wirtschaftlichen Sachverstand ab. Überhaupt vermisste er in den maßgeblichen politischen Institutionen dringend notwendiges ökonomisches Expertenwissen. Auf den Regierungsbänken, so seine Analyse im Sommer 1919, säßen „keine oder nur wenige Geschäftsleute“, die wirtschaftliche Kompetenz und den Willen zu „Ord-nung und Sparsamkeit“ verkörperten.17 Thyssen war davon überzeugt, dass alleine Unternehmer mit ihrem ausgeprägten Arbeitsethos, ihrem Pflichtgefühl und ihrem

15 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Mülheim/Ruhr, 13. Februar 1924, in: Rasch, August Thyssen, S. 280.

16 TKA A/564/7: Brief August Thyssens an Reichskanzler Herr Dr. Wirth, Mülheim/Ruhr, 14. Oktober 1922.

17 TKA NJT/028: Brief August Thyssens an Geheimrat Franz von Schönebeck, Baden-Baden, 22. August 1919.

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Ordnungssinn in der Lage seien, die neue Republik durch die Krisen der Nach-kriegszeit zu führen. Allerdings hätten Regierung und Parlamente rasch alles dafür getan, um die ökonomische Elite zu verprellen. Die ungenügende Würdigung ihrer rastlosen Arbeit, die Debatten über eine Sozialisierung von Unternehmen und die hohen Steuerlasten hätten maßgeblich dazu beigetragen, Unternehmer von einem aktiven politischen Leben abzuhalten.

Nach Ansicht der meisten Großindustriellen hatte sich die staatliche Hand aus der Wirtschaft weitgehend herauszuhalten. Wenn überhaupt, sollte der Staat sich drauf beschränken, „Ruhe und Ordnung“ zu garantieren und der Wirtschaft samt ihren Unternehmen eine von politischen Störungen freie Entwicklung zu ermög-lichen. So überrascht es nicht, dass August Thyssen für die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Ruhrgebiet 1919 in erster Linie die Regierung in Berlin zur Verant-wortung zog, die sich über Wochen zurückhaltend verhalten und es versäumt habe, in einer „Hochburg der spartakistischen Umtriebe“18 die Gewalt der Streikbewe-gung einzudämmen.

Die Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit von Regierungsbehörden und der staatlichen Bürokratie und der Apell aus Industriellenkreisen, Fachleute aus der Wirtschaft stärker in den politischen Prozess zu integrieren, bestimmten bereits vor 1918 das politische Denken zahlreicher Großunternehmer. Das System der Kriegs-wirtschaft brachte Staat und Wirtschaft in ein „Nahverhältnis“19 von neuer Quali-tät und sorgte dafür, dass staatliche Eingriffe in die Rohstoffbewirtschaftung, die Güterproduktion und in den Arbeitsmarkt den Unternehmensalltag nunmehr maß-geblich mitbestimmten. Je länger sich August Thyssen und seine Standesgenossen mit staatlichen Interventionen in den wirtschaftlichen Prozess arrangieren mussten, desto „schriller stimmte die Industrie das hohe Lied industrieller Selbstverwaltung frei von bürokratischer und natürlich auch parlamentarischer Einmischung und Kontrolle an“.20

DER STÖRRISCHE PATRIARCH. FAMILIENKONFLIKTE UND NACHLASSENDE GESUNDHEIT

August Thyssen erfuhr die Jahre nach dem Kriegsende nicht umsonst als einen Le-bensabschnitt fortwährender Krisen. Zu den mannigfaltigen Problemen, die er als ökonomischer Akteur zu bewältigen hatte, traten Streitigkeiten innerhalb der Fa-milie, die bereits seit den späten 1880er-Jahren den Alltag der Thyssens bestimm-ten und in den 1920er-Jahren in erster Linie Fragen der Nachfolgeregelung zum Thema hatten. Obwohl seine beiden Söhne Fritz und Heinrich seit der Jahrhun-dertwende ihre Qualitäten als Unternehmer innerhalb des Konzerns in unterschied-

18 TKA A/564/7: Brief August und Hans Thyssen, Gewerkschaft Deutscher Kaiser, an das Preu-ßische Staatsministerium, Hamborn-Bruckhausen, 29. April 1919.

19 Achim Hopbach, Unternehmer im Ersten Weltkrieg. Einstellungen und Verhalten württember-gischer Industrieller im „Großen Krieg“, Leinfelden-Echterdingen 1998, S. 109.

20 Gerald D. Feldman / Irmgard Steinisch, Industrie und Gewerkschaften 1918–1924. Die über-forderte Zentralarbeitsgemeinschaft, Stuttgart 1985, S. 21.

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lichen Funktionen durchaus bewiesen hatten (sein Sprössling August junior kam zeitlebens nicht über die Rolle des „schwarzen Schafs“ in der Familie hinaus; für seine Tochter Hedwig sah er niemals eine Laufbahn als Unternehmerin vor), hielt er seine beiden Söhne fachlich und menschlich nur bedingt geeignet, seine Nachfolge anzutreten.

Seinem ältesten Nachkommen Fritz sprach er den notwendigen einwandfreien Charakter für eine herausragende Unternehmerlaufbahn ab. Bei allen Verdiensten, die er sich etwa bei der Modernisierung der August Thyssen-Hütte erworben habe, dürfe nicht vergessen werden, dass Fritz seine Entschlüsse zu häufig launisch und unüberlegt treffe. Daneben vermisste August Thyssen bei seinem Sohn während längerer Verhandlungen die notwendige Ausdauer. Alles in allem sei Fritz in sei-nen Auffassungen zu sprunghaft und trete im Alltagsgeschäft geradezu als „Allein-Herrscher“21 auf. Heinrich Thyssen-Bornemisza, der die Rotterdamer Bank voor Handel en Scheepvart leitete und die Kreditpolitik des Großunternehmens maßgeb-lich mitgestaltete, warf er hingegen wiederholt vor, die Finanzpolitik lediglich als Bankier und nicht wie er selbst aus der Perspektive eines Industriellen zu beurteilen.

Ganz anders beurteilte namentlich Fritz das schwierige Verhältnis zwischen Vater und Söhnen. Seiner Meinung nach goss vor allem August Thyssen immer wieder Öl ins Feuer: Er werde von seinem Vater viel zu häufig „wie ein dummer Junge behandelt“, müsse ständig um eine „uneingeschränkte Vertrauenserklärung“ kämpfen und wolle seine Aufgaben endlich ohne Interventionen August Thyssens erfüllen.22 Auch wenn sich über das Verhalten beider im konkreten Geschäftsalltag nur schwer ein verlässliches Urteil treffen lässt – die Klagen Fritz Thyssens hatten offenkundig einiges für sich.

Mit fortschreitendem Alter ergriff August Thyssen die Furcht, seinen Status und seine Autorität im Konzern zu verlieren. Er übertrug zwar 1919 und 1921 seine Anteile an den tragenden Säulen des Konzerns – der August Thyssen-Hütte und der Thyssen & Co. AG – Fritz und Heinrich, ließ sich aber gleichzeitig die Vollmacht einräumen, über die Generalversammlungen auf die Unternehmenspolitik unver-ändert Einfluss zu nehmen. Die Vorstellung, seinen Lebensabend nicht als aktiver Unternehmer zu bestreiten und von der Macht zu lassen, gehörte nicht zum Selbst-verständnis August Thyssens, der vielmehr bis zu seinem Lebensende „auf seinem Posten“ 23 bleiben und „nicht von der Stelle weichen“24 wollte. Wenn er seine Auf-

21 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, o. O. [Mülheim-Ruhr], o. D. [vermut-lich zwischen dem 30. Juni und 2. Juli 1924], in: Rasch, August Thyssen, S. 306.

22 Brief Fritz Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Mülheim/Ruhr-Speldorf, 28. Juli 1919; Brief Fritz Thyssens an August Thyssen, München, 1. August 1923, in: ebd., S. 105 f. und S. 220.

23 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Schloss Landsberg, 17. Juli 1919, in: ebd., S. 105.

24 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Mülheim/Ruhr, 27. November 1923, in: ebd., S. 242.

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gaben niederlege, sei die Unternehmensgruppe „kopflos“.25 Überdies werde der Konzern ohne ihn „sehr an Ansehen“ verlieren.26

Seine Haltung als störrischer Patriarch war letztlich wenig geeignet, die famili-ären Konflikte zu entschärfen. Vor allem trug er selbst dazu bei, eines seiner wich-tigsten Lebensziele aus den Angeln zu heben. August Thyssen hätte nur zu gerne den Konzern über Generationen in Familienhand gehalten, was sich, wie er ein-gestehen musste, vor dem Hintergrund der Familienkonflikte und seinen entschie-denen Machtansprüchen allerdings kaum erreichen ließ. Nur bei einem „besseren Einverständnis“27 zwischen ihm und seinen Söhnen wäre es möglich gewesen, die Firmengruppe als Familienunternehmen fortzuführen.

Die Jahre der Weimarer Republik kamen schließlich aus persönlichen Gründen einer Krisenzeit gleich. Thyssen musste schmerzlich erfahren, dass es um seine Gesundheit immer weniger zum Besten stand. Sich einzugestehen, dass die Kräfte nachließen, fiel ihm sichtlich schwer. In den Jahren nach dem Kriegsende nahm er sich als einen „alten, verschlissenen Mann“ wahr. Mit seinen „geistigen und körper-lichen Kräften“ gehe es unerbittlich „bergab“28 Nach eigenem Bekunden erforderte es große Anstrengungen, der latenten Müdigkeit Herr zu werden, um zumindest „vier bis sechs Stunden“ konzentriert zu arbeiten.29 In den Herbst- und Wintermo-naten 1925/26 hielten schließlich der drohende Verlust des Augenlichts und die bevorstehende Operation Thyssen in Atem, der befürchtete, im schlimmsten Fall seine Sehkraft zu verlieren und sich von seinen Aufgaben als Unternehmer verab-schieden zu müssen. Ärztliche Kunst und eine bestmögliche Genesung eröffneten ihm nach dem gelungenen Eingriff im Februar 1925 die Chance, noch rund zwei weitere Monate die Geschichte des Thyssen-Konzerns mitzugestalten.

VERLUSTE, ABSCHIEDE, ZÄSUREN

Als einem Kind der Früh- und Hochindustrialisierung, das im Kaiserreich zu einem der wichtigsten Großunternehmer seiner Generation heranwuchs, das die Chancen nutzte, die das wilhelminische Zeitalter und ein zusehends globalisierte Wirtschaft boten, gingen August Thyssen mit dem Kriegsende und der neuen Republik von Weimar nahezu zwangsläufig alte Gewissheiten verloren. Er musste sich von der institutionellen Ordnung des Kaiserreichs, von einer sorgsam aufgestellten, auf die Transnationalität der Unternehmensgruppe abgestimmten Konzernorganisation, von seiner Hoffnung auf einen dauerhaften Familienfrieden und schließlich von

25 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Schloss Landsberg, 30. Juli 1923, in: ebd., S. 219.

26 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Mülheim-Ruhr, 26. Juli 1925, in: ebd., S. 397.

27 Briefe August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Mülheim/Ruhr, 26. September 1925, in: ebd., S. 412.

28 Briefe August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Mülheim/Ruhr, 16. Juli 1924, 26./28. August 1923, 18. September 1923, in: ebd., S. 312, S. 224–226 und S. 231–233.

29 Brief August Thyssens an Heinrich Thyssen-Bornemisza, Schloss Landsberg, 16. Juli 1923, in: ebd., S. 208.