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Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
2005
Die Besiedlung von Noricum und Rätien
Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
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2005 Die Besiedlung von Noricum und Rätien Johannes Freutsmiedl Freutsmiedl Johannes: Römische Strassen der Tabula Peutingeriana in
Noricum und Rätien. Büchenbach 2005. Seite 209-238.
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SPUREN DER VÖLKER -
DIE BESIEDLUNG VON NORICUM UND RAETIEN
S. 209:
Jede Region hat ihre ganz eigene Siedlungsgeschichte und nur über die
Geschichte können ihre Menschen und ihre Kultur verstanden werden. Die
ehemals römischen Provinzen Noricum und Raetien und der westliche Teil von
Pannonien werden heute zum grössten Teil von Österreich, Bayern und Baden-
Württemberg eingenommen. Auch Slowenien, Ungarn, Norditalien und die
Schweiz haben noch einigen Anteil daran.
Die Nordgrenze der beiden Provinzen bildete am Anfang die Donau, später der
Limes und die Donau und die Südgrenze die südlichen Voralpen. Die
Ostgrenze verlief anfangs an der Donau, später auf dem Wienerwald und die
Westgrenze am Oberrhein mit der Wutach bis zur Donauquelle. Die Grenze
zwischen den beiden Provinzen bildete der Inn. In der Völkerwanderung wurde
diese Einteilung gegenstandslos. Die Baiuwaren siedelten zuerst vom Lech bis
zur Enns im Osten und weiteten anschliessend langsam ihr Gebiet noch bis zur
Donau im Osten und bis zu den Südalpen aus. Der Süden von Noricum und die
Täler der Ostalpen wurden zunächst von den Südslawen, Slowenen und
Karantanen eingenommen, aber von den Baiern in den darauffolgenden
Jahrhunderten langsam bis zu den Julisehen und Karnischen Alpen im Süden
der Ostalpen überdeckt. Nur der äusserste Süden wurde dauerhaft von den
Slowenen besiedelt. Vom Lech westwärts siedelten die Alemannen in der alten
Provinz Raetien, doch in den Alpen konnten sich die romanisierten
Ureinwohner bis auf den heutigen Tag halten. Einige der alten Grenzen sind
bis heute sichtbar, so die zwischen Noricum und Raetien, die mit einer leichten
Verschiebung vom Inn zur Salzach nach Osten durch die Trennung von Bayern
und Österreich wieder auflebte. Kirchlich hat die alte römische Provinzgrenze
bis 1803, bis zur Aufhebung des weltlich-kirchlichen Fürsterzbistums Salzburg
insgesamt ca. 1800 Jahre gelebt.
Die Alemannen / Schwaben hatten sich schon im 3. Jahrhundert ihre
Siedlungsplätze von den Römern erstritten und haben sie bis heute verteidigt.
Erst nach der Auflösung des Reiches kam dann noch als letztes Element,
sozusagen als Nachzügler der Völkerwanderungszeit die baiuwarische
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Einwanderung hinzu, die zwar durch viele Funde belegbar, aber dennoch
schlecht greifbar ist und als eigenständiger Vorgang angesehen werden muss.
Im Osten und Süden von Österreich sind die im jetzigen Volkstum Österreichs
aufgegangenen Slawen und einige andere Volkssplitter wie die Hunnen,
Awaren und Ungarn zwar nicht mehr erkennbar, aber doch zu berücksichtigen.
Aus welchen Hauptvölkern ist nun der Bayer und Österreicher, nicht zu
vergessen auch der Südtiroler, lediglich regional unterschiedlich,
"zusammengesetzt"? Welche Völker und Rassen haben "den Chiemgauer, den
Tiroler, den Steirer etc." als pars pro toto für das ganze baiuwarisch besiedelte
Gebiet der alten römischen Provinzen Noricum und Raetia geprägt und ihm ihr
Gesicht gegeben?
Bemerkenswert bei den bairischen Siedlungsgebieten ist die Kontinuität der
Besiedlung über eine sehr lange Zeit. Im Gegensatz zum östlichen
"pannonischen" Österreich und vor allem zu Osteuropa hat es in der
Geschichte Altbayerns und Westösterreichs nie einen Siedlungs- oder
Bevölkerungsbruch gegeben. In der langen Geschichte ist nie ein Volk
vertrieben oder durch einen verheerenden Krieg ausgelöscht worden. Freilich,
eine Dezimierung durch Kriege und vor allem durch Seuchen musste sehr wohl
ertragen werden, immer aber ist die schon ansässige Bevölkerung geblieben
und es sind immer wieder andere Zuwanderer gekommen. Diese verstanden
sich eine gewisse Zeit noch als "anders als die schon Ansässigen", doch dann
nahmen sie die Sitten und Gebräuche der Altansässigen an und alle waren nur
noch Einheimische.
S. 210: Die Besiedlung vor der Römerzeit
Die Hallstatt- und die Latènezeit
Obwohl es um 800 v.Chr. tiefgreifende Veränderungen gab, erlebte Europa
keinen Traditionsbruch zu den Vorgängerkulturen. Die Bronzezeit neigte sich
dem Ende zu und begann der Eisenzeit, dem Zeitalter der Kelten, zu weichen.
Alle vorgeschichtlichen Völker sind im indogermanischen Volk der Kelten
(oder Gallier) aufgegangen und sind nicht mehr im einzelnen feststellbar, denn
sie haben alle alten Völker mit oder ohne offensichtliche Konflikte in ihre
Stammesverbände integriert. Die Altvölker von der Alt- über die Mittel- und
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Jungsteinzeit, von der Kupfer- und Bronzezeit sind im Volk der Bayern nicht
nachzuweisen. Einen dauerhaften Eindruck haben erst die aus dem Osten
zugewanderten Kelten hinterlassen. Viele Elemente der keltischen Kultur
wurzeln in der späten Bronzezeit, sind aber auch noch mit einigen religiösen
Elementen der Jungsteinzeit verwoben.
Die Herausbildung der Völkerschaften der Kelten - es hat nie einen
gesamtkeltischen Staat gegeben - war das Ergebnis verschiedenster religiöser,
materieller und völkischer Umwälzungen, die in den Steppen Asiens, in der
Urheimat aller Indogermanen ihren Anfang nahm und in der Folge ganz
Europa mitriss. Als Kernland, in dem die Kelten zuerst geschichtlich fassbar
wurden, betrachtet man derzeit den Ostalpenkreis (Österreich), Süd- und
Mitteldeutschland (Bayern, Baden- Württemberg und Hessen), auch noch
Böhmen und Ostfrankreich. Die erste massgebende Kultur, die wir mit den
Kelten verbinden, stellt die Hallstattkultur, benannt nach dem Fundort Hallstatt
in der Nähe von Salzburg, dar. Das Verbreitungsgebiet dieser Kultur erstreckte
sich von Ostfrankreich bis zu den Ausläufern der Ostalpen und vom Südrand
der Alpen bis Mitteldeutschland nördlich des Mains, vereinzelt auch von
Nordspanien bis nach England, vermutlich in einer langsamen
Wanderbewegung. Die Kenntnis der Eisenverarbeitung war von
entscheidender Bedeutung für ihre Ausbreitung in Europa. Sie führte zu einem
mächtigen Aufblühen von Bergbau, Handwerk, Ackerbau und Handel. Die
Kelten besiedelten das Land flächendeckend und erschlossen es mit Wegen
und Strassen. Ihre Landwirtschaft und ihre Handwerkskunst war hoch
entwickelt und wird wegen der grossen Phantasie und der vieldeutigen
Ornamentik sehr bewundert. Und mit dem neuen harten Metall einhergehend,
wuchs die Macht und der Reichtum der keltischen Fürsten und deren Bedürfnis
zu Machtdemonstrationen und Kriegen.
Das von Kelten besiedelte Gebiet der Hallstattzeit war noch nicht übermässig
gross, doch das änderte sich ab 400 v. Chr., in der Latènezeit, als die lose
verbundenen Volksgemeinschaften der Kelten sich stärker unter einem
Oberhaupt zusammenschlossen und ihre Wander- und Kriegszüge begannen
und ganz Europa das Fürchten lehrten. Ganz Süd- und Mitteldeutschland,
Böhmen und der Balkan, Frankreich, Norditalien (Poebene), Grossbritannien
und Spanien wurde von den Kelten besiedelt und als letztes um das
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Jahr 100 v. Chr. auch noch Irland. Etrurien, Rom, der Balkan wurden
buchstäblich überrannt. Sogar nach Griechenland, ja bis in die jetzige Türkei
(Galater) wanderten keltische Stämme und gründeten viele noch heute
bekannte Städte und kleine Reiche. Beim Zug der Kelten nach Italien, in die
Poebene im Jahre 387 v. Chr. war unter anderen Stämmen auch der keltische
Stamm der Boier beteiligt, dessen Name wieder unter den von Cäsar in der
jetzigen Schweiz besiegten Völkern auftaucht und wieder nach vielen
Jahrhunderten zum Namen Böhmens und der Baiuwaren beigetragen hat. Die
ursprünglichen Siedlungsgebiete der Kelten wurden durch diese riesigen
Wanderbewegungen zwar nicht entvölkert, doch stark ausgedünnt.
Das Aussehen der Kelten unterschied sich kaum von den heutigen Bayern und
Österreichern, mit Ausnahme ihrer Grösse. Die bevorzugte Haartracht der
Frauen war die uns gut bekannte "Gretlfrisur" und die Männer liebten grosse
nach oben gedrehte Schnauzbärte. Zahlreiche Grabdenkmäler aus der
römischen Zeit zeigen noch die typisch keltischen Gesichter, Frisuren und auch
Namen.
Sie verehrten weibliche und männliche Götter, mit Vorliebe an besonders
geheimnisvollen und exponierten Stellen wie in Berghöhlen, an Quellen und an
Moorlöchern, auf Berggipfeln und Bergvorsprüngen, auf oder an grossen
Steinen
S. 211: (Findlingen) und auf Waldlichtungen usw. Sie schufen jedoch keine
Skulpturen von ihnen, da ihre Naturreligion sie nicht benötigte. Eine grössere
Anzahl von Götternamen, meistens erst aus der römischen Epoche und häufig
erweitert um eine römische Götterbezeichnung sind wieder rekonstruiert
worden. In Ortsnamen klingen manchmal noch die Namen der keltischen
Götter an. Alle unsere Flüsse tragen keltische Namen, häufig von keltischen
Göttern. Allerdings ist die keltische Sprache im deutschen Raum ganz
untergegangen und kann dementsprechend nicht sicher erfasst werden. Einen
Anhalt bilden nur die rudimentär in der Bretagne und in Irland, Wales und
Schottland weiterlebenden Keltensprachen.
Wenige Keltenstädte konnten in Bayern ergraben werden. Die bisher grösste
"bayrische" uns bekannte Keltenstadt lag bei Manching / Ingolstadt und ist
eigenartigerweise mit ihrem Namen nicht bekannt. Vielleicht klang ihr Name
ähnlich wie "Vetonianis", da die Strassenstation auf der Peutingertafel in ihrer
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nächsten Nähe diesen Namen erhielt oder er war mit "Adler" gebildet, weil
eine grosse Anzahl von Münzen mit dem Adler gefunden wurde. Alle anderen
grösseren Keltenstädte lagen weiter im Norden und im Westen, am Main in
Franken, in Hessen, in Baden-Württemberg, in der Schweiz und in Ost-
Frankreich. Im keltischen Noricum sind keine so ausgeprägten Oppida bekannt
wie in Westeuropa, doch gab es sicher grössere stadtähnliche befestigte
Siedlungen und dazu noch zahlreiche dörfliche Zentren mit
Handwerksbetrieben und Kaufmöglichkeiten. Durch Ausgrabungen sind die
keltischen Dörfer von Stöffling bei Seebruck am Anfang der Alz und bei
Marktl an der Einmündung der Alz in den Inn nachgewiesen, auch war mit
grosser Wahrscheinlichkeit in Baumburg an der mittleren Alz ein Bade-
Heiligtum der Kelten, das durch einen Weihestein bekannt geworden ist.
Häufig finden sich etwas abseits der keltischen Dörfer sogenannte
Viereckschanzen, ungefähr mit den Massen 70 bis 90 m im Quadrat, deren
Verwendungszweck ursprünglich als militärische, dann als kultische
Einrichtungen, neuerdings aber als rein wirtschaftliche Gutshöfe angesehen
werden. Vermutlich ist, zeitlich verschoben, alles richtig. Im süddeutschen
Voralpenland sind viele Viereckschanzen, in Österreich jedoch keine bekannt
und halten von den Alpen einen Abstand von ca. 20 km.
Viele Traditionen und Gebräuche, Eigenarten und Besonderheiten der
Menschen unserer Heimat sind aus der Keltenzeit noch heute unterschwellig
vorhanden und lässt im bayrisch österreichischen noch vielfach den
ursprünglich keltischen Menschen erkennen. Der Kelte kann als
eigenbrötlerisch, unabhängig und wenig obrigkeitshörig, offen und hinterhältig
zugleich, kunstsinnig und phantasievoll, lebhaft und begeisterungsfähig bis
zum Überschwang, musik- und farbenfreudig geschildert werden und lässt sich
vielfach von seinen Gefühlen leiten. Dadurch erscheint er manchmal
zwiespältig, widersprüchlich und oft irrational in seinen Entscheidungen, die er
nach Zeugnis römischer Schriftsteller bis zur "Raserei" und Selbstvernichtung
durchziehen kann. Er hält an Traditionen fest und ist konservativ, aber ohne
Fremdenfeindlichkeit, solange ihm nichts aufgezwungen wird. Das Individuum
hat generell einen höheren Stellenwert als die Gemeinschaft. In dieser kurzen,
zwangsläufig etwas abstrakten Beschreibung des Kelten, ist deutlich der Bayer
und Österreicher erkennbar. Er ist wie der alte Kelte erpicht darauf, die
Traditionen zu bewahren und niemals "seine Wurzeln" abzuschneiden. Den
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besten Anschauungsunterricht gibt in dieser Weise der Volksdichter Ludwig
Thoma mit seinen grösstenteils - durch eigene Dickköpfigkeit - tragischen
Bauernfiguren.
Das keltische Königreich Noricum Vor der Ankunft der Römer war der
Chiemgau und Rupertiwinkel ein Teil des keltischen Königreichs Noricum,
das von der Donau bei Wien, später vom Wienerwald bis zum Inn reichte.
Westlich des Inns lag Raetia mit den ebenfalls keltischen Vindelikern im
Alpenvorland und den nicht-keltischen Raetern in den Alpen, das nicht geeint
und in viele Stämme aufgespaltet war. Im Osten schloss Pannonien, von Rom
ca. 35 v. Chr. erobert, an Noricum an. Wien gehörte anfangs zu Noricum,
später zu dieser begehrten Provinz Pannonien, in der viele verschiedene,
keltische (auch boiische), illyrische und auch germanische Völker siedelten.
Noricum war eine Art Bundesstaat aus einer Vielzahl von ziemlich
gleichberechtigten keltischen Stämmen und in erster Linie, wie das keltische
Raetien in den Alpen, eine Kultgemeinschaft. Die oberste Volksklammer
Noricums war also offensichtlich nicht der König von Noricum,
S. 212: ein "pars inter pares", sondern die Muttergottheit Noreia. Die Verehrung einer
Muttergottheit war wohl aus dem benachbarten "emanzipierten" Etrurien
importiert worden oder hatte sich noch aus vorkeltischer Zeit erhalten. Im
Gegensatz zu den Griechen und Römern waren nämlich die etruskischen
Götter und Göttinnen und damit auch die Menschen gleichberechtigt. Die
keltische Gesellschaftsordnung war wie alle anderen indogermanischen
Gesellschaften auch patriarchalisch geordnet, doch anscheinend war die in
Noricum verehrte Muttergottheit Noreia wie in Etrurien eher höher gestellt als
die männlichen Götter. Jedenfalls sprechen die vier grossen Sitzstatuen der
Göttin von St. Donat, Wieting, Wutschein und Flavia Solva dafür. Sie ist auf
einem Stuhl sitzend, mit einem Kind in den Armen (ursprünglich), sehr
hoheitsvoll dargestellt und sieht der etruskischen grossen Muttergöttin, der
"Mater Matuta" überraschend ähnlich. Matuta wurde mit der Mutter Erde
gleichgesetzt, von den Römern jedoch als Göttin des Morgens und der
Morgenröte übernommen. (Davon abgeleitet ist die "Matutin", das
Morgengebet der Mönche und unser Wort "Mette"). Vermutlich wurde Matuta
in dem Heiligtum Matucaium (eventuell auf Hochosterwitz) in der Nähe von
Virunum verehrt, obwohl normalerweise die norische Muttergottheit "Jsis
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Noreia" genannt wird. Der Beiname "Jsis" hat meines Erachtens nichts mit der
ägyptischen Göttin Isis zu tun, sondern das verdoppelte keltische Wort "is =
heilig" sollte so viel wie "heiligste" bedeuten: "Jsis Noreia = Heiligste Noreia".
Aus den schriftlichen Überlieferungen der Römer ist zu entnehmen, dass der
Ostalpenraum schon seit ca. 150 v. Chr. lebhaften Handel mit den Römern
trieb, doch wurde trotz der intensiven Handelsbeziehungen anscheinend erst
ca. 50 v. Chr. unter Caesar ein König über die Stammesfürsten gesetzt. Nur ein
einziger Königsname ist bekannt, Voccio, der vermutlich auch der Erbauer von
Virunum 1 auf dem Magdalensberg war. Womöglich war er der einzige König
der Noriker in ihrer Geschichte. Seine Schwester war mit dem
Germanenfürsten Ariovist verheiratet, die vorsichtshalber auch zum Norden
gute Beziehungen herstellen sollte.
Das Königreich Noricum wurde im Jahre 15 v. Chr. ohne Krieg und
Zerstörung und unter Beibehaltung vieler Rechte eine römische Provinz. Erst
unter den Kaisern Tiberius bis Claudius wurde mit der Gründung zahlreicher
Strassen und Städte, auch von Viruno 2, ihre Verwaltung aufgebaut.
Die Hauptstädte Noricums: Noreia, Viruno 1 und 2
Das erste Verwaltungszentrum von Noricum hiess wie ihre Hauptgöttin
"Noreia". Es war keine Stadt in unserem Sinn, sondern bestenfalls ein
keltisches Oppidum, eine Befestigungsanlage mit städtischen Einrichtungen,
vermutlich aber mehr die Bezeichnung des Siedlungsraumes, des Zentrums der
norischen Eisenindustrie in Kärnten. Die mögliche Lage von Noreia nimmt
Franz Ertl in "Topographia Norici II" auf dem Bergsporn in Semlach im
Bereich von Hüttenberg, nahe bei St. Veit an. Die grossen Erdwälle in der
ausgesprochen günstigen geographischen Lage zwischen den Tälern und die
Situation inmitten der Eisengruben zwischen Görtschitztal und Löllinger
Graben lassen diese Annahme als sehr wahrscheinlich zu.
Sehr früh schon, 113 v. Chr., wurde Noreia erstmals durch die "Schlacht von
Noreia" bekannt. Die Römer kämpften damals als Verbündete der Noriker
gegen die eingedrungenen germanischen Stämme der Kimbern und Teutonen
von der Nordseeküste - und unterlagen überraschenderweise. Es war die erste
bekannte Auseinandersetzung zwischen dem südlichen und dem nördlichen
Kulturkreis Europas. Die Schlacht selbst fand, wie von Strabo beschrieben,
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"im Umkreis von Noreia", dem damals einzigen geographischen Anhaltspunkt
in Noricum statt. Selbstverständlich konnte eine kriegerische
Auseinandersetzung nicht im engen Görtschitztal selbst oder auf dem Berg
stattfinden. Der geographischen Situation in der Schilderung der Schlacht bei
Appian ca. 180 n. Chr. und den Bedürfnissen einer grossen Anzahl
wandernden Volkes angepasst bietet sich als Schauplatz dieser grösseren
Schlacht nur die Gegend zwischen St. Veit a. d. Glan und Treibach-Althofen
an, also das grosse, ebene, fruchtbare, nicht versumpfte Krappfeld, in
unmittelbarer Nähe zu Noreia. Wie lange hat aber Noreia als frühes
Wirtschafts- und Verwaltungszentrum existiert? Laut Caesar haben die Boier
im Jahre 58 v. Chr. Noreia vergeblich belagert, es war also um diese Zeit noch
sehr stark und jedenfalls verteidigungsfähig, was die Lage in Sernlach
bekräftigt.
S. 213: Dieses frühe Siedlungszentrum von Bergknappen und ihren Anführern wurde
vermutlich bald nach 58 v. Chr. als Verwaltungszentrum aufgegeben, blieb
aber als Knappensiedlung noch ca. 100 Jahre erhalten. Auf der Peutingertafel,
die zwischen 15 v. Chr. und 30 n. Chr. gezeichnet worden ist, existiert es noch,
ist sogar 2 mal hintereinander aufgeführt, womit die Region Noreia von
Semlach / Noreia I bis St. Marein / Noreia II bei Neumarkt sehr gut fassbar ist.
Plinius der Ältere, der 79 n. Chr. beim Ausbruch des Vesuvs ums Leben kam,
schrieb, dass Noreia schon untergegangen sei. Es muss also zwischen ca. 30
und ca. 79 n. Chr. aufgegeben worden sein. Die Nachfolgestadt, die neue
"Regierungsmetropole" Noricums von König Voccio war dann ab
ca. 50 v. Chr. die grösstenteils römisch geprägte, also vermutlich von
römischen Architekten geplante Stadt Viruno 1 auf dem Magdalensberg, die
dann wiederum ca. 50 n. Chr. zu Gunsten der neuen, vollständig römischen
Nachfolgestadt Viruno 2 bei Maria Saal im Glantal verlassen wurde. Viruno 2
war dann die Hauptstadt der Provinz Noricum und besass alle zivilisatorischen
Errungenschaften der Römer, sogar ein grosses Amphitheater. Nach der
Zerstörung durch die slawischen Karantanen wurde die Stadt, wie Aquileia und
Carnunto, verlassen und nicht mehr aufgebaut.
Die Namen Noreia - Noricum - Taurisker
Die Neutrumform von Noricum ist für den Namen eines Landes recht
ungewöhnlich. Normalerweise ist die weibliche Form angebracht wie in Italia,
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Raetia, Germania, Moesia, Pannonia usw. So ist Noricum ähnlich wie die
Regionsbezeichnung "Baltikum" eher die grobe, nicht fest umrissene
Bezeichnung oder Beschreibung eines Gebietes mit mehreren Stämmen oder
Völkern und mit einem nur sehr losen Zusammengehörigkeitsgefühl, ein
Oberbegriff also für mehrere Völker in einer gemeinsamen Region oder aber
mit gleicher Tätigkeit.
Die Namen Noricum und Noreia sollten über das antike Wort "Nor" zu
erschliessen sein, das allerdings nicht direkt übersetzt werden kann, da es
weder keltisch noch germanisch ist, vielleicht aber etruskisch oder karthagisch.
Die Etrusker waren zwischen ca. 700 und 200 v. Chr. die fortschrittlichste
Industrienation in Europa und die führenden Vertreter der Eisengewinnung und
-verhüttung. In der etruskischen Stadt Populonia war das Zentrum der
Erzverarbeitung, wie noch immer riesige Schlackehalden zeigen. Punier aus
Sardinien waren als Eisenfachleute dort hingekommen. Die Toscana, der
grösste Teil der Poebene und der Adriaküste oberhalb von Ravenna (Stadt
Spina) war höchstentwickeltes etruskisches Gebiet, das sicher in das nahe
Keltenland der Alpenregion, nach Noricum / Kärnten ausstrahlte. Die Herkunft
der Etrusker mit ihrer nicht-indogermanischen Sprache ist nicht endgültig
geklärt, doch wird sie von allen alten und modernen Schriftstellern in Lydien /
Kleinasien, der heutigen südlichen Türkei angenommen. Die Inseln Elba und
Sardinien mit ihren reichen Bodenschätzen lagen unmittelbar im
Einflussbereich der Etrusker. Im übrigen waren im 4. und 3. Jahrhundert v.
Chr. die keltischen Boier zwischen Parma und Felsina die nächsten Nachbarn
der Etrusker. Bononia / Bologna ist eine Gründung der Boier.
In Sardinien gibt es die rätselhaften Bauten "Nuragen" (oder Nouraghen), was
überraschend an "Nor" anklingt, deren Funktion noch nicht befriedigend
geklärt werden konnte, jedoch entfernt einem Schmelzofen nicht unähnlich
sehen. Angeblich hat die alte Hauptstadt Sardiniens Nora geheissen, ebenso
wie eine Bergstadt in Lydien in Kleinasien. Hekataios von Milet schrieb im 5.
Jahrhundert v. Chr. von einer Stadt "Nyrax" in den Alpen. Die Etrusker
verehrten eine Göttin mit dem Namen Nortia, die von antiken Autoren als eine
der lateinischen Göttin Fortuna ähnliche Schicksalsgöttin gedeutet wird und
eine berühmte etruskische Felsnekropole hiess "Norchia". Alle diese Namen
sind eventuell von dem Wort "Nor" abgeleitet, wobei eine phonetische
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Wandlung von Nortia oder Norchia zu Noreia, von Nyrax zu Noricum nicht
ungewöhnlich wäre, da der genaue Klang des Etruskischen nicht mehr
rekonstruierbar ist.
Der keltische Stamm in Kärnten, der nach Aussage der römischen Zeugnisse
mit der Eisenverhüttung beschäftigt war, hiess Taurisker, ein Wort, das mit
"die Leute vom Taurus (= Stier)" oder einfach als "die Taurischen" übersetzt
werden könnte und von dem die vielen Tauernnamen, auch die Gebirgsstöcke
der Hohen und Niederen Tauern ihren Namen erhielten. Das ursprüngliche
Taurusgebirge liegt jedoch bekanntlich in der jetzigen südwestlichen Türkei,
wo vermutlich die Urheimat der Etrusker
S. 214: (Lydier) lag und wo sehr frühe Eisen-Verarbeitungsstätten (ca. 1000 v. Chr.)
bekannt sind. Auch die benachbarten Phönizier / Punier / Karthager waren
berühmte Eisenschmelzer und Schmiede. Vielleicht waren die Taurisker, die
Leute vom Taurus oder "die Taurischen", eine Gruppe von etruskischen
"Eisen-Entwicklungshelfern", die entweder direkt aus dem Nahen Osten oder
wahrscheinlicher von Etrurien, von Elba oder von der Insel Sardinien
gekommen waren und als erste die Kunst der Eisenverarbeitung kannten, um
sie in den keltischen unkultivierten, unerschlossenen, aber eisenerzreichen
Alpenraum zu bringen. Sie brachten ihre (Eisen-) Göttin Noreia mit den Zügen
und den Attributen der Erdgöttin "Mutter Matuta" nach Noricum mit. Die
Taurisker waren vermutlich die Begründer der revolutionär neuen Latènekultur
der Kelten, wie von Forschern vermutet wird.
Das würde bedeuten, dass die Latènekultur der Kelten mit Hilfe der Etrusker in
Noricum entstanden ist und von hier aus auf das ganze keltische, eventuell
auch germanische Nordeuropa ausgestrahlt hat.
Am sinnvollsten würde die Übersetzung von Nor = Eisen sein. "Noreia" wäre
dementsprechend die "Göttin des Eisens", die allmächtige Erdmutter (wie
Matuta), die ihr Kind, das Eisen, mit etwas Glück den Menschen gibt, und
"Noricum" hiesse soviel wie "das Gebiet der Stämme, die mit Eisen arbeiten"
und die ihre gemeinsame Göttin Noreia um das Eisen bitten. Die "Taurisker",
"die Leute vom Taurus", brachten das Wissen vom Eisen aus ihrer Heimat
nach "Noricum, dem Eisenland" mit und ihr Hauptbetätigungsfeld war die
Gewinnung von Eisenerz, die Erzeugung und der Handel mit Eisen.
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Die Besiedlung während der Römerzeit
Die Aufnahme ins römische Reich
Kurz vor der Zeitenwende wurde Noricum im Gegensatz zu Raetien ohne
besondere kriegerische Handlungen als römische Provinz ins Römerreich
eingegliedert und spätestens bis um 50 n. Chr. von den Römern auch
verwaltungsmässig endgültig übernommen. Die Noriker, die bereits mit allen
möglichen Alt- und Alpinvölkern, Venetern und Illyrern vermischt waren,
hatten kein Bedürfnis nach einer sinnlosen Machtdemonstration mit dem in
jeder Beziehung überlegenen römischen Weltreich. Wegen der Inhomogenität
dieser friedlichen Bergbau- und Ackerbauernkultur der norischen Stämme war
vermutlich ein "norisches Nationalbewusstsein" nicht stark ausgeprägt, so dass
tatsächlich Widerstand gegen das römische Imperium sinnlos gewesen wäre.
Sogar unter wesentlich günstigeren Vorzeichen war Widerstand im Endeffekt
sinnlos und lediglich verlustreich, wie die Geschichte Raetiens, Galliens und
Grossbritanniens gezeigt hat. Vom Schicksal des norischen Königs ist nichts
überliefert. Im benachbarten Raetien fand ca. 13-16 v. Chr. ein grösserer
Eroberungsfeldzug der Römer gegen die dort ansässigen keltischen Vindeliker
und die nichtkeltischen Raeter statt. Nach der Unterwerfung wurden grosse
Bevölkerungsteile umgesiedelt.
Ausschlaggebend für die Unterwerfung der Kelten von Spanien über
Frankreich und Süddeutschland / Österreich bis Grossbritannien und die
Eingliederung ins römische Weltreich war die Unfähigkeit der Kelten zu
Zusammenschlüssen, zur Integration, zur Unterordnung der individuellen unter
nationale Interessen und zur planmässig durchdachten Durchführung von
gemeinsamen Aufgaben. Das Individuum und die Spontaneität hatte bei den
Kelten einen grösseren Stellenwert, als die Gemeinschaft und die durchdachte
Planung.
In der spätrömischen Epoche ca. 300 n. Chr. wurden dann die grossen
Provinzen Noricum und Raetien in jeweils zwei Provinzen aufgeteilt, in
Noricum Ripense = Ufernoricum, benannt nach dem Donauufer mit der
Hauptstadt Ovilia/ Wels, und Noricum Mediterraneum = Binnennoricum im
Inland mit der Hauptstadt Viruno. Die Grenzlinie war ungefähr der Tauern -
Hauptkamm, weshalb Salzburg und der Chiemgau mit dem Rupertiwinkel zu
Ufernoricum gehörte. Ivavo / Salzburg war die Unterhauptstadt von
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Ufernoricum und stellte wie Ovilia ein bedeutendes städtisches Zentrum einer
Region dar, mit einer
S. 215: beachtlichen römischen Provinzialkultur, mit Villen und gepflasterten Strassen,
mit Handwerk, Gewerbe und Industrie, mit Abbau von Kupfer und Eisenerz
und dessen Verarbeitung zu norischem Stahl, mit Salzgewinnung und
Landwirtschaft, allgemein mit einem für die damalige Zeit kulturellen
Landesmittelpunkt und einem weltweiten Handel. Raetien wurde in Raetia
Prima in den Alpen mit der neuen Hauptstadt Curia / Chur und Raetia
Secunda, das alte Vindelicien mit der Hauptstadt Augusta Vindelicu aufgeteilt,
also in die ungefähr alten Bereiche vor der Römischen Eroberung.
Die keltische Bevölkerung während der Römerzeit
Sicher musste das alte Keltenland durch den grossen Aufbruch nach Süden,
Osten und Westen im 4. Jahrhundert v. Chr. einen ungeheuren Aderlass der
Bevölkerung hinnehmen, doch ist davon auszugehen, dass zu Beginn der
Römerherrschaft in Noricum und Rätien das ganze Land zwar dünn, aber
dennoch flächendeckend besiedelt war. Die Bevölkerung in Noricum und
Vindelicien (Raetien) war homogen, das heisst, die Altvölker der Illyrer,
Raeter und eventuell auch der versprengten Etrusker, der zugewanderten
Eisen-Entwicklungshelfer waren längst im Volk der Kelten aufgegangen und
nicht mehr unterscheidbar.
Sobald die Länder in den Alpen und im nördlichen Alpenvorland um die
Zeitenwende unter römische Herrschaft gerieten, wandelte sich wieder ganz
allmählich die Zusammensetzung der Bevölkerung. Viele Verwaltungsbeamte
und Kaufleute, vor allem aber viele altgediente Soldaten aus dem ganzen
riesigen Römerreich liessen sich in den bevorzugten Gegenden dieser
Provinzen und vor allem in den neu geschaffenen Verwaltungszentren und
Lagerstädten nieder, errichteten grosse landwirtschaftliche Güter und bauten
fast palastartige Gebäude mit allen Annehmlichkeiten. Durch die Heirat mit
keltischen Mädchen blieben sie im Lande "hängen" und färbten allmählich die
keltische Bevölkerung romanisch, zumindest südländisch ein, da vermutlich
nur wenige Kolonisten echte "Italiener aus Italien" waren. Sie verhalfen den
einheimischen Kelten zu einem beachtlichen Entwicklungssprung und gaben
dem Leben im Voralpenland einen Hauch von römischer Kultur und Lebensart.
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Noricum konnte sich im Römerreich über beinahe 500 Jahre recht gut
entwickeln, auch wenn immer wieder Einfälle von barbarischen Germanen,
verbunden mit entsetzlichen Gräueln und wirtschaftlichem Niedergang zu
verzeichnen waren. Die Besiedlung erreichte in langen Friedenszeiten einen
ersten Höhepunkt. Mit einer steigenden Bevölkerungszahl wuchsen Handwerk,
Handel, Kunst und damit Dörfer und Kleinzentren. Nicht zuletzt hatten die
grossen Römerfernstrassen mit dem ganzen Netz von Zubringerstrassen zu
dieser Entwicklung beigetragen. Das bedeutete andererseits, dass das ganze
Land, die ganzen Provinzen während der Kelten- und der Römerzeit an
Bevölkerung zunahm und mit mehr oder weniger grossen Ortschaften und
Gütern flächendeckend besiedelt war. Ausser Bedaium und Artobriga sind die
Namen der Ortschaften nicht bekannt, doch müssen sie deshalb nicht die
grössten Ortschaften dieses Landstrichs gewesen sein, sie lagen nur am
nächsten zur Römerstrasse und hatten wichtige Versorgungsaufgaben für die
Reisenden, Beamten und Soldaten zu erfüllen und nur deswegen sind ihre
Namen überliefert. Das gleiche gilt in allen anderen Regionen.
Durch das friedliche Aufgehen von Noricum im römischen Staatenverband
unter der Pax Romana war die Besiedlung und die Kultur von Noricum
kontinuierlicher und damit weiterhin keltischer, aber auch fortgeschrittener und
flächendeckender als in Raetien, wo bei der römischen Eroberung grosse
Bevölkerungsteile um- oder ganz ausgesiedelt worden waren. Zahlreiche
Ortschaften, vor allem aber römische Landgüter (villae rusticae) aus der
Römerzeit sind in Noricum bekannt und viele mehr würden es noch bei
intensiver Forschung sein. Innerhalb des Innbogens wurden überall, in
Seebruck, Tacherting, Erlstätt, Tittmoning, Kay, Kraiburg am Inn etc. schöne
Mosaiken oder andere Zeugnisse aus der Römerzeit ausgegraben, die auf eine
schon verfeinerte Lebensart der Bevölkerung hinweisen. In der Nähe von
Eggstätt konnte erst vor kurzem ein grosses römisches Landgut mitten in
einem Feld mit herrlicher Aussicht auf den Chiemsee und die Chiemgauer
Berge geortet werden.
Germanen während der Römerherrschaft
Schon in den letzten zwei bis drei Jahrhunderten vor dem Zusammenbruch der
römischen Macht
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S. 216: hatte sich ein merklicher Wandel in der Volkszusammensetzung durch den
immer stärkeren friedlichen Zuzug von Germanen vollzogen. Die ersten
germanischen Bewohner Noricums dürften germanische Soldaten in römischen
Diensten und verbündete kleine Teilstämme, sogenannte Konföderaten,
gewesen sein, die sich mit Erlaubnis der römischen Verwaltung im
Reichsgebiet niedergelassen und sich dauerhaft angesiedelt hatten. Nach dem
Abzug der römischen Verwaltung blieben diese romanisierten germanischen
Söldner und Konföderaten zurück. Ihre Anzahl war vom 3. bis zum 6.
Jahrhundert sprunghaft angestiegen, wie die Archäologen besonders in den
grössten Städten des Landes, in Regensburg, Straubing, Augsburg und anderen
Grenzkastellen nachweisen konnten. Diese "Germanoromanen" stellten am
Ende der Römerzeit bereits einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung dar.
Stammesmässig lassen sie sich nicht einordnen, da sie buchstäblich aus allen
germanischen Stämmen gekommen waren. Mit Ausnahme der etwas grösseren
Gruppen der Konföderaten waren es grösstenteils Individualisten ohne
Stammes- und Sippenverband.
Ein besonders markanter Konföderatenstamm war in den grossen
Garnisonsstädten Regensburg und Straubing heimisch geworden. Nach der für
sie typischen Keramik, die sowohl in Böhmen als auch in Regensburg
gefunden wurde, wird sie von den Archäologen die "Friedenhain-Prestovice-
Gruppe" genannt. Nach Ansicht der Forscher soll diese Volksgruppe bei der
Stammwerdung der Baiuwaren bestimmend gewesen sein, weil sie am Ende
des 5. und am Anfang des 6. Jahrhunderts im nicht zerstörten und deshalb noch
weitgehend intakten Lager Regensburg tonangebend waren und weil dort die
Residenz des ersten bairischen Herzogsgeschlechts der Agilolfinger war. Ihre
Volkszugehörigkeit ist nicht geklärt. Offiziell werden sie unter die
Elbgermanen, eine stammesmässig nicht genau fassbare Bezeichnung,
eingereiht. Ihre Stammheimat, das böhmische Becken, war im Laufe der Zeit
von vielen Völkern besiedelt oder besser gesagt, besucht worden, so dass
daraus nicht auf ihre Volkszugehörigkeit geschlossen werden kann. Der
bekannteste keltische Stamm dort waren die Boier und der grösste germanische
Stamm die Markomannen.
Alle germanischen Söldner und Konföderaten waren wahrscheinlich nur
notdürftig und bruchstückhaft romanisiert und sprachen ein lateinisch-
- 17 -
germanisches Kauderwelsch. Sie sahen beim Untergang des Reiches natürlich
nicht Italien als ihre Heimat an und blieben deshalb im Lande, sie waren ja
ohne richtigen Stammesverband nur ihrer Familie verpflichtet. Da sie als
Soldaten des Kaisers sicher auch häufig ohne Frauen ihres Stammes zugezogen
waren, werden sie einheimische Mädchen geheiratet haben und damit entstand
wohl noch zur Zeit der Römerherrschaft die erste Vermischung mit den
Keltoromanen, vor allem in den grossen Garnisonsstädten.
Beim Abzug des römischen Heeres, bzw. des römischen Offizierscorps war der
Status dieser romanisierten Germanen als ehemalige Söldner, jetzt Neusiedler,
sicher nicht ungünstig. Sie konnten ja ihr in Besitz genommenes Land selbst
verteidigen. Wahrscheinlich organisierten sie für ihre Familie, für ihr Dorf und
die Umgebung, in der sie sich niedergelassen hatten, die Selbstverteidigung
und werden dadurch in nicht geringem Ansehen bei der gesamten Bevölkerung
gestanden haben. Eine Anzahl von lateinisch-germanisch gemischten
Ortsnamen kann auf diese Haudegen zurückgehen.
Diese bruchstückhaft romanisierten Germanen waren vermutlich keine
"Heiden" mehr, sondern je nachdem, wie lange sie in römischen Diensten und
als Siedler bereits im Lande ansässig waren, bereits Christen, entweder
römisch katholische wie die Keltoromanen oder im Gegensatz dazu wie alle
ostgermanischen Völker Arianer. Die Ostgoten, Westgoten, Langobarden,
Burgunder und Vandalen waren christliche Arianer und sie haben dieses
Bekenntnis noch Jahrhunderte, meistens bis zu ihrem Untergang oder bis zur
katholischen kirchlichen Neuorganisation behalten. Die nicht
völkerwandernden Germanen, die Franken, Hessen und Alemannen, später die
Sachsen und Friesen waren noch "Heiden" und wurden später erst im Laufe
der Zeit römische Katholiken.
Das Arianer-Bekenntnis in seiner gelebten Praxis ist ziemlich unbekannt. Es
steht jedoch fest, dass die arianischen Germanen kirchlich wesentlich weniger
stark organisiert waren als die Katholiken und dass ihre Hierarchie nur
schwach ausgeprägt war. Vermutlich waren sie auch toleranter gegenüber den
alten keltischen und germanischen Sitten und Gebräuchen, vielleicht sogar
gegenüber den alten Göttern.
S. 27: Dadurch konnte die stark hierarchisch geprägte katholische Kirche die Arianer
letztendlich in sich integrieren. Die erste Übersetzung der Bibel in eine
- 18 -
germanische Sprache, die berühmte Wulfila-Bibel war das Werk des
arianischen Bischofs Wulfila aus dem Volk der Ostgoten. Die Katholiken lasen
die Bibel nur in der lateinischen Sprache.
Sehr wichtig war den Arianern, ähnlich wie den Wiedertäufern und den
Mennoniten in späterer Zeit, das Taufritual, das die Erwachsenentaufe mit dem
klaren Bekenntnis zu ihrer Religion beinhaltete. Kirchen der Arianer sind in
Bayern gar nicht bekannt, obwohl es einige gegeben haben muss. Indizien
dafür sind Ortsnamen mit Tauf-, mit Brunn-, mit Weihe- und mit -kirchen. Vor
wenigen Jahren konnte auf dem Hemmaberg im südlichen Kärnten ein
Pilgerzentrum mit zwei arianischen und drei katholischen Kirchen
nebeneinander ausgegraben werden und dazu ein Gräberfeld der arianischen
Ostgoten. Beide christliche Richtungen hatten offensichtlich friedlich
nebeneinander ihre Kirchen gebaut und den gleichen Gott angerufen.
Die Bevölkerung beim Abzug der Römer Um 476 n. Chr. wurden die
blühenden Verwaltungsmetropolen Noricums, auch Ivavo, Ovilia und Virunum
von Germanen teilweise zerstört, aber nur in Einzelfällen wie Virunum und
Carnuntum vollständig vernichtet. Ab diesem Zeitpunkt hörte die von Rom
gesteuerte zentrale Verwaltung und Landesverteidigung auf. Ein Teil der mehr
oder weniger "echten Römer", durch die dauernden Überfälle entmutigt und
demoralisiert und kaum willens und fähig sich zu verteidigen, wanderte 488
aus Noricum und Raetien auf Anordnung Odoakers, eines Germanen auf dem
"Kaiserthron'', unter Zurücklassung ihres gesamten Hab und Guts in das
heutige Friaul in Norditalien aus. Zurück blieb sicher die grosse Mehrheit der
Bevölkerung, eine keltisch-römisch-germanische, halbwegs Provinzlatein
sprechende bäuerliche Mischbevölkerung, die in 500 Jahren Zugehörigkeit
zum Römerreich ziemlich homogen geworden war, die sogenannten
Keltoromanen.
Die Zeit des römischen Rückzugs aus Noricum und Raetia in das heutige
Friaul unter Severin mit Befehl des Germanenkaisers Odoaker wird am
anschaulichsten in der Lebensbeschreibung des hl. Severin, eines ehemaligen
römischen Beamten (gest. 482) dargestellt. Es war das allerletzte organisierte
Unternehmen des römischen Imperiums nördlich der Alpen. Von Severins
Schüler Eugippius wurde es geschildert und könnte gerade so gut die Situation
am Ende der Kolonialzeit im Kongo oder in Algerien beschreiben, mit dem
- 19 -
Unterschied, dass die Römer und die einheimischen Keltoromanen als Bürger
Roms zur "Kolonialmacht Rom" nicht feindlich eingestellt waren. Sie fühlten
sich schon längst dem römischen Reich zugehörig, den zugezogenen
Germanen gegenüber aber als Fremde. Es ist verständlich, dass nur die mit
Italien verbundenen, meistens etwas gebildeteren und wohlhabenderen Römer
für sich und ihre Familie eine bessere Zukunft in Italien als in der Provinz
Noricum sahen, in der sie ungeschützt den germanischen Räuberbanden
ausgeliefert waren. Die Germanisierung hatte sich ja schon längst, Jahrzehnte
vorher abgezeichnet und konnte nicht mehr aufgehalten werden. Sie wollten
aber kultivierte Römer bleiben und gingen in ihre, zumindest geistige und
kulturelle Heimat Italien. Die Zurückgebliebenen mussten sich in kleinen
Gruppen und Sippen selbst organisieren und selbst verteidigen und sich vor
allem mit den vielen Zugezogenen (Baiuwaren) arrangieren, bis nach ein paar
Generationen die neue Ordnung unter dem neu entstandenen Herzogtum der
Baiern mit dem Herzogsgeschlecht der Agilolfinger entstanden war.
Der Bevölkerungsverlust in den Provinzen Noricum und Raetia am Ende der
Römerherrschaft ist archäologisch kaum nachweisbar, nur die Zerstörung ihrer
Städte und Landgüter. Auch wenn durch den Rückzug des weströmischen
Imperiums aus den Provinzen kein gravierender Rückgang in der
Bevölkerungszahl zu verzeichnen war - der Verlust der Kulturträger war für
das Land und die Zurückgebliebenen enorm und einschneidend, da ja
vorzugsweise die städtische geistige Elite das Land verliess. Die
provinzrömische Kultur nördlich der Alpen war vom Stammland Italien
abgeschnitten. Die übriggebliebene keltoromanische, meist kleinbäuerliche
Bevölkerung sammelte sich in bestimmten Gegenden und konnte sich dort
noch Jahrhunderte mit ihrer Sprache und Kultur halten. Sie sprach
selbstverständlich die allgemein verständliche Sprache Latein, aber gespickt
mit vielen keltischen Ausdrücken - ein richtiges Kauderwelsch, das
S. 218: Provinzlatein oder besser bekannt als das Keltoromanische. Letzte Reste der
Keltoromanen mit ihrer Mischsprache, die zwar mit der grossen italienischen
Sprache verwandt, aber für die Italiener dennoch unverständlich ist, haben sich
in Norditalien und in der Schweiz erhalten. Es sind die Friulaner in
Norditalien, die Ladiner im Südtiroler Grödnertal und die Rätoromanen im
schweizerischen Graubünden. Vor tausend Jahren war diese Sprache noch sehr
- 20 -
viel weiter verbreitet, auch in Tirol, im Vintschgau, im Salzburger Flachgau
und sogar im Chiemgau an der Traun und um Obing.
Viele Beispiele gibt es für die im Alpen- und Voralpenland noch Jahrhunderte
lang verwendete romanische Sprache, sogar schriftliche Dokumente. So ist in
Urkunden Salzburgs um die Jahrtausendwende noch immer die Rede von den
"Romani ad Truna", also von den Romanen an der Traun. Das gleiche gilt für
das Gebiet um Obing und ganz besonders für den Flachgau südlich von
Salzburg. Im Salzburger Land konnten sie unter dem Schutz der mächtigen
Salzburger Bischöfe ihre selbständige Kultur am längsten erhalten. Bei den
zugezogenen Baiuwaren hiessen die Keltoromanen Walchen, Waller, Welsche.
Die Ortsnamen mit diesem Wort deuten immer auf eine ursprünglich
romanische Bevölkerung hin, wie Traunwalchen, Oberwalchen, Litzlwalchen,
Strasswalchen, Walchensee und viele mehr.
Die Geschichte wiederholt sich nie, nur die Abläufe sind immer dieselben, weil
die Menschen in ihrem Grundverhalten auch immer dieselben bleiben. So wie
im Afrika unseres Jahrhunderts die Weissen zum weitaus grössten Teil
panikartig den schwarzen Kontinent verliessen, genau so verhielten sich die
Römer bereits 1500 Jahre früher. Haben es diese Italien-Auswanderer unter
Severin und ihre Nachkommen in der Folgezeit besser getroffen als die in
Noricum Zurückgebliebenen? Kurze Zeit später wanderten die Ostgoten und
wieder ein paar Generationen später die Langobarden in Oberitalien ein und
die Römer in Friaul mussten sich mit diesen Germanen auseinandersetzen und
zu einem Kompromiss finden. Der Vergleich des Endes der römischen
Kolonialzeit zum Ende der europäischen Kolonialzeit des 20. Jahrhunderts
drängt sich unwillkürlich auf. Wie so oft im Laufe eines Lebens kann sich der
einzelne immer nur aus der momentanen Situation heraus für das anscheinend
Bessere entscheiden, auch wenn die Entscheidung unumkehrbar ist, für sich
und auch für seine Nachkommen.
Seit etwa 300 n. Chr., also seit der Herrschaft Konstantins, der die christliche
Religion zur Staatsreligion erhoben hatte, dürften auch die Keltoromanen in
den Provinzstädten in zunehmendem Masse der römisch-katholischen Religion
angehangen haben. Der für die Germanen bevorzugte christliche Zweig des
Arianismus war anscheinend bei den Provinzrömern nicht besonders gefragt,
obwohl dies nicht mit Bestimmtheit gesagt werden kann. Immerhin war sogar
- 21 -
Konstantin der Grosse mehr Arianer als Katholik. Die Organisation der Kirche
mit Bistümern und Bischöfen war erst ansatzweise vorhanden und konnte
dementsprechend die Völkerwanderungszeit und das Ende der
Römerherrschaft nicht überdauern. Einige dieser frühen kirchlichen Zentren
sind bekannt, wie Salzburg, Passau, Regensburg und auch die "Ecclesia
Petena" auf Herrenchiemsee. Reste des römischen Christentums werden sich
unter der keltoromanischen Bevölkerung sicher erhalten haben, denn zum
überholten "Heidentum" waren sie nicht mehr zurückgekehrt.
Die endgültige kirchliche Organisation schuf erst im 8. Jahrhundert Bonifatius.
Zur Zeit Ruperts im Salzburg des 8. Jahrhundert, also 300 Jahre nach dem
Untergang des Römerreiches, war vermutlich das germanisch-arianische und
ebenso das rätoromanisch-katholische Christentum im Ansatz noch geblieben,
auch waren die alten römischen Städte Salzburg, Passau, Augsburg,
Regensburg usw. noch oder schon wieder so bedeutend, dass sie Zentren eines
Bistums werden konnten. Salzburg wurde das kirchliche Zentrum eines
riesigen Gebietes mit einem sehr hohen Anteil an Romanen bzw. Welschen.
Nochmals 500 Jahre später, im 13. Jahrhundert, begründete der damalige
Erzbischof von Salzburg seine Vorrangstellung unter allen bayrischen
Bischöfen mit dem hohen Alter seines Bistums, das ja die "Ecclesia Petena" im
Chiemsee beerbt habe, und schuf das Chiemseebistum auf der Herreninsel neu.
Das Chiemseebistum wurde dann erst in der Säkularisation 1802/3 zu Gunsten
von Freising aufgelöst.
S. 219:
SPUREN DER ALTEN SPRACHEN IN ORTSNAMEN
Ortsnamensforschung wird schon seit über 100 Jahren betrieben. Besonders
erwähnenswert ist das Werk "Lexikon bayerischer Ortsnamen" von Wolf-
Armin Frhr. v. Reitzenstein, das beispielhaft alle Ortsnamen genau
aufschlüsselt. In diesem und anderen Fachbüchern sind keine Fragen offen. Für
jeden Namen gibt es eine Erklärung aus dem deutschen Sprachschatz, so dass
man glauben möchte, keine anderen Völker als das germanische-deutsche habe
hier (wie in Niedersachsen) gesiedelt und so erscheinen manchmal die
offiziellen Deutungen nur zum Teil glaubwürdig, besonders dann, wenn die
Namen allzu trivial erklärt werden oder in keiner Weise zur Landschaft und
zur Einbettung in die vorhandenen Kulturschichten passen. Manchmal wurden
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sie ohne Berücksichtigung der am "Bayernmix" beteiligten Völker erklärt,
obwohl sicher alle ihre deutlichen Sprachspuren in der Benennung der Flüsse,
Berge, Fluren und Ortschaften hinterlassen haben.
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Ortsnamen nur von einem einzigen Volk,
dem zuletzt angekommenen, stammt. Nein, alle am "Bayernmix" beteiligten
Völker haben ihre deutlichen Sprachspuren in den wichtigsten Benennungen
der Flüsse, Berge, Fluren und Ortschaften hinterlassen.
Die Römer übernahmen sehr häufig die alten keltischen Bezeichnungen und
formten sie erforderlichenfalls nach ihrem Sprachgefühl um. Neue Namen
schufen sie kaum aus Götternamen, sondern aus den vorhandenen
Geländebesonderheiten, aus der Funktion der Strasse und des Militärs, nach
Flüssen (z. B. Pons Aeni, Adenum, Ad ponte ises), nach örtlichen Ereignissen
(z. B. Surontio, Cinolatia), nach speziellen Erlebnissen der ersten römischen
Vermesser und Soldaten (z. B. Ovilia, Pero torto, Ad novas), und nur bei den
seltenen offiziellen Stadtgründungen nach grossen Staatsmännern (z. B.
Augusta Vindelicu). Die meisten dieser alten lateinischen Namen sind
gemischtsprachig und weisen zumindest eine germanische Endung auf, wie
z.B. Augs-burg (aus Augusta Vindelicu und Burg), Günz-burg (aus Guntia und
Burg), Regens-burg (aus Castra Regina und Burg) usw. Doch auch
Namensbestandteile können sehr aussagekräftig sein. Manchmal passen die
äusseren geografischen Umstände überhaupt nicht zum jetzigen bayrischen
Namen oder zum Namensbestandteil oder aber der Name und seine Erklärung
klingt zu banal, z.B. -egg als Ecke. In diesen Fällen muss dann die
Namensforschung einsetzen und eine Begründung aus den alten Sprachen
suchen, die zu den äusseren Merkmalen passt. Der vollkommen bayrisch
klingende Name "Speck" ist nicht nach dem geräucherten Fleisch benannt und
er bedeutet nicht, dass es in diesem Dorf viel Speck gibt, sondern dass an
dieser Stelle in der Römerzeit eine Aussichtswarte, eine "specula" gestanden
hat.
In den Jahrhunderten mit ausschliesslich mündlicher Tradition wurden ganz
selbstverständlich alle fremdsprachigen Wörter der keltischen und lateinischen,
allgemein der vor-germanischen Völker, die für die Baiuwaren unbekannt und
unverständlich, schwer auszusprechen und ungewohnt waren, der germanisch-
bayrischen Sprach- und Sprechweise so lange angepasst bis das ursprüngliche
- 23 -
Wort kaum mehr erkennbar war, ja ein halbwegs deutsches Wort daraus
geworden ist. Manche, auf den ersten Blick völlig klar unserer bayrischen
Sprache zugehörige Namen haben früher anders geheissen, haben einer anderer
Sprache angehört. Je älter die Siedlung ist, um so mehr ist der alte
ursprüngliche Name geändert, verwaschen und an die gängige (baiuwarische
oder später bayrische) Umgangssprache angepasst worden.
Die offizielle Erklärung der Namen wird ausschliesslich von der ersten
bekannten Schreibweise, z.B. aus dem Arnonischen Güterverzeichnis von ca.
785 abgeleitet. Obwohl viele Namen zu diesem Zeitpunkt bereits viele
Jahrhunderte, die baiuwarischen auch bereits ca. 250 Jahre alt waren,
erscheinen sie bereits in einem untadeligen Deutsch. So nehme ich an, dass
schon damals die alten Namen ohne Berücksichtigung ihrer Herkunft in ein
klares Beamtendeutsch gepresst worden sind. Am Ende der Römerzeit um 476
hat ein grosser Teil der Dörfer
S. 220: und bis zum Jahre 550-600 so gut wie alle Dörfer, die heute vorhanden sind,
natürlich nur mit einer kleinen Bevölkerung, existiert.
Die Baiuwaren haben die meisten Ortsnamen "erfunden", auch wenn bereits
die Dörfer existiert haben und sind selbstverständlich deutschen Ursprungs.
Die späten Neugründungen vom 9. bis 12. Jahrhundert sind als die amtliche
Anerkennung einer Siedlung zu verstehen oder es sind Umbenennungen schon
alter Ortschaften. Häufig wird, besonders bei den Personen namen der -ing-
Orte auf Traditionsbücher bis zum 12. Jahrhundert verwiesen, in denen der
betreffende Eigenname, meist als Zeuge in einem Rechtsgeschäft aufscheint.
Es ist jedoch zu bedenken, dass um diese Zeit auf dem Land, also bis zum
15.-16. Jahrhundert, noch keine Familiennamen existiert haben. Nicht das Dorf
wurde nach dem erwähnten Mann benannt, sondern umgekehrt, der Mann aus
dem Dorf wurde einfach mit dem Sippen- bzw. Dorfnamen versehen. Ein
Zeuge aus Altenmarkt wird als "Walter de foro" bezeichnet, als Walter vom
"Markt". Ein Repräsentant (Zeuge) aus dem Dorf Anning oder Petting war ein
"Anno" oder ein "Petto", was aber nicht sein Eigenname war. Erst im späten
Mittelalter hiess ein solcher Mann Anninger oder Pettinger + Vornamen, oder
wenn er dem Dorfadel. (der Bürgermeisterfamilie) angehörte "von Anning".
Diese Personennamen müssen in dieser Form in die Traditionslisten
eingetragen worden sein. Die sog. Traditionsnamen weisen meines Erachtens
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nicht auf die Gründer dieser Dörfer und auch nicht auf deren Abkömmlinge
hin. Die Ortsnamen sind unabhängig von einem sogenannten Gründer mit
Traditionsnamen zu begutachten. Aber auch mit dieser Einschränkung gehen
die meisten Ortsnamen mit -ing auf einen echten deutschen Personennamen
zurück.
Durch die mehr oder weniger uniformen Namensendungen auf -ing, -harn, -
hausen und -dorf können sehr wohl Rückschlüsse auf den Namen des
eventuellen Sippengründers, des Führers (Bürgermeisters), des übergeordneten
Fürsten oder auch nur des verdienten Mannes der Ortschaft gezogen werden.
Der Ortsname wurde in erster Linie, jedoch nicht grundsätzlich, von
ausserhalb, von den umgebenden Dörfern und nicht von innerhalb der
Dorfgemeinschaft verliehen. Die -ing- Orte sind immer stärker
personenbezogen als die anderen Orte, sogar dann, wenn sie nicht auf einen
Personennamen zurückgehen oder auf vordeutschen Wörtern basieren. Die dort
siedelnde Sippschaft hat sich selbst vollkommen mit dem Sippengründer oder
mit den vorhandenen Gegebenheiten personifiziert und hat damit der Ortschaft
ihren unverwechselbaren Stempel aufgedrückt, bzw. er ist ihr von den
Nachbarn aufgedrückt worden. Bei allen anderen Ortsnamen treten die
Personen in den Hintergrund oder gründen von vorne herein auf anderen
Merkmalen, vor allem Geländeeigenschaften, manchmal auch auf besonderen
Ereignissen. Sicher ist es auch ein grosser Irrtum, anzunehmen, es handele sich
bei der Namengebung grundsätzlich um Neugründungen von Ortschaften.
Oftmals, ich nehme sogar an überwiegend wird einer schon alten Ortschaft ein
neuer Name oder ein nur teilweise neuer Name in Erinnerung an einen dort
lebenden bedeutenden Mann gegeben worden sein, gleichsam als
Ehrbezeigung vor dem "Berühmten". Diese Neubenennungen fanden vor allem
in der baiuwarischen Landnahme statt, die ja fast ausschliesslich von
Individuen, Familien und Sippen getragen worden war. Alle relativ jungen
Ortschaften mit einem eindeutigen Namen, meistens einem allgemein üblichen
Personennamen und mit nachvollziehbarer Historie werden nicht angesprochen
und das ist nach wie vor der weitaus grösste Teil der Ortsnamen.
Besonders in Teilen Österreichs gehen auch sehr viele Ortsnamen auf andere
Völker zurück, vor allem auf die Alpenslawen in Niederösterreich und
Steiermark, in Kärnten auf die Karantanen / Windischen / Slowenen, im
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Burgenland und in Teilen von Niederösterreich auf die Awaren und Ungarn, in
Salzburg und Südtirol auf die Ladiner / Keltoromanen. Diese Namen sind
Sprachforschern vorbehalten. Es ist zu beachten, dass die Einteilung niemals
perfekt sein kann, da sich die Zeiten, Völker und Sprachen durchdringen und
überschneiden. Jeder Sprachforscher in seiner Zeit hat auch seine Vorlieben für
eine bestimmte Sprache und Volksgruppe, die meistens sehr deutlich zum
Vorschein kommt. Im letzten Jahrhundert wurden fast alle Namen mit
germanischen Wörtern erklärt und in Kärnten wird z.B. beinahe krampfhaft
jeder Name von einem slowenischen Wort abzuleiten versucht. So kann auch
diese Namenserklärung nur ein Versuch sein, der manchmal in die Irre geht
und wieder verbessert werden kann, der aber vielleicht zu weiteren
Forschungen ermutigt.
S. 221: Bei der Rückführung von Ortsnamen auf alte keltische, lateinische oder
deutsche Wörter muss man beachten, dass alle Endungen (-us, -a, -o, -il, etc.)
generell und manchmal auch die Anfangsvokale wegzulassen sind. Doppelte
Vokale wurden ursprünglich nicht wie ein heutiger Umlaut gesprochen,
sondern einzeln, wie Aenus - nicht Änus. Allerdings entstanden daraus später
Umlaute oder einsilbige helle Vokale, z.B. aus ai und ae wurde im Lauf der
Zeit ein ä oder e und sogar ein i (z.B. lateinisch: Aenus, rätoromanisch: En,
deutsch: Inn), aus ui wurde ü oder i, aus oi und oe ein ö oder e. Diese Regel
gilt sogar dann, wenn zwei Vokale ursprünglich durch einen Konsonanten
getrennt waren (z.B. Arelape-Aerlap-Erlauf und Teriol-is Teirol-Zirl).
Konsonanten können von hart zu weich und umgekehrt wechseln. Bei den
lateinischen Wörtern ist nicht die Schreibweise massgebend, sondern die
tatsächliche Aussprache der Wörter: c immer wie k (Käsar), i im Anlaut wie j
bzw. gj (Gjuwawo), u vor a und e und nach ng wie w, b im Anlaut ähnlich wie
v oder w und v immer wie w (Owilia, Windobona). Besonders zu beachten
sind die mittelalterlichen deutschen Lautverschiebungen. Die geläufigsten
sind: p zu pf, t zu z, b+v+w sind auswechselbar, also aus lateinisch "porta"
(=Tor) entstand eine "Pforte" und auch ein "Pforz-heim", Etwas ungewöhnlich
ist ein bayrischer Lautverschiebungs- Alleingang: "i" (meist im Wortinneren)
wird zu "j", (ähnlich wie im Italienischen), z. B. Mehl - Mei, Milch - Muich,
allweil - oiwei, Müller - Meina, salben soibn, bellen - bein etc.
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Bei diesem Kapitel und seiner unzweifelhaften Problematik ist es unerlässlich,
auch manchmal die Phantasie spielen zu lassen. Da sich die Zeiten, Völker und
Sprachen durchdringen und überschneiden, kann die Namenserklärung nur ein
Versuch sein. Es ist aber unerlässlich, sich auch manchmal auf dünnes Eis zu
begeben wie auch Jakob Grimm, einer der Altmeister der deutschen Sprache
schreibt:
"Nur mit einem gewissen Aufwand an Phantasie lässt sich das Gewirr der
zerrissenen Fäden so verknüpfen, dass der frühere Zusammenhang wieder
erkennbar wird"
Ortsnamen aus der keltischen Zeit
Ortsnamen aus der keltischen Epoche sind nicht so selten wie man auf den
ersten Blick meinen möchte. Die nachfolgenden Namen bedeuten nur eine
ganz kleine Auswahl. Sehr alte Namen, die in allen Bestandteilen eindeutig der
keltischen Sprache angehören, gibt es im Voralpenraum kaum. Im Salzburger
Land kommen sie noch etwas gehäufter vor. Unsere keltischen Vorfahren
wählten für die Benennung niemals triviale, nichtssagende, sondern meist sehr
treffende oder mal auch hochtrabende Namen. Je älter die Namen sind, desto
sicherer nehmen sie Bezug auf eine Gottheit oder auf die Besonderheit des
Platzes. Für die Kelten war die Natur in allen ihren Teilen belebt, ja von einem
Gott beseelt und das brachten sie in ihrer Namensgebung zum Ausdruck.
Besonders gerne wählten sie Gottesnamen für die grösseren Flüsse, wie
Sequana = Seine, Madrona = Marne, Glanus = Glan, Is-ar, Is-en etc., Aine =
Inn, Taranis = Traun usw. Im Duden "Geographische Namen in Deutschland"
(von Hans Krahe) wurden viele Flussnamen nicht nur auf die keltische
Sprache, sondern auf alteuropäische Namen zurückgeführt.
Die nachfolgende Namensableitung stützt sich vor allem auf die durch eine
ungebrochene Tradition noch bekannten irisch-keltischen Götternamen und
sind dem Buch "Lexikon der keltischen Mythologie" von Sylvia und Paul F.
Botheroyd entnommen. Im Alpenraum dürften sie nur so ähnlich, etwas
"wohlgefälliger", gelautet haben. Ausgesprochen schwierig ist die genaue
Erklärung der Zuständigkeit der keltischen Götter. Im Gegensatz zu den
römischen und germanischen sind die keltischen Götter überraschend
schwammig, mit vielfachen Aufgaben betraut, die sich wieder mit anderen
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Göttern überschneiden und ausserdem von einer Region in die andere
wechseln. Offensichtlich wurden die Götter ziemlich individuell verehrt.
Ein weiteres Buch, "das kleine Lexikon der Namen und Wörter keltischen
Ursprungs" von
S. 222: Bernhard Maier, in dem viele französische Ortsnamen und dazu Wörter des
Alltags auf das vor 2000 Jahren gesprochene Festlandskeltische zurückgeführt
werden, gibt eine sehr wertvolle Hilfe bei den Erklärungen der Stationsnamen
der Tabula Peutingeriana. Sicher wären noch viele weitere Namen bei
intensiver Suche zu finden.
Aed = Feuer, Sonnengott:
Der Sonnengott wurde in zwei verschiedenen Versionen, Aed und Aine
verehrt. Ihre Unterscheidung ist nicht bekannt. Wahrscheinlich war Aed, das
Feuer heisst, in erster Linie mit der Sonnenhitze vertraut. Im übrigen hatten sie
verschiedene Sonnen-Aufgaben zu erfüllen. Von Aed: Adnet bei Salzburg,
Adersberg bei Grassau (kaum von den Adern, Nattern oder Ottern), auch
Aiterhofen (mit dem Sonnenrad), Aiterbach, Eiting, Aiting (kann sicher nicht
von "Euter oder Eiter" abgeleitet werden) und andere. Edling wird
üblicherweise vom Personennamen "Edilo" abgeleitet. Hat es diesen Namen
tatsächlich gegeben? Die Landschaft um Edling ist ein Altrodungsgebiet mit
einer keltischen Viereckschanze und einem Stück Römerstrasse.
Vermutlich stammen auch viele, aber wohl nicht alle Ortschaften mit Ed,
Eden, Öden, Öd von Aed ab. Die übliche Erklärung für Ed geht grundsätzlich
von "öde, verlassen, wüst" aus.
Aine = Sonnengott, vermutlich im Alpenraum Ain:
Aed wie Ain repräsentieren den Sonnengott und sind anscheinend nicht
"verfeindet". Während Aed die Hitze der Sonne repräsentiert, war Aine
anscheinend mehr für die lebensspendende, erhaltende Energie der Sonne
zuständig. Davon Aindorf bei Pittenhart. Anning bei Stein/Traun, in dessen
nächster Nähe ein riesiges keltisches Gräberfeld liegt. (Anning könnte auch
von einem lateinischen Personennamen "Annius" abgeleitet werden.) Der Inn
hiess lateinisch Aenus. Daraus wurde im Rätoromanischen En (auch Engadin)
und im Bayrischen der Inn. Der Markt "Endorf" bei Rosenheim, das in der
ersten bekannten Schreibweise Zenidorf, (= "zu Enidorf"), hiess und der
Weiler "Jnnthal" auf der Anhöhe bei Endorf liegen weit weg vom Fluss Inn,
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können also ihren Namen nicht vom Inn (auch nicht aus zweiter Hand)
erhalten haben. Dasselbe gilt auch für den Innbach bei Linz. Einham (markante
Höhe bei Traunstein), Ensdorf und Ensfelden am Inn bei Kraiburg, Inhausen
bei Engelsberg, Enggallenbach bei Taufkirchen und noch viele andere Ain-
Namen wären aufzuzählen. Manchmal sind Ain und Aed in einem Wort
zusammengefasst, wie in Annet, Ainedt, manchmal auch Einöd.
Die erste der drei Beten, die für den Sonnenaufgang steht, heisst Ambet oder
auch Ainbet und enthält damit den Sonnenaufgang im Namen.
Aillil oder Aillen, vermutlich im Alpenraum Aill:
Er entspricht dem römischen Merkur (oder Hermes), dem Götterboten und dem
Gott der Händler. Seine Aufgaben waren ziemlich vielfältig. Aus ihm wurde in
christlicher Zeit der hl. Michael. Davon Allershausen, Allertsham, Allerding,
Allkofen, Allerting, Allmannsberg, Allmannshausen, auch Allgäu, Allach, evtl.
Alxing bei Grafing.
Apollo, vermutlich im Alpenraum Poll:
Er ist ein schon frühzeitig "romanisierter", ursprünglich keltischer Hauptgott,
der häufig noch einen Zusatznamen wie z.B. "Apollo Grannus" trägt und
anscheinend dem römischen Apollo ähnlich war, wenngleich er andere
Aufgaben hatte. Apollo Grannus war z. B. ein Arztgott oder noch genauer ein
Kurarzt, da er immer an Heilquellen verehrt wurde, häufig auch mit einer
weiblichen Gottheit (Kurärztin) zusammen. Davon Polling bei Mühldorf,
Pullenhofen bei Grafing, evtl. auch Palling bei Traunstein (von der
mittelalterlichen Verkleinerungsform "Baldilinga"), Pollmoos bei Grafing.
Art = Bär:
Artio war auch eine Muttergottheit mit dem Attribut eines Bären bzw. einer
Bärin, die für ihre Fürsorglichkeit ihren Kindern gegenüber berühmt ist. Die
römische Strassenstation Artobriga enthält das Wort Art, und davon stammt
wieder Arzberg und Eisenärzt. Ortsnamen mit dem keltischen Art, dem
lateinischen ursus und dem germanischen Bär sind häufig gebildet und liegen
manchmal auch direkt nebeneinander wie der Arzberg, Irsing, Irschen,
Irschenberg, Bernau, Bernbichl, Bernhaiming.
S. 223: Brig = Burg:
Der Name Artobriga - Arzberg setzt sich aus "Art" = keltisch "der Bär" und
aus "briga" = keltisch "Burg" zusammen. Das keltische Wort "Brig" hat sich
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auch noch verhältnismässig häufig als Birg und Bürg erhalten, wurde aber
auch häufig zu Burg, Berg oder auch Bruck - Brücke umgewandelt. An den
Donauquellen in Donaueschingen heissen die bei den Zuflüsse Breg und
Brigach, abgeleitet von der Befestigungsanlage Brigobanne. Es waren einfache
Verteidigungsanlagen, im weitesten Sinne Burgen, die häufig auf einem leicht
zu befestigenden Bergsporn oder im Mündungsdreieck von zwei Flüssen (z. B.
unterhalb der Befreiungshalle bei Kelheim) lagen. "Artobriga" hiess demnach
"Bärenburg".
Cernunnos = Gott der Wildtiere,
vermutlich im Alpenraum "Kern oder Gern":
Der Gott wird mit dem Attribut eines Geweihs am Kopf dargestellt und ist ein
sehr bekannter und beliebter Gott gewesen. Davon der Berg Hochgern bei
Bergen, Maria Gern bei Berchtesgaden, Alzgern bei Neuötting, Gern bei
Eggenfelden.
Cucullatus = kapuzentragender Knappe, Bergmann:
Die Orte deuten auf die Beschäftigung mit dem Bergbau hin. Der Cucullatus
ist das Urbild unserer Zwerge, also kleiner Menschen mit Kapuzen, die im
Berg hausen und den "guten Menschen" ihre Schätze preisgeben. Davon Kuchl
bei Salzburg (Römerstation Cucullae), Kucheln bei Grassau (Römerstation
Bedaio 1).
Dun, Duno, Dunum = Festung, Einzäunung, eingezäunter Platz:
Diese Orte hatten eine Art Palisade, Stadtmauer oder Wall und Graben, waren
also an einem günstigen Platz angelegt, waren geschützte Siedlungen. Das
englische Wort "town" lässt sich darauf zurückführen. Davon Gesodunum =
Gosau und Goisern am Hallstattsee, (das auch unter "gaisa" einzuordnen ist),
Cambodunum = Kempten, Lugdunum = Lyon und noch viele andere.
Dur, Duro, Durum = Festung, Tor oder Turm:
Eine grosse Anzahl keltischer Ortsnamen lautet auf -durum. Die Orte waren
geschützte Plätze und hatten wohl eine Verwaltungsfunktion, besassen eine Art
Wachturm am Zugang in ein geschlossen keltisch besiedeltes Gebiet. Die
römische Strassenstation bei Haag hiess Turum. Ist der jetzige mächtige Turm
von Haag, sein Wahrzeichen, der Nachfolgebau eines römischen Turms?
Mehrere Städte, wie z. B. Boiodurum = Boiertorstadt, ein Ort der keltischen
Boier und jetzt ein Stadtteil von Passau, Gabavodurum = Juvavum / Salzburg,
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viele Dürr- oder Dirn-Orte wie Dürnberg bei Hallein, Wagner auf der Dürr bei
Garching, Dirnreit bei Edling (an der Römerstrasse), Dirnberg, der Fluss Dürre
Ager.
El = Gott:
El ist auch ein hebräischer bzw. semitisch kanaanitischer Göttername. Die
Abgrenzung zu Al ist nicht sehr scharf und seine Funktionen sind unbekannt.
Ellerding bei Amerang, Ellingen, eventuell auch Elsass, französisch Alsasse.
Epona, vermutlich im Alpenraum Epon oder Epp:
Epona war eine Muttergöttin mit dem Attribut eines Pferdes. Meist wird sie
reitend dargestellt. Ihre Aufgaben sind dennoch nicht gen au bekannt. Das
Pferd hatte verschiedene Bezeichnungen: epo, ekwo, marko, mandu. Von
Epona abgeleitet: Epping bei Altenmarkt, Eppenhausen, Ebbs bei Kufstein (aus
Epis = Pferdebach), Eppenstatt, Eben im Pongau, evtl. Pongau, Ebene
Reichenau. Bad Aibling hiess angeblich in der ersten Erwähnung "Epon -
inga".
Esus, vermutlich im Alpenraum Es:
Esus, auch Hesus geschrieben, war ein keltischer Hauptgott mit dem Attribut
Schaf oder Widder. Die Abgrenzung zu Is= Göttlich, Heilig ist nicht ohne
weiteres möglich. Nach Lucan gleicht Esus dem römischen Mars, hatte aber
zumindest im keltischen Voralpenraum andere Aufgaben als der kriegerische
Mars. Im Christentum wird Esus zu Johannes dem Täufer, der auch mit einem
Schaf abgebildet wird oder zu Jesus mit dem Lamm Gottes. Davon Ising bei
Seebruck, Isenheim, häufige Familiennamen im Lungau Esl
S. 224: und Essl. In Kärnten liegen der Eselberg und das Ettinger (von Ette) Kögele
nebeneinander. Der Fluss Isen mit dem Isengau, die Isère in den französischen
Alpen, der Fluss Isar. Diese werden im Duden aus dem Alteuropäischen "eis,
ois, is" abgeleitet, was eine schnelle Bewegung ausdrücken soll. Bei der Isen
trifft dies sicher nicht zu und bei den anderen nur sehr bedingt und unscharf.
Etain oder Ethne, vermutlich im Alpenraum Etta oder Ette:
Sie war die grosse königliche Muttergöttin, vielleicht vergleichbar mit der
Stammesgöttin Noreia (bzw. Isis Noreia in der Römerzeit) in Noricum, der
etruskischen Göttin Matuta und der römischen Göttin Matrona. Davon
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Ettenberg bei Berchtesgaden, Ettendorf bei Traunstein, beide katholische
Wallfahrtsorte, Ettenhausen im Achtal.
Gada = Wache:
Diese Orte hatten vermutlich eine gewisse Wachfunktion am Zugang zu einem
geschlossen keltisch besiedelten Gebiet. Bei den angesprochenen Orten wäre
dies gut vorstellbar. Davon Berchtesgaden, Gaden bei Waging, Neugaden bei
Truchtlaching,
Gaiso = keltischer Speer, Gaisati = Speerträger, Schutztruppe:
Nach Polybios (ca. 200 v. Chr.) waren keltische Gaisati die Söldner der
keltischen Boier in Oberitalien. Gaisgedach heisst auf irisch der Soldat mit
Speer. Die Orte stellten eine Schutztruppe und hatten eine wichtige
Schutzfunktion inne. (Eine andere Erklärung ist die Herkunft vom keltischen
Wort geis = verboten, Tabu, wäre jedoch für Ortschaften unsinnig) Von Gaisa
kommen all die vielen Geis-berge und Geis-Ortschaften. Der bekannteste ist
der Gaisberg bei Salzburg, dann Geisenhausen im Achtal, Geiersberg bei
Engelsberg, Geisreith bei Siegsdorf, Geissing bei Traunstein, Geisbach bei
Petting, Iglgeis bei Teisendorf und viele andere.
Gallen = Gallier, (Galater), Kelten:
Offensichtlich waren diese Orte oder Gebiete von "echten Kelten" bewohnt, so
wie diese von den Nachbarn wahrgenommen wurden. Möglicherweise gehen
sie auf die Zeit der Romanisierung oder Germanisierung des Gebietes zurück,
da die von Keltoromanen besiedelten Dörfer später mit Walchen-, gebildet
wurden. Möglicherweise ist das Wort eine Eigenbezeichnung der Kelten, die
mit "gala = Kampfesmut" zusammenhängt. Davon Gallenbach bei
Taufkirchen, Gallertsharn bei Obing, Galling bei Siegsdorf, Gallenbach bei
Petting, Berg Hochgall, Gallekogel, Hoher Gallin (beide in Kärnten).
Glanus = Quellgott, Glan = klar, hell:
Die Bezeichnung der Orte geht vom Fluss aus. In Südfrankreich bei St. Remy -
de - Provence liegt der keltische Wallfahrtsort Glanum, der dem Lokalgott
Glan, einem Quellgott, geweiht war. Wahrscheinlich war er im gesamten
keltischen Siedlungsbereich bekannt. Davon Glonn (Ort und Fluss) bei
Grafing, Fluss Glonn bei Dachau, Fluss Glan in Salzburg, in Kärnten, in der
Schweiz und in der Bretagne, Gloneck bei Engelsberg und bei St. Veit in
Kärnten, Maxglan, Glanegg und Glanbach bei Salzburg.
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Goll = Einäugiger Gott und Begleiter des Sonnengottes Aed:
Die Aufgabe von Goll, dem Sonnenbegleiter ist unbekannt. Hatte er etwas mit
Regen und Tau oder mit anderen Wasserfluten zu tun? Je nach Örtlichkeit
könnte der Name auch vom lateinischen Wort "collis = der Hügel" abgeleitet
werden. Die vielen "Gold-Orte" kommen meistens von collis. Von Goll: der
Berg Hoher Göll im Berchtesgadener / Salzburger Land, dazu die Talorte
Golling und Adnet (von Aed) im romanischen Flachgau / Tennengau südlich
von Salzburg. Der Berg Hochgolling bei Schladming, Gollenshausen bei
Seebruck.
Hall = Salz:
Hier wurde das lebenswichtige Salz gewonnen oder der Ort hatte auf eine
andere Art mit dem Salz zu tun. Davon Bad Reichenhall, Hallein, Hallabruck
bei Traunstein, Hallstatt am Hallstätter See im Salzkammergut. Hallthurm bei
Berchtesgaden, Hall in Tirol, Hallfurth bei Amerang, Hallwang bei Salzburg.
S. 225: Ingcel = personifizierte Vernichtungskraft, Cel = Zuflucht:
Dieser Urgott als die personifizierte Vernichtung ist weiter nicht bekannt.
Vielleicht stammt er noch aus vorkeltischer Zeit. Der Name der Ortschaft in
einem Talkessel, Inzell südlich von Traunstein mit der ständigen Bedrohung
durch die Berge könnte nach diesem Gott benannt worden sein. Meistens wird
der Name jedoch als "Die Mönchszelle in den Bergen" gedeutet, obwohl eine
konkrete Zelle nicht bekannt ist.
"Cel" allein bedeutet Zufluchtstätte und hat sicher mehreren Zell-Orten den
Namen gegeben und ist nicht nur aus einer Mönchszelle entstanden. Die Stadt
Celeja / Cilli / Celje in Slowenien bezog den Namen vom keltischen Wort "cel
= Zuflucht".
Is = Das Heilige, der heilige Ort, der heilige Gegenstand:
Diese kurze Silbe ist Bestandteil vieler Namen und kann von Is als auch von
Es-us abgeleitet werden. Davon Ising bei Seebruck, Is-ar, Is-en, Ises (Ybbs),
evtl. Isunisca, Par-is, Chartres bei Paris hiess ursprünglich Carnut-is. Die
Muttergöttin und Hauptgöttin von Noricum hiess angeblich "Jsis Noreia",
wobei diese "Jsis" vermutlich nichts mit der ägyptischen Göttin Isis zu tun
hatte, sondern mit der Verdoppelung von Is = "Js-is = die Heiligste" Noreia
bedeutete.
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Kai = Gott der Stärke:
Davon Kai bei Tittmoning, auch wenn der Name früher anders geschrieben
wurde.
Kole = junger Stier:
Davon Kollmannsberg, Kollberg bei Rosenheim
Lug = Schutzherr der Erfinder und Ratgeber:
Er war einer der keltischen Hauptgötter, der dem germanischen Odin und dem
römischen Merkur gleichgesetzt wird, dessen Aufgaben dennoch nicht klar von
anderen Göttern abgegrenzt werden können. Die Erklärung, lug komme von
"lugen = ausschauen" ist unwahrscheinlich, da an den Orten mit "lug" keine
besondere Aussichtsmöglichkeit vorhanden ist: Davon Luging bei
Truchtlaching (gleich neben der keltischen Siedlung in Stöffling), Lug am
Tüttensee, Lugstein, Luggau. Die beiden Namen Lug (keltisch) und Lueg
(lateinisch) können nicht immer sauber getrennt werden. Zu eng ist die
phonetische Verwandtschaft.
Madrona = Muttergöttin:
Diese Muttergöttin ist fast lautgleich mit der römischen Muttergöttin
"Matrona", kann also nicht eindeutig als keltisch identifiziert werden. Davon
der Berg Madron bei Brannenburg, Matrei am Brenner, Matrei in Osttirol. Der
Fluss "Marne" in Frankreich hiess ursprünglich Matrona.
Matuta = etruskische oder alteuropäische Muttergöttin:
Sie ist also keine keltische Göttin, doch war sie offensichtlich mit den
etruskischen "Entwicklungshelfern" für die Eisenverarbeitung nach Kärnten
eingeführt worden und hat der Tabulastation "Matucaio" in Brückl den Namen
verliehen. Das Heiligtum selbst dürfte auf Hochosterwitz gestanden haben.
Oisin oder Ossian = sehr bekannte (irisch-)keltische Sagengestalt:
Davon Osendorf bei Wasserburg, Osenstetten bei Engelsberg, eventuell auch
Ossiach in Kärnten
Preun, Prienne, Brienne = Wald:
Davon Preinersdorf bei Eggstätt. Die Entstehung des Namens "Prien" kann
sowohl von Preun, Prienne als auch von Brigenna abgeleitet werden.
Side = Sitz der Götter auf einem Hügel:
Davon Sieden berg bei Chieming, ein Hügel in der Nähe von Sondermoning
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mit einer Keltenschanze und einem grossen keltischen Dorf (neueste
Ausgrabung).
Roth, Rott = Rad, das Symbol des Sonnengottes:
Dieser Name hat mehrere Erklärungen. Im Duden wird Rott aus der Farbe rot
erklärt, was bei Bächen und Flüssen mit braunem Moorwasser, vor allem aber
bei Ortsnamen ziemlich
S. 226: unwahrscheinlich ist. Davon Rott (Ort und Fluss) bei Rosenheim,
Rotterstetten, Radl (neben Sonnering) bei Höslwang, Rottau bei Grassau, Roth
bei Lampoding am Waginger See.
Taranis = einer der keltischen Hauptgötter mit dem Stier und dem Speer
als Attribut:
Lucan erklärt den Namen des Gottes von keltisch "taran = der Donner",
germanisch "Donar". In römischer Zeit wurde häufig, aber nicht konsequent
Jupiter daraus. Er war dem Kriegsgott Mars ähnlich. In christlicher Zeit
wurden seine Heiligtümer oft dem hl. Georg geweiht, jedoch wie bei allen
keltischen Göttern nicht konsequent. Davon die Flüsse Traun in Bayern und in
Salzburg, der Traunsee, Traunkirchen am Traunsee, Traunstein, Traunstorf,
Traundorf. Die Georgenberge über der Traun bei Vachendorf und bei
Traunstein, auch St. Georgen bei Traunreut, das vor 1000 Jahren das Zentrum
der Romanen an der Traun war, weisen auf Gott Taranis hin.
Taro, Tarwo (keltisch) (oder lateinisch Taurus) = Stier:
Der Stier war in vielen Gegenden Europas namengebend für Orte und Berge.
Manchmal wird das Wort auch von "Touros = (ligurisch) der Berg" abgeleitet,
was aber nördlich Liguriens eher unwahrscheinlich ist. Daraus Thauernhausen
bei Seebruck, Tauernstein bei Siegsdorf, die Hohen Tauern in den Westalpen.
Das Taurusgebirge in Kleinasien, Taormina in Sizilien (aus Tauromenion),
Turin (aus Augusta Taurinorum), Treviso (aus Tarvisium), Tarvis im Kanaltal,
der Stamm der Taurisker in Kärnten.
Teutates oder Toth = einer der keltischen Hauptgötter:
Er ist als "Volksgott" anzusprechen, da sein Name aus "teuta, touta = Volk"
gebildet wurde und hat als Attribut den Drachen dabei. Nach Lucan ist er dem
römischen Merkur ähnlich, was zu bezweifeln ist. In der Römerzeit entsprach
er ungefähr dem Jupiter. In christlicher Zeit wurde manchmal der heilige
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Georg oder mehr noch der hl. Michael daraus, jedoch nicht konsequent. Davon
das Volk der Teutonen, die mit den Kimbern nach Italien gezogen sind.
Tettenhausen, Tettelham, Tettelberg, alle in der Nähe des Waginger Sees,
Tödtenberg bei Söchtenau und der Tödtenberg nördlich von Kraiburg,
Todtenberg bei Nördlingen (mit einem römischen Jupiter-Heiligtum),
Tattenhausen und Dettendorf bei Rosenheim, der Tüttensee
(Kometeneinschlagskrater) bei Grabenstätt (mit dem Ort Lug), Tettenmoos bei
Erlstätt.
Ortsnamen aus der Römer- und Keltoromanenzeit
Nachdem Noricum und Raetien etwa 15 v. Chr. römische Provinzen geworden
waren, entstand die nächste Namensschicht, die der römischlateinischen
Ortsnamen.
Funktionen der Strasse und des Militärs
Castrum, Castellum:
In nächster Nähe von Seebruck gelegen, wird Castrum tatsächlich ein "kleines
provisorisches Ausweichlager", vielleicht nur eine Erdanlage entweder aus der
Frühzeit oder aus der Spätzeit der Römerherrschaft gewesen sein. Ein richtiges
Lager hätte dort weder eine Berechtigung gehabt noch genügend Platz
gefunden. Lager heisst im klassischen Latein castra, ist also ein Mehrzahlwort.
Andere Erklärungen mit einem grösseren Wahrscheinlichkeitsgrad gibt es
nicht.
Die Namen Kastl, auch Kastell kommen des öfteren vor und haben das lat.
Wort "castellum = Kastell, Festung, Zufluchtsort, Gebirgsdorf, Versteck" als
Namengeber.
Egg-, Eck, Ecking:
Eggstätt liegt ca. 8 km von Bedaium / Seebruck und weniger als einen
Kilometer von der Römerstrasse entfernt, die durch den Ortsteil Strass führt.
Eggstätt ist eine Urpfarrei, was auf eine sehr alte Besiedlung, eventuell sogar
seit der Römerzeit hinweist. Der Kirchenpatron der Pfarrkirche ist
S. 227: der Hl. Georg, der den Mars (Gott der Soldaten und des Krieges) der
römischen Epoche bzw. den Taranis der Kelten ersetzte.
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Die erste Schreibweise des Namens war "Ecchistat", wobei "Ecchi"- gerne aus
dem Personennamen "Ecco" erklärt wird. Das ist jedoch unwahrscheinlich, da
die "statt"-Namen normalerweise nicht mit einem Personennamen gebildet
wurden. Der zweite Teil des Namens "-stätt" bedeutet Stätte, markanter Ort
(zur Zeit der baiuwarischen Landnahme). "Ecchi"- wird als die spätlateinische
Schreibweise für "ecci = Pferde" angesehen werden können. Im Keltischen
hiess das Pferd ebenfalls sehr ähnlich, nämlich "ekuos", im klassischen Latein
"equus" (oder "eccus"). Der Name Eggstätt lässt sich also mit "Pferdegegend"
oder "Ort mit Pferden" übersetzen. In der Nähe der Römerstrassen mussten
zum Pferdewechseln viele Zuchtbetriebe vorhanden sein, da stets frische
Pferde erforderlich waren. Die verhältnismässig unfruchtbare Gegend um
Eggstätt mit den sauren Wiesen und dem moorigen Gelände des Weitmoos war
für die Pferdezucht besonders gut geeignet, damals wie heute. In Eggstätt war
also in der Römerzeit das Pferdegestüt der nahen Strassenstation Bedaium
angesiedelt, vielleicht sogar die Raststätte zu dieser Station, da Eggstätt mit
ca. 36 mp gerade den richtigen Abstand von Salzburg besass. Nach dem
Zusammenbruch der römischen Verwaltung wurde das Gestüt von altgedienten
keltoromanisch sprechenden Siedlern weiter betrieben, weil auch weiterhin
Bedarf an Pferden bestand. Die Pferde und damit auch die
Pferdezuchtanstalten genossen ja bei den Kelten, den Römern und später auch
bei den Baiuwaren hohes Ansehen, so dass nach dem Untergang der römischen
Zentralverwaltung ein Überleben dieser Stationen gut vorstellbar ist.
Weitere Orte sind Egg, Eck, Ecking, Maria Eck, Eckering, Eggerhausen,
Obereggerhausen, evtl. auch Egerer (= Pferdehändler) bei Chieming, auch
zwei mal "Eggen" bei St. Veit in Kärnten, Glanegg in Salzburg und in Kärnten,
Hardegg, Gradenegg, Rosegg an der Drau bei Villach etc. Alle diese
Ortschaften liegen in der Nähe einer Römerstrasse und weisen die gleichen
Bodenverhältnisse auf, sind also meines Erachtens genauso wie Eggstätt
Pferdegestüte gewesen. Besonders bezeichnend dafür ist auch Maria Eck (mit
Scharam) auf dem Hügel über Siegsdorf. Trotz der Berglage besitzt Scharam
saure Wiesen, die noch heute für die Pferdezucht gerne verwendet werden. Die
Nähe zu Artobriga spricht wieder für ein ursprünglich römisches Pferdegestüt.
Allerdings liegt Eggenfelden nicht an der Tabulastrasse, vermutlich aber an
einer späteren Römerstrasse, die von der Römerbrücke über den Inn bei
Töging über Eggenfelden, Landau an der Isar nach Sorvioduro / Straubing lief.
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Wegen des deutschen gleichlautenden Wortes "Ecke" ist natürlich jeder
Ortsname für sich auf Schlüssigkeit der Interpretation zu prüfen.
Esbaum, Espann, Essbaum:
Diese Orte gibt es in grosser Anzahl und sie sind grundsätzlich an Römer- oder
Altstrassen gelegen, z.B. Expann, Espannhausen, Esbaum bei Teisendorf, bei
Bergen, in Erlstätt, in Seebruck, in Prutting, bei Rohrdorf, bei Rimsting, bei
Söchtenau, in Rosenheim usw. Die Bedeutung wird aus dem lateinischen Wort
"expandere = ausspannen" erschlossen und ist wie "Ausspannplatz" zu
übersetzen.
Mais, Moos:
In Tirol und Südtirol (Mais bei Meran und Mais am Brenner), in denen noch
bis ins Mittelalter hinein Ladinisch (Rätoromanisch) gesprochen wurde, liess
sich der Ortsname Mais eindeutig aus dem lateinischen Wort "mansium =
Haus, Gästehaus, (einfache) Unterkunft, Herberge" ableiten. Das französische
Wort "maison'' = Haus hat dieselbe Wurzel und Bedeutung. Die Römerstrassen
mussten in gefahrvollen Zeiten durch Militär gesichert werden und die
reisenden Beamten trieben die Steuern ein. Unterkunftshäuser waren also
unerlässlich. Davon Mais bei Amerang, Mais bei Stein/Traun, Maisbach im
Achental, Maisham bei Seebruck, Meisham bei Eggstätt, Mais bei Schonstett,
Maisach bei Fürstenfeldbruck, Maising, etc. Offiziell wird der Name "Mais"
aus dem mittelhochdeutschen Wort "maisen, maissen, maizan" etc. erklärt, was
soviel wie roden bedeuten soll. "Mais" ist also der "Holzschlag" oder der
"Platz worauf junges Holz angeflogen ist". In Bayern war allerdings eher
"schwenden", "schlachten" oder "schlechten" für roden gebräuchlich und
dementsprechend gibt es viele Ortsnamen mit diesen Wörtern.
Vermutlich stammen auch viele "Moos" Namen von "mansium" ab und nicht
von der
S. 228: bayerischen Form für Moor, da häufig kein altes oder junges Moor vorliegt wie
in Freutsmoos, Schloss Moosburg in Kärnten, Schloss Moosharn im Lungau an
der grossen römischen Raststätte und in der Nähe der Station In imurio, auch
Moosen bei Riedering (mehrere Orte), Moosharn bei Lindach, etc. Moos wird
mit einem Moorgebiet in der Umgebung in Verbindung gebracht. Häufig ist
aber in Mais keine mittelalterliche neuere Rodung und in Moos kein altes
Moorgebiet erkennbar.
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Mais und Moos sind dementsprechend nicht mehr vollkommen sicher zu
interpretieren. Vermutlich stehen alle drei Bedeutungen "Herberge, Rodung,
Moor" gleichwertig nebeneinander, mal für die eine, mal für die andere
Siedlung. Mit dem Getreide Mais hat dieser Name nichts zu tun, die Pflanze
wurde in der präkolumbianischen Zeit in Peru kultiviert und kam erst nach der
Eroberung Südamerikas ganz allmählich über Spanien und Frankreich nach
Deutschland.
Meil, Mailing:
Dieser Ortsname wurde wohl an der Stelle eines römischen Meilensteins
gegründet. Zu denken ist vor allem an einen Meilenstein, der wie in Egerdach
bei Lauter, auch in Mailing bei Tuntenhausen (auf der Linie Seebruck -
Kleinhelfendorf) als Planungs- und Vermessungspunkt aufgestellt war und
schon im Mittelalter Aufsehen erregt hatte.
Pürn, Pyrn, Birn:
Die Namen mit Pyr (griechisch = Feuer) haben die Anlagen für Feuerzeichen
bewahrt. Davon Phyrnpass, Pürn bei Engelsberg, Birn bei Engertsham,
Rossbirn bei Peterskirchen etc.
Roit-, Reit-, Ried:
Die Grundlage der "Roit-" Namen ist das lateinische Wort für die
ungepflasterte Kiesstrasse = "via rupta", im Gegensatz zur gepflasterten
Strasse = "via strata". Vom lateinischen rupta stammt das englische road, das
französische route und rue, das spanische ruta und das portugiesische rua und
auch unser Roit ab. Im Gegensatz zu Italien waren die Strassen in der Provinz
fast ausnahmslos geschüttete Kiesstrassen, weshalb die "via rupta" in alle
Provinzlandessprachen eingingen, eben auch ins Ladinische und
Rätoromanische, das in verschiedenen Gegenden Bayerns und Österreichs
noch bis ins frühe Mittelalter hinein gesprochen worden ist. Die Roit- Orte
erhielten ihren Namen noch von den Keltoromanen - Walchen, z.B.
Roitwalchen bei Traunstein. Das beste Beispiel für die Tradition des Namens
"roit" für Strasse kann im Inntal bei Unterangerberg erfahren werden: Matthias
Mayer weiss zu berichten, dass noch 1422 eine Gemeindeverordnung der
Gemeinde Oberbreitenbach im Unterinntaler Dialekt den Ausdruck "offne
vichruet" für einen öffentlichen Weg zum allgemeinen Vieh trieb verwendete.
Oft liegen Roit- und Strass-Namen dicht beisammen, so dass die
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fortschreitende Änderung der Sprechgewohnheit von Keltoromanisch zu
Deutsch bzw. die unterschiedliche Besiedlung abgelesen werden kann.
Mit der Erklärung der "Reit"-Namen für Strassen befinde ich mich in guter
Gesellschaft: Bereits im bayrischen Wörterbuch von Schmeller (1827) wurde
die Herkunft von "via rupta" leise angedeutet. Die wenigsten Roit-Orte im
Chiemgau sind Rodungsnamen.
Roit- Namen gibt es sehr viele, und sie liegen an Alt- oder Römerstrassen:
Roitham bei Seeon, Roitham bei Obing, Roidham bei Palling und Freutsmoos,
Reit bei Wildenwart, Reitharn und Unterreit bei Bernau, Raiten im Achental,
Zellerreit, Reiterberg und viele andere Reit. Vogtareuth bei Rosenheim hiess in
der ersten bekannten Schreibweise "Ruit". Hochreit bei Traunreut besteht nur
aus zwei grossen (ursprünglich sogar nur einem) Bauernhöfen an einer
schnurgeraden Strasse. Diese Strasse ist ursprünglich ein Teilstück der
östlichen Traun- Hochuferstrasse, die von Südosten, von Ettendorf über
Traunwalchen und das neue Traunreut ankommt und weitergeht über Gigling,
zum Hochschloss Stein hinauf und über Roitham zum Hohlweg von Nock,
weiter durch die Traunfurt und über die Alzbrücke von Altenmarkt in Richtung
Wasserburg. Wenn es aber eine "Hochstrasse = Hochreit" in Richtung
Hochschloss gab, musste auch eine "Tiefstrasse" in Richtung Tiefschloss
existieren. Sie ist tatsächlich (ohne diesen Namen) noch erkennbar:
In der Strassensenke westlich Hochreit zweigte ein Weg nach Anning, zum
Talschloss Stein und in das Trauntal mit der Traunfurt ab.
S. 229: Speck - Spöck, Spiel- Spiegel:
Diese Namen gehen auf das lateinische "specula = Aussichtswarte, Wachtberg,
Lauerstellung" zurück. Auf allen Stationen und vielen Zwischenpunkten
standen Vermessungsmarken, die oft auch als Aussichtswarten und Feuertürme
dienten. Das indogermanische Wort "spek = scharf schauen" drückt dieselbe
Bedeutung aus. Im Wort Speck ist der L-Laut von specula verlorengegangen,
in Spiel und Spiegel wurde er noch bewahrt. Häufig dürfte auf dem Standort
später ein Kirchturm (mit Kirche) gebaut worden sein. Davon Spöck bei
Oberteisendorf, Spöck bei Petting, Spöck bei Aschau, Spöck bei Prutting,
Speckbach bei Rohrdorf, Spiegelsberg bei Surberg, Spielwang bei Vachendorf,
Spieln bei Prutting und Leonhardspfunzen, Spiegelsberg bei Schnaitsee. Die
"Spiel- und Spiegel"-Namen können selbstverständlich auch neueren Datums
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sein und ungefähr die jetzige Bedeutung dieser Wörter beinhalten. Ein wie
hohes Alter sie aber auch besitzen können, zeigt die Stadt "Spilimbergo" in
Friaul, das aus "Spielemberg" entstanden ist und von den Langobarden im 6.
Jahrhundert gegründet worden war.
Schön-, Schein-, Scheiben-:
Diese Namen sind bereits "germanisiert", bedeuten aber ebenfalls wie die
Pyrnberge Signalfeuerberge. Sie sind nicht auf die Römerzeit beschränkt,
sondern waren bis ins Mittelalter gebräuchlich. Einige Beispiele: Schönram,
Schonstett, Schönau, zahlreiche Schönberg, Schöneck, Schönhofen, Schönreit,
Schönwinkl. Scheiben, Scheibleck. Mittelalterliche bis neuzeitliche Namen mit
"Scheiben" wurden nach den Salzscheiben benannt.
Strass:
Wie die Schön- Namen sind auch die Strass-Namen nicht mehr original-
lateinischen Ursprungs. Das Wort "Strass" für die Orte an Altoder
Römerstrassen entstand in der deutsch-sprechenden Zeit und berücksichtigt
nicht die alte römische Unterscheidung der verschiedenen Strassenarten. Die
Römerstrassen waren klassifiziert: War die Strasse gepflastert hiess sie "via
strata" = gepflasterte Strasse (im Gegensatz zur "via rupta"), woraus sich im
Italienischen das Wort "strada" und später wieder unser deutsches Lehnwort
"Strasse" entwickelt hat. In Italien waren eben fast alle Strassen gepflastert. Es
gibt sehr viele Ortsnamen, die das Wort Strasse enthalten, z.B.: Strass,
Niederstrass, Oberstrass - alle bei Teisendorf, Strass bei Traunstein, Strassham
bei Seebruck, Strass bei Seeon, Strass bei Eggstätt, Strassberg bei Pittenhart,
Strass und Edenstrass bei Halfing, Strass, Strasskirchen und Strassöd bei
Söchtenau, Strasswend bei Prutting, Endstrass bei Kössen, Strasswalchen usw.
Eigennamen von Keltoromanen
Aiging:
ist vom Eigennamen Ajus abzuleiten. Er ist wie Gigling eine Bestätigung für
die Aussprache von j wie gj. Daneben kommt auch das j bzw. y in Aying bei
München vor. In Ableitung vom griechisch-römischen Windgott Aiolus mit
der Aussprache j wie g könnte auch Aiglsham bei Pittenhart und Aiglsbuch am
Chiemsee kommen.
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Anning:
von dem lateinischen Personennamen Annius, bereits bei Tacitus erwähnt, oder
aber vom keltischen Sonnengott Aen.
Alten-:
weist häufig auf einen Römerort hin. Der Name kann neben dem häufig
verwendeten deutschen Wort alt auch von einem Personennamen "Alto" oder
von lateinisch altus = hoch herkommen, z.B. Altenham bei Pittenhart,
Altmühldorf bei Mühldorf. Altenmarkt im Pongau und Altenmarkt im Gurktal,
auch das slowenische Altenmarkt bei Celje sind "alte Römerstationen", haben
aber nichts mit dem lateinischen Wort "altus" zu tun.
Bach:
Die Ortsnamen mit -bach gehen zwar nicht grundsätzlich, aber sicher häufig
auf das lateinische Wort "pagus = Gau" zurück, wie Franz Ertl sehr ausführlich
schildert. In den meisten Bach Orten fliesst überhaupt kein Bach oder der Bach
heisst anders als der Ort selbst. Der Name wird in der spätrömisch-
rätoromanischen Zeit von den Keltoromanen, vielleicht auch von den
germanischen Söldnern für ihr in Besitz genommenes
S. 230: Gut verwendet worden sein. Es bedeutet also soviel wie "Kleingau" oder
einfach "Bauerngut". Davon Leitenbach, Igelsbach, Kaltenbach, Langenspach
bei Erlstätt, Schweinbach, Lambach, Fembach, Pickenbach, Aiterbach,
Rettenbach, Embach, Gallenbach, Bach (allein), Bachharn und viele mehr.
Gigling, Giglberg, Güglingen:
Dieser Name wurde bisher als Hügel oder Aussichtspunkt nicht sinnvoll
erklärt, da in keinem Fall die Ortschaft auf einem Hügel liegt und auch keine
Aussicht besteht. Ich denke, er kommt vom bekannten römischen
Personennamen "Julius". Das "j" wurde bei den Römern mehr als "gi"
gesprochen, weshalb Julius im Italienischen "Giuglio", vermutlich
ursprünglich gesprochen wie geschrieben, heisst. Auch das lateinische Wort
"major" wurde später im Ladinischen zu "magnior". Der Julierpass heisst im
Rätoromanischen "Pass dal Güglia". Mit dem Abstrich der Endung "io" wird
aus Giuglio ein "giugl" und ein "gigi". Orts- und Familiennamen mit gilg und
gigl, auch jilg und ilg und gugl gibt es mehrere. Auf den früher besprochenen
Namen Aiging aus Ajus ist in diesem Zusammenhang auch zu verweisen.
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Prutting, Prutdorf bei Wildenwart:
aus dem Personennamen Brutus abgeleitet, der in der Römerzeit gar nicht so
selten war und nicht unbedingt auf den Mörder Caesars hinweisen muss. In der
Kirche von Prutting ist ein grosser Römerstein aufgestellt, der in nächster Nähe
gefunden worden war und von einem Sieg berichtet, der nicht in der
Geschichte erfasst ist. Auch lief eine Römerstrasse durch den Ort zur
Innbrücke bei Pons Aeni.
Rumering, Rumersham, Rimsting:
Sie gehören zu den verhältnismässig seltenen Namen, die einen Römer, einen
"Rumi" zum Ahnen haben. Normalerweise hiessen die einheimischen
Keltoromanen Walchen, womit der Völkervielfalt im Römerreich besser
gedient war. Ein Rumi muss also ein klar erkennbarer Italiener, ein Südländer
aus dem römischen Mutterland gewesen sein. Für die Provinzlateiner hörte
sich das ursprüngliche "o" in Rom wie ein "u" an, weshalb zwar "Romania"
geschrieben, "Rumänien" aber gesprochen wird. Ausser den Ortschaften
Rumersham bei Obing, Rumering und Rimsting im Chiemgau gibt es noch die
Ortschaft Rum bei Innsbruck und in Ungarn.
Stefan, Laurentius:
Das Kirchenpatrozinium dieser Heiligen aus der spätrömischen, schon
christlichen Zeit und die daraus entstandenen Ortsnamen weisen auf eine
Besiedlung der Keltoromanen hin. In Steffling bei Seebruck (neben dem Ort
Luging) liegt eine grosse keltische Siedlung, durch zahlreiche Zufallsfunde
nachgewiesen, im Boden verborgen. Drei Orte mit Stefanskirchen, am
Simssee, am Hartsee und bei Amerang deuten auf eine keltoromanische
Besiedlung hin. Etwas seltener, aber ähnlich liegt die Sache mit Laurentius,
Lorenz
Walchen-, Wall-, Wolk-, Woll-, Welsch-Orte:
Diese Ortsnamensgruppe wurde in der Baiuwarenzeit geschaffen. Die
zuwandernden Baiuwaren bezeichneten damit einige Dörfer der einheimischen
Keltoromanen. Die alten keltoromanisehen Namen sind verloren gegangen.
Grundsätzlich zeigt der Name an, dass der Ort von Romanen bzw.
Keltoromanen besiedelt worden ist. Das Wort selbst ist nicht lateinisch,
sondern geht auf den alten keltischen Stamm der Volkae zurück, die
offensichtlich den Baiuwaren noch gut bekannt waren. Bei Traunreut ist die
- 43 -
grösste Gruppe dieser Orte in Bayern mit Traunwalchen, Oberwalchen,
Litzlwalchen, Katzwalchen, Roitwalchen und Walchenberg, dazu
Wollmannstetten bei Engelsberg, Wall bei Söchtenau, Wolkersdorf bei
Traunstein, Walchen bei Petting, Wollwies bei Grafing, Walchensee und viele
andere. Ausserhalb der Traunregion kommen sie noch gehäuft im
Salzkammergut und in fast allen Ländern Österreichs und in Südbayern vor:
Strasswalchen, Seewalchen, Wallersee, Walchsee usw.
Besondere Merkmale des Ortes
Arlaching:
Da an diesem Ort die Römerstrasse das erste Mal an den Chiemsee
herankommt, kann das Wort aus "ad lacum = Am See" gebildet worden sein.
S. 231: Baumburg:
Es ist ein Ortsteil von Altenmarkt / Alz und liegt beherrschend auf der Anhöhe
über dem Zusammenfluss von Alz und Traun. Die älteste Schreibweise um
1100 war "Paemburg", aus dem beinahe selbstverständlich "Baumburg" sich
entwickelte. Doch Paem- war nicht das mittelalterliche Wort für Baum. Woher
also kann Paem- abgeleitet werden?
Im 18. Jahrhundert oder früher war im Klosterhof von Baumburg ein
römischer Weihealtar gefunden worden, der leider in München im
Bombenhagel des 2. Weltkriegs zerstört wurde. Er war dem göttlichen
Ärztepaar "Apollo-Grannus und Sirona" geweiht, einem Götterpaar, das immer
an Heilquellen, zum Beispiel auch in Aachen, verehrt worden war. Die Sirona
war zuständig für die Fruchtbarkeit, weshalb sich kinderlose Frauen an sie
wandten und zu ihr um Kinder beteten. Die jetzige katholische Kirche in
Baumburg ist der heiligen Margaretha geweiht, die wieder genau die gleiche
Aufgabe bei Kinderlosigkeit zu erfüllen hat. Sogar das Kennzeichen der bei
den Damen, die Schlange, ist bei Sirona wie bei Margaretha dasselbe.
In den ersten Jahrhunderten nach der Umwandlung der Burg Baumburg in ein
Kloster (um 1000 n. Chr.) wurde mehrere Male die Reparatur einer Badeanstalt
(Kloster-Ausgabenbeleg) erforderlich, später nicht mehr. Das heisst, dass die
älteste Klosteranlage noch eine Badeanstalt besass, die erst im Laufe des
Mittelalters abkam. Es wäre keinesfalls verwunderlich, wenn der grosse Teich
mit dem Brunnen am tiefsten Punkt im Klosterhof ursprünglich von einer
- 44 -
nahen Quelle gespeist worden und der Grund für das Aufstellen des
Weihealtares gewesen wäre.
Damit beginnen auch meine Überlegungen hinsichtlich des Namens
Baumburg. Im Lateinischen heisst "balnea" (Mehrzahl von balneum) "die
Badeanstalt" Aus balnea oder balneum kann sich folgende Abwandlungsreihe
gebildet haben: Klassisches Latein = balnea, Provinzlatein = bamea,
Baiuwarisch ohne Endung = bame, daraus nach Vokalzusammenfassung und
Verhärtung des Konsonanten Paem-. Vielleicht kommen im Zuge von noch
ausstehenden archäologischen Bodenuntersuchungen tatsächlich einmal die
Reste einer Badeanstalt, eines Badheiligtums zum Vorschein.
Burg, Bürgl:
Der zweite Teil des Namens von Baumburg, also "-burg" wurde anscheinend
bei den alten auf die Römerzeit zurückzuführenden Orten nur für wichtige, für
die Allgemeinheit interessierende schützende, bergende Orte verwendet, wie
bei Augsburg, Günzburg, Regensburg, auch Salzburg, (obwohl der römische
Name "Ivavo" nicht in den deutschen Namen aufgenommen worden ist), nicht
aber für befestigte Häuser von einzelnen Familien oder Führern, wie dies dann
später im Mittelalter der Brauch wurde. Im übrigen wurde "-burg" nur dort
bevorzugt verwendet, wo noch Bauwerke oder Ruinen aus der Römerzeit
vorhanden waren. "Burg" lässt sich bei alten Orten auch auf das lateinische
Wort "burgus" = Burg, Warte oder befestigter Platz zurückführen. Davon
Biburg, Burgham oder Burg allein. Dagegen erhielten die mittelalterlichen
Burgen oft die Bezeichnung "-Stein" wie in Traunstein oder Stein an der Traun
oder auch Burgstall, wenn es sich um einfache Erdbefestigungen handelte.
Der "Bürglstein" (444 m ü. M) in Salzburg mit dem römischen Gräberfeld im
Garten des "Arenbergschlosses" lag an der römischen Ausfallstrasse nach
Süden. Der Name ist abzuleiten von "burgulus" = kleine Burg oder kleine
Vorstadt", und "Arenberg" von "ara = Altar".
Dobl:
abgeleitet von Diabolus = Teufel, wurden Hohlwege und an solchen Wegen
liegende Gehöfte in der bayerischen Zeit öfter genannt. Diese tiefen
Einschnitte in die Landschaft waren Alt- oder Römerstrassen und waren für die
zugewanderten Baiuwaren - Keltogermanen unerklärlich, eben Teufelszeug. In
Unterangerberg bei Wörgl im Inntal heisst ein sehr tiefer uralter Hohlweg
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"Duifgrobn", was soviel wie Teufelsgraben heisst, dazu auch Dobl bei
Höslwang, Dobl bei Engelsberg, Dobl bei Haidbichl an der römischen
Innbrücke.
Graben - Gröben, Höll:
Die Wörter Graben - Gröben und Höll sind eindeutig deutsch, weisen aber
auch genauso wie Dobl auf mehr oder weniger alte Wege hin, wie z. B. Gröben
bei Taufkirchen, Graben bei Leonhardspfunzen, Graben bei Traunstein,
Graben bei Bernbichl, Gröben bei Übersee, Gröben bei
S. 232: Taching. Künstliche Einschnitte in die Landschaft wurden Graben, Gröben,
später auch Höll = Hohlweg benannt. Die zeitliche Einordnung ist nicht
möglich. Die Strassen können auch teilweise aus dem Mittelalter stammen.
Irs-, Irsch-, Urs-, Ursch-:
Diese Ortsnamen werden abgeleitet von "ursus = der Bär", sie wurden also
noch in der keltoromanischen Zeit geschaffen. Irsing bei Traunreut, Irschen in
Bernau, Irschenberg bei Bernau, Urschlag (Bach) bei Halfing, Urschalling bei
Prien. Gleichbedeutend wie ursus ist das keltische Wort "Art". In der
baiuwarischen Zeit wurde der Name mit "Bär" gebildet wie in Bernau,
Bernhaiming, Bernbichl.
Kampen-, Kampfen, Gumpert-:
Der Name kann gemäss Forschungsergebnissen am Brenner in Tirol vom
lateinischen Wort campus bzw. vom ladinischen Wort "camperi = Felder"
abgeleitet werden. Davon der Berg Kampenwand, die Ortschaft Kamping bei
Palling, Gumpertsham (von camperi) bei Trostberg, der Fluss Kamp in
Niederösterreich, Langkampfen bei Wörgl mit Verschiebung von "p" zu "pr'.
Chieming, Chiemsee, Kienberg:
Orts- und Bergnamen mit Kien- kommen in Bayern und Österreich
überraschend häufig vor. Die gängige Erklärung ist die Ableitung vom
"Kienspan" zur Beleuchtung, doch mit Sicherheit wäre unseren Vorfahren
nicht in den Sinn gekommen, Berge und Ortschaften in grosser Anzahl nach
dem banalen Kienspan zu benennen.
Muss "Chiem"-ing (und damit der Chiemsee) eine andere Herkunft als "Kien"-
berg haben? Ich denke nicht. Denn das "ch" im Wort Chieming wird ohne
Unterschied zu "Kien-berg" auch "Kieming" gesprochen und kann, wie vor
- 46 -
Jahrhunderten schon geschehen, genauso gut mit "k" geschrieben werden. Im
Mittelalter hat der Chiemsee "Kiemingsee" geheissen, womit eindeutig der See
auf die Ortschaft Bezug genommen hat und nicht umgekehrt. Der
namengebende Ort war Chieming und nicht das römische Seebruck und der
See hat seinen Namen vom Ort erhalten. Die Ableitung von "Kiemen" (eines
Fisches) oder vom Wort "Keim", wie die offizielle Version lautet, erscheint
genauso nichtssagend und wenig glaubhaft wie der Kienspan. Die Erklärung
des Namens von einem Gründer, einem "Grafen Chimo" wäre natürlich
bestechend, aber der hat leider nicht existiert. Eine andere Version wird von
Hellmut Rosenfeld in einem Artikel von 1988 vorgebracht. Er hat den Namen
Chieming von dem keltischen Personennamen Genebaudo, Gembaudo,
Kurzform Chiemo (?) = "Kämpfer für die Sippe" abgeleitet. Hat die sog.
Kurzform Chiemo, abgeleitet von der Langform tatsächlich in dieser Form
existiert? Der Chiemsee habe in der Römerzeit "Lacus Bedaium" geheissen,
wird manchmal vermutet, doch ist der Name schriftlich nicht verbürgt. Gerade
in Chieming sind die meisten dem Heiligtum Bedaium gewidmeten
Weihesteine aus der spätrömischen Phase gefunden worden. Es ist denkbar,
dass der See bereits in keltischer und römischer Zeit einen Namen hatte, aus
dem Chieming und Chiemsee abzuleiten wäre, doch tatsächlich ist sowohl der
antike Orts- wie der Seename unbekannt.
Meines Erachtens kommen die Namen "Kienberg" und "Chiem-ing" mit dem
"Chiem-see" von dem lateinischen Wort "cinis = die Asche". Da die
Aussprache von "c" wie "k" lautete, musste auch "cin"-is (ohne Endung) wie
"Kin" gesprochen werden. In einem Land mit noch riesigen Wäldern werden
Waldbrände nicht selten entstanden sein, die dann grosse Aschefelder
hinterlassen haben. Die Benennung der Kienberge und des Dorfes Chiem-ing,
das namengebend für den Chiem-see stand, musste noch in der ladinischen -
keltoromanischen Zeit vorgenommen worden sein. Die Namen bedeuten somit:
Kienberg = "Asche-Berg", Chieming = "das Dorf am (oder im) Aschenfeld"
und Chiemsee = "der See am Aschenfeld " " Vermutlich war ein riesiger
Waldbrand im Bereich von Chieming in der spätrömischen, noch
keltoromanischen Zeit so stark prägend, dass der zweifellos ursprüngliche
Hauptort am Chiemsee, Seebruck, bedeutungsmässig verdrängt worden ist.
- 47 -
Mit der Namenserklärung von Chieming als Dorf am Aschefeld gewinnt ein
erst kürzlich entdeckter Kometeneinschlag (Impact) im Chiemgau besonderes
Gewicht. In Chieming und im Chiemsee selbst sowie im nahen Tüttensee bis in
die Gegend von Marktl am Inn kommen die Einschlagskrater vor. Das Ereignis
ist noch nicht genau datierbar, könnte aber ca. 300 v. Chr. sich zugetragen
haben. Riesige Waldbrände waren
S. 233: die sichere Folge dieser Einschläge. Mit diesen Überlegungen würde sich die
Datierung dieser Ortsnamen ändern.
Die keltoromanischen Kien-berge und -orte sind vergleichbar mit den häufigen
Dorfnamen "Asch-au" aus der bereits deutschsprechenden Zeit. Davon Aschau
bei Kraiburg, bei Söchtenau, im Priental, in Berchtesgaden und mehrere Male
in Österreich. So ist der Übergang von der keltoromanischen Zeit zur
baiuwarischen Zeit auch in den Ortsnamen abzulesen, indem beide Namen oft
nahe beisammen liegen.
Lueg:
Diese Ortsnamen sind aus dem Lateinischen-Ladinischen (Südtirol) bzw. aus
dem Keltoromanischen abzuleiten, nämlich von locus = Ort, Platz, Gegend.
Davon Vachenlueg bei Grabenstätt, Vachenlueg bei Teisendorf, Lueg bei
Vogtareuth, Lueg am Brenner. Durch die Lautähnlichkeit könnte "Lueg" auch
mit dem keltischen "Lug" aus dem letzten Kapitel verwechselt werden.
Murn-, Mörn-, Mauer-:
Der Name kann vom lateinischen Wort "murus = Mauer" abgeleitet werden
und weist auf altes Römergemäuer hin. Es sind Orte, an denen noch ein
Gemäuer, etwas Ungewohntes für die Baiuwaren, zu sehen war. Davon
Mauerkirchen bei Endorf, Mörmoosen, Mörn (Bach), Murn (Bach), Mauer,
Mauerriedl, Mauerreuten bei Neukirchen am Teisenberg, Trischlmauer bei
Teisendorf, Mauerberg, Mauern bei Kienberg.
Parz-, Part-:
Die Namen werden abgeleitet von lateinisch "porta = Tor". Die Ortschaften
haben offensichtlich die Funktion eines Torwarts an der Zugangsstrasse zu
einem Siedlungsgebiet der Keltoromanen gehabt, vergleichbar mit dem
keltischen "durum". Davon Parzing bei Traunreut am Zugang zu den
Walehenorten an der Traun, Parting bei Schnaitsee, Parzham bei Altötting,
Grillparz bei Wien.
- 48 -
Truchtlaching:
Wegen der Lage des Dorfes bei den ersten Stromschnellen der Alz nach dem
Ausfluss aus dem Chiemsee, und in nächster Nähe einer Keltenschanze dürfte
eine sehr alte Besiedlung ziemlich sicher sein. Das Patrozinium der Dorf- und
Pfarrkirche mit St. Johannes dem Täufer deutet auf die Funktion einer
Taufkirche hin. Da in der spätrömischen Zeit, im 3.-5. Jahrhundert, die
keltische Sprache bereits vom Latein bzw. Vulgärlatein überlagert oder sogar
abgelöst war, muss nicht unbedingt der keltische Name des Dorfes überliefert
sein, auch wenn möglicherweise die keltische Bedeutung im lateinischen
Namen unterschwellig überlebt haben sollte. Der erste Teil des Ortsnamens
"Trucht"- ist entweder vom lateinischen Wort "trunc-us = Baumstamm,
Balken" oder von "trux, (trucis) = wild, grimmig" abgeleitet. Der zweite Teil
des Ortsnamens "lach" wird vom lateinischen Namen "lac-us = Wasser,
Gewässer, See" gebildet. Das bayrische Wort Lache, Lacke ist dem
lateinischen lacus entlehnt. Der dritte Teil des Namens, "-ing", bedeutet auf
deutsch, soviel wie "die Leute bei" bzw. "das Dorf am".
Die Alz von Seebruck bis Truchtlaching besitzt nur ein geringes Gefälle und
kann beinahe als stehend bezeichnet werden. Im Gegensatz dazu hat der
nachfolgende Abschnitt von Truchtlaching bis Altenmarkt mit zahlreichen
Stromschnellen beinahe schon Wildwassercharakter. Die Gesamtbedeutung
von Truchtlaching ist also "Das Dorf am wilden Wasser, an den
Stromschnellen" oder "Das Dorf am Gewässerverbau", Balkenverbau am
Gewässer. Damit ist nicht eine Brücke (oder Furt) gemeint, sondern der
Verbau der ersten Alz-Stromschnelle, die vermutlich schon immer zur
Förderung und Erleichterung des Fischfangs mit Baumstämmen (Balken)
verbaut war. Tatsächlich hatte das Ortsadelsgeschlecht der Truchtlachinger im
Mittelalter einen fliegenden Fisch in ihrem Wappen, was auf die springenden
Fische an Stromschnellen und damit auch auf die Haupteinnahmequelle der
Adeligen, den Fischfang, hinweist.
S. 234: Ortsnamen der germanischen, arianischen Söldner und
Konföderaten
Brunn-Orte:
Da Brunnen zu jedem Gehöft und zu jeder Ortschaft gehören und im
- 49 -
Voralpenland noch nie Mangel an Wasser herrschte, ist dieser Name kein
Unterscheidungsmerkmal von verschiedenen Ortschaften. Dagegen war
"Brunn" ein gängiger Ausdruck (bis in die heutige Zeit) für ein Taufbecken,
auch für ein Becken mit Weihwasser in der Kirche und auch als kleines Gefäss
am Eingang zu jedem Haus. Noch heute heisst der kleine Weihwasserkessel im
Haus "Weihbrunn". Die Taufe spielte bei den Arianern eine überragende Rolle,
da sie der bewusste Akt und das sichtbare Zeichen für die Zugehörigkeit der
arianischen Gläubigen zu dieser Religionsrichtung war, weswegen unter den
Brunn- Orten die Ansiedlungen von arianischen Germanen zu vermuten sind.
Sie liegen gerne nicht weitab von alten römischen oder keltoromanischen
Siedlungen. Bekannte Orte sind Ober- und Niederbrunn bei Pittenhart,
Weisbrunn bei St. Georgen, Ottobrunn bei München, Tyrlbrunn bei Trostberg.
"ham"-Orte:
Diese Gruppe ist sehr umfangreich und wird von den Sprachwissenschaftlern
gerne zeitlich nach den -ing- Orten eingereiht. Ich glaube nicht, dass diese
Zuordnung richtig ist. Die Orte liegen häufig in Gruppen beisammen, immer in
offenen Landschaften, die schon von Alters her gerodet waren oder nie
bewaldet waren wie in den Flusstälern, oder in der Nähe von anderen noch
älteren keltisch-römischen Siedlungen. Sie haben in den seltensten Fällen
einen grösseren Umfang und besitzen häufig keine Kirche, zumindest keine
sehr alte in ihrer Mitte. Ihr Grundwort ist meistens schwer zu erklären, da es
teils personenbezogen und teils auch nicht ist.
Das angehängte -ham bedeutet "das Heim des ... ", ist also germanisch. In
England gibt es eine grössere Anzahl von Orten mit -ham, die auf die
eingewanderten Angeln und Sachsen zurückgehen. Vermutlich waren die -
ham-Orte Gehöfte oder Dörfer von germanischen Einzelzuwanderern, von
Familien germanischer Söldner, von einzelnen Mitgliedern einer
Föderatengruppe, also von Verbündeten der Römer. Diese Germanen waren
häufig Angehörige von ostgermanischen Stämmen wie der Goten, Vandalen
oder Langobarden und damit christliche Arianer und nur manchmal vielleicht
noch "Heiden". Sie hielten noch sehr lange, Jahrhunderte lang, wie das
Beispiel der Langobarden in Italien, der Burgunder in Frankreich und der
Westgoten in Spanien zeigt, zu ihrem arianischen Glauben. Meistens brauchten
sie keine Kirchen, sondern nur Taufstätten, und tatsächlich haben die meisten
- 50 -
Orte auch heute noch keine Kirche. Insgesamt weiss man sehr wenig vom
praktischen Arianismus.
Heid-, Haid:
Der Name ist wahrscheinlich deutsch, weist jedoch auf einen altbesiedelten Ort
hin. Vermutlich wurden die Bewohner eines heidnischen, das heisst
nichtchristlichen Dorfes von den umgebenden christlichen Dörfern so
bezeichnet. Eine Heide als Flurbezeichnung ist in den genannten Orten nicht
denkbar.
Haidbichl am Innübergang, Haid bei Söchtenau und Vogtareuth, Heidenpoint
bei Freilassing.
Die "-stätt"-Namen:
Sie deuten darauf hin, dass bei der Neubesiedlung mit germanischen Familien
an dieser Stelle schon etwas vorhanden war, eben eine Stätte mit einem
markanten Zeichen. Das Wort selbst ist deutsch. Eggstätt wurde im letzten
Kapitel erklärt. Erlstätt mit einem Erlengestrüpp (bei den römischen Ruinen).
Grabenstätt (älteste Schreibweise Crapnastat) mit einem grossen Graben, also
einem markanten Strassenhohlweg. Die Anbindungen von Grabenstätt an die
bei den Römerstrassen, im Bereich Vachendorf im Osten und im Bereich
Bergen im Süden sind ja tatsächlich nur über Gräben-Hohlwege erreichbar
gewesen. Alle Stetten-Orte liegen im engeren Einzugsbereich von Alt- oder
Römerstrassen und weisen auf irgendwelche markanten Merkmale hin oder
stellen einfach, ohne nähere Bezeichnung, einen zur Zeit der baiuwarischen
Einwanderung bemerkenswerten Platz dar. Es ist kein -stätt- Ortsname
bekannt, der mit einem Personen- bzw.
S. 235: Eigennamen zusammengesetzt ist. Er würde auch keinen Sinn ergeben.
Öd- oder Ed-Orte:
Sie liegen alle nicht allzu weit von den römischen Strassen und Siedlungen
entfernt. Der Name stammt entweder vom keltischen Sonnengott Aed her, wie
im Kapitel über die Namen dargelegt wurde oder die Orte waren verwüstete,
verödete, ausgestorbene oder aufgegebene Gehöfte, vor allem Villen etc. aus
der Römerzeit, die dann von den germanischen Einzelzuwanderern wieder neu
besiedelt worden waren. Der Name würde dann vom deutschen Wort "öde =
leer" kommen.
- 51 -
Hien-, Hirn-, Kirn-, Kürn-, Kron-, Krai-, Grien-Orte:
Die Ortsbezeichnungen gehen vermutlich auf das germanische Wort "Hring" =
Befestigung zurück. Die Ortsnamen Krinning bei Trostberg, Grünweg bei
Seeon, Hirnsberg bei Endorf lassen das alte Wort "hring" noch gut erkennen.
Auch die Ableitung der "Kron"-Orte wie Kronberg bei Höslwang, Kronberg
bei Bergen, Kronstauden bei Prutting, sowie der "Krai"-Orte wie Kraimoos bei
Erlstätt, Kraiburg am Inn ist aus "hring" nachvollziehbar.
Die Tauf- und die -kirchen-Orte:
Sie zählen wahrscheinlich auch zur Gruppe der germanischen Arianer-Dörfer.
Sie treten im Norden von Trostberg und im Landkreis Mühldorf recht gehäuft
auf, aber auch weit darüber hinaus. z. B. Taufkirchen (öfters), Neukirchen am
Teisenberg, Oberneukirchen, Unterneukirchen, Burgkirchen, Rattenkirchen,
Peterskirchen, Rampertskirchen (ohne Kirche) bei Kienberg und noch viele
andere. Vermutlich zählten diese Dörfer zu den sehr spät zum katholischen
Glauben übergetretenen Ortschaften im Voralpenland. Lässt sich dies damit
erklären, dass dieses Gebiet als das Trozza-Gebiet angesehen wird? War dieser
baiuwarische Teilstamm bereits arianisch, also nicht mehr heidnisch wie die
Mehrzahl und besonders hartnäckig im Festhalten an ihrem arianisch-
christlichen Glauben?
Weis-, Wies-, Weichs- Orte:
Auch diese Namensgruppe kann zum arianischen Kreis der Ortsnamen gezählt
werden. z.B. Weisham und Weisbrunn, beide bei St. Georgen im Trauntal
gelegen. Die Dörfer wurden von ihren Nachbarn, den keltoromanischen
katholischen Walchen-Dörfern mit ihrem kirchlichen Mittelpunkt St. Georgen
zur Unterscheidung so genannt. Weisham bei Eggstätt liegt ebenfalls im alten
Rodungsgebiet der Römerzeit.
Weihe, Weichs, Wiechs ist das gotische Wort für das jetzt im Deutschen
gebräuchliche Wort "Heilig" oder das lateinische Wort "Sankt". Manchmal
wird der Name abgeleitet von lateinisch "vicus = Dorf". Weihenstephan bei
Freising = "Sankt Stefan", Weihmichl = Heiliger Michael, Wajon bei
Tacherting von "Weihe-Johann" = "Sankt Johann" (ein Taufort an der Alz).
Weisham wäre somit ein heiliger Ort, vielleicht der Ort eines arianischen
Priesters, im Gegensatz zum katholischen Priester in St. Georgen und in
Eggstätt (beide mit dem Patrozinium St. Georg). Die Namen Weiss bei
- 52 -
Taufkirchen, Weichs, Weichslehen bei Engelsberg, Weichselbaum und
Weichslbad bei Schonstett, Weissachen bei Bergen, Beiderwies, Wollwies
(=Walche), vielleicht auch Weiher in bestimmten Fällen wie in Höslwang und
Schonstett gehen auf dieses "Weihe" zurück. Diese Orte dürften besonders
typisch für die (gotischen) Arianer sein.
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Mächtiges Rom (Bergisch Gladbach 1986)
Römer zwischen Alpen und Nordmeer (Mainz 2000)
Die römische Stadt Colonia Ulpia Traiana Xanten
Carinthia Romana - Festschrift für Gernot Piccottini (Klagenfurt 2001)
Via Claudia Augusta (Landsberg 1998)
Über die Alpen (Stuttgart 2002)
Bajuwaren, Germanen
Archäologie und Felsbildforschung (Liezen 1999) Wer waren die Baiuwaren?
(München 1988)
Die Bajuwaren - Ausstellungskatalog (Salzburg / Rosenheim / Mattsee 1988)
Archäologie beiderseits der Salzach (Salzburg 1996)
Josef Bauer, Die Ortsnamen des Bezirks Laufen (Traunstein 1932)
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Dieter Berger, Geographische Namen in Deutschland (Mannheim 1999)
Rainer Christlein / Otto Braasch, Das unterirdische Bayern (Stuttgart 1998)
B. Eber!, Die bayerischen Ortsnamen (München 1925)
Karin Feuerstein-Prasser, Europas Urahnen (Augsburg 1999)
S. Fischer-Fabian, Die ersten Deutschen (Locarno 1975)
Franz Glaser, Ostgotisches Militär in Kärnten (Klagenfurt 2003)
Ferdinand Khull, Deutsches Namenbüchlein (Berlin 1930)
Michael Kollmer, Wesenszüge des Bairischen (Prackenbach 1985)
Ferdinand Kramer, Oberbayern - Grundzüge (München 1994)
Lore Kufner, Getaufte Götter (München 1992)
Wolf-Armin Frhr. v. Reitzenstein, Lexikon bayerischer Ortsnamen (1991)
Hans Riehl, Die Völkerwanderung (München 1988)
Wilfried Menghin, Frühgeschichte Bayerns (Stuttgart 1990)
Wilfried Menghin, Die Langobarden (Stuttgart 1985)
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