Unverkäufliche Leseprobe des Ullstein Verlages · Inhalt Dramatis Personae 11 Kapitel i Die Rose...

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Peter Berling

Das Kreuzder Kinder

Roman

Ullstein

Ullstein VerlagDer Ullstein Verlag ist ein Unternehmen des Verlagshauses

Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG

ISBN 3-550-08404-8

Copyright © 2002 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehaltenGesetzt aus der Sabon und Amigo bei

Franzis print & media, MünchenDruck und Bindung: Pustet, Regensburg

Printed in Germany

Inhalt

Dramatis Personae 11

Kapitel iDie Rose von Cailhac 15

Im Wald von Farlot 27Der brennende Turm 38Der Galgenbaum 51Die Schwester des Inquisitors 58

Kapitel iiWind des Aufruhrs 73

Die Vision des Hirtenjungen 76Die Nacht von Rochefort 93Niklas der Scharer 101Die Saat geht auf 115

Kapitel iiiAuf nach Jerusalem 125

Einem Lindwurm gleich 125Ripke die Ratte 134Die Kutsche der Hofdame 146Die Ahnungslosigkeit der Feldmäuse 152Sturm auf den Hafen 154

Kapitel ivIm Fegefeuer 159

Der Königsritt 162Das Wunder von Marseille 184Über die eisige Klinge 226

Kapitel vTrügerisches Meer 255

Das Wunder von Marseille 261Im Bann des Ringes 272In den Klauen des Teufels 300Die Gunst des Großwesirs 314Die Güte des Monsignore 328

Kapitel viDer Ring schließt sich 333

Einsichten einer jungen Jüdinangesichts der Großen Hure Rom 335Die Mißgunst der Templer 350Die scharfen Messer des Chirurgos 354Der große Sklavenmarkt von Bejaia 376Verschämte Notiz des Murabbi al-Amir 382

Kapitel viiAllahu Akbar 389

Durch das Bab Zawila 392Der große Sklavenmarkt von Bejaia 400Ein Winter in Iffriqia 426Der Brief zum Abschied 454

Kapitel viiiDie Pforte zum Paradies 457

Der Hafen der Weisheit 461Die Schlüssel von Jerusalem 472Das Herz des Emirs 478

Epilogos 483

Anhang 489

Nachwort: Zur historischen Lage zu Beginn des 13. Jahrhunderts 491Quellen und Dank 503

DRAMATIS PERSONAE

aus Deutschland (1212)

Nikolaus (14), genannt Niklas, armer Leute Kind aus derUmgebung von Köln, der sich zum Führer eines deut-schen Kreuzzugs aufschwingt (›der Heiler‹).

Richard van de Bovenkamp, genannt Rik (17), Söldneraus dem Niederrheinischen, Romantiker, der eigentlichDombaumeister werden wollte.

Oliver von Arlon (16), sein Compán, Söldner aus demArdenner Wald, verarmter Rittersohn, mit starkemHang zur Medizin.

Irmgard von Styrum (16), adlige Tochter aus der Eifel,hochgeschossen und knochig, recht männlich (›Armin‹).

Karl Ripke auf Röpkenstein (23), deutscher Söldnerfüh-rer (Capitán), typischer Skinhead.

Randulf (13), ein tapferer Krüppel aus Köln, aus begü-tertem Hause verstoßen.

Dörte (15), blindes Mädchen mit großem Herzen, seineSchwester.

Miriam (14), junge Jüdin aus Speyer.Jacov (17), ihr Verlobter aus Worms.

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aus Frankreich (1212)

Stephan (12), Hirtenknabe aus dem Orléanais, schlichtesGemüt, visionsgeplagt mit naivem Sendungsbewußt-sein; nennt sich ›Gottes Minderer Prophet‹.

Melusine de Cailhac (15), Adelige aus dem Languedoc,energische, selbstbewußte Waise, wächst auf Hautpoulim Orléanais auf.

Elgaine d’Hautpoul (18), Halbschwester der Melusine.Hofdame der Königin Constanze von Aragon (Frauvon Friedrich II.) in Palermo.

Luc de Comminges (17), Domenikaner-Novize aus okzi-tanischem Geschlecht; der spätere ›Vicarius Mariae‹.

Pol de Morency (15), Waisenknabe bäuerlicher Herkunft(sein Vater Mas wurde bei der Eroberung von Bordàsgehenkt).

Étienne (14), Straßenjunge von Saint-Denis, geschickter,leichtsinniger Dieb.

Blanche (13), Straßenmädchen in Saint-Denis, seineFreundin.

Daniel (16), der ernsthafte Halbbruder Étiennes, schrift-kundiger Meßdiener in St-Denis, der spätere ›LegatusDomini‹.

Alekos (19), Grieche, Schankknecht in der Hafentavernevon Marseille, verkannter Poet.

Der ›Eiserne Hugo‹ und ›Guillem das Schwein‹ (Gugliel-mus Porcus), zwei Händler aus Marseille.

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in Iffriqia (1221/22)

Kazar Al-Mansur (29), Emir von Mahdia.Karim (9), sein Sohn, Karim Ibn Kazar Al-Mansur.Moslah, der Majordomus des Emirs von Mahdia, der

Baouab.Samir, blinder Märchenerzähler, der Haqawati.Mustafa, stummer Schreiber von Liebesbriefen, der Shaar.Ma’moa, sudanesische Amme.Aisha, Aisha, Tochter von Ma’moa.Abdal der Hafside, Sklavenhändler mit Sitz in Tunis und

Landsitz in El-Djem.Marius von Beweyler, Minorit aus der Eifel im Dienst des

Hafsiden, der Bou Kitab (Vater der Bücher).Hedi Ben Salem, Oberhofkämmerer des Sultans von Mar-

rakesch, der Ouazir al-Khazna.Ahmed Nasrallah, Obereunuch von Tunis, der Kabir at-

Tawashi.›Hadj‹ Zahi Ibrahim, Schriftgelehrter in Tunis, jüngerer

Bruder des Mufti von Tunis.

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Historische und sonstige Figuren (1212)

Papst Innozenz III.Philipp II. Augustus, König von Frankreich.Blanca v. Kastilien, seine Frau.Peter II., König von Aragon, Lehnsherr in Okzitanien.Friedrich II. (18), König von Sizilien und Deutschland

(›der Staufer‹).Constanze von Aragon (28), seine Frau.Murad, der Erzieher des Staufers in Palermo, der Mu’al-

lim.Soufian al-Iskanderi, Arzt am Hofe von Palermo.Taufiq Almandini, Arzt am Hofe von Palermo.Lotfi, arabischer Hofjuwelier in Palermo.Armand de Treizeguet, unbestimmten Alters, mysteriöser

Ritter, später als Gesandter Friedrichs II. beim Sultanvon Kairo, der Chevalier.

Gilbert de Rochefort (37), Inquisitor; Agent des päpstli-chen Geheimdienstes. Die Familie stammt aus derChampagne, der Monsignore.

Marie de Rochefort (27), eine Hofdame der Königin vonFrankreich und Schwester des Gilbert de Rochefort.

Timdal, Page der Marie de Rochefort, der Mohr.Fakhr ed-Din, Neffe des Großwesirs von Kairo.Ezer Melchsedek, jüdischer Kaufmann und Gelehrter,

Vertrauter des Großwesirs.

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Kapitel i

Die Rose von Cailhac

Er schnellt aus der Hocke hoch. Sie haben ihn seiner Bein-kleider beraubt, doch er achtet nicht auf seine Blöße, reißtseine Handgelenke aus der Umklammerung ihrer Fäuste,schleudert seine Wächter hinter sich – und ehe sie ihreDolche zücken können, ist er über die Reling gehechtet,ins schimmernde Blau des Meeres, das hier gegen die steilaufragenden Felsen der Küste mit wilder Gischt brandet.In der schummrigen Tiefe ist es still. Im Sprung hat er tiefdurchgeatmet, so daß er sicher sein kann, eine der Grot-ten zu erreichen, in denen das Licht der Sonne Luft undFreiheit verheißt. Unter Wasser greift er behutsam hintersich, zwischen die eigenen Arschbacken, und bringt dasKleinod zum Vorschein, um dessen Rettung es ihm geht.Sofort taucht sie auf, aus den dunklen Abgründen derSee. Er kennt das Gesicht, obgleich er es nur einmal inseinem Leben erblickt hat. Ihre Augen sind spöttischlächelnd auf ihn – der keine Hosen trägt – gerichtet, siestreckt ihre Hand aus, verlangt den Ring von ihm. Ihrkann er ihn nicht verweigern; doch so sehr er sich auchmüht, es gelingt ihm nicht, sie zu erreichen, auch nur ihreFinger zu berühren – sie sinkt in die Tiefe. Lockend, ver-heißend fordert sie ihn auf, ihr zu folgen, in die Finster-

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nis, wohin kein Sonnenstrahl mehr dringt. Sein bleischwe-rer Körper verweigert sich, drängt nach oben, als habeein guter Djinn ihn in einen leichten Korken verwandelt.Der pressende Druck auf seinen Kopf löst sich, ihm wirdimmer heller vor den Augen – der Ring entgleitet seinenFingern – – seiner Erinnerung – –

»Rik, lieber Freund, was soll ich meinem Sohn sagen?«Der warme Tonfall geleitete ihn behutsam zurück in dieGegenwart, das Traumbild verblich. »Immer öfter dringter in mich – mit Fragen nach seiner Mutter«, fuhr dieStimme besorgt fort.

Der Angesprochene lächelte gequält. Es war nicht daserste Mal, daß diese Schale der Bitternis an ihn weiterge-reicht wurde. Dabei riß solches Begehren auch bei ihm eineWunde wieder auf, mit der zu leben er sich gewöhnt hatte– auch wenn sie sich nicht schließen wollte. Rik van deBovenkamp schaute den Mann neben sich nicht an, son-dern starrte in das flammende Abendrot. Das Glühen dergewaltigen Scheibe drohte, ihm das Augenlicht zu blenden.Er ließ seinen Blick abschweifen in die wild getönten Wol-kenbänke zur Linken, weg von dem ins Dämmerlichtgetauchten Land hinaus auf das Meer. Die sich rasch überden Horizont senkende, samtene Dunkelheit gab ihm dieRuhe wieder. Aber mit ihr stieg jenes Sehnen nach einerFerne auf, das nur in der Nacht sich einschlich, ihn überMeer und Berge in die dunklen Wälder seiner Jugend ent-führte. Beim Licht des Tages hatte Rik schon lange seinenSinn gen Mekka ausgerichtet, irgendwo jenseits der Wüste.Herkunft, Vergangenheit, alles lag weit hinter ihm, zer-fetzte Nebelschwaden in seinem Rücken. Sein harter Schä-del war früh ergraut, das kurzgeschnittene Haar hatte –beginnend an den Schläfen, das einstmals helle Blond ver-gessen – dabei war er noch nicht einmal Dreißig.

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Sein Begleiter trat zwei Schritte zur Seite, um denFreund die bedauerliche Kluft spüren zu lassen, ihn inZugzwang zu bringen. Rik mußte nicht hinschauen, umden stillen Vorwurf im bronzefarbenen Gesicht des fastzehn Jahre älteren Emirs vor Augen zu haben. DessenBlick schien sich in den Felsen des Kaps zu verlieren, diesich in der rasch fallenden Nacht auflösten.

Bald würden die weißgetünchten Steine auf dem Grä-berfeld im Licht der Mondsichel aufscheinen wie gestürz-te Sterne, zu Silberbarren erfrorene Glühwürmchen,dachte Rik. Sie wußten beide, wer dort unter einem derSteinhügel lag, zu Füßen der Mauerkrone, auf der sie stan-den. Er trat zu dem trotzig Trauernden und legte ihm sei-nen Arm um die Schulter.

»Erwartet nicht von mir, daß ich es Karim erkläre, daswürde meine Position als Vorbild gewaltig ins Wankenbringen – und ihn gewiss erschüttern.« Rik holte Atem,bevor er heiser weitersprach: »Als ›Murabbi al-Amir‹, derverantwortliche Erzieher des Knaben, muß ich – «

Hier unterbrach ihn der Emir sanft, aber bestimmt:»Ichwill selber derjenige sein, der es ihm behutsam beibringt,aber von dir, Rik, erwarte ich, daß du mich endlich mit derWahrheit versorgst. Als mein Freund –«, setzte er noch hin-zu und ließ das Wort in der aufkommenden Brise stehen.

Unterhalb des Hangs, der leicht gewellt zum schwarz-en Mauerband abfiel, blinkte der Spiegel des scharfkan-tig in den Felsen geschnittenen Hafenbeckens auf. DieMondsichel hatte es erreicht, der Wind frischte stärkerauf und kräuselte die Wasserfläche. Der Hafen laggeschützt hinter den Mauern von Mahdia, die schmaleDurchfahrt mit zwei Türmen bewehrt, einst sogar voneinem Mauerbogen überspannt. Doch der war einge-stürzt, eine schwere Eisenkette ersetzte das Gittertor. DasFelsenkap, das sie gern ›Horn von Iffriqia‹ nannten, rag-

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te wie ein Dolch in das blauschwarze Meer. Wellenkäm-me bildeten sich, ein leises Rauschen setzte ein, die erstenSturmböen sprangen über die Zinnen, fegten pfeifenddurch die Schießscharten.

Der Emir schob Rik jetzt entschieden in Richtung desTreppenabgangs im Turm, doch dem lag mehr daran, sei-ne Rolle klarzustellen, ebenso freundlich wie entschieden.

»Euch zuliebe, Kazar Al-Mansur, will ich es auf michnehmen, alles noch einmal zu erleben, was vor neun Jah-ren geschah.« Er genoß seinen gestöhnten Seufzer. »Dochmacht Euch keine Illusionen, von dem, was Ihr zu wis-sen begehrt, kann ich Euch nur wenig bieten – karge Kost,gerade mit einigen Mutmaßungen garniert, Wolkenfetzenvon Knabenträumen, kindliche Hoffnungen hinter denSchleiern des fast Vergessenen –«

»Bevor deine poetische Ader dir weitere Streiche spieltoder du plötzlich einsetzende Altersvergeßlichkeit vor-schiebst, lieber Freund, – « Der Emir war auf den Stufenstehengeblieben und hatte Rik mit beiden Händen an denArmen gepackt. Aus seinem dunklen Gesicht leuchtetenim Widerschein der Fackel die erstaunlich hellen Augenauf –, »will ich dich darum bitten, alles vor mir auszu-breiten, wie einen Schatz, den du mit dem Freunde teilst.«

Rik flüchtete sich in Sarkasmus: »Dann zieht diesmaleinen Schreiber hinzu.« Er hatte sich immer gegenGefühlswallungen gewehrt. »Denn es ist ja nicht das ersteMal, daß Ihr mich befragt und ich Euch Rede und Ant-wort stehe –«

»Diesmal will ich nicht fragen, sondern du sollst in denBrunnen der Vergangenheit hinabsteigen, unerschrockenund aus freien Stücken!«

»Das hab ich mir immer gewünscht!« spottete Rik.»Einen dichtenden Sklaventreiber! Ein als Troubadourverkleideter Folterknecht!«

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Der Emir nahm es grinsend hin. »Auf seinem Landsitzbei El-Djem beschäftigt Abdal, der Hafside einen christ-lichen Mönch als Gärtner. Der sollte schreiben können!«

»Zu hoffen ist, daß es jemand lesen kann«, scherzteRik, »Klosterbrüder sind meist nur unbedarfte Kopisten,aber selten begabte Chronisten, das heißt rascher Auf-nahme ebenso fähig wie Meister der hurtigen Feder!«

»Wir werden ihn prüfen, belohnen oder zum Teufeljagen!«

Rik sah, daß er sich nicht mehr herauswinden konnte.Sie waren am Ende der Wendeltreppe angelangt und tra-ten hinaus in einen der Innenhöfe des großen Palastes.Die Wachen sprangen eilfertig hinzu und nahmen demEmir die Fackel ab, traten dann aber ehrerbietig zurück.

Rik unternahm einen letzten Anlauf. »An Ansporn habtIhr nichts vermissen lassen, edler Kazar, noch mangelt esmir an Wissbegierde, in der Zisterne meiner abgestande-nen Jugendjahre nach verlorenen Schätzen zu fischen –«Er legte ums andere Mal einen tiefen, Mitleid heischendenSeufzer ein. »Mir fehlt die Übersicht, der Gesprächspart-ner im Erinnern. Ich fühle mich als Schiffbrüchiger in denWellen des Meeres.« Die Vergeblichkeit seines Bemühensvor Augen, steigerte er dennoch seinen Ausdruck. »Esüberkommt mich wieder die niederschmetternde Erfah-rung dumpfer Ohnmacht am Rande der Selbstaufgabe,aus der mich nur der Überlebenswille meiner Schicksals-genossen rettete, der gemeinsame Kampf an der Seite desverschollenen Gefährten –«

Der Emir lächelte: »Ich habe mich – im Gegensatz zudir, Richard van de Bovenkamp, in deine Lage versetzt.So ist es mir gelungen, deinen treuen Gefährten Oliverausfindig zu machen.« Wenn er stolz war auf seine Lei-stung, wußte er dies mühelos zu verbergen. »Aus ihm istein guter Arzt geworden, der zu Nefta, hinter dem Schott

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el-Djerid, am Rande der Sahara, seine Heilkunst in denDienst der unwissenden Nomaden stellt« Die Stimme desEmirs verfiel jetzt doch in den Tonfall eines Festredners,der bei aller Lobpreisung des zu Ehrenden die eigenenVerdienste nicht zu kurz kommen ließ. Rik hörte nur diezuschnappende Falle. Schließlich hatte er sie sich selbstgestellt. »Sein exzellenter Ruf ist bis zu mir gedrungen,ich habe für dich Nachforschungen angestellt und ihn bit-ten lassen, uns hier mit seiner Anwesenheit zu beehren.Der berühmte Ali el-Hakim sollte bereits auf dem Wegnach Mahdia sein.«

Rik umarmte den Emir und verabschiedete sich. ZweiWachen leuchteten dem ›Murabbi al-Amir‹ seinen Wegüber den Vorhof zum Qasr al-Ibn, dem Palais des Soh-nes. Eigentlich war es recht undankbar von ihm, nichtmehr Freude über das bevorstehende Wiedersehen mitOliver von Arlon zu zeigen – Freude, die Rik erst jetztrichtig verspürte, als er sich in seine Gemächer begab. Siesollte gewiss stärker sein als alle Bedenken und Skrupel,die aufkommen mochten, wenn er bedachte, was bei einersolchen Entblößung des eigenen Verhaltens in der so weitzurückliegenden Geschichte zutage treten könnte. Riksuchte und fand den Schlaf, der es ihm ersparte, weiterdarüber zu grübeln.

Der Emir lag noch lange wach. Er machte sich heftigeVorwürfe. Nicht, daß er den Freund nunmehr soweitgedrängt hatte, daß der keine Ausflüchte mehr fand. Daswar ein Spiel, das er hatte gewinnen müssen. Rik war keinSklave, sondern längst ein freier Mann und aus freienStücken war der Deutsche geblieben. Er hatte seinemGlauben nicht abschwören müssen, und dennoch hatteKazar Al-Mansur ihm, dem Christen, die Erziehung sei-nes, ihres Sohnes anvertraut. Und jetzt stand sie wiederleibhaftig vor ihm, er hatte ihr Bild beschworen, weil ihm,

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dem Kleinmütigen, sein Wissen nicht genügte, das mit demAugenblick einsetzte, in dem er Melusine zum ersten Malgesehen hatte, und das damit enden sollte, daß er sie zuseiner Frau machte. Sie war unberührt, gewiß, aber sie hat-te bis dahin ein Leben voller Abenteuer, Versuchungen undGefahren geführt, allein auf sich gestellt, wie es für ein jun-ges Mädchen in seiner Welt unvorstellbar war! Er hattesich felsenfest vorgenommen, nie Eifersucht auf Rik undalle anderen aufkommen zu lassen, die diese Zeit mit ihrgeteilt hatten, bevor er sie in seine Arme schloss, doch die-ses nagende Nicht-Wissen, dieses Ausgeschlossensein hat-te ihm eine Unsicherheit zurückgelassen, unter der er wieein Hund litt, auch wenn er sie immer wieder beiseitegewischt hatte.

Melusine konnte er nicht mehr fragen, die so heißbe-gehrte Fremde war bei der Geburt ihres, seines SohnesKarim im Kindbett gestorben. Kazar hätte mit der Erin-nerung an die kaum Gezähmte leben können, an dieWechselbäder zwischen der sprunghaften Leidenschafteiner Gepardin, ihrem tobenden Widerstand, der Glutihres herrischen Verlangens, das erst in Zärtlichkeitumschlug, als Allahs Ratschluß schon gefällt war. WenigRaum und wenig Zeit blieb dem Auskosten dieser Liebe.Der Todesengel würgte, ertränkte den geliebten Leib inseinem Blut, kaum, daß ihm der Sohn entstiegen. Dochdann, als sie schon mild und gefaßt ihrem unausweichli-chen Verbleichen entgegendämmerte, war Rik zu ihrgetreten, und sie hatte ihre Augen noch einmal aufge-schlagen und ihm ein Lächeln geschenkt, das ihm, Kazar,nie vergönnt gewesen – und damit war sie verschieden.

Wie oft war er des Nachts schweißgebadet aufgefah-ren, nur von der bohrenden, sich im endlosen, dumpfenTrommelrhythmus wiederholenden Frage besessen, wases war, das ihr dieses Lächeln auf der Schwelle zur Todes-

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pforte abgewinnen konnte. Wäre sie eine gläubige Mus-lima gewesen, hätte er sich mit ihrem Eintritt ins Para-dies trösten können. Aber die verbliebene Frist auf Erdenhatte es nicht mehr gestattet, Melusine in die Weisheitendes Korans einzuweisen. Die Worte des Propheten warenihr fremd geblieben. Zu spät war es für Vorwürfe, sinn-los war ihm alles damals erschienen. Rik konnte er nichtbefragen, wahrscheinlich wußte der Deutsche es selbernicht – wenn ihm die Besonderheit des Augenblicks über-haupt bewußt war. Das Geheimnis mußte in derGeschichte des kurzen, langen Weges liegen, den alleBeteiligten gegangen waren, gemeinsam, getrennt unddoch vereint in der Suche – wonach? Der Emir erhob sichnoch mitten in der Nacht, warf sich zu Boden und bete-te um Frieden für seine Seele.

Rik erwachte mit dem ersten Sonnenstrahl, noch be-vor ihm am Morgen Karim gebracht wurde. Der Knabeverbrachte die Zeit der Dunkelheit im Palais seines Vaters.Mit seiner feierlichen ›Sin ar-Rushd‹, der Volljährigkeit,würde sich das ändern. Karim konnte es kaum erwarten.Trotz des sandelholzfarbenen Teint seines Vaters,gemahnte der hübsche Junge in vielem an die Mutter. Viel-leicht lag in dem Reiz der Haut ein Teil des Zaubers, demMelusine alsbald erlegen war. Karim mußte ein Kind derLiebe sein, daran wollte Rik auch nicht mehr rütteln.

»Mein Herr Vater geht eh zu Bett, wenn ich schon ein-geschlafen bin«, beklagte sich Karim, »er nimmt sichnicht mehr die Zeit, mir die Gute-Nacht-Geschichte zuerzählen.« Der Prinz unterließ es, mit dem Fuß aufzu-stampfen. »Also ohne ›Qissid tisbah alakheir‹ kann ichauch gleich zu dir umziehen! Oder nenn mir einen Grund,der dagegen spricht?«

Rik war als Erzieher gefordert. »Weil der große El-Mahdi den Brauch so eingeführt hat!« entfuhr es ihm

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dennoch schroff, denn die Beschwerde kam nicht das ersteMal, »außerdem ist dein Vater glücklich, dich bei sich zuwissen. Oft steht er dann des Nachts vor deinem Lagerund wacht über deinen Schlaf –«

»Weil ich keine Mutter habe!« kam prompt das The-ma hoch, das auch Rik gern mied. »Sie hat er nichtgeschützt, sondern sie verbluten lassen –« Diese Anklagewar neu, er mußte ihr sofort entgegentreten.

»Karim!« sagte er streng. »Wer hat dir diesen Unsinnbeigebracht –, leichtfertig oder bösartig?«

»Der Majordomus!« entgegnete der Knabe trotzig.»Und der Baouab hat recht, denn so ist es auch gewesen!«

Rik nahm sich Zeit. Er mußte den Emir aus der Schuß-linie bringen und durfte den sensiblen Knaben nicht überGebühr in Verwirrung stürzen, denn sonst hätte sichKarim am Ende gar selbst die Schuld am Tode seiner Mut-ter gegeben. Er konnte also nicht einfach sagen, daß esauch – und wahrscheinlich in erster Linie, um sein, desSohnes Leben gegangen war.

»Dein Herr Vater hatte die besten Ärzte hinzugezo-gen«, versuchte er es behutsam und wider besseres Wis-sen, denn sie waren erst gerufen worden, als es schon zuspät war. »Doch nicht immer läßt sich die Natur überli-sten, wie du weißt«, appellierte er an den Ausbildungs-stand seines Zöglings. »Gerade dem menschlichen Kör-per sind im Laufe der Geschichte viele Instinkte abhandengekommen. Denk an deine Zähne –«

Karim mochte das nicht gelten lassen. »Es steht Allahfrei, mir Zahnschmerzen zu schicken, sie auch ausfallenzu lassen, aber er kann nicht so grausam sein –«

»Doch!« unterbrach Rik ihn hart. »Er kann! Er kann,wenn er will! Und seinem Ratschluß haben wir uns zufügen.«

»Also ist Allah ein gemeiner Assassine –«

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»Auch das.« Rik wollte es schnell hinter sich bringen.»Für das ›gemein‹ solltest du dich entschuldigen, Karim– ebenso für den Vergleich mit den Fanatikern des Altenvom Berge, die vor Meuchelmord nicht zurückschrecken!– Ansonsten mach dir kein zu gefälliges, zu bequemes Bildvon deinem Gott: Allah gibt Leben und er nimmt es – wiees ihm, nicht uns, gefällt.«

»Inch’allah!« schloß an seiner Stelle der frühreife Kna-be den Sermon, spöttisch, trotzig, nicht resigniert, son-dern hörbar der Meinung, daß er auch mit Rik nicht dar-über reden konnte.

»Du gehst jetzt beten«, forderte Rik ihn unwirsch auf.»Dann kannst du mich zur Baustelle des Turms im Wasserbegleiten. Heute wird der Hebelmechanismus eingebaut,der das eiserne Tor des Burj fil Bahar zum Meer hin öffnetund gleichzeitig den Fluchtweg wieder verschließt«, setz-te er versöhnlich hinzu, denn er wußte, mit welcher Begei-sterung Karim sein Interesse für Kriegsmaschinerie teilte.Diese Art von Ingenieurskunst war Rik vom eigenen Kna-bentraum erhalten geblieben, ein Erbauer von Kathedra-len zu werden. Komplizierte und phantasievolle Wehr-technik ersetzte ihn zwar nicht, verschaffte aber demAsketen mehr als nur Befriedigung. Es war die einzige Lei-denschaft, zu der Rik noch fähig war.

»Wie nennt Ihr Euch, woher kommt Ihr?« fuhr Rik denstämmigen Mann an, der da verlegen im Saal der Büchervor ihm stand. »Was hat Euch hierher verschlagen?«

Der Kerl konnte schließlich nichts dafür, daß mit sei-nem Erscheinen die Rik aufgehalste Last der Aufzeich-nung der Ereignisse des Jahres 1212, dieses Wühlen inden Eingeweiden der eigenen Vergangenheit, nunmehrsichtliche Formen annahm. Um wie viel lieber hätte Rikmit eigenen Händen zugepackt, um das Fallgitter in sei-

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ne Gleitschiene zu bringen, den Sitz der maßgefertigtenKetten auf ihrem Rollenlager zu prüfen, um das absolutsynchrone Verschließen des in den Felsen geschlagenenTunnels mittels der eingefahrenen Eisenleiter zu gewähr-leisten. Als notwendige Installation einer Anlage zurBeförderung von Abfällen aus dem ›Palast des Sohnes‹ins Meer hatte er dem argwöhnischen Emir die Arbeitendeklariert, die in Wahrheit ein Wunderwerk der Technikzur Sicherung des Überlebens des wichtigsten Bewohnerswaren. Darauf konnte Rik nur insgeheim stolz sein.Nicht, daß Kazar es ihm untersagt hätte, der Emir sahkeine Gefahren und hielt alle Verbesserungen, ja selbstdie Instandhaltung der Verteidigungsanlagen für höchstüberflüssig: ›Wenn man den Frieden in Frage stellt, hatman sich den Krieg schon ins Haus geladen.‹ Riks Mei-nung war das nicht. Nur durch ständiges Hinterfragender Absichten und Fähigkeiten eines möglichen Gegnerskonnte sich die Festung Mahdia einigermaßen sicherfühlen, eine Gewißheit gab auch das nicht.

Und jetzt mußte er sich mit diesem Marvan Bou kitab,dem deutschen ›Bibliothekar‹ des Hafsiden, befassen, derHände hatte wie ein Gärtner und dessen gedrungene Sta-tur und niedrige Stirn auch wenig Feinfühligkeit imUmgang mit Sprache oder Schrift verhießen.

»Marius von Beweyler, zu Diensten, hoher Herr«,druckste der Befragte hervor, und als er keine Reaktionauf diese Einleitung erhielt, fuhr er eilfertig fort. »Aus derEifel, im Deutschen, nicht weit vom Rhein –« Er hieltinne, während Rik für einen kurzen Augenblick geneigtwar zu offenbaren, daß diese Gegend auch seine Heimatwar, doch dann hatte er solche landsmannschaftliche Ver-traulichkeit wieder verworfen und sich nur zu eineminquisitorischem »Also Erzbistum Köln?« durchgerun-gen. »Welcher Orden?«

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