Urheber- und Verlagsrecht2018 · gelb; aber weil der Stoff nicht gereicht hatte, war es zu kurz,...

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§2 Das Werk

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§ 2Das Werk

Funktion des WerkbegriffsMonopolisierungswirkung absoluter Rechte

• Der Urheber erhält an seinem Werk ein absolutes Recht

• Absolute Rechte haben positive Zuweisungs‐ und negative Abwehrfunktion 

• Diese Exklusivität monopolisiert die Befugnisse zur Nutzung des Gegenstands bei dem Inhaber des absoluten Rechts

• Bei Rechten an Sachen ist das Bezugsobjekt für den Rechtsverkehr klar erkennbar

• Bei absoluten Rechten an unkörperlichen Gegenständen muss das Bezugsobjekt für den Rechtsverkehr anders erkennbar werden

• Auch bedarf die Monopolisierung angemessener Grenzen

Funktion des WerkbegriffsBezugsobjekt des absoluten Rechts

• Im Urheberrecht macht der Werkbegriff das Bezugsobjekt des absoluten Rechts für den Rechtsverkehr erkennbar

• An Persönlichkeitsäußerungen, die die Kriterien des Werkbegriffs nicht erfüllen, hat der Urheber kein Monopol

• Solche Persönlichkeitsäußerungen dürfen von anderen frei verwendet werden

Der WerkbegriffStruktur der gesetzlichen Regelung

• § 2 II UrhG: ‐ Als Werke schutzfähig sind persönliche, geistige Schöpfungen‐ Persönliche geistige Schöpfung = Persönlichkeitsäußerung, die durch den 

Inhalt oder durch ihre Form oder durch die Verbindung von Inhalt und Form etwas Neues und Eigentümliches darstellt

• § 1 UrhG: ‐ auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst‐ Zweck: Abgrenzung von persönlichen geistigen Schöpfungen auf anderen 

Gebieten

• § 2 I UrhG: Konkretisierung dessen, was Literatur, Wissenschaft und Kunst ist‐ Aufzählung nicht abschließend („insbesondere“)‐ Entwicklungsoffener Werkebegriff

Der WerkbegriffPersönliche Schöpfung

Fall 2 („Naruto‐Selfie“): Der britische Naturfotograf David Slater war im indonesischen Nationalpark von Nord‐Sulawesi auf Motivsuche. Um unbehindert einen kurzen Erkundungsgang in das Unterholz machen zu können, ließ Slater seine gesamte Kameraausrüstung auf dem Boden des Regenwaldes zurück. Diese Gelegenheit nutzte ein zweijähriger schwarzer Schopfmakake namens Naruto, um sich der Kamera zu bemächtigen. Das an Besucher und Kameras gewöhnte Tier habe seine eigene Spiegelung in der Kameralinse gesehen und weiter bemerkt, dass sich die Reflektion ändere, wenn er den Auslöser drücke. Daraufhin habe er sich in Pose gesetzt und mehrmals den Auslöser betätigt. Slater vermarktete ein besonders gelungenes Selfie von Narutomit beachtlichem Erfolg. Wikimedia veröffentlichte das Bild jedoch, ohne die von Slater geforderten Lizenzgebühren zu entrichten. Hiergegen will Slater vorgehen. Ist das Naruto‐Selfie ein Werk im Sinne der §§ 1, 2 UrhG? 

Der WerkbegriffPersönliche Schöpfung

Erfordert Handeln einer natürlichen Person mit natürlichem Handlungswillen‐ Natürliche Prozesse sind kein Handeln

‐ Juristische Personen können nicht handeln

‐ Tierisches Verhalten ist kein Handeln

‐ Maschinelle Prozesse? 

‐ Handlungswille und Geschäftsfähigkeit

Der WerkbegriffGeistige Schöpfung

Geistige Schöpfung = Ergebnis eines unmittelbaren und zielgerichteten geistigen Schaffens‐ bzw. Gestaltungsprozesses‐ Zufällige Handlungsergebnisse

‐ Reine Körpermechanik

‐ Reine Funktionalität

Der WerkbegriffSchöpfung als Formgebung

• Schöpfung verlangt, dass der persönliche geistige Gedankenprozess zu einem Ergebnis gelangt ist

• Dieses Ergebnis muss in einer sinnlich wahrnehmbaren Form seinen Ausdruck gefunden haben

Der WerkbegriffSchöpfung, Formgebung und Idee 

Fall 3 („The Social Network“) Die Harvard‐Studenten Cameron und Tyler Winklevossbeschäftigen sich mit dem Gedanken eine Dating‐Website für Mitglieder ihre Universität einzurichten. Bis auf die abstrakte Idee, dass die Studenten der Harvard‐Universität sich online vernetzen und austauschen können sollen, sind sie bei ihren gelegentlichen Gedankenaustauschen jedoch noch nicht hinausgekommen. Hin und wieder sprechen sie auch mit ihrem Kommilitonen Mark Zuckerberg über diese Idee, fragen ihn nach inhaltlichem Input und bitten ihn, schon einmal erste Codes für solch einen Online‐Dienst zu erstellen. Heimlich entwickelt Mark die ursprüngliche Idee von Cameron und Tylerweiter, konkretisiert sie und setzt sie schließlich mit dem Dienst unter thefacebook.com um. Hat Mark Urheberrechte von Cameron und Tyler an der Idee zu thefacebook.com verletzt? 

Der WerkbegriffSchöpfung, Formgebung und Idee 

• Das Urheberrecht schützt Ideen nicht als solche, sondern nur in der konkreten sinnlich wahrnehmbaren Form, die der Urheber ihnen verliehen hat

• Abstrakte Ideen hinter ausgearbeiteten Werken kann jeder aufgreifen

• Gleiches gilt für abstrakte Ideen, die noch gar nicht fertig ausgearbeitet sind

• Soweit eine Idee jedoch auch nur in einer Skizze ausgedrückt ist, kann es sich insoweit bereits um ein Werk handeln

Der WerkbegriffSchöpfung, Idee, äußere und innere AusdrucksformFall 4 („Pippi Langstrumpf“, BGH GRUR 2014, 258) In den Pippi Langstrumpf‐Romanen beschreibt die Autorin Astrid Lindgren ihre titelgebende Hauptfigur wie folgt: „Ihr Haar hatte dieselbe Farbe wie eine Möhre und war in zwei feste Zöpfe geflochten, die gerade vom Kopf abstanden. Ihre Nase hatte dieselbe Form wie eine ganz kleine Kartoffel und war völlig von Sommersprossen übersät. Unter der Nase saß ein wirklich riesig breiter Mund mit gesunden weißen Zähnen. Ihr Kleid war auch ziemlich merkwürdig. Pippi hatte es selbst genäht. Es war wunderschön gelb; aber weil der Stoff nicht gereicht hatte, war es zu kurz, und so guckte eine blaue Hose mit weißen Punkten darunter hervor. An ihren langen dünnen Beinen hatte sie ein Paar lange Strümpfe, einen geringelten und einen schwarzen. Und dann trug sie ein paar schwarze Schuhe, die genau doppelt so groß waren wie ihre Füße.“Eine Supermarktkette verkaufte zur Karnevalszeit ein als „Pippi“ bezeichnetes Kostüm, welches die Haare in Farbe und Form, die Sommersprossen und den Kleidungsstil der Pippi Langstrumpfübernimmt. Die Wahrnehmungsberechtigten nach Astrid Lindgren machen eine Urheberrechtsverletzung an der Romanfigur Pippi Langstrumpf geltend. Zu Recht? 

Der WerkbegriffSchöpfung, Idee, äußere und innere Ausdrucksform

Die sog. äußere Ausdrucksform

‐ Gegenstand der persönlichen geistigen Schöpfung ist die konkrete Ausdrucksform der Idee, nicht aber die Idee 

‐ Konkrete Ausdrucksform der Pippi Langstrumpf‐Romane sind die Texte von Astrid Lindgren

‐ Von diesen darf niemand Vervielfältigungsstücke herstellen (§ 16 UrhG), sie darf niemand öffentlich vorlesen (§ 19 UrhG), etc. 

Der WerkbegriffSchöpfung, Idee, äußere und innere Ausdrucksform

Die sog. innere Ausdrucksform‐ Aus § 23 Satz 1 UrhG ergibt sich, dass Bearbeitungen 

und Umgestaltungen des Werkes nur mit Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten oder umgestalteten Werkes veröffentlicht oder verwertet werden

‐ Der Urheber genießt also Schutz gegen die Nutzung seines Werkes in bearbeiteter oder umgestalteter Form 

‐ Bei Bearbeitungen wird das benutzte Werk für weitere Nutzungsformen angepasst, z.B. übersetzt, dramatisiert, verfilmt, arrangiert, variiert, in eine andere Dimension oder in einen anderen Werkstoff übertragen o.ä

Der WerkbegriffSchöpfung, Idee, äußere und innere Ausdrucksform

Innere Ausdrucksform und eigenpersönlich geprägte Bestandteile und formbildende Elemente eines Werkes 

‐ Bei Werken der Literatur sind auch sog. „eigenpersönlich geprägte Bestandteile und formbildende Elemente des Werkes, die im Gang der Handlung, in der Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen, der Ausgestaltung von Szenen und in der „Szenerie“ des Romans liegen,“ selbständig schutzfähig 

‐ Erfasst sind insbesondere die Handlung sowie das Beziehungsgeflecht zwischen den Protagonisten eines Romans. 

Der WerkbegriffSchöpfung, Idee, äußere und innere Ausdrucksform

Innere Ausdrucksform und selbständiger Figurenschutz‐ Als innere Ausdrucksform können auch fiktive Figuren einen 

selbständigen urheberrechtlichen Schutz erlangen

‐ Das gilt zunächst für bildliche Darstellungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG

‐ Gilt auch für textliche Beschreibungen von Figuren, wenn sie vor dem inneren Auge des Lesers ein deutliches Bild von der beschriebenen Figur schaffen

‐ Verletzung des selbständigen Figurenschutzes durch das Karnevalskostüm?

Der WerkbegriffGrenzen des Schutzes innerer Ausdrucksformen

Fall 5 („The Da Vinci Code“)Michael Baigent und Richard Leigh veröffentlichten in den 1980er Jahr ein Sachbuch mit dem Titel The Holy Blood andthe Holy Grail. In diesem Buch geht es im Kern um die These, dass Jesus mit Maria Magdalena mindestens ein Kind zeugte. Die Erblinie besteht mit Nachkommen bis in die heutige Zeit fort und werde von der katholischen Obrigkeit ebenso heimlich wie brutal bekämpft. Beschützt werde sie insbesondere durch eine Geheimbruderschaft namens Prieuré de Sion. Inspiriert u.a. durch dieses Buch machte der U.S.‐amerikanische Schriftsteller Dan Brown aus dem Stoff ca. zwanzig Jahre später seinen multimillionenfach verkauften Religionsthriller The Da Vinci Code. 

Hat Dan Brown Urheberrechte von Michael Baigent und Richard Leigh verletzt? 

Der WerkbegriffDie erforderliche „Schöpfungshöhe“

Fall 6 („Die Schmach von Córdoba“, ÖOGH BeckRS 2014,81426)Am 21. Juni 1978 trafen bei der Fußballweltmeisterschaft inArgentinien die Nationalmann‐schaften Österreichs undDeutschlands aufeinander. Als Hans Krankl das Siegtor für dasTeam Austria erzielte, bejubelte der ORF‐Reporter Edi Fingerdieses Ereignis wie folgt: „Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor,Tooor! I wer' narrisch!“ Die Ringtone GmbH verwendet dieoriginale Aufnahme dieses Ausspruchs und verbreitet und ihnauch als Klingelton zum Download.Die Erben von Edi Finger machen gegen die Ringtone GmbHverschiedene Ansprüche wegen der widerrechtlichenakustischen Verwendung von Edi Fingers Jubel geltend.

Der WerkbegriffDie erforderliche „Schöpfungshöhe“

• Edi Fingers Torjubel als persönliches geistiges Erzeugnis

• Kann das genügen, um ein Monopol Edi Fingers an dieser Persönlichkeitsäußerung zu rechtfertigen? ‐ Das Urheberrecht darf die Freiheit der Gedanken und Ideen nicht 

beeinträchtigen

‐ Deshalb werden Gedanken und Ideen auch nur in ihrer konkreten Formgebung geschützt

‐ Darüber hinaus verdienen solche Persönlichkeitsäußerungen keinen Schutz, die in einer vergleichbaren Situation jeder so tätigen würde

‐ Allgemein übliche Standardäußerungen sind gemeinfrei

Der WerkbegriffSchöpfungshöhe und Individualität

• Die Schöpfungshöhe erfordert, dass in der konkreten Formgebung gerade die individuelle Persönlichkeit des Urhebers zum Ausdruck kommt

• Individualität als statistische Einzigartigkeit?

• Abgrenzung gegen routinemäßig entstehende Allerweltsprodukte

• Kontrollfrage: Würden Viele diesen Gedanken/dieses Gefühl in dieser Form ausdrücken? 

Der WerkbegriffSchöpfungshöhe und Schutz der „kleinen Münze“

• „Große Kunst“ erfüllt die Anforderungen der individuellen Schöpfungshöhe stets

• Die Anforderungen an die individuelle Schöpfungshöhe dürfen nicht überspannt werden

• Um das individuelle Schaffen zu belohnen wird nach h.M. auch der Schutz der sog. „kleinen Münze“ bejaht

• Dies erfordert nur ein Minimum an individuellem Ausdruck

Der WerkbegriffSchöpfungshöhe und unionsrechtlicher Werkbegriff

• Das Urheberrecht des UrhG ist in wesentlichen Bereichen unionsrechtlich überformt (insb. RL 2001/29/EG)

• Der Werkbegriff ist jedoch nicht generell unionsrechtlich harmonisiert

• Ansatzpunkte finden sich lediglich in einzelnen unionsrechtlichen Rechtsakten, z.B. RL 2009/24/EG über den Schutz von Computerprogrammen

• Der EuGH wählt als begrifflichen Ausgangspunkt nicht die Individualität, sondern die Originalität

• Die Maßstäbe entsprechen denjenigen der kleinen Münze

Der WerkbegriffSchöpfungshöhe und objektive Neuheit

Fall 7 („Ein bisschen Frieden“; BGH GRUR 1988, 812)Die Notas Magicas SA ist Verlegerin des von Bert Olden komponierten, von Christian Heilburggetexteten und seit 1973 von Julio Iglesias gesungenen Schlagers „Alle Liebe dieser Erde“. Die Melodie dieses Schlagers stimmt in Teilen mit derjenigen des von Nicole gesungenen und von Ralph Siegel komponierten Schlagers „Ein bisschen Frieden“ aus dem Jahr 1982 überein. Ralph Siegel meint, dass er die Melodie von „Alle Liebe dieser Erde“ nicht in Erinnerung gehabt habe, während er an „Ein bisschen Frieden“ arbeitete. Hat Ralph Siegel ein Urheberrecht an der Melodie von „Ein bisschen Frieden“ erworben? 

Der WerkbegriffSchöpfungshöhe und objektive Neuheit

Wortlautvergleiche:

• § 1 I PatG:  „Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.“

• § 2 I DesignG: „Als eingetragenes Design wird ein Design geschützt, das neu ist und Eigenart hat.“

Der WerkbegriffSchöpfungshöhe und objektive Neuheit

• Sinn und Zweck des Neuheitserfordernisses im gewerblichen Rechtsschutz‐ Im gewerblichen Rechtsschutz werden Ausschließlichkeitsrechte 

erteilt, sofern die res publica etwas davon hat

‐ Von einer parallelen Zweitschöpfung profitiert die res publica aber nicht 

• Sinn und Zweck des urheberrechtlichen Schutzes‐ Der urheberrechtliche Schutz wird demgegenüber aus eher 

egozentrischen Interessen des Urhebers gewährt

‐ In dem Werk verwirklicht sich seine Persönlichkeit und aus diesem Grund bekommt er das Ausschließlichkeitsrecht

Der WerkbegriffSchöpfungshöhe und objektive Neuheit

Einwand der zufälligen Doppelschöpfung im Prozess: ‐ Das Problem der Schutzbehauptung

‐ Ausgangspunkt: Eine echte parallele Doppelschöpfung kann kaum jemals vorkommen

‐ Konsequenz: Anscheinsbeweis

‐ Begründung und Inhalt Anscheinsbeweises