UTMES 2017 – Ultra Trail Morocco Eco Sahara · ein. Ziemlich eingeengt, geht’s bald darauf los....

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Raphael Kälin, März 2017 Seite 1 UTMES 2017 – Ultra Trail Morocco Eco Sahara Freitag, 17. Februar 2017 – Abflug und Zimmersuche Es ist so weit. Endlich, nach so vielen Tagen des Rumstudierens. „Habe ich an alles gedacht? Alles einge- packt? Bin ich für Notfälle gerüstet? Bin ich fit für den Lauf?“. Ich sitze pünktlich im Zug zum Flughafen und freue mich auf das anstehende Abenteuer, den UTMES. Den „Ultra Trail Marokko Eco Sahara“ über 110 Ki- lometer im Südosten von Marokko, nahe an der algerischen Grenze. Versprochen hat man den Teilnehmern: „Alles, was man sich als Trail Runner wünscht: Sand, Dünen soweit das Auge reicht, Schotter, Berge, Sin- gletrails und dies alles in einer wunderbaren Landschaft.“ Die Freude steigt in mir auf und schon schlendere ich gemütlich zum Check-in Schalter. Hier schon die erste Hürde. Meine Reisetasche wird nicht als Koffer taxiert und muss am Sperrgutschalter aufgegeben werden. Kein Problem. Wieder kurz anstehen und schon geht es Richtung Passkontrolle. Vor dem Boarding genehmi- ge ich mir die übliche Rösti mit Spiegelei im nahegelegenen Marché Restaurant. Man weiss ja nie, was im Flugzeug zum Mittagessen verteilt wird. Kurze Zeit später sitze ich auf meinem Emergency Gangplatz mit extra viel Beinfreiheit. Hat mich zwar zwölf Franken gekostet, die sich für den 3.5 Stunden langen Flug aber auf alle Fälle lohnen. Den zusätzlichen Raum, welche meine Beine geniessen, wird mir jedoch an der Sitzbreite wieder entzogen. Neben mir hat Jussuf, ein marokkanischer Arzt, der in Deutschland arbeitet, Platz genommen. Mit seiner Körperfülle von über 150 Kilogramm belegt er nicht nur die gemeinsame Sitzlehne, sondern ragt auch noch in meinen Sitzbereich hin- ein. Ziemlich eingeengt, geht’s bald darauf los. Der Flug verläuft ansonsten problemlos. Das Essen ist auch nicht schlecht. Und die Zeit vergeht mit Sudoku lösen schnell vorbei. Pünktlich landen wir bei einer Aussentemperatur von 25° in Marrakesch. Vor den Ter- minals bleiben wir abrupt stehen. Nach einigen Minuten verkündet der Pilot, dass der Tower noch nicht weiss, an welches Gate wir andocken sollen. Geschlagene 20 Minuten verharren wir auf unserer Position, bis der Pilot endlich die Anweisung für Gate 21 erhält. Die Zöllner machen unserem westlichen Vorurteil, dass sie die Arbeitsgeschwindigkeit nicht erfunden haben, alle Ehre. In einer endlosen Schlange wartend, werde ich nach einer gefühlten halben Stunde zum Schalter gerufen. Der Zollbeamte interessiert sich vorderhand weder für mich, noch für meinen Pass und meine Ein- reise. Er dreht sich zu seinem Arbeitskollegen um und unterhält sich angeregt in marokkanisch-arabisch. „Hast Du zum Wochenende schon was vor? Ich denke, ich werde wieder einmal meinen Bruder in Agadir besuchen. Vielleicht bleibe ich ja auch das Wochenende bei ihm und seiner Familie.“ Ich habe keine Ahnung, was die beiden besprochen haben, aber in etwa so hat es sich angehört. Endlich dreht er sich zu mir um. Jedoch nur um aus der mitgebrachten Thermosflasche Tee in seine Tasse zu schütten und ihn genüsslich vor meinen Augen, Schluck für Schluck, auszuschlürfen. Die Tasse ist leer, mit dem Kollegen gibt es auch nichts mehr zu besprechen, also kann er sich seiner Arbeit widmen und lässt mich in sein Land einreisen. Vor dem Flughafengebäude stehen sie schön in einer Schlange und warten auf Kunden. Die marokkanischen Taxi bzw. deren Fahrer. Michael, der Mitorganisator des Laufes, hat uns vorgängig informiert, dass eine Taxi- fahrt zum Hotel höchstens 80 Dirham kosten darf, also knapp 8 Franken. Ich wuchte meine Reisetasche in den Kofferraum, fläze mich im Fond des Autos und beginne mit den ortsüblichen Verhandlungen. Der Ma- rokkaner bietet mir an, mich für 300 Dirham schnell und sicher in mein Hotel zu bringen. Ich entgegne ihm, dass dies beinahe vier Mal über der Empfehlung vom Mohamad Ahansal liegt. Ahansal ist fünffacher Gewin-

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UTMES 2017 – Ultra Trail Morocco Eco Sahara Freitag, 17. Februar 2017 – Abflug und Zimmersuche

Es ist so weit. Endlich, nach so vielen Tagen des Rumstudierens. „Habe ich an alles gedacht? Alles einge-packt? Bin ich für Notfälle gerüstet? Bin ich fit für den Lauf?“. Ich sitze pünktlich im Zug zum Flughafen und freue mich auf das anstehende Abenteuer, den UTMES. Den „Ultra Trail Marokko Eco Sahara“ über 110 Ki-lometer im Südosten von Marokko, nahe an der algerischen Grenze. Versprochen hat man den Teilnehmern: „Alles, was man sich als Trail Runner wünscht: Sand, Dünen soweit das Auge reicht, Schotter, Berge, Sin-gletrails und dies alles in einer wunderbaren Landschaft.“

Die Freude steigt in mir auf und schon schlendere ich gemütlich zum Check-in Schalter. Hier schon die erste Hürde. Meine Reisetasche wird nicht als Koffer taxiert und muss am Sperrgutschalter aufgegeben werden. Kein Problem. Wieder kurz anstehen und schon geht es Richtung Passkontrolle. Vor dem Boarding genehmi-ge ich mir die übliche Rösti mit Spiegelei im nahegelegenen Marché Restaurant. Man weiss ja nie, was im Flugzeug zum Mittagessen verteilt wird.

Kurze Zeit später sitze ich auf meinem Emergency Gangplatz mit extra viel Beinfreiheit. Hat mich zwar zwölf Franken gekostet, die sich für den 3.5 Stunden langen Flug aber auf alle Fälle lohnen. Den zusätzlichen Raum, welche meine Beine geniessen, wird mir jedoch an der Sitzbreite wieder entzogen. Neben mir hat Jussuf, ein marokkanischer Arzt, der in Deutschland arbeitet, Platz genommen. Mit seiner Körperfülle von über 150 Kilogramm belegt er nicht nur die gemeinsame Sitzlehne, sondern ragt auch noch in meinen Sitzbereich hin-ein. Ziemlich eingeengt, geht’s bald darauf los.

Der Flug verläuft ansonsten problemlos. Das Essen ist auch nicht schlecht. Und die Zeit vergeht mit Sudoku lösen schnell vorbei. Pünktlich landen wir bei einer Aussentemperatur von 25° in Marrakesch. Vor den Ter-minals bleiben wir abrupt stehen. Nach einigen Minuten verkündet der Pilot, dass der Tower noch nicht weiss, an welches Gate wir andocken sollen. Geschlagene 20 Minuten verharren wir auf unserer Position, bis der Pilot endlich die Anweisung für Gate 21 erhält.

Die Zöllner machen unserem westlichen Vorurteil, dass sie die Arbeitsgeschwindigkeit nicht erfunden haben, alle Ehre. In einer endlosen Schlange wartend, werde ich nach einer gefühlten halben Stunde zum Schalter gerufen. Der Zollbeamte interessiert sich vorderhand weder für mich, noch für meinen Pass und meine Ein-reise. Er dreht sich zu seinem Arbeitskollegen um und unterhält sich angeregt in marokkanisch-arabisch. „Hast Du zum Wochenende schon was vor? Ich denke, ich werde wieder einmal meinen Bruder in Agadir besuchen. Vielleicht bleibe ich ja auch das Wochenende bei ihm und seiner Familie.“ Ich habe keine Ahnung, was die beiden besprochen haben, aber in etwa so hat es sich angehört. Endlich dreht er sich zu mir um. Jedoch nur um aus der mitgebrachten Thermosflasche Tee in seine Tasse zu schütten und ihn genüsslich vor meinen Augen, Schluck für Schluck, auszuschlürfen. Die Tasse ist leer, mit dem Kollegen gibt es auch nichts mehr zu besprechen, also kann er sich seiner Arbeit widmen und lässt mich in sein Land einreisen.

Vor dem Flughafengebäude stehen sie schön in einer Schlange und warten auf Kunden. Die marokkanischen Taxi bzw. deren Fahrer. Michael, der Mitorganisator des Laufes, hat uns vorgängig informiert, dass eine Taxi-fahrt zum Hotel höchstens 80 Dirham kosten darf, also knapp 8 Franken. Ich wuchte meine Reisetasche in den Kofferraum, fläze mich im Fond des Autos und beginne mit den ortsüblichen Verhandlungen. Der Ma-rokkaner bietet mir an, mich für 300 Dirham schnell und sicher in mein Hotel zu bringen. Ich entgegne ihm, dass dies beinahe vier Mal über der Empfehlung vom Mohamad Ahansal liegt. Ahansal ist fünffacher Gewin-

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ner des berühmten „Marathon des Sable“, eine marokkanische Bekanntheit und Organisator des UTMES. Der Name Ahansal zeigt Wirkung und schon sinkt der Preis auf 180. Schlussendlich treffen wir uns bei 120 und es geht ab ins Hotel.

Der Rezeptionist ist sehr zuvorkommend und teilt mir das Zimmer 2211 zu. Beim Eintreten ist ein leichter Duft nach Zigarettenrauch „riechbar“. Ich mache kehrt um, zurück an die Rezeption und verlange ein Nicht-raucherzimmer. Nächster Versuch mit 3126. Verdammt, die Türe lässt sich nicht öffnen. Bei jedem Versuch lacht mich das rote Lämpchen gemein an – „Du kommst hier nicht rein“. Bevor ich ausflippe, stelle ich be-schämend fest, dass ich in der falschen Etage und somit vor der Zimmertüre 3026 stehe. Also schnell die Treppe hoch, Tür 3126 aufschliessen und noch schneller zurück zum freundlichen Herren an der Rezeption. Aus 3126 quillt mir der Rauch nur so entgegen. Dritter Versuch, dieses Mal im Nordflügel – 1107. Und end-lich, es passt. Kein Rauch, kein Zigarettengeschmack, ein Kingsize Bett und sogar ein kleiner Balkon. Zufrie-den lasse ich mich auf das Bett fallen. Kurze Zeit später Zeit ist alles ausgepackt. Ich möchte noch unbedingt in den nahegelegenen Carrefour Trinkwasser einkaufen, bevor es eindunkelt. Meine Wertsachen packe ich in einen kleinen Plastiksack und will sie im Zimmersafe verstauen. Den Safe muss der Vormieter wohl mitge-nommen haben. In keinem der Schränke lässt sich der Schützer der Wertsachen auffinden. Kurzerhand ver-schwinden meine Kostbarkeiten im Rucksack und ich suche erneut die Hotelrezeption auf. „Auf dieser Etage des Nordflügels verfügen die Zimmer leider nicht über einen eigenen Safe. Sie können Ihre Wertsachen je-doch jederzeit hier abgeben.“ Ok, damit kann ich leben. Im Supermarkt kaufe ich vier 1.5 Literflaschen Mine-ralwasser für je fünf Dirham. Unglaublich die Preise hier. Müde verbringe ich den Abend in meinem Zimmer bei aus der Schweiz mitgebrachtem Bürlibrot, Schoggistengel und DSDS.

Samstag, 18. Februar 2017 – Marrakesch: Fliegende Teppiche

Meine innere Uhr lässt mich, wie gewöhnlich am Wochenende, um 7.30 Uhr erwachen. Zu blöd, dass infolge der Zeitverschiebung erst 6.30 Uhr ist. Frühstück gibt’s erst ab 7 Uhr und heute bin ich der erste Gast, der sich über das köstliche Buffet mit Früchten, Gemüse, Omeletten, Tee und Kaffee hermacht. Anschliessend schlendere ich durch die tolle Hotelanlage, welche nebst Pool, Poolrestaurant, Kinderspielplatz auch noch einen Fitnessraum mit SPA und Massagemöglichkeiten anbietet. Massage wird sicher ein Thema nach mei-ner Rückkehr sein.

Gegen neun mache ich mich für die Erkundung von Marrakesch bereit. Ich schlendere mit meinen Wertsa-chen zur Rezeption und möchte dieselbigen für die nächsten 1.5 Tage sicher deponiert haben. Die heute

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anwesende Mitarbeiterin teilt mir mit, dass sie Wertsachen an der Rezeption nur für einige Stunden aufbe-wahren, aber sicher nicht für eine solange Zeit. Sie bietet mir, wie könnte es auch anders sein, ein neues Zimmer mit integriertem Safe an. Widerwillig lasse ich mich darauf ein. Das neue Zimmer ist um diese Uhr-zeit noch nicht bezugsbereit. Daher werde ich aufgefordert, meine Sachen für den anstehenden Umzug zu packen. Sie erklärt mir, dass ich nach meiner Rückkehr, frühestens jedoch in drei Stunden, meine neue Blei-be erhalte. Mein Gepäck soll sich dann auch schon dort befinden. Alles klar – auf geht’s.

Nach wenigen Laufminuten erreiche ich die Koutoubia-Moschee mit ihrem eindrücklichen Minarett. Sie ist die grösste Moschee von Marrakesch, stammt aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts und ist damit eine der ältesten Moscheen Marokkos. Kaum am Fusse des Minarettes angekommen, werde ich von einem älteren Herrn angesprochen. Er gibt sich als Kulturvermittler aus, ohne jegwelchige Absichten, den Touristen irgendetwas für einen überrissenen Preis andrehen zu wollen. In der Nähe gäbe es einen Kulturraum, in wel-chem Werke aus dem Altlasgebirge, vor allem von Frauen geknüpfte Teppiche, ausgestellt werden. Auch Einblicke in die Kultur der Berber werden gewährt. Die Ausstellung findet jedoch nur alle zwei Wochen und nur bis zur Mittagszeit statt. Ich erfahre erst später, dass dies eine üblich praktizierende Masche ist, um nai-ve Touristen anzulocken.

Der Kulturattaché führt mich durch verwinkelte, immer kleiner und dunkler werdende Gassen. Ich bekomme ein ungutes Gefühl, hier je wieder rauszufinden und versuche, mir den Weg so gut wie möglich einzuprägen. Durch ein kleines Tor schreiten wir in einen hell beleuchteten Innenhof, in welchem ich von einem freundli-chen Herrn empfangen werde. Er erzählt mir anhand einiger Plakate tatsächlich Einiges von der Berberkul-tur, den Umständen, unter welchen die Frauen in den Bergen die Teppiche herstellen, den verschiedenen Teppicharten und -Materialien usw. Seine Ausführungen schliessen mit der Vorführung dutzender geknüpf-ter oder gewobener Teppiche in allen möglichen Farben und Grössen. Die sehen wirklich alle toll aus – und das Beste ist, heute kriegt der interessierte Teppichkäufer 30% Rabatt. Nur, benötigen wir zuhause tatsäch-lich einen neuen Teppich? Vorderhand lasse ich von zwei Gehilfen einen Teppich nach dem Anderen wieder entfernen. Zu gross, zu klein, zu bunt, Muster gefällt nicht. Schlussendlich liegt ein Exemplar vor mir, welches mir in Farbe, Grösse und Muster zusagt. Ups, 7‘000 Dirham. Noch knapp 5‘000 nach der Rabattgewährung. Keine Ahnung, ob dies ein fairer Preis ist. Wahrscheinlich nicht, wenn der Verkäufer von sich aus soweit run-ter geht, verdient er sicher immer noch (zu) viel. Schnell schiesse ich ein Photo und sende es meiner Frau

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Renate, ihres Zeichens Expertin in Sachen Mode und Hausgestaltung. Ihr gefällt der Teppich auch, findet den Preis jedoch zu hoch. Nach zähen Verhandlungen ergattere ich das Stück für 4‘000 Dirham. Ein junger Mann trägt den Teppich in das Büro in den ersten Stock, ein Anderer übernimmt die Verpackung und der Obermuf-ti stellt mir eine Quittung mit Garantie und Siegel aus. Bei einem Tee diskutieren wir die Zahlungsmodalitä-ten. Da ich meine Kreditkarte nicht bei mir trage, vereinbaren wir, dass mich ein Mitarbeiter ins Hotel beglei-tet, wo ich die Rechnung begleichen kann. Beim Verlassen des Raumes spricht mich der Verkäufer an, dass jeder, der bei dieser Transaktion involviert war, entsprechend auch mit 50 Dirham entlohnt werden sollte. Also je 50 für die Teppichbringer und – zurücksteller, 50 für den Teppich-ins-Büro-Bringer und 50 für den Teppichpacker. Also wechseln nochmals 200 Dirham ihren Besitzer. Der Schuldeneintreiber begleitet mich zum Hotel, trägt freundlicherweise das Paket. Im Hotel verläuft die Geldtransaktion mit dem mobilen Kredit-kartengerät nicht ganz problemlos. Der Beleg wird nicht ausgespukt. Der Marokkaner verspricht mir, dass der Beleg noch heute Nachmittag an der Rezeption abgegeben wird. Zum Abschied weist er auf seine Familie hin: „To make me and them happy, please give me another 200 Dirham“. Ich habe langsam die Schnauze von dieser „Ich-habe-auch-etwas-getan-und-muss-entsprechend-entlohnt-werden“ Mentalität voll, reiche ihm einen 50er Schein und begebe mich ins Hotel.

An der Rezeption erhalte ich meine neue Zimmerkarte, dieses Mal 3118. Perfekt. Kein Rauch, ein Safe, toller Ausblick, das Gepäck gezügelt.

Den Nachmittag verbringe ich im Café Extrablatt bei einem herrlichen Kaffee und einer ungeniessbaren Pizza (eine Margherita mit einer süsslichen, raclettekäsekonsistenten Schmelzkäsepampe – würg).

Am Abend treffe ich mich mit Pia und Hans-Jörg aus dem luzernischen Rain. Bei einem Bierchen lernen wir uns näher kennen und stellen fest, an gleichen Ultraveranstaltungen teilgenommen zu haben. Wir haben uns nur nicht früher getroffen, da wir nicht in denselben Jahren beim Comrades in Südafrika oder 100 km del Sahara in Tunesien gestartet sind.

Sonntag, 19. Februar 2017 – Marrakesch: Stadtbesichtigung

Wieder erwache ich früh morgens und vertreibe mir die Zeit bis zum Frühstück mit Musikhören. Gegen 9 Uhr begebe ich mich auf einen Stadtrundgang mit Besichtigung der Sehenswürdigkeiten von Marrakesch. Ich bestaune die Mosaikböden, die Holzverzierungen, den Innenhof, die Mandarinenbäume im Bahia Palast.

Ausserhalb der Palastmauern zwänge ich mich durch enge Gassen. Rechts und links reiht sich ein kleines Ladengeschäft neben dem Anderen. Ein Metzger lässt sein Fleisch an den Wänden hängen, nebenan werden Tontöpfe verkauft, ein Weiterer bietet Ziegenfüsse an, welche er für eine Kundin in zwei Teile zersägt, ein Barbier wartet in einem abgedunkelten Raum auf Kundschaft, ein Händler bietet seine Fische auf einer am Boden liegenden Zeitung feil. Permanent rasen Mopeds durch die schmalen Strässchen - hupen, ausweichen, anfahren, hupen, Gas geben – und als Fussgänger immer schön vorsichtig am Rand des Wahnsinns laufen. Zwischendurch zwängen sich tatsächlich auch noch Tuck-Tucks und sogar von Esel gezogene Lastkarren durch die beengenden Gässchen.

Nach einem feinen Nachmittagskaffee im Extrablatt mache ich mich auf den Weg ins Hotel. Gerade noch rechtzeitig bevor ein Platzregen über Marrakesch hereinbricht und nicht mehr enden will.

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Montag, 20. Februar 2017 – Camp-Anreise durch den Schnee

Bereits um 8 Uhr geht’s mit dem Kleinbus ins 400 Kilometer entfernte Camp von Mohamad in der Nähe von Zagora. Also hurtig gepackt, gefrühstückt, ausgechecked und eingestiegen. Und so machen sich zehn Läufer (die Restlichen reisen individuell an) bei kühlen Temperaturen auf den Weg. Nach gut 40 Kilometern folgt der Anstieg auf den Tizi n'Tichka. Er ist mit 2‘260 Metern der höchste Pass im Atlas. Je mehr wir uns den Berg hochschlängeln, umso kälter wird es. Ich traue meinen Augen nicht, als es plötzlich zu schneien beginnt. Nach kurzer Zeit ist die Strasse schneebedeckt. Mit Müh und Not erreichen wird die Passhöhe. Anderen ist nicht so viel Erfolg beschieden. Einige bleiben stehen und kommen nicht mehr weiter. Ein bergabwärtsfah-render Audi kann nicht mehr bremsen und kracht in die Begrenzungsmauern. Zum Glück nur Blechschaden. Da uns Schneepflüge entgegen kommen, sind hier winterliche Verhältnisse anscheinend nichts Ausserge-wöhnliches. Kurz nach unserer Überquerung wird der Pass für diesen Tag geschlossen. Früh losfahren lohnt sich.

Bei einem kleinen Zwischenstopp kauft sich Hans-Jörg ein schönes Turban Tuch. Als er sich von den Verkäu-fern löst und wieder in den Bus einsteigt, wollen sie ihm noch mehr verkaufen und verfolgen ihn bis zu sei-nem Sitzplatz. Nur mit grosser Mühe kann der Fahrer die Eindringlinge aus dem Fahrzeug entfernen. Wäh-rend der Weiterfahrt schaut sich Hans-Jörg seine Errungenschaft näher an und findet mit Entsetzen einen „Made in China“ Aufdruck. Auch in Marokko macht die Globalisierung nicht halt.

Wir gleiten die Passstrasse Richtung Süden hinunter. Bereits nach einigen hundert Metern findet sich kein Schnee mehr auf der Strasse. Schnell wird es wieder wärmer und nach steinigen marokkanischen Canyons wird die Landschaft grün und frühlingshaft.

Kurz nach der Filmstadt Quarzazate (Filme wie „Lawrence von Arabien“, „Gladiator“, „Prince of Persia“, „The Mummy“ und viele mehr wurden hier gedreht) geniessen wir ein wohlverdientes Picknick, welches vom Fah-rer zubereitet wird. Gut die Hälfte der Distanz ist geschafft.

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Ohne weitere Vor- und Zwischenfälle erreichen wir nach zehn Stunden (!) den Abzweiger zu Mohamads Camp. Von hier aus gehen wir gut 30 Minuten zu Fuss und überqueren die ersten Dünen dieser Saison. Es beginnt schon zu dunkeln, als wir unser Ziel erreichen. Das grosse Hauptzelt (für das gemeinsame Essen), die Küche und die sanitären Anlagen, sowie die Schlafzelte, welche flugs von den Läufern bezogen werden, wir-ken im Sonnenuntergang friedlich und ruhig. Die Schlafzelte sind sehr gut ausgestattet. Fünf Betten mit di-cken Matratzen, Kopfkissen und Decken. Ein mit Teppichen bedeckter Boden. Licht und Steckdosen (der Strom kommt umweltfreundlich aus einer Solaranlage, fällt aber ab und zu aus). Luxus pur. Ich teile mir das Zelt mit Martin aus Österreich, sowie Hans und Martin aus Deutschland.

Die Nacht ist kühl, um nicht zu sagen – saukalt. Trotz Schlafsack (mit ausgewiesener Komfortzone bei +2°) und Decke friere ich. Entsprechend fällt mein Schlaf schlecht und kurz aus.

Dienstag, 21. Februar 2017 – Camp: Von Palmen, Turbanen & zu kleinen Rucksäcken

Nach einem stärkenden Frühstück erhalten die anwesenden Läufer eine kurze Einführung wie ein Turban richtig geknüpft wird. Hierzu verwenden wir das am Vortag erhaltene Tuch. Und – die Resultate können sich sehen lassen.

Mohamad bringt uns nun sein Klimaschutz Projekt näher. Unweit des Camps lässt er die Teilnehmer seiner Laufveranstaltungen Palmen pflanzen. Wir nehmen diese Einladung gerne an, graben Löcher, wählen eine kleine Palme aus und setzen sie schön in einer Reihe in den Wüstensand. Ein unweit gelegener Brunnen und ein kleines Bewässerungssystem sorgen dafür, dass die kleinen Bäumchen nicht austrocknen.

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Anschliessend bietet Mohamad ein einstündiges Training inklusive Dünenlauftechnik an. Zwei Drittel der Läufer nimmt das Angebot wahr und kämpft sich anfangs mühsam, dann immer besser über die „Sandan-häufungen“. Ich verzichte und mache in Vollmontur für 20 Minuten die Umgebung unsicher.

Am Mittag werden Suppe, Couscous, Poulet, Gemüse und zum Dessert frische Früchte angeboten. Bis zum Briefing um 17 Uhr stehen keine Verpflichtungen an. Jeder hängt seinen Gedanken nach, ruht sich vor dem grossen Lauf aus oder bereitet den Laufrucksack für den nächsten Tag vor.

Während der Vorbereitungsphase zuhause habe ich mich nur auf das Gewicht, welches der Rucksack mit der Pflichtausrüstung und meinen mitzutragenden Habseligkeiten einnehmen wird, befasst. So lief ich zuweilen mit einem gefüllten Camelback, 2 Kilogramm Reis, zwei Tetrapack Orangensaft und einer Wasserflasche meine Trainings. Damit simulierte ich das Tragen der erwarteten sieben bis acht Kilogramm. Entsetzt muss ich nun feststellen, dass das Gewicht in etwa hinkommt, nur passen nicht alle Gegenstände infolge kleinerer (Gewichts-) Dichte nicht in den Rucksack. Er ist zu klein! Ich packe um und stopf nochmals alles hinein. Passt. Nur lässt sich der Camelback nicht mehr füllen. Eine andere Lösung muss her. Nach mehreren gescheiterten Versuchen finde ich endlich das Ei des Kolumbus (und dies zwei Monate vor Ostern). Ich packe Teile der Aus-rüstung in eines meiner Necessaires und schnalle es, mit zwei von Martin ausgeliehenen Lederriemen, auf den Rucksack. 9er Probe: Ich komme problemlos an den Rucksackinhalt ran und kann den Camelback auffül-len. Mir fällt ein Stein vom Herzen.

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Ich entscheide mich, den Lauf nonstop zu absolvieren. Einerseits entfällt dadurch das Mitnehmen eines Schlafsackes für die Übernachtung in Camp 2. Andererseits hat mir das Laufen durch die Nacht schon bei meinen früheren Wüstenläufen sehr gut gefallen.

Das Briefing bringt neue Erkenntnisse. Der Start wird auf 7 Uhr angesetzt. Der erste Checkpoint wird um vier Kilometer von 13 nach 17 verlegt. Es herrschen Unklarheiten zwischen Michael und Mohamad bzgl. der Cutoff-Zeit bei Camp 2 (Etappenziel nach 57 Kilometern) für diejenigen Läufer, welche den UTMES nonstop absolvieren wollen. Man einigt sich schliesslich auf 18 Uhr. Mohamad verzichtet auf die Kontrolle der Pflichtausrüstung. Wir sind ja schliesslich alle alt genug. Bei den Arztattesten nimmt er es aber sehr genau. Nach eingehender Prüfung des Dokumentes werde ich zugelassen und wähle die Startnummer 11 aus.

Nach Suppe und Pasta lege ich mich bereits vor 21 Uhr ins Bett und muss als Letzter noch das Licht löschen!

Ich wappne mich mit langer Unterwäsche, Trainerhosen, Pullover, Faserpelz, Kopfpariser und einer zweiten Decke für die bevorstehende Nacht. Der sternenklare Himmel meint es nicht gut mit mir und schickt auch diese Nacht den Gott der Kälte vorbei. Wieder schlecht und wenig geschlafen.

Mittwoch, 22. Februar 2017 – Der Lauf und das Leiden

Die Hektik vor dem Start ist gross. Meine Zeltgenossen sind sich unschlüssig, wie sie in den kalten Morgen-stunden starten soll. Kurzarm, langarm, leichte Jacke, lange Hose. Für mich stellt sich diese Frage nicht. Kur-zes Shirt und kurze Hose. Spätestens nach zwei, drei Kilometern werde ich nicht mehr frieren. Um 7 Uhr ste-hen alle am Start. Warum geht es nicht endlich los? Das marokkanische Fernsehen hat sich angekündigt, aber anscheinend den Weg noch nicht gefunden. Ich ziehe mir meinen Faserpelz über (praktischerweise liegt unser Zelt nur zehn Meter neben der Startlinie), um nicht allzu stark auszukühlen.

Endlich treffen die Reporter ein und um 7.09 Uhr erfolgt der Startschuss. Bereits nach wenigen Metern er-folgt das Hochkraxeln auf die erste Düne. Einige Minuten später reihe ich mich walkend als Letzter der 22 Teilnehmer ein. Hinter mir läuft nur noch der „Besenwagen“. Abdelhadi, ein Einheimischer. Mit einem tradi-tionellen blauen Gewand, ebenso blauem Turban und niegelnagelneuen, grünen Laufschuhen, hat den Auf-trag dafür zu sorgen, dass niemand verloren geht. Er bewegt sich knapp hinter mir, dann wieder einige Me-ter neben mir oder ab und zu auch einige Schritte vor mir.

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Schnell entschwinden die einheimischen Läufer und auch die andern Teilnehmer am Horizont und ich sehe nur noch Martin vor mir. Die Umgebung ändert sich schnell. Aus Sand und kleineren Dünen erwächst eine Steppenlandschaft um auch nur einige Kilometer später in ein ausgetrocknetes Flussbett überzugehen. Hier beginnen die ersten Schwierigkeiten. Ich rutsche immer wieder auf den faustgrossen Steinen aus und knicke mit den Füssen ein bzw. um. Langsam machen sich leichte Schmerzen in den Knöcheln bemerkbar. Erstaunli-cherweise hole ich Martin trotz vorsichtigem Walken ein. Er muss noch mehr Probleme als ich haben. Nach zwei Stunden erreiche ich ein altes Fort - der erste Check-point - und verplempere dort über eine Viertel-stunde. Das Säckchen mit dem Sportdrink Pulver lässt sich kaum öffnen. Es ist zum Verzweifeln. Endlich ge-schafft. Mit zittrigen Händen fülle ich das Pulver in meine Einliter-Flasche. Wasser rein, schütteln, mit Wasser auffüllen und nun in den Camelback umleeren. Algengrütze und Walfischdreck! Beim Versuch den Deckel auf den Camelback aufzusetzen drücke ich versehentlich auf den Rucksack. Die klebrige Sportdrink Flüssigkeit ergiesst sich in das Innenleben des Rucksacks. Natürlich in Richtung meiner Ersatzwäsche, welche für den Lauf durch die Nacht gedacht ist. Was soll, ich kann’s jetzt doch nicht mehr ändern. Genervt mache ich mich wieder auf den Weg.

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Trotz des Malheurs hole ich Martin, der zehn Minuten vor mir den Checkpoint verlassen hat, nach einer knappen Dreiviertelstunde wieder ein. Für kurze Zeit laufen wir gemeinsam weiter, verlaufen uns auch kurz-fristig, bis ein schmaler Weg quer durch eine Geröllhalde in Richtung des 1‘037 Meter hohen Tizi N'Lagtara führt. Martin vermag mir hier nicht mehr zu folgen. Plötzlich mündet der Weg in eine unbefestigt Strasse, auf welcher ich nun schnellen Schrittes zur Hochebene hoch eile. Unterwegs überhole ich eine Kamelkara-wane, die Touristen in der Umgebung herumführt. Um 10.30 Uhr stehe ich oben und geniesse den herrlichen Ausblick und das atemberaubende Panorama. Gerne würde ich hier länger verweilen, aber die Zeit bleibt nicht stehen.

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Von hier, bis zum zweiten Checkpoint nach 29 Kilometern, wird der Weg wieder sehr schmal und das Umkni-cken auf den herumliegenden Steinen nimmt wieder leicht zu. Konzentriert arbeite ich mich Kilometer um Kilometer zum nächsten Verpflegungsposten vor, welchen ich um 11.30 Uhr erreiche. Trotz allem doch noch ein stattlicher Schnitt von 6.7 km/h. Schnell reicht mir der Helfer ein Fünfliter Wassergebinde, damit ich meine Vorräte wieder auffüllen kann. Dieses Mal passiert mir das Missgeschick mit dem Camelback Deckel nicht mehr. Routiniert fülle ich den Trinksack, verschliesse ihn gekonnt und mach mich, bereits nach zehn Minuten, frohen Mutes wieder auf den Weg. Gleich hinter dem Checkpoint geht es steil auf den Tizi Laiwj (1‘059 MüM) hinauf. Das Gelände liegt mir wieder und so laufe ich in 15 Minuten locker die steilen Serpenti-nen hoch. Empfangen werde ich von einem traumhaften Ausblick in das vor mir liegende Tal und die in wei-ter Ferne liegende Wüste mit den sich auftürmenden Sanddünen.

Doch wie geht es weiter? Ein Weg lässt sich nicht erkennen bzw. sieht anders aus. Ein steiniger Abstieg steht mir bevor – im wahrsten Sinne des Wortes. Wieder faustgrosse Steine, soweit das Auge reicht. So plage ich mich die nächsten fünf bis sechs Kilometer durch die Steinwüste runter ins Tal. Es ist zwar nicht steil, aber jeder Schritt erfordert höchste Konzentration. Und doch lassen sich Fehltritte (leider) nicht vermeiden. Hier ein Knicker, da ein Rutscher, dort ein Stolperer – meistens mit einem heftigen Stoss der Zehen in den un-nachgiebigen Fels. Langsam melden sich die Schmerzen im Knöchel und neu auch im linken Knie wieder. Am Fuss des Berges liegt die Oase Achgig. Ich atme erleichtert auf als ich sie erreiche. Das Schlimmste sollte nun überstanden sein. Jedoch nur für kurze Zeit. Hinter der Oase wieder ein ausgetrocknetes Flussbett mit den schon ausführlich beschriebenen Herausforderungen.

Nach mehreren Flussbiegungen beginnt ohne Vorwarnung die Wüste. Der erste Kilometer bis zum Check-point bei Kilometer 41 zeichnet sich noch durch einen harten Untergrund aus. Die Nomadenfamilie am Ver-pflegungsposten bietet mir nebst dem obligaten Wasser auch einen kräftig dampfenden Tee an, denn ich nur allzu gerne annehme. Inzwischen ist es 13.45 Uhr und die Sonne brennt nun stärker durch die einzelnen Wolken durch. Schnell nochmals Sonnencreme auftragen. Und weiter geht’s. Ich würde zwar sehr gerne das Angebot der Hausherrin annehmen und im Gästezelt ein Nickerchen machen, aber der Cutoff um 18 Uhr schwebt wie ein Damoklesschwert über mir.

Nach einigen Minuten führt der mit Fähnchen markierte Weg rechts von mir über die ersten kleinen Dünen Richtung Süden. Ich entdecke am Boden Fussspuren von etwa zehn Läufern, welche weiter links, parallel zur offiziellen Strecke durch „dünenloses“ Gebiet führen. „Was die können, kann ich auch“. Ich entscheide mich für den Weg des geringsten Widerstandes und folge den aufgefundenen Spuren. Nun geht es hurtig vor-wärts. Knöchel und Knie sind auch wieder in Ordnung und alles scheint paletti. Jedoch kurz nach dem „Ge-nuss“ eines weiteren Gels wird mir speiübel und ich lasse Einiges von mir in der Wüste zurück. Als ich nichts mehr zu geben habe, spüle ich meinen Mund mit Wasser aus und verlasse den Tatort.

Raphael Kälin, März 2017 Seite 12

Plötzlich kreisen meine Gedanken wieder um den Cutoff. Was bedeutet die Aussage „Cutoff 18 Uhr“ über-haupt? Habe ich bis 18 Uhr Zeit im Camp anzukommen, damit ich anschliessend weiterlaufen darf? Oder ist es eher so, dass man spätestens um 18 Uhr das Camp wieder verlassen haben muss? Während ich so vor mich hin sinniere, merke ich gar nicht, dass ich seit längerer Zeit keine Streckenmarkierungen mehr zu mei-ner Rechten gesehen habe. Ich erwache aus meinen Tagträumen und muss zudem noch feststellen, dass sich die Fussspuren, denen ich seit mehr als einer Stunde gefolgt bin, wie eine Fata Morgana in Luft aufgelöst haben. Sackzement, wo zum Teufel bin ich eigentlich? Ich krame das GPS-Gerät hervor und nehme eine Standortbestimmung vor. Gemäss dem elektronischen Führer befinde ich mich 3.5 Kilometer nordöstlich vom nächsten Checkpoint, der sich auf der „Erg Laabidlia“, der höchsten Düne der Umgebung, befindet. Und gut zwei Kilometer östlich von der offiziellen Strecke. Nun sind Korrekturen an Richtung und Vorgehensweise angebracht. Ich bewege mich in südwestlicher Richtung durch immer mehr Sand und immer höhere Dünen. Ich büsse nun für die Bequemlichkeit oder meine gedachte Gerissenheit zu Beginn des Wüstenabschnitts. Das Überqueren der Dünen kostet enorm viel Kraft. Umlaufen gilt nicht mehr. Nur immer schön dem GPS Kurs nach. Mir scheint, als komme ich gemäss GPS dem Ziel keinen Schritt näher. Die angezeigte Distanz wird einfach nicht kleiner. Hinter dem nächsten Sandhügel erblicke ich ein Camp. Touristen sitzen um ein Feuer und Einheimische begrüssen mich. Nach kurzer Diskussion ist klar - ich befinde mich auf dem richtigen Weg. Ich kaufe mir eine Flasche Wasser, der Pegel im Camelback ist auf einem bedrohlich tiefen Stand, und er-klimme die nächsten hohen Dünen. Auf und ab – auf und ab. Das GPS zeigt immer noch, dass über zwei Ki-lometer fehlen. Das kann doch nicht sein. Was zeigt das Mistding überhaupt an? Nach der folgenden Düne erreiche ich eine kleine Senke. Ich genehmige mir einen grossen Schluck Wasser und erspähe aus den Au-genwinkeln heraus ein kleines Fähnlein. Ich bin wieder zurück auf dem richtigen Weg! Ich juble innerlich. Kein Verlaufen in der Wüste. Meine Anspannung löst sich auf einen Schlag.

Ich drehe mich, meinen Blick der Fähnchenspur folgend, um 90 Grad und stelle überraschend fest, dass ich nur wenige Meter vor „Erg Laabidlia“ stehe. Noch ein Geschenk! Voll motiviert mache ich mich an die Be-steigung. Doch die Euphorie schwindet schnell wieder. Der Anstieg kostet extrem viel Kraft. Nun macht es sich deutlich bemerkbar, dass ich in den letzten zwei Stunden ausser ein wenig Wasser, nichts mehr zu mir genommen habe, bzw. nicht in der Lage war. Zehn Schritte hoch – Pause. Wieder zehn Schritte – Erholen. Endlich, nach einer halben Stunde, um 16.30 Uhr, erreiche ich den Gipfel, auf welchem Jorge den Checkpoint „bewacht“. Der Ausblick ist phänomenal. Richtung Osten – Sonnenschein und in einigen Kilometern Entfer-nung eine weitere hohe Düne (dahinter ist das Etappenziel). Richtung Westen – Ein Sturm zieht auf und macht sich bereits mit starken Windböen bemerkbar. Schnell einige Photos geschossen, die Windjacke über-gezogen und weiter zum Etappenziel.

Raphael Kälin, März 2017 Seite 13

Ich stapfe durch den Sand den Hang hinunter. Die Gamaschen leisten hervorragende Dienste und lassen kein einziges Sandkorn in meine Schuhe rein. Zeitweise ist der Sand jedoch hart wie Stein und dies führt zu einem ernsthaften Problem. Bei jedem Schritt bergab auf dieser Unterlage, verspüre ich urplötzlich einen Stich in meinem linken Knie. Als ob mit einem spitzen Messer das Knie durchstochen würde. Ich kann nicht mehr laufen, ich hinke, beisse die Zähne zusammen und versuche Passagen, mit weichem Sand zu finden. Auf den Kreten lassen die Schmerzen wieder nach. Auch weitere Aufstiege sind kein Problem. Nur abwärts immer wieder diese Schmerzen. Zwischendurch erblicke ich Touristen aus umliegenden Camps, die mit Boards die Dünen runtersausen. Endlich erreiche ich das letzte Hindernis. Nochmals geht es schwer atmend hoch zum Gipfel. Ein letztes Mal geniesse ich den Rundumblick und humple anschliessend ins Etappenziel, welches ich exakt um 17.30 Uhr, nach 10 Stunden 21 Minuten und 15 Sekunden, erreiche.

Das Camp besteht aus vielen quadratischen Zelten, welche direkt aneinander in einem Rechteck angeordnet sind. Der Platz im Inneren der Zeltstadt ist mit Teppichen belegt, mit einer Feuerstelle in der Mitte versehen und mit mehreren Sitzmöglichkeiten ausgestattet. Hier begrüsse ich einige Läufer, welche bereits vor zwei, drei Stunden die erste Etappe absolviert haben. Ich bespreche mit Michael das weitere Vorgehen. Für mich ist es an diesem Tag unmöglich weiterzugehen. Den, laut Reglement für eine Übernachtung notwendigen Schlafsack habe ich natürlich nicht dabei und der Organisator kann mir auch keinen zur Verfügung stellen. Es stellt sich heraus, dass er auch nicht nötig ist. Die Zelte verfügen über Betten mit Matratzen, Kissen und ge-nügend warmen Decken. Daher verstehe ich die Regelung nicht, dass diejenigen, welche hier übernachten wollen einen Schlafsack zwingend mitnehmen müssen und die Anderen, welche den Lauf nonstop bestreiten nicht. Ich bringe meine Sachen in ein Viererzelt, welches ich mit Martin teile. Kurze Zeit später macht sich Hans wieder auf den Weg. Er hat sich knapp 1.5 Stunden ausgeruht, etwas gegessen und wirkt immer noch sehr frisch, als er uns Richtung Norden verlässt.

Raphael Kälin, März 2017 Seite 14

Martin erscheint erst nach 18 Uhr und hat damit die Cutoff Zeit fürs Weiterlaufen verpasst. Nach allgemeiner Sandentfernung und einer Salami verlässt er trotzdem das Camp im einsetzenden Regen und einbrechender Dunkelheit. Michael, der die Ankunft und das Weiterlaufen von Martin nicht mitbekommen hat, versucht ihn per Handy zu erreichen, um ihn ins Camp zurückzuholen. In der Zwischenzeit wird der Regen, vor allem auf der Laufstrecke in den naheliegenden Bergen, immer stärker, und die Rennleitung entscheidet, den Lauf bis zum Tagesanbruch am nächsten Morgen zu unterbrechen. Die Nonstop-Läufer werden telephonisch instru-iert, beim nächsten Checkpoint oder beim nächsten Berber Zelt anzuhalten und dort zu übernachten. Martin ist nicht sehr weit gekommen und wird per Jeep ins Camp zurückgebracht.

In der Zwischenzeit geniesse ich eine heisse Dusche. Ja, auch das gibt es in diesem tollen Camp. Noch selten wurden 10 Dirham so sinnvoll und lebensgeisterweckend eingesetzt! Mir ist leicht übel, schliesslich habe ich seit Stunden praktisch nichts mehr zu mir genommen. Das Herunterstürzen dreier Colas hilft Wunder. Gegen 20 Uhr treffen wir uns im Hauptzelt zum Nachtessen. Wir erhalten eine nahrhafte und sehr feine Mahlzeit. Das Essen wird für mich zur Qual. Krämpfe in den Händen machen mir das Halten des Besteckes praktisch unmöglich. Das hatte ich jetzt noch nie. Krämpfe in den Händen - wie ungeil ist das denn!

Raphael Kälin, März 2017 Seite 15

Im Vergleich zu Mohamads Zelten wird es in unserer Unterkunft nicht kalt. Nur in Unterwäsche gekleidet, ist es unter einer Decke warm genug und ich friere das erste Mal seit Tagen nicht mehr im Bett. Vor dem Ein-schlafen lasse ich das Tagesgeschehen nochmals Revue passieren. Durch das konzentrierte Laufen auf dem steinigen Untergrund und durch das Suchen des richtigen Weges in der Wüste, habe ich für einen Lauf in dieser Länge wichtige Dinge ignoriert bzw. einfach vergessen. Zuwenig Salztabletten eingenommen. Auch die Kohlenhydratzufuhr war ungenügend. Flüssigkeitsaufnahme am unteren Limit. Ein Lehrblätz für das nächste Mal. In der Zwischenzeit fühlt sich mein Kopf heiss an. Meine ich das nur? Hitzeschlag? Unmöglich. Das Wet-ter zeigte sich heute für einen Lauf optimal. Meistens windig und bewölkt. Nur kurz heiss. Kurze Zeit später falle ich in einen unruhigen Schlaf. Als ich um 23 Uhr austreten muss, hat sich die Regenfront verzogen, der Himmel ist sternenklar und es ist noch erstaunlich warm.

Donnerstag, 23. Februar 2017 – Die Vernunft siegt

Ich erwache um 6 Uhr, trete vor unser Zelt und stelle resignierend fest: Eigentlich topfit. Bereit für den zwei-ten Teil. Nur das Knie macht sich immer noch bemerkbar. Einige Versuche auf ebenem Untergrund zeigen, es könnte gehen. Sobald es jedoch wieder steinig wird, kommt der Schmerz zurück. Schade.

Nach dem Frühstück reihen sich die verbliebenen Läufer an der Startlinie auf (Martin wurde bereit an seine Ausgangsposition des letzten Tages gebracht). Alle sind voll motiviert, wenn auch teilweise durch Blasen an den Füssen eingeschränkt, und warten ungeduldig auf den Start. Es geht los, und schnell verschwinden die Protagonisten aus unserem Blickfeld.

Natürlich schmerzte es im ersten Moment nicht nur im Knie, sondern auch in mir drin, als ich mich vernünf-tigerweise dazu durchgerungen habe, auf die zweite Etappe zu verzichten. Gesundheit geht vor und schliess-lich steht in zwei Monaten bereits der Hamburg Marathon an, an welchem ich Renate an ihrem Ersten be-gleiten, coachen und motivieren darf.

Um 7.30 besteigen Pia, Amelie (eine Nichtläuferin, die ihren Freund begleitet) und ich den Jeep und fahren Richtung Osten los. Die Bergkette, welche von den Teilnehmern am Tag zuvor und heute überquert wird, lässt sich motorisiert nicht passieren. Daher fahren wir parallel zum Gebirge durch die Wüste. Anfangs noch

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auf einer Piste. Später müssen wir diese verlassen, da sie durch die nächtlichen Regenfälle immer noch mit Wasser geflutet ist. Geschickt steuert der Fahrer das Fahrzeug durch den nassen Wüstensand, immer darauf bedacht, nicht anhalten zu müssen. Der nasse Sand klebt tief im Reifenprofil und lässt den Pneu zu einem Slick verkommen. Jeder Stopp könnte daher das Ende unsere Fahrt bedeuten. Nach zwei Stunden haben wir das Ende der Gebirgskette und eine befestigte Strasse erreicht. Zügig geht’s in die nächste Stadt. Während der Fahrer ein Türschloss am Jeep reparieren lässt, geniessen wir in einem Strassencafé einen herrlichen Kaffee. An der Sonne sitzend, fühlen wir uns pudelwohl. Während der Weiterfahrt stellen Pia und ich im Rückspiegel fest, dass der Fahrer eine besorgniserregende Neigung zum Schliessen der Augen an den Tag legt. Wir fordern ihn auf, das Fenster ein wenig zu öffnen und Amelie verwickelt ihn in ein anregendes Ge-spräch. Gefahr gebannt. So treffen wir nach knapp fünf Stunden unfallfrei bei Mohamad ein.

Ich ruhe mich nach der anstrengenden Fahrt aus, als plötzlich ohrenbetäubende Musik erklingt. Ich schreite aus dem Zelt und erblicke Mohamad mit einigen Helfern beim Zielbogen. Ein Läufer wurde am Horizont er-blickt und wird auf den letzten Metern euphorisch angefeuert. Diese Prozedur wiederholt sich zwischen 13 und 15 Uhr für jeden einlaufenden Ultra. Alle werden herzlichen empfangen und untereinander wird aner-kennend gratuliert. In der Zwischenzeit ist auch das marokkanische Fernsehen wieder eingetroffen und filmt das Geschehen. Zwischen zwei ankommenden Läufern werde ich von den Reporten zum Interview gebeten. Ich soll mich zum Erlebten, dem Lauf, der Organisation etc. äussern und vor allem Werbung für die Teilnah-me im nächsten Jahr betreiben. In tue dies gerne. Ob meine Ausführungen ausgestrahlt wurden, ist ebenso unbekannt. Genauso, ob und wie meine in Deutsch getätigten Worte übersetzt wurden.

Zwischen den Ankünften der Läufer überreicht mir Mohamad die Finisher-Medaille. Schliesslich habe ich die erste Etappe heroisch beendet. Was für ein tolles Gefühl, das schwere Ding um den Hals zu haben. Schon steigen wieder Erinnerungen an den gestrigen Tag auf.

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Das Fernsehen möchte sich langsam vom Acker machen. Daher wird die Siegerehrung durchgeführt, obwohl Martin das Ziel noch nicht erreicht hat. Sieger ist Abtelaziz, der die 110 Kilometer nonstop in unter 11 Stun-den zurückgelegt hat. Unglaublich.

Endlich, kurz vor 18 Uhr, überquert Martin die Ziellinie. Überglücklich lässt er sich auf einen Stuhl fallen. Ge-schafft.

Freitag, 24. Februar 2017 – Rückreise im R4 Stau

Nach einer wiederum kalten Nacht heisst es Abschied nehmen. Von Mohamad, seinen Helfern, dem Camp und der wunderbaren Umgebung. Nach den üblichen Photoshootings nehmen wir den kurzen Weg zur Hauptstrasse unter die Füsse. Der Kleinbus wartet bereits und transportiert uns auf dem gleichen Weg zu-rück nach Marrakesch.

Unterwegs geraten wir in die 4L Trophy. Die Renault 4L Trophy ist eine, an die Rally Paris-Dakar angelehnte, rund 6.000 km lange Wüstenrallye von Paris nach Marrakesch. Zur Rallye sind ausschliesslich Fahrzeuge vom Typ Renault 4 zugelassen. Jeder Teilnehmer muss mindestens 50 kg Bildungsmaterialien für Schulkinder in Marokko mit sich führen. Die erste Veranstaltung fand 1998 statt. Heute, am 20 jährigen Jubiläum, nehmen bereits gegen 2‘000 Renaults die Strapazen auf sich. Entsprechend verstopfen die von Werbung zugepflas-terten Vehikel die Passstrasse. Alle paar Kilometer steht ein oder mehrere dieser Kisten mit geöffneter Mo-torhaube am Strassenrand.

Am heutigen Tag fällt bei der Passüberquerung kein Schnee und so erreichen wir kurz vor Einbruch der Dun-kelheit das Hotel. Zu neunt tauschen wir beim anschliessenden Burger Essen im Extrablatt die Erfahrungen und Erlebnisse der vergangenen zwei Tage aus. Da wir nur noch auf der Terrasse genügend freie Sitzplätze finden, wird es schnell kalt. Trotzdem wird viel gescherzt, gelacht und das Abenteuer UTMS findet einen würdigen Abschied. Nach einem Schlummertrunk an der Hotelbar ziehen sich alle in ihre Zimmer zurück, da mit Ausnahme von Hans und der Schweizerfraktion alle am folgenden Tag die Heimreise antreten müssen.

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Samstag, 25. Februar 2017 – Feilschen um jeden Preis

Um 5.30 wollen mich die Götter nicht mehr schlafen lassen. Ich wälze mich einige Zeit hin und her und be-ginne anschliessend aus Langeweile zu packen. Es beginnt zu tagen und ich mache einen ausführlichen Spa-ziergang in der kühlen Morgenluft. Das Knie hat sich beruhigt. Leichte Schmerzen machen sich nur noch bei Treppensteigen bemerkbar. Nach dem Frühstück buche ich einen Massagetermin für den Nachmittag und treffe mich mit Hans und Michael. Gemeinsam flanieren wir durch die Stadt, schauen uns Museen und Paläs-te an und genehmigen uns einen Kaffee auf einer Dachterrasse mit tollem Ausblick auf die Stadt. Natürlich dürfen die Souvenirs nicht vergessen werden. Mit der Wunschliste meiner Lieben geht’s auf ins Getümmel. Ingwer, Curry in verschiedenen Variationen, Koriander, Pfeffer, Paprika und Tee für Renate lassen sich beim Gewürzhändler leicht auftreiben. Der Duft der Gewürze ist um einiges intensiver als bei den uns Kaufbaren. Je 50 Gramm werden abgewogen und in Säckchen aus Plastik verpackt. Trotzdem riecht mein Rucksack sehr gewürzlastig, als ich das Hotel erreiche. Zum Glück habe ich die Sportdrink-Dosen noch nicht entsorgt. Die Geruchsverbreiter werden in der Dose verstaut und fertig ist’s mit den Düften.

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Das Auffinden von geflochtenen Schalen gestaltet sich da schon schwieriger. Überall werden nur Tönerne oder Metallene feilgeboten. Ich habe die Hoffnung schon fast aufgegeben, als ich in einer kleinen Nebengas-se doch noch fündig werde. Nach kurzer Verhandlung wechseln zwei Exemplare für 60 Dirham den Besitzer. Emanuella wünscht sich einen Magneten für ihre Sammlung. Ich finde ein schönes Exemplar in der Form eines Kamels.

Nun wird’s schwierig. Olivia, meine Jüngste, wünscht sich einen schwarzen Pullover, Grösse M. Die meisten Händler bieten nur T-Shirts oder traditionelle Gewänder an. Am Djamaa el-Fna (Platz der Gehenkten) werde ich endlich fündig. Da das Einführen gefälschter Markenartikel in der Schweiz verboten ist, bin ich sehr er-leichtert, dass es sich bei diesem Kleidungsstück nicht um ein Teil von Adidas, Esprit, Armani, Nike, Diesel oder wie sie alle heissen mögen, handelt. Ein Pullover von Desigual – nie gehört. Bestimmt so eine No-Name Marke. Also beschliesse ich, das Feilschen mit dem gewieften Verkäufer aufzunehmen. „Was soll das gute Stück kosten?“ „480 Dirham.“ „Viel zu teuer. Ich gebe Ihnen 200.“ „450.“ „Nein, kein Interesse.“ Ich drehe mich um und will den Laden verlassen. Der Marokkaner hält mich zurück und offeriert für 400. „Nein, immer noch zu teuer.“ „Was ist Ihr letztes Angebot.“ „Ich biete 220.“ „Nein, das ist viel zu wenig. 350.“ „Vielen Dank“, und schon bin ich seinen Fängen entschwunden. Zehn Meter von seinem Laden entfernt, holt er mich ein. „Wir müssen weiterverhandeln. Dies ist bei uns so üblich. Also, wie ist Ihr letztes Angebot?“ „Wie bereits gesagt 220, aber ich gebe Ihnen 240.“ Nach langem Zögern:“250 muss ich haben.“ „So soll es sein“. Ich kra-me mein Portemonnaie hervor und stelle fest, dass sich mein restlicher Dirham Barbestand auf 220 beläuft. „Ich kann Ihnen doch nur 220 geben. “ „Nein, wir haben 250 vereinbart.“ „Ok, ich gebe Ihnen 20 Schweizer Franken und 50 Dirham.“ „Ist das richtiges Geld?“ „Natürlich.“ „Wie viel ist ein Franken wert?“ „Gleichviel wie ein Euro.“ Der Mann weiss nicht, wie er reagieren soll. Neben seinem Laden befindet sich eine Wechsel-stube. Ich ziehe den Verkäufer vor die dort prangernde Wechselkurstafel. Er studiert kurz den Kurs und wil-ligt ein.

Jetzt aber hurtig zurück ins Hotel zur Massage. Die 30 Minuten sind echt wohltuend. Völlig entspannt treffe ich Hans zum Zvieri (Penne mit Salat) im Extrablatt. Den Rest des Abends verbringen wir mit Pia und Hans-Jörg bei Bieren und Nüssen in der Hotelbar. Jetzt heisst es Abschied nehmen. Das Schweizer Paar fliegt am Sonntag bereits um 9 Uhr zurück.

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Sonntag, 26. Februar 2017 – Rückflug mit Warteschlangen

Gegen 10 Uhr sind Hans und ich bereit für die Fahrt zum Flughafen. Mein Rückflug via Genf startet um 12.40 Uhr, seiner gegen 13.30 Uhr. Vor dem Losfahren muss natürlich zuerst der Preis verhandelt werden. Mit 120 Dirham sind wir dabei. Die Tafel in der Eingangshalle des Flughafens zeigt an, dass ich bereits am Schalter A6 einchecken kann. Hans’ Schalter ist noch nicht aufgeführt. Was ist nun los? Alle Schalter von A6 bis A10 sind verwaist. Eine nochmalige Konsultation der Tafel löst das Problem. Abflug ab Gate A6, Check-in Schalter A22 bis A24. Alles klar. Von weitem ist erkennbar, dass ich nicht der einzige Fluggast nach Genf bin. Keine Anste-henden bei „Business Passangers“. Keine bei „Baggage drop-off“. Aber elend Viele bei „Check-in“. Am Sams-tag ist mein online Check-in mehrmals fehlgeschlagen. Also stehe ich widerwillig am Ende der langen Schlan-ge an. Nach geraumer Zeit heisst es plötzlich, dass auch der „Baggage drop-off“ Schalter zum Check-in ge-nutzt werden darf. Ein Gerangel mit Ziehen und Stossen geht los. Ich bleibe in meiner Schlange und gewinne auf einen Schlag 10 Meter. Jetzt sind nur noch ein Pärchen, eine vierköpfige Familie und eine junge Dame vor mir. Hans kommt vorbei und informiert mich, dass sein Schalter in der Zwischenzeit geöffnet hat und er bereits abgefertigt wurde. Jetzt wird das Warten aber immer ärgerlicher. Bei der Familie scheint etwas mit den Pässen nicht zu stimmen. Die Swissport Angestellte schlurft im Zeitlupentempo davon. Fünf Minuten später kommt sie zurück, setzt sich aber nicht an den Schalter, sondern verschwindet eine Treppe hochstei-gend wieder. In der Schlange nebenan wird Gast um Gast eingecheckt. Nach weiteren zehn Minuten geht’s endlich weiter. Die Familie wird zur beiseite gezogen und muss auf den Security Officer warte. Endlich kom-me ich an die Reihe. Gerade als mein Pass eingelesen wird erscheint eine weitere Beamtin. Die beiden disku-tieren über das Passproblem der Familie. Hallo – ich will endlich einchecken!!! Jetzt ist aber genug. Ich neh-me mein Gepäck vom Band und bin drauf und dran den Schalter zu wechseln, als sich die junge Frau endlich erbarmt mich zu bedienen.

Die übriggeblieben Zeit bis zum Boarding reicht gerade noch für einen kurzen Kaffee und die Verabschiedung von Hans. Dann geht’s ab in den Flieger. Zum Mittagessen gibt’s gerade mal ein lauwarmes Chäschüechli. Getränke werden nur einmal ausgeschenkt. Arme Swiss – ganz mieser Service. Kein Vergleich zum Hinflug mit Edelweiss. Apéro mit Nüssli und Getränke. Ein vollwertiges Menu mit Dessert. Mehrmals vom Personal serviertes Trinkbares.

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Beim Zwischenstopp in Genf marschiere ich zügig durch den Transferbereich. Beim Security Check steht ein älteres Paar vor mir. Ihr Handgepäck ist vollgestopft mit allerlei Flüssigkeiten in Grössen von 50 bis 200ml, welche sie gemäss ihren Aussagen im Duty Free in Marrakesch erstanden haben. Für sie ist nicht nachvoll-ziehbar, dass gemäss den gültigen Regeln nur Behältnisse mit maximal 100 ml mitgeführt werden dürfen. Und zudem nur so viel, wie in einem Einliter-Beutel Platz findet. Sie spielen die Unwissenden und packen immer mehr Fläschchen, Döschen und Tuben aus. Jetzt stehe ich schon wieder über fünf Minuten in einer Warteschlange. Ein zweiter Beamter erscheint und nimmt die Alten zu Seite, damit wir endlich weiter kön-nen. Das Chäschüechli meldet sich, bzw. das Hungergefühl, das sich mit der kleinen Swiss-Portion nicht be-friedigen liess. Die zwei Flughafenrestaurants sind völlig überrannt. Glücklich ergattere ich an einem Stand die letzte Quiche. So gut wie sie aussieht – so kalt ist sie auch. Ich gebe sie zurück und der Angestellte schiebt sie in den Offen. Nach einer Weile erkundige ich mich nach meinem Essen. Der junge Mann schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und zieht verschämt einen rauchenden Kohlehaufen aus dem Ofen. Er entschuldigt sich hundertfach und reicht mir eine Neue, welche er dieses Mal mit der gebotenen Vorsicht im Ofen aufwärmt.

Um 18.30 Uhr lande ich zu guter Letzt in Zürich. Hier ist mir das Glück zum ersten Mal an diesem Tag wirklich hold. Meine Reisetasche fällt als Erste auf das Gepäckband und am Ausgang wartet bereits Renate.

Ein unglaublich schönes Erlebnis mit vielen neuen und tollen Laufkollegen geht zu Ende. Ich bin sicher nicht das letzte Mal in dieser Gegend gewesen. Auf Steine und Geröllhalde kann ich aber gut verzichten.

Vielen Dank an Alle, die mir im Vorfeld mit Ratschlägen zur Seite gestanden, diverse Ausrüstungsgegenstän-de ausgeliehen und im Nachgang Photos zur Verfügung gestellt haben.