VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

56

description

 

Transcript of VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

Page 1: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 2: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 3: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 4: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 5: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 6: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

  

      

 

A K T U E L L Verband

Das sind die Neuen Gleich fünf neue Mitglieder wurden in den Zentralvorstand des VCS Schweiz  gewählt. Wir stellen sie vor.

Oben, v.l.n.r.: Patrizia Bernasconi, Stéphanie Penher, Stefan Grass, Gabi Petri, Beat von Scarpatetti, Bruno Storni. Unten: Ruedi Blumer, Anne Mahrer, VCS­Präsidentin Evi Allemann, Köbi Knüsel. Roger Nordmann fehlt auf dem Bild.

Von Stefanie Stäuble

VCS-Zentralpräsidentin Evi Allemann (Sektion Bern)

und Vizepräsident Roger Nord­mann (Waadt) wurden an der Delegiertenversammlung 2014 ebenso in ihren Ämtern bestätigt wie die bisherigen Mitglieder des Zentralvorstands Patrizia Ber­nasconi (Sektion beider Basel), Stefan Grass (Graubünden), Gabi Petri (Zürich) und Bruno Storni (Tessin).

Mit Uli Doepper, Erica Hen­nequin, Sibylle Lehmann und Paul Stopper traten vier Vor­standsmitglieder aus beruflichen Gründen oder wegen der statuta­rischen Amtszeitbeschränkung zurück. Da nach der letztjährigen Wahl Evi Allemanns zur Präsi­dentin zudem ein Sitz vakant war, wurden fünf neue Mitglieder ge­wählt. Wir gratulieren ihnen zu ihrer Wahl in den VCS-Zentral­vorstand und stellen sie kurz vor.

© P

eter

Pfi st

er Grossrat und von 2008 bis 2010

als Präsidentin der Genfer Grü­nen. «Ich möchte den motori­sierten Individualverkehr in der Stadt beschränken, denn Fein­partikel, die die Grenzwerte re­gelmässig übersteigen, sind eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung», sagt sie.

Stéphanie Penher Sektion Bern 

Seit 2007 ist Stéphanie Penher Mitglied des Berner Stadtparla­ments und der Planungs- und Ver­kehrskommission. Als Geschäfts­leiterin der VCS-Sektion Bern bringt sie viel Erfahrung mit. Sie begann vor zwölf Jahren mit ei­nem Praktikum beim VCS. «Mit der VCS-Regionalgruppe Bern habe ich ‹autofreies Wohnen› lan­ciert, und als Stadträtin konnte ich Mehrheiten finden, um auto­freie und autoarme Wohnbaupro­jekte umzusetzen. Auch für The­men wie Veloverleihsysteme oder die ökologische Motorfahrzeug­steuer stehe ich ein.»

Beat von Scarpatetti Sektion beider Basel

Im Mai 2014 wurde der Club der Autofreien (CAS) in den VCS in­tegriert; mit der Wahl des lang­jährigen CAS-Präsidenten stell­ten die Delegierten sicher, dass die autofreien VCS-Mitglieder im Vorstand vertreten sind. Der emeritierte Forschungsleiter der Universität Basel möchte auto­freie Mitbürgerinnen und -bür­ger mit einem Ökobonus be­lohnen, weil sie die Städte und Agglomerationen weniger belas­ten. «Es braucht endlich die Kos­tenwahrheit im Verkehr. Ohne Auto zu leben, muss ökonomisch attraktiver werden.»

Ruedi Blumer, Sektion St. Gallen­Appenzell

Seit mehr als zehn Jahren enga­giert sich Ruedi Blumer aktiv im Vorstand seiner VCS-Sekti­on, seit sieben Jahren als Co-Präsident. Neben seiner Arbeit als Schulleiter in Wil ist er Kan­tonsrat, Präsident der SP Gossau und Präsident des Mieterinnen- und Mieterverbands Ostschweiz. Die Motivation für sein Engage­ment: «Unsere Verkehrssysteme und deren Weiterentwicklung – insbesondere jene des Fuss- und Veloverkehrs und des öffentli­chen Verkehrs – sowie die Raum­entwicklung liegen mir sehr am Herzen.»

Köbi Knüsel Sektion Aargau 

Vier Jahre war Köbi Knüsel Prä­sident des VCS Aargau, heute ist er Vizepräsident. Mit dem Wirt­

schaftsinformatiker ist die viert­grösste VCS-Sektion erstmals im Gesamtschweizer Vorstand ver­treten. Schwerpunkte seines En­gagements sind die ÖV-Förde­rung, gute Bedingungen für den Velo- und Fussverkehr und der Energiebereich. «Mein spezielles ‹Steckenpferd› ist die Geschwin­digkeit: Viele negative Auswir­kungen unserer motorisierten Mobilität lassen sich durch eine geringere Geschwindigkeit redu­zieren.»

Anne Mahrer Sektion Genf

Die Nationalrätin ist Mitglied der nationalrätlichen Verkehrs­kommission und ergänzt den VCS-Vorstand mit einer wichti­gen Stimme aus der Romandie. Seit 1987 ist sie politisch enga­giert: Während 15 Jahren als Ge­meinderätin, ab 2001 im Genfer

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 6 

Page 7: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 8: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 9: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 9

Page 10: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

 

Text und Fotos: Stefanie Stäuble

«Ich würde am liebsten mor­gen einziehen», ruft eine

Frau neben mir begeistert aus. Die Verkehrsplanerin gehört zu einer Gruppe von rund 80 Fach­leuten, die die autofreie Siedlung Kalkbreite im Herzen Zürichs besichtigen. Während Thomas Sacchi, Projektleiter und Genos­senschafter der Kalkbreite, uns von der Vision hinter dem Ge­bäudekomplex erzählt, in den Ende Sommer 240 Menschen einziehen, sirrt eine Baufräse, so­dass wir die Ohren spitzen müs­sen. Mit der Siedlung entsteht ein lebendiges Zentrum im Quar­tier, das die umliegenden, heute

Lebst du schon? «Wohnst du noch oder lebst du schon?» In der neuen autofreien Siedlung Kalkbreite in Zürich ist die Antwort klar: Hier steht das Zusammenleben im Vordergrund.

durch Bahngraben und Strassen getrennten Stadtteile miteinan­der verbindet. Das imposante Gebäude überdeckt die bestehen­de Tramabstellanlage auf dem Areal. Dadurch wurde Platz für einen 2500 m2 grossen Hof über den Geleisen frei, der für alle of­fen steht.

Die Wohnformen sind alt­bekannt – und gleichzeitig neu. Apartments für Familien liegen neben Gemeinschaftswohnun­gen mit bis zu 9½ Zimmern. Es gibt einen Grosshaushalt, in dem sich 50 Leute einen Essraum mit Koch teilen, und Einpersonen­wohnungen, die zu sogenannten

Clustern gruppiert sind. Dane­ben beherbergt die Kalkbreite Gewerbe- und Kulturräume mit zirka 200 Arbeitsplätzen. Darun­ter ein Kino mit fünf Sälen, eine Pension mit elf Zimmern und eine Cafeteria. «Das Kalkbreite­projekt wird wohl über Zürich hinaus wahrgenommen werden», begeisterte sich der Vorsteher des Hochbaudepartements André Odermatt (SP) schon vor Baube­ginn. Die Freude dauert an.

Vorzeigemodell Kalkbreite Die Kalkbreite ist eines der «best practice»-Beispiele auf der Websi­te der vom VCS initiierten «Platt­

form autofrei / autoarm Woh­nen». Das Projekt stellt Daten und die verschiedenen rechtli­chen Grundlagen der Kantone zur Verfügung und fördert den Austausch zwischen Expertin­nen und Experten. So auch am Fachseminar in Zürich, an dem Samuel Kissling von der Schwei­zerischen Vereinigung für Lan­desplanung den historischen Hintergrund erklärte, weshalb autofreie Siedlungen so lange für ihre Berechtigung kämpfen muss­ten. «In den Siebzigerjahren soll­te die Parkplatzerstellungspflicht den Verkehrsfluss fördern und wildes Parkieren verhindern.»

10 VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014

Page 11: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 12: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

  

   

A K T U E L L Gotthard

Von Stefanie Stäuble und Gerhard Tubandt

Bundesrätin Doris Leuthard beschrieb die Situation im

Januar 2012 in einer Sitzung der Verkehrskommission des Natio­nalrats* treffend: «Insofern kann man verfassungskonform nur eine zweite Röhre bauen, wenn man die alte Röhre behält und beide einspurig betreibt, und das ist ein bisschen Seldwyla. Wir bauen ja kaum zwei Tunnel und lassen je eine Spur leer. Das ist meines Erachtens scheinheilig.»

Zur Erklärung: «Die Leute von Seldwyla», eine mehrteilige Novelle von Gottfried Keller, be­schreibt eine fiktive Schweizer Stadt, wo die Leute zwar stets gut gelaunt sind und gerne im Wirtshaus sitzen, doch sie leben

«Seldwyla» am Gotthard Das Parlament treibt den Bau einer zweiten Gotthardstrassenröhre weiter voran, obwohl eine solche die Verlagerungspolitik langfristig aushebeln würde. Der VCS bereitet das Referendum vor.

auf Pump. Was ihnen fehlt, sind die typisch helvetischen Eigen­schaften Sparsamkeit, Fleiss und Zielstrebigkeit.

Meinungsumschwung Seit ihrem Seldwyla-Bonmot vor gut zweieinhalb Jahren hat Ver­kehrsministerin Leuthard ihre Meinung geändert und treibt ge­meinsam mit dem Gesamtbun­desrat und dem Parlament den Bau der zweiten Strassenröhre aktiv voran. Doch diese ist eine Mogelpackung. Daran, dass am Gotthard per Gesetz nie mehr als zwei Spuren gleichzeitig ge­öffnet werden dürfen und die an­deren beiden Spuren als Pannen-streifen dienen, glaubt niemand:

«Wer sagt, dass man für mehrere Milliarden Franken eine zweite, zweispurige Röhre baut, um sie dann nur einspurig zu befahren, streut den Leuten Sand in die Au­gen. Der Druck wird enorm sein, die neuen Spuren auch wirklich zu nutzen», sagt VCS-Präsiden­tin Evi Allemann. So werde der Alpenschutz untergraben und die erfolgreiche Verlagerungspo­litik torpediert. Zudem erstaunt, dass der Bundesrat am Gott­hard das Geld mit vollen Händen ausgibt  – und gleichzeitig spart: Ende Juni hat er quer durch alle Departemente Sparmassnahmen in der Höhe von 700 Millionen Franken beschlossen.

Die zweite Röhre wäre rund

Das Parlament steuert auf eine zweite Strassenröhre am Gotthard zu – jedoch ohne Tunnelgebühr.

© K

eyst

one/

Gae

tan 

Bally

drei Milliarden Franken teurer als die Einrichtung eines Bahn­verlads. Dies für 17 000 Autos am Tag. Im Agglomerationsverkehr werden weitaus grössere Ver­kehrsströme verzeichnet.

Studien des Bundes zeigen, dass der alte Strassentunnel auch anders saniert werden kann. Die Eisenbahn ist nach Eröffnung des Gotthard-Basistunnels ohne weiteres in der Lage, den gesam­ten Strassenverkehr zu über­nehmen, wenn die Bauarbeiten beziehungsweise Sperrzeiten auf die Zeit zwischen Herbstferien und Ostern beschränkt werden. Dies bestreitet auch der Bundes­rat nicht.

Keine Tunnelgebühr Nach dem Ständerat hatte sich die nationalrätliche Verkehrs­kommission im Grundsatz im März für den Bau einer zweiten Strassenröhre ausgesprochen. Anfang Juli klärte die Kommis­sion letzte Fragen. So war noch offen, ob für die Finanzierung einer zweiten Gotthardstrassen­röhre eine Tunnelgebühr einge­führt werden soll. Die Kommis­sion sprach sich im Sinne des VCS gegen diese Idee aus. Eine solche würde Umwegverkehr über andere Pässe erzeugen.

Auch ohne Tunnelgebühr: Die zweite Gotthard-Strassen­röhre darf nicht gebaut werden. Der Nationalrat entscheidet ab­schliessend in der Herbstsession. Stimmt er dem Bau der zweiten Röhre zu, wird der VCS mit sei­nen Partnerorganisationen das Referendum ergreifen.

* Leuthards «scheinheilige» zweite Röhre 6.7.2012, www.tageswoche.ch/+ayude

12 VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014

Page 13: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 14: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

 

Willkommen im Mobility­Land D OS SIER   AU TOT E ILEN

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 14

Page 15: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

   

 

  

  

D O S S I E RAutoteilen

Text und Fotos: Jérôme Faivre

«Die Schweiz – Heimat des Carsharings», «Schweizer sind Carsharing­Fans». Glaubt man der ausländischen Presse, ist unser Land Vorreiterin auf diesem Gebiet. Wir wollen wissen, wie es tatsächlich aussieht.

Wir waren schon immer bekannt für unsere Vor­liebe für Schokolade, unsere grosse Reiselust

und waren sogar Recycling-Weltmeister. Doch be­dingungslose Carsharing-Fans? Die Aussage über­rascht umso mehr, wenn man bedenkt, dass jeder zweite Schweizer, jede zweite Schweizerin ein Auto besitzt. Woher kommt also dieses Image? Des Rätsels Lösung ist unschwer zu finden – sie trägt einen eng­lisch klingenden Namen und fährt seit 1997 auf un­seren Strassen: Mobility.

Modellcharakter Mobility ist beim Carsharing, was Migros und Coop für den Einzelhandel sind – oder besser: wa­ren. Die Luzerner Genossenschaft besetzt den Car­sharingmarkt in der Schweiz ganz allein. Folglich ist sie auch dessen Galionsfigur. Viviana Buchmann, Mobility-Geschäftsführerin, wird dies nicht be­streiten. Nach der Verleihung des GfM-Marketing­preises 2013 – der einem Unternehmen verliehen wurde, «das es wie kein zweites versteht, nachhal­tigen Erfolg, Innovationsgeist und herausragende Marketingleistungen miteinander zu verbinden» – erklärte sie*: «Mobility ist es gelungen, von einem Ni­schenmarkt aus zu wachsen. Das Unternehmen hat sich einen Namen gemacht und ist als Marke an­erkannt. Wer heute an Mobilität denkt, denkt zu­gleich auch an Mobility.» Die Zahlen sprechen für sich. Eine erwachsene Person von 60 ist Mobility-Kundin oder -Kunde. Die Fahrzeugflotte im Land beläuft sich auf 2650 Fahrzeuge, die sich vor allem auf die Städte und Agglomerationen verteilen. In Zü­rich beispielsweise steht alle 250 Meter ein Fahrzeug zur Verfügung. Ausserdem hat jeder Ort mit mindes­tens 5000 Einwohnern einen Mobility-Stellplatz.

Allein im Königreich Dank einer langjährigen Zusammenarbeit mit der SBB und der Strategie der kombinierten Mobili­tät ist es Mobility gelungen, sich in die Riege derje-

Fortsetzung auf Seite 18

* Matthias Ackeret, «Mobility auf der Überholspur», persönlich, 11. November 2013

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 15

Page 16: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 17: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 18: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

D O S S I E RAutoteilen 

Ein Auto, mehrere Leute: Die Nutzung von Mobility setzt voraus, dass man sich primär mit dem öffentlichen Verkehr, zu Fuss oder per Velo fortbewegt. 

Fortsetzung von Seite 15

nigen hochzuarbeiten, die im Schweizer Verkehrswesen «von Bedeutung sind». Darüber hinaus konnte sich das Unter­nehmen in den letzten fünf Jahren über einen Zuwachs von 28000 Kundinnen und Kunden freuen. Laut Aussage der Geschäftsführerin profitiert Mobility von den neuen Gesellschaftstrends: «Für im­mer mehr Menschen ist es wichtig, eine ununterbrochene Mobilitätskette nutzen zu können und problemlos von A nach B zu kommen, indem sie Zug, Bus, Velo und sogar ein Mobility-Auto kombinie­ren. Die zahlreichen Verbindungen der öffentlichen Verkehrsmittel und die gut getakteten Fahrzeiten ermöglichen eine kombinierte Mobilität, die den Besitz eines eigenen Autos überflüssig macht.»

Die ideale Voraussetzung für Carsha­ring, die allerdings eine Frage aufwirft: Worauf wartet die Konkurrenz? Verhin­dert Mobility die Präsenz vergleichbarer Anbieter auf dem Markt? Erstickt Mobi­lity den Markt? Zwar hat Mobility derzeit 112000 Privatnutzer und mehr als 52000

Genossenschafterinnen. Doch bevor Mo­bility tatsächlich das Potenzial erreicht, das einige dem Unternehmen zuspre­chen  – eine halbe Million Kundinnen und Kunden –, hat es noch einen weiten Weg vor sich.

Das «spontane» Auto Basel, 23. Juni 2014. Medienschaffende aus dem ganzen Land und eine Handvoll Schaulustige kommen zur Einführung von «Catch a Car», dem ersten stations­ungebundenen Angebot in der Schweiz, das heisst mit Fahrzeugen, die in einem bestimmten Bereich verteilt sind. Damit ist Mobility ein neuer Coup gelungen. Das Unternehmen hat sich für den An­lass solide Partner gesucht: ein Versiche­rer und ein grosses Schweizer Automo­bilunternehmen sowie Energie Schweiz und die SBB sind mit von der Partie.

«Catch a Car» ist ein auf zwei Jahre angelegtes Pilotprojekt, das über diesen Zeitraum von der ETH Zürich begleitet wird und auf weitere Städte ausgewei­tet werden soll – vorausgesetzt, es ist in Basel erfolgreich. Vom Mobility-System

unterscheidet es sich dadurch, dass die Fahrzeuge dem Bedürfnis nach Einweg­nutzung entsprechend verfügbar sind. Konkret bedeutet das, dass die Fahrzeuge in Echtzeit per Smartphone oder Website geortet, ohne Reservierung genutzt und anschliessend auf einem der öffentlichen Parkplätze in der Innenstadt wieder ab­gestellt werden. Für diese Lösung zahlt «Catch a Car» der Stadt Basel einen Pau­schalbetrag.

Während Mobility auf mehr oder weniger lange Strecken ausgerichtet ist, konzentriert sich «Catch a Car» auf kur­ze Distanzen von wenigen Kilometern im Zentrum der Städte und Agglomera­tionen. Die beiden Systeme konkurrieren sich gegenseitig nicht, vielmehr ergänzen sie einander. Rund die Hälfte der Schwei­zer Stadtbevölkerung nutzt ihr Privat­auto heutzutage für Strecken unter fünf Kilometern. Unter diesem Gesichtspunkt erfüllt «Catch a Car» eine vorhandene Nachfrage und versetzt dem Bedürfnis nach einem eigenen Auto einen weiteren Schlag.

Da das Konzept Städte im Fokus hat, wo bereits etwa die Hälfte der Haushalte ohne eigenes Auto leben, bleibt zu be­obachten, ob es nicht andere, weniger umweltschädliche Mobilitätsformen be­einträchtigt. Denn der städtische Raum ist für den öffentlichen Nahverkehr und die Fortbewegung zu Fuss oder per Velo geeignet. Dadurch, dass «Catch a Car» auf Fahrzeuge mit geringem Schadstoff­ausstoss setzt, die relativ gut für den Stadtverkehr geeignet sind (Kleinwagen VW Up), erfüllt es zwar auch ökologi­sche Anforderungen. Doch es wäre be­dauerlich, wenn das jüngste Angebot aus der Reihe der Carsharing-Konzepte dazu führt, dass Bus, Tram und dem Langsamverkehr ein Teil ihrer Klientel abhanden kommt.

Nischenprodukte In unseren Nachbarländern schiessen Carsharing-Anbieter wie Pilze aus dem Boden. Führend auf dem Gebiet sind Verkehrsunternehmen, aber auch Auto­hersteller. In Deutschland beispielsweise heissen die drei grossen Carsharing-An­bieter Flinkster, Drivenow und Car2go. Flinkster ist ein Ableger der Deutschen

18 VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014

Page 19: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 20: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

   

D O S S I E RAutoteilen 

werk 2em. Es stellt den Kontakt zwischen Fahrzeugeigentümern und Leuten, die ein Auto mieten wollen, her. Nach Meinung des Gründers Youness Felouati richtet sich der Service heute an eine Zielgruppe, die für Gemeinschaftsprojekte sensibili­siert und offen für Lösungen des alternati­ven Konsums ist. Felouati, der keine Zah­len über die Anzahl seiner regelmässigen Nutzerinnen und Nutzer vorlegt, spricht von 10 Prozent auf der Angebots- und 90 Prozent auf der Nachfrageseite.

Zurzeit ist ein Hindernis für das Wachstum des privaten Carsharings die Versicherungsfrage. Denn der Halter, die Halterin eines Fahrzeugs sitzt nicht im­mer auch am Steuer und trägt trotzdem die vollständige Haftung. Youness Felou­ati, der aktiv nach einer Lösung für dieses Problem sucht, ist optimistisch: «Auf­grund der vielen neuen Initiativen der ‹Share Economy› wird der Gesetzgeber sicherlich Massnahmen ergreifen, um einen besseren Rahmen für die bestehen­den Lösungen zu schaffen.»

Mehr Kaufkraft 2012 lancierte das Unternehmen Mobil­idée die Plattform Cartribe. Im Gegen­satz zu 2em bringt Cartribe nicht Ange­

bot und Nachfrage zusammen, sondern erleichtert die Planung und das Teilen eines Fahrzeugs, beispielsweise innerhalb einer Familie oder im Freundeskreis. Auf diese Weise vereinfacht dieses kostenlose Tool das, was sonst Kopfzerbrechen verur­sachen kann: die Verwaltung der verfüg­baren Zeiten, die Reservierung des Autos, die Angabe des Ortes, an dem es abgestellt ist und wo man die Schlüssel findet.

Derzeit hat Cartribe etwas mehr als 1000 regelmässige Nutzerinnen und Nut­zer. Der Geschäftsleiter von Mobilidée, Giorgio Giovannini, meint, dass die Kauf­kraft die Entwicklung des Carsharings bremst, «denn die grosse Mehrheit der Leute hat das Geld für ein eigenes Auto». Seiner Meinung nach ist viel Kommuni­kationsarbeit nötig, um die potenziellen Vorteile des Carsharings für einen Haus­halt aufzuzeigen: «Man muss die Tatsache hervorheben, dass das gesparte Geld für andere Zwecke ausgegeben werden kann, beispielsweise für Bildung, Wohnung und Kultur.»

Einstieg des «Grossen» Mit der Lancierung der Plattform Sharoo Anfang Mai könnte die Sensibilisierung für Carsharing den nötigen Schwung erhal-

Bei wem ist der Schlüssel? Wo soll er hinterlegt werden? Wann ist das Auto verfügbar? Dank neuer Tools bereitet das Autoteilen kein Kopfzerbrechen mehr. 

ten. Hinter dem Slogan «Mein Auto ist dein Auto» verbirgt sich ein Netz von grossen Partnern – darunter Mobility und eine Ver­sicherung –, angeführt von der Migros und deren Tochter für Elektromobilität M-way. Ebenso wie 2em bringt Sharoo die Fahr­zeugbesitzer mit Menschen zusammen, die gerne ein Auto ausleihen möchten. Die Originalität des Carsharing-Systems be­steht darin, dass dieses ohne Schlüsselüber­gabe funktioniert. Mit einem «Access-Kit», das auf einer Smartphone-App basiert, lässt sich das Auto reservieren, lokalisieren und sogar öffnen. Zudem ist es Sharoo gelun­gen, das Versicherungsproblem zu lösen, indem es mit seinem Versicherungspartner einen Vollkaskoschutz anbietet.

Um eine schrittweise Entwicklung zu gewährleisten, geht Sharoo-Geschäftsfüh­rerin Eva Lüthi nach Regionen vor: «Seit Mai haben wir um die 3000 Anmeldun­gen erhalten.» Begonnen haben sie mit den Städten Zürich, Bern und Luzern. Im Juli kamen Basel, Winterthur und St.  Gallen dazu. Momentan ist man daran, die Re­gionen Chur, Olten–Aarau–Baden und Biel–Solothurn–Langenthal anzugehen. «In diesen Regionen rekrutieren wir der­zeit Pioniere, die das Access-Kit von Sha­roo gratis (statt für 399 Franken) erhalten.»

Nach Meinung von Eva Lüthi hat das Carsharing in der Schweiz viel Potenzial: «Wir sind davon überzeugt, dass unser Service nicht mit Mobility konkurriert, sondern dass sich beide ergänzen. Es gibt Platz genug für beide Modelle. Die Schwei­zerinnen und Schweizer sind momentan noch etwas vorsichtig, wenn es darum geht, ihr Auto zu verleihen. Damit sie ihr Auto sorgenfrei auf der Plattform an­bieten können, haben wir viel Zeit inves­tiert, niedrige Eintrittshürden zu schaffen, und legen viel Wert auf Vertrauen auf der Plattform. Die Kontrolle über das eigene Auto soll immer beim Autobesitzer liegen: Er bestimmt, wann, wie und mit wem er sein Auto teilen möchte.»

Nützliche Links www.2em.ch www.cartribe.ch www.sharoo.com

* Veronica DeVore, «Zimmer, Auto, Parkplatz: alles wird übers Internet geteilt», swissinfo.ch, 12. Februar 2014.

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 20

Page 21: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 22: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

 

D O S S I E RAutoteilen 

Bahn frei für Mitfahrgelegenheit 2.0Als andere Form der gemeinsamen Mobilität haben Mitfahrgelegenheiten in der Schweiz einen marginalen Anteil. Doch dank neuer mobiler Technologie­Tools könnte eine 180­Grad­Wende bevorstehen.

tooxme.com Diese Smartphone-App bringt in Echt­zeit Passagiere und Automobilisten zu­sammen, die eine Strecke gemeinsam fahren wollen. Tooxme ist ein Ange­bot für den sofortigen, nicht im Voraus geplanten Bedarf über kurze Strecken (durchschnittlich 7 km). Die Fahrkosten belaufen sich auf 1 Franken pro Kilome­ter. Zwischen 50 und 70 Prozent des Be­trags gehen an die Automobilisten, der Rest an Tooxme. In der Westschweiz, hauptsächlich in Lausanne und Genf, zählt Tooxme 21 000 Nutzerinnen und Nutzer. Mittelfristiges Ziel: die Auswei­tung auf die gesamte Schweiz.

taxito.com Taxito bindet vor allem ländliche Regio­nen, wo das Bahn- und Postautoangebot ausgedünnt oder inexistent ist, ans ÖV-Netz an. Anders als bei reinen Online-Mitfahrzentralen stellen sich die Fahr­gäste an einen «Taxito Point», von wo sie ein SMS mit der gewünschten Desti­nation senden. Die Leuchttafel zeigt da­raufhin die Wunschdestination an. Je­der vorbeifahrende Automobilist kann den Fahrgast nun mitnehmen. «Die­ser schickt die Autonummer per SMS an Taxito. Da Fahrer und Mitfahrende be­kannt sind, bietet Taxito Sicherheit», so Geschäftsinhaber Martin Beutler. Der

Fahrpreis ist als Unkos-Während man beim Autoteilen ein Fahrzeug leiht oder verleiht, macht man  tenbeitrag gedacht und beim Mitfahrmodell die Fahrt gemeinsam, was noch ökologischer ist. schliesst gewerbsmässi­

ges Fahren aus. Vor allem für ländli­

che Gemeinden, wo der ÖV schwach ausgelastet ist, ist es interessant, bei Taxito Leuchttafeln zu mieten und so den Ser­vice public sicherzustel­len. Im nächsten Früh­jahr startet Taxito in der Innerschweiz.

e­carsharing.ch Die kostenlose Mitfahr­plattform aus der West­schweiz richtet sich an Personen, die regelmäs­sige Fahrten suchen oder anbieten, wie Pendeln­de. Auch bei Veranstal­tungen, beispielsweise grossen Festivals, wird sie wegen ihres auto­matisierten Verteilsys­tems auf die Fahrzeuge

geschätzt. Gründer Jean-François Wah­len spricht von 19000 Mitgliedern in der Schweiz, 3000 davon sind regelmässige Nutzerinnen und Nutzer.

mitfahrgelegenheit.ch Das grösste Carpooling-Portal in Euro­pa mit Sitz in München bietet nach eige­nen Angaben 900000 Fahrten an. Bei uns wird es hauptsächlich in der Deutsch­schweiz genutzt. Pressesprecher Simon Baumann schätzt, dass Mitfahrzentra­len in unserem Land bald ein starkes Wachstum erleben werden: «Die meisten Schweizerinnen und Schweizer haben ein Smartphone – ich bin überzeugt, dass sie auch bereit sind, die Türen ihres Autos zu öffnen und ein Stück des Weges gemein­sam zu fahren.»

karzoo.ch Karzoo ist eine Plattform für kostenlo­ses Mitfahren, die in Luxemburg entwi­ckelt wurde und ganz Europa abdeckt. Zielgruppen sind Privatpersonen für ihre Fahrten zwischen Arbeit, Zuhau­se und Freizeit sowie Unternehmen, die Mitfahrgelegenheiten in ihren Mobili­tätsplan einbinden wollen. Der stellver­tretende Geschäftsleiter Baptiste Hugon ist davon überzeugt, dass das Klima in der Schweiz dafür günstig ist. «Genau­so wie Luxemburg ist die Schweiz ein Land, das zahlreiche Grenzgänger an­zieht. Deshalb sind auch die Mobilitäts­probleme vergleichbar, wie etwa die Staus auf den Verkehrsachsen. Umso wichti­ger ist es, Automobilisten eine Lösung zu bieten, damit sie von einer sparsameren und ökologischeren Transportform pro­fitieren können, die sie auch noch mit an­deren in Kontakt bringt.» Laut eigenen Angaben hat Karzoo europaweit 50000 Nutzerinnen und Nutzer. ©

 Jérô

me 

Faiv

re

22 VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014

Page 23: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 24: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

Bauke auf seiner Aaltje­Frieda, benannt nach seinen beiden Grossmüttern. Eine von vielen Maschinen, die Nieko selbst zusammengebaut hat.

Zweiter Frühling für alte Wracks Text und Fotos: Nina Regli

«Was wir hier machen, ist eigentlich nicht luk­

rativ», meint Nettie. Die gross­gewachsene, grauhaarige Frau sitzt mitten in einer Runde von Männern und Frauen in rost­fleckigen Arbeitskleidern beim allwöchentlichen Freitagabend­bier. Die gesellige Gruppe hat sich zwischen die aufgebockten, bejahrten Schiffe gesetzt. Alle Maschinen sind abgestellt, Me­tallgeruch liegt in der Luft, Vö­gel zwitschern, der sommerliche Himmel in Nordholland ist im­mer noch hell. Man diskutiert über Schiffsmotoren, Farbkon­sistenten und Segelkonstruktio­nen. Nur ein älterer Mann hat noch nicht Feierabend. Er steht auf der Leiter und macht bei sei­nem Boot einen weiteren An­strich fertig.

Im ostfriesischen Franeker in den Niederlanden werden auf einer kleinen Werft Boote vor dem Schrottplatz gerettet und wieder auf Vordermann gebracht. Eine Bastion gegen die schnelllebige Wegwerfgesellschaft.

Ein Leben mit Booten Warum nicht lukrativ? Net­tie, die Ehefrau von Nieko, und mit ihm zusammen die treiben­de Kraft hinter der «Scheepswerf Nieko», erklärt: «Wenn wir nur an die Finanzen denken wür­den, müssten wir die Werft an­ders betreiben. In jeder norma­len Werft werden die Arbeiten ausschliesslich von Angestell­ten ausgeführt. Werktags wer­den die Tore um 17  Uhr ge­schlossen, am Wochenende ist sowieso zu. Für die Arbeiten gibt es einen exakten Zeitplan.» Nicht so bei ihnen. Auf der klei­nen Schiffswerft in Franeker, einem Dorf in der von Wasser­strassen durchzogenen nieder­ländischen Provinz Friesland, wird jede Mitarbeit der Boots­besitzer gerne gesehen. Die ver­

rosteten Boote, die hier anlegen, zeigen Spuren eines langen Le­bens. Die stolzen Besitzerinnen und Besitzer haben für die Auf­frischung nur ein kleines Budget zur Verfügung und arbeiten zum Teil jahrelang an ihren Schiffen.

Beständige Werte Auch Nettie und Nieko haben vor vierzig Jahren ihr erstes eige­nes Schiff selber restauriert. Das war in jenen Zeiten beinahe über­all möglich. Sie waren unter den Ersten, die zu Beginn der Siebzi­gerjahre auf ihrem umgebauten Tjalk, einem historischen hol­ländischen Segelschiff, auf dem Wattenmeer Ferientrips anbo­ten. Nach ein paar Jahren wech­selten die beiden auf ein grösseres Schiff, mit dem sie Güter trans­portierten. Ein erstes Kind wur­

de geboren, ein paar Jahre später das zweite. Fortan lebte Nettie an Land, Nieko arbeitete als Techni­ker auf einem Schiff für verhal­tensauffällige Jugendliche. Und dann entdeckten sie zehn Jah­re später durch Zufall die kleine Werft, die zum Verkauf ausge­schrieben war. Nieko, graue wil­de Haare, Karohemd, die Füsse in selbstgestrickten Wollsocken und holländischen Holzschuhen, ist inmitten dieser alten Boote in seinem Element. Immer wieder kommt er ins Schwärmen, wenn er von seinen Geschichten auf See erzählt. Nicht nur die Boote auf der Werft haben viele Jahre auf dem Buckel. Auch die Maschinen und Werkzeuge in seiner Werft sind alt. «Wenn ich einen Com­puter kaufe, dann ist der veral­tet, sobald ich den Laden ver-

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 24

Page 25: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

 

A K T U E L L Hier & dort

lasse. Einen Hammer hingegen kann man Hunderte von Jahren brauchen», meint er dazu. Einige Maschinen in der Werft sind von ihm selbst entwickelte Unikate. Mit den meisten werden Stahltei­le gebogen, damit sie in den alten Schiffsrumpf passen. Niekos Augen glänzen vor Freude, wenn er er­klärt, wie diese kleinen Kunst­werke funktionieren. Und es macht ihm sichtlich Spass, wenn er auf Leute trifft, die seine Lei­denschaft teilen. Wie zum Bei­spiel Bauke. Nieko: «Weisst du, wir brauchen mehr Baukes auf dieser Welt – ein junger Mann mit viel Engagement und einer grossen Motivation, aus einem alten Schiff wieder ein fahrtüch­tiges Gefährt zu machen.»

109 Jahre auf dem Buckel Bauke ist seit anfangs Jahr auf der Werft. Der gelernte Elektro­ingenieur bezahlte für sein Lot­senboot nur noch den Schrott-preis. Jetzt arbeitet er in jeder freien Minute an seinem Boot. Er hat am Rumpf alle alten, verros­teten Stahlplatten ersetzt. Aktu­elles Projekt ist der Motor. Am Abend nach der Jungfernfahrt wirft Bauke für alle den Grill an, aus dem alten Plattenspieler singt Johnny Cash, und man wähnt sich in einem alten Abenteuer­film am Mississippi. Bauke hat sein Boot ins Herz geschlossen. Benannt hat er es nach seinen beiden Grossmüttern: Aaltje-Frieda. Für das Laienauge sieht es immer noch erbärmlich aus. Die ehemalige Besitzerin hatte gesundheitliche Probleme, jah­relang rostete das Boot vor sich hin. Bauke schaut auf die alte Ka­bine und meint: «Das Boot ist jetzt 109 Jahre alt. Ich wünsche mir manchmal, es könnte mir alle Geschichten erzählen, die es erlebt hat.» Hätte Bauke es nicht per Zufall vor ein paar Mona­ten gesehen, wäre Aaltje-Frieda jetzt wohl auch auf dem Schrott­platz. Es liegt viel Arbeit vor Bau­ke, doch «Zeit spielt für mich kei­ne Rolle», meint er. «Ich habe

sie und liebe die Arbeit mit den Händen.» Nieko lächelt.

In keinem anderen euro­päischen Land ist die Binnen­schifffahrt so bedeutend wie in den Niederlanden. Rund 9000 Schiffe zählt die Frachtschiffflot­te, dazu kommen knapp tausend Passagierschiffe. Eines davon ist Josefien. Die über 100-jähri­ge Dame wurde als Frachtschiff gebaut. Vor sechs Jahren kauften Esther und Jaap das vierzig Me­ter lange Boot. Nach mehreren Jahren mit einem Segelschiff auf dem Wattenmeer packte sie die Lust auf etwas Neues. Jaap fuhr mit dem Boot zu Nieko, und gemeinsam bauten sie auf den Rumpf ein schickes Hotelschiff, mit Platz für 22 Gäste und 22 Fahrräder. Jaap meint: «Niekos Werft ist einzigartig in Holland. Auch für mich als professionel­len Segler ist es immer praktisch, Nieko in der Nähe zu haben. Er kennt meist eine gute Lösung für die Probleme. Niekos Wissen über Boote ist unbezahlbar. Und die Atmosphäre auf der Werft ist sehr harmonisch.»

Geduld gefragt Auch Marjin träumt von einem Leben auf dem Boot. Er hat sei­ne Lehre auf der Werft gemacht. Vor vier Jahren ent­schied er sich, sein eigenes Hausboot zu bauen – wie es sie in den Niederlanden zu Tausenden gibt. Be­zahlt hat er für die alte Schüssel nichts. Und im Gegensatz zu allen anderen Boo­ten, die heutzutage restauriert werden, entschied er sich, die neuen Stahlplat­ten nicht zu schweis­sen, sondern durch Nieten miteinander zu verbinden, so wie es bis anfangs des zwanzigsten Jahr­hunderts noch üblich war. Das ist körper­

liche Schwerstarbeit. Der junge Mann zuckt mit den Schultern, als er nach dem Grund gefragt wird. «Schweissen kann ich, nie­ten nicht. Ich wollte eine Heraus­forderung. Sonst wäre ich ja in zwei Jahren mit dem Boot fer­tig», schmunzelt er. Sein Ziel ist es, im Boot zu leben. Sein letzter Coup: Er hat den abgeschnitte­nen Rumpf eines anderen Bootes als Wand für seine neue Kabine aufs Boot gesetzt. Nieko nennt das Projekt von Marijn Kunst. «Wenn ich es nicht mehr verste­he, ist es eben Kunst; Kunst muss man nicht rational verstehen», sagt er mit einem Lächeln.

Und so arbeiten die Leu­te auf der Werft gegen die Zeit, den Rost und den Verfall. Nieko kennt auch einige Geschichten von Leuten, die an der immen­sen Aufgabe scheiterten, sich überschätzten und mit der end­los scheinenden Arbeit nicht klar kamen. Freud und Leid sind nah beieinander. Die Werft wirkt wie ein Antagonismus in der heu­tigen Zeit: Leute, die jahrelang jede freie Minute, jedes ersparte

Unten: Das umgebaute Hotelschiff Josefien verlässt die Werft. / Rechts: Nettie und Nieko bei der Kaffeepause.

Geld in diese alten verrosteten Kähne stecken, nur damit sie irgendwann ihren Traum vom Leben auf dem Wasser verwirk­lichen können.

Nina Regli verbringt seit vier Jahren ebenfalls jede freie Minute auf der Werft. Ihr Lebenspartner hat ein 90­jähriges Schlepperschiff in den Niederlanden  gekauft und ist durch Zufall und viel Glück auf diese kleine Werft gestossen. 

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 25

Page 26: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 27: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 28: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

 

Der schönste Fleck der SchweizVon Rob Neuhaus

Wer den Weg von Bergün nach Spinas unter die Füsse

nimmt, kann sich ganz von den Schönheiten der Natur verfüh­ren lassen. Man kann aber auch, sozusagen auf Augenhöhe, die Entwicklung der Eisenbahntech­nik und deren Auswirkungen auf die Talschaft beobachten. 1898 bis 1904 wurde die Albulabahn von Thusis nach Tirano erbaut; schon damals galt sie als tech­nisches Meisterwerk. 2008 wur­de sie in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen. Vom Bahnhof Bergün – im ehema­ligen Zeughaus gleich nebenan befindet sich das Bahnmuseum Albula – geht es durch das Dorf mit stattlichen Häusern im En­gadinerstil. Auffällig ist auch das Kurhaus; mit der Eröffnung der Bahnlinie kamen Touristen mit gehobenen Ansprüchen ins Tal.

Die Wanderung von Bergün im Albulatal nach Spinas im Oberengadin bietet eine kurze, eine lange und eine kompakte Variante. Alle drei sind eng mit der Albulabahn verbunden und führen zum Palpuognasee, der in einer Umfrage zum «schönsten Flecken der Schweiz» gekürt wurde.

Das Jugendstilhaus wurde vor ein paar Jahren sorgfältig restau­riert, trug 2012 den Titel «His­torisches Hotel des Jahres» und bietet eine Mischung aus Ferien­wohnungen und Hotelzimmern. Ausserhalb des Dorfes führt der Weg der Albula entlang, deren Rauschen uns noch eine Zeitlang begleiten wird. Nach einer Weile begegnen wir wieder der Bahnli­nie und erreichen schon bald den Punt Ota. Dank zwei übereinan­derliegenden Kehrtunneln ge­winnt die Bahn auf kürzester Di­stanz gut hundert Meter Höhe. Fast pausenlos sehen und hö­ren wir einen Zug irgendwo über eine der Schleifen ziehen – ein wahres Spektakel, nicht nur für Bahnfans. An markanten Punk­ten stehen Schautafeln. Sie erläu­tern uns den Bau- und Strecken-verlauf, Fahrpläne orientieren

über die Vorbeifahrt der nächs­ten Züge.

Auch das Dorf Preda ist vom Bahnbau geprägt – erst für den Bau des Tunnels entstand hier anstelle eines Maiensässes eine ganzjährig bewohnte Siedlung. Auch jetzt befindet sich hier wie­der eine grosse Baustelle: Die Rhätische Bahn (RhB), die dieses Jahr ihr 125-jähriges Bestehen feiert, baut einen neuen Tunnel. Der bestehende, 1903 in Betrieb genommen, hat grossen Sanie­rungsbedarf, und ein Neubau geht praktisch ohne fahrplanre­levante Einschränkungen über die Bühne.

Wir verlassen vorübergehend die Bahnlinie, unser nächster Fixpunkt ist der Lai da Palpuog­na. Der ursprünglich natürliche See wurde zur Energiegewin­

nung für den Bahnbau damals mit einem Mäuerchen um zirka 30 Zentimeter aufgestaut, ist also seither ein Stausee. Nach wie vor ist er von betörender Schönheit und wurde 2007 bei einer Pub­likumsumfrage des Schweizer Fernsehens zum «schönsten Fle­cken der Schweiz» gekürt. Auf­fallend sind am Grund des klaren Sees die vielen Krater, aus denen natürliche Gase austreten. Als weitere Besonderheit hat der See eine unterirdische Seenkammer, also eine Art doppelten Boden. Deshalb gilt hier Badeverbot. Als nächstes sticht uns Crap Alv ins Auge: Hier betreibt die ETH Zürich seit über 40 Jahren eine landwirtschaftliche Forschungs­station. Wir aber wollen höher hinaus – es gibt eine flachere und eine steile Variante, um zu den Seen Crap Alv Laiets zu gelan­

28 VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014

Page 29: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 30: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 31: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 32: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

     

 

Einer der tausend Teiche der Dombes. Die Tümpel für Karpfen und Hechte brachten auch Sumpfkrankheiten übers Land.

Vom guten Radeln und EssenText und Fotos: Peter Krebs

Im Spätherbst beabsichtige ich, von Genf mit dem Zug nach

Bourg-en-Bresse und dann mit dem Fahrrad durch die Teich­landschaft der Dombes nach Lyon zu fahren. Dort isst man gut, heisst es, und das ist ein würdiges Reisemotiv. Doch die Anzeigeta-

Lyon ist eine Veloreise wert, und sei es nur wegen des Essens. Die Kalorien kann man vorher auf einer Route verbrennen, die durch unbekannte Jurastädte und über kleine Pässe nach Bourg­en­Bresse führt und dann durch die Dombes mit den tausend Fischteichen.

fel in Genf Cornavin verkündet in roter Schrift: «TER 10h29 sup­primé». Der Zug falle wegen eines kurzfristig angekündigten Streiks der französischen Bahnarbeiter aus, und heute bringe mich auch kein anderer ans Ziel, bedauert der Schalterbeamte der SBB.

Was tun? Mein Velo streikt nicht. Der Rhone entlang nach Lyon also. Die fliesst durch die Zweistromstadt. Ich mache mich auf die Suche nach Informatio­nen über die Veloroute, die es doch geben muss, denn über Hauptstrassen mag ich nicht

fahren. In Genf wissen sie je­doch nichts von einer solchen Annehmlichkeit. Weder in der Buchhandlung Payot, noch im Veloladen. Als mir das Office du Tourisme empfiehlt, in der Kan­tonsbibliothek Recherchen anzu­stellen, verlasse ich die Stadt von

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 32

Page 33: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

 

R E I S E N Velotour

In Lyon flaniert und isst man gut. / In der hügeligen Region werden Velos andersweitig eingesetzt.

Calvin und Rousseau im ersten Zug nach Nyon, wo ich nach La Cure umsteige. Wenn ich schon durch den Jura nach Bourg-en-Bresse strampeln muss, will ich wenigstens möglichst hoch oben anfangen, auf fast 1200 Meter, wo ein kühler Wind die erwar­teten Niederschläge heranbläst und mir nur ein kleiner Karten-ausschnitt fehlt. Ich fotografiere die Lücke im Touristenbüro von Les Rousses, das um 14 Uhr öff­net, genau als ich eintreffe. Glück muss man haben.

Der Höhenbonus ist bereits nach der rasanten Abfahrt nach Morez zur Hälfte aufgebraucht. Auch die Bahn fuhr bis 1958 über die Grenze bei La Cure hinaus in

diese Kleinstadt. Dafür steht das M am Ende der Abkürzung der NStCM-Bahn. In der ehemaligen Uhrenstadt, in der heute Brillen hergestellt werden, hatten die Reisenden in besseren Bahnzei­ten Anschluss nach Paris. Ich fol­ge jetzt der Linie aufwärts durch die Kalkschlucht Gorges de la Bienne nach St. Claude, denn auf der Karte in meiner Kamera ist ein vielversprechendes Sträss­chen eingetragen. Und wirklich: Verlassen und schmal schlängelt es sich durch den Wald und ge­währt Ausblicke auf die Abhän­ge der Monts de Bienne mit der Schlucht zu ihren Füssen.

St. Claude ist eine weitere un­bekannte Kleinstadt im Haut-Jura. Eher roh als schön und dennoch von einem gewissen herben Reiz. Zum gemütlichen Besuch des Pfeifenmuseums fehlt allerdings die Zeit. Ich will noch einige Kilometer zurücklegen. Im Café erklärt mir der Kellner bereitwillig den Weg ins Tacon-Tal. Der Col de la Serra, der es abschliesst, liegt auf immerhin 1049 Meter. Ich fahre um 16 Uhr in St. Claude los und habe kei­ne Ahnung, wo ich übernachten werde. Die Tage sind kurz, und es ist nicht ratsam, im Dunkeln zu radeln. Also zweige ich nach Les Bouchoux ab, wo, auf der andern Talseite, laut dem Schild die Au-berge la Chaumière stehen muss.

Les Bouchoux ist ein sehr an­mutiger und sehr kleiner Ort. Die Strasse endet auf dem weiten Platz vor der gedrungenen Kir­che, die sich gegen Westen mit Isolierplatten aus Blech vor Wind und Wetter schützt. Genau gleich wie die Mairie mit der wehenden Trikolore, in der das Schulhaus einquartiert ist. Die fleissigen Lehrer und Gemeindebeamten haben schon die Lampen an­gezündet. Nur in der Auberge brennt kein Licht. Ich hatte es fast vermutet, ärgere mich über die verlorene kostbare halbe Stunde und schwinge mich in den Sattel, als ein schwarzes Auto vorfährt. «Was wollen Sie hier?», fragt der Mann, der ihm entsteigt und der der Gastwirt ist. «Passer la nuit», sage ich. Eigentlich habe er Feri­en, aber er habe sowieso Arbeiter einquartiert, und, ja, essen kön­ne ich auch. Um 19.30 Uhr.

Das Zimmer riecht nach Ziga­retten, hat drei Betten und kostet 42 Euro, egal ob man zu dritt ist oder solo. Beim Nachtessen er­zähle ich dem Wirt von meinem Tag. Er schimpft über die Eisen­bahner, die zu den privilegiertes­ten Berufsgruppen gehörten, mit gutem Lohn, unkündbaren Stel­len und früher Pension. «Sie wol­len den Rahm und die Butter.» Das sei typisch französisch. Der Staat soll für alles aufkommen. «Trop de social tue le social»,

glaubt er, zu viel Soziales mache den Sozialstaat kaputt. Er selber sei 69, aber er müsse immer noch arbeiten, weil er für die Pflege-kosten seiner behinderten Toch­ter monatlich 530 Euro bezahle.

Am  nächsten  Tag regnet es. Nebel, die aus einer Küche im Talgrund hervorzudamp­fen scheinen, nehmen die Sicht. Ich schalte das Licht ein, damit die Automobilisten mich sehen. Trotz der Regenkleider bin ich nach drei Stunden nass bis auf die Haut. Zum Glück gibt es auf dieser Strecke ein paar kleine Pässe zu überwinden, die geben warm. In der Bar eines Dörf­chens im Nirgendwo bestelle ich einen Kaffee. Einige Männer spielen eine Art Instantlotto. Sie kreuzen gelangweilt Glückszah­len an, geben sie in ein Lesegerät ein, bezahlen und sehen kurz da­rauf auf dem Bildschirm, ob sie gewonnen haben. Im Départe­ment du Rhône habe kürzlich ein Glückspilz 77033 Euro einkas­siert, behauptet der Bildschirm.

Eigentlich wollte ich heute mein Picknick verzehren. Aber wer kann bei solch garstigen Umständen dem Restaurant Tis­sot widerstehen, das einem um die Mittagszeit plötzlich vor die Nase gesetzt wird, wenn man mit knurrendem Magen an einer Kreuzung stoppt, um die Karte

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 33

Page 34: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 35: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 36: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A N S I C H T E N Leserbriefe / Durchatmen

VCS­Magazin 3/2014

Der Zug ist teurer. Wirklich? Ich bin seit Jahren Mitglied des VCS und schätze Ihr Engagement für Bahnreisen. Ich reise in Europa am liebsten mit der Bahn, habe aber bemerkt, dass weite Bahnreisen leider immer schwieriger werden. Für Bahnreisen über 1000 Kilometer ist man generell auf Nachtzüge für einen Streckenteil angewiesen, dies, damit man unterwegs nicht in einem Hotel übernachten muss. Leider werden aber die internationalen Nachtzüge einer nach dem anderen ge­strichen. Als nächstes soll der Nachtzug nach Kopenhagen dran sein, was Reisen nach Skandinavien erheblich erschweren und ver­teuern wird. Die Ursache zur Streichung sei nicht etwa schlechte Belegung, denn der Zug ist sehr beliebt, sondern dass die Kosten zu hoch seien. Leute, die lieber mit dem Zug reisen, werden so im­mer mehr gezwungen, stattdessen das Flugzeug zu nehmen. Ich stelle mich voll hinter die drei VCS-Forderungen, welche der Bahn gegenüber dem Flugzeug echte Konkurrenzchancen einräu­men wollen. Birger Tiberg, per E­Mail

VCS­Magazin 3/2014

Welcher Reisetyp sind Sie? Auf Seite 13 wird die Reise von Genf nach Barcelona mit «Umstei­gen in Valencia» beschrieben. Wie soll das gehen? Ursula Frei, Dietikon

Anmerkung der Redaktion: Ein Übersetzungsfehler, für den wir uns entschuldigen. Im ursprünglich französischen Text heisst es: «chan­

gement de train à Valence». Und Valence heisst übersetzt Valence – oder eben auch Valencia. Hier ist aber eindeutig das französische Valence gemeint!

VCS­Magazin 3/2014

Zweifelhafte Ehre für Lugano Sind Sie ganz sicher, dass Lugano Europameister beim Motorisie­rungsgrad ist? Per 2013 hatten wir in Vaduz 891 Personenwagen pro 1000 Einwohnende. Da schlagen wir Lugano mit 608 bei Weitem!

Georg Sele, Präsident VCL Verkehrs­Club Liechtenstein

VCS­Magazin 3/2014

Grafik «Wie fährt die Schweiz zur Arbeit?» Ihr Artikel zur Grafik scheint mir etwas unfair zu sein, zumindest den höhenunterschiedsmässig extrem herausgeforderten Lausan­nerinnen und Lausannern gegenüber. Für mich ist das Resultat von «nicht einmal der Hälfte» des Langsamverkehrsanteils der flachbegünstigten Baslerinnen und Basler völlig verständlich und Ihres besserwisserischen Mahnfingers unwürdig.

Jürg Peter Hunziker, Rüttenen

VCS­Magazin 3/2014

Porträt Beat von Scarpatetti Vielen Dank, lieber Beat von Scarpatetti, für Ihren zehnjährigen Einsatz im CAS (Club der Autofreien)! Gieri Battaglia, Rorschach

© S

tefa

nie 

Stäu

ble

Schön war der Sommer – wenigstens im Süden. In Frankreich werden die Autos etwas länger gefahren als bei uns: Im Bild ein Renault 4CV, das Modell wurde von 1946 bis 1961 produziert. 

36 VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014

Page 37: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 38: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 39: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

      

 

© Stefanie Stäuble

A N S I C H T E N Porträt

Erna Schuler Gastfreundschaft auf 2328 m ü.M.Die Hüttenwartin der SAC­Hütte Bächlital im Grimselgebiet ist manchmal mit 80 Gästen  zusammen. Und manchmal ganz allein.

«Ich bin eine Bauerntoch- Erna Schuler tischt ihren Gästen keine ter. Als Kind war ich im Fertigmenüs auf – nur Selbstgemachtes 

kommt auf den Hüttentisch. Sommer oft mit meiner klei­nen Schwester allein auf der Alp. Deshalb macht mir die Einsam- warm. Es gibt Heisswasser, ei­keit hier oben nichts aus.

Die Bächlitalhütte hat 80 Schlafplätze. Mitte März bis Mai öffne ich für Skitourengän­ger. Danach bin ich einen Mo­nat zuhause, bevor im Juni die Sommersaison beginnt. Mein Mann kommt am Wochenende und in den Ferien. Manchmal muss er Lebensmittel zu Fuss hochschleppen, damit ich einen Helikopter-Transportflug spare, der Ärmste. Bei Lawinengefahr schaue ich ihm nach, bis er aus meinem Sichtfeld verschwindet. Danach dauert es eine Viertel­stunde, bis er ins Handyemp­fangsgebiet kommt. Wenn er sich eine halbe Stunde nicht mel­den würde, wüsste ich, es ist ihm etwas passiert. Auch nach mei­nen Gästen halte ich Ausschau, wenn die Schneelage brenzlig ist. Ich fühle mich verantwortlich für die Leute, die hier übernach­ten. Viele sagen oft kurzfristig ab, wenn Gewitter oder Lawi­nengefahr drohen. Mir macht das keine Angst. Wenn der Sturm ums Haus pfeift, finde ich es drinnen besonders heimelig. Und bei Schnee wirkt alles so edel und still. Im Winter oder bei Schlechtwetter kommt zuweilen tagelang kein Gast. Dann bin ich allein mit den Schneehüh­nern und Bergdohlen, schauf­le Schnee, erledige Bürokram oder koche vor. Oder ich schlafe

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014

nach. Das habe ich manch­mal nötig, denn bei Hoch­betrieb kann es sein, dass ich bis 23 Uhr auf den Beinen bin und um 3 Uhr wieder aufste­hen muss. Wenn der Wecker läutet, muss ich sofort aus dem Bett steigen, sonst bin ich ver­loren. Ich mache keine Zim­merstunde. Wann immer Gäste kommen, sind sie willkommen.

Ich bin die vierte Saison auf der Bächlitalhütte. Anfangs musste ich viel lernen, denn, wenn hier etwas aussteigt, muss ich mir selbst zu helfen wis­sen. Vorher war ich 37  Jahre lang Lehrerin und Familien-frau. Als die Hütte in der Zeit­schrift des SAC ausgeschrieben

war, glaubte ich nicht daran, dass sie mich nehmen. Ich hatte Jahre zuvor zum Plausch die Ausbil­dung zur Hüttenwartin gemacht. Die Hütte ist energiemässig völlig selbstversorgend. Sie hat ein eige­nes kleines Wasserkraftwerk, was ein Riesenluxus ist. Wir haben sogar überschüssige Energie, des­halb sind die Radiatoren immer

nen Tiefkühler und eine Wasch­maschine. Hierher kommen vor allem Kletterer. Die Wanderer hingegen sind manchmal etwas enttäuscht, denn es gibt keinen Rundweg von der Hütte aus. Der Weg vom Räterichsboden zu uns ist sehr schön, doch ab hier wird es hochalpin. In

der kurzen Zeit meiner Anwe­senheit ist der Bächligletscher sicher 20, 30 Meter zurückge­gangen. Im ersten Jahr lappte er noch über den Felsen dort hin­ten  – heute klafft da eine grosse Lücke. Im Winter ist der Glet­scherschwund nicht so spürbar, weil wir im hochalpinen Gebiet sind. Doch im Sommer wird der Berg zum ‹Geschirrladen›: Durch den Rückgang des Permafrostes kommt viel Geröll herunter, und man muss aufpassen, dass man nicht vom Steinschlag getroffen wird.

Hier oben gibt es keinen Han­dyempfang und kein Fernse­hen, und man kommt sofort zur Ruhe. Auch die Luft ist anders; ich falle in den Schlaf wie in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Manch­mal bin ich im Winter sechs Wochen nicht im Tal. Wenn im Frühling der Grimsel öffnet und die ganzen Motorräder über die

Passstrasse dröhnen, ist das nach der Ruhe wie ein Schlag ins Gesicht.»

Stefanie Stäuble

39

Page 40: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

    

  

 

   

   

A N S I C H T E NInterview

David Asséo, Verkehrsbeauftragter des Kantons Jura, erklärt, wie sich ein attraktives öffentliches Verkehrssystem auch in einer Region aufbauen lässt, die auf den ersten Blick nicht sonderlich geeignet dazu erscheint.

David Asséo «Die Ausnahme bestimmt die Regel»

VCS­Magazin: David Asséo, welchen He­rausforderungen muss sich die Planung des öffentlichen Verkehrs (ÖV) im Kan­ton Jura stellen?

David Asséo: Zu den Besonderheiten des Kantons gehört, dass wir in hohem Mass von der ausserkantonalen Planungspolitik abhängig sind. Unser Verkehrssystem rich­tet sich stark nach den Knotenpunkten des SBB-Netzes. Ich denke da insbesondere an Delsberg, das auf der Bahnachse Basel–Genf liegt. Zudem befinden sich die grossen städ­tischen Zentren ausserhalb des Kantons. Unsere Linien führen zum grössten Teil nach aussen, wie etwa die S-Bahnen nach Basel, Biel oder La Chaux-de-Fonds. Wenn sich an der ÖV-Planung in diesen Nachbar­gebieten etwas ändert, hat das einen direk­ten Einfluss auf uns.

Ist es nicht das Los jeder Region, im Ein­klang mit ihren Nachbarn zusammenzu­arbeiten? 

Im Gegensatz zu vielen anderen Kantonen besitzt der Jura kein städtisches Ballungs­gebiet, auf das sich die Unternehmen fo­kussieren. Aufgrund seiner Eigendynamik spielt zwar das inzwischen als Agglomera­tion anerkannte Delsberg vermehrt eine sol­che Rolle, da dort die Bevölkerung und die Geschäftstätigkeit stetig wachsen. Doch das Einzugsgebiet von Delsberg und der Einfluss seiner 25000 Einwohner lässt sich kaum mit Nachbarstädten wie Basel, Biel oder Belfort (F) vergleichen.

Der Jura ist auch keine städtische Region, sondern ein Kanton mit viel Industrie.

Ja, mit einer relativ geringen Bevölkerungs­dichte sowie kleinen oder mittelgrossen Städ­ten, in denen man mühelos zu Fuss und mit dem Auto vorwärtskommt. Verkehrsengpäs­

se, wenn sie denn auftauchen, sind weniger abschreckend als anderswo. Das jurassische Strassennetz ist nicht überlastet, Parkplätze sind in den Städten ziemlich leicht zu finden. Doch selbst diese für den ÖV eher ungünsti­gen Voraussetzungen hielten uns nicht davon ab, auch im Inneren des Kantons ein Trans­portangebot aufzubauen und die Weiterent­wicklung des ÖV mit verschiedenen Mitteln energisch voranzutreiben.

Wie genau? Das fängt bereits bei der Bahn 2000 an, und zwar mit dem Aufbau eines regionalen Ver­bundnetzes. Anders ausgedrückt haben wir dafür gesorgt, dass die Verbindungen zwi­schen den uns umgebenden städtischen Bal­lungszentren durch den Jura führen. So setz­ten wir uns zum Beispiel zum Ziel, eine Verbindung zur Basler S-Bahn einzurich­ten. Heute geht der Anschluss über Pruntrut nach Basel. Zusätzlich haben wir unsere Ar-

braucht, es Durch ein attraktives Abend­ und Nacht­  scheinlich, dass er dafür eines kauft. Sobald das angebot signalisieren wir klar: Der ÖV bietet Fahrzeug bei ihm vor dem

für alle Bedürfnisse eine zuverlässige Haus steht, ist die Wahr­scheinlichkeit gross, dass Alternative zum Individualverkehr.

beit nach dem Angebotsprinzip ausgerich­tet. Wir sind davon überzeugt, dass es ein at­traktives ÖV-Angebot für die Bevölkerung braucht, um eine Änderung des Nutzerver­haltens auszulösen.

Wie gingen Sie dabei vor? Wir arbeiteten zum einen darauf hin, die Wahrnehmung der öffentlichen Verkehrs­mittel zu verändern und sie attraktiver zu machen, indem wir uns vom Image eines

qualitativ ungenügenden und hauptsäch­lich für Schülerinnen und Schüler bestimm­ten ÖV befreiten. Zu diesem Zweck wählten wir ein hochmodernes und komfortables Rollmaterial. Der Jura war der erste Kanton in der Westschweiz, der bereits ab 2006 das Zugmodell «Flirt» (innovative, bewegliche und leichte Triebwagen für den Regional­verkehr) verwendete. Zum anderen setzten wir uns für erweiterte Betriebszeiten ein. Eine erste, ganz wichtige Massnahme war die Einführung eines Nachtnetzes auf kan­tonaler Ebene. Der «Noctambus» betreibt 13 Buslinien, die nachts im Taktfahrplan verkehren und die Anschlüsse untereinan­der sicherstellen.

Kann eine Nachtbusverbindung die Nut­zung des ÖV generell beeinflussen? 

Man vergisst leicht, dass oft die Ausnahme die Regel bestimmt. Wenn ein Jugendlicher beispielsweise das Auto einmal pro Woche

abends für den Ausgang ist wahr­

er es für alle übrigen Stre­cken einsetzt, auch tags­

über – obschon er eigentlich problemlos mit dem Bus oder Zug fahren könnte. Durch ein attraktives Abend- und Nachtangebot signa­lisieren wir klar: Der ÖV bietet für alle Be­dürfnisse eine zuverlässige Alternative zum Individualverkehr. Unsere Noctambus-Li­nien befördern 40000 Reisende im Jahr – ein Erfolg.

Haben Sie die Fahrpläne auch tagsüber verdichtet? 

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 40

Page 41: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 42: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 43: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 44: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 45: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 46: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 47: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 48: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

 

S E R V I C E Cartoon/Rätsel

«Alle wollen zurück zur Natur. Aber keiner zu Fuss.»

Werner Mitsch © Monika Berdan

Schwedenrätsel

Sudoku

© r

aets

el_c

h

© C

once

ptis

 Puz

zles

6 1

2

9 4

2 3

4

9

7

9 3 5

6 8 1

2

8

6

3 6

9 4

4

8 1

Auflösungen Seite 54

VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2014 52

Page 49: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 50: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 51: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 52: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 53: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014
Page 54: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

via verde reisen ein Produkt der Arcatour SA

Der Reisepartner des VCS – Ihr Spezialist für Bahnreisen

Hôtel Les Flots Bleus*** Frankreich/Côte d’Azur/Le Lavandou

Der schönste Ferienort der Côte d’Azur empfängt Sie mit dem Charme der kleinen Buchten, des goldgelben Sandes, mit den Düften des Meeres und seinem azurblauen Wasser. Abseits der Touristenströme entdecken Sie das Hochland und wandern durch Korkeichen- und Kastanienwälder. Das Hotel liegt direkt am Strand von Saint-Claire. Alle 40 Zimmer sind zweckmässig eingerichtet und verfügen über Bad oder Dusche/WC, TV, Minibar, Föhn, Klimaanlage und gratis WiFi. Nichtraucherzimmer.

Preis pro Person ab CHF 850

8 Tage/7 Nächte ab/bis Le Lavandou

Anreise täglich vom 1.3. bis 15.11.2014

Infos: www.via-verde-reisen.ch/badeferien

Individuelle Wandertour Provence Frankreich

Das Maurenmassiv ist ein grosser, duftender Garten. Der Nationalpark der Insel Port-Cros bewahrt eine seltene Flora und Meeresfauna und die Insel Porquerolles bietet ihre zarte Stille an. Gelangen Sie über die Küstenpfade der Halbinsel Giens zu kleinen authentischen Fischer Häfen. Wandern Sie auf den wunderschönen unterschiedlichen Etappen durch Wälder, über die Küstenpfade und Terrassen.

Preis pro Person ab CHF 1040

7 Tage/6 Nächte ab Le Lavandou bis Hyères

Anreise täglich, ganzjährig (ausser Juli/August)

Infos: www.via-verde-reisen.ch/aktivferien

Beratung und Anmeldung: Tel. 0848 823 823 – www.via-verde-reisen.ch/anmeldung

Zusätzliche Angebote und Informationen finden Sie unter www.via-verde-reisen.ch Nutzen Sie die Bestellkarte am Umschlag zur Anmeldung

Page 55: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014

Gruppenreise Sizilien Streifzug durch die Perle Süditaliens

Sizilien ist voller Sinnlichkeit und feurigem Temperament. Der Vulkan Ätna, wildromantische Landschaften, Orangen-plantagen, Weingüter, Prachtbauten und kulinarische Lecker-bissen – die Insel garantiert unvergessliche Momente. Be-sondere Höhepunkte bilden die Besuche in den Privatgärten. Natürlich kommt auch der Genuss auf der Reise nicht zu kurz: Ein privater Kochkurs, ein Brunch auf einer Orangenplantage, uvm. – die kulinarischen Höhenflüge lassen uns die «Italianitá» spüren und versetzen uns in Ferienstimmung.

Preis pro Person ab CHF 3150 inkl. An-/Rückreise

8 Tage/7 Nächte ab/bis Catania

1. Reise vom 11. bis 18.10.2014/2. Reise vom 18. bis 25.10.2014

Infos: www.arcatour.ch/kultur-und-garten-reisen

Gruppenreise La Gomera Wal- und Delfin-Beobachtungen

La Gomera ist die zweitkleinste der sieben Kanarischen Inseln im Atlantischen Ozean, vulkanischen Ursprungs und über-raschend vielgestaltig. Inmitten der Insel erhebt sich das zentrale Bergmassiv des Garajonay (1487 m), dessen Hänge und Schluchten mit dem grössten noch zusammenhängenden Lorbeerwald bedeckt sind und als Nationalpark sowie UNESCO-Weltnaturerbe unter Schutz stehen. Die Insel hat aber vor allem auch das Meer zu bieten und die einzigartige Möglichkeit frei lebende Delfine und Wale in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten.

Preis pro Person ab CHF 3290 inkl. An-/Rückreise

8 Tage/7 Nächte ab/bis La Gomera

Reise vom 11. bis 18.10.2014

Infos: www.arcatour.ch/naturerlebnis-reisen

WeitWandern Geführte Wanderungen und Schneeschuhtouren

Wanderungen 19.09. – 21.09.14 Gletscherzungen am Grimsel- und Furkapass 03.10. – 05.10.14 Süd-Vogesen: Dollertal und Ballon d’Alsace 04.10. – 11.10.14 Massif Central: Montagne Noire – Canal du Midi 09.10. – 12.10.14 Herbsttage im Schweizer Nationalpark 11.10. – 18.10.14 Camogli: Wandern an der Ligurischen Riviera 24.10. – 26.10.14 Heilige Wasser im Oberwallis

Wanderungen Marokko (mit Bahnreise nach Marrakech) 19.12.14 – 05.01.15 Roter Sand und Vulkangestein im Jebel Zereg 06.02. – 23.02.15 Mandelblüten im Jebel Sarhro

Schneeschuhtouren 24.12. – 26.12.14 Weihnachten im Glarner Kleintal 26.12. – 28.12.14 Schneeschuhtage im Entlebuch 27.12. – 30.12.14 Altjahreswoche im Hochtal Avers 01.01. – 04.01.15 Neujahrswoche in Wergenstein 02.01. – 04.01.15 Col des Mosses: entre Pays d’Enhaut et Léman

Preise online verfügbar

Infos: www.via-verde-reisen.ch/weitwandern

Preisangaben (nicht gültig für Arcatour/WeitWandern): Basis Doppel- Partner Mitglied

zimmer, inkl. Bahnreise mit Halbtaxabo teilw. exkl. Reservationen.

Bei Aktivferien beinhaltet der Preis auch das Mietvelo, Gepäcktrans- ARCATOUR port und Routenbeschrieb. Die detaillierten Informationen zu den sinnvoll reisen Preisen und Leistungen finden Sie online.

Page 56: VCS-Magazin Nr. 5 / 2014