Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert...

45
Forschungsinstitut für Soziologie Universität zu Köln Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln Erster Zwischenbericht für die GEW Stiftung Köln 25. Juli 2002 Projektleiter: Prof. Dr. Michael Wagner Wissen. Mitarbeiter: Imke Dunkake, M.A. Bernd Weiß, M.A. Studentische Hilfskraft: Nina Heyden Förderung: GEW Stiftung Köln Projektnummer: W-01-2-001 Laufzeit: 1. Februar 2002 - 31. Januar 2004

Transcript of Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert...

Page 1: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

Forschungsinstitut für Soziologie Universität zu Köln

Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln Erster Zwischenbericht für die GEW Stiftung Köln 25. Juli 2002 Projektleiter: Prof. Dr. Michael Wagner Wissen. Mitarbeiter: Imke Dunkake, M.A.

Bernd Weiß, M.A. Studentische Hilfskraft: Nina Heyden Förderung: GEW Stiftung Köln

Projektnummer: W−01−2−001

Laufzeit: 1. Februar 2002 − 31. Januar 2004

Page 2: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

2

Inhaltsverzeichnis

1 Übersicht (Michael Wagner)................................................................ 3

2 Schulschwänzen, Schulverweigerung und Theorien abweichenden Verhaltens (Imke Dunkake)................................................................. 5

2.1 Schulschwänzen und Schulverweigerung .................................................... 5 2.2 Theoretische Ansätze zur Erklärung von Schulverweigerung ...................... 6

2.2.1 Anomietheorie ....................................................................................... 6 2.2.2 Etikettierungsansatz .............................................................................. 7 2.2.3 Subkulturtheorie .................................................................................... 7 2.2.4 Lerntheorie ............................................................................................ 8 2.2.5 Kontrolltheoretischer Ansatz.................................................................. 9 2.2.6 Theorie des sozialen Kapitals.............................................................. 10 2.2.7 Sozialpsychologische und psychologische Ansätze............................ 11

3 Ergebnisse einer qualitativen Expertenbefragung (Nina Heyden) ...12

3.1 Zielsetzung und Durchführung ................................................................... 12 3.2 Erscheinungsweisen des Schulschwänzens .............................................. 12 3.3 Ursachen von Schulschwänzen bzw. Schulverweigerung.......................... 13 3.4 Schultypenvergleich ................................................................................... 15 3.5 Maßnahmen und Lösungsvorschläge......................................................... 16

4 Verbreitung des Schulschwänzens und der Schulverweigerung (Bernd Weiß) ..................................................................................... 17

4.1 Daten.......................................................................................................... 17 4.1.1 Empirische Studien ............................................................................. 17 4.1.2 Daten der Schulverwaltung ................................................................. 23

4.2 Methodische Probleme und Operationalisierung........................................ 23 4.3 Empirische Ergebnisse für Deutschland..................................................... 27

4.3.1 Aktuelle Forschungslage ..................................................................... 27 4.3.1.1 Schulschwänzen .......................................................................... 27 4.3.1.2 Schulverweigerung....................................................................... 33

4.3.2 Verteilung der Bußgeldbescheide ....................................................... 36 4.4 Internationaler Vergleich (Imke Dunkake) .................................................. 38

5 Projektorganisation und Kooperationen (Michael Wagner) ..............41

6 Literatur ............................................................................................. 42

Page 3: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

3

1 Übersicht Das Projekt ‚Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln‘ verfolgt mehrere Ziele. Erstens soll ein theoretischer Bezugsrahmen für die Erklärung des Schulschwänzens und der Schulverweigerung formuliert werden. Zweitens geht es darum, die Verbreitung dieser Schulpflichtverletzungen in Köln und im Regionalver-gleich möglichst genau zu bestimmen. Drittens ist die Frage zu beantworten, welche persönlichen, familialen, schulischen und sonstigen Bedingungen leichte und schwe-re Formen des Schulschwänzens erklären. Das Projekt konnte planmäßig im Februar 2002 beginnen. Im ersten halben Jahr der Projektlaufzeit wurden die folgenden Arbeitsschritte abgeschlossen:

1. Literaturrecherchen 2. Theoretische Konzeptionalisierung 3. Auswertung von Experteninterviews 4. Übernahme, Implementierung und Aufbereitung von Datensätzen zur Schul-

verweigerung 5. Analysen zur Verbreitung des Schulschwänzens und der Schulverweigerung

in Köln und in anderen Regionen Deutschlands 6. Vorbereitung einer Publikation in der Fachzeitschrift ‚Schulverwaltung’ 7. Öffentlichkeits- und Pressearbeit (Teilnahme am Bildungsforum, vgl. Presse-

mappe) und Aufbau einer Internetseite unter <http://www.uni-koeln.de/wiso-fak/fisoz/professoren/mw/fspunkte/schulver/index.shtml>

Auf der Basis ausführlicher Literaturrecherchen wurden erste Arbeiten zur Präzisie-rung der Begriffe Schulschwänzen und Schulverweigerung vorgenommen. Ferner wurde die Literatur zu den Theorien abweichenden Verhaltens gesichtet und syste-matisiert (vgl. Kapitel 2). Dabei wurden auch Studien einbezogen, die in anderen Ländern durchgeführt wurden, einige von ihnen erlauben einen internationalen Ver-gleich, der wichtige Rückschlüsse auf länderspezifische Bedingungen des Schul-schwänzens und der Schulverweigerung gestattet (vgl. Kapitel 4.4). Ferner können wir erste Befunde einer Expertenbefragung präsentieren, in der vor allem aus Sicht der Lehrer dem Phänomen des Schulschwänzens nachgegangen wurde (Kapitel 3). Da statt einer Primärerhebung zur Schulverweigerung vorhandene Datensätze in Rahmen von Sekundäranalysen ausgewertet werden sollen, kommt der möglichst vollständigen Beschaffung qualitativ hochwertiger Daten zur Schulverweigerung eine große Bedeutung zu. Die Datensätze, die dem Projekt mittlerweile zur Verfügung stehen, werden in Kapitel 4 ausführlicher beschrieben. An dieser Stelle ist hervorz u-heben, dass die vom Max−Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf-recht unter der Leitung von Dietrich Oberwittler erhobenen Daten zur Jugenddelin-quenz in Freiburg und Köln dem Projekt zur Verfügung gestellt wurden und zahlrei-che Analysen zur Schulverweigerung in Köln ermöglichen. Ein weiteres Projektziel bestand darin, alle verfügbaren Befunde zur Verbreitung der Schulverweigerung in Köln und anderen Regionen Deutschlands zusammenzustel-len. Die entsprechenden Auswertungen sind ebenfalls in Kapitel 4 ausführlich doku-mentiert.

Page 4: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

4

Erste Befunde des Projektes wurden in einem Beitrag für die Zeitschrift ‚SchulVer-waltung’ (NRW) zusammengestellt, die auch Eingang in die Öffentlichkeits- und Pressearbeit des Projektes gefunden haben. Schließlich wurde eine Internetseite gestaltet, in der das Projekt vorgestellt wird. Sie wird ständig aktualisiert.

Page 5: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

5

2 Schulschwänzen, Schulverweigerung und Theorien ab-weichenden Verhaltens

2.1 Schulschwänzen und Schulverweigerung Die Begriffe ‚Schulschwänzen‘ und ‚Schulverweigerung‘ werden in der internationa-len wie auch nationalen Fachliteratur unterschiedlich definiert und zum Teil sy nonym mit den Ausdrücken wie ‚Schulmüdigkeit‘ oder ‚Schulabsentismus‘ verwendet. Die sehr unübersichtlichen Bestimmungen der Phänomene ‚Schulschwänzen‘ und ‚Schulverweigerung‘ spiegeln sich auch in den vielfältigen Typisierungen (z.B. Stun-denschwänzer, Dauerschwänzer, Gelegenheitsschwänzer) wider. Oftmals werden diese Typisierungen (Reid 1999, Van Petegem 1994, Williams 2000) nicht ausführ-lich hergeleitet, was deren Vergleichbarkeit erschwert. Mit den Worten Gabbs kann festgehalten werden: „Since the term has been given different meanings by different writers, the literature cannot be regarded as dealing with an homogeneous subject. Conclusions reached in one study of truants cannot automatically be regarded as supported or disputed by conclusions reached in another: care must first be taken to ensure that the same or at least a similar definition has been given to truancy“ (Gabb 1994: 1). In Anbetracht der unterschiedlichen Typisierungen und Definitionskriterien stellt sich die Frage, ob es ein gemeinsames Verständnis des Begriffs Schulschwänzen bzw. Schulverweigerung geben kann. Im Gegensatz zur Auffassung von Reynolds und Murgatroyds (1977 nach Galloway 1985), die jegliche Abwesenheit vom Unterricht als ‚Schulversäumnis‘ definieren (einschließlich des entschuldigten Fehlens), stimmen − trotz unterschiedlicher Akzente der Definitionen und Typisierungen − die meisten Autoren des amerikanischen und europäischen Forschungsraumes darüber ein, dass Schulschwänzen und Schulverweigerung das unentschuldigte Fehlen des Schülers bedeutet (Gabb 1994). Mit den Worten van Pategems lässt sich Schulschwänzen dann als ‚unjustified intentional absence from school‘ definieren (van Petegem 1994: 271). In den weiteren Ausführungen schließen wir uns dieser Definition an und verstehen unter Schulschwänzen das unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht. Um neben dieser allgemeinen Begriffsbestimmung eine Spezifikation der unterschiedlichen Formen des Schulschwänzens zu erreichen, werden im Weiteren die ‚extremen Fälle‘ des Schulschwänzens als Schulverweigerung bezeichnet. Die Grenze zwischen Schulschwänzen und Schulverweigerung zu bestimmen ist in-des nicht einfach. So werden in den USA Schüler als Schulverweigerer (truants) be-zeichnet, deren Fehltage einen Schwellenwert überschreiten, der z.B. bei 5 Tagen, 10 Tagen oder 10% der Gesamtzahl der jährlichen Unterrichtstage liegt (Bur-ley/Harding 1998). Diese unterschiedlichen Schwellenwerte sind darauf zurückzufüh-ren, dass in den Vereinigten Staaten (ebenso wie in Großbritannien) die Definitionen der Schulverweigerung auf Länderebene geregelt werden. Auch in der Bundesrepu-blik Deutschland erfolgt über die jeweiligen Schulgesetze der Länder die gesetzliche Absicherung der Schulpflichterfüllung. Obwohl seit der Weimarer Verfassung 1920 eine allgemein verpflichtende Schulbesuchsregelung besteht (§70,1 SchG), die auch konkrete Angaben zur Einhaltung der Entschuldigungspflicht seitens der Eltern oder des volljährigen Schülers sowie Hinweise auf mögliche Ordnungsstrafen bei Verlet-zung der Schulpflicht beinhaltet (§86 SchG), weisen die Formulierungen keine allg e-

Page 6: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

6

mein verbindlichen Schwellenwerte für ein ‚kritisches‘ Ausmaß der Schulabwesenheit auf. Hiermit besteht die Problematik, dass die Schulen letztlich dafür verantwortlich sind, das unentschuldigte Fernbleiben eines Schülers dem zuständigen Schulamt zu melden, es hinsichtlich der Einschätzung des Toleranzgrades aber unterschiedliche Richtlinien geben kann: „Eine genaue Definition des Phänomens Schulverwe igerung ist nicht zuletzt auch deshalb schwierig, weil der Ermessensspielraum, wann und von wem ein Fernbleiben der Schülerin oder des Schülers vom Unterricht als Schwänzen oder Verweigern definiert wird, auch in der Praxis von Lehrkräften und Schulleitern unterschiedlich ausgefüllt wird“ (Schreiber−Kittl/Schröpfer 2001: 7). Die Heterogenität des Forschungsfeldes spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Operationalisie-rungen des Phänomens Schulverweigerung in den hier vorgestellten empirischen Studien wider (vgl. Kapitel 4.2).

2.2 Theoretische Ansätze zur Erklärung von Schulverweigerung Die Frage nach den Ursachen von Schulschwänzen und Schulverweigerung ist in den Sozialwissenschaften bislang nur selten thematisiert worden. Neben unter-schiedlichen Ansätzen der Pädagogik, Medizin und Psychologie, die sich in jüngster Vergangenheit zunehmend mit der Frage nach der Entstehung des Phänomens ‚Schulverweigerung‘ auseinandersetzen, stehen im soziologischen Diskurs die ‚Theo-rien abweichenden Verhaltens‘ im Mittelpunkt des Interesses. Dementsprechend wird Schulverweigerung auch als eine Form abweichenden Verhaltens interpretiert. In der Fachliteratur werden aktuell fünf Theorien zur Erklärung abweichenden Verhaltens diskutiert, die im Weiteren hinsichtlich der Frage nach den Ursachen und der Ent-wicklung von Schulverweigerung erörtert werden. Darauffolgend werden in einer kur-zen Übersicht die Theorie des sozialen Kapitals, die nicht zu den ‚Theorien abwei-chenden Verhaltens‘ zählt, sondern die Entstehung des Phänomens Schulverweige-rung über die ungleiche Ressourcenausstattung der Herkunftsfamilien erklärt, sowie psychologische und sozialpsychologische Ansätze vorgestellt.

2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung auch eine Zunahme sozialer Regel- und Normlosigkeit prognosti-zierte, fragt die Anomietheorie nach den gesellschaftlichen Bedingungen, die zu ab-weichendem Verhalten führen (Wiswede 1979). Spezifiziert wurde dieser Ansatz un-ter dem Titel ‚straintheory‘ von dem amerikanischen Soziologen Robert K. Merton, der zu dem Ergebnis kam, dass abweichendes Verhalten als Folge einer Differenz von kulturellen Zielsetzungen und schichtspezifisch beschränkten Ressourcen be-trachtet werden kann (Merton 1968). Besteht eine große Diskrepanz zwischen den gesellschaftlich, kulturell und sozial vorgegebenen Zielen (z.B. Wohlstand für alle) und den legitimen Mitteln (z.B. starke Einkommensgefälle) zur Erreichung dieser Zie-le, entsteht ein Zustand der sozialen Regellosigkeit (Merton 1968). Somit lässt sich folgende Hypothese formulieren: Je größer die Differenz zwischen vorgegebenen Zielen und bestehenden Mitteln, desto größer ist die Gefahr, dass ein Individuum versucht, die Ziele mit illegalen oder illegitimen Mitteln zu erlangen. In Anlehnung an Opp lässt sich festhalten: „Anomie heißt hohe Intensität der Ziele, geringe Intensität der legitimen regulierenden Normen und geringe legitime Möglichkeiten“ (Opp 1974: 153).

Page 7: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

7

Aus Sicht der Anomietheorie ist Schulverweigerung Ausdruck einer sozialen und ö-konomischen Benachteiligung, die Jugendliche – meist bedingt durch den Status ih-rer Herkunftsfamilie – erfahren. Sie verfolgen legitime Ziele (z.B. Prestige, Ansehen etc.), können diese aber aufgrund sozioökonomischer Deprivation nicht realisieren. Als Beispiel können Kinder genannt werden, die mit mehreren Geschwistern bei al-leinerziehenden Müttern aufwachsen und oftmals die Aufsicht der jüngeren Ge-schwister übernehmen sowie den Haushalt organisieren müssen, während die Mutter einer beruflichen Tätigkeit nachgeht. Nach der Anomietheorie würde die sozioöko-nomische Deprivation der Familie dazu führen, dass das Ziel des Kindes – Gehor-sam gegenüber der Mutter und Verpflichtung der geschwisterlichen Aufsicht – über das illegitime Mittel der zeitlichen Einschränkung des Schulbesuches erreicht wird. Zusammengefasst würde der niedrige sozioökonomische Status der Familie zu einer vermehrten Arbeitsbelastung des Kindes führen und somit eine Zunahme versäumter Unterrichtsstunden zur Folge haben (vgl. hierzu das Beispiel in Kapitel 3.3).

2.2.2 Etikett ierung sansatz Der Etikettierungsansatz (labeling approach), der seinen Ursprung im symbolischen Interaktionismus hat, betrachtet abweichendes Verhalten als Resultat der Zuschrei-bung des Labels bzw. Etiketts ‚deviant‘ zu bestimmten Verhaltensweisen. Tannen-baum – einer der Begründer dieser theoretischen Ausrichtung – schrieb hierzu: „The young delinquent becomes bad, because he is defined as bad“ (Tannenbaum 1938 nach Lamnek 1996: 219). Implizit betont der Etikettierungsansatz konstruktivistische Elemente: deviant oder abweichend verhält sich nur die Person, die als solches be-trachtet wird. Nach Becker (1973) sind Täter dann Opfer bestimmter Gesetze und selektiver Kontrollpraxis. Konformes und abweichendes Verhalten sind ein Produkt von Definitions- und Interpretationsleistungen der Individuen im Interaktionsprozess. Kriminalität wird aus dieser Perspektive nicht von der Täterpersönlichkeit und ihrem Umfeld erklärt, sondern aus der Definitionsmacht der Majorität der Gesellschaft und des Staates (Informationen zur politischen Bildung 1999). Ferner wurde von den Ver-tretern des Etikettierungsansatzes eine Differenzierung in primäre und sekundäre Devianz getroffen. Primäre Devianz bezieht sich auf die erstmalige Devianz. Sekun-däre Devianz sind daran anschließende Formen abweichenden Verhaltens. Im Fall der Schulverweigerung würde sich die primäre Devianz in einem einmaligen Schwänzen des Schulunterrichtes ausdrücken. Folge dieser Handlung könnte eine Stigmatisierung des Schülers als ‚Schulschwänzer‘ sein. Diese Etikettierung könnte dann einen verstärkenden Effekt haben und den Schüle r dazu motivieren, der Schule weiter fernzubleiben (sekundäre Devianz). Schulverweigerung ist lediglich ein Etikett, dass den Schülern auferlegt wird, abweichende Verhaltensformen verstärkt und sie (erst) zu Delinquenten macht.

2.2.3 Subkulturtheorie Die Subkulturtheorie entwickelte sich in den 20er und 30er Jahren im Kontext der Erforschung von Jugendkriminalität und Bandenwesen. Erstmals konzipiert wurde dieser theoretische Ansatz von A. K. Cohen (Lamnek 1996: 152), der zu den Vertre-tern der ‚Chicagoer Schule‘ zählt. Die Gesellschaft wird als ein komplexes System betrachtet, das sich aus verschiedenen Subsystemen zusammensetzt. Es herrschen zwar bestimmte Normen, Werte und Symbole auf gesamtgesellschaftlicher Ebene vor, aber ebenso existieren auch subsysteminterne Verhaltensregeln und Werte, die

Page 8: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

8

die Handlungen der Angehörigen einer Subkultur prägen und nicht mit den allge-meingültigen Wertvorstellungen harmonisieren müssen. Mit Kuhnekath (1989) lassen sich Subkulturen definieren als „Teilkulturen innerhalb einer Gesellschaft, die zwar von der Gesamtgesellschaft nicht zu trennen sind, aber dennoch ein hohes Maß an Eigen- und Selbstständigkeit [...] sowie eine nur sekun-däre Identifikation mit der Gesamtgruppe aufweisen“ (Kuhnekath 1989: 982). Im Ge-gensatz zu Cohen, der die delinquente Subkultur männlicher Jugendlicher‘ (Lamnek 1996) als Gegenkultur versteht, die durch einen Mangel an Nützlichkeitserwägung, Böswilligkeit und Negativität gekennzeichnet ist, definiert Miller Subkulturen als „Ausfluß eines relativ autonomen kulturellen Horizontes, der sich in einer langen g e-sellschaftlichen Entwicklung herauskristallisiert und konsolidiert habe“ (Lamnek 1996). Unabhängig von diesen Definitionsvermerken, lässt sich festhalten, dass in bestimmten Jugendgruppen, die sich oftmals durch eigene kulturelle Praktiken und Ziele auszeichnen – man denke z.B. an bestimmte Musikrichtungen, Kleidungscodes etc.–, die Abwesenheit vom Schulunterricht als ein normatives bzw. legitimes Verhal-ten angesehen werden kann. Der Schulbesuch wird im Rahmen der eigenen Subkul-tur als irrelevant oder gar negativ betrachtet und erscheint daher nicht erstrebens-wert. Dieser Theorie zufolge ist es umstritten, den Terminus ‚delinquent‘ zu verwen-den, da sich Individuen zwar abweichend von den herrschenden Normen verhalten können, jedoch nicht abweichend von ihren subkulturinternen Standards.

2.2.4 Lerntheorie Einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis menschlichen Handelns leistet die Lerntheorie. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Verhaltensweisen gelernt, aber auch verlernt werden können. Die ursprüngliche Konzeption dieses Ansatzes geht auf das Prinzip des klassischen Konditionierens des russischen Physiologen Pawlow (1849–1936) zurück, welches besagt, dass durch einen Reiz eine bestimmte Reakti-on ausgelöst wird. Erweitert wurden Pawlows Ausführungen durch Skinners Prinzip des ‚instrumentellen Lernens‘. Demnach sind es insbesondere die positiven und ne-gativen Verstärker (Belohnung, Bestrafung) der Umwelt, welche ein Verhalten moti-vieren oder auch verhindern können (Tilmann 1997: 75ff.). Eine wesentliche Ergänzung der klassischen Lerntheorie erfolgte durch Bandura, der das einfache Reiz-Reaktionsmuster durch das Konzept des ‚Lernen am Modell‘ er-weiterte. Neben der Intensivierung spezifischer Verhaltensweisen mittels positiver und/oder negativer Verstärker neigen Menschen zur Imitation komplexer Verhal-tensmuster von bestimmten Vorbildern, die das soziale Umfeld prägen (z.B. Eltern oder Peers). Dieses Grundkonzept wurde von Bandura und Mitarbeitern später um das Konzept des ‚stellvertretenden Verstärkers‘ erweitert: Wenn nicht der Beobach-ter, sondern das Modell belohnt wird, hat auch dies positive Lernkonsequenzen. So übernehmen z.B. Vorschulkinder aggressive Verhaltensmuster eines (z.B. im Film dargestellten) Modells dann besonders häufig, wenn dieses Modell für ein bestimm-tes Verhalten belohnt wird (Tilmann 1997: 78). Ähnlich wie bei der Subkulturtheorie ist die besondere Bedeutung der Peers (Freun-de, Klassenkameraden) für den Lernprozess des Jugendlichen hervorzuheben. Ins-besondere für Jugendliche gilt hinsichtlich der Bezugsgruppe, dass die „[...] positive Akzeptanz durch die Gleichaltrigengruppe ungleich intensiver ist als etwa die durch ansonsten fernstehende ältere Menschen“ (Walter 2001: 52). Wird das Fernbleiben

Page 9: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

9

vom Unterricht nicht negativ von den Eltern oder der Schule sanktioniert und positiv durch die Bezugsgruppe verstärkt oder von Personen des sozialen Umfeldes vorge-lebt, dann kann dies zum einen die zunehmende Abwesenheit vom Schulunterricht fördern, zum anderen kann der betreffende Schüler aber auch als Modell bzw. Vor-bild für andere Peers fungieren. Konkretisiert wurde die Lerntheorie im Diskurs der ‚Theorien abweichenden Verhal-tens‘ durch Sutherlands (Lamnek 1996) These der ‚differentiellen Lernstruktur‘. Die Grundannahme besteht darin, dass eine Person dann delinquent wird, wenn die Ei n-stellungen, die Gesetzesverletzungen begünstigen, diejenigen Einstellungen über-wiegen, die Gesetzesverletzungen negativ bewerten (Lamnek 1996). Diese Einstel-lungen – Sutherland bezeichnet sie auch als Verhaltensmuster – sind nicht angebo-ren, sondern werden in Lernprozessen, insbesondere in der Kommunikation mit klei-nen, intimen Gruppen, erworben. Demzufolge würde nach Sutherland die Ursache intensiver Schulabstinenz in dem Lernprozeß bestehen, der sich aus der engen Kommunikation und Interaktion mit anderen Schulverweigerern ergibt.

2.2.5 Kontroll theoretischer Ansatz Anfang der 90er Jahre formulierte Hirschi die so genannte Kontrolltheorie, welche die persönliche Selbstkontrolle des Menschen in den Mittelpunkt stellt, um sowohl kon-formes als auch nonkonformes Verhalten zu erklären. Hirschi legt seiner Theorie ei-ne allgemeine Handlungslehre zugrunde, die an einem ökonomischen Menschenbild orientiert ist (Walter 2001: 55). „Deviantes Verhalten markiert [...] den leichtesten Weg, den der direkten Bedürfnisbefriedigung. Dementsprechend wird eine deviant handelnde Person als eine charakterisiert, die in der Abwägung der Eigeninteressen v.a. die kurzfristige Befriedigung sieht und dabei die negativen Langzeitfolgen durch die folgenden Sanktionen nicht genügend beachtet“ (Hirschi 1994 nach Dietrich, Meyer und Rössner 1999: 6). Das Problem abweichenden Verhaltens besteht nach Hirschi nicht in der Härte der Sanktionen, sondern in der ungenügenden Verarbei-tung der Sanktionen durch das Individuum. Zentral ist die Konstitution der inneren Kontrolle oder wie Hirschi es formuliert, der Selbstkontrolle, d.h. der Fähigkeit, sich selbst zu disziplinieren. „We see selfcontrol as the barrier that stands between the actor and the obvious momentary benefits crime provides” (ibid.: 7). Eine schwache Selbstkontrolle, die letztlich für abweichendes Verhalten verantwort-lich ist, wird auch durch eine defizitäre Sozialisation bedingt. Um die Rahmenbedin-gungen zu beschreiben, die die Ausbildung einer geringen Selbstkontrolle bestärken, greift Hirschi auf bekannte Elemente der sozialisationstheoretisch orientierten Lern-theorie zurück (vgl. Kapitel 2.2.4). Wesentliche Ursachen für eine geringe Selbstkon-trolle des Menschen, die zu abweichendem Verhalten – wie z.B. der Schulverweige-rung – führen, sind in der Eltern-Kind-Beziehung verankert. In Anlehnung an die von Bowlby (1973) formulierte Bindungstheorie (Attachment Theorie) unterscheidet Hir-schi vier Formen der Bindung (Walter 2001: 54f.):

1. Emotionale Zuwendung zu Bezugspersonen, 2. Verpflichtung gegenüber allgemein anerkannten Zielen und Regeln (com-

mitment), 3. Einbindung in sozial anerkannte Aktivitäten (involvement), auch bezüglich

der Freizeitgestaltung,

Page 10: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

10

4. Akzeptanz, Übernahme und Vertrauen hinsichtlich gesellschaftlicher und rechtlicher Normen (belief).

Je stärker die emotionalen Bindungen an die Bezugspersonen und je intensiver die gesamtgesellschaftlichen Normen und Werte internalisiert und zu Prinzipien des ei-genen Handelns werden, desto geringer ist die Möglichkeit der Entstehung einer g e-ringen Selbstkontrolle und desto geringer die Möglichkeit devianten Verhaltens. Da-mit sind primär sozialisationsbedingte Defizite, wie eine schwache Eltern-Kind-Bindung oder eine geringe Wahrnehmung der elterlichen Erziehungsaufgaben, de-terminierende Faktoren für die Bildung einer inadäquaten Selbstkontrolle und somit mögliche Ursachen der Schulverweigerung. „Die Eltern müssen Spontanbefriedigun-gen entgegentreten und die Entwicklung von Langzeitperspektiven fördern. Bei der Entwicklung von Langzeitperspektiven spiele des Weiteren die Schule eine zentrale Rolle, weil dort die Vorteile des Bedürfnisschubes und kontinuierlicher Arbeit beson-ders eindrucksvoll erfahren werden könnten“ (Walter 2001: 57). Mangelnde Aufmerk-samkeit gegenüber den Bedürfnissen des Kindes, eine rudimentär entwickelte emo-tionale Bindung sowie geringes Interesse am Schulgeschehen und an Schulproble-matiken begünstigen eine geringe Selbstkontrolle des Kindes und können zu einer verstärkten Abwesenheit vom Schulunterricht führen.

2.2.6 Theorie des sozialen Kapitals Wie in der Einleitung schon erwähnt, zählt die Theorie des sozialen Kapitals nicht zu den Theorien abweichenden Verhaltens. Schulverweigerung wird daher nicht als Form devianten Verhaltens betrachtet, sondern als Resultat einer ungleichen Res-sourcenausstattung bzw. ungleichen Verteilung des sozialen Kapitals der Herkunfts-familie. Unter ‚sozialem Kapital‘ verstehen Mc Neal/Ralph (1999: 119f.) „[...] the many structural aspects of the social ties and relations, including the breath of the network, the depth or intensity of the relations, the existence of the structural holes, and the nature of the relation“. Analog zur Kontrolltheorie setzt sich die Theorie des sozialen Kapitals primär mit der Eltern-Kind-Beziehung auseinander, fokussiert jedoch stärker die einzelnen Elemente der Eltern-Kind-Interaktion. Hervorgehoben werden vier E-lemente, die das soziale Kapital der Familie bestimmen:

1. Das Interesse der Eltern an den Aktivitäten der Kinder und die Partizipation an den Netzwerken, denen die Kinder, Lehrer, Peers etc. angehören. Besondere Beachtung findet – in Anlehnung an Coleman (1988) – das sogenannte PTO (parent-teacher organization) Netzwerk (z.B. Elternabende, Förderunterricht etc.).

2. Die einmaligen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kin-dern sind nach Mc Neal/Ralph die Basis für eine intime und intensive Interak-tion zwischen den Familienmitgliedern und bieten ebenfalls Raum für die Dis-kussion schulischer Belange. Je stabiler diese Basis ausgebaut ist und ge-pflegt wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder die Schule verweigern.

3. Ein drittes Element ist die Investition des elterlichen physischen (z.B. bezogen auf den Gesundheitszustand der Eltern), humanen und kulturellen Kapitals in die Erziehung der Kinder. Unterstellt wird ein enger positiver Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status der Eltern und den genannten Kapi-talformen. Die gezielte Investition in die Bildung des Kindes wird in diesem

Page 11: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

11

Kontext als ‚Kontrollmechanismus‘ der kindlichen Verhaltensdispositionen und Entwicklung verstanden.

4. Ein weiterer Aspekt, der sich aus den vorhergehenden ableitet, ist die direkte Partizipation der Eltern am Bildungsprozess der Kinder. Der Ausdruck ‚direkte Partizipation‘ meint z.B. die Hausaufgaben-Betreuung, Unterstützung bei der Vorbereitung auf Klassenarbeiten, eingeschränkter Fernsehkonsum.

Zusammenfassend können die hier genannten Aspekte als fördernde Bildungsstra-tegien seitens der Eltern verstanden werden, die, je intensiver sie innerhalb der El-tern-Kind-Beziehung praktiziert werden, zu einer positiven kognitiven und verhal-tensbezogenen Entwicklung des Kindes führen und somit das Risiko einer Schulve r-weigerung vermindern.

2.2.7 Sozialpsychologische und psy cholog isch e Ansätze Im Gegensatz zu den zuvor genannten Ansätzen konzentrieren sich die psychologi-schen Theorien auf individuelle Motivationsdefizite und psychisch bedingte Angstzu-stände, die das Fernbleiben von der Schule erklären, wobei nochmals unterschiedli-che Variationen psychischer Belastungen unterschieden werden: Trennungsangst, Angst vor der Schule, Sozialphobie und Depressionen (Lee/Miltenberg 1996). Trennungsangst entsteht zumeist durch ein unausgeglichenes Bindungsbedürfnis zwischen Kind und Eltern, d.h. das Kind erlebt eine intensive Verlustangst, wenn es sich von einer ihm vertrauten Bezugsperson trennen soll. Oftmals treten Symptome der Trennungsangst nach einer längeren Krankheit, einem Urlaub oder einem Orts-wechsel auf. Ausdruck finden diese Angstzustände dann z.B. in der Verweigerung, den Schulweg anzutreten, Schreien, körperlichen Angstsymptomen wie Schwitzen, Zittern, Kopfschmerzen etc. Ähnliche Anzeichen sind bei der Schulangst zu identifi-zieren, diese basiert jedoch nicht auf Verlustängsten, sondern auf Furcht vor Leh-rern, Mitschülern oder zu hohen Leistungserwartungen. Laut des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (Saß, Wittich und Zaudig 1996) ist die Sozialphobie – im Rahmen des Phänomens Schulverweigerung – charakterisiert durch Angstzustände, die sich auf konkrete Situationen im Schulall-tag beziehen, in denen sich der Schüler in ‚beschämenden‘ oder ‚peinlichen‘ Situati-onen wiederfinden kann. Dementsprechend ist es nicht die Schule an sich (d.h. das Lernen, der Aufenthalt in der Klasse, die Abwesenheit vom Elternhaus etc.), sondern vor allem negative Sanktionen seitens der Mitschüler oder Lehrer, die sich auf ‚un-konventionelle‘ Verhaltensweisen oder äußere Merkmale des betreffenden Indivi-duums beziehen. Der Wunsch des Schülers, diese diffamierende Situation zu ver-meiden, führt dann zu der Verweigerung des Schulbesuchs. Ein weiterer Zusam-menhang, der zwischen Schulverweigerung und psychischen Symptomen gefunden werden konnte, wurde insbesondere von Kearney (1993) hervorgehoben. Demnach besteht eine positive Verbindung zwischen depressiven Verhaltensmerkmalen (z.B. Lethargie, Nahrungsverweigerung, verlangsamte Motorik etc.) und der Schulabsti-nenz Jugendlicher.

Page 12: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

12

3 Ergebnisse einer qualita tiven Expertenbefragung

3.1 Zielsetzung und D urchführung Ziel der Experteninterviews war eine qualitative Exploration des Forschungsfeldes Schulverweigerung. Es sollte herausgefunden werden, wie Lehrer und Sozialarbeiter über Schulverweigerung denken, wie sie auf diese aufmerksam wurden und wie sich diese in ihrer Arbeitswelt äußert. Weiterhin wurde beabsichtigt, die in der Theorie bestehenden Annahmen anhand praxisnaher Beispiele und gezielter Erörterungen von Experten zu prüfen, und Hypothesen zur Erklärung der Schulverweigerung zu generieren. Des Weiteren kann das gewonnene Material dazu verwendet werden, eine Typologie von Schulverweigerern zu entwickeln. Die dargestellten Ergebnisse basieren auf telefonisch geführten Interviews mit insge-samt 20 Lehrern und Sozialarbeitern überwiegend aus dem Großraum Köln sowie zwei Gymnasiasten, die berichteten, die Schule verweigert zu haben. Im Schneebal l-system ergaben sich aus persönlichen Kontakten zu Lehrern die Vermittlung weiterer Gesprächspartner. Befragt wurden Lehrer und Lehrerinnen von Gymnasien, Grund-, Sonder-, Haupt-, Gesamt- und Berufsschulen sowie an Hauptschulen tätige Sozial-arbeiter und Mitarbeiter von Projekten mit �schulmüden

Jugendlichen. Ein Kontakt zu Realschullehrern ergab sich nicht. Fünfzehn Interviews fanden telefonisch und sieben in einer „face-to-face“ Situation statt. Die Befragungen erfolgten im Zeitraum von Mai bis Dezember 2001. Alle Inter-views wurden als qualitative Leitfadengespräche mit offenen Fragen geführt. Die ge-samten Gesprächsverläufe wurden stichpunktartig festgehalten und später in Proto-kollen in chronologischer Reihenfolge inhaltlich wiedergegeben. Nach mehreren In-terviews zeigte sich ein Muster der Paraphrasierung, das in nachfolgenden Befra-gungen ohne große Modifikation zur Anwendung gelangte. Im Wesentlichen beziehen sich die Interviews auf die Themenkomplexe Schulver-weigerung, Schulschwänzen, Delinquenz, Ursachen schulablehnenden Verhaltens, Sanktionsmaßnahmen und Anregungen zur Reduzierung der Schulverweigerung. Im vorliegenden Text wird davon jedoch nur ein Ausschnitt wiedergegeben. In den Interviews wird zwischen Schulverweigerung und Schulschwänzen unter-schieden, wobei diese Begriffe nicht immer klar voneinander abgrenzt werden kön-nen. Auffällig war, dass der Großteil der Befragten ähnliche Assoziationen mit den genannten Begriffen in Verbindung brachte und es in keinem der geführten Gesprä-che zu Verständnisschwierigkeiten kam.

3.2 Erscheinung sweisen des Schulschwänzens Nach einhelliger Experteneinschätzung schwänzen Kinder und Jugendliche die Schule viel häufiger sporadisch, als dass sie diese dauerhaft verweigern. Eine inter-viewte Gymnasiastin schätzt, dass ca. 90% aller Jugendlichen irgendwann in ihrer Schullaufbahn mindestens einmal die Schule schwänzen. Es sei nicht besonders schwierig, dem Unterricht zeitweilig fernzubleiben, und darüber hinaus sei es ein menschliches Bedürfnis, „ab und zu ’mal blau zu machen“.

Page 13: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

13

Das Schulschwänzen kann nach tageweisem und stundenweisem Fernbleiben von der Schule unterschieden werden. Stundenweises Fernbleiben geschieht häufiger, da es leichter zu verdecken ist. Schüler schwänzen meist solche Unterrichtsstunden, in denen ihr Fehlen weniger augenscheinlich ist als in anderen Fächern. Eine Interviewte berichtet von Tricks, derer Schüler sich bedienen, um ihr Fehlen zu vertuschen. Mehrere Befragte erwäh-nen außerdem, dass Schüler mit Ausreden ihr Verhalten verheimlichen, sich selbst Entschuldigungsformulare schreiben und sich Atteste von Ärzten erschwindeln. Auch Oberstufenschüler, die sich ihre Entschuldigungen selber schreiben dürfen, nutzen dieses oft aus und geben vor, viel öfter krank zu sein, als es der Realität entspricht. Laut nahezu übereinstimmender Einschätzung der Experten schwänzen Jungen häu-figer die Schule als Mädchen. Darüber hinaus gestaltet sich die Ausformung schul-vermeidender Tendenzen zwischen den verschiedenen Geschlechtern unterschied-lich. Mädchen neigen eher dazu, die Schule zu schwänzen, während Jungen eher die Schule verweigern. Hinsichtlich der Frage, ob eher gute oder schlechte Schüler die Schule schwänzen, divergieren die Meinungen der Befragten. Vornehmlich wurde die Auffassung geäu-ßert, dass schlechte Schüler eher die Schule schwänzen. Oftmals handelt es sich hierbei um eine Art Kreislauf. Schüler schwänzen, werden in bestimmten Fächern noch schlechter, fertigen keine Hausaufgaben an, weil sie gefehlt haben und schwänzen wieder die Schule, weil sie es vermeiden möchten, sich den Konsequen-zen ihrer Abwesenheit zu stellen (Eskalationsspirale). Wie bereits erwähnt, wird diese Meinung von anderen Interviewten hinterfragt, wel-che berichten, dass schlechtere Schüler oftmals besonders daran interessiert sind, ihre Mängel zu reduzieren. Meist weisen diese Schüler erst dann verstärkt unzurei-chende Leistungen auf, wenn sie anfangen, die Schule zunehmend zu schwänzen. Begabte Schüler hingegen finden den Unterricht oft langweilig, nehmen nicht mehr aktiv an ihm teil, verschlechtern sich in der Schule und werden dadurch anfälliger, diese nicht mehr regelmäßig zu besuchen. Oftmals schwänzen auch gerade die Schüler, die besonders intelligent sind. Diese sind in der Regel kritikfähiger und ve r-suchen, sich gegen bestehende Werte, Normen und Anforderungen zu stellen. Au-ßerdem ist es diesen Schülern viel eher möglich, ihr schulvermeidendes Verhalten argumentativ zu untermauern oder dieses gar nicht erst auffallen zu lassen.

3.3 Ursachen von Schulschwänzen bzw. Schulverweigerung Einig sind sich die Experten darüber, dass Schulverweigerung stets unterschiedlich motiviert ist und auf einer Vorgeschichte basiert. Die Interviews verdeutlichen, dass es eine Vielzahl von Ausprägungen und Ursachen von Schulschwänzen und Schul-verweigerung gibt. So beginnen Schüler meist mit sporadischem Schwänzen, welches durch die zeitwei-lige Motivation gekennzeichnet ist, einmal aus der Schule rauszukommen, das schö-ne Wetter zu genießen oder sich mit Mitschülern privat zu treffen. Oftmals haben Schüler keine Lust, in die Schule zu kommen, oder sie nehmen den Schulbesuch nicht ernst bzw. erkennen nicht dessen Notwendigkeit. Diese unmotivierte Haltung

Page 14: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

14

kann nach einiger Zeit wieder abnehmen, sie kann sich aber auch über die gesamte Schulzeit erstrecken. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang ist das oft stundenweise Fernbleiben von der Schule, um Nebenjobs auszuüben oder Freizeitveranstaltungen wahrneh-men zu können. Nicht selten nehmen diese externen Aktivitäten dauerhaft zu, so dass die Schüler sehr viel Unterrichtszeit versäumen und oftmals den Anschluss ver-lieren. Als zusätzlicher Ursachenkomplex kann klasseninternes Konfliktpotential, wie z.B. die Nichtakzeptanz eines Schülers innerhalb einer Klasse oder aber auch Gruppe n-druck genannt werden. Gruppendruck bezeichnet hierbei die gegenseitige Animation von Jugendlichen zur Schulverweigerung bzw. zu abweichendem Verhalten. Schul-schwänzen entspricht dann einer Art ‚Sport‘, sich vor anderen zu behaupten oder gegen die Eltern zu rebellieren. Ein Interviewter schildert diesbezüglich einen Fall, in dem fünf Schüler zunehmend ins Drogenmilieu ‚abgerutscht‘ und deswegen nicht mehr zur Schule gekommen sind. Ein weiteres, von einem anderen Interviewpartner genanntes Beispiel, berichtet von vier Gymnasiastinnen, die ein Jahr lang gemein-sam jede Vertretungsstunde schwänzten. Des Weiteren muss in diesem Zusammenhang auf schulinterne Problematiken auf-merksam gemacht werden, die hier nur kurz skizziert werden, Schulschwänzen oder Schulverweigerung aber wesentlich begünstigen können. Abneigungen bestimmten Lehrern oder bestimmten Fächern gegenüber, mangelnde Kommunikation zwischen Schülern und Lehrern, wenig lebensnaher Unterricht sowie das Gefühl, vom Lehrer nicht akzeptiert zu werden, können dazu führen, dass Schüler sich bestimmten Un-terrichtsfächern entziehen. Dauerhaft kann sich diese erst temporäre Nicht-Identifikation mit der Schule zu Schulverweigerung ausweiten. Die „Passive Schulverweigerung“, die von der Interviewerin als das Sich-Verschließen von Schülern gegenüber Lerninhalten und Lehrern und die Nichtbeteiligung am Unterricht beschrieben wird, resul-tiert für die meisten Befragten aus durch die Pubertät hervorgerufenem geringem Selbstbewusstsein, hohem Gruppendruck, Versagensängsten, Langeweile und Desinteresse. Vornehmlich im Alter von 14 bis 17 Jahren betreffen schulische Angelegenheiten die Lebenswelt der Jugendlichen nur wenig. Dar-über hinaus beginnen Schüler in diesem Alter, Autoritäten kritisch zu hinterfragen. Daher teilen auch einige Befragte die Ansicht, dass die Schule, neben Oberstufenschülern, die ihre Freiheit ausnutzen, am häufigsten von 13- bis 15-jährigen geschwänzt wird, die sich in der Pubertät befinden. Des Weite-ren mangelt es Schülern in diesem Stadium auch vielfach an klaren Vorstellungen über Ziele und Per-spektiven für ihr späteres Leben. Sie sind nur schwer in der Lage, sich ein eigenes Ziel zu setzen und wissen oft nicht, ob sie ihren Abschluss überhaupt machen möchten. Oftmals äußert sich diese emp-fundene Aussichtslosigkeit, die im allgemeinen nicht durch die Schule kompensiert wird, in Zukunfts-angst. Mädchen verhalten sich bei dieser passiven Verweigerung eher still und unauffällig, nehmen jedoch nicht am Unterrichtsgeschehen teil, Jungen verhalten sich leichter unruhig und störa nfällig. Hauptsächlich führen jedoch familial defizitäre Verhältnisse zur Schulverweigerung der Kinder. Manche Eltern kümmern sich nur unzureichend um ihre Kinder oder er-achten deren schulische Ausbildung als nebensächlich. Oft kommt es auch vor, dass Kinder regelmäßig Eltern helfen oder auf ihre Geschwister aufpassen müssen. Diese Vernachlässigung durch die Eltern sei laut Experteneinschätzung meistens bei Scheidungskindern oder sozial benachteiligten Familien zu beobachten. Exemplarisch nennt ein Interviewter ein Beispiel, in dem ein Jugendlicher wochen-lang der Schule fernblieb, weil er seiner Mutter im Haushalt helfen musste. Ein ande-

Page 15: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

15

rer Befragter berichtete von einem Jungen, der von seinen Eltern mit dem Argument von der Schule abgemeldet wurde, dass er mit seiner Familie in sein Heimatland Ita-lien zurückgehen werde. Dies war jedoch nicht der Fall, was auch das Jugendamt bestätigte. Der Junge blieb zu Hause, half dort seinem Vater, unterlag aber noch der deutschen Schulpflicht (vgl. Kapitel 2.2.1). Vielfach sind Eltern auch nicht über das Fernbleiben ihrer Kinder informiert oder vermögen es nicht, ihre Kinder zur Wiederaufnahme des Schulbesuchs zu motivie-ren. Hierbei spielen meist auch familieninterne Konflikte eine Rolle, die oftmals pu-bertätsbedingt sind. Ein Befragter berichtete von einer Schülerin der 9. Klasse, die für ein halbes Jahr auf der Kölner Domplatte lebte und in dieser Zeit nicht mehr zur Schule ging. Sie schien in ständiger Opposition zu ihrer Mutter zu stehen. In der el f-ten Klasse sei sie auf weniger nachsichtige Lehrer gestoßen, die letztendlich ihren Schulabgang bewogen hätten. Dieses Mädchen sei sehr intelligent gewesen, ihre Art der Schulverweigerung sei als eine Art von Protesthaltung gegen ihre Mutter und generell gegen gesellschaftliche Normen und Werte zu verstehen. In Ausnahmefällen kommt es auch vor, dass Kinder durch Schulangst oder psychi-sche Blockaden nicht in die Schule gehen können, so z.B. eine Fünftklässlerin, die aufgrund einer Schulphobie gar nicht mehr in die Schule kam. Derartigen Phobien können verschiedene Ursachen zugrunde liegen, unter anderem auch Misshandlun-gen durch die Eltern, die ebenfalls dazu führen können, dass Kinder den Schulbe-such abbrechen. Ein Befragter berichtet von einem Jungen, der drei Monate nicht zur Schule kam, weil seine Mutter ihn geschlagen hatte. Um dieses zu verdecken, er-laubte die Mutter ihrem Sohn den Schulbesuch nicht.

3.4 Schultypenvergleich Anhand von Erfahrungswerten der Befragten aus ihrer eigenen Schule sowie Vermu-tungen über andere Schulformen, lassen sich im Folgenden Kriterien wiedergeben, inwiefern die einzelnen Schulformen Schulverweigerung unterschiedlich begünsti-gen. Obwohl in Gesamtschulen gesteigerter Wert auf eine ganzheitliche Schülerbetreuung gelegt wird, die jeden Schüler gemäß seiner Kompetenzen fördert, kann es laut einer Interviewten in integrativen Gesamtschulen aufgrund der Komprimierung aller Schul-niveaus in einer Klasse zu Kompetenzschwierigkeiten kommen. Schüler mit Gymna-sialreife fühlen sich u.U. unterfordert, wollen aber vor ihren Mitschülern auch nicht als zu strebsam dastehen, während Schüler mit Hauptschulkompetenzen sich ihren Mit-schülern schnell unterlegen fühlen. Weiterhin wird angenommen, dass an Hauptschulen weitaus häufiger geschwänzt oder verweigert wird als an den anderen Schulformen, da weniger stabile und enge Familienbeziehungen sowie ein geringeres Leistungsvermögen der Schüler vermutet werden. Allgemein sind Hauptschulen durch spezifische Probleme, wie beispielswei-se hohe Ausländeranteile und/oder milieubedingte Differenzen innerhalb der Schü-lerschaft, vorbelastet. Laut einem Interviewten stellt die Hauptschule eine Art Auf-fangbecken für diejenigen Schüler dar, die in anderen Schulformen nicht unterge-bracht werden konnten, da Hauptschulen gesetzlich dazu verpflichtet sind, jeden Schüler aufzunehmen, der sich dort anmeldet. Sonderschulen müssen nur bei ent-sprechender sonderpädagogischer Indikation aktiv werden.

Page 16: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

16

An Gymnasien hingegen fällt die Zahl der Schulschwänzer am geringsten aus, so die einhellige Einschätzung der Experten. Den Schülern wird dort gemeinhin ein guter familialer, sozialer und akademischer Hintergrund zugeschrieben, der sie befähigt, die Notwendigkeit von Bildung zu erkennen und sich externen Einflüssen besser ent-ziehen zu können, dies meist mit Hilfe sie umsorgender Eltern.

3.5 Maßnahmen und Lö sungs vorschl äge Schulen bedienen sich gestaffelter Maßnahmenkataloge der Sanktionierung, um Schulverweigerung zu reduzieren. Diese Maßnahmen variieren zwischen den Bun-desländern. Sie können bei Gesprächen mit den Schülern und deren Eltern beginnen und über Bußgeldbescheide, Klassen- und Schulkonferenzen bis hin zum Einschal-ten der Polizei und des Jugendamtes reichen. Den meisten Experten erscheinen di e-se Maßnahmen sinnvoll und es besteht Konsens darüber, dass viele Schüler Sankt i-onen nicht gleichgültig gegenüberstehen. Droht ein Lehrer mit Bestrafung, sind die Schüler oft einsichtig und ändern ihr Verhalten, zumindest kurzweilig. Allerdings be-tonen manche Experten, dass vor allem die staatlichen Maßnahmen Probleme nicht lösen, sondern verdrängen. In vielen Fällen von Schulverweigerung hat sich die Situ-ation der Schüler schon dermaßen zugespitzt oder aber die Schüler sind schon so abgestumpft, dass die beschriebenen Maßnahmen nicht zum Erfolg führen. Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, müsste nach Meinung einiger Experten der Respekt vor der staatlichen Gewalt größer sein als die Abneigung (in einigen Fällen auch Angst) vor der Rückkehr in die Schule. Die Interviewten berichteten eine Reihe von Missständen. Diese beziehen sich hauptsächlich auf familien- sowie schulinterne Problematiken. Schwieriger gestaltet sich hierbei die Lösung familialer Konflikte, die in den wenigsten Fällen durch Au-ßenstehende unmittelbar eingesehen werden können. Hilfreich wären vermutlich Ge-spräche mit den Kindern und ihren Eltern sowie, sollte dies nicht ausreichen, die Ein-schaltung des Jugendamtes. Was die schulische Seite anbelangt, so werden durch die Interviewten Vorschläge geäußert, die unter anderem die Verkleinerung von Klassengrößen, weniger Frontal-unterricht sowie eine individuelle Schüler-Lehrer-Interaktion beinhalten. Generell ist es wichtig, den Schülern eine Anlaufstation zu bieten und Lehrer besser über pote n-tielle Hintergründe von Schulverweigerung bzw. Schulschwänzen zu informieren, so dass sie hilfreicher auf die Schüler einwirken können. Als vorteilhaft hat sich die B e-schäftigung von Sozialarbeitern an Schulen erwiesen, die ausschließlich für die Be-lange und Probleme von Schülern zuständig sind. Auch Projektwerkstätten, die Schulverweigerer betreuen und mit ihnen arbeiten, haben gute Resultate erzielt.

Page 17: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

17

4 Verbreitung d es Schulschwänzens und d er Schulver-weigerung

Die Datenlage zur Verbreitung von Schulverweigerung in Deutschland ist sehr unz u-reichend (BMI 2001: 575; Wilmers et al. 2001b). Ähnliches gilt auch für Studien, die im allgemeineren Sinne die Verbreitung des Schulschwänzens untersuchen. Es ver-wundert daher um so mehr, dass es keine zusammenfassende Darstellung der bis-herigen Forschungsergebnisse in der Literatur gibt. An dieser Stelle sollen deshalb empirische Daten der aktuellen Forschungsliteratur zur Verbreitung des Phänomens zusammengetragen und, soweit möglich, in Beziehung zueinander gesetzt werden. Ergänzt werden diese Befunde durch Datenmaterial über registrierte Schulpflichtver-letzungen von der Bezirksregierung Düsseldorf und dem Schulamt der Stadt Köln. Der Ergebnisdarstellung geht die Vorstellung des Datenmaterials sowie eine kurze Erörterung methodischer Probleme voraus.

4.1 Daten

4.1.1 Empirische Studien Für Deutschland gibt es eine Reihe von empirischen Studien, die vor allem im Kon-text der Untersuchung abweichenden Verhaltens und in unterschiedlicher Ausführ-lichkeit auch Schulschwänzen oder Schulverweigerung thematisieren (für eine Über-sicht vgl. Tabelle 1). Insgesamt lassen sich an dieser Stelle die folgenden acht For-schungsprojekte anführen.

1. Schülerstudie ’90 2. Jugend in Brandenburg (‚Brandenburg I’)1 3. Psychische Auffälligkeiten und Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen in

Deutschland (‚PAK-KID-Studie’) 4. Gewalt in der Schule – Problemanalyse und schulpädagogische Prävention

(‚Hessische Schülerbefragung’) 5. Erfassung von Fehlstunden anhand von Halbjahreszeugnissen durch das

Brandenburgische Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (‚Brandenburg II’)

6. Schülerbefragungen des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersach-sen (KFN) in Delmenhorst, Landkreis Friesland, Hamburg, Hannover, Leipzig, München und Rostock

7. Soziale Probleme und Jugenddelinquenz im sozialökologischen Kontext, Stu-die des Max-Planck-Instituts (MPI) für ausländisches und internationales Straf-recht in Freiburg

8. Lage von Kindern und Jugendlichen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (‚Pano-ramastudie’)

Da wir für die Schülerstudie ’90, die PAK-KID-Studie sowie die Schülerbefragung des MPI im Besitz der Originaldaten sind, können eigene Auswertungen vorgenommen werden. Die Befundzusammenstellung der verbleibenden fünf Untersuchungen ba-siert auf der Auswertung von Publikationen. 1 Die in Klammern stehenden Bezeichnungen werden im weiteren Text als Abkürzungen benutzt.

Page 18: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

18

Der zentrale Untersuchungsgegenstand und damit auch die Relevanz von unent-schuldigter schulischer Abwesenheit variiert über die Studien. In den meisten Unter-suchungen werden eine Reihe von delinquenten Verhaltensformen abgefragt. Schul-schwänzen/-verweigerung stellen dann eine Variante delinquenten Verhaltens dar. Die aufgeführten Projekte wurden vor allem in den 90er Jahren durchgeführt und sind – mit Ausnahme der Schülerstudie ’90 und der ersten Erhebung der Schülerbe-fragung in Brandenburg – weniger als zehn Jahre alt. Um Effekte des Geschlechts, der Schulform und des Alters zu kontrollieren, werden, sofern den Datensätzen beziehungsweise Publikationen entnehmbar, die Verbrei-tungsraten für die entsprechenden Merkmalsgruppen dargestellt. Im Hinblick auf die Verteilung der Schulformen wurden meistens die Sonder,- Haupt-, Real- und Ge-samtschulen sowie die Gymnasien berücksichtigt. In einigen Studien wurden auch berufsorientierte Schultypen hinzugenommen. Daneben lassen sich innerhalb der jeweiligen Schulform zumeist Unterschiede zwischen Bundesländern ausmachen, die im Einzelnen der Tabelle 1 zu entnehmen sind. In fast allen Fällen beziehen sich die Daten auf Schülerinnen und Schüler der Se-kundarstufe I, teilweise auch der Sekundarstufe II. Für die Untersuchung der PAK-KID-Studie wurden auch Informationen über Grundschüler erhoben. Um die Ver-gleichbarkeit zu gewährleisten, wurden hier jedoch die eigenen Auswertungen auf die Gruppe der Elf- bis Achtzehnjährigen beschränkt. Mit Ausnahme der PAK-KID-Studie sind die Ergebnisse nicht für Gesamtdeutschland repräsentativ. So beziehen sich einige der Erhebungen lediglich auf einzelne Städte (etwa Delmenhorst, Freiburg, Köln oder Rostock), andere umfassen räumliche Groß-einheiten wie das Ruhrgebiet oder die Region Halle-Leipzig. Die Untersuchung aus Brandenburg (I), die hessische Schülerbefragung sowie die Panoramastudie (NRW) beanspruchen Landesrepräsentativität. Nachfolgend werden die Studien im Einzel-nen vorgestellt. Schülerstudie ’90 Kurz nach dem Fall der Mauer wurde 1990 vom Zentralinstitut für Jugendforschung sowie den Universitäten Siegen, Dortmund und Hagen die so genannte Schülerstu-die ’90 (Jugendliche im Prozess der Vereinigung) durchgeführt. Die Stichprobe um-fasst 2576 Jugendliche aller allgemeinbildenden Schulen (einschließlich der berufs-bildenden Schulen) aus dem Ruhrgebiet sowie der Region Halle-Leipzig. Die Jugendlichen der Klassen 7, 9 und 11 wurden zu verschiedenen Themenbereichen (Familie, Schule, Kultur, Medien und Freizeit) befragt. Im Zusammenhang mit den Fragen zum schulischen Umfeld und dem eigenen Verhalten, wurde auch die Häu-figkeit des Schulschwänzens während des vergangenen Schulhalbjahres erhoben (Behnken et al. 1991). Jugend in Brandenburg (‚Brandenburg I’) Das vom Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam initiierte Projekt ‚Jugend in Brandenburg’ begann 1991 mit einer Pilotstudie. Weitere Befragungswellen folgten 1993, 1996, 1999 und 2001. Bei die-sen landesrepräsentativen Erhebungen von Jugendlichen aller allgemeinbildenden Schulen und Oberstufenzentren zwischen 12 und 19 Jahren standen vor allem die

Page 19: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

19

Themen Gewaltbereitschaft, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus im Mit-telpunkt des Forschungsinteresses. Relativ detailliert wurde auch das Schulschwän-zen erfasst, unterschieden in Tages- und Eckstundenschwänzen. Die Befragung des Jahres 2001 stellt insofern eine Besonderheit dar, als dass in ihr ein Großteil der be-reits 1999 befragten Schülerinnen und Schüler erneut interviewt wurden. Damit er-öffnet sich die Möglichkeit, das Verhalten der Jugendlichen aus einer Längsschnitts-perspektive zu untersuchen (Harych/Landua 2002). In diesem Text werden jedoch nur die Querschnittsbefunde dargestellt, da die Ergebnisse der Längsschnittuntersu-chung nur in Form individueller Entwicklungen berichtet werden. Psychische Auffälli gkeiten un d Kompetenzen von Kindern un d Jugendlichen in Deutschland (PAK-KID) Die Untersuchung ‚Psychische Auffälligkeiten und Kompetenzen von Kindern und Ju-gendlichen in Deutschland’ basiert auf einer bundesweit repräsentativen Erhebung. Insgesamt wurden 2856 Kinder und Jugendliche im Alter von 4–18 Jahren auf Grundlage der so genannten Child-Behavior-Checklist 4–18 (CBLC 4–18) von ihren Eltern in ihrem Verhalten beurteilt. Zusätzlich gaben 1798 Jugendliche im Alter von 11 bis 18 Jahren in einem Fragebogen für Jugendliche, ein Selbsturteil hinsichtlich Verhaltensauffälligkeiten ab. Auch hier wurde sowohl durch die Elternangaben als auch durch die Auskünfte der Kinder und Jugendlichen erhoben, wie häufig die Schüler der Schule unentschuldigt fernblieben (Döpfner et al. 1998). Gewalt in der Schule – Prob lemanalyse und schulpädagog ische Prävention (‚Hess ische Schülerbefragung’) Eine für die hessische Schülerschaft repräsentative Studie über Gewalt an allge-meinbildenden Schulen wurde 1995 unter Leitung des Bielefelder Pädagogen Till-mann durchgeführt. Befragt wurden Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I (Klassen 6, 8, 9 und 10) beziehungsweise der Altersspanne von 10 bis 17 Jahren. Die 3540 Jugendlichen wurden im Kontext schuldevianten Verhaltens auch nach dem Schulschwänzen während der letzten 12 Monate interviewt (Tillmann et al. 2000). Erfassung von Fehlstunden anhand von Halbjahreszeugnissen vom Branden-burgischen Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (‚Brandenburg II’) 1996 wurde in Brandenburg eine schriftliche Befragung zum Schulschwänzen und zur Schulverweigerung durchgeführt. Die Erhebung basierte auf den Halbjahres-zeugnissen des laufenden Schulhalbjahres, auf denen auch die Zahl der unentschul-digten Fehlstunden und -tage vermerkt sind. Eingang in die Untersuchung fanden Jugendliche der Jahrgangsstufen 5 bis 13 von Grund, Förder-, Gesamt-, Realschulen sowie Gymnasien aus den Landkreisen Prignitz und Dahme-Spreeewald sowie den Städten Eisenhüttenstadt und Potsdam. Da nur für die Sekundarstufe I ausreichen-des Zahlenmaterial vorliegt, wird hier nur auf die Befunde der Klassen 7 bis 10, die auf insgesamt 24550 Jugendlichen basieren, eingegangen (Landtag Brandenburg 1996). Studien des Kriminolog ischen Forschun gsinstituts Niedersachsen (‚KFN’) Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat zwischen 1998 und 2000 in verschiedenen Städten Erhebungen zu delinquentem Verhalten von Jugendlichen durchgeführt. Ausführliche Ergebnisse zur Häufigkeit des Schulschwänzens und -verweigerns für die letzten sechs Monate liegen für die beiden Städte Delmenhorst

Page 20: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

20

(Wetzels et al. 2000a; Wilmers 2000) und Rostock (Wetzels 2000b et al.) sowie dem Landkreis Friesland (Wilmers et al 2001a) vor. Daneben finden sich in dem von der Bundesregierung herausgegebenen Sicherheitsbericht (BMI 2001) und in Wilmers et al. (2001b) weitere Angaben für Hamburg, Hannover, Leipzig und München. Soziale Prob leme und Jugenddelinquenz im sozialökolog ischen Kontext (‚MPI’) Vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg wurde 1999 in Freiburg und Köln eine Befragung von etwa 5300 Schülern zur Ju-genddelinquenz durchgeführt. In die Analysen zur Schulverweigerung konnten je-doch nur 2826 Fälle eingehen. Gefragt wurden Schülerinnen und Schüler aller all-gemeinbildenden Schulen2 der Klassen 8 bis 10, ob sie schon einmal einen ganzen Tag oder mehr die Schule geschwänzt hätten und wie oft dies in den letzten 12 Mo-naten geschehen sei (Oberwittler et al. 2001). Lage von Kindern un d Jugendlichen zu Beginn des 21. Jahrhun derts (‚Pano-ramastudie’) In der so genannten ‚Panoramastudie zur Lage von Kindern und Jugendlichen zu Beginn des 21. Jahrhunderts’ wurden etwa 6400 Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren unter anderem zu Themen wie Schule und Ausbildung, Familie, Gesundheit, Sport und Freizeit, Medien, Kinder- und Jugendkultur befragt. Die vom Siegener Zentrum für Kindheits-, Jugend- und Biographieforschung durchgeführte Untersu-chung ist repräsentativ für Nordrhein-Westfalen und umfasst alle allgemeinbildenden Schulformen einschließlich der berufsbildenden Schulen (Zinnecker et al. 2002).

2 Für die Kölner Stichprobe liegen keine Daten von Gesamtschulen vor.

Page 21: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

21

Tabelle 1: Merkmale der Schülerbefragungen

Name Träger Jahrgangs-stufe

Alter Schulformb Abhängige Variable

N

Schülerstudie ’90 Zentralinstitut für Ju-gendforschung; Univer-sitäten Siegen, Dort-mund und Hagen

7,9,11 12–18 AO,BS,EO,FO, GS,GY,HS,RS, FS Schulschwänzen 2576

1991 Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung, Universität Potsdam

7–12, 1. und 2. Lehr-jahr Ober-stufenzentrum

12—18 GS,GY,RS,OSZ 2188

1993c

7–12, 1. und 2. Lehr-jahr Ober-stufenzentrum

12–19 GS,RS,GY 1680

1996 7–13, 1. B 3. Lehrjahr

12–19 GS,GS/GY,GY,OZ,OZ/GY 2683

1999 9—13d 12–19 GS, RS, GY 1273

Jugend in Brandenburg

2001 9—13 12–19 GS, RS, GY

Schulschwänzen

1249

Eltern Universität zu Köln – 11–18 BS,GS,GRS,GY, HS,KG,VS,SS,RS, Schulschwänzen 1757 PAK-KIDa

Jugendliche – 11–18 BS,GRS,GS,GY,HS,KG,SS,RS,VS Schulschwänzen 2856

Gewalt in der Schule (Schülerbefragung in Hessen) Universität Bielefeld 6, 8, 9/10 10–17 SS,GS,GY,HS, RS, Schulschwänzen 3540

Auswertung von Halbjahreszeugnissen in Brandenburg

Brandenburgisches Ministerium für Bildung, Jugend und Sport

7—10 – FS,GRS,GS,OSZ,RS, Schulschwänzen Schulverweigerung 24550

Delmenhorst 9–10 14–19 BVJ,FS,GS,GY, HS,RS 1298

Friesland 9–10 14–20 BVJ,FS,GS,GY, HS,RS 1195

Hamburg 9 13–19 GY, GS, RS, HS/RS,HS 3435

Hannover 9 13–19 GY, GS, RS, HS/RS,HS 1892

Kriminologisches For-schungsinstitut Nieder-sachsen

Leipzig

Kriminologisches For-schungsinstitut Nieder-sachsen

9 13–19 GY, GS, RS, HS/RS,HS

Schulschwänzen Schulverweigerung

1999

Page 22: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

22

München 9 13–19 GY, GS, RS, HS/RS,HS 2475

Rostock

9 13–18 FS,GS,GY,HS,RS,HS/RS

1662

Soziale Probleme und Jugenddelinquenz im sozialökologischen Kontext

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf-recht in Freiburg

8—10 12–18 GS,GY,HS,RS,SS,WS Schulschwänzen Schulverweigerung

2826

Lage von Kindern und Jugendlichen zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Siegener Zentrum für Kindheits-, Jugend- und Biographieforschung

4—12 10–18 alle allgemeinbildenden und beruflich -en Schulformen, ohne Sonderschulen Schulschwänzen 6392

a Hier wurden die Auswertungen auf die Altersgruppe der Elf- bis Achtzehnjährigen beschränkt. b AO=Allgemeine Oberschule; BS=Berufsschule; BVJ=Berufsvorbereitungsjahr; EO=Erweiterte Oberschule; FO=Fachoberschule; FS=Fachschule; GRS=Grundschule; GS=Gesamtschule; GY=Gymnasium; KG=Kindergarten; HS=Hauptschule; OSZ=Oberstufenzentrum; SS=Sonderschule; RS=Realschule; VS=Vorschule; WS=Waldorfschule (nur Freiburg) c Ergebnisse nur für Teilstichprobe d Tatsächlich wurden 1999 auch die 7. und 8. Klasse befragt, Befunde werden aber nur ab der 9. Klasse berichtet.

Page 23: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

23

4.1.2 Daten der Schulverwaltung Eine weitere Möglichkeit, einen Eindruck von der Verbreitung und Entwicklung un-entschuldigten Fernbleibens zu gewinnen, bieten Statistiken der Schulämter und B e-zirksregierungen über die verhängten Bußgeldbescheide aufgrund von Schulpflicht-verletzungen. Da das Bildungssystem der Hoheit der einzelnen Bundesländer unter-steht und wir nur auf Daten aus Nordrhein-Westfalen eingehen, ist der Hinweis von Bedeutung, dass in Nordrhein-Westfalen „etwaige Ordnungsverfahren wegen Schul-pflichtverletzungen im Bereich der Grund- Haupt- und Sonderschulen von den Schul-ämtern“ (Persönliche Mitteilung von Petra Kruse, Bezirksregierung Düsseldorf, 23.04.2002) durchgeführt werden. Entsprechend sind die Bezirksregierungen für die Real- und Gesamtschulen sowie die Gymnasien zuständig. Uns liegen zum einen Zahlen des Schulamtes Köln für die Jahre 1992 bis 2001 vor, aufgeschlüsselt nach Grund- und Hauptschulen sowie Sonderschulen. Für das Jahr 1996 existiert nur die Gesamtzahl der festgesetzten Bußgeldverfahren. Zum anderen gibt es entsprechende Daten von der Bezirksregierung Düsseldorf, ebenfalls für die Jahre 1992 bis 2001, die jedoch nicht weiter nach Schulformen unterschieden sind.

4.2 Method ische Probleme und Operationalisierung Die in Kapitel 2 geschilderten Schwierigkeiten, Schulschwänzen und Schulverweige-rung begrifflich von einander zu unterscheiden, bereiten auch bei der Konzeptional i-sierung und Operationalisierung Probleme. Eine Darstellung des empirischen Forschungsstandes im Bereich Schulschwänzen und Schulverweigerung für Deutschland wird vor allem durch die teilweise geringe Vergleichbarkeit der Ergebnisse beeinträchtigt. Tabelle 2 gibt den in den Publikatio-nen vorfindbaren Wortlaut der Fragen wieder, mit dem das Schwänzen der Jugendli-chen erfragt wurde. Diskrepanzen treten vor allem bei der Messung der abhängigen Variablen auf. Es muss unterschieden werden, ob lediglich das Auftreten von Schulschwänzen erfragt oder ob auch detailliert die Häufigkeit des Schwänzverhaltens erfasst wurde. Liegen exakte Häufigkeiten vor, dann lässt sich auch Schulverweigerung bestimmen. In Ka-pitel 2.1 wurde dargelegt, dass wir ‚Schulverweigerung’ als häufiges Schulschwänzen auffassen. In der deutschen Forschungsliteratur finden sich nur wenig Hinweise, ab welcher Häufigkeit von Schulverweigerung zu sprechen ist. Oberwittler et al. (2001) gehen in ihrer Untersuchung etwa von sechs Fehlperioden (mindestens ein Fehltag) für die letzten 12 Monate aus. Wilmers et al. (2001a) führen in ihrer Untersuchung die Gruppe der ‚intensiven Schulschwänzer’3 ein, die im letzten Schulhalbjahr fünf und mehr Tage geschwänzt haben. Die genannten Kriterien sind jedoch weder theore-tisch noch empirisch begründet.

Schulschwänzen soll im Weiteren jegliche in den vorliegenden Untersuchungen er-fasste unerlaubte Abwesenheit von der Schule einschließen. Wird, wie in einer Reihe von Projekten geschehen, das Schwänzen lediglich ordinal erhoben (beispielsweise

3 In Wetzels et al. (200a) wird diese Gruppe als ‚Massivschwänzer’ bezeichnet.

Page 24: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

24

als oft, manchmal, selten, nie), dann berichten wir über das bloße Vorkommen, das heißt, die Fallzahlen der Kategorien ‚oft’, ‚manchmal’ und ‚selten’ werden addiert. Die Vergleichbarkeit der Befunde wird weiter dadurch erschwert, dass das Schwänz-verhalten für unterschiedliche Zeiteinheiten erfasst wurde. In der PAK-KID-Untersuchung wird erhoben, ob die Schülerinnen und Schüler bereits einzelnen Schulstunden ferngeblieben sind. Die Studie des Max-Planck-Institutes hingegen erfasst nur tageweises Schwänzen und die Schülerstudie ’90 fragt sehr allgemein nach Schulschwänzen, ohne genauere Vorgaben zu machen. Abweichungen gibt es auch auf der Ebene des Beobachtungszeitraums. In Untersuchungen wie der Biele-felder Studie, der Schülerstudie ’90 oder der Brandenburger I Studie, sind die Selbst-auskünfte über das Schwänzverhalten auf einen konkreten, gleichwohl variierenden Zeitraum bezogen, der ein Schulhalbjahr, die letzten sechs Monate, aber auch das ganze letzte Jahr umfassen kann. Dagegen legen sich die Schülerstudie '90 oder die PAK-KID Studie auf keinen genauen Beobachtungszeitraum fest und beziehen sich auf die gesamte Schullaufbahn. Ferner lässt sich auf der Ebene der statistischen Grundgesamtheit nur schwer ein unmittelbarer Vergleich herstellen, etwa wenn unterschiedliche geographische Be-zugsräume, Schulformen und Klassen-/Jahrgangstufenformen oder Altersstufen ge-wählt wurden. Die Daten aus der Schulverwaltung über die Anzahl der erlassenen Bußgeld-bescheide müssen vor allem unter Validitätsgründen kritisch beurteilt werden. Selbst wenn es zu deutlichen Steigerungsraten gekommen sein sollte, muss berücksichtigt werden, dass das Dunkelfeld derart umfangreich ist, dass schon eine geringe Zu-nahme der Aufsicht und Kontrolle durch Schulen, Behörden und Polizei diesen Effekt hat. Außerdem hängt die Zahl der Bußgeldbescheide auch von behördeninternen Regelungen ab, die sich auf die Meldepraxis der Schulen auswirken können, ohne das sich die Verbreitung des Schulschwänzens verändert haben muss (Wagner 2002).

Page 25: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

25

Tabelle 2: Operationalisierung des Schulschwänzens/Schulverweigerung

Studie Fragestellung Antwortkategorien

Schülerstudie ’90

„Wie oft kommen die folgenden Sachen bei Dir selbst vor? Denke bitte an das letzte halbe Jahr. [...] c) die Schule schwänzen.“

(nahezu) Täglich Mehrmals in der Woche Mehrmals im Monat Einige wenige Male Nie

1991 1993 1996 1999

Brandenburg I

2001

� Frage 18: “Ist es schon einmal vorgekommen, dass Sie die erste bzw. die letzte Stun de vom Unterricht geschwänzt haben, weil Sie andere wichtige Dinge vorhatten?“

� Frage 19: „Gehen Sie an manchen Tagen nicht zur Schule?“

� „Ist es schon vorgekommen, dass Sie einzelne Unterrichtsstunden geschwänzt haben?“

� „Tageweises Schwänzen“

Oft Manchmal Selten Nie

Eltern

„Es folgt eine Liste von Eigenschaften und Verhaltensweisen, die bei Kindern und/oder Ju -gendlichen auftreten können. [...] Beantworten Sie bitte für jede Eigenschaft, ob sie jetzt oder innerhalb der letzten 6 Monate bei ihrem Kind zu beobachten war. [...] 101. Schwänzt die Schule (auch einzelne Schulstunden)“.

Nicht zutreffend (soweit bekannt) Etwas oder manchmal zutreffend Genau oder häufig zutreffend

PAK-KID

Jugendliche

„Es folgt eine Liste von Eigenschaften und Verhaltensweisen, die bei Jugendlichen auftreten kön-nen. [...] Bei jeder Eigenschaft, die für Dich jetzt oder in den letzten 6 Monaten genau so oder häufig zutrifft, kreuzt Du bitte die 2 an. [...] 101. Ich schwänze die Schule oder einzelne Schulstun-den.“

Nicht zutreffend Etwas oder manchmal zutreffend Genau oder häufig zutreffend

Gewalt in der Schule (Hessen) „Wie oft hast Du selbst an Deiner Schule in den letzten 12 Monaten folgendes gemacht? Die Schule ohne Entschuldigung geschwänzt.“

Alle paar Monate Mehrmals monatlich Mehrmals wöchentlich Fast täglich

Kriminologisches Forschungs-institut Niedersachsen (hier Delmenhorsta)

Frage 33: „Viele Schüler/innen tun in der Schule Dinge, die nicht erlaubt sind. Wie oft hast Du selbst in diesem Schulhalbjahr, also seit dem letzten Zeugnis, so etwas gemacht? [...] Ohne richt i-gen Grund einfach nicht zum Unterricht gegangen.“

0 mal (gar nicht) 1 mal 2 mal 3-5 mal 6 mal oder mehr

Frage 35: „Wie ist es bei Dir selbst? Hast Du in diesem Schulhalbjahr mal die Schule ge-schwänzt?“

� Ich habe in diesem Schulhalb-jahr noch nie die Schule ge-schwänzt.

� Ich habe in diesem Schulhalb-jahr schon mal die Schule ge-schwänzt (weiter mit Frage 36).

Frage 36: „Wie oft (und für wie lange) hast Du in diesem Schulhalbjahr die Schule ge schwänzt?“

� Wie oft hast Du in diesem Halbjahr zwei oder mehr Tage hintereinander geschwänzt?

Page 26: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

26

� ... Mal

� Wie oft hast Du in diesem Halbjahr einen einzelnen Tag lang geschwänzt? ... Mal

� Wie oft hast Du in diesem Halbjahr nur bestimmte Schul-stunden geschwänzt? (z.B. nur Sport) und warst bei den anderen Stunden an dem sel-ben Tag aber im Unterricht? ...Mal

„Ich habe schon einmal (alleine oder zusammen mit anderen) einen ganzen Tag oder mehrere Tage die Schule geschwänzt.“

nein ja MPI-Schülerbefragung

„Hast Du das in den letzten 12 Monaten gemacht (seit September 1998)? Wie oft hast Du das in den letzten 12 Monaten gemacht?“

� Keinmal � ... mal

Panoramastudie „Wir haben die Kinder und Jugendlichen gefragt, wie oft sie im letzten halben Jahr die Schule geschwänzt haben.“

(fast) täglich mehrmals in der Woche mehrmals im Monat einige wenige Male nie

a Eine eindeutige Ausformulierung des Fragentextes liegt nur für die Untersuchung in Delmenhorst vor. Aufgrund der Textpassagen ist davon auszugehen, dass in den übrigen Erhebungen ähnliche Formulierungen verwendet wurden.

Page 27: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

27

4.3 Empirische Ergebnisse für Deutschland

4.3.1 Aktuelle Forschung slage Die nachfolgenden Tabellen vermitteln den aktuellen Forschungsstand zur Verbrei-tung des Schulschwänzens (vgl. Tabelle 3 und 4) und zur Verbreitung der Schulver-weigerung (vgl. Tabelle 5).

4.3.1.1 Schulschwänzen Die Tabellen sind zweigeteilt. In dem mehrzeiligen Tabellenkopf werden zur besse-ren Vergleichbarkeit der Studienergebnisse einige Studienmerkmale aufgeführt. Es finden sich Angaben darüber, wo (Bezugsregion) und wann (Jahr) die Studie durch-geführt wurde. In allen Fällen wurde das Schwänzverhalten retrospektiv erhoben. Die Jugendlichen wurden dann gebeten, ihr Verhalten innerhalb einer bestimmten, zu-rückliegenden Zeitspanne zu beurteilen (Beobachtungszeitraum). Bei der PAK-KID Studie und der Untersuchung des MPI wird erhoben, ob die Jugendlichen überhaupt schon einmal in ihrem bisherigen Leben geschwänzt haben. Ebenso wie der Beobachtungszeitraum über die verschiedenen Untersuchungen va-riiert, gibt es uneinheitliche Festsetzungen für Fehlzeiten. Die Schülerstudie ’90, die Hessische Schülerbefragung und die Panoramastudie geben keinerlei Mindestfehl-zeiten vor. Wenigstens stundenweises Schwänzen wird in PAK-KID sowie den fünf Stichproben der Brandenburger Untersuchung erhoben. Zusätzlich werden hier gan-ze Fehltage erfasst. Auch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen erfragt Fehltage. In der Freiburger Schülerbefragung wird ein Zeitraum von mindes-tens einem Fehltag erhoben. In Fällen wie der Schülerstudie ’90 oder der Studie des Max-Planck-Institutes, für die wir eigene Auswertungen vornehmen konnten, bietet es sich an, die Ergebnisse nach räumlichen Merkmalen getrennt vorzustellen – hier Ruhrgebiet vs. Halle-Leipzig be-ziehungsweise Freiburg vs. Köln. Ebenso erscheint es uns sinnvoll, für die PAK-KID Ergebnisse nach Eltern- und Jugendlichenurteil getrennt zu berichten. Die Branden-burger Erhebungen unterscheiden zwischen Eckstundenschwänzen und tageweisem Schwänzen. Die Ergebnisse des Kriminologischen Forschungsinstitutes werden nach Städten getrennt dargestellt. Im zweiten Tabellenteil finden sich die Schwänzraten, differenziert nach den Merkmalen Geschlecht, Schulform und Alter. Konnten zu bestimmten Merkmalsausprägungen keine Informationen ermittelt werden oder wurden diese gar nicht erfragt, so findet sich in der betreffenden Tabellenzelle ein ‚–’. Gesamt Die Gesamtschwänzrate variiert von 7,2% (PAK-KID, Elternurteil) und 57,7% (KFN-Studie, Hamburg) beträchtlich. Angesicht der unterschiedlichen Operationalisierun-gen und Grundgesamtheiten, die den einzelnen Stichproben zugrunde liegen, lässt sich vermuten, dass die Unterschiede im Wesentlichen auf methodische Ursachen zurückzuführen sind. Mit Ausnahme der Brandenburger Studie und PAK-KID lässt sich ein nach befragten Klassenstufen variierendes Verteilungsmuster erkennen. Ers-te eigene Analysen haben gezeigt, dass vor allem im Alter von 15–17 Jahren häufig

Page 28: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

28

geschwänzt wird. Die Erhebungen des KFN beschränken sich auf genau diese Al-tersgruppe und es ist plausibel, dass dann besonders hohe Raten erreicht werden. Hingegen umfassen die Schülerstudie ’90, die Schülerbefragung in Hessen, die Un-tersuchung des MPI oder der Siegener Studie breitere Altersintervalle. Zusätzlich lässt sich für die Schülerstudie ’90 und die KFN-Studie ein Ost-West-Effekt ausmachen. Die Prävalenz des Schulschwänzens in der Region Halle-Leipzig ist zum Befragungszeitpunkt im Vergleich mit dem Ruhrgebiet nur halb so groß. Auch die ostdeutschen Städte in der KFN-Studie weisen um etwa 20 Prozentpunkte niedri-gere Ergebnisse auf als die westdeutschen Städte. Eine Besonderheit der Befragung der Brandenburger Schüler ist ihre Unterscheidung in stunden- und tageweises Schwänzen. Bezieht man sich zunächst einmal nur auf das tageweise Schwänzen und stellt sie den vergleichbaren Daten des KFN und MPI gegenüber, so zeigt sich anhand der niedrigeren ostdeutschen Schwänzraten ein Ost-West-Unterschied. Auffällig hoch dagegen ist das Niveau beim stundenweisen Schwänzen brandenburgischer Schüler. Eine Erklärung könnte sein, dass, mit Aus-nahme der Erhebung 2001, immer nach Eckstundenschwänzen gefragt wurde. Es lässt sich vermuten, dass Eckstundenschwänzen diejenige Schwänzvariante ist, die mit dem geringsten Aufwand realisiert werden kann, daher auch häufig gewählt und berichtet wird. Ausgesprochen niedrig ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler der PAK-KID-Studie, die berichten, in ihrer bisherigen Schullaufbahn überhaupt schon einmal min-destens einzelne Schulstunden geschwänzt zu haben. Da die Studie bundesweit re-präsentativ ist, besitzt sie im Hinblick auf Merkmale wie Alter, Befragungsort oder Schulform die heterogenste Stichprobe. Extremere Befunde einer Subgruppe werden über alle Merkmalsausprägungen gemittelt und fallen, verglichen mit den übrigen Stichproben, niedriger aus. Geschlecht Die Frage nach einem Geschlechtseffekt beim Schulschwänzen lässt sich mit den vorliegenden Daten nur schwer beantworten. Für sechs der sieben Forschungspro-jekte können die Schwänzraten getrennt nach Geschlecht berichtet werden. Drei der Projekte (Schülerstudie ’90, PAK-KID und Schülerbefragung in Hessen) lassen ver-muten, dass es eher männliche Befragte sind, die vermehrt der Schule fernbleiben. Für die Schülerstudie ’90 ist der Unterschied allein für die ostdeutschen Schüler und Schülerinnen mit etwa 6 Prozentpunkten Differenz deutlich erkennbar. Für die Ju-gendlichen aus dem Ruhrgebiet beträgt der Unterschied dagegen nur 2 Prozentpunk-te. Mit drei Prozentpunkten Unterschied ist das Elternurteil der PAK-KID-Studie über das Schulschwänzen ihrer Kinder getrennt nach Geschlecht angesichts des insge-samt niedrigeren Niveaus schon deutlicher ausgeprägt. Noch offensichtlicher sind die Befunde für die Jugendlichen, hier berichten 16,1% der Jungen (gegenüber 11,2% der Mädchen), dass sie schon einmal in ihrem Leben die Schule geschwänzt haben. In Hessen gaben am Befragungstag knapp ein Vierteil aller weiblichen J ugendlichen an, die Schule im letzten Jahr geschwänzt zu haben. Von den männlichen Befragten erwähnte hingegen nur jeder fünfte, schon einmal während der letzten 12 Monate geschwänzt zu haben. Für die insgesamt sieben Standorte des KFN Projektes liegen lediglich Befunde für Delmenhorst vor, die allerdings in die entgegengesetzte Rich-tung weisen. Dort stehen den 53,9% schulschwänzenden Schülerinnen nur 46,1%

Page 29: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

29

schwänzende Schüler gegenüber. In den einzelnen Stichproben der Studie ‚Jugend in Brandenburg’ variieren die Mehrheiten. Ein ebenso heterogenes Bild ergibt sich für die beiden Gruppen der Schülerbefragung des Max-Planck-Instituts. Schulform Ebenfalls uneindeutig ist die Befundlage bei der Analyse der Schwänzraten nach Schulformen. Es deutet sich aber an, dass sowohl Schüler von Haupt- und Sonder-schulen einerseits, als auch Schüler von integrierten Schulformen andererseits, die mehrere Bildungsabschlüsse bieten beziehungsweise in die berufliche Ausbildung zusammengefasst sind, einem erhöhten Risiko des Schulschwänzens ausgesetzt sind. Alter Alle vorliegenden Befunden weisen einen stabilen Alterseffekt auf. Mit nur wenigen Ausnahmen zeigt sich, dass mit zunehmendem Alter auch der Anteil der Schul-schwänzer zunimmt. Für die Brandenburger Untersuchung lässt sich für jede der uns vorliegenden Befragungswellen eine altersabhängige Zunahme darstellen. Ebenso deutlich sind die Ergebnisse der Hessischen Schülerbefragung und der Panorama-studie. Die Studie des Max-Planck-Institutes weist zwar für die 17-jährigen Schüler einen geringeren Anteil aus, der Wert wird aber durch die sehr geringen Fallzahlen relativiert, so dass hier letztlich auch von einem klaren Anstieg die Rede sein muss. Nach der PAK-KID Studie sind es die 16-jährigen Jugendlichen, die am häufigsten der Schule fernbleiben; ältere Schüler schwänzen demgegenüber wieder in geringe-rem Maße.

Page 30: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

30

Tabelle 3: Befunde verschiedener Studien zur Verbreitung des Schulschwänzens in Deutschland (in %)

Studie Schülerstudie ’90 Jugend in Brandenburg PAK-KID

Schülerbefra-gung Hessen

Bezugsregion Ruhrgebiet, Halle-Leipzig

Brandenburg National Hessen

Beobachtung s- Zeitraum Letzte 6 Monate Schulhalbjahr Bisherige Schul-

laufbahn 12 Monate

Jahrgangsstufe Mindestfehlzeit Nicht erfasst Tage, Stunden (Eckstunden, 2001 nur Stunden) Mind. einz. Stund. Nicht erfasst Jahr 1990 1991 1993 1996 1999 2001 1994 1995 Subg rupp e Ruhr. Halle Tage Std. Tage Std. Tage Std. Tage Std. Tage Std. Elternk Jugend. Gesamt 38,2 16,7 21,2 50,0 21,5 45,6 26,0 52,0 27,5 53,0 23,4 47,8 7,2 13,7 22,0l Geschlecht Frau 37,2 13,8 - - 21,7 44,8 27,0 56,0 29,3 55,8 25,3 51,0 5,7 11,2 20,0 Mann 39,2 19,6 - - 20,5 46,2 29,0 58,0 25,0 50,1 21,6 44,7 8,6 16,1 24,0 Schulform Sonderschule – – – – – – – – – - – – 17,1 22,9 36,8 Hauptschule 32,3 – – – – – – – – – – – 8,7 16,5 21,1m Realschule 26,6 15,0b – – – – 31,3 47,8 22,0 26,3 6,8 12,7 21,1m Gesamtschule – – 23,2 47,9 28,0 46,0 24,7 48,8 23,6 47,3 8,1 14,1 23,4/22,4n GS mit gym. Obers. – – – – – – 17,3 45,7 – – – – – – – Gymnasium 41,4 39,5c – – 16,6 39,2 22,3 43,3 29,5 55,0 24,8 59,5 5,6 12,2 19,0 Fachoberschule – – – – – – – – – – – – - – – Berufsschule 42,5 13,7 – – – – – – – – – – 8,3 14,5 – Oberstufenzentrum – – – – – – 30,3 72,3 – – – – – – – OZ m. gym. Oberst. – – – – – – 36,0 60,0 – – – – – – – Fachschule 80,0a – – – - – – – – - – – – – – Alter - 11 – – – – – – – – – – – 3,3 6,3 10,6o 12 9,1 – – – 17,4d 29,8d 17,7g 27,0g – – – – 5,6 6,8 –

13 17,9 11,9 – – 17,4d 29,8d 17,7g 27,0g – - – – 6,4 11,3 24,9o

14 34,3 15,6 – – 17,4d 29,8d 24,0h 53,3h 25,6h 50,6h 21,6h 42,2h 5,4 12,6 –

15 35,3 18,3 – – 24,7e 56,1e 24,0h 53,3h 25,6h 50,6h 21,6h 42,2h 6,3 19,5 30,5o

16 47,6 21,7 – – 24,7e 56,1e 28,7i 59,3i 34,5j 62,4j 29,2j 65,7j 14,4 22,6 –

17 51,0 21,4 – – 25,0f 72,2f 28,7i 59,3i 34,5j 62,4j 29,2j 65,7j 10,8 22,7 –

18 59,1 14,3 – – 25,0f 72,2f – – 34,5j 62,4j 29,2j 65,7j 11,2 19,1 –

Älter als 18 60,0 - – – - – – – – – – – – – –

Page 31: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

31

Quelle Behnken et al. 1991; eigene Aus-wertungen

Sturzbe-cher/Dietrich 1993

Sturzbe-cher/Dietrich 1994

Sturzbe-cher/Langner 1997

Harych/ Landua 2002

Harych/ Landua 2002

Döpfner et al. 1998; eigene Auswertun-gen

Tillmann et al. 2000

a Zahlen in kursiver Schrift bedeuten weniger als 20 Fälle; b Allgemeinbildende polytechnische Oberschule; c Erweiterte polytechnische Oberschule; d Altersgruppe der 12-14 Jährigen; e Altersgruppe der 15-16 Jährigen; f Altersgruppe der 17-18 Jährigen; g 7/8 Klasse; h 9/10 Klasse; i 11/12 Klasse; j 11-13 Klasse; k Elternurteile nur für die Altersgruppe der Elf- bis Achtzehnjährigen; l Berichtet werden nur die Ergebnisse für die Kategorie ‚alle paar Monate’; m Haupt- und Realschule; n Kooperative und Integrative Gesamtschule; o Umgerechnet von Jahrgangstufenzugehörigkeit 6 und 8 in Altersklassen, letzte Altersstufe bezieht sich auf Stufe 9 bis 10 (Tillmann et al. 1999: 108).

Page 32: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

32

Tabelle 4: Befunde verschiedener Studien zur Verbreitung des Schulschwänzens in Deutschland (in %) (Fortsetzung)

Studie Kriminologisches Forschung sinstitut Niedersachsen

Soziale Probleme und Jugendd elinqu enz im sozialökologischen Kontext

Panoramastudie

Bezugsregion Delmenhorst, Landkreis Friesland, Hamburg, Hannover, Leipzig, München, Rostock Freiburg, Köln Nordrhein-Westfalen Beobachtung s- Zeitraum Schulhalbjahr Bisherige Schullaufbahn letzte 6 Monate

Mindestfehlzeit Stunden, Tage mindestens 1 Tag unbestimmt Jahr 1999 2000 2000 2000 2000 2000 1999 1999 2001 Subg rupp e Delmenhorst Friesland Hamburg Hannover Leipzig München Rostock Freiburg Köln – Gesamt 48,2 56,5 57,7 55,6 34,4 55,5 34,4 43,5 35,2 23,0 Geschlecht Frau 53,9 – - – – – – 45,7 33,1 – Mann 46,1 – - – – – – 41,0 37,7 – Schulform

Sonderschule – – - – – – 17,2c 41,0 38,7 – Hauptschule 53,9a 59,3 - – – – 73,0/35,3d 47,5 46,6 – Realschule 43,5b 46,4b - – – – 33,7 43,9 32,1 – Gesamtschule 43,5b 70,2 - – – – 37,1 53,5 - – Gymnasium 48,8 – - – – – 27,8 41,9 30,2 – Fachoberschule – – – – – – 18,6 – –

Alter 11 – – – – – – – – – 5,0e

12 – – – – – – – 25,5 20,2 5,0e

13 – – – – – – – 30,1 30,5 19,0f

14 – – – – – – – 46,8 39,9 19,0f

15 – – – – – – – 49,3 48,5 19,0f

16 – – – – – – – 80,0 52,9 48,0g

17 – – – – – – – 60,0 25,0 48,0g

18 – – – – – – – – – 48,0g

Quelle Wetzels et al. 2000a; Wil-mers 2000

Wilmers et al. 2001a

Wilmers et al. 2001b Oberwittler et al. 2001; eigene Auswertungen Zinnecker et al. 2002

a Sonder- und Hauptschule wurden zusammengefasst; b Kooperative und Integrative Gesamtschule; c Förderschule; d Verbundene Hauptschule/Realschule; e Altersgruppe 10-12 Jahre; f Altersgruppe 13-15 Jahre; g Altersgruppe 16-18 Jahre

Page 33: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

33

4.3.1.2 Schulverweigerung Drei Schülerstudien halten ausreichend Informationen bereit, um auch die Verbrei-tung von Schulverweigerung untersuchen zu können. Sowohl die Brandenburgische als auch die sieben Niedersächsischen Untersuchungen sprechen von häufigerem Schulschwänzen, wenn ein Schüler innerhalb des Beobachtungszeitraums mindes-tens 5 mal tageweise unentschuldigt gefehlt hat. Wie Tabelle 5 zu entnehmen ist, erhebt die Untersuchung des Max-Planck-Institutes, ob die Schüler schon einmal einen ganzen Tag oder mehrere Tage die Schule geschwänzt haben. Damit ist es nicht mehr möglich, von einzelnen Fehl- oder Schwänztagen zu sprechen, sondern wir sprechen von ‚Fehlperioden’, die auch mehrere Tage umfassen können. Es fällt schwer, die Zahlen direkt zu vergleichen. In Brandenburg wurde 1996 anhand der Schulhalbjahreszeugnisse die Anzahl der Schulverweigerer erhoben. Das KFN und das MPI dagegen haben Schülerbefragungen durchgeführt. Unterschiedlich ist auch der jeweilige Beobachtungszeitraum: Zwei Mal wird das Verhalten für ein Schulhalbjahr erfasst, ein Mal für den Zeitraum von 12 Monaten. Der Aufbau von Tabelle 5 ähnelt den bereits beschriebenen Tabellen 3 und 4. Die Daten sind relativ aktuell, denn die Erhebungen liegen zwischen 2 und 6 Jahre zu-rück. Die Studie des KFN umfasst sowohl ost- als auch westdeutsche Erhebungsor-te, während die Brandenburger Studie nur auf ostdeutsche Schüler eingeht. Die MPI-Schülerbefragung dagegen richtet sich nur auf westdeutsche Jugendliche. Die mit ‚Gesamt’ bezeichnete Zeile enthält die Verweigerungsraten für alle befragten Schüler und Schülerinnen. In Brandenburg findet sich mit 2,2% der mit Abstand ge-ringste Anteil von Jugendlichen, die 5 oder mehr Tage schwänzen. Der höchste An-teil Schulverweigerer findet sich in Delmenhorst, hier ist jeder fünfte Schüler im ver-gangenen Schulhalbjahr mehr als vier Tage unentschuldigt nicht zur Schule gegan-gen. Weshalb die Brandenburger Ergebnisse derart niedrig sind, lässt sich unseres Erach-tens nach nur mit der unterschiedlichen Erhebungstechnik (Dokumentenauswertung) begründen. Die Ergebnisse der KFN-Studie liegen im Mittel (14,9%) höher als die des MPI (10,7%). Anzunehmen ist, dass dabei die Unterscheidung von Schwänztag und Schwänzperiode eine Rolle spielt. Schwänzt beispielsweise ein Schüler 5 Tage hintereinander die Schule, dann kann er in der MPI-Studie lediglich 1 Fehlperiode angeben und es kommt zu einer Unterschätzung der Schulverweigerung. Relativ offensichtlich ist die Ost-West-Differenz, die sich vor allem anhand der KFN-Befunde zeigt. Die Anteile der massiven Schulschwänzer liegen in Leipzig und Ros-tock mit 6,1% und 10,1% erkennbar unter den Werten der westdeutschen Orte. Eine eindeutige Geschlechtsdifferenz lässt sich auch bei der Schulverweigerung nicht nachweisen. In Friesland verweigern mit 2 Prozentpunkten zwar mehr Schüler als Schülerinnen die Schule, ob dieser Effekt aber signifikant ist, muss in Frage ge-stellt werden. Nicht signifikant ist das Ergebnis für Freiburg, dort sollen 12,5% der Mädchen und 11,0% der Jungen die Schule verweigern. In Köln hingegen sind die Differenzen recht deutlich, hier sind es 11,6% der männlichen und nur 7,8% der weiblichen Jugendlichen, die ein massives Schwänzverhalten zeigen.

Page 34: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

34

Die Verteilung nach Schulformen folgt einem relativ klaren Muster. Es sind vor allem die Sonder-, Haupt- und Gesamtschulen, die mit hohen Schulverweigerungsraten umgehen müssen. In den ausgewählten Kreisen und Städten Brandenburgs lassen die Zeugnisse von 8,3% der Sonderschüler den Schluss zu, dass die Schule verwei-gert wird. Erhöht sind mit 2,9% auch die Werte für Gesamtschüler. Ähnliche Ergeb-nisse finden sich auch für sämtliche Standorte der Schülerbefragungen des KFN. Etwa ein Drittel der Hauptschüler und -schülerinnen in Hannover und Delmenhorst lassen sich nach unserer Definition als Schulverweigerer bezeichnen. Ob sich auch für die Erhebungen des KFN die oben postulierte Abfolge der Schulformen aufzeigen lässt, kann wegen fehlender Daten nicht zweifelsfrei ermittelt werden. Teilweise wei-sen jedoch die Realschulen höhere Verweigerungsraten auf als die Gesamtschulen. Die Angaben der MPI-Studie runden das Bild ab: In Freiburg ergeben sich für die drei genannten Schulformen immer Verweigerungsraten von etwa 20%, denen etwa 11,2% der Realschüler und 6,6% der Gymnasiasten gegenüberstehen. In Köln sind es vor allem die Hauptschüler mit 17,4%, die häufig ein massives Schwänzverhalten zeigen. Nach Alter kontrollierte Angaben zur Schulverweigerung lassen sich der Branden-burger und der MPI-Studie entnehmen. Die Befunde aus Brandenburg weisen einen u-förmigen Verlauf aus, mit einem Maximum bei 13/14 Jahren. Für Freiburg und Köln lässt sich ein stetiger Anstieg der Schwänzraten mit dem Alter konstatieren.

Page 35: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

35

Tabelle 5: Befunde ver schieden er Studien zur Verbr eitung der (selbstberichteten) Schulverweigerung in Deutschland (in %)

Brandenbu rg II Kriminologisches Forschung sinstitut Niedersachsen MPI-Schülerbefragung Beobachtung szeitraum Schulhalbjahr Schulhalbjahr Letzte 12 Monate Mindestfehlzeit Tag Tag 1 Tag oder mehr

Bezugsraum

Landkreisen Prignitz, Dahme-Spreeewald; Eisenhüttenstadt und Potsdam

Delmenhorst, Rostock, Friesland Freiburg, Köln

Operationali sierung 5 und mehr Tage 5 und mehr Tage 5 und mehr Fehlperioden Jahr 1996 1999 2000 20000 2000 2000 2000 1999 1999 Subg rupp e – Delmenho rst Friesland Hamburg Hanno ver Leipzig München Rostock Freiburg Köln Gesamt 2,2 20,3 16,5c,d 15,7 17,9d 6,1d 17,9d 10,1 11,8 9,5 Geschlecht

Frauen – – 14,5 – – – – – 12,5 7,8 Männer – – 16,6 – – – – – 11,0 11,6

Schultyp Sonderschule 8,3 – – – – – – – 19,4 12,8 Hauptschule – 32,4a 22,4 22,2 33,9 13,8 23,3 32,6 23,5 17,4 Realschule 1,5 – 15,1e 16,1/22,0 e 17,4 6,6 18,6 13,0/14,0e 11,2 7,2 Gesamtschule 2,9 19,2b – 19,4 16,7 – – 11,3 20,2 – Gymnasium 0,1 9,0 10,7 9,7 10,3 3,2 13,5 3,4 6,6 6,0 Waldorfschule – – – – – – – – 2,4

Alter 12 1,5 – – – – – – – – − 13 2,9 – – – – – – – 5,0 3,1 14 2,8 – – – – – – – 7,0 8,1 15 1,8 – – – – – – – 10,5 11,5 16 – – – – – – – – 14,3 13,7 17 – – – – – – – – 33,3 21,3 18 – – – – – – – – 20,0 –

Quelle Landtag Bran-denburg 1996

Wetzels et al. 2000a

Wilmers et al. 2001b Wetzels et al. 2000b

eigene Berechnungen

aSonder- und Hauptschule wurden zusammengefasst; b Real- und Gesamtschule wurden zusammengefasst; c Nach Wilmers et al. 2001 findet sich hier ein Wert von 15,3, es wird die aktuellere Publikation genommen; d Ausgelassen wurde die Kategorie ‚Tage unbekannt’, die die Zahlen noch einmal erhöht; e Verbundene Hauptschule/Realschule.

Page 36: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

36

4.3.2 Verteilung der Bußgeldbescheide Auf die Schwierigkeiten, die sich bei der Verteilung der Bußgeldbescheide als ein Indikator für die Entwicklung des Schulschwänzens ergeben, wurde bereits in Kapitel 2 eingegangen. Eine Darstellung der Daten erscheint dennoch sinnvoll, da die Zah-len die einzig stattlich registrierte Form der Schulpflichtverletzung widerspiegeln. Für den Regierungsbezirk Düsseldorf lässt sich die Entwicklung der registrierten Schulpflichtverletzungen für die letzten neun Jahre von 1992 bis 2001 verfolgen. Lei-der liegen uns die Daten nicht nach den drei Schulformen Real- und Gesamtschulen sowie Gymnasien aufgeschlüsselt vor. 1992 wurden 462 Bußgeldbescheide erho-ben, 2001 waren es bereits 1299, das entspricht einer Steigerung um etwa 280%. Unterbrochen wird dieser Trend in den Jahren 1996 und 1999, hier fallen die Zahlen kurzzeitig ab. Um ausschließen zu können, dass steigende Schülerzahlen die Ursa-che sind, wurde der Anteil der Bußgeldbescheide für alle Schüler der drei Schulfor-men über den genannten Zeitraum ermittelt.

1992 1994 1996 1998 2000

020

040

060

080

010

00

120

0

Verteilung d erBußgeldbescheide (absolut)

Jahr

Anz

ahl

1992 1994 1996 1998 2000

0.0

0.1

0.2

0.3

Verteilung d er Bußgeldbescheide (Prozent)

Jahr

Pro

zent

Abbildung 1: Verteilung der Bußgeldbescheide für den Regierungsbezirk Düs-seldorf (Quell e: Bezirksr egierung Düsse ldorf)

Zunächst fällt auf, dass sich der Kurvenverlauf der prozentualen Darstellung annä-hernd mit der Abbildung der absoluten Zahlen deckt. Erklären lasst sich dieses Ver-haltensmuster mit dem fast linearen Anstieg der Gesamtschülerzahlen für die drei Schulformen. Damit lässt sich ausschließen, dass ein Zuwachs der Schülerzahlen für die steigende Entwicklung der Bußgeldverfahren verantwortlich ist.

Dass mitunter auch banale Gründe hinter einer solchen Entwicklung stehen können, verdeutlichen ähnliche Ergebnisse des Kölner Schulamtes. Hier liegen Zahlen für einen Zeitraum von 1992 bis 2001 vor, aufgeschlüsselt nach Grund-, Sonder- und Hauptschulen. Auf Ebene der Gesamtzahlen hat ein Zuwachs um fast 70% stattge-funden. Der stärkste Anstieg ist bei den Grundschulen zu verzeichnen, die ihre Zah-len zwischen 1992 mit 22 Bußgeldverfahren und 2001 mit 66 Verfahren verdreifa-chen. Die Sonderschulen steigen zwischen 1992 von 28 Bescheiden auf 58 für 1995, um dann wieder auf 27 Bescheide für 2001 zu fallen. Ähnliches ergibt sich auch für die Daten von Hauptschulen: Hier kommt es zu einem sehr deutlichen Anstieg zwi-

Page 37: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

37

schen 1992 und 1995, von 131 auf 366 Bußgeldverfahren. Danach fallen die Zahlen wieder und für das Jahr 2001 liegen die registrierten Bußgeldverfahren mit 177 Ver-fahren um etwa 35% über den Zahlen für 1992. Der deutliche Anstieg registrierter Bußgeldbescheide für 1995, vor allem bei den Haupt- und Sonderschulen, ist jedoch allein auf amtsinterne Umstellungen auf neue Meldeformulare für die Schulen zu-rückzuführen (persönliche Mitteilung von Frau Zikoll, Schulamt der Stadt Köln). Um Einflüsse bei der Entwicklung der Schülerzahlen ausschließen zu können, wurden auch hier die relativen Zahlen berechnet. Leider liegen uns nur die Schuldaten bis 1998 vor. Auch das Muster der prozentualen Verteilung der Bußgeldbescheide über alle unte r-suchten Schulformen deckt sich mit den bereits dargestellten Beobachtungen: Bis etwa 1995 findet ein Anstieg statt, danach ist wieder ein negativer Trend zu beobach-ten, der für den Beobachtungsraum allerdings auf höherem Niveau endet als zu Be-ginn (0,18% vs. 0,24%).

1992 1994 1996 1998 2000

010

020

030

040

050

0

Verteilung der Bußgeldbescheide nach Schu lformen (absolut)

Jahr

Anz

ahl

Alle SchulenHauptschuleGrundschuleSonderschule

1992 1994 1996 1998 2000

0.0

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5

3.0

Verteilung der Bußgeldbescheide nach Schu lformen (Prozent)

Jahr

Pro

zent

Alle SchulenGrundschuleHauptschuleSonderschule

Abbildung 2: Verteilung der Bußgeldbesch eide in Köln (Quell e: Schulamt Köln) Deutlich unterscheiden sich die einzelnen Schulformen voneinander. So ändert sich, verglichen mit den absoluten Zahlen, teilweise die Rangfolge der Schulformen. Pro-zentual gesehen werden an den Hauptschulen die meisten Schulpflichtverletzungen registriert. Werden an den Sonderschulen in absoluten Zahlen die wenigsten Buß-geldbescheide versandt, so liegen sie im relativen Vergleich direkt h inter den Haupt-schulen. An den Grundschulen kommt es zu den wenigsten Schulpflichtverletzungen. Das Verteilungsmuster der Prozentzahlen unterscheidet sich nicht wesentlich von der bereits skizzierten Entwicklung. Von Beginn des Beobachtungszeitraums 1992 bis 1996 kommt es in allen Fällen zu einem Anstieg der registrierten Schulpflichtve r-letzungen. Anschließend, so weit es die vorliegenden Zahlen erkennen lassen, setzt deutlich ein negativer Trend ein. Es lässt sich festhalten, dass mit Blick auf den Beginn und das Ende des gesamten Beobachtungszeitraums keine gravierende Erhöhung der Schulpflichtverletzungen festzustellen ist. Ungewöhnlich ist allerdings die Entwicklung innerhalb des Beobach-tungszeitraums. Selbst bei Ausschluss der hohen Werte für 1995, die auf eine Ände-

Page 38: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

38

rung der Meldeformulare zurückzuführen sind, lässt sich dennoch ein deutlicher Au f-wärtstrend beobachten. Eine Erklärung für diesen Verlauf liegt bislang noch nicht vor.

4.4 Internationaler Vergleich Gegenwärtig sind in der wissenschaftlichen Literatur nur wenige Studien bekannt, die sich auf internationaler Ebene mit dem Phänomen ‚Schulverweigerung‘ bzw. ‚Schul-abstinenz‘ auseinandersetzen. Eine diesbezügliche Ausnahme ist die 1997 veröffent-lichte Publikation des ‚International Association for the Evaluation of Educational A-chievement’ (IEA), die in ihrer Studie TIMSS (Third International Mathematics and Science Study) 130.565 Schüler/innen der 4., 8. und 12. Jahrgangsstufe aus 41 Na-tionen hinsichtlich der Schulabstinenz miteinander vergleicht.

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9

KoreaHonk Kong

JapanSingapore

CyprusIceland

IranNetherlands

NorwaySpain

ThailandAustria

DenmarkFrance

GermanyGreece

HungaryLithuaniaRomaniaSloveniaSwedenCanada

ColombiaIsrael

PortugalRussiaU.S.A

BelgiumEngland

LatviaSlovak Republic

AustraliaIreland

New ZealandCzech Republic

Scotland

Nat

ion

Percent

Abbildung 3: Anteil fehlender Schülerinnen un d Schülern an einem typischen Schultag (Quelle: TIMSS Studie 1994/95)

Abbildung 3 gibt die Schwänzrate der Schüler/innen der 8. Klasse aus jeweils 36 Na-tionen wieder, die an dieser Befragung teilgenommen haben. Die höchste Abwesen-heitsrate findet sich mit jeweils 8% in Schottland und in der Tschechischen Republik, gefolgt von Neuseeland, Irland und Australien (7%). Auffällig sind die Werte in den

Page 39: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

39

asiatischen Ländern (Singapur, Japan, Honk Kong und Korea), die mit jeweils nur 2% bzw. 1% den niedrigsten Prozentsatz aufweisen4. Eine mögliche Ursache dieses sehr geringen Ausmaßes der Abwesenheit könnte in der stärkeren Kontrollorientie-rung der asiatischen Gesellschaftsstruktur liegen, die mittels institutionalisierter Sanktionsmechanismen (z.B. Schulbehörde, strenge Kontrolle durch die Familie und Peers) deviantes Verhalten von Jugendlichen intensiver reguliert (Foljanty-Jost 2001), als dies im westeuropäischen oder amerikanischen Kulturraum der Fall ist (Trommsdorf 1989). Mit 4 Prozent entspricht die Abwesenheitsrate der Bundesrepu-blik Deutschland, zusammen mit 9 anderen Nationen, dem internationalen Mittelwert. Der internationale Stand der Forschung ist sehr heterogen. Im Vergleich zu den Ver-einigten Staaten sind im europäischen Raum nur wenige Studien vorzufinden, die sich mit dem Thema „Schulabstinenz“ auseinandersetzen. Für die europäischen Na-tionen liegen primär Untersuchungen aus Großbritannien und Irland vor (zum Über-blick deutscher Studien vgl. Kapitel 4). Reid (1982), dessen Datenbasis auf Informationen von drei städtischen Schulen in der Region Wales basiert, untersuchte, inwieweit sozioökonomische Faktoren der Herkunftsfamilie und das subjektive Selbstwertgefühl der Schüler Einfluss auf die dauerhafte Abwesenheit vom Schulunterricht nehmen. Unter dem Terminus ‚dauer-hafte Abwesenheit‘ fasst er Schüler zusammen, die eine Abwesenheitsrate von 65% (124 Tage) während eines Schuljahres aufwiesen, als Kontrollgruppe wurden Schü-ler herangezogen, die 100% (191 Tage) des Unterrichts innerhalb eines Schuljahres anwesend waren. Ergebnis seiner Analyse war, dass ein negativer Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau des Vaters, der beruflichen Tätigkeit der Mutter und einer instabilen Familienstruktur besteht. Ebenfalls zeigte sich, dass an Schulen, die den Schülern kostenlose Mahlzeiten zur Verfügung stellten, die Abwesenheitsrate geringer war als an Schulen, die diese Leistung nicht erbrachten (Reid 1982). Hin-sichtlich des subjektiv beurteilten Selbstwertgefühls kam er zu dem Schluss: Je häu-figer ein Schüler die Schule nicht besuchte, desto geringer war sein Selbstwertgefühl und desto geringer war auch das Selbstvertrauen in seine akad emische Kompetenz. Geschlechtsdifferenzen konnten in dieser Studie nicht identifiziert werden. Dustmann, Raja und Smith (1997), die Daten der ‚National Child Development Study‘ heranzogen (n=3738) und den Fokus der Analyse auf den Einfluss beruflicher Ne-bentätigkeiten von Schülern auf die Schulabwesenheit richteten, kamen zu ähnlichen Resultaten. Sie konnten einen negativen Zusammenhang zwischen der Bildung der Eltern, der Arbeitslosigkeit des Vaters und einer zeitintensiven beruflichen Nebentä-tigkeit der Schüler in Bezug auf das Ausmaß der Schulabwesenheit feststellen. Zu-dem wurde der Einfluss der Geschwisterkonstellation überprüft. Festgehalten werden kann, dass die Anwesenheit eines älteren Bruders bei männlichen Schülern einen negativen Einfluss auf den Schulbesuch hatte; bei Mädchen war eine erhöhte Schwänzrate gegeben, wenn sie jüngere Geschwister (sowohl weiblichen als auch männlichen Geschlechts) hatten. Mittels des EDSAS - eine Software, die die Fehlstunden und -tage von Schü-lern/innen dokumentiert – untersuchte Rothman (1999) für die Jahre 1997 und 1999

4 Entgegen der hier angegebenen Werte, veröffentlichte das japanische Bildungs ministerium eine Studie (1998), in der die Abwesenheitsrate der Schüler (Schüler der Grundschule und Mittelstufe, die länger als 30 Tage dem Unterricht unentschuldigt fernblieben) mit 20% angegeben wurde.

Page 40: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

40

die Abwesenheit von Schülern in Süd-Australien. Die Stichprobe umfasste für das Jahr 1997 68.824 Grundschulschüler (primary school) und 36.737 Schüler der Se-kundarschule (secondary school); für das Jahr 1999 betrug die Anzahl der Schüler, die eine Grundschule besuchten 86.117; 46.967 Jugendliche waren auf der Sekun-darschule. Resultat dieser Studie war, dass Schüler der Grundschule, die in ländli-chen Regionen wohnen, für die Jahre 1997 und 1999 eine stärkere Abwesenheit aufwiesen als solche, die in urbanen Gebieten ansässig waren. Für die Schüler der secondary school ist ein (geringfügig) entgegengesetztes Stadt-Land Verhältnis aus-zumachen. Im Jahr 1997 betrug die Abwesenheitsrate der in ländlichen Regionen wohnenden Schüler 9,6% und der in städtischen Gebieten Ansässigen 9,8%. Dieses Verhältnis zwischen den beiden geographischen Gruppen gilt auch für das Jahr 1999. Zudem zeigte sich, dass Schüler australischer Herkunft mit 60% am häufigsten dem Unterricht fernblieben. Analog zu den Ergebnissen der Studien Reids und Dustmanns, Rajas und Smiths’ konnte nachgewiesen werden, dass Kinder, deren Herkunftsfamilie einen niedrigen sozioökonomischen Status innehatte, häufiger die Schule schwänzten als Kinder, deren Eltern einen mittleren oder hohen sozioökono-mischen Status einnahmen. Signifikante Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Schülern konnten nicht festgestellt werden. Aus dem amerikanischen Raum ist die 1998 veröffentliche Studie ‚Truancy Case Study 1996-1997‘ des Washington State Institute for Public Policy (Burley/Harding 1998) zu erwähnen, in der die Ursachen der Abwesenheit in drei Kategorien unterteilt wurden: persönliche, familiale und schulische Faktoren. Anhand einer Umfrage, die in 10 Schuldistrikten des Staates Washington (n = 21.228) durchgeführt wurde, ka-men die Autoren zu folgendem Resultat: ca. 10% aller Schüler bleiben der Schule regelmäßig fern. Als abstinent wurden in dieser Untersuchung Schüler definiert, die 5 oder mehr Tage innerhalb eines Monats bzw. 10 Tage innerhalb eines Schuljahres dem Unterricht unentschuldigt fernblieben. Faktoren, die eine Abwesenheit begüns-tigt waren: 1. Persönliche Eigenschaften: Schüler, die ein geringes Selbstvertrauen in ihre

schulischen Leistungen hatten, eine niedrige Sozialkompetenz aufwiesen, die zu einer ethnischen Minderheit gehörten, von gesundheitlichen Problemen be-troffen waren und Identifikationsprobleme mit der ‚Schulkultur’ zeigten, gehör-ten zur ‚Risikogruppe’ der Schulabstinenzler.

2. Familialer Hintergrund: Alkoholismus der Eltern oder eines Elternteils, Miss-handlungen innerhalb der Familie, intensive Betreuung anwesender Ge-schwister und ein geringes Interesse der Eltern an dem schulischen Werde-gang der Kinder zeigten eine positive Korrelation mit dem Ausmaß der Abwe-senheit.

3. Schulische Faktoren: Die schulischen Ordnungsregeln, die Gestaltung des Stundenplans und die Kompetenzen der Lehrer waren relevante Faktoren, die das gesamte Schulklima bestimmten und einen Einfluss auf die Abwesenheits-rate der Schüler nahmen.

Ebenfalls zeigt sich, dass eine enge, positive Beziehung zwischen der Schulabwe-senheit und deviantem Verhalten (z.B. Ladendiebstahl, Sachbeschädigung) sowie dem Auszug aus dem Elternhaus vor dem 18. Lebensjahr besteht.

Page 41: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

41

5 Projektorganisation und Koop erationen Entscheidend für den Verlauf eines Projektes ist seine personelle Organisation. Letz-tere ist schwierig, da nur sehr qualifizierte Sozialwissenschaftler für eine Forschungs-tätigkeit, die relativ rasch zu Ergebnissen führen muss, in Frage kommen. Im vorlie-genden Fall wurde die Projektorganisation im Juli 2002 abgeschlossen. Für die Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters konnte mit Projektbeginn Bernd Weiß gewon-nen werden. Als studentische Hilfskräfte waren Nina Heyden und Imke Dunkake (je 16 Stunden/Woche) in dem Projekt tätig. Ab Juli 2002 hat Frau Dunkake die zweite Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin eingenommen. Die bisherigen Drittmittel-kosten setzen sich ausschließlich aus den Personalkosten der ersten sechs Monate zusammen. Die weiteren Arbeitsschritte richten sich auf die Publikation eines Aufsatzes in einer Fachzeitschrift, die bis Ende 2002 erfolgen soll. Für das Jahr 2003 sind weitere Pub-likationen geplant, insbesondere eine Monographie, in der die Ergebnisse des For-schungsprojektes zusammenfassend dokumentiert werden sollen. Es bleibt zu erwähnen, dass sich das Projekt um Kontakte zu Schulen und Schul-verwaltung bemüht. So finden immer wieder Gespräche und Diskussionen mit dem Schulpsychologischen Dienst in Köln statt. Ferner kam es zu einem Besuch beim Arbeitskreis ‚Schulverweigerung’ der Friedensschule in Lüdenscheid.

Page 42: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

42

6 Literatur Becker, H.S., 1973: Außenseiter. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens. Frank-furt: Fischer. Behnken, Imbke, Cordula Günther, Otmar Kabat vel Job, Ute Karig, Sarina Keiser, Heinz-Hermann Krüger, Bernd Lindner, Hans-J. von Wensierski und Jürgen Zinn-ecker, 1991: Schülerstudie '90. Jugendliche im Prozeß der Vereinigung. Eine Doku-mentation. Siegen: Universität-Gesamthochschule Siegen. BMI (Bundesministerium des Inneren und Bundesministerium der Justiz) (Hg.), 2001: Erster Periodischer Sicherheitsbericht. Berlin. http://www.bmi.bund.de Bowlby, J, 1981: Bindung, Trennung. München: Piper. Burley, M. und E. Harding (Washington State Institute for Public Policy), 1998: Truant Students. Evaluating the Impact of the "Becca Bill". Truancy Petition Requirements, Document No. 98-01-2201. http://www.wa.gov/wsipp/education/K12WA.html (20.07.2002) Coleman, James S., 1988: Social Capital in the Creation of Human Capital, American Journal of Sociology 94: 95-120. Dietrich, I., A. Meyer und D. Rössner, 1999: Der Kampf um den Limes der Gesell-schaft – eine Kritik der Kontrolltheorie und des Desintegrationsansatzes. http://www.home.t-online.de/home/idiedrich/PDF/Hohiheha.pdf (19.07.2002) Döpfner, Manfred, Julia Plück, Walter Berner, Ekkehart Englert, Jörg Michael Fegert, Michael Huss, Klaus Lenz, Klaus Schmeck, Gerd Lehmkuhl, Ulrike Lehmkuhl und Fritz Poustka, 1998: Psychische Auffälligkeiten und psychosoziale Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen in den neuen und alten Bundesländern - Ergebnisse einer bundesweit repräsentativen Studie, Zeitschrift für Klinische Psychologie 27: 9–19. Dustmann, C., N. Rajah und S. Smith, 1997: Teenage truancy, part-time working and wages, Journal of Population Economics 10: 425-442. Foljanty-Jost, G., 2001: Schule, Schüler und Gewalt - Beiträge zu Deutschland, Ja-pan, China und der Mongolei. München: Iucidium. Gabb, Sean, 1994: Truancy. Its measurement and causation. A brief review of the literature. http://freespace.virgin.net/old.whig/truancy.htm (19.07.2002) Galloway, D.,1985: Schools and Persistent Absentees. Oxford: Pergamon Press. Harych, Peter und Detlef Landua, 2002: Methodische Bemerkungen. S. 9–16 in: Dietmar Sturzbecher (Hg.): Jugendtrends in Ostdeutschland: Bildung, Freizeit, Poli-tik, Risiken. Längsschnittanalysen zur Lebenssituation und Delinquenz 1999–2001. Opladen: Leske + Budrich.

Page 43: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

43

Informationen zur politischen Bildung, 1999, Kriminalität und Strafrecht (Nr. 248). München: Franzis print & media. Kearney, C.A.,1993: Depression and school refusal behavior: A review with com-ments on classification and treatment, Journal of School Psychology 31: 267-279. Kuhnekath, K.D., 1989: Soziologische Aspekte der Verhaltensstörung. S. 967-1006 in: H. Goetze und H. Neukäter (Hg.): Handbuch der Sonderpädagogik, Bd. 6, Päda-gogik bei Verhaltensstörungen. Berlin: Marhold. Lamnek, Siegfried, 1996: Theorien abweichenden Verhaltens. München: Fink Verlag. Landtag Brandenburg, 1996: Bericht der Landesregierung zur Problematik der "Schulmüdigkeit", der Schulverweigerung und des vorzeitigen Schulabgangs. Bran-denburg, Landtag Brandenburg. Lee, M. und R.G. Miltenberg, 1996: School refusal behavior: Classification, Assess-ment, and Treatment Issues, Education and Treatment of Children 19: 474-486. McNeal und B. Ralph, 1999: Parental Involvement as Social Capital: Differential Ef-fectiveness on Science Achievement, Truancy, and Dropping Out, Social Forces 78: 117-144. Merton, Robert K., 1968: Sozialstruktur und Anomie, S. 283-314 in: Fritz Sack & Re-né König (Hg.): Kriminalsoziologie. Frankfurt a. M.: Akademische Verlagsgesell-schaft. Oberwittler, Dietrich, Tom Blank, Tilman Köllisch und Thomas Naplava, 2001: Sozia-le Lebenslagen und Delinquenz von Jugendlichen. Ergebnisse der MPI-Schulbefragung 1999 in Freiburg und Köln. Arbeitsbericht 1/2001 aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Freiburg im Breis-gau: edition iuscrim. Opp, K.D., 1974: Abweichendes Verhalten und Gesellschaftsstruktur. Darmstadt: Neuwied. Reid, K., 1982: The self-concept and persistent school absenteeism, British Journal of Educational Psychology 52: 179-187. Reid, K., 1999: Truancy in Schools. London: Routledge. Rothman, S., 2001: School absence and student background factors: A multilevel analysis, International Educational Journal 2: 59-68. Saß, H., H.U. Wittich und M. Zaudig, 1996: Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen: DSM-IV. Göttingen: Hofgrefe Verlag. Schreiber-Kittl, M. und H. Schröpfer, 2001: Schulverweigerern Zugänge zu systema-tischem Lernen eröffnen. Das Handlungsfeld Integration in Schule und Berufsschule.

Page 44: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

44

http://www.news.jugendsozialarbeit.de/archiv12001.htm (20.07.2002) Sturzbecher, Dietmar und Peter Dietrich, 1993: Schulverweigerung von Jugendlichen in Brandenburg. Potsdam: Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugend-forschung e.V. an der Univ. Potsdam. Forschungsbericht. Sturzbecher, Dietmar und Peter Dietrich, 1994: Zu den Ursachen schulverweigeri-schen Verhaltens bei 12- bis 18jährigen Schülern. Ausgewählte Ergebnisse einer Studie an brandenburgischen Schulen 1993, Neue Praxis der Schulleitung F 12.3: 1-17. Sturzbecher, Dietmar und Winfried Langner, 1997: „Gut gerüstet in die Zukunft?“ – Wertorientierungen, Zukunftserwartungen und soziale Netze brandenburgischer Ju-gendlicher. S. 11–81 in: Dietmar Sturzbecher (Hg.): Jugend und Gewalt in Ost-deutschland. Lebenserfahrungen in Schule, Freizeit und Familie. Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie. Tilmann, Klaus-Jürgen, 1997: Sozialisationstheorien: Eine Einführung in den Zu-sammenhang von Gesellschaft, Institutionen und Subjektwerdung. Reinbek bei Ham-burg: Rowohlt Verlag. Tillmann, Klaus-Jürgen, Birgit Holler-Nowitzki, Heinz-Günter Holtappels, Ulrich Meier und Ulrike Popp, 1999: Schülergewalt als Schulproblem. Verursachende Bedingun-gen, Erscheinungsformen und pädagogische Handlungsperspektiven. S. Weinheim und München: Juventa Verlag. TIMSS International Study Center, Boston College, 1994/1995: TIMSS (Third International Mathematics and Science Study). http://timss.bc.edu/timss1995i/TIMSSPDF/SRChap6.pdf (22.07.2002) Trommsdorff, Gisela, 1989: Sozialisation im Kulturvergleich. Stuttgart: Enke. Van Pategem, Peter, 1994: Truancy as a social, educational and psychological Prob-lem: Causes and Solutions, Scientia Paedagogica Experimentalis XXXI (2): 271-286. Wagner, M, 2002: Die Verbreitung des Schulschwänzens in Köln und im Regional-vergleich, SchulVerwaltung, Ausgabe NRW. (im Erscheinen) Walter, M., 2001: Jugendkriminalität. Eine systematische Darstellung. Stuttgart: Richard Booreberg Verlag. Wetzels, Peter, Nicola Wilmers, Eberhard Mecklenburg, Dirk Enzmann und Christian Pfeiffer, 2000a: Gewalterfahrungen und Delinquenz Jugendlicher in Delmenhorst. Eine Totalerhebung bei Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Jahrgangsstufe und des Berufsvorbereitungsjahres. Hannover: unveröffentlichter Forschungsbericht. Wetzels, Peter, Eberhard Mecklenburg, Nicola Wilmers, Dirk Enzmann und Christian Pfeiffer, 2000b: Gewalterfahrungen, Schulschwänzen und delinquentes Verhalten Jugendlicher in Rostock. Abschlussbericht über die Ergebnisse einer repräsentativen

Page 45: Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln2.2.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriel-len Arbeitsteilung

45

Befragung von Schülerinnen und Schülern der 9. Jahrgangsstufe. Hannover: Krimi-nologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. (KFN). Williams, Linda L., 2000: Student Absenteeism and Truancy: Technologies and Inter-ventions to Reduce and Prevent Chronic Problems Among School-Age Children. http://www.chiron.valdosta.edu/are/Litreviews/ vol1no1/williams_litr.pdf (20.07.2002) Wilmers, Nicola, 2000: Schulschwänzen und Jugenddelinquenz. Eine repräsentative Schüler- und Lehrerbefragung in Delmenhorst. Diplomarbeit im Studiengang Psycho-logie. Universität Bremen. Wilmers, Nicola, Tanja Lange, Karin Herbers und Peter Wetzels, 2001a: Jugendge-walt im Landkreis Friesland. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Schü-lerinnen und Schülern im Landkreis Friesland zu Jugendgewalt und der Einschät-zung bestehender Angebote im Bereich der Jugendhilfe. Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. (KFN). Wilmers, Nicola, Dirk Enzmann, Dagmar Schaefers, Karin Herbers, Werner Greve und Peter Wetzels, 2001b: Jugendliche in Deutschland zur Jahrtausendwende: Ge-fährlich oder gefährdet? Ergebnisse der KFN-Schülerbefragung 2000. Kriminologi-sches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN). Hannover. (Nomos Verlag, in Vorb.) Zinnecker, Jürgen, Imbke Behnken, Sabine Maschke und Ludwig Stecher, 2002: null zoff & voll busy. Die erste Jugendgeneration des neuen Jahrhunderts. Ein Selbstbild. Opladen: Leske + Budrich.