Verhaltenstörung bei Demenzkranken

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Verhaltensstörung bei Demenzkranken 11 Juli, 2004 - 23:00 OA Dr. Gert Bürger, Klinik für Psychische Gesundheit im A.ö. Krankenhaus St. Josef Braunau GmbH, Ringstraße 60, A-5280 Braunau 1 Bereiche: Reports & News Unter Verhaltensstörung bei Demenz versteht man Folgendes: • depressive Störungen 40–50% • Umherwandern • Aggressivität und motorische Unruhe • Halluzinationen 30% • Wahnerleben 35% • Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus • allgemeine Persönlichkeitsveränderungen 90% der Demenzerkrankten entwickeln Verhaltensstörungen innerhalb eines Jahres. Diese stellen den wesentlichen Grund für die Institutionalisierung der Patienten dar. Diese Patienten bereiten jedoch auch in Altenheimen Probleme, da sie weiterhin schreien und die bestehende Ordnung stören. Umgang mit Demenzkranken Nur 20% der Patienten profitieren von einer medikamentösen Therapie. Zuerst sollten „nichtmedikamentöse Behandlungsverfahren“ ausgereizt und milieutherapeutische Maßnahmen versucht werden. Die räumlichen, zeitlichen und interpersonellen Umgebungsfaktoren sind an den Bedürfnissen der Demenzkranken zu orientieren. Die ideale Umgebung für Demenzkranke ist stressvermeidend, klar strukturiert und beinhaltet ein hohes Maß an Konstanz und hat eine familiäre Atmosphäre. Das heißt, die Grundlage der Behandlung ist Empathie und menschliche Wärme. Um dahin zu gelangen, muss man sich seiner eigenen Beziehung gegenüber alten Leuten klar werden – ein Prozess, der durchaus schmerzhaft sein kann.

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90% der Demenzerkrankten entwickeln Verhaltensstörungen innerhalb eines Jahres. Diese stellen den wesentlichen Grund für die Institutionalisierung der Patienten dar. Diese Patienten bereiten jedoch auch in Altenheimen Probleme, da sie weiterhin schreien und die bestehende Ordnung stören.

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Verhaltensstörung bei Demenzkranken 11 Juli, 2004 - 23:00 OA Dr. Gert Bürger, Klinik für Psychische Gesundheit im A.ö.

Krankenhaus St. Josef Braunau GmbH, Ringstraße 60, A-5280 Braunau1 Bereiche: Reports & News

Unter Verhaltensstörung bei Demenz versteht man Folgendes:

• depressive Störungen 40–50%

• Umherwandern

• Aggressivität und motorische Unruhe

• Halluzinationen 30%

• Wahnerleben 35%

• Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus

• allgemeine Persönlichkeitsveränderungen

90% der Demenzerkrankten entwickeln Verhaltensstörungen innerhalb eines Jahres. Diese stellen den wesentlichen Grund für die Institutionalisierung der Patienten dar. Diese Patienten bereiten jedoch auch in Altenheimen Probleme, da sie weiterhin schreien und die bestehende Ordnung stören.

Umgang mit DemenzkrankenNur 20% der Patienten profitieren von einer medikamentösen Therapie. Zuerst sollten „nichtmedikamentöse Behandlungsverfahren“ ausgereizt und milieutherapeutische Maßnahmen versucht werden. Die räumlichen, zeitlichen und interpersonellen Umgebungsfaktoren sind an den Bedürfnissen der Demenzkranken zu orientieren. Die ideale Umgebung für Demenzkranke ist stressvermeidend, klar strukturiert und beinhaltet ein hohes Maß an Konstanz und hat eine familiäre Atmosphäre. Das heißt, die Grundlage der Behandlung ist Empathie und menschliche Wärme. Um dahin zu gelangen, muss man sich seiner eigenen Beziehung gegenüber alten Leuten klar werden – ein Prozess, der durchaus schmerzhaft sein kann.

Man sollte die Welt aus der Sicht des Dementen sehen, d.h., der Patient ist in seiner veränderten Wahrnehmung auf keinen Fall zu korrigieren. Die Demenz ist als solche zu akzeptieren.

Das Problem ist, dass die meisten Altenheime schon architektonisch nicht altengerecht gestaltet sind. Idealerweise ist der Stationsflur ein Rundlauf. Es sollte eine gemütliche Sitzecke geben und die Lichtquellen so angebracht sein, dass der Demente sich nachts dorthin begeben und Platz nehmen kann. Er wird nie in die Dunkelheit laufen, davor hat er Angst. Die Krankenschwester soll da sein, freundlich mit dem Patienten Kontakt aufnehmen, eventuell auch Körperkontakt, wenn der Patient das möchte, ihn aber nicht festhalten. Psychoedukation des Pflegepersonals und der Angehörigen fördern das Verständnis für den Demenzkranken und erhöhen die Bewältigungskompetenz. Man muss das Pflegepersonal für einen empathischen Umgang mit dem Heimbewohner gewinnen.

In Holland ist man bereits vor Jahren andere Wege gegangen. Mit dem Pflegeheim De Bleerinck in Emmen hat man dort eine Dorfgemeinschaft gegründet, in der Demente miteinander leben. Es gibt kein elektronisches Überwachungssystem, alle Türen sind offen, niemand wird mit Medikamenten ruhig gestellt.

Die Eigenständigkeit der Menschen wird möglichst lange erhalten. Auch die Möglichkeit mit therapeutischen Wohngemeinschaften ist noch lange nicht ausgeschöpft, man sollte auch andere Organisationsformen als Altenheime entwickeln. Plant man diese, sollten bereits beim Bau Fachleute hinzugezogen werden – es gibt auch Gartenbau-Architekten, die sich mit der Gestaltung von Gärten für Demente beschäftigen.

Medikamente verabreichenHierzu zunächst einige kleine, absolut unwissenschaftliche Provokationen:

1. Richtlinien für psychotrope und sedative Medikamente allgemein:

• Der Patient hat das Recht, frei von Medikamenten zu sein, die aus disziplinarischen Gründen oder praktischen Erwägungen verabreicht werden.

• Neuroleptika im Allgemeinen sind nur für Psychosen oder psychotische Symptome zu verwenden. Bei Demenzen dürfen sie gegeben werden, wenn Fremd- oder Selbstgefährdung besteht.

• Benzodiazepine dürfen nur vorübergehend verabreicht werden, Barbiturate sind kontraindiziert.

2. Neuroleptika sind die meistverordneten Medikamente bei Demenzen. Sie werden am höchsten dosiert, wenn sie nicht wirken (Wilhelm-Gößling 1998). Sie helfen gut bei Wahnsymptomen, Halluzinationen, bedingt bei Aggressivität und Unruhe, ansonsten sind sie unwirksam.

Alle kognitiv beeinträchtigten Menschen weisen eine Alzheimerpathologie und damit einen Acetylcholinmangel auf. Cholinesterasehemmer wie Exelon, Aricept und Reminyl führen aber nicht nur zu einer Verbesserung der Hirnleistung. Sie haben auch einen positiven Effekt auf nicht kognitive Symptome wie Unruhe, Aggression, Depression, Apathie und Halluzinationen (Cummings 2000). Selektiv serotonerge Antidepressiva sind wirksam gegen Unruhe und Aggression, insbesondere auch bei Frontotemporaler Degeneration (Kurz 1998).

Typische Neuroleptika verschlechtern die kognitiven Fähigkeiten, indem sie den Acetylcholinmangel verschlimmern. Außerdem führen sie häufig über EPMS zu Stürzen und Oberschenkelhalsbrüchen und damit zur Immobilisation des Patienten. Deshalb sollten nach Möglichkeit atypische Neuroleptika eingesetzt werden (Haupt 2000). Hierbei

ist in erster Linie Risperdal zu erwähnen. Olanzapin hat durchaus auch eine anticholinerge Begleitwirkung, des Weiteren kann es zu einer diabetogenen Stoffwechsellage führen. Nach neueren Erkenntnissen, sollte es aufgrund seiner kardialen Nebenwirkungen bei Dementen nicht mehr gegeben werden. Quetiapin gewinnt zunehmend an Bedeutung, außerdem führt es zu einer Sedierung, was durchaus erwünscht sein kann.

Untersuchungen haben gezeigt, dass die Höhe der verabreichten Neuroleptikadosis unmittelbar mit der Krankenhausgröße bzw. der Heimgröße korreliert (Wilhelm-Gößling 1998). Ein durchaus interessanter Gedanke, man sollte dies auch einmal in Bezug auf Krankenhäuser untersuchen.

Antiepileptika wie Carbamazepin in einer Dosis von 200 bis 800mg und Valproinsäure von 300 bis 600mg sind eine Alternative in der Indikation psychomotorische Unruhe gegenüber Neuroleptika (M.R.Lemke 1995).

Das Benzamid Tiaprid wird gelegentlich bei der Behandlung von Angst und Unruhe in einer Dosis von 100 bis 300mg eingesetzt, es gibt jedoch kein überzeugendes Datenmaterial hierzu. Der Autor selbsthat keine Besserung gesehen.

Zur Behandlung von unruhigen dementen Patienten kann man folgendes Stufenschema erarbeiten:

1. Wahl: Antidementivum

2. Wahl: Atypische Neuroleptika

3. Wahl: Carbamazepin (kann den Spiegel der Komedikation z.B. Theophylin um 50% senken), Valproinsäure

4. Wahl: Benzodiazepine

5. Wahl: Clomethiazol

SSRI und MAO-Hemmer haben sich bei der Behandlung von depressiven Syndromen bewährt. SSRI können aber auch bei Hypersexualität eingesetzt werden. Bei nächtlicher Unruhe und Schlafstörungen hat sich in der eigenen klinischen Erfahrung auch Trazodon z.B. 3x 25mg bewährt.

Natürlich ist auch auf Arzneimittelinteraktionen zu achten, auch mit den Internistika. So sollte man Macumarisierten z.B. wegen des Blutungsrisikos möglichst keine SSRI verabreichen. Außerdem ist auf die veränderte hepatische Elimination und verringerte renale Clearance zu achten. Die Dosen sind entsprechend anzupassen.