Verletzungen und Überlastungsschäden im leistungsorientierten Kanusport

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ORIGINALARBEIT/ORIGINAL PAPER Verletzungen und Uberlastungssch aden im leistungsorientierten Kanusport Gernot Willscheid, Martin Engelhardt, Casper Grim Klinikum Osnabru ¨ck, Klinik fu ¨r Orthopa ¨die und Unfallchirurgie Osnabru ¨ck Eingegangen/submitted: 26.11.2013; akzeptiert/accepted: 14.01.2014 Einfuhrung In Deutschland ist der Kanusport im Deutschen Kanu-Verband (DKV) or- ganisiert. Der DKV besteht aus 18 Landesverba ¨nden mit ca. 117.500 Mitgliedern in rund 1300 ange- schlossenen Vereinen. Damit ist er der gro ¨ßte Kanuverband der Welt [4]. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London konnten durch die deutschen Kanuten insgesamt 14 Medaillen errungen werden. Beim Kanusport handelt es sich offen- sichtlich um eine oberko ¨ rperbetonte Sportart und somit bescha ¨ftigen sich die meisten wissenschaftlichen Arbeiten zu Verletzungen im Kanu- sport mit Schulter-Arm-Beschwer- den. Trotz der enormen Popularita ¨t des Kanu-Freizeit- und -Leistungs- sportes ist die nationale und inter- nationale Datenlage zu sportmedizi- nischen Problemen und zu unter- schiedlichen Beschwerdelokalisatio- nen in dieser Sportart weiterhin sehr du ¨ rftig. Im vorliegenden Artikel wird eine der wenigen Untersuchungen zu Verletzungen und U ¨ berlastungs- scha ¨den im leistungsorientieren Ka- nusport vorgestellt bei der eine Er- hebung der unterschiedlichen Be- schwerdelokalisationen vorgenom- men wird. Im Kanusport unterscheidet man die beiden Kategorien Canadier und Kajak. Der Canadier wird sitzend oder kniend mit einem Paddel (Stechpad- del) gepaddelt, das nur an einer Sei- te ein Blatt hat. Das Kajak wird da- gegen mit einem Doppelblatt-Paddel vorangetrieben, das abwechselnd rechts und links des Bootes in das Wasser getaucht wird. Wettka ¨mpfe werden sowohl auf Seen als auch in stark verblocktem Wildwasser veran- staltet. Entsprechend den unter- schiedlichen Anforderungen gibt es auch unterschiedliche Wettkampf- disziplinen. Im Wildwasserbereich gibt es u.a. die Disziplinen Wild- wasserabfahrtsport und Slalom- sport und im stehenden ruhigen Gewa ¨sser den Rennsport (Flach- bahn). Das Kajak wird im Wildwas- ser von einem einzelnen Athleten gepaddelt, im Flachbahnsport mit einem, zwei oder vier Sportlern. Der Canadier wiederum wird im Wild- wasser und im Rennsport allein oder zu zweit navigiert. Im Folgen- den wird speziell auf den symmet- risch betriebenen Kanusport (Ka- jak) eingegangen. Material und Methoden In einer retrospektiven Fragebogen- Analyse wurden 360 Kanusportler in den drei Kraftausdauerdisziplinen Rennsport, Slalom und Abfahrt bezu ¨glich ihrer sportartbedingten Zusammenfassung Hintergrund: In der allgemeinzugangli- chen Literatur findet man nur sparliche Angaben zu Verletzungen im Kanusport. Diese behandeln zudem meist nur die Schulter-Arm-Beschwerden. Anhand die- ses Artikels werden die haufigsten Ver- letzungen und Uberlastungsschaden im leistungsorientierten Kanusport erfasst und herausgearbeitet. Material und Methoden: Hierzu wur- den in einer retrospektiven Fragebogen- Analyse 360 Kanusportler bezuglich ihrer sportartbedingten Beschwerden und Ver- letzungen innerhalb der letzten vier Jahre befragt. Ergebnisse: In die Auswertung konnten schließlich 104 leistungsorientierte Kajak- fahrer eingeschlossen werden. Dabei er- folgte die Zuordnung der Verletzungen und Uberlastungsschaden nach den je- weils angegebenen Korperregionen. Beschwerden im Bereich des Schulterge- lenks wurden mit einer Haufigkeit von 26% berichtet. Schmerzen in der LWS und dem Kniegelenk beklagten 33% bzw. 27% der Athleten. Dysasthesien im Bein (32%) und Beschwerden im Handgelenk (29%) kamen jeweils bei etwa einem Drittel der Befragten vor. Schlussfolgerung: In der vorliegenden Arbeit konnte gezeigt werden, dass im offensichtlich oberkorperbetonten Kanu- sport Dysasthesien der Beine und Be- schwerden im Bereich LWS, Kniegelenk und Handgelenk in nahezu gleichem Maße von den Athleten beklagt werden wie die zu erwartenden Schulterbeschwerden. Evidenzebene: III Schlusselworter Kanu – Kajak – Leistungssport – Verletzungen – Uberlastung G. Willscheid et al. Injuries and overuse injuries in high performance canoe athletes Abstract Background: Injuries in canoeing has been described only a little in general- accessible literature. They are focused on shoulder and arm injuries. In this article the most frequent injuries in competitive canoeing are worked out. Orthopadie Traumatologie Sport Orthop. Traumatol. 30, 37–40 (2014) Elsevier – Urban&Fischer www.elsevier.de/SportOrthoTrauma http://dx.doi.org/10.1016/j.orthtr.2014.01.004 G. Willscheid et al. Verletzungen und Uberlastungsschaden im leistungsorientierten Kanusport 37 ORIGINALARBEIT/ORIGINAL PAPER

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Zusammenfassung

Hintergrund: In der allgemeinzug€angli-chen Literatur findet man nur sp€arlicheAngaben zu Verletzungen im Kanusport.Diese behandeln zudem meist nur dieSchulter-Arm-Beschwerden. Anhand die-ses Artikels werden die h€aufigsten Ver-letzungen und €Uberlastungssch€aden imleistungsorientierten Kanusport erfasstund herausgearbeitet.Material und Methoden: Hierzu wur-den in einer retrospektiven Fragebogen-Analyse 360 Kanusportler bez€uglich ihrersportartbedingten Beschwerden und Ver-letzungen innerhalb der letzten vier Jahrebefragt.Ergebnisse: In die Auswertung konntenschließlich 104 leistungsorientierte Kajak-fahrer eingeschlossen werden. Dabei er-folgte die Zuordnung der Verletzungenund €Uberlastungssch€aden nach den je-weils angegebenen K€orperregionen.Beschwerden im Bereich des Schulterge-lenks wurden mit einer H€aufigkeit von26% berichtet. Schmerzen in der LWS unddem Kniegelenk beklagten 33% bzw. 27%der Athleten. Dys€asthesien im Bein (32%)und Beschwerden im Handgelenk (29%)kamen jeweils bei etwa einem Drittel derBefragten vor.Schlussfolgerung: In der vorliegendenArbeit konnte gezeigt werden, dass imoffensichtlich oberk€orperbetonten Kanu-sport Dys€asthesien der Beine und Be-schwerden im Bereich LWS, Kniegelenkund Handgelenk in nahezu gleichemMaßevon den Athleten beklagt werden wie diezu erwartenden Schulterbeschwerden.Evidenzebene: III

Schl€usselw€orterKanu– Kajak– Leistungssport– Verletzungen–€Uberlastung

G. Willscheid et al.

Injuries and overuse injuriesin high performance canoeathletes

Abstract

Background: Injuries in canoeing hasbeen described only a little in general-accessible literature. They are focusedon shoulder and arm injuries. In this articlethe most frequent injuries in competitivecanoeing are worked out.

Orthop€adieTraumatologie

Sport Orthop. Traumatol. 30, 37–40 (2014)Elsevier – Urban&Fischer

www.elsevier.de/SportOrthoTraumahttp://dx.doi.org/10.1016/j.orthtr.2014.01.004

G. Willscheid et al.

ORIGINALARBEIT/ORIGINAL PAPER

ORIGINALARBEIT/ORIGINAL PAPER

Verletzungen und€Uberlastungssch€aden imleistungsorientierten Kanusport

Gernot Willscheid, Martin Engelhardt, Casper GrimKlinikum Osnabruck, Klinik fur Orthopadie und Unfallchirurgie Osnabruck

Eingegangen/submitted: 26.11.2013; akzeptiert/accepted: 14.01.2014

Einf€uhrung

In Deutschland ist der Kanusport imDeutschen Kanu-Verband (DKV) or-ganisiert. Der DKV besteht aus 18Landesverbanden mit ca. 117.500Mitgliedern in rund 1300 ange-schlossenen Vereinen. Damit ist erder großte Kanuverband der Welt[4]. Bei den Olympischen Spielen2012 in London konnten durch diedeutschen Kanuten insgesamt 14Medaillen errungen werden. BeimKanusport handelt es sich offen-sichtlich um eine oberkorperbetonteSportart und somit beschaftigen sichdie meisten wissenschaftlichenArbeiten zu Verletzungen im Kanu-sport mit Schulter-Arm-Beschwer-den. Trotz der enormen Popularitatdes Kanu-Freizeit- und -Leistungs-sportes ist die nationale und inter-nationale Datenlage zu sportmedizi-nischen Problemen und zu unter-schiedlichen Beschwerdelokalisatio-nen in dieser Sportart weiterhin sehrdurftig. Im vorliegenden Artikel wirdeine der wenigen Untersuchungenzu Verletzungen und Uberlastungs-schaden im leistungsorientieren Ka-nusport vorgestellt bei der eine Er-hebung der unterschiedlichen Be-schwerdelokalisationen vorgenom-men wird.Im Kanusport unterscheidet mandie beiden Kategorien Canadier und

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Kajak. Der Canadier wird sitzend oderkniend mit einem Paddel (Stechpad-del) gepaddelt, das nur an einer Sei-te ein Blatt hat. Das Kajak wird da-gegenmit einem Doppelblatt-Paddelvorangetrieben, das abwechselndrechts und links des Bootes in dasWasser getaucht wird. Wettkampfewerden sowohl auf Seen als auch instark verblocktem Wildwasser veran-staltet. Entsprechend den unter-schiedlichen Anforderungen gibt esauch unterschiedliche Wettkampf-disziplinen. Im Wildwasserbereichgibt es u.a. die Disziplinen Wild-wasserabfahrtsport und Slalom-sport und im stehenden ruhigenGewasser den Rennsport (Flach-bahn). Das Kajak wird im Wildwas-ser von einem einzelnen Athletengepaddelt, im Flachbahnsport miteinem, zwei oder vier Sportlern. DerCanadier wiederum wird im Wild-wasser und im Rennsport alleinoder zu zweit navigiert. Im Folgen-den wird speziell auf den symmet-risch betriebenen Kanusport (Ka-jak) eingegangen.

Material und Methoden

In einer retrospektiven Fragebogen-Analyse wurden 360 Kanusportler inden drei KraftausdauerdisziplinenRennsport, Slalom und Abfahrtbezuglich ihrer sportartbedingten

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Tabelle 1. Gruppenzusammensetzung:.

N=10441 Frauen Alter Ø 18,4 Jahre63 Manner Alter Ø 18,8 JahreTrainingsumfang Ø 14,4 Stunden/

WocheErfahrung in derSportart

Manner Ø 13,7Frauen Ø 7,3 Jahre

Tabelle 3. Prozentualer Anteil der Sport-ler, die Verletzungen im Kanufahren er-litten haben.

Korperteil Symptome Kanu /Kajakn= 104

Schultergelenk Schmerzen 26%LWS Schmerzen 33%Kniegelenk Schmerzen 27%Bein Dysasthesien 32%Handgelenk Schmerzen 29%

Materials and Methods: In a retro-spective questionnaire analysis 360canoeists were asked about their sport-related complaints and injuries within thelast four years.Results: Finally 104 elite-canoeing-ath-letes could be included. The allocation ofthe injuries and overuse symptoms wascarried out by body region. Shoulder prob-lems have been reported with a frequencyof 26%. Pain in the lumbar spine and theknee joint was reported in 33% and 27%of the athletes. Dysesthesia in the legs(32%) and wrist-pain (29%) were alsoreported in about one third of the athletes.Conclusions: The present paper showsthat canoeing as obvious upperbodystressing sports can also lead to com-plaints like dysesthesia of the legs andpain in the lumbar spine, knee and wrist.These complaints occur almost as often asthe expected shoulder complaints.Level of evidence: III

KeywordsCanoe– Kayak– elite athletes– injury– overuse

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Beschwerden und Verletzungen in-nerhalb der letzten vier Jahre be-fragt. Inkludiert wurden alle Kajak-Kaderathleten und leistungsorien-tierte Kajaksportler mit einem Trai-ningsumfang von mindestens 9,5Stunden pro Woche. Nach einemRucklauf von 206 Fragebogen wur-den aus der Analyse die Canadier-fahrer und nicht-leistungsorientier-te Sportler ausgeschlossen, sodassschließlich eine Fragebogen-Aus-wertung von 104 leistungsorientier-ten Kajakfahrern durchgefuhrt wer-den konnte. Die Canadiersportlerwurden aufgrund der einseitigen Be-lastung nicht inkludiert. Die detail-lierte Zusammensetzung der unter-suchten Gruppe ist in Tabelle 1 und 2aufgefuhrt. Die Kategorisierungder Verletzungen und Uberlastungs-schaden erfolgte dabei nach ange-gebener Korperregion. Als Kriteriumfur ,,haufige‘‘ Sportverletzungen,Sportschaden und Uberlastungs-schaden wurde eine Quote von min-destens 25% betroffenen Sportlernfestgelegt.

Tabelle 2. Kaderzugehorigkeit:.

Kader Frauen Manner

A 5% 14%B 5% 11%C 41,5% 30%D 32% 21%.keineKaderzughorigkeit

17% 24%

und €Uberlastungssch€aden im leistungsorientierten Kanusport

Ergebnisse

Von den 104 in der Auswertung be-rucksichtigten leistungsorientiertenKajakfahrern hatten mehr als 25%innerhalb von vier Jahren in folgen-den Korperregionen ein- oder mehr-mals Beschwerden (Tabelle 3):Beschwerden im Bereich des Schul-tergelenks wurden mit einer Haufig-keit von 26% angegeben. Schmerzenin der LWS und dem Kniegelenk be-klagten 33% bzw. 27% der Athleten.Dysasthesien im Bein kamen beiknapp einem Drittel (32%) der Kanu-ten vor. Auch die Beschwerden imHandgelenk schlugen mit etwa ei-nem Drittel (29%) zu Buche.

Diskussion

Bei der vorliegenden Studie handeltes sich um die retrospektive Analyseeiner Fragebogenerhebung uber auf-getretene Beschwerden in den letz-ten vier zuruckliegenden Jahren. DieInformationen konnten in einer sehrhomogenen und selektierten Gruppedes Kanusports mit einer hohen An-zahl an Kader- und Leistungssport-lern erhobenwerden. Die so generier-ten Daten zeigen, dass es bei derKraftausdauersportart Kajakfahrenaufgrund der sportartspezifischenBewegung und Belastung offensicht-lich zu erheblichen Belastungen derSchultergelenke, Lendenwirbelsaule,Kniegelenke und Handgelenke

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kommt; mehr als 25% der befragtenKadersportler im symmetrischen Ka-nusport (Kajak) gaben Beschwerdenin diesen Korperregionen an. In derzuganglichen Literatur werden dieseBeschwerdelokalisationen zwar be-statigt, jedoch werden die Ursachender Beschwerden nur von wenigenAutoren und nur teilweise fur dieseSportart beschrieben. Einschrankendist außerdem zu erwahnen, dass bis-herige Datenerhebungen meist insehr heterogenen Gruppen vorge-nommen wurden, die neben Leis-tungs- auch Breiten- und Freizeit-sportler einschlossen. Fur kunftigeStudien ware es wunschenswert,nicht nur die Haufigkeit der Be-schwerden in den einzelnen Korper-regionen zu ermitteln, sondern auchdie Ursachen der Beschwerden zuanalysieren und mogliche Praven-tionsstrategien zu erarbeiten.

Schulter

Das Schultergelenk bildet bei dieserSportart das zentrale Gelenk in derKraftubertragungskette zwischenPaddel und Boot. Wegen der Betei-ligung vieler Muskeln (u. a. Rotato-renmanschette M. trapezius, M. la-tissimus dorsi, M. serratus anteriorund M. rhomboideus maior M. pec-toralis usw. [10], [1], der Bursa sub-acromialis und des Glenohumeralge-lenkes wahrend eines Paddelzugeskonnen auftretende Schmerzen zahl-reiche Ursachen haben. Das haufigeAuftreten von Schultergelenkbe-schwerden im Kanusport wird durchviele nationale und internationaleStudien bestatigt, denen zufolgezwischen 20,9% und 66,7% der be-fragten Kajaksportler uber Schulter-schmerzen klagten [6], [10], [3].Petracic und Bottcher [7] beschrei-ben 2001 denmechanischen Vorgangdes Kajakpaddelns, bei dem das Pad-del als verlangerter Hebelarm wirktund die Kraft des Wasserwiderstan-des oder des Grundkontaktes auf dasSchultergelenk verstarkt ubertragt.

G. Willscheid et al.

Ist die Muskulatur an der Schulterdurch mangelhaftes Warm-up nichtvollig funktionsfahig, konnen dieMuskeln nicht adaquat auf unkon-trollierte Bewegungen und außereGewalteinwirkungen reagieren. Dieskann zu betrachtlichen Schaden undSchmerzen an der Schulter fuhren.Als Ursache fur Schulterschmerzenim Kanusport wird das subacromialeImpingementsyndrom genannt. Inunserer Befragung nannten 29% derKajakrennsportler Schmerzen in derSchulter beim Herausheben des Pad-dels und anschließendem Vorbringendes Armes in leichter Innenrota-tionsstellung. Veranderungen derRotatorenmanschette mit sekunda-rem Impingement konnen Ursachevon Uberlastungsymptomen an derSchulter sein. Unter den Marathon-Kajakfahrern sind doppelt so vieleSportlerinnen und Sportler betroffenwie bei den Sprintpaddlern [2].

LWS

Die Lendenwirbelsaule hat eine viel-faltige Funktion beim Bewegungsab-lauf im Kajaksport. Die Kajakfahrersitzen wahrend des gesamten Vor-gangs aufrecht und etwas vorge-neigt. Dabei ist die LWS leicht lum-bal flektiert. Beim Paddelzug wirdder Oberkorper durch die Rumpfmus-kulatur seitlich rotiert. Die Rumpf-muskulatur stabilisiert zusatzlichden Oberkorper und das Beckenund verhindert so ein Wippen undseitliches Kippen des Boots. Das Auf-treten von LWS-Beschwerden bei ei-nem Drittel der Befragten wird in derAnalyse von A. Hillebrecht [3] zwardeutlich ubertroffen, wo von mehrals 70% der Sportler die Rede ist;hier wurden jedoch Schmerzen imBereich der gesamten Wirbelsaulemit einbezogen. Petracic und Bott-cher [7] wiederum stellen fest, dassdie maximale Beugung der Ober-schenkel beim Sitzen im Kajak eineVerkippung des Beckens nach hinten

� Verletzungen und €Uberlastungssch€aden im

mit Aufhebung des normalen Hohl-kreuzes bewirkt. Bei einem kleine-ren Lumbosakralwinkel (Hohlkreuz)kommt es bei maximaler Flexion desOberschenkels zu einer geringerenBelastung der ventralen Anteile derLendenwirbelsaule. Dabei treten we-niger LWS-Beschwerden auf.

Dys€asthesien

Ein Drittel der Sportler (32%) er-wahnten ein Missempfinden im Be-reich der Beine. Beim Sitzen im Ka-jak wird bei maximaler Beugung desHuftgelenkes der N. ischiadicus uberdem Oberschenkelknochen auf derhinteren Seite des Huftgelenks uber-spannt und zusatzlich durch den har-ten Sitz in der Kajakschale von au-ßen abgedruckt [7]. Da die Athletendie Beckenkippung wahrend desPaddelzuges nicht verandern, wiees zum Beispiel beim Rudern derFall ist, erfolgt wahrend der Tatig-keit keine Entlastung der Sitzbeine.Somit bleibt einemogliche Kompres-sion des N. ischiadicus uber langereZeit erhalten. Außerdem kann der N.peronaeus lateral am Kniegelenk imKajak durch die Bordwand kompri-miert werden. Besonders im Unter-schenkel kann es zu Dysasthesienkommen. Ein weiterer beim Sitzenkomprimierter Nerv konnte der Ner-vus femoralis mit seinen Asten sein,der unter dem Leistenband im Trigo-num femorale lokalen Druckeinwir-kungen ausgesetzt ist [8].

Kniegelenke

Trotz des geringen Bewegungsaus-maßes der Kniegelenke im Kajak-sport beklagten mehr als ein Drittelder Kajaksportler Schmerzen in denKniegelenken. Zu einem ahnlichenErgebnis kommt auch Hillebrecht[3]. In seiner Arbeit werden Beinbe-schwerden ohne genauere Differen-zierung von 47,6% der Kajaksportlerangegeben. Fur den Kanusport findetman in der aktuellen Literatur keineweiteren Angaben zu Haufigkeit und

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Ursachen von Kniegelenksbeschwer-den. Annehmbar sind jedoch Be-schwerden im Sinne eines vorderenKnieschmerzes, denn zur Stabilisie-rung des Bootes wird beim Paddelzugdas ipisilaterale Bein gestreckt unddas kontralaterale bis zu 608 ge-beugt. Bei vorliegendem Kniege-lenkstrukturschaden, insbesondereim vorderen Anteil des Kniegelenkes,kann sich dieser uber die Dauer be-merkbar machen.

Handgelenk

Beim Zuruckbringen des Paddels er-folgt eine Drehung des Schaftes, da-mit die Blatter mit moglichst wenigLuftwiderstand in die Ausgangsposi-tion zuruck gebracht werden konnen.Bei den Kajaksportlern fuhrt nur eineHand die Drehbewegung durch, dieDrehung erfolgt durch eine Extensionin den Handgelenken. Wird die Ex-tension zu weit und mit zu viel Kraftdurchgefuhrt, konnen Sehnenschei-denentzundungen der Handgelenks-extensoren auftreten und Schmerzenim Handgelenk und distalen Unter-arm einschließen. Im Kajaksport wirdbeim Umschließen des Paddels mitder Hand der Daumen leicht abdu-ziert. Beim Zug durch das Wasser wirddas Handgelenk nach radialseits ge-neigt. Durch beide Mechanismenkonnen die Sehnen der Mm. abductorpollicis longus und extensor pollicisbrevis im gemeinsamen ersten Seh-nenfach des Retinaculum musculo-rum extensorum des Handgelenksbei erhohtem fortwahrendem Druckgereizt werden. Das hierdurch ent-stehende als paddler’s wrist bekann-te Syndrom entspricht der Sympto-matik der Tendovaginitis stenosansde Quervain (Zumhasch [11]). DieSchmerzen konnen distal bis in denDaumen und proximal bis in dieSchulter ausstrahlen [5]. Der starksteDruckschmerz wird am Processus sty-

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loideus radii empfunden, der jedochselbst nicht tangiert ist [5]. MancheKajakfahrer fuhren die Hand, die dasPaddel locker halt, ebenfalls in einerdeutlich abgeknickten Haltung nachvorn, sodass auch an dieser Hand dieExtensoren wie beim Rudern uberma-ßig belastet werden konnen. Außer-dem kann der Versuch, das Boot imWellengang mit dem Paddel zu stabi-lisieren, zu einem verstarkten Zugrei-fen der Hande am Paddelschaft fuh-ren, was wiederum mit vermehrtenSchmerzen in den Handgelenken ein-hergeht [9].

Fazit

Trotz der enormen Popularitat desKanu-Freizeit- und -Leistungssportsist die Datenlage zu sportmedizini-schen Problemen im leistungsorien-tierten Kanusport sehr luckenhaft.Die Informationen zu Verletzungenund Uberlastungsschaden, auf diesich dieser Artikel bezieht, konntenin einer sehr homogenen und selek-tierten Gruppe des leistungsorientier-ten Kanusports erhoben werden. Inder vorliegenden Arbeit konnte ge-zeigt werden, dass im offensichtlichoberkorperbetonten Kanusport Dysas-thesien der Beine und BeschwerdenimBereichLWS,KniegelenkundHand-gelenk in nahezu gleichem Maße vonden Athleten beklagt werden wie diezu erwartenden Schulterbeschwerden.Zukunftige Erhebungen sollten uberdie Ermittlung der Haufigkeit der Be-schwerden in den einzelnen Korper-regionen hinausgehen. Die Analyseder Ursachen der Beschwerden unddie Erarbeitung moglicher Praven-tionsstrategien sollten ebenfalls Zielweiterer Untersuchungen sein.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklaren, dass kein In-teressenkonflikt vorliegt.

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und €Uberlastungssch€aden im leistungsorienti

Literatur

[1] D. Drieschner, Zum Einfluss der Blatt-geometrie auf die Muskelaktivitat imKanu-Rennsport, in: Diplomarbeit,Deutsche Sporthochschule Koln, Koln,2012.

[2] R. Eisele (2006), Sportverletzungen -Diagnose, Management und Begleit-maßnahmen, Hrsg. Engelhardt M, Else-vier Urban und Fischer, Munchenp-374.

[3] A. Hillebrecht, Das Kraftprofil von Ka-jaksportlern, in: Inaugural Disserta-tion, Christian-Albrechts-Universitatzu Kiel, 2003.

[4] http://www.kanu.de/go/dkv/home/dkv/profil/portrait.xhtml.

[5] K. Jung (o. Jg. ca. 2007); Trauma imSport; Uniklinikum Mainz; http://www.ispr.biz/trauma/Trauma-im-Sport.html

[6] O. Kameyama, K. Shibano, H. Kawakita,R. Ogawa, M. Kumamoto, Medical checkofcompetitivecanoeists, J. OrthopSci4–4 (1999) 243–249.

[7] B. Petracic, H. Bottcher, Kanusport–MedizinischeGrundlagen, Belastun-gen und Verletzungen (2001) 60–61.

[8] J.P. Patten, Neurologische Differen-tialdiagnose, Springer, Berlin, Heidel-berg, New York, 1982 p–p253.

[9] P. du Toit, G. Sole, P. Bowerbank, T.D.Noakes, Incidence and causes of teno-synovitis of the wristextensors in longdistance paddlecanoeists, Br J. SportsMed 33–2 (1999) 105–109.

[10] B.A. Trevithick, K.A. Ginn, M. Halaki, R.Balnave (2006), Shoulder muscle rec-ruitment patterns during a kayak stro-ke performed on a paddling ergometer,Faculty of Health Sciences, School ofBiomedical Sciences, University ofSydney, P.O. Box 170, Lidcombe, NSW1825, Australia PMID: 16513367.

[11] R. Zumhasch (o. Jg), De Quervain,,Tendovaginitis-stenosans‘‘, http://www.akademie-fuerhandrehabilita-tion.de/downloads/dequervain.pdf

Korrespondenzadresse:Dr. med. Gernot WillscheidKlinikum Osnabruck, Klinik fur Orthopadie,Unfall- und HandchirurgieAm Finkenhugel 149078 Osnabruck.E-Mail: [email protected]

Available online at www.sciencedirect.com

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