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Einleitung Distale Femurfrakturen und Femur- schaftfrakturen entstehen einerseits durch Hochenergietraumata beimjungen Patienten [1,2]. Eine axiale Stauchung, wie sie beim Einklemmen bei Verkehrs- unfällen und bei sog dash board inju- riesvorkommen kann, stellt dabei ein typisches Verletzungsmuster dar (float- ing knee injury). Andererseits sind auch Niedrigenergietraumata die Ursa- che knöcherner Verletzungen am Femur. Hier stehen besonders Frakturen auf- grund schlechter Knochenqualität wie Osteoporose [3, 4] sowie periprotheti- sche Frakturen im Vordergrund, die eine besondere Herausforderung hinsichtlich der Implantatverankerung darstellen. Die Therapiekonzepte sind vielseitig und reichen von konservativer über operati- ve Therapie, wie extra- und intramedul- läre knöcherne Versorgung, bis hin zum primären alloplastischen Gelenkersatz [57]. Die Ergebnisse bei der Versorgung besonders von distalen Femurfrakturen waren in den letzten Jahrzehnten mit einer nicht geringen Zahl von Infektio- nen, Pseudarthrosen und Fehlstellungen belastet [810]. Aufgrund dieser Kompli- kationen wurde bis in die 70er-Jahre von einer routinemäßigen operativen Ver- sorgung abgeraten [9, 11]. Erst mit der Entwicklung geeigneter Implantate mit guten operativen Ergebnissen wandelte sich die Behandlung hin zur operativen Therapie [1214]. Im Laufe der folgenden Jahre revolutio- nierte die Entwicklung neuer Implantat- materialien, Repositionstechniken, Tech- niken der Implantatplatzierung und der Implantate selbst die operativen Versor- gungsmöglichkeiten. Speziell im Bereich der extramedullären Osteosynthese voll- zogen sich mit Einführung der Winkel- stabilität maßgebliche Veränderungen. Versorgungsmöglichkeiten distaler Femurfrakturen n Ziel der Behandlung distaler Femurfrak- turen ist die Wiederherstellung der kon- dylären Gelenkfläche, anatomischer Achsverhältnisse und einer korrekten Rotation. Noch in den 80er-Jahren war die opera- tive Versorgung durch weit offene Ver- fahren und Implantate seinerzeit mit häufigen Komplikationen wie hoher In- fektrate, verzögerter Frakturheilung, Im- plantatversagen oder Retentionsverlust verbunden. Zusammenfassung Die Therapie von Femurschaft- und distalen Femurfrakturen stellt auch heute noch oftmals eine chirurgische Herausforderung dar, und war lange Zeit mit einer beträchtlichen Kompli- kationsrate verbunden. Trotz verbes- serter Implantate und Techniken wa- ren die Plattenosteosynthese und auch die Marknagelosteosynthese mit z. T. erheblichen Raten an Infektionen, Pseudarthrosen und Fehlstellungen behaftet. Die Beachtung der Weichteil- situation durch biologischeOsteo- synthesen und minimalinvasive Zu- gänge verringerten die Komplikations- raten deutlich. Aus diesen Überlegun- gen heraus entstanden die winkelsta- bilen Plattensysteme wie z. B. das LISS (Less Invasive Stabilization System), deren Vorteile in der winkelstabilen Verankerung der Schrauben, der ana- tomisch gut angepassten Plattenform und technischen Hilfen zur minimal- invasiven, schonenden Plattenfixation liegen. Dieser Artikel gibt einen kurzen Überblick über die momentan verfüg- baren Versorgungsmöglichkeiten dis- taler Femurfrakturen und Femur- schaftfrakturen, mit einem besonderen Schwerpunkt auf den winkelstabilen Systemen. Hierzu ausgewählte Fallbei- spiele demonstrieren die Überlegen- heit dieser Art der operativen Versor- gung besonders bei der Anwendung komplexer distaler Femurfrakturen. Treatment Options for the Femur Shaft and Distal Femur Advantages of Angular Stability Even today the treatment of fractures of the femoral shaft and distal femur often presents a surgical challenge and was associated with a considera- ble incidence of complications for a long time. In spite of improved im- plants and techniques not only plate fixation but also intramedullary nail- ing were accompanied with significant rates of infection, non-union, and mal- positioning. Taking into account the soft-tissue situation by means of bio- logical fixationand minimally inva- sive approaches has markedly reduced the incidence of complications. Based on these considerations, as just one example, the LISS (less invasive stabili- sation system) was introduced in the 1990s; advantages of the LISS are the angle-stable fixation of the screws, the anatomically well-adapted plate form and the technical aids for mini- mally invasive, conserving plate fixa- tion. The present article provides a brief overview of the currently avail- able treatment options for distal femur and femoral shaft fractures with par- ticular emphasis on angle-stable sys- tems. Selected case reports demon- strate the superiority of this method for surgical treatment, especially when used for complex distal femur frac- tures. Versorgungsmöglichkeiten am distalen Femur und Femurschaft: der Vorteil der Winkelstabilität & n Marie K. Reumann, Michael Schütz OP-JOURNAL 2012; 28: 136142 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0032-1315344 136 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

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Osteoporose [3,4] sowie periprotheti-sche Frakturen im Vordergrund, die einebesondere Herausforderung hinsichtlichder Implantatverankerung darstellen.

Die Therapiekonzepte sind vielseitig undreichen von konservativer über operati-ve Therapie, wie extra- und intramedul-läre knöcherne Versorgung, bis hin zumprimären alloplastischen Gelenkersatz[5–7]. Die Ergebnisse bei der Versorgungbesonders von distalen Femurfrakturenwaren in den letzten Jahrzehnten miteiner nicht geringen Zahl von Infektio-nen, Pseudarthrosen und Fehlstellungenbelastet [8–10]. Aufgrund dieser Kompli-kationenwurde bis in die 70er-Jahre voneiner routinemäßigen operativen Ver-sorgung abgeraten [9,11]. Erst mit derEntwicklung geeigneter Implantate mitguten operativen Ergebnissen wandeltesich die Behandlung hin zur operativenTherapie [12–14].

Im Laufe der folgenden Jahre revolutio-nierte die Entwicklung neuer Implantat-materialien, Repositionstechniken, Tech-niken der Implantatplatzierung und derImplantate selbst die operativen Versor-gungsmöglichkeiten. Speziell im Bereichder extramedullären Osteosynthese voll-zogen sich mit Einführung der Winkel-stabilität maßgebliche Veränderungen.

Versorgungsmöglichkeiten distalerFemurfrakturen

n Ziel der Behandlung distaler Femurfrak-

Versorgungsmöglichkeiten am distalen Femurund Femurschaft: der Vorteil der Winkelstabilität

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Zusammenfassung

Die Therapie von Femurschaft- unddistalen Femurfrakturen stellt auchheute noch oftmals eine chirurgischeHerausforderung dar, und war langeZeit mit einer beträchtlichen Kompli-kationsrate verbunden. Trotz verbes-serter Implantate und Techniken wa-ren die Plattenosteosynthese und auchdie Marknagelosteosynthese mit z.T.erheblichen Raten an Infektionen,Pseudarthrosen und Fehlstellungenbehaftet. Die Beachtung derWeichteil-situation durch „biologische“ Osteo-synthesen und minimalinvasive Zu-gänge verringerten die Komplikations-raten deutlich. Aus diesen Überlegun-gen heraus entstanden die winkelsta-bilen Plattensysteme wie z.B. das LISS(Less Invasive Stabilization System),deren Vorteile in der winkelstabilenVerankerung der Schrauben, der ana-tomisch gut angepassten Plattenformund technischen Hilfen zur minimal-invasiven, schonenden Plattenfixationliegen. Dieser Artikel gibt einen kurzenÜberblick über die momentan verfüg-baren Versorgungsmöglichkeiten dis-taler Femurfrakturen und Femur-schaftfrakturen,mit einembesonderenSchwerpunkt auf den winkelstabilenSystemen. Hierzu ausgewählte Fallbei-spiele demonstrieren die Überlegen-heit dieser Art der operativen Versor-gung besonders bei der Anwendungkomplexer distaler Femurfrakturen.

nleitung

istale Femurfrakturen und Femur-haftfrakturen entstehen einerseitsrchHochenergietraumata beimjungen

-JOURNAL 2012; 28: 136–142Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New YorkI http://dx.doi.org/10.1055/s-0032-1315344

Treatment Options for the FemurShaft and Distal Femur –Advantages of Angular Stability

Even today the treatment of fracturesof the femoral shaft and distal femuroften presents a surgical challengeand was associated with a considera-ble incidence of complications for along time. In spite of improved im-plants and techniques not only platefixation but also intramedullary nail-ing were accompaniedwith significantrates of infection, non-union, and mal-positioning. Taking into account thesoft-tissue situation by means of “bio-logical fixation” and minimally inva-sive approaches has markedly reducedthe incidence of complications. Basedon these considerations, as just oneexample, the LISS (less invasive stabili-sation system) was introduced in the1990s; advantages of the LISS are theangle-stable fixation of the screws,the anatomically well-adapted plateform and the technical aids for mini-mally invasive, conserving plate fixa-tion. The present article provides abrief overview of the currently avail-able treatment options for distal femurand femoral shaft fractures with par-ticular emphasis on angle-stable sys-tems. Selected case reports demon-strate the superiority of this methodfor surgical treatment, especially whenused for complex distal femur frac-tures.

Patienten [1,2]. Eine axiale Stauchung,wie sie beim Einklemmen bei Verkehrs-unfällen und bei sog „dash board inju-ries“ vorkommen kann, stellt dabei eintypisches Verletzungsmuster dar („float-ing knee injury“). Andererseits sindauch Niedrigenergietraumata die Ursa-che knöcherner Verletzungen am Femur.Hier stehen besonders Frakturen auf-grund schlechter Knochenqualität wie

turen ist die Wiederherstellung der kon-dylären Gelenkfläche, anatomischerAchsverhältnisse und einer korrektenRotation.

Noch in den 80er-Jahren war die opera-tive Versorgung durch weit offene Ver-fahren und Implantate seinerzeit mithäufigen Komplikationen wie hoher In-fektrate, verzögerter Frakturheilung, Im-plantatversagen oder Retentionsverlustverbunden.

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Implantate, die zur Anwendung am dis-talen Femur kamen, waren die Kondy-lenplatte („Burri-Platte“) und die DCS-Platte (dynamische Condylenschrauben).Die DCS wies im gewissen Sinne bereitseine Winkelstabilität auf, war aber nichtimmer leicht in korrekter Position zuimplantieren – was zu einem primärenRepositionsverlust führen konnte. DieKondylenplatte ist ohne jeglicheWinkel-stabilität der Schrauben verankert undkam bei komplexen intraartikulärenFrakturen (C3-Frakturen) zur Anwen-dung. Nicht selten kam es im Behand-lungsverlauf zu einer Lockerung der ge-lenksnahen Schrauben oder einer Plat-tenverbiegung aufgrund ungenügenderPlattenstärke im metaphysären Bereichmit konsekutivem Repositionsverlustmit Varusfehlstellung.

Mitte der Neunzigerjahre hat dieses Pro-blem zu einer Modifizierung der Implan-tate und damit verbundener Operations-

technik im Sinne der „biologischen“ Os-teosynthese geführt. Aus heutiger Sichthat hierbei die Winkelstabilität die Ver-sorgung vom distalen Femur revolutio-niert. Auch wenn die Evidenz klinischerStudien bisher keinen Vorteil aufzeigenkonnte [15–19], so wird heutzutageweltweit der überwiegende Anteil vondistalen Femurfrakturen mit vorgeform-ten, winkelstabilen Platten versorgt. Alserstes Implantat hat das „LISS – Less In-vasive Stabilization System“ für einedeutliche Erleichterung der Versorgungkomplexer artikulärer und osteoporoti-scher Frakturen gesorgt. Im Sinne der„biologischen“ Osteosynthese bleibendie Weichteile geschont, bei gleichzeitiggeringer Beschädigung der Durchblu-tung [20–24]. Die vorgeformte Platteerleichtert die Reposition hinsichtlichkorrekter Achsausrichtung und Rotation.Weiterhin ermöglicht das LISS eine ins-gesamt gute Sicherung des Gelenkblocks,

sodass eine frühe Mobilisierung desKniegelenks erreicht werden kann.

n Wie kein anderes Implantat zuvor de-cken die winkelstabilen Plattensystemenahezu das ganze Spektrum an Fraktur-typen ab und können überdies bei nahe-zu allen periprothetischen Frakturen zumEinsatz kommen [18,25].

Im Folgenden zeigen 3 Fallbeispiele dieunterschiedlichen Techniken der opera-tiven Versorgung distaler Femurfraktu-ren.

Der 1. Patient (männlich, 33 Jahre) erlittneben multiplen anderen Verletzungeneine zweitgradig offene Fraktur 33-C3nach AO nach einem Sturz aus großerHöhe. Am Aufnahmetag wurde die offe-ne Fraktur gereinigt, debridiert und miteinem Fixateur externe stabilisiert(Abb. 1 a). Am 4. Tag nach Aufnahmekonnte dann eine definitive Osteosyn-these erfolgen (Abb. 1 b). Ein 13-Loch-LISS und 4 Zugschrauben wurden be-nutzt, zusätzlich wurde die frakturierteEminentia intercondylaris fixiert und eserfolgte eine Patellektomie. Eine primäreSpongiosaplastik wurde nicht durch-geführt. Bei der letzten Kontrolle (34Monate postoperativ [Abb. 1 c]) war dieFraktur mit einem minimalen ventralenKortikalisdefekt konsolidiert, wegen demdie Entfernung des Implantats bis zudiesem Zeitpunkt nicht durchgeführtworden war. Der Patient war insgesamtschmerzfrei, die Extension/Flexion be-trug 0/0/120° und es bestand keine axia-le Fehlstellung oder Verkürzung.

Der 2. Patient (männlich, 35 Jahre) hattesich im Rahmen ein Motorradunfallseine drittgradig offene, distale Femur-fraktur (IIIB, 33-C3) mit proximaler Ti-biafraktur zugezogen („floating knee in-jury“). Die initiale Versorgung erfolgtemittels Fixateur externe im auswärtigenKrankenhaus (Abb. 2). In unserer Abtei-lung wurde die definitive Versorgungmit winkelstabilen Plattensystemen undfreien 3,5-mm-Zugschrauben durchge-führt (Abb. 3 und 4).

n Die anatomisch vorgeformten Plattenführen zu einer deutlichen Erleichterungder achsgerechten Ausrichtung.

Die Weichteildeckung erfolgte am 5. Tagmittels eines Latissimus-dorsi-Lappens.Drei Monate nach Unfall wurde außer-dem ein Knochenersatz mit Spongiosaan der proximalen Tibia durchgeführt.Eine Nachuntersuchung nach 1 Jahr zeig-

Abb. 1a bis c(a) Zeigt die präope-rativen Aufnahmender 33-C3-Frakturnach initialer Stabili-sierung mit Fixateurexterne. Bild (b) zeigtdie postoperative Si-tuation, (c) wurde 34Monate postoperativaufgenommen.

Abb. 2 Zeigt diepräoperativen Auf-nahmen der distalenFemurfraktur sowieder proximalen Tibia-fraktur nach initialerStabilisierung mit Fi-xateur externe.

Abb. 3 Zeigt intra-operative Aufnahmender „floating knee“-Verletzung nach Sta-bilisierung mit win-kelstabilen Systemen.

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te eine insgesamtkomplikationsloseAus-heilung mit knöcherner Konsolidierungan distalem Femur und proximaler Tibiabei gutem Bewegungsumfang des Knie-gelenks von 0/0/120° (Abb. 5).

Der 3. Fall zeigt die Verletzung einer 42-jährigen PKW-Fahrerin, die im Rahmeneines Verkehrsunfalls eine „floatingknee“-Verletzung mit drittgradig offenerdistaler Femurfraktur mit Knochenver-lust erlitten hatte. Die initiale Versor-gung war im auswärtigen Krankenhausmit retrograder Marknagelosteosynthe-se erfolgt (Abb. 6). Sechs Wochen post-operativ war uns die Patientinwegen an-haltender Schmerzen und Lockerung derdistalen Schrauben zuverlegt worden(Abb. 7). In unserem Haus erfolgte da-raufhin die Implantatentfernung (Abb. 8)und Restabilisierung mit LISS-Implantatund gleichzeitiger Anschraubung korti-kospongiöser Spänen vom Beckenkammzur Auffüllung des Knochendefekts(Abb. 9). Nach weiteren 6 Monaten wur-de eine nochmalige Knochenanlagerungim Schaftbereich durchgeführt (Abb. 10).Insgesamt 1 Jahr nach operativer Versor-gung in unserem Haus war eine stabileAusheilung der Verletzung mit guterFunktion (siehe Abb. 11) erreicht wor-den.

Versorgungsmöglichkeiten vonFrakturen am Femurschaft

Wie auch bei der Behandlung der dis-talen Femurfrakturen steht am Femur-schaft primär als Ziel die Wiederherstel-lung der korrekten Achsverhältnisse, Ro-tation sowie der korrekten Beinlänge imVordergrund.

Die Implantatwahl am Femurschafthängt von mehreren Faktoren ab. Nichtnur Frakturtyp, ‑lokalisation undWeich-teilsituation spielen eine entscheidende

Rolle, auch bereits in situ vorhandeneImplantate, wie im Markraum liegendeProthesen, müssen in Betracht gezogenwerden. Weiterhin entscheidend bei derImplantatwahl ist der Allgemeinzustanddes Patienten (ISS, Polytrauma, komple-

xe Mitverletzungen wie z.B. Beckenring-oder Azetabulumfrakturen). Auch wenndie Marknagelung in der Regel die Me-thode der Wahl am Femurschaft dar-stellt, ist sie bei mehrfach verletzten Pa-tienten als kritisch zu betrachten auf-

Abb. 4 Nachuntersuchung 6 Wochen post-operativ.

Abb. 5a bis cNachuntersuchungnach 1 Jahr postope-rativ. Bilder (a) und(b) zeigen die radio-logischen Aufnah-men der knöchernkonsolidierten Frak-turen. Bild (c) zeigtdie ausgeheiltenWeichteilverhältnisseder rechten unterenExtremität nach Lap-penplastik.

Abb. 6a bis dBild (a) zeigt das ini-tiale „floating knee“-Verletzungsmustermit drittgradig offe-ner 33-C3 mit Kno-chenverlust sowiezweitgradig offener42-B1-Fraktur. Bilder(b), (c) und (d) zeigendie radiologischenAufnahmen postope-rativ nach Versor-gung in externemKrankenhaus mittelsMarknagelung.

Abb. 7 Röntgenauf-nahmen 6 Wochenpostoperativ bei Auf-nahme in unsere Kli-nik zeigen die fehlen-de knöcherne Kon-solidierung und dieAuslockerung der dis-talen Schrauben.

Abb. 8a und bIntraoperativer Be-fund der ausgelocker-ten Schrauben (a)und des über langeDistanz freiliegendenMarknagels (b).

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grund des Risikos von Fettembolien, diebeim Einbringen des Marknagels in denSchaft entstehen können [26].

Der Vorteil der Marknagelosteosyntheseliegt in der geschlossenen und somit mi-nimalstinvasiven operativen Versor-

gungsmöglichkeit, die in der Regel einehohe Stabilität gewährleistet. Die Versor-gung mit winkelstabilen Systemen imFemurschaftbereich ist hingegen selte-ner. Sie wird dann in Erwägung gezogen,wenn die Marknagelung aufgrund kriti-schen Allgemeinzustands des Patienten

(Zustand nach Polytrauma, ISS, komple-xe Mehrfachverletzungen wie Becken-ring- oder Azetabulumfrakturen) odermangelnder technischer Möglichkeit desEinbringens eines Nagels im Markraum,z.B. bei bereits einliegender Prothese,nicht durchgeführt werden sollte oderkann.

Idealerweise kann in solchen Situatio-nen die Locking Compression Plate (LCP)eingesetzt werden. Sie stellt eine Kombi-nation aus herkömmlichen konventio-nellen Plattensystemen und den neuenwinkelstabilen Fixateur-interne-Syste-me dar mit dem Vorteil, im gleichen Plat-tenloch entweder eine winkelstabileoder eine konventionelle (Kompres-sions-)Schraube einsetzen zu können.

Zwei ausgewählte Fallbeispiele aus unse-rer Klinik erläutern die operativen Ver-sorgungsmöglichkeiten am Femurschaft.

Der 1. Fall beschreibt die Situation eines21-jährigen polytraumatisierten Patien-ten mit beidseitigen Femurschaftfraktu-ren und u.a. komplexer Beckenringfrak-tur. Die initiale Versorgung erfolgte imauswärtigen Krankenhaus mittels Stabi-lisierung mit Fixateur externe (Abb. 12).Nach der Zuverlegung in unser Haus zurWeiterbehandlung wurde zunächst der

Abb. 9 Postoperativer Röntgenbefund zeigt die nun winkelstabile Ver-sorgung nach Verfahrenswechsel mit zusätzlicher Anschraubung vonkortikospongiösen Spänen zur Auffüllung des Knochendefekts.

Abb. 10 Nachuntersuchung nach 26 Wochen.

Abb. 11a bis d Zeigt den radiologischen (a, b) sowie den klinischen (c, d) Befund 1 Jahr post-operativ.

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Beckenring stabilisiert (Abb. 13). Auf-grund der begleitenden Umstände derMehrfachverletzung (beidseitige Femur-frakturen, Lungenkontusion/Hämato-pneumothorax und Komplexität der Be-ckenringverletzung) wurde entschieden,eine überbrückende eingeschobene Plat-tenosteosynthese mit 4,5mm breiter,gekrümmter LCP durchzuführen. Bereitsnach 6 Monaten waren beide Femur-frakturen mit Kallusbildung ausgeheilt(Abb. 14).

Der 2. Fall beschreibt die Situation eines79-jährigen Patienten mit periprotheti-scher Femurschaftfraktur (Abb. 15). Dieoperative Versorgung erfolgte bei einlie-gender Prothese mit winkelstabiler Plat-tenosteosynthese. Als zusätzliche Stabili-sierung erfolgte die Verankerung mit„locking attachment plates“ um denSchaft (Abb. 16 und 17). In der Nach-untersuchung bereits 4 Monate postope-rativ zeigte sich eine gute Ausheilung derFraktur mit Kallusbildung (Abb. 18).

Nachbehandlung

Ein weiteres Ziel der Versorgung sowohlbei Femurschaft- als auch bei distalenFemurfrakturen ist es, zu gewährleisten,dass eine frühe Mobilisierung der ver-letzten Extremität und Physiotherapieerfolgen kann. Ab dem 1. postoperativenTag beginnt die Bewegungstherapie mit-hilfe von CPM (continuous passive mo-tion), um Kontrakturen und verbleiben-de Bewegungseinschränkungen im Knie-gelenk zu vermeiden und Schwellungenvorzubeugen. Sofern es der Zustand desPatienten erlaubt, kann eine frühe Mobi-lisierung an Unterarmgehstützen erfol-genmit Fußsohlenbodenkontakt. Die Be-lastungssteigerung orientiert sich amFrakturtyp, der erreichten Repositionund Fixation sowie regelmäßigen radio-logischen Kontrollen.

Abb. 12 Zeigt die initiale Verletzung mit (a) rechter und (b) linker Femurschaftfraktur sowie (c)komplexer Beckenringfraktur.

Abb. 13 Zeigt die primäre operative Versor-gung der Beckenringfraktur.

Abb. 14a bis dNachuntersuchung6 Monate postopera-tiv. Sowohl der rechte(a a.–p. Aufnahme,b seitliche Aufnah-me) als auch der linke(c a.–p. Aufnahme,d seitliche Aufnah-me) Femurschaft sindbereits knöchernkonsolidiert und zei-gen deutliche Kallus-bildung.

Abb. 15 Initialeknöcherne Verlet-zung des Femur-schafts unterhalbder einliegendenHüftprothese.

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Zusammenfassung

In den letzten Jahren haben sich mit denminimalinvasiven Techniken und demKonzept von winkelstabilen Plattensys-temen entscheidende Entwicklungen inder operativen Versorgung distaler Fe-murfrakturen und Femurschaftfrakturenvollzogen. Winkelstabile Systeme sinddurch ihre Konstruktion in der Lage,Weichteile und Durchblutung in idealerWeise zu schonen und erlauben dadurch

die „biologische“ Osteosynthese. Durchdie Möglichkeit der Winkelstabilität, diesich in den letzten Jahren weltweit alsTherapie der Wahl durchgesetzt hat,kann eine Auflage des Kraftträgers aufdem Periost reduziert oder sogar daraufverzichtet und damit die periostaleDurchblutung geschont werden. Ein zu-sätzlicher großer Vorteil der winkelsta-bilen Systeme liegt in ihrem breiten Indi-kationsspektrum. Im Bereich des Femur-schafts sind minimalinvasive Technikenmit winkelstabilen Systemen im wirk-lichen Sinne eines Fixateur interne v.a.dann anzuwenden, wenn die Markna-gelung kritisch oder nicht durchführbarist wie bei Polytraumapatienten, Mehr-fachverletzungen oder bereits einliegen-den intramedullären Implantaten wieProthesen. Nahezu alle Frakturen desdistalen Femurs können winkelstabilversorgt werden: dies reicht von dendistalen periprothetischen Femurfraktu-ren und osteoporotischen Frakturenüber die distalen Femurschaftfrakturenund die extraartikulären distalen Femur-frakturen bis hin zu den komplexen in-traartikulären Trümmerfrakturen mitmetaphysärem Substanzverlust und aus-gedehnter Trümmerzone.

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Abb. 16 Operative Versorgung mittels winkelstabilem Plattensystemund zusätzlichen „locking attachment plates“.

Abb. 17 Technik der „locking attachment plate“ als zusätzliche Ver-ankerungsmöglichkeit im Femurschaft.

Abb. 18 Die Nachuntersuchung 4 Monatepostoperativ zeigt die knöcherne Durchbau-ung der Femurschaftfraktur mit Kallusbildung.

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Page 7: Versorgungsmöglichkeiten am distalen Femur und · PDF fileDistale Femurfrakturen und Femur-schaftfrakturen entstehen einerseits ... eine drittgradig offene, distale Femur-fraktur

17 Henderson CE, Kuhl LL, Fitzpatrick DC et al.Locking plates for distal femur fractures: isthere a problem with fracture healing? [Re-view]. J Orthop Trauma 2011; 25 (Suppl. 1):88–114

18 Herrera DA, Kregor PJ, Cole PA et al. Treatmentof acute distal femur fractures above a totalknee arthroplasty: systematic review of 415cases (1981–2006). [Review] [35 refs]. ActaOrthopaedica 2008; 79: 22–27

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20 Baumgaertel F, Gotzen L. [The “biological”plate osteosynthesis in multi-fragment frac-tures of the para-articular femur. A prospec-tive study]. Unfallchirurg 1994; 97: 78–84

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22 Kregor PJ, Stannard JA, Zlowodzki M et al.Treatment of distal femur fractures using the

less invasive stabilization system: surgicalexperience and early clinical results in 103fractures. J Orthop Trauma 2004; 18: 509–520

23 Krettek C, Schandelmaier P, Miclau T et al.Transarticular joint reconstruction and indi-rect plate osteosynthesis for complex distalsupracondylar femoral fractures. Injury1997; 28 (Suppl. 1): A31–A41

24 Schutz M, Muller M, Krettek C et al. Minimallyinvasive fracture stabilization of distal femo-ral fractures with the LISS: a prospectivemulticenter study. Results of a clinical studywith special emphasis on difficult cases. In-jury 2001; 32 (Suppl. 3): SC48–SC54

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Dr. med. Marie K. ReumannPostdoctoral Research Fellow

Institute of Health and BiomedicalInnovation (IHBI)Queensland University of Technology(QUT)60 Musk Avenue, Kelvin GroveBrisbane, QLD 4059Australia

Prof. Dr. med. Michael Schütz,FRACS (Ortho.surg.), FAOrthAProfessor and Chair in Trauma

Institute of Health and BiomedicalInnovation (IHBI)Queensland University of Technology(QUT)60 Musk Avenue, Kelvin GroveBrisbane, QLD 4059Australia

Director of Trauma,Princess Alexandra HospitalMetro South Health Service DistrictTrauma Service199 Ipswich Road, WoolloongabbaBrisbane, QLD 4102Australia

[email protected]

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OP-JOURNAL 2/2012

Marie K. Reumann et al.: Versorgungsmöglichkeiten am distalen Femur und Femurschaft: der Vorteil der Winkelstabilität

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