VhU – Grundpositionenen der hessischen Wirtschaft

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Grundpositionenen der hessischen Wirtschaft

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Energiewende – ohne staatliche Verteuerung

Grundpositionen der hessischen Wirtschaft zur Energiepolitik

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Engergiewende – ohne staatliche Verteuerung | Grundpositionen der hessischen Wirtschaft zur Energiepolitik

Inhalt

1 Vorwort 5

2 Zusammenfassung 8

2.1 Sichere Energieversorgung gewährleisten 92.2 Durch höhere Energieeffi zienz Verbrauch und Kosten senken 10 VhU-Energieforum am Hessischen Tag der Nachhaltigkeit 11 So meistern Unternehmen die Energiekosten: Beispiel 1 122.3 Staatlich bedingte Verteuerungen von Energie abbauen 13 So meistern Unternehmen die Energiekosten: Beispiel 2 132.4 Mehr Rationalität in der Klimapolitik 14 So meistern Unternehmen die Energiekosten: Beispiel 3 15

3 Energiewirtschaftliche Ausgangslage 16

3.1 Energieversorgung 163.1.1 Primärenergieverbrauch 163.1.2 Endenergieverbrauch 193.1.3 Stromversorgung 263.1.4 Erneuerbare Energien 313.2 Kosten und Preise von Energie 343.2.1 Energiekosten 343.2.2 Strompreis 383.2.3 Erdgaspreis 423.3 Ökologische Herausforderung 45

4 Ziele und Grundsätze 51

4.1 Drei Ziele der Energiepolitik 514.2 Marktwirtschaftliche Konzeption 544.3 Wettbewerbspolitische Rahmensetzung 584.4 Umweltpolitische Rahmensetzung 614.5 Technologiepolitische Rahmensetzung 65

5 Sichere Energieversorgung gewährleisten 68

5.1 Stromerzeugung und -verteilung 695.1.1 Neue, moderne Kohle- und Gaskraftwerke zügig errichten 695.1.2 Kernkraft als Brückentechnik weiter nutzen 705.1.2.1 Laufzeiten nicht verkürzen! 715.1.2.2 Überzeugende Gegenargumente? 73

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5.1.3 Erneuerbare Energien: Ausbau fortsetzen, Speicher aufbauen 785.1.4 Netzausbau beschleunigen 795.1.5 CO2-Abscheidung und -Speicherung voran bringen 845.2 Energieforschung besser unterstützen 845.3 Kampagne für mehr Akzeptanz von Energieanlagen 86

6 Durch höhere Energieeffi zienz Verbrauch und Kosten senken 87

6.1 Energieverbrauch senken, nicht nur Energiemix verändern 876.2 Basistechniken für energie-intelligente Lösungen 896.3 Industrie und Gewerbe 916.3.1 Prozess- und Fertigungsautomation 926.3.2 Elektrische Antriebe 936.3.3 Industriebeleuchtung 976.3.4 Gebäudeautomation 986.4 Privathaushalte 1006.4.1 Energetische Sanierung 1006.4.2 Elektroinstallation 1026.4.3 Haushaltsgeräte 1036.4.4 Beleuchtung 1066.4.5 Unterhaltungselektronik, Medientechnik und Netzteile 1076.5 Verkehr 1096.5.1 Straßenverkehr 1096.5.2 Schienenverkehr 1126.5.3 Luftverkehr 1136.5.4 Schiff sverkehr 114

7 Staatlich bedingte Verteuerungen von Energie abbauen 115

7.1 Steuerlast auf Energie verringern 1167.2 EEG-Subventionen auslaufen lassen 1177.2.1 Trotz Kürzung bestehen Überförderungen weiter 1177.2.2 EEG-Subventionen: teuer und ökologisch ineff ektiv 1197.2.3 Keine überzeugenden Argumente für weitere EEG-Subventionen 1247.3 Benachteiligung energieintensiver Industrien beseitigen 127

8 Mehr Rationalität in der Klimapolitik 129

8.1 Klimapolitische Leitlinien: Eff ektivität und Kosteneffi zienz 1308.2 Handlungsbedarf auf globaler Ebene 1328.2.1 Weltweite Kooperation hin zu einem weltweiten Kohlenstoff markt 1328.2.2 Bessere Bedingungen für Export von Effi zienztechnik schaff en 1358.3 Handlungsbedarf auf europäischer Ebene 1378.3.1 Keine Verschärfung des EU-CO2-Minderungsziels 1378.3.2 Kostenfreie Zuteilung der CO2-Zertifi kate an Industrie 1388.3.3 Kompensation für Strompreisanstieg wegen Emissionshandel 1398.4 Handlungsbedarf auf nationaler Ebene 141

9 Anmerkungen 143

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VORWORT

Die Welt steht am Beginn einer langfristigen Energiewende. Neue Techniken sind verfügbar, um Energie mit höherer Effi zienz zu gewinnen, zu speichern, zu verteilen und zu nutzen. Zudem treiben Marktprozesse die Energiewende an: Zum einen werden steigende Kosten für fossile Energieträger erwartet, denn weltweit wächst die Energienachfrage, und die Vorräte an Kohle, Gas und Öl sind nicht unendlich. Zum anderen stellt die Erderwärmung eine globale Herausfor-derung dar.

In Folge dessen verändern sich etablierte Industrie- und Wettbewerbsstrukturen. Weltweit richten sich die Bestrebungen um den effi zienten Einsatz von Produktionsfaktoren zunehmend auf den Faktor Energie. Während die Produktivität des Kapitaleinsatzes und der Arbeitsleistung bereits seit Jahrzehnten im Fokus steht, bietet die Produktivität beim Einsatz insbesondere konventioneller Energieträger in vielen Bereichen noch erhebliche Reserven. Zusätzlich ge-winnt Energie aus erneuerbaren Energiequellen an Bedeutung. Sie besitzen technologisch und energiewirtschaftlich große Potenziale. Zugleich versetzen Energieeffi zienztechniken Bürger und Unternehmen in die Lage, ihren Bedarf an Wärme, Kraftstoff en und Elektrizität mit immer geringerem Energieverbrauch und zu niedrigeren Kosten zu decken.

Für die hessischen Unternehmen eröff nen sich große Chancen: • Zum einen als Anbieter von Zukunftstechniken, die weltweit z. B. Energieeffi zienztechnik ver-

kaufen. Politik und Gesellschaft haben erkannt, dass in der Ökologie die Unternehmen Part-ner und Problemlöser sind.

• Zum anderen nutzen heimische Unternehmen als Nachfrager Energieeffi zienztechnik und weitere energiebezogene Innovationen, um Kosten zu senken. Zukunftstechnik macht sich oft selbst rasch bezahlt.

Zweifelsohne, die Energieeffi zienzrevolution hat längst begonnen. Sie wird von Politik, Wirt-schaft und Wissenschaft begrüßt. Strittig ist aber, wie der weitere Weg im Energieeffi zienzzeit-alter und hin zu erneuerbaren Energien konkret ausgestaltet werden soll und in welchem Tempo er erfolgt. Gegenwärtig können die meisten alternativen Techniken der Energieumwandlung noch nicht mit der Wirtschaftlichkeit konventioneller Umwandlungstechniken mithalten. Der Strukturwandel wird Jahrzehnte dauern. Die Politik darf nicht überhastet vorgehen.

Nötig ist eine rationale Energiepolitik. Es muss verstärkt darum gehen, die weltweite Verbrei-tung von Energieeffi zienztechnik zu beschleunigen, also die Chancen einer intelligenteren Nut-zung von Energie zu ergreifen. Die Politik sollte ihre Aufmerksamkeit nicht allein Fragen der Energiegewinnung oder gar der Stromproduktion widmen.

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Nötig ist auch eine stetige Energiepolitik ohne fi skalische Motive. Die staatlich verursachten hohen Energiekosten in Deutschland sind einer von mehreren Faktoren, die es seit Jahren we-niger attraktiv machen, Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen im Inland vorzunehmen und industrielle Arbeitsplätze zu erhalten. Die Politik sollte energieintensive Unternehmen nicht weiter oder gar zusätzlich durch Energiepreissteigerungen im globalen Wettbewerb benachtei-ligen.

Der Strukturwandel in der Energieversorgung wird mit Kosten in der Gegenwart einhergehen. Die Wirtschaft plädiert für eine off ene Anfangsbilanz. Alle Akteure – Politik, Energieverbrau-cher, Energieanbieter, Umweltverbände – sollten die Kosten der jeweiligen Pfade zur Erreichung ihrer energiepolitischen Ziele off en legen und sich dann – vor dem Hintergrund des energie-wirtschaftlichen Zieldreiecks – einer gesellschaftlichen Debatte über das Pro und Contra der verschiedenen Pfade stellen.

Die VhU beschreibt im Folgenden ihre energiepolitischen Grundpositionen zugunsten einer marktwirtschaftlich orientierten Energiepolitik. Wir fordern die Politik in Europa, im Bund und im Land auf, in der Energiepolitik diese Grundpositionen zu berücksichtigen und für ihre Um-setzung einzutreten.

Der Text ist folgendermaßen gegliedert: Im Kapitel 3 wird mit zahlreichen Tabellen und Abbil-dungen die Ausgangslage der Energieversorgung in Deutschland quantitativ dargestellt. Die ökologische Herausforderung durch den Klimawandel wird beschrieben. Die anschließenden Kapitel haben einen überwiegend normativen Inhalt.

Das Kapitel 4 „Ziele und Grundsätze“ erläutert die ordnungstheoretischen Annahmen sowie Ableitungen für das Verhältnis Staat und Marktakteure. Daraus ergeben sich die wirtschafts-politischen Empfehlungen für eine Konzeption einer marktwirtschaftlichen Energiepolitik und die Rechtfertigungen für staatliches Handeln zur Schaff ung von umwelt-, wettbewerbs- und technologiepolitischen Rahmenbedingungen.

In den vier weiteren Kapiteln werden die Hauptaufgaben der Energiepolitik konkretisiert. Ka-pitel 5 „Sichere Energieversorgung gewährleisten“ erläutert den Handlungsbedarf in der Ener-

Prof. Dieter Weidemann

PräsidentVereinigung der hessischenUnternehmerverbände e. V. (VhU)

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giegewinnung mit einem Schwerpunkt auf dem Kraftwerkspark, den erneuerbaren Energien und den Stromnetzen.

Im 6. Kapitel „Durch höhere Energieeffi zienz Verbrauch und Kosten senken“ wird der Energiepo-litik ein Strategiewechsel empfohlen, um den Focus verstärkt auf Fragen der effi zienten Nutzung von Energie und nicht länger vorwiegend auf die Gewinnung von Energie oder gar nur Strom zu richten. Effi zienzsteigerungspotenziale in Unternehmen, Privathaushalten und Verkehr werden erläutert. Soweit möglich wird das Einsparpotenzial beim Energieverbrauch oder bei den Kos-ten für Energie beziff ert.

In Kapitel 7 „Staatlich bedingte Verteuerungen von Energie abbauen“ geht es um die Entlas-tung von im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen. Die Stromsteuer sollte nicht erhöht, sondern abgeschaff t werden, wozu ein Vorschlag zur budgetneutralen Gegenfi nanzie-rung gemacht wird. Ferner wird die rasche Beendigung der Neugewährung von EEG-Subventio-nen vorgeschlagen. Schließlich wird vor der Gefahr von Strompreissteigerungen in Folge einer zusätzlichen Verknappung der EU-weiten Menge an CO2-Emissionszertifi katen gewarnt.

Das letzte Kapitel 8 beschreibt den Handlungsbedarf für eine bessere Klimapolitik. Ohne welt-weit bindendes Klimaschutzabkommen sind in Europa und Deutschland eine weitere Verknap-pung der Treibhausgasemissionen sowie eine Verschärfung der klimapolitischen Rahmenbedin-gungen aus standortpolitischen Gründen nicht akzeptabel. In der europäischen und deutschen Klimapolitik wird ein umfassendes System zur Begrenzung von Treibhausgasemissionen und zum Handel mit Emissionszertifi katen anstelle vieler parallel eingesetzter, ineffi zienter Instru-mente, die abgeschaff t werden können, befürwortet.

Prof. Dieter Weidemann Volker Fasbender

Präsident der VhU Hauptgeschäftsführer der VhU

Volker Fasbender

HauptgeschäftsführerVereinigung der hessischenUnternehmerverbände e. V. (VhU)

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ZUSAMMENFASSUNG

Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände begrüßt den Strukturwandel in der Ener-gieversorgung in Hessen und Deutschland mit sinkendem Energieverbrauch, breitem Energie-trägermix und höherer Effi zienz des Energieeinsatzes.

Die langfristige Energiewende hin zur Versorgung auf Basis erneuerbarer Energien ist energie-wirtschaftlich wegen der Endlichkeit fossiler Energieträger und umweltpolitisch zur Vermeidung von Treibhaugasemissionen ohne Alternative. Wirtschafts- und technologiepolitisch bietet die technikgetriebene Energiewende dem Hochtechnologieland Deutschland große Chancen, seine Exporterfolge auszubauen.

Der Wandel der Energieversorgung wird allerdings Jahrzehnte dauern. Das komplexe und leis-tungsfähige Energieversorgungssystem in Deutschland kann und darf sich nur so schnell weiter entwickeln, dass zu keinem Zeitpunkt die Versorgungssicherheit und bezahlbare Energiepreise in Frage gestellt sind. Gas, Öl und Kohle haben derzeit einen Anteil von 80 Prozent am Primär-energieverbrauch. Sie sichern die Bereitstellung von Wärme, Kraftstoff en und Elektrizität für Bürger und Unternehmen.

Im Rahmen der Energiewende sind Korrekturen an der Energiepolitik nötig. Seit Jahren steigt die Kostenbelastung für Bürger und Unternehmen, weil der Staat Energie verteuert. Die staat-lich bedingten Verteuerungen von Strom – insb. durch EEG, Stromsteuer, CO2-Handel, KWKG – haben sich seit 1998 von 2,3 auf 22 Mrd. Euro verzehnfacht! Wegen des Anstiegs der EEG-Ein-speisevergütungen steigen sie in 2011 auf 27 Mrd. Euro. Der Staat verursacht so fast die Hälfte der Stromkosten der Letztverbraucher in Deutschland. Am meisten belastet sind nach wie vor die Kraftstoff e im Verkehr mit weit über 40 Mrd. Euro pro Jahr. Diese staatlich bedingten Ver-teuerungen werden zwar überwiegend ökologisch etikettiert. Sie sind aber für die Umwelt- und Klimapolitik weitgehend wirkungslos. Es dominieren Fiskalinteressen.

Leider fehlen im Energiekonzept der Bundesregierung konkrete Aussagen, wie und wann das selbst formulierte Ziel „bezahlbarer“ Energie erreicht werden soll. Stattdessen setzt die Politik eine neue Kostenwelle zu Lasten von Unternehmen und Bürgern in Gang und erhöht obendrein die Strom- und Energiesteuern.

Die VhU fordert die Politik in Europa, Deutschland und Hessen auf, die Rahmenbedingun-

gen der Energieversorgung so zu verbessern, dass Energie nicht nur umweltverträglich,

sondern vor allem zu möglichst niedrigen Preisen bereit gestellt wird und rund um die Uhr

sicher verfügbar bleibt.

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Die Energiepolitik soll einer marktwirtschaftlichen Konzeption folgen und industriepolitische Steuerungsversuche unterlassen. Sie muss so viel Wettbewerb wie möglich gewährleisten und staatliche und kommunale Marktinterventionen minimieren.

Umwelt- und wettbewerbspolitische Ziele werden am besten durch verlässliche Rahmenbedin-gungen verwirklicht. Für technologiepolitische Ziele, wie z. B. die Marktdurchdringung ener-gie-intelligenter Techniken, sind befristete Förderprogramme, wie sie das Energiekonzept der Bundesregierung vorsieht, geeignete Instrumente.

Die Energiepolitik hat vier Hauptaufgaben zu erledigen: 1. Sichere Energieversorgung gewährleisten2. Durch höhere Energieeffi zienz Verbrauch und Kosten senken 3. Staatlich bedingte Verteuerungen von Energie abbauen4. Mehr Rationalität in der Klimapolitik

2.1 Sichere Energieversorgung gewährleisten

An erster Stelle steht die Versorgungssicherheit mit Energie rund um die Uhr.

Die Energiepolitik sollte sich nicht vorwiegend auf Fragen der Stromerzeugung oder gar der Kernkraft konzentrieren, sondern alle Nutzungspfade und besonders die größeren Anwen-dungsarten wie Verkehr, Raumbeheizung und Prozesswärme in den Blick nehmen. Hier besteht auf viele Jahre ein Bedarf an fossilen Energieträgern.

Noch mehrere Jahrzehnte wird Deutschland seinen Energiebedarf überwiegend auf Basis von Gas, Öl und Kohle decken müssen.

Um etwa bis zur Mitte des Jahrhunderts eine Energieversorgung mit nur noch einem geringen Anteil an fossilen Energieträgern zu erreichen, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien fortgesetzt werden. Jedoch darf der Ausbau der Stromerzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energien nicht weiter die Wirtschaftlichkeit von Grundlastkraftwerken gefährden.

Der Bau neuer, effi zienter Kohle- und Gaskraftwerke sowie die Verlängerung der Laufzeiten

der Kernkraftwerke sind nötig, um einen anderenfalls drohenden starken Strompreisanstieg zu vermeiden und um den Bedarf an Stromimporten zu begrenzen. Die Endlagerung von Atom-abfall ist einer nachhaltigen Lösung zuzuführen.

Klimapolitisch ist ein Verzicht auf die Begrenzung der Laufzeiten der Kernkraftwerke wün-schenswert, weil anderenfalls mehr fossile Brennstoff e verstromt werden. Abscheidung und

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Speicherung von CO2 (CCS) sind voran zu bringen, um die jährlichen weltweiten Emissionen von mehr als 31 Mrd. Tonnen Kohlendioxid in den Griff bekommen zu können.

Nötig ist der Ausbau der Stromnetze – insbesondere zur Anbindung der Stromerzeugung aus Windkraft im Norden an die Verbrauchsschwerpunkte im Westen und Süden Deutschlands. Fer-ner müssen die Netze zu intelligenten Stromnetzen aufgerüstet werden.

Schließlich sind ausreichend Energiespeicher zu schaff en, um die Fluktuationen in der Strom-erzeugung aus Sonne und Wind zu kompensieren, etwa durch Pumpspeicheranlagen oder einen Ausbau der Stromerzeugung aus speicherbarer Biomasse und Biogas. Zur Lösung der Netz- und Speicherproblematik ist ein mindestens paneuropäisch ausgerichtetes Konzept erforderlich.

Eine steuerliche Förderung von Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen sollte in Deutschland – wie im Koalitionsvertrag vorgesehen – rasch eingeführt werden. Zusätzlich sind technologieoff ene Förderprogramme in den Bereichen intelligente Netze, CCS und Energiespei-cher technologiepolitisch geboten und energiewirtschaftlich erforderlich.

2.2 Durch höhere Energieeffi zienz Verbrauch und Kosten senken

Zu Recht legt die Bundesregierung im Energiekonzept einen Schwerpunkt auf die weitere Stei-gerung der Energieeffi zienz.

Seit über zwei Jahrzehnten wachsen Wirtschaft und Wohlstand in Deutschland bei leicht sin-kendem Energieverbrauch. Wenn Politik, Unternehmen und Privathaushalte – soweit möglich – noch stärker auf Effi zienzsteigerungen setzen, lassen sich der spezifi sche Energieverbrauch und die Energiekosten weiter reduzieren.

Die Zielsetzung des Bundes, die Wachstumsrate der Energieproduktivität auf 2,1 Prozent zu er-höhen, ist sehr ambitioniert und geht deutlich über das in der Vergangenheit realisierte Maß hinaus. Ob sich auch der weltweite Trend eines steigenden Stromverbrauchs drehen lässt, er-scheint mehr als fraglich zu sein, weil immer mehr Anwendungen Elektrizität erfordern.

Die Erreichung der Effi zienzziele darf aber nicht durch Abwanderung deutscher Unternehmen erreicht werden – verursacht durch dirigistische ordnungspolitische Vorgaben bei der Förderung der erneuerbaren Energien, beim Klimaschutz oder bei Effi zienzstandards für die Industrie.

Bei der Umsetzung ist darauf zu achten, den Anforderungen einer modernen Volkswirtschaft Rechnung zu tragen. Insbesondere bei der geplanten Verdopplung der Sanierungsrate im Ge-bäudebereich sind enorme Anstrengungen zur Zielerreichung zu erwarten. Umso wichtiger wird es sein, die geplanten Maßnahmen sinnvoll aufeinander abzustimmen und damit größtmögliche

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Wirksamkeit zu erzielen. Eigenverantwortung von Unternehmen und Bürgern statt Bürokratie oder Eingriff in Eigentumsrechte, sind der richtige Weg zur Effi zienzsteigerung. Grundsätzlich ist bei allen Maßnahmen auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu achten. Dies gilt auch für das Instrument des Energieeffi zienzfonds.

Öff entlich geförderte Modellprojekte innovativer Techniken und unterstützte Kampagnen zur Information von Privathaushalten und Unternehmen über innovative Techniken zur Effi zienz-steigerung sind zwar notwendig, haben sich aber als nicht ausreichend erwiesen. Für eine ra-schere Marktdurchdringung energie-intelligenter innovativer Techniken sind befristete Förder-programme gesamtwirtschaftlich sinnvoll.

VhU-Energieforum am Hessischen Tag der Nachhaltigkeit

Wiesbaden. Für Klimaschutz aber gegen steigende Energiekosten sprach sich die Vereini-gung Hessischer Unternehmerverbände (VhU) beim 1. VhU-Energieforum im Sept. 2010 in Wiesbaden aus. Die Unternehmer forderten Bund und Land dazu auf, die Energiepreise durch das Energiekonzept nicht zusätzlich zu verteuern, sondern in der Energie- und Klimapolitik stärker als bisher auf die Senkung des Energieverbrauchs durch eine bessere Nutzung intel-ligenter Energietechniken zu setzen.

Dr. Clemens Christmann, VhU-Geschäftsführer Wirtschaftspolitik: „Weniger Energieverbrauch in Gebäuden, Verkehr und Industrie senkt die Kosten der Unternehmen und Privathaushalte ebenso wie die Treibhausgasemissionen. So werden ökologische Ziele mit höherer Kostenef-fi zienz erreicht. Zudem können die heimischen Unternehmen durch den Export intelligenter Energietechnik weltweit riesige Märkte erschließen.“

Auch Hessens Wirtschaftsminister Dieter Posch machte deutlich, dass die Wettbewerbsfähig-keit der energieintensiven Bereiche der hessischen Wirtschaft durch den Emissionshandel und die Ökosteuer nicht gefährdet werden dürfe. Da es den erneuerbaren Energien vielfach noch an Wirtschaftlichkeit mangele, forderte er von der Industrie erheblich größere An-strengungen bei Forschung und Entwicklung.

Dass die Bundesregierung im Energiekonzept keinen Abbau der staatlich bedingten Ener-gieverteuerungen vorsieht, bedauerte auch Hubertus Bardt, Leiter der Forschungsstelle Energieökonomik des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln: „Die Energiepolitik muss die Abgabenlast gerade beim Industriestrom auf ein wettbewerbsfähiges Niveau verringern, damit die energieintensiven Branchen weiter in Deutschland produzieren und investieren können.“

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Trotz erfolgreicher Abkopplung des Wirtschaftswachstums vom Energieverbrauch in Deutsch-land existieren in den meisten Unternehmen weiterhin große Potenziale zur Effi zienzsteige-rung in den Bereichen Prozess- und Fertigungsautomation, elektrische Antriebe, Industriebe-leuchtung und Gebäudeautomation sowie Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung oder der Nutzung von Abwärme zu Heizzwecken.

In privaten und öff entlichen Gebäuden liegen noch größere Effi zienzsteigerungsreserven. Sie sind zu heben durch die energetische Sanierung von Gebäuden, intelligente Elektroinstalla-tion, moderne Heizungsanlagentechnik mit hocheffi zienten Umwälzpumpen, energiesparende Haushaltsgeräte und innovative Beleuchtungen.

Im Verkehrssektor bieten innovative Antriebssysteme große Chancen für mehr Energieeffi zienz, etwa durch Elektromobilität oder den Einsatz von Brennstoff zellen.

So meistern Unternehmen die Energiekosten:

BEISPIEL 1: Hörmann Automotive in Ginsheim-Gustavsburg:

Das Unternehmen entwickelt und produziert mit seinen 870 Mitarbeitern hochwertige Chas-sis-, Karosserie- und Anbauteile für die LKW- und PKW-Fertigung, von Fahrerhauskabinen und komplexen Schweißbaugruppierungen bis zu meterlangen Rahmenlängsträgern für Schwerlasttransporter. Hörmann gilt als Technologieführer für Nutzfahrzeugrahmen.

Seit 150 Jahren wird am Standort produziert. Rund 35 Millionen Euro wurden in den letzten Jahren in neue Technologien und Fertigungsabläufe investiert. Kernstück der Produktion ist ein Presswerk mit verketteten Automationen bis zu sechs Pressen und Presskräften bis zu 5.000 Tonnen.

Die Aufwendungen für die Energie sind der drittgrößte Kostenblock des Betriebes, nach den Ausgaben für Einsatzmaterialien wie Stahl und für Personal. Systematisch wird daran gearbeitet, den Energieverbrauch wo immer möglich zu reduzieren: von der Änderung der Hallenbeleuchtung über die Dachsanierung und neue Heiztechnik bis zur Optimierung von Produktionsprozessen und die Nutzung der Prozessabwärme zur Wärmerückgewinnung.

Dennoch steigen die Energiekosten rasant. Im Geschäftsjahr 2006 wurden für Energie rund 820 Tausend Euro ausgegeben. Für 2011 sind 1,7 Millionen Euro eingeplant, bei gleichem Verbrauch. „Die Herstellkosten sind in diesen 5 Jahren um 44 Prozent gestiegen, die Kosten für Steuern und Abgaben sogar um 250 Prozent“, bedauert Geschäftsführer Andreas Meyer und ergänzt: „An diesen Vergleichszahlen sieht man sofort, welche Mehrbelastung für die Energiebeschaff ung ein Betrieb unserer Größenordnung stemmen muss. Hier brauchen wir dringend Entlastung und keine Mehrbelastung.“

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2.3 Staatlich bedingte Verteuerungen von Energie abbauen

Der Staat muss aufhören, Energie direkt und indirekt zu verteuern! Die EEG-Einspeisevergü-

tungen sollten schneller verringert werden. So rasch wie möglich, spätestens ab dem Jahr 2020 sollten diese Subventionen aus den Taschen der meisten privaten, gewerblichen und industriel-len Stromverbraucher nicht mehr neu gewährt werden. Im Jahr 2010 belastet das EEG die Strom-kunden mit 8,2 Mrd. Euro pro Jahr über dem Marktpreis – für 2011 ist sogar mit rund 13 Mrd. Euro zu rechnen. Die Vorschläge im Energiekonzept der Bundesregierung zur Marktintegration der erneuerbaren Energien sind zu vage. Es fehlt das Ziel, die EEG-Subventionen rasch abzubauen.

Kurzfristig ist es unabdingbar, die besondere Ausgleichsregelung im Rahmen des EEG (sog. Här-tefallregelung) beizubehalten, mittelstandsfreundlicher zu gestalten und die Belastungen der Verbraucher durch die EEG-Umlage insgesamt zu begrenzen. Voraussetzung hierfür ist, dass die direkten und indirekten Kosten der Förderung der erneuerbaren Energien (z. B. Netzausbau-, Netzanschluss- und Veredelungskosten beim EEG) transparent ausgewiesen und in die Belas-tungsbegrenzungen einbezogen werden.

Dank der zukünftigen Mehreinnahmen aus der Versteigerung der CO2-Emissionszertifi kate an die Stromerzeuger kann der Bund Belastungen von Bürgern und Unternehmen im Energiesek-tor ohne eigene Einnahmeverluste beseitigen. Ein Teil der Versteigerungserlöse des Bundes sollte für die Kompensation emissionshandelsbedingter Erhöhungen der Industriestrompreise genutzt werden. Zudem sollte die ökologisch weitgehend ineff ektive Stromsteuer abgeschaff t werden, was die Stromverbraucher um 6 Mrd. Euro pro Jahr entlastet. Solange es die Stromsteu-er gibt, sind die Entlastungsregeln für im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen standortpolitisch erforderlich und sollten hier, wie auch bei der Energiesteuer, nicht verringert werden. Sie wurden eingeführt, um die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Unterneh-men nicht zu gefährden.

Leider plant der Bund das Gegenteil: Er will die Strom- und Energiesteuern im Jahr 2011 anhe-ben und die Einnahmen der CO2-Zertifi kateversteigerung überwiegend für neue Staatsausga-ben verwenden.

So meistern Unternehmen die Energiekosten:

BEISPIEL2: Herborner Pumpenfabrik in Herborn

Herborn. Der traditionsreiche Familienbetrieb (135 Jahre alt, 150 Mitarbeiter, 17 Millionen Euro Umsatz in 2009) entwickelt und produziert Pumpen für Schwimmbäder, die kommu-nale Ver- und Entsorgung, die Industrie und den Anlagenbau. Für die Abwassertechnik auf Schiff en gilt das Unternehmen als Weltmarktführer. Viele der Pumpen gelten als besonders umweltfreundlich und ressourcenschonend.

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2.4 Mehr Rationalität in der Klimapolitik

Nach dem Scheitern der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 ist nicht davon auszugehen, dass sich in naher Zukunft mehr Staaten verpfl ichten, deutlich weniger Treibhausgase als bisher zu emittieren. Dies gilt insbesondere für die USA, China und Indien. Allein die Emissionsstei-gerungen in China bis 2020 übersteigen die bis dahin zugesagten weltweiten Minderungen der jährlichen Emissionen um 2,4 Mrd. t, die an sich recht klein sind im Verhältnis zum weltweiten

Ausstoß an CO2 von 31,5 Mrd. t pro Jahr.

Die deutsche Politik sollte nicht länger klimapolitische Illusionen erzeugen. Sie sollte aufhö-ren zu suggerieren, innerhalb Deutschlands (0,9 Mrd. t Emissionen pro Jahr) oder gar Hessens (0,05 Mrd. t pro Jahr) könne ein signifi kanter Beitrag zur Reduktion des globalen Treibhausgas-ausstoßes geleistet werden, während rund um den Globus die Emissionen wachsen.

Die Klimapolitik muss die Globalität der ökologischen und ökonomischen Herausforderung be-achten! Nötig bleibt ein internationales Klimaabkommen mit weltweit bindenden Reduktions-verpfl ichten für den Treibhausgasausstoß. Das CO2-Minderungsziel der EU darf nicht einsei-

tig verschärft werden.

Herzstück aller Pumpen sind Gusseisenteile, die in der eigenen Gießerei hergestellt werden. Und genau dort wird der Löwenanteil der im Unternehmen benötigten Energie verbraucht. 2009 wurden so insgesamt über 200.000 Kubikmeter Gas, 130 Tausend Liter Heizöl und mehr als eine Million Kilowattstunden Strom eingekauft.

„Knapp 5 Prozent unseres Umsatzes geben wir pro Jahr für Energie aus und obwohl wir per-manent sparen befürchten wir, dass uns die Kosten hier einfach davon laufen“, so Geschäfts-führer Wolfram Kuhn.

Bereits vor zwei Jahren nahm die Pumpenfabrik teil am PIUS-Projekt (PIUS steht für pro-duktionsintegrierter Umweltschutz), einem Beratungsprogramm der hessischen Landesre-gierung. Es hilft kleinen und mittleren Unternehmen, Einsparpotenziale zu fi nden, um den Energieverbrauch und damit Kosten zu senken. „Wir sind dabei, alle Vorschläge umzusetzen, um uns weiter gegen den internationalen Wettbewerb behaupten zu können, der zu viel günstigeren Bedingungen seine Energie einkaufen kann“, so Kuhn.

Noch mehr Belastungen sind für ihn undenkbar: „Jeder spart, wo es nur geht. Noch mehr Druck von Seiten der Politik gefährdet nur Arbeitsplätze.“

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In der europäischen, nationalen und landespolitischen Klimapolitik sollte der Instrumenten-kasten an Aufl agen, Abgaben und Fördersätzen entrümpelt werden und durch ein umfassendes System zur Begrenzung von Treibhausgasemissionen und zum Handel mit Emissionszer-

tifi katen („cap and trade system“) ersetzt werden – bei gleichzeitigem Wegfall bestehender Belastungen durch Steuern.

Zur Verringerung der CO2-Emissionen und der Energiekosten sollte die Politik – neben dem Aus-bau der erneuerbaren Energien – stärker als bisher auf die Reduktion des Energieverbrauchs durch höhere Energieeffi zienz setzen: hierzulande und weltweit. Dies kann und muss ohne ver-pfl ichtende, bürokratische und kostentreibende Vorgaben erfolgen.

Den Schwerpunkt der Klimapolitik sollte die Politik darauf legen, innovative Technik zur Ef-

fi zienzsteigerung der Erzeugung, Verteilung und Nutzung von Energie in Deutschland

erfolgreich anzuwenden und weltweit zu verbreiten. Nötig ist eine technologieorientierte Klimapolitik!

Die Unternehmen stehen hierzu als Partner bereit.

So meistern Unternehmen die Energiekosten:

BEISPIEL3: Schöller Electronics in Wetter

Die Schoeller-Electronics GmbH ist mit 265 Mitarbeitern und einem für 2010 erwarteten Jah-resumsatz von 30 Millionen Euro einer der führenden Leiterplattenhersteller in Europa. Das Unternehmen sieht sich als Entwicklungsmotor der Branche. Nach zwei turbulenten Jahren mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ist es jetzt wieder in ruhigerem Fahrwasser.

Vor allem, wenn es kompliziert wird, wenn Leiterplatten sich in alle Richtungen biegen und formen lassen sollen, sind die Spezialisten aus Wetter gefragt. Hauptabnehmer sind die Be-reiche Medizin, Luft- & Raumfahrt, Industrieelektronik, Telekommunikations- und Automo-tive-Industrie.

Für sie wird in vollklimatisierten Räumen produziert. „Wir müssen im Sommer kühlen, im Winter heizen und brauchen deshalb verhältnismäßig viel Energie“, erläutert Geschäftsfüh-rer Wolfgang Winkelmann. Allein für Heizöl gibt er jedes Jahr rund 2 Millionen Euro aus. Hinzu kommen weitere 1,5 Millionen Euro für Strom.

„Energiesparen ist bei uns ein Riesenthema, dem wir ein eigenes Projekt gewidmet haben, um Alternativen zu suchen und umzusetzen“, erläutert Winkelmann. Schon jetzt ist der Druck groß. Denn bis zu 30 Prozent des Umsatzes erzielt Schöller Electronics in Asien. „Wir punkten mit Technologie und hoher Qualität. Dann darf es auch mehr kosten, aber eben nur in ganz engen Grenzen und die lassen noch höhere Energiekosten nicht mehr zu.“

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ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE AUSGANGSLAGE

Grundlage einer rationalen Wirtschafts- und Umweltpolitik sind valide und relevante Daten. Das gilt auch für die Energiepolitik. Diese nötigen Daten sind heutzutage so gut vorhanden und so einfach verfügbar wie nie zuvor. Sie werden aber zu wenig wahrgenommen. Aus Sicht der Wirtschaft rührt ein Teil des Änderungsbedarfs in der Energiepolitik daher, dass in der Politik und in öff entlichen Diskussionen Grunddaten der Energieversorgung nur unzureichend berück-sichtigt werden.

Beispielsweise wird viel über die Gewinnung von Energie und wenig über die Formen der Nutzung von Energie diskutiert. Und es wird – gerade unter klimapolitischen Vorzeichen – sehr viel über Elektrizität gesprochen, obwohl gegenwärtig vier Fünftel des Endenergieverbrauchs nicht in Form von Strom genutzt wird und auch die Emissionen an Treibhausgasen überwiegend aus anderen Nutzungspfaden stammen. Öl, Gas und Kohle müssen in jeder Hinsicht mehr beachtet werden.

Generell sollten sich die Energiepolitik und die öff entliche Diskussion stärker mit den Fakten der Gegenwart in Kilowattstunden, Emissionstonnen und Kosten in Euro und Cent beschäftigen statt ständig neue Prozentangaben für Energieträgeranteile in Zukunftsszenarien zu erfi nden. Solche Festlegungen sind meist viel zu kleinteilig und losgelöst von realistischen energiewirt-schaftlichen Grundannahmen.

Mit diesem Kapitel über die energiewirtschaftliche Ausgangslage wird eine statistische Fakten-basis für die folgenden politischen Bewertungen geschaff en. Es geht zunächst um den Primär-energieeinsatz und die daraus durch Umwandlung gewonnene und nutzbare Endenergie. Nach einer Betrachtung der Stromversorgung und der erneuerbaren Energien werden die Kosten und Preise von Energie, insbesondere von Erdgas und Strom beleuchtet. Schließlich wird die aktuel-le ökologische Herausforderung der Verringerung von Treibhausgasemissionen skizziert.

3.1 Energieversorgung

3.1.1 Primärenergieverbrauch

Anders als in vielen vergleichbaren Ländern sinkt der Energieverbrauch in Deutschland seit Be-ginn der 90er Jahre trotz wirtschaftlichen Wachstums. Ursache der fortschreitenden Entkopp-lung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch sind der technologische Fortschritt in der Energiewirtschaft, die rationellere Energienutzung insbesondere in den Unternehmen und die Veränderung der Wirtschaftsstrukturen.

3

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Engergiewende – ohne staatliche Verteuerung | Grundpositionen der hessischen Wirtschaft zur Energiepolitik

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Der Primärenergieverbrauch in Deutschland betrug 2009 insgesamt 3.722 Mrd. Kilowatt-stunden (kWh) oder 13.398 Petajoule (PJ) oder 457,1 Mio. t Steinkohleeinheiten (SKE) und erreichte das niedrigste Niveau in Deutschland seit den siebziger Jahren. Der Stromverbrauch in Deutschland hingegen steigt – seit 1990 um rund ein Siebtel auf 582,5 Mrd. kWh in 2009. Siehe dazu auf Seite 141 Tabelle 21: Umrechnung der Energieeinheiten PJ, TWh und SKE sowie Tabelle 22: Größen und Einheiten in der Energieversorgung.

Trotz des dramatischen Rückgangs der gesamtwirtschaftlichen Leistung im Jahr 2009 um 5 Pro-zent stiegen erneut sowohl die Energieproduktivität als auch die Stromproduktivität der deutschen Volkswirtschaft. Die deutsche Wirtschaft erzeugt seit vielen Jahren mit immer we-niger Energieinput eine tendenziell steigende Menge an Gütern und Dienstleistungen. (AGEB (2010a), S. 6).

Tabelle 1: Primärenergieverbrauch sinkt und gesamtwirtschaftliche Energie- und Strom-

produktivitäten wachsen seit 1990 in Deutschland

Einheit 1990 1995 2000 2005 2009

Primärenergieverbrauch Petajoule 14.905 14.269 14.401 14.537 13.398

Energieproduktivität* Euro/GJ 115,4 130,9 143,2 146,1 161,9

Bruttostromverbrauch* Mrd. kWh 550,7 540,1 579,6 612,1 582,5

Stromproduktivität* Euro/kWh 3,12 3,46 3,56 3,47 3,71

BIP preisbereinigt Mrd. Euro 1.719 1.867 2.063 2.125 2.161

Quellen: AGEB (2010b), Blatt 1 und AGEB (2010a), S. 6.

Zerlegt man die Veränderungen des Primärenergieverbrauchs der vergangenen zwei Jahrzehnte in seine Komponenten, wird – unter Berücksichtigung von Temperatur- und Lagerbestandsbe-reinigungen – sichtbar, dass die energieverbrauchssteigernde Wirkung des größeren BIP von der sinkenden Energieintensität deutlich übertroff en wurde: So beläuft sich die Einkommens-komponente in Folge des höheren BIP je Einwohner auf ein Verbrauchs-Plus von rund 2.900 PJ. Hinzu kommt die demographische Komponente mit einem Plus von rund 400 PJ. Demgegenüber sank jedoch die Energieintensität drastisch, was eine Minus-Komponente von rund 5.000 PJ ausmacht. Im Ergebnis war der Primärenergieverbrauch im Jahre 2009 im Vergleich zu 1990 um rund 1.500 PJ oder um gut ein Zehntel niedriger. (Vgl. AGEB (2010a), S. 7).

Seit Jahrzehnten basiert die Energieversorgung Deutschlands auf fossilen Energieträgern. Sie machen 80 Prozent des Primärenergieverbrauchs aus. Ein Fünftel stammt aus Kernkraft und erneuerbaren Energien. Nach wie vor ist Mineralöl mit einem Anteil von gut einem Drittel der wichtigste Primärenergieträger, gefolgt vom Erdgas mit gut einem Fünftel. Braunkohle, Stein-

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Motor für Reform

kohle und Kernenergie kommen jeweils auf gut ein Zehntel. Erneuerbare Energiequellen tragen knapp ein Zehntel bei.

Während in den 1970er Jahren Mineralöl noch für mehr als die Hälfte des Primärenergiever-

brauchs die Basis war, sank der Anteil vor allem wegen des stärkeren Einsatzes von Erdgas im Heizungsbereich auf das heutige Niveau. Da die deutsche Rohölförderung seit Jahren konstant weniger als 3 Prozent des Rohöleinsatzes in Raffi nerien ausmacht, müssen erhebliche Rohölim-porte getätigt werden (98,2 Mio. t in 2009). Das wichtigste Lieferland ist Russland. Sein Anteil an den gesamten Rohölimporten beträgt 35 Prozent (2009). Es folgen Norwegen (14 Prozent), Großbritannien (11 Prozent), Libyen (8 Prozent) und Kasachstan (7 Prozent). Die OPEC-Staaten haben einen Anteil von 20 Prozent. (Vgl. AGEB (2010a), S. 11).

Tabelle 2: Primärenergieverbrauch nach Energieträgern in Deutschland 2009

Energieträger PetajouleMio. Tonnen

SteinkohleeinheitenMrd.

KilowattstundenAnteile

Mineralöl 4.670 159,3 1.297 34,9%

Erdgas 2.937 100,2 816 21,9%

Steinkohle 1.474 50,3 409 11,0%

Braunkohle 1.508 51,5 419 11,3%

Kernenergie 1.472 50,2 409 11,0%

Erneuerbare Energien 1.163 39,7 323 8,7%

Sonstige inkl. Stromaußenhandel 174 5,9 48 1,2%

Insgesamt 13.398 457,1 3.722 100%

Quellen: AGEB (2010b), Blatt 1 und eigene Berechnungen.

Der Erdgas-Anteil am Primärenergieverbrauch ist seit 1990 von 15 auf knapp 22 Prozent ge-stiegen. Das Aufkommen an Erdgas basiert zu knapp einem Achtel (13 Prozent) auf deutscher Förderung und zu 87 Prozent auf Einfuhren. Wichtigste Lieferländer mit je knapp einem Drittel Anteil sind Russland (32 Prozent in 2009) und Norwegen (29 Prozent). Die Niederlande kom-men auf 20 Prozent. In der Zukunft ist für Deutschland auch die Einfuhr von Erdgas aus Ländern denkbar, mit denen Deutschland nicht über Erdgaspipelines verbunden ist. Möglich wird dies durch den Transport von Flüssig-Erdgas (LNG) in speziellen Tankschiff en. Mögliche Lieferländer sind zum Beispiel Katar, Nigeria oder Ägypten.

Seit 1990 hat sich der Anteil von Braunkohle am Primärenergieverbrauch fast halbiert – er be-trägt jetzt 11,3 Prozent. Die in Deutschland eingesetzte Braunkohle wird weiterhin ausschließ-lich im Inland gewonnen. Sie wird überwiegend für die Erzeugung von Strom und Fernwärme genutzt.

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Der Anteil von Steinkohle ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur leicht gesunken. Steinkohle muss zu drei Vierteln importiert werden: 37,4 Mio. t SKE Importe bei einem Primär-energieverbrauch von 50,3 Mio. t STK. Die anteilsmäßig bedeutendsten Herkunftsländer sind Russland (25 Prozent), Südafrika (15 Prozent), Kolumbien und die USA mit jeweils 13 Prozent sowie Polen und Australien mit 11 bzw. 10 Prozent. Die Verringerung des heimischen, subven-tionierten Steinkohlenbergbaus gemäß Steinkohlenfi nanzierungsgesetz verläuft planmäßig: 2009 sank die Förderung auf 14,2 Mio. t SKE. 1990 lag der Beitrag der inländischen Steinkohle noch bei 90 Prozent in Deutschland eingesetzten Steinkohle (Vgl. AGEB (2010a), S. 14 ff .).

Deutschland ist zur Deckung des Energiebedarfs zu gut 70 Prozent auf den Import von Ener-

gieträgern angewiesen (Energieträger sind alle Quellen oder Stoff e, in denen Energie mecha-nisch, thermisch, chemisch oder physikalisch gespeichert ist). Im Inland konnten 2009 ledig-lich 29 Prozent (3.913 PJ) der gesamten Primärenergie gewonnen werden.

Tabelle 3: Gewinnung von Primärenergie im Inland

Energieträger 1990 1995 2000 2005 2009

PJ PJ PJ PJ PJ

Braunkohle 3.142 1.711 1.528 1.611 1.527

Steinkohle 2.089 1.595 1.012 756 418

Erdgas 563 607 638 597 460

Mineralöl 156 125 131 153 120

Erneuerbare Energien 769 1.163

Sonst. Energieträger* 222 225

Insgesamt 6.224 4.328 3.793 4.108 3.913

Quelle: AGEB (2010a), S. 8 sowie AGEB (2010b), Blatt 1. Zum Vergleich: Primärenergieverbrauch, im Jahr 2009 13.398 PJ. * Sonstige Energieträger: Grubengas, Nichterneuerbare Abfälle und Abwärme u. a.

3.1.2 Endenergieverbrauch

Gesamtwirtschaftlich und in ökologischer Hinsicht ist der Primärenergieverbrauch als umfas-sendste Größe zur Messung des Energieeinsatzes relevant. Aus Sicht der Energieverbraucher hingegen ist in erster Linie diejenige Energie von Interesse, die für sie tatsächlich verfügbar ist. Im Verlauf der energiewirtschaftlichen Wertschöpfungskette von der Gewinnung von Ener-gieträgern bis hin zur Energiebereitstellung bei Endkunden kommt es zu verschiedenen Ener-gieverlusten während der Umwandlung und anderen Minderungen der Menge an Energie. Es verbleibt die Größe Endenergieverbrauch.

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Motor für Reform

Weitere, in Tabelle 4 nicht ausgewiesene Verluste entstehen bei der Bereitstellung der benö-tigten Nutzenergie, z.B. erzeugen der Motor im Auto nicht nur Kraft und die Glühbirne nicht nur Licht, sondern beide auch Wärme, die verloren geht. Solche Verluste machen immerhin nochmals rund die Hälfte des Endenergieverbrauchs aus. Somit kann zur Erbringung von

Energiedienstleistungen nur rund ein Drittel des Primärenergieeinsatzes genutzt werden! (Vgl. Buttermann, Hans Georg/Nickel, Michael/Tzscheutschler, Peter/Wernicke, Ingrid (2009), S. 7).

Tabelle 4: Energiefl uss in Deutschland 2008 und 2009

2008 2009 2009

PJ PJ Anteil am PEV*

Importe 12.160 11.288

Gewinnung im Inland 4.147 3.913 29%

Bestandsentnahmen 51 60

Energieaufkommen im Inland 16.358 14.261

Export + Bunkerung -2.078 -1.864

Primärenergieverbrauch 14.280 13.398 100%

Umwandlungsverlust -3.570 -3.212 -24%

Verbrauch im Energiesektor -519 -475 -4%

Statistische Diff erenz -34 27

Nichtenergetischer Verbrauch -1.030 -1.024 -8%

Endenergieverbrauch 9.127 8.714 64%

davon:

Verkehr 2.575 2.541

Haushalte 2.502 2.497

Industrie (Übriger Bergbau/ Verarbeitendes Gewerbe) 2.646 2.265

Gewerbe, Handel, Dienstleistungen 1.404 1.411

Quelle: AGEB (2010b). * PEV = Primärenergieverbrauch.

Für die spätere wirtschaftspolitische Betrachtung und Bewertung der Kosten und Ausgaben der Energienachfrager ist von besonderem Interesse, mit welchen Energieträgern die Endenergie bereit gestellt wird und in welchen Verbrauchssektoren und Anwendungsarten sie verbraucht wird. Abbildung 1 und Tabelle 5 zeigen den Endenergieverbrauch nach Energieträgern bzw. Ver-brauchssektoren gegliedert.

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Abbildung 1: Endenergieverbrauch nach Energieträgern in Deutschland 2009

Kohle; 4,0%

Fernwärme;

5,2%

Biomasse/

Sonstiges;

6,1%

Strom; 20,7%

Erdgas/

sonst. Gase;

25,4%

Kraftstoffe/

Heizöl; 38,6%

Quelle: AGEB (2010b), Blatt 4.

Fast vier Zehntel der in Deutschland genutzten Endenergie wird in Form von Produkten auf Basis von Mineralölen (Kraftstoff e, Heizöl) bereitgestellt. Sie machen 92,9 Prozent der im Ver-kehr genutzten Energie aus. Die Dominanz des Mineralöls bringt es mit sich, dass Endenergie mehr mittels der Kraftstoff e Diesel (1.146 PJ) und Benzin (829 PJ) genutzt wird als in Form von Strom (1.801 PJ). Der Sektor Gewerbe, Handel, Dienstleistungen bezieht 22,2 Prozent seiner Energie aus Mineralölen. Einen ähnlichen Wert weisen die Privathaushalte mit 22,5 Prozent auf. In der Industrie beträgt der Mineralöl-Anteil nur 5,5 Prozent. Selbstverständlich verur-sachen Unternehmen durch Lieferverkehre hohe Mineralölverbräuche, doch werden diese dem Verkehrssektor zugerechnet

Erdgas hat einen Anteil von 23,5 Prozent am Endenergieverbrauch in Deutschland und ist damit nach Mineralöl der zweitwichtigste Energieträger hierzulande. Der Industrie (verarbeitendes Gewerbe und übriger Bergbau) liefert Erdgas 29,6 Prozent ihrer benötigten Endenergie. In den Privathaushalten und im Sektor Gewerbe, Handel, Dienstleistungen betragen die Erdgasanteile 39,3 Prozent bzw. 27,6 Prozent. Im Verkehr ist der Gasanteil minimal. (AGEB (2010b), Blätter 4, 4.1, 4.2.1, 4.2.2, 4.3.).

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Tabelle 5: Endenergieverbrauch nach Energieträgern und nach Verbrauchssektoren in

Deutschland 2009

Energieträger Gesamt

Verbrauchssektoren

IndustrieGewerbe,

Handel, Dienst-leistungen

VerkehrPrivat-

Haushalte

PJ PJ PJ PJ PJ

Kraftstoff e aus Mineralöl 2.464 100 2.361 3

Übrige Mineralölprodukte 10 10

Heizöl 888 115 213 560

Erdgas, Erdölgas und Grubengas sowie sonstige Gase

2.214 784 411 6 1.012

Kohle, Koks, Briketts 348 298 12 38

Strom inklusive Strom aus erneuerbaren Energien

1.801 759 484 58 501

Fernwärme 454 128 168 158

Nichterneuerbare Abfälle, Abwärme 64 64

Biomasse, Biokraftstoff , ern. Abfall 438 107 5 117 209

Sonstige ern. Energien (Geo-/Solarthermie, Wärmepumpen)

34 18 16

Summen 8.714 2.265 1.411 2.541 2.497

Quelle: AGEB (2010b), Blatt 4, 4.1, 4.2.1, 4.2.2 und 4.3.

Gut ein Fünftel (20,7 Prozent) der Endenergie wird in Form von Strom verbraucht. Elektrizität ist nach Mineralölen und Gasen mengenmäßig die drittwichtigste Form der Energiebereitstel-lung. Aus Perspektive der Energienachfrager in der Wirtschaft ist Strom in technischer Hinsicht besonders wertvoll und quantitativ ähnlich bedeutsam wie Öl und Gas. Die Industrie (verar-beitendes Gewerbe und übriger Bergbau) deckt 33,5 Prozent ihres Endenergieverbrauchs mit Strom, im Sektor Gewerbe, Handel, Dienstleistungen sind es 34,3 Prozent. In den Privathaus-halten beträgt der Stromanteil nur 20,1 Prozent des Endenergieverbrauchs. Lediglich 2,3 Pro-zent erreicht der Stromanteil im Verkehr – insbesondere im Schienenverkehr. (AGEB (2010b), Blätter 4, 4.1, 4.2.1, 4.2.2 und 4.3.).

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Eine weitere Darstellung des Endenergieverbrauchs abstrahiert von den Energieträgern und veranschaulicht die Verbrauchsschwerpunkte, indem Tabellen nach vier Verbrauchssektoren und nach fünf Anwendungsarten diff erenzieren:

Tabelle 6: Vier Verbrauchssektoren und ihr Anteil am Endenergieverbrauch

Verbrauchssektor

Anteil am Endenergieverbrauchin Prozent

2009 2008

Verkehr 29,2 28,2

Haushalte 28,7 27,4

Industrie (Bergbau und Verarb. Gewerbe) 26,0 29,0

Gewerbe, Handel und Dienstleistungen 16,2 15,4

Quelle: AGEB (2010b), Blätter 4, 4.1, 4.2.1, 4.2.2 und 4.3.

Die Reihenfolge Verkehr und Haushalte an der Spitze liegt nicht allein in der Rezession des Jahres 2009 begründet. Auch im Jahr 2005 ergab sich dieses Bild. Die Ursachen für diese Ent-wicklung liegen insbesondere in der zunehmenden Ausstattung der privaten Haushalte mit elektrischen Geräten, in gestiegenen Verkehrsleistungen und im relativ sparsamen Einsatz von Energie im Rahmen der Industrieproduktion.

Tabelle 7: Fünf Anwendungsarten und ihr Anteil am Endenergieverbrauch

AnwendungsartAnteil am Endenergieverbrauch

in Prozent

Mechanische Energie 41,6

Prozesswärme 28,1

Raumheizwärme 26,1

Beleuchtung 2,4

Information und Kommunikation 1,8

Quelle: Buttermann, Hans Georg/Nickel, Michael/Tzscheutschler, Peter/Wernicke, Ingrid (2009), S. 8. An-gaben für das Jahr 2007.

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Motor für Reform

Die gemeinsame Betrachtung von Verbrauchssektoren und Anwendungsarten zeigt die Ver-brauchsschwerpunkte bezogen auf den Endenergieverbrauch auf: • Der Bedarf an mechanischer Energie im Verkehr stellt mit einem Anteil von knapp 30 Prozent

am Endenergieverbrauch den größten Einzelposten dar.• Den zweiten Rang erzielte der Prozesswärmebedarf der Industrie mit einem Anteil von

19 Prozent am Endenergiebedarf.• Der dritte Verbrauchsschwerpunkt ist der Energieverbrauch zur Raumheizung in Privathaus-

halten (18 Prozent).

Ferner wird deutlich, welche Anwendungsarten in welchen Verbrauchssektoren vorherrschen (Vgl. Buttermann, Hans Georg/Nickel, Michael/Tzscheutschler, Peter/Wernicke, Ingrid (2009), S. 11. Angaben alle für 2007):• In der Industrie wird der Endenergiebedarf zu zwei Dritteln durch Prozesswärmeanwendun-

gen hervor gerufen. • Die Sektoren Privathaushalte sowie Gewerbe, Handel, Dienstleistungen sind durch den Be-

darf an Raumheizwärme mit Anteilen von knapp 70 Prozent bzw. 47 Prozent geprägt. • Im Verkehr wird fast nur mechanische Energie eingesetzt (98 Prozent).

Jedoch ist die obige Betrachtung der Endenergie in gesamtwirtschaftlicher und auch in ökolo-gischer Hinsicht unbefriedigend, weil – wie ausgeführt – rund ein Drittel des Primärenergiever-brauchs zuvor als Verluste und zur Deckung des Eigenbedarfs im Umwandlungsbereich verloren werden. Diese dürfen jedoch energie- und umweltpolitisch nicht außen vor bleiben. Um vor-rangige Zielgruppen für effi ziente und rationelle Energienutzungen zu identifi zieren, müssen diese Verluste verursachungsgerecht den vier Verbrauchssektoren und den fünf Anwendungs-arten zugewiesen werden, z. B. durch Aufteilung der Verluste von Kraftwerken, Raffi nerien und Heizwerken auf den Energiebedarf an Strom, Mineralölprodukten und Fernwärme usw. Diese erweiterte Analyse des Primärenergieverbrauchs ergibt folgendes Ergebnis:

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Tabelle 8: Anteile der vier Verbrauchssektoren und der fünf Anwendungsarten am Primär-

energieverbrauch

Anteil am Primärenergieverbrauch

in Prozent

Vier Verbrauchssektoren

Industrie 29

Haushalte 25

Verkehr 22

Gewerbe, Handel und Dienstleistungen 17

Fünf Anwendungsarten

Mechanische Energie 41

Prozesswärme 25

Raumheizwärme 20

Beleuchtung 4

Information und Kommunikation 3

Quelle: Buttermann, Hans Georg/Nickel, Michael/Tzscheutschler, Peter/Wernicke, Ingrid (2009), S. 12 f. Jeweils 7 Prozent beträgt der Anteil des nichtenergetischen, stoffl ichen Verbrauchs an Primärenergie. An-gaben für das Jahr 2007.

Im Vergleich zur Aufteilung des Endenergiebedarfs zeigt sich, dass bezogen auf den Primär-energieverbrauch die Anteile des Verkehrs und der Raumheizwärme stark sinken: von 28 auf 22 Prozent bzw. von 26 auf 20 Prozent. Die Beiträge von Beleuchtung sowie Information/Kommu-nikation bleiben von nachgeordneter Bedeutung.

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3.1.3 Stromversorgung

Elektrizität ist die qualitativ hochwertigste Form der Energiebereitstellung. Sie bietet die größ-te Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten. In Folge des technischen Fortschritts und des wirtschaft-lichen Strukturwandels wird sie weiter an Bedeutung gewinnen. Deshalb ist eine genauere Be-trachtung der elektrizitätswirtschaftlichen Daten geboten.

Die Struktur der Stromerzeugung verschiebt sich allmählich von konventionellen Energieträ-gern hin zu den Erneuerbaren. Mit knapp 58 Prozent Anteil am 2009 erzeugten Strom dominie-ren noch die fossilen Energieträger, jedoch lag ihr Anteil 1990 noch bei 65,2 Prozent. Auch der Anteil der Kernenergie ist von 27,7 Prozent in 1990 auf 22,6 Prozent gesunken. Demgegenüber stieg der Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen von 3,6 Prozent (1990) über 6,6 Prozent (2000) auf 15,6 Prozent in 2009. (Vgl. AGEB (2010a), S. 21 ff .).

Tabelle 9: Bruttostromerzeugung in Deutschland 2009

Energieträger Mrd. kWhAnteil

in Prozent

Braunkohle 146,5 24,5

Steinkohle 109,0 18,3

Erdgas 77,0 12,9

Mineralöl 12,5 2,1

Kernenergie 134,9 22,6

Erneuerbare 93,0 15,6

Sonstige 23,9 4,0

Bruttostromerzeugung 596,8 100,0

Import 40,5

Export -54,8

Brutto-Inlandsstromverbrauch 582,5

Quelle: AGEB (2010a), S. 25.

Im Jahr 2008 betrug die installierte Stromerzeugungskapazität in Deutschland 147,1 GW. Der konventionelle Kraftwerkspark besteht derzeit aus ca. 890 Kraftwerken der allgemeinen Versor-gung, ca. 350 industriellen Eigenerzeugungsanlagen sowie Tausender privat betriebener Anla-gen (Vgl. Dena (2010), S. 25). Hinzu kommen 17 Kernkraftwerke. Mit zusammen 53 Prozent ent-fi el der größte Anteil an der Stromerzeugungskapazität auf Kraftwerke, die fossile Brennstoff e verstromen. Kernkraft hatte einen Kapazitätsanteil von 14 Prozent. (Vgl. Bundesnetzagentur (2010), S. 61).

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Tabelle 10: Anlagen zur Stromerzeugung in Deutschland 2008

Gesamte Elektrizitätswirtschaft(Allgemeine Versorgung, Industrie/

Bergbau und EEG-Anlagen)

Nur allgemeine Versorgung

Kraftwerk/Anlage GW Anteil GW Anteil

Steinkohle 27,4 19% 25,3 24%

Braunkohle 20,5 14% 19,9 19%

Erdgas 23,4 16% 19,3 18%

Mineralöl 6,2 4% 5,7 5%

Kernenergie 20,5 14% 20,5 20%

Pumpspeicher 5,7 4% 5,7 5%

Lauf-/Speicherwasser 5,2 4% 4,3 4%

Wind 23,9 16% 0,2 0%

Biomasse 3,8 3% 0,5 0%

Fotovoltaik 4,8 3%

Sonstige 5,7 4% 3,1 3%

Summe 147,1 100% 104,5 100%

Quelle: Bundesnetzagentur (2009), S. 61.

Zusammen genommen erreichten konventionelle und Kernkraftwerke zwar lediglich einen An-teil von zwei Dritteln, doch unterzeichnet dieser Wert ihre energiewirtschaftliche Bedeutung. Denn Kraftwerk ist nicht gleich Kraftwerk. Aus Kosten- und Effi zienzgründen werden Kraftwerke unterschiedlich zur Stromerzeugung eingesetzt:• Kern- und Braunkohlekraftwerke erzeugen in der Grundlast – also dem rund um die Uhr

gleichbleibenden Strombedarf – knapp die Hälfte des Stroms in Deutschland. Sie machen aber, bezogen auf die Kapazität, weniger als ein Drittel des Kraftwerksparks aus, weil sich diese Kraftwerke durch eine hohe Ausnutzungsdauer und hohe Verfügbarkeit auszeichnen.

• Heizöl-Kraftwerke, Gasturbinenkraftwerke und Pumpspeicherkraftwerke, die den Bedarf bei kurzzeitigen Spitzen im Stromverbrauch decken, kommen dementsprechend seltener zum Einsatz. Diese Kraftwerke sind jedoch notwendig, um jederzeit die nachgefragten Spitzen-mengen an Strom bereitstellen zu können.

• Die Erzeugung aus Windkraft wird durch das schwankende Winddargebot bestimmt. Daher trugen 2008 Windanlagen nur 6,4 Prozent zur Stromerzeugung bei, machten aber 16 Prozent der installierten Leistung aus. Für die Zeit, in der kein Wind weht, müssen als Reserve ent-sprechende Kapazitäten in konventionellen Anlagen bereitstehen.

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Motor für Reform

Um die großen technischen Unterschiede innerhalb des deutschen Kraftwerkparks darzustel-len, werden Volllaststunden pro Jahr berechnet. Diese geben an, wie viele der 8.760 Stunden eines Kalenderjahres ein Kraftwerk bei maximaler Leistung laufen müsste, um seine maximale Produktion zu erzeugen.

Abbildung 2: Volllaststunden pro Jahr nach Kraftwerkstyp in Deutschland

890

950

1.520

1.870

3.150

3.530

3.580

5.000

6.610

7.710

8.760

0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 10.000

Photovoltaik

Pumpspeicher

Wind

Mineralöl

Erdgas

Lauf- u. Speicherwasser

Steinkohle

Biomasse

Braunkohle

Kernkraft

Stunden pro Jahr

Stunden pro Jahr

Quelle BDEW (2010), S. 19.

Die Zusammensetzung der Kapazitäten in der Stromerzeugung verändert sich seit mehreren Jahren zugunsten der Erneuerbaren. Von 1993 bis 2008 ist die installierte Leistung von Strom-erzeugungskapazitäten zur Nutzung von erneuerbaren Energien um den Faktor vier auf rund 38 GW angewachsen. Rund 15 Prozent der Kapazitäten der Kohle-, Gas- und Öl-Kraftwerke wurden im selben Zeitraum abgebaut. Auch die Kernkraftkapazitäten sinken leicht. Zudem waren am Jahresende 2009 nur 17,2 GW von insgesamt 20,5 GW Kernkraftleistung (netto) auch tatsäch-lich am Netz (Vgl. AGEB (2010a), S. 21).

Im Jahr 2008 betrug die Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), der gleichzeiti-gen Erzeugung von Strom und Wärme, rund 85 Mrd. kWh (Anlagen der allgemeinen Versorgung, der Industrie und der privaten Anlagen). Hinzu kommt die Erzeugung aus Kleinanlagen privater Betreiber, die mit fossilen Brennstoff en befeuert werden (z. B. Mini- oder Micro-BHKW). Der Anteil des in KWK erzeugten Stromes an der Gesamtnettostromerzeugung betrug 2008 rund 14 Prozent (Vgl. BDEW (2010), S. 21).

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Per Saldo deckt die heimische Produktion den Stromverbrauch in Deutschland. Der Stromau-ßenhandel ist relativ gering. Bezogen auf die Bruttostromerzeugung in Deutschland in Höhe von 596,8 Mrd. kWh in 2009 beträgt der Stromexport (54,8 Mrd. Euro) weniger als 10 Prozent und der Stromexportüberschuss (14,3 Mrd. kWh ) weniger als drei Prozent. Bei einem großen Teil der Außenhandelsströme handelt es sich um Transitmengen und Ringfl üsse (Vgl. ABEB (2010a), S. 22).

Zieht man von der Bruttostromerzeugung den Exportüberschuss ab, ergibt sich der Brutto-

Inlandsstromverbrauch, der im Jahr 2009 582,5 Mrd. kWh bzw. 2097 PJ betrug. Das war knapp ein Sechstel des Primärenergieverbrauchs bzw. ein Viertel des Endenergieverbrauchs. Infolge des Wachstumseinbruchs lag der Brutto-Inlandsstromverbrauch 2009 um 32,2 Mrd. kWh (5 Pro-zent) unter dem Vorjahr. Ein derart starker Verbrauchsrückgang war seit 1990 in keinem Jahr zu verzeichnen.

Zieht man ferner den Kraftwerkseigenverbrauch, den Pumpstromverbrauch sowie die Netzver-luste und Nichterfasstes ab, verbleibt der Nettostromverbrauch im Inland in Höhe von 511,8 Mrd. kWh für konkrete Nutzungen von Elektrizität.

Mehr als 60 Prozent dieses Netto-Stromverbrauchs im Inland wird von der Wirtschaft benötigt. Im Jahr 2009 verbrauchten Industrie, Handel, Gewerbe, Dienstleistungen und die Landwirt-schaft 311 Mrd. kWh. Den zweitgrößten Verbrauch weisen die privaten Haushalte mit 139,2 Mrd. kWh auf, gefolgt von den öff entlichen Einrichtungen (46 Mrd. kWh) und dem Verkehr (16 Mrd. kWh) (Vgl. AGEB (2010a), S. 25).

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Motor für Reform

Tabelle 11: Strombilanz der Elektrizitätsversorgung in Deutschland 2009

Mrd. kWh

Bruttostromerzeugung 596,8

Kraftwerkseigenverbrauch -36,3

Nettostromerzeugung 560,5

Import 40,5

Export -54,8

Nettostromaufkommen im Inland 546,2

Pumpstromverbrauch -7,9

Netzverluste/Nichterfasstes -30,1

Nettostromverbrauch im Inland 511,8 100%

davon:

Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe 228,1 45%

Handel, Gewerbe, Dienstleistungen 73,8 14%

Landwirtschaft 8,7 2%

Private Haushalte 139,2 27%

Öff entliche Einrichtungen 46,0 9%

Verkehr 16,0 3%

Quelle: AGEB (2010a), S. 25

Die Versorgungssicherheit bei Elektrizität ist seit langem sehr hoch. Deutschlands Stromnetze sind nach wie vor die sichersten in ganz Europa: Die Stromkunden müssen im Durchschnitt nur mit 18 Minuten Stromausfall im Jahr rechnen. Das entspricht einer Zuverlässigkeit von 99,9965 Prozent. Deutschlands Stromnetze sind engmaschig ausgelegt und deshalb deutlich weniger anfällig für Störungen als die Netze vergleichbarer Industrieländer. Das Leitungsnetz hat eine Länge von insgesamt 1,78 Mio. Kilometern. Bis 2020 sind mehr als 40 Mrd. Euro für Ausbau und Erhalt der Netze notwendig, um das heutige Niveau der Versorgungsqualität zu sichern (Vgl. BDEW (2010), S. 13).

Bei allen Verbrennungsprozessen entsteht das Treibhausgas CO2, so auch bei der Stromerzeu-gung in Kohle- und Gaskraftwerken. Frei von CO2-Emissionen ist die Stromproduktion aus er-neuerbaren Energien und Kernenergie. Konnten mit Hilfe der Kernenergie und erneuerbarer Energien im Jahr 1999 rund 193 Mio. t CO2 im Vergleich zur Stromerzeugung in Kohlekraftwer-ken vermieden werden, so waren es im Jahr 2009 etwa 206 Mio. t: durch Kernenergie 131 Mio. t und durch Erneuerbare Energien 75 Mio. t, wovon 55 Mio. t auf EEG-vergüteten Strom zurückzu-führen sind (Vgl. BDEW (2010), S. 20 und BMU (2010), S. 5).

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Engergiewende – ohne staatliche Verteuerung | Grundpositionen der hessischen Wirtschaft zur Energiepolitik

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Allerdings werden die CO2-Emissionen nur in der – ökologisch irrelevanten – nationalen Pers-pektive vermieden. Mehr Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland verändert die Men-ge an CO2-Emissionen auf europäischer Ebene nicht, da die in Deutschland nicht eingesetzten CO2-Zertifi kate ins EU-Ausland verkauft werden können und dort einen zusätzlichen CO2-Aus-stoß ermöglichen. Tatsächlich werden die scheinbaren Klimaschutzwirkungen des Stroms

aus erneuerbaren Energien bei einer Koexistenz mit dem im Jahr 2005 etablierten Emissi-

onshandel vollkommen neutralisiert, wie von zahlreichen Ökonomen (vgl. Blankart, C. B. et al. (2008)) und bereits im Jahr 2004 vom Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsmi-nisteriums konstatiert wurde.

Eine hohe Bedeutung in der Elektrizitätswirtschaft hat die Börse European Energy Exchange (EEX) erlangt. Sie betreibt Handel mit Strom, Erdgas, CO2-Emissionsrechten und Kohle. Die Marktgebiete sind Deutschland/Österreich, Frankreich und die Schweiz. Ende 2009 gab es 248 zugelassene Handelsteilnehmer aus 22 Ländern. Die im Jahr 2009 an der EEX gehandelte Strom-menge in Höhe von 1.228 Mrd. kWh (2008: 1.368 Mrd. kWh) ist doppelt so hoch wie die jährliche Stromerzeugung in Deutschland. Der größte Teil des Handelsvolumens Strom entfi el auf den Handel mit Terminkontrakten, also dem Handel von Energiemengen, deren Lieferung erst in weiterer Zukunft erfolgt (1.025 Mrd. kWh). Die am Spotmarkt Strom gehandelte Menge betrug 196 Mrd. kWh. Am Spotmarkt werden kurzfristige Lieferungen gehandelt, in der Regel für den darauff olgenden Tag. Das gehandelte Volumen am Spotmarkt Erdgas betrug 2009 3,5 Mrd. kWh. Am Terminmarkt Erdgas wurden 2009 11,4 Mrd. kWh umgesetzt (Vgl. BDEW (2010), S. 33).

3.1.4 Erneuerbare Energien

Die erneuerbaren Energieträger umfassen eine breite Palette von Energiequellen. Diese wer-den derzeit mengenmäßig von den verschiedenen Formen an fester, fl üssiger und gasförmiger Biomasse sowie den ebenfalls zur Biomasse zählenden biogenen Anteilen des Abfalls und dem Deponie- und Klärgas dominiert.

Bio-Erdgas z.B. ist ein nahezu CO2-neutraler Energieträger, der in der Wärmeversorgung und der dezentralen Stromerzeugung eingesetzt werden kann. Als Kraftstoff für Erdgasfahrzeuge ist Bio-Erdgas nutzbar – ob in Reinform oder als Beimischung. Ökologischer Vorteil ist, dass bei seiner Verbrennung nur so viel Kohlendioxid freigesetzt wird, wie die zu seiner Gewinnung genutzte Biomasse vorher der Atmosphäre entzogen hat. Bio-Erdgas wird aus organischen Le-bensmittelrest- und Abfallstoff en sowie aus nachwachsenden Energiepfl anzen, wie Mais oder Roggen gewonnen. Im Unterschied zur Solar- und Windenergie lässt sich Bio-Erdgas ständig produzieren und auch speichern.

Daneben haben Wind- und Wasserkraft relativ kleine Anteile. Verschwindend gering sind die Beiträge aus Photovoltaik, Solarthermie und Geothermie an der gesamten Energieerzeugung, aber auch am Umfang der Energie aus erneuerbaren Energien.

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Motor für Reform

Der Einsatz aller erneuerbaren Energieträger nahm im Rezessionsjahr 2009 gegenüber dem Vor-jahr um rund 3 Prozent auf 328 Mrd. kWh (1.181 PJ) zu, womit sich deren Anteil am Primärener-gieverbrauch von 8,1 im Jahr 2008 auf 8,9 Prozent im Jahr 2009 erhöht hat (Vgl. AGEB (2010a), S. 35). Nach Abzug der Verluste im Rahmen der Energieumwandlung stellten die erneuerbaren

Energien im Jahr 2009 Endenergie in Höhe von 237,8 Mrd. kWh bereit. Das waren fast 10 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs.

Insbesondere in der Verstromung von Biomasse entstehen große Umwandlungsverluste: Der Energie-Input an Brennstoff en in der Stromerzeugung aus Biomasse insgesamt betrug 114 Mrd. kWh (411 PJ). Der resultierende Output an Strom lag nur bei 30,5 Mrd. kWh (110 PJ) (Vgl. AGEB (2010a), S. 35 und BMU (2010), S. 7).

Am Endenergieverbrauch aus erneuerbaren Energien war Biomasse 2009 mit rund sieben

Zehnteln beteiligt. Der Anteil der Windenergie betrug knapp 16 Prozent und derjenige der Wasserkraft 8 Prozent.

Abbildung 3: Endenergie aus erneuerbaren Energien in Deutschland in 2009

Biomasse;

69,4%

Wind; 15,9%

Wasser; 8,0%

Solarthermie; 2,0%

Photovoltaik; 2,6%

Geothermie; 2,1%

Quelle: BMU (2010), S. 7.

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Tabelle 12: Endenergie aus erneuerbaren Energien nach Energieträgern und Anwendungs-

arten in Deutschland in 2009

Energieträger

Endenergie aus erneuerbaren Energien

Nach Anwendungsarten

Strom Wärme Kraftstoff e

Mrd. kWh Anteil Mrd. kWh Mrd. kWh Mrd. kWh

Biomasse* 165,1 69,4% 30,5 100,8 33,8

Windenergie 37,8 15,9% 37,8

Wasserkraft 19,0 8,0% 19,0

Photovoltaik 6,2 2,6% 6,2

Geothermie 5,0 2,1% 5,0

Solarthermie 4,8 2,0% 4,8

Gesamt 237,8 100,0% 93,5 110,5 33,8

Quelle: BMU (2010), S. 7. * Biomasse = feste, fl üssige, gasförmige Biomasse, biogener Anteil des Abfalls, Deponie- und Klärgas.

60 Prozent der Energie aus Biomasse entfi elen auf den Wärmebereich, der Rest zu gleichen Tei-len auf die Anwendungsarten Strom und Kraftstoff e.

Trotz eines kräftigen Zuwachses von 40 Prozent in 2009 erreichte die Photovoltaik mit 6,2 Mrd. kWh lediglich einen Anteil von 6,6 Prozent an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und von nur gut 1 Prozent der gesamten Stromerzeugung in Deutschland (Vgl. AGEB (2010a), S. 34).

Mit 46 Prozent beruhte der größte Teil des Beitrags der erneuerbaren Energien auf der Bereit-stellung von Wärme, gefolgt von elektrischer Energie mit einem Anteil von 39 Prozent und der Bereitstellung von Kraftstoff en (15 Prozent).

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Motor für Reform

3.2 Kosten und Preise von Energie

3.2.1 Energiekosten

Die fi nanziellen Belastungen von Bürgern und Unternehmen in Zusammenhang mit der Nut-zung von Energie zur Bereitstellung von Wärme/Kälte, Kraftstoff en und Elektrizität steigen seit Jahren. Der Anstieg der Energiepreise in Deutschland war zumeist größer als der des allgemei-nen Preisniveaus.

Für Strom entrichteten die Letztverbraucher in Deutschland 60,5 Mrd. Euro im Jahr 2009 (61 Mrd. Euro in 2008 und 39 Mrd. Euro 1999).

Für Erdgas bezahlten sie 37 Mrd. Euro im Jahr 2009 (40 Mrd. in 2008 und 16,7 Mrd. Euro 1999).

Für Fernwärme betrug die Rechnung der Letztverbraucher 7 Mrd. Euro (Vgl. BDEW (2010), S. 7 ff . Angaben ohne Mehrwertsteuer und ohne Stromsteuer).

Hinzu kommen die Kosten für Kraftstoff e. Allein die Rohölimporte nach Deutschland erreichten im Jahr 2008 einen Wert von 53,4 Mrd. Euro. (Vgl. Statistisches Bundesamt (2009), S. 40).

In der Industrie in Deutschland erhöhten sich die Energiekosten in den vergangenen Jahren deutlich. Von 1997 bis 2007 stiegen die Energiekosten des Verarbeitenden Gewerbes um mehr als die Hälfte auf 32,7 Mrd. Euro. Vom Tiefpunkt der Energiepreise 1999 – ein Jahr nach der Libe-ralisierung des Strommarktes – betrug der Anstieg sogar 79 Prozent. Trotzdem blieb der Anteil der Energiekosten am Bruttoproduktionswert (BPW) des Verarbeitenden Gewerbes im Jahr 2007 mit 1,8 Prozent auf dem Niveau von 1997. Im deutlich kleineren Sektor Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden sanken die Energiekosten um 30 Prozent und damit im selben Umfang wie die Wirtschaftsleistung, insbesondere im Kohlenbergbau. (Vgl. BMWi (2010), Blatt 27). In den Jahren ab 2007 kam es – trotz Rezession – zum weiteren Anstieg der Energiekosten.

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Tabelle 13: Energiekosten der Industrie in Deutschland 1997-2007

1997 1999 2000 2005 20071997-2007

Bergbau 1.063 793 778 610 737 -30,6%

Kohlenbergbau, Torfgewinnung 722 469 414 217 252 -65,0%

Gewinnung Erdöl und Erdgas 33 29 23 40 61 84,2%

Gewinnung Steine und Erden 308 295 341 353 423 37,7%

Verarbeitendes Gewerbe 20.864 18.295 21.085 26.182 32.732 56,9%

Ernährungsgewerbe 2.032 1.779 1.952 2.729 3.469 70,8%

Tabakverarbeitung 30 33 35 41 58 93,9%

Textilgewerbe 437 349 346 365 408 -6,6%

Bekleidungsgewerbe 56 43 43 46 46 -17,9%

Ledergewerbe 33 25 25 25 26 -20,8%

Holzgewerbe (ohne Möbel) 346 275 279 455 585 69,0%

Papiergewerbe 1.291 1.120 1.219 1.858 2.340 81,3%

Verlag, Druck, Vervielfältigung 346 335 308 459 502 45,0%

Kokerei, Mineralölverarbeitung 398 529 529 824 720 81,1%

Chemische Industrie 4.102 3.320 3.635 4.570 5.987 46,0%

H. v. Gummi-/Kunststoff waren 994 858 854 1.255 1.677 68,7%

Glas, Keramik, Steine + Erden Verarb. 1.979 1.566 1.692 2.025 2.620 32,4%

Metallerzeugung/-bearbeitung 3.563 3.077 3.451 4.518 5.839 63,9%

H. v. Metallerzeugnissen 1.010 944 921 1.356 1.777 75,9%

Maschinenbau 1.230 1.153 932 1.608 1.773 44,1%

H. v. Büromaschinen 47 44 36 33 52 11,0%

H. v. Elektrizitätserzeugungs-geräten 620 580 528 657 804 29,6%

Rundfunk-, Fernsehtechnik 227 214 236 323 432 90,2%

Medizin-, Mess-, Steuertechnik, Optik 170 162 159 214 303 78,1%

H. v. Kraftwagen und Kfz-Teilen 1.400 1.348 3.442 2.207 2.554 82,5%

Sonstiger Fahrzeugbau 187 221 185 225 293 56,9%

H. v. Möbeln, Schmuck, Sportgeräten 321 280 229 284 320 -0,6%

Recycling 47 39 50 106 149 219,6%

Quelle: BMWI (2010), Blatt 27. Abkürzung „H. v.“ = „Herstellung von“.

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Motor für Reform

Die Hälfte des Energiekostenanstiegs in der Industrie seit 1997 hatten die energieintensiven Sektoren zu schultern. Knapp ein Viertel der Industrie gehört zu diesen energieintensiven

Unternehmen, deren Energiekostenanteil an der Bruttowertschöpfung mit drei bis zehn Pro-zent über dem Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes (1,8 Prozent Energiekostenanteil am BPW) liegt (Bergbau 5,6 Prozent). Aufgrund des internationalen Konkurrenzdrucks ist für diese energieintensiven Unternehmen die starke Zunahme der Energiekostenlast besonders relevant.

Tabelle 14: Energiekosten energieintensiver Industrien in Deutschland

Energiekosten(Mio. Euro)

Brutto-produktionswert

(Mio. Euro)

Anteil Energiekosten

am BPW

1997 2007 2007 2007

Chemische Industrie 4.102 5.987 176.092 3,4 %

Metallerzeugung/-bearbeitung 3.563 5.839 112.280 5,2 %

Glas, Keramik, Steine+Erden Verarbeitung 1.979 2.620 39.107 6,7 %

Papiergewerbe 1.291 2.340 37.741 6,2 %

Holzgewerbe (ohne Möbel) 346 585 19.507 3,0 %

Textilgewerbe 437 408 13.607 3,0 %

Gewinnung Steine und Erden 308 423 4.411 9,6 %

Summe 12.026 18.203 402.745 4,5 %

Quelle: BMWi (2010), Blatt 27.

Die Ausgaben der Privathaushalte für Energie liegen rund dreimal so hoch wie die Energieko-sten der Industrie in Deutschland: Im Jahr 2007 wendeten die Privathaushalte 105,7 Mrd. Euro dafür auf. Ohne die Kraftstoff e geben die Privathaushalte knapp doppelt soviel (60,9 Mrd. Euro in 2008) für Energie aus wie die Industrie. (Vgl. BMWi (2010), Blatt 28). Der Anteil der Ausga-ben der Privathaushalte für Energie an den gesamten privaten Konsumausgaben stieg von 6,4 Prozent (1996) auf 7,5 Prozent im Jahr 2008, während er in der Industrie konstant blieb. (Vgl. BMWi (2010), Blätter 27 und 28).

Auf Basis der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) beziff ert das Statistische Bundes-amt die Energieausgaben der privaten Haushalte (ohne Kraftstoff e) im Jahr 2008 sogar mit fast 66 Mrd. Euro. Zu diesen Ausgaben für Haushaltsenergie im engeren Sinne zählen die Energie-träger Strom, Gas (einschließlich Flüssiggas), Heizöl, feste Brennstoff e wie Kohle und Holz und die Ausgaben für die Fernwärme.

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Seit 1991 haben sich die Ausgaben für Haushaltsenergie fast verdoppelt. Damals betrugen sie 35 Mrd. Euro. Die Ausgaben sind in diesem gesamten Zeitraum nicht gleichmäßig gestiegen. Bis 1999 erhöhten sie sich nur um 2 Mrd. Euro auf 37 Mrd. Euro. Zwischen 1999 und 2008 stiegen sie um 29 Mrd. Euro.

Zurückzuführen sind diese unterschiedlichen Zuwächse auf die jeweiligen Preisveränderungen. Der mengenmäßige Verbrauch an Haushaltsenergie ist über den gesamten Zeitraum betrachtet annähernd gleich geblieben. Von 1991 bis 1999 ist er um 3 Prozent gestiegen und im Zeitraum von 1999 bis 2008 um 3 Prozent zurückgegangen. In den 1990er Jahren war der Preisanstieg für Haushaltsenergie mit rund 7 Prozent sogar geringer als die allgemeinen Preissteigerungen für die privaten Konsumausgaben (20 Prozent).

Tabelle 15: Energieausgaben der Privathaushalte in Deutschland 1996-2008

1996 2000 2005 2008

Mrd. Euro Mrd. Euro Mrd. Euro Mrd. Euro

Raumwärme 25,5 26,1 34,3 39,0

Prozesswärme 3,6 3,7 5,2 6,3

Licht/Sonstiges 9,4 9,6 12,6 15,6

Ausgaben ohne Kraftstoff e 38,5 39,4 52,1 60,9

Kraftstoff e 30,8 37,6 39,8 44,8

Gesamte Ausgaben 69,3 77,0 91,9 105,7

Quelle: BMWi (2010), Blatt 28.

Bis zum Jahr 2008 stiegen dann die Preise für Haushaltsenergie um mehr als 80 Prozent gegen-über 1999. Sie wuchsen bedeutend schneller als der Verbraucherpreisindex mit 17 Prozent. Der schwächere Preisanstieg für Haushaltsenergie in den 1990er Jahren hatte zur Folge, dass der Anteil der Ausgaben für Haushaltsenergie am verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte von 3,5 Prozent im Jahr 1991 auf 2,9 Prozent im Jahr 1999 sank, um dann bis 2008 auf 4,2 Pro-zent anzusteigen. (Vgl. Statistisches Bundesamt (2009), S. 22 f).

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Motor für Reform

Abbildung 4: Ausgaben der Privathaushalte für Energie in Deutschland zwischen 1996 und

2008

0,0

20,0

40,0

60,0

80,0

100,0

120,0

19961997

19981999

20002001

20022003

20042005

20062007

2008

Mrd

. E

uro

Licht/SonstigesProzesswärmeRaumwärmeKraftstoffe

Quelle: BMWi (2010), Blatt 28.

Bei der Verteilung der Ausgaben für die einzelnen Energiearten haben sich Verschiebungen ergeben. Insbesondere der Anteil der Ausgaben für Gas hat sich zwischen 1991 bis 2008 auf Kosten der anderen Energieträger erhöht. Er stieg von 22 Prozent auf 29 Prozent. Dies dürfte auf die wachsende Zahl der Gasheizungen –insbesondere in den 1990er Jahren – und auf die Preisanstiege bei Gas in den letzten Jahren zurückzuführen sein. Der Anteil für Heizöl blieb in diesem Zeitraum mit 19 Prozent konstant. Dagegen sanken die Anteile der Ausgaben für Strom von 47 Prozent im Jahr 1991 auf 44 Prozent im Jahr 2008 und für die übrigen Energieträger entsprechend von 12 Prozent auf 8 Prozent.

3.2.2 Strompreis

Die Strommarktöff nung 1998 hat einen Rationalisierungsschub in der Stromwirtschaft ausge-löst und zur raschen Senkung der Strompreise geführt. Doch von 2000 bis 2008 kam es zu einem drastischen Anstieg. Zeitweilig verdoppelten sich die Industriestrompreise sogar. Ursächlich waren die geringe Wettbewerbsintensität in der Stromerzeugung, staatlich verursachte Belas-tungen und die weltweit steigende Energienachfrage, die die Preise im Herbst 2008 besonders stark ansteigen ließ. (Vgl. BDEW (2010a), S. 43).

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Abbildung 5: Staatlich bedingte Verteuerung von Strom in Deutschland: Verzehnfachung

von 1998 bis 2010 auf über 22 Mrd. Euro

2 2,1

8,2

6,4

5

0,3

0,5

22,2 Mrd.

2,3 Mrd.

0

5

10

15

20

25

1998 2010

Mrd

. E

uro

pro

Ja

hr

Eingepreister Wert

der CO2-Zertifikate

Stromsteuer

Kraft-Wärme-

Kopplungsgesetz

EEG-Umlage

Konzessionsabgabe

Quelle: BDEW (2010a), S. 45 und eigene Berechnungen. Ohne Mehrwertsteuer.

Insbesondere der Staat hat den Strompreis massiv verteuert und verdient beim Stromverkauf immer mehr mit: Seit 1998 hat sich die staatlich verursachte Belastung für die Stromkunden

verzehnfacht! Voraussichtlich rund 22,2 Mrd. Euro zahlen private, gewerbliche und indus-

trielle Verbraucher für Stromsteuer, Abgaben, Umlagen und die eingepreisten Werte der

CO2-Zertifi kate im Jahr 2010. 1998 waren es erst 2,3 Mrd. Euro. Im Mittel sind das heute je verbrauchter Kilowattstunde etwa 4,4 Cent für staatlich bedingte Sonderlasten.

Ursächlich ist vor allem die Förderung erneuerbarer Energien. Sie kostet die Stromkunden allein für die Abnahmegarantie nach den gesetzlichen Vorschriften 8,2 Mrd. Euro im Jahr 2010 (nur die Diff erenzkosten zum Großhandelspreis!). Die Stromsteuer kommt mit etwa 6,4 Mrd. Euro hinzu. Die Einpreisung der CO2-Zertifi kate der Stromversorger schlägt mit rund 5 Mrd. Euro zu Buche (Zertifi katepreis: 15 Euro pro Tonne CO2 bei rund 330 Mio. Tonnen pro Jahr). Die Konzes-sionsabgabe beträgt 2010 insgesamt gut 2 Mrd. Euro. Die gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme wird mit dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz staatlich unterstützt, was die Verbrau-cher etwa 0,5 Mrd. Euro im Jahr 2010 kostet. (Vgl. BDEW (2010a), S. 45).

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Motor für Reform

Im Jahr 2011 ist ein Anstieg der staatlich bedingten Stromverteuerungen auf mehr als 27

Mrd. Euro zu erwarten, weil die EEG-Umlage nach Berechnungen der zuständigen Netzbetrei-ber um rund 70 Prozent von 2,05 Cent je kWh auf 3,5 Cent je kWh steigen wird. Die Diff erenz-kosten der EEG-Förderung werden von 8,2 Mrd. Euro im Jahr 2010 auf 13,5 Mrd. Euro im Jahr 2011 steigen.

Mittlerweile sehr bedeutungsvoll für den Strompreis ist die Entwicklung der Zertifi katepreise

für CO2, die sich im Rahmen des europäischen Emissionshandels bilden. Nachdem sich in der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 herausgestellt hatte, dass die Ausstattung der am Emissionshandel beteiligten Unternehmen mit Emissionsrechten vielfach den Bedarf überstie-gen hatten, kam es schon Mitte 2006 zu einem deutlichen Preisverfall der sich im Jahr 2007 fortsetzte und zu Preisen nahe Null führten. Mit Beginn der zweiten Handelsperiode von 2008 bis 2012 verschärften sich die Bedingungen für die Emissionshandelsteilnehmer. Dies schlug sich zunächst in vergleichsweise hohen Preisen der Emissionszertifi kate nieder: Bis Ende Okto-ber 2008 bewegten sich die Preise auf dem Spotmarkt zwischen 20 und 25 Euro/t CO2. Mit der immer off enkundiger werdenden wirtschaftlichen Krise und des damit verbundenen Rückgangs des Energieeinsatzes in Kraftwerken und Industrie kam es zu einer mehr oder weniger starken Emissionsreduktion und damit zu einem verminderten Zertifi katebedarf. Letztlich bewirkte dies einen starken Druck auf die Zertifi katepreise. Bis in das Jahr 2010 hinein bewegten sich fortan die Zertifi katepreise auf einem Niveau meist deutlich unter 15 Euro/t CO2.

Industriestrom: Die Belastung einer Kilowattstunde Strom für einen durchschnittlichen In-dustriebetrieb durch EEG, Konzessionsabgabe und KWK liegt im Jahr 2010 bei etwa 2,21 Cent. Das ist gut ein Fünftel des gesamten Industriestrompreises (vgl. BDEW (2010a), S. 43). Hinzu kommt die Strompreisverteuerung durch die Einpreisung der CO2-Emissionszertifi kate in Höhe von rund einem Cent je kWh sowie die Stromsteuerbelastung.

Der Anteil der staatlich verursachten Belastungen am Industriestrompreis wird in den kommen-den Jahren bei unveränderter Gesetzeslage weiter steigen: zum einen, weil die EEG-Umlagen wachsen werden, und zum anderen, weil die Verknappung der CO2-Zertifi katemenge in der EU den Preis für die CO2-Zertifi kate und damit den Strompreis steigen lassen wird.

Darüber hinaus plant die Bundesregierung eine Reduktion der Ausnahmen für energieintensive Unternehmen bei der Strom- und Energiesteuer, die zur Vermeidung von Nachteilen im interna-tionalen Wettbewerb eingeführt worden waren. Für das Jahr 2011 ist laut Bundesregierung eine Belastung von einer Milliarde Euro zusätzliche vorgesehen, von 2012 an sogar in Höhe von 1,5 Mrd. Euro jährlich gegenüber heute.

Verglichen mit den europäischen Nachbarländern zählen die Industriestrompreise in Deutsch-land schon lange mit zu den teuersten in Europa. Beispielsweise bezahlten im Jahr 2009 ener-gieintensive Betriebe in Deutschland für einen Jahresverbrauch zwischen 70.000 und 150.000 kWh mit 8,6 Cent/kWh (ohne MwSt.) zwei Drittel mehr für den Strom als die Konkurrenz in

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Engergiewende – ohne staatliche Verteuerung | Grundpositionen der hessischen Wirtschaft zur Energiepolitik

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Frankreich (5,3 Cent/kWh) und Schweden (5,0 Cent/kWh). Auch bei kleineren Verbrauchsmen-gen zahlt die deutsche Industrie erheblich mehr als in den meisten europäischen Ländern. Die Preisunterschiede werden durch die höheren staatlichen Belastungen in Deutschland und durch niedrigere Stromerzeugungspreise im Ausland erklärt.

Abbildung 6: Industriestrompreise in Deutschland mit am teuersten in der EU

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Norwegen

Estland

Bulgarien

Schweden

Finnland

Frankreich

Portugal

Kroatien

Rumänien

Griechenland

Türkei

Spanien

Lettland

Polen

Belgien

EU 27

Slowenien

Irland

Dänemark

Deutschland

Vereinigtes Königreich

Ungarn

Italien

Tschechische

Niederlande

Euro-Cent je Kilowattstunde

Strompreis ohne Steuern Anteil Steuern und Abgaben ohne MwSt.

Quelle: Eurostat (2010). Angaben mit Steuern und Abgaben, aber ohne Mehrwertsteuer, 2. Halbjahr 2009, Jahresverbrauch 70.000 bis 150.000 MWh.

Strom für Privathaushalte: Die privaten Stromrechnungen sind noch mehr als die industriellen und gewerblichen durch staatlich bedingte Verteuerungen gekennzeichnet. Ein Drei-Personen-Haushalt mit durchschnittlichem Stromverbrauch zahlt im Jahr 2010 monatlich gut 69 Euro für Strom. Der reine Strompreis – vor Steuern und Abgaben – beträgt nur gut 40 Euro im Monat und liegt knapp 8 Prozent über dem Niveau von 1998. Der monatliche Betrag für Steuern und Abga-ben ist seit 1998 von 12 Euro auf über 28 Euro gestiegen. Hinzu kommt die Einpreisung der CO2-Zertifi kate in Höhe von derzeit umgerechnet rund 2,9 Euro/Monat. Diese staatlich verursachten

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42 |

Motor für Reform

Verteuerungen machen mit 46 Prozent fast die Hälfte der Stromrechnung eines Durchschnitts-haushalts aus. Die höheren Belastungen resultieren aus EEG, Stromsteuer, Konzessionsabgabe, KWKG und vor allem der Mehrwertsteuer (vgl. BDEW (2010a), S. 42).

Tabelle 16: Strom: 46 Prozent für staatlich bedingte Lasten – Monatliche Stromrechnung

eines privaten Durchschnittshaushalts in Euro

1998 2000 2002 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Rechnungsbetrag 49,95 40,66 46,99 52,38 54,43 56,76 60,20 63,15 67,70 69,10

Steuern und Abgaben (EEG, Stromsteuer, MwSt., KWK, Konzessionsabgaben)

12,35 15,51 18,67 20,82 21,70 22,49 24,65 25,20 26,17 28,59

CO2-Zertifi kate Einpreisung*

2,90 2,90 2,90 2,90 2,90 2,90

Erzeugung, Transport, Vertrieb

37,60 25,15 28,32 31,56 29,83 31,37 32,65 35,05 38,63 37,61

Quellen: BDEW (2010), S. 42 und eigene Berechnungen. Annahme: Jahresstromverbrauch 3.500 kWh. * Bei dem gegenwärtigen CO2-Zertifi katepreis von 15 Euro ergibt sich ein Einpreisungsbetrag von 1 Cent/

kWh bzw. 2,9 Euro pro Monat. Dieser wird nur aus Einfachheitsgründen und vorbehaltlich diff erenzierter Betrachtungen hier für beide Handelsperioden 2005 – 2007 und 2008 – 2012 angenommen. Der Betrag ist Teil der sog. „wind-fall-profi ts“ in der Stromerzeugung, da die CO2-Zertifi kate noch ganz überwiegend kostenlos zugeteilt werden.

3.2.3 Erdgaspreis

Im Unterschied zum Strompreis resultiert der Erdgaspreis zu einem höheren Anteil aus Import-kosten und zu einem geringeren aus inländischer Wertschöpfung. Die langfristigen Lieferver-träge der Erdgasimporteure mit den wichtigsten Lieferländern sind zu einem großen Teil an die Preisentwicklung von leichtem und schwerem Heizöl gebunden (Ölpreisbindung). Diese direkte Ölpreisbindung ist auch für Verträge zwischen den Gasversorgern und Industriekunden bzw. Kraftwerken (hier teilweise Preisbindung auch an Kohle) typisch. Bei Kleinverbrauchern (insbe-sondere private Haushalte) wirkt die Ölpreisbindung nur indirekt, d.h. es gibt keine automati-sche Kopplung. Die Endversorger passen ihre jeweiligen Tarifwerke jedoch in Abhängigkeit von der Entwicklung ihrer (an den Ölpreis direkt gekoppelten) Einkaufspreise an. Dabei fallen die Preisausschläge jedoch in der Regel geringer aus als die Ölpreisveränderungen, da der Kosten-anteil des Gases am Endverbraucherpreis für private Haushalte nur etwa 30 Prozent beträgt. Die restlichen ca. 70 Prozent bestehen aus Transport- und Vertriebskosten, Steuern sowie den Gewinnmargen. (vgl. Statistisches Bundesamt (2010), Blatt Textteil).

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Engergiewende – ohne staatliche Verteuerung | Grundpositionen der hessischen Wirtschaft zur Energiepolitik

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Der Preis für Erdgasimporte nach Deutschland hat sich seit 1999 verdreifacht: Nach seinem höchsten Stand zum Jahreswechsel 2008/2009 lag er Ende 2009 bei 1,8 Cent/kWh. Zehn Jahre zuvor betrug er 0,57 Cent/kWh. Ursache für den Preistrend ist die weltweit steigende Nachfrage nach Energie (vgl. BDEW (2010a), S. 40).

Abbildung 7: Erdgas-Importpreise nach Deutschland steigen

40,0

60,0

80,0

100,0

120,0

140,0

160,0

180,0

200,0

220,0

J an 00 J an 01 J an 02 J an 03 J an 04 J an 05 J an 06 J an 07 J an 08 J an 09 J an 10

E infuhrpreis index E rdgas E rzeugerpreis index E rdgas bei Abgabe an die Indus trie V erbrauc herpreis index E rdgas

Quelle: Statistisches Bundesamt (2010), Schaubild 4.2.

Die staatlich verursachte Belastung von Erdgas durch Steuern und Abgaben liegt zwar deut-lich unter dem Niveau der staatlichen Strompreisverteuerungen, sie erhöhte sich in den vergan-genen Jahren aber ebenfalls stark. Steuern und Abgaben auf Erdgas summierten sich 2009 auf rund 3,4 Mrd. Euro – das war dreimal soviel wie 1990. Seit 1999, dem Jahr vor der Einführung der Öko-Steuer, stiegen die Staatseinnahmen aus Erdgasförderung und -absatz um fast ein Vier-tel (24 Prozent). Der Erdgassteuersatz hat sich seit Anfang 1999 von 0,184 auf nunmehr 0,55 Cent/kWh verdreifacht. Die Erlöse aus den Förderabgaben für die Produktion von Erdgas sind seit 1999 auf 0,75 Mrd. Euro im Jahr gestiegen und haben sich damit mehr als verdreifacht. Ur-sächlich hierfür sind die deutlichen Anhebungen der Förderabgaben durch die Niedersächsische Landesregierung (vgl. BDEW (2010a), S. 44).

Verglichen mit den europäischen Nachbarländern sind die Erdgaspreise für die Industrie in Deutschland die drittteuersten in Europa. Beispielsweise bezahlten im Jahr 2009 Unternehmen in Deutschland für einen Jahresverbrauch zwischen 100.000 und 1.000.000 GJ mit 9,1 Euro/

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Motor für Reform

GJ (ohne MwSt.) ein Viertel mehr als der EU-Durchschnitt und über ein Drittel mehr für Erdgas als die Konkurrenz in Italien und Tschechien (6,8 Euro/GJ). Die Preisunterschiede sind zwar zumeist nicht so groß wie beim Industriestrom, doch werden sie – zu kleineren Teil – auch durch die höheren staatlichen Belastungen in Deutschland hervorgerufen (vgl. Eurostat (2010).

Abbildung 8: Erdgaspreise für Industrieunternehmen in Europa

0 2 4 6 8 10 12 14

RumänienBulgarien

Vereinigtes KönigreichTürkei

EstlandPortugalLitauen

IrlandSpanienUngarn

Tschechische Rep.Italien

LettlandPolenEU 27

KroatienFrankreichSlowenien

FinnlandSlowakei

NiederlandeBelgien

DeutschlandSchwedenDänemark

Euro/GJ

Erdgas-Preis ohne Steuern Anteil Steuern ohne MWSt.

Quelle: Eurostat (2010). 2. Halbjahr 2009, Jahresverbrauch 100.000 bis 1.000.000 GJ

Auch die Steuer- und Abgabenlast auf Erdgas für Haushaltskunden erhöhte sich von 23 Pro-zent im Jahr 1999 auf 30 Prozent im Jahr 2010 bezogen auf den Brutto-Endverbrauchspreis – und damit nicht so stark wie die Last auf den Strompreis. Dabei stieg der Anteil der Erdgassteu-er um 6 Prozentpunkte auf 9 Prozent, da der Erdgassteuersatz auf 0,55 Cent/kWh angehoben wurde. Auch die Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent Anfang 2007 führte zu einer zusätzlichen Belastung des Brutto-Endverbrauchspreises für Erdgas im Haushaltsbereich. Die Belastung durch die Mehrwertsteuer stieg von 13 auf nunmehr 16 Prozent. Die anteilige För-derabgabe erhöhte sich auf 2 Prozent. Der Förderabgabesatz, der vom jeweiligen Bundesland jährlich im Rahmen der Vorgaben des Bundesberggesetzes festgelegt wird, stieg seit 1999 deut-lich (vgl. BDEW (2010a), S. 41).

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Engergiewende – ohne staatliche Verteuerung | Grundpositionen der hessischen Wirtschaft zur Energiepolitik

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3.3 Ökologische Herausforderung

Neben den wirtschaftlichen und technischen Strukturen wird das System der Energieversorgung durch die Anforderungen des Umweltschutzes geprägt, die zu den bestimmenden Faktoren des Strukturwandels des Energiemarktes zu rechnen sind.

Als weltweit größte Herausforderung in der Umweltpolitik wird von der Mehrheit in Politik, Wis-senschaft und Wirtschaft die Verlangsamung des globalen Treibhauseff ekts angesehen, um den Anstieg der durchschnittlichen Temperatur auf der Erde zu bremsen. Sie geht von der Annahme eines signifi kanten anthropogenen Beitrags zur Erderwärmung durch Treibhausgasemissionen aus.

Exkurs:

Eine Wirtschaftsvereinigung wie die VhU muss zur Kenntnis nehmen, dass die Annahme eines anthropogenen Beitrags zum Treibhauseff ekt off enbar von einer Mehrheit er Wissenschaftler geteilt wird, und sich dann entscheiden, ob sie sie für plausibel hält. Mangels Möglichkeit, die Annahme selber wissenschaftlich überprüfen und evtl. falsifi zieren zu können, bleibt nur die Option, den Aussagen und Argumenten der Mehrheit zu folgen oder nicht.

Dieser Text unterstellt, dass die Wahrscheinlichkeit eines signifi kanten Einfl usses der Menschheit auf den natürlich ablaufenden Klimawandel größer ist als die Wahrscheinlich-keit des Gegenteils.

Falls diese Bejahung der Aussagen der Mehrheit der Klimaforscher sich als falsch herausstel-len sollte, wäre ein gesamtwirtschaftlicher Nachteil aufgrund einer unnötigen Klimapolitik gegeben. Er würde jedoch dadurch relativiert, dass ein Teil der klimapolitisch begründeten Änderungen der energiepolitischen Rahmenbedingungen sich auch mit Blick auf die End-lichkeit fossiler Energieträger rechtfertigen lässt.

Neben CO2 gehören zu den sechs sogenannten Kyoto-Treibhausgasen Methan, Lachgas, perfl u-orierte Kohlenwasserstoff e, teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoff e und Schwefelhexafl uo-rid. Diese Gase bzw. Gasgruppen beeinfl ussen das Klima unterschiedlich stark. Das sog. „WP“ (Global Warming Potential) ist eine Kennzahl für die Intensität eines Treibhausgases, bezogen auf die Treibhauswirkung von Kohlendioxid (dieses hat defi nitionsgemäß ein GWP von 1). Die Emission einer Tonne Methan bspw. verursacht einen 21-fach höheren Beitrag zum Treibhaus-eff ekt als der Ausstoß einer Tonne CO2, oder anders ausgedrückt, 1 t Methan entspricht in der Treibhauswirkung von 21 t CO2. Eine Tonne Methan ist gleich 21 t CO2-Äquivalenten (CO2e). Nach der Multiplikation der Emissionsmengen verschiedener Treibhausgase mit ihrem jeweili-gen GWP können diese Produkte addiert werden. Diese Gesamtmenge an Treibhausgasemissio-nen führt die Einheit CO2-Äquivalente.

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Motor für Reform

Im Jahr 2008 war die Freisetzung von Kohlendioxid mit einem Anteil von 86,9 Prozent domi-nant unter den Treibhausgasemissionen in Deutschland. Diese stammen größtenteils aus der stationären und mobilen Verbrennung. Die durch Tierhaltung, Brennstoff verteilung und De-ponieemissionen verursachten Methanemissionen (CH4) haben einen Anteil von 5,0 Prozent. Lachgasemissionen (N2O) werden hauptsächlich durch die Landwirtschaft, Industrieprozesse und die Verbrennung fossiler Brennstoff e verursacht und tragen zu 6,3 Prozent zu den Treibh-ausgasfreisetzungen bei. Die fl uorierten Kohlenwasserstoff e (die so genannten F-Gase) tragen mit etwa 1,9 Prozent zu den Gesamtemissionen bei. Die Verteilung der deutschen Treibhausga-semissionen ist typisch für ein hoch entwickeltes und industrialisiertes Land (vgl. UBA (2010), S. 52).

Die Staatengemeinschaft nennt im „Copenhagen Accord“ aus dem Jahr 2009 das Ziel, den An-

stieg der Erderwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius zu begrenzen. Off enbar geht eine Mehrheit der Wissenschaftler davon aus, dass die Menschheit durch Veränderungen ihrer Ver-haltensweisen einen signifi kanten Beitrag zur Stabilisierung des Klimas leisten könnte. Dazu sei ein tiefgreifender, weltweiter Umbau der Systeme für die Umwandlung und Nutzung von Energie nötig. Dies setzt enorme Investitionen in den Sektoren Wirtschaft und Verkehr sowie Staat und Privathaushalte voraus. Erhebliche zusätzliche Finanzmittel, die zum größten Teil von Privaten aufzubringen sein werden, sind notwendig, damit dieser Transformationsprozess auch in Entwicklungs- und Schwellenländern stattfi nden kann. Denn Klimapolitik kann nur weltweit wirkungsvoll sein. Aus Umweltperspektive ist es gleichgültig, wo die Emissionen von Treibhausgasen entstehen bzw. reduziert oder vermieden werden.

Seit Jahren steigen die globalen Treibhausgasemissionen an: Die energiebedingten CO2-Emis-sionen – das bedeutsamste Treibhausgas – sind im Zeitraum seit 1990 fast um die Hälfte ange-stiegen auf 31,5 Mrd. Tonnen im Jahr 2008. Die OECD erwartet bis zum Jahr 2020 einen weiteren Anstieg auf 34,5 Mrd. Tonnen und bis 2030 auf 40,2 Mrd. Tonnen, sofern es in den bisherigen Trends in Wirtschaft und Politik keine wesentlichen Veränderungen gibt.

Das gesamte von 2005 bis 2030 projizierte Wachstum der energiebedingten CO2-Emissionen wird Nicht-OECD-Ländern zuzuschreiben sein. Mehr als drei Viertel des Anstiegs um insgesamt gut 11 Mrd. Tonnen entfallen auf China (wo die Emissionen um 6 Mrd. Tonnen steigen werden), Indien (+2 Mrd. Tonnen) und den Nahen Osten (+1 Mrd. Tonnen). In allen großen Nicht-OECD-Ländern steigen die Emissionen.

Die Emissionen der OECD-Länder werden den Projektionen zufolge leicht sinken. Dies erklärt sich aus einer Verlangsamung des Energieverbrauchs (bedingt auf kurze Sicht durch die jüngste Wirtschaftsrezession und auf längere Sicht durch große Energieeffi zienzsteigerungen) sowie aus einem zunehmenden Einsatz von Kernkraft und erneuerbaren Energien, wobei es sich gro-ßenteils um eine Folge bereits eingeleiteter Maßnahmen für den Klimaschutz und zur Verbesse-rung der Versorgungssicherheit handelt (Vgl. OECD/IEA (2009), S. 7).

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Engergiewende – ohne staatliche Verteuerung | Grundpositionen der hessischen Wirtschaft zur Energiepolitik

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Abbildung 9: Weltweite energiebedingte CO2-Emissionen im Jahr 2008

China

23%

Vereinigte Staaten

21%

Übriges Amerika

7%

Afrika

3%

Mittlerer Osten

5%Frühere

Sowjetunion

8%

Europa ohne frühere SU

15%

Japan

4%

Übriges Asien / Ozeanien

14%

Quelle: BMWi (2010), Blatt 12.

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Motor für Reform

Tabelle 17: Energiebedingte jährliche CO2-Emissionen weltweit

1990 1995 2000 2005 2008

Millionen Tonnen

Asien/Ozeanien 5.646 6.962 7.465 10.921 12.618

- China 2.452 3.013 2.740 5.380 6.810

- Japan 1.179 1.305 1.344 1.401 1.391

Nordamerika 6.214 6.554 7.283 7.601 7.486

- USA 5.461 5.762 6.369 6.558 6.370

Europäische OECD-Länder

3.731 3.709 4.434 4.644 4.578

- Deutschland 1.029 933 903 884 857

- Großbritannien 625 598 589 615 582

- Italien 440 453 480 503 483

- Frankreich 416 404 434 439 428

- Spanien 238 266 339 397 380

- Niederlande 219 237 247 272 263

Übriges Europa 4.976 3.382 2.614 2.816 2.854

- Frühere Sowjetunion 3.907 2.531 2.250 2.514 2.565

Mittlerer Osten 728 905 1.085 1.466 1.686

Südamerika 712 843 968 1.041 1.238

Afrika 675 754 828 942 1.051

Weltweite Summe 22.682 23.108 24.677 29.430 31.511

Quelle: BMWi (2010), Blatt 12.

In Relation zu den weltweiten CO2-Emissionen von rund 31,5 Mrd. Tonnen pro Jahr sind sowohl die Emissionen in Hessen (0,05 Mrd. t CO2) und in Deutschland (0,86 Mrd. t) als auch die in der EU (gut 4 Mrd. t CO2) vergleichsweise gering (vgl. UN (2009), S. 16).

Die Gesamtemissionen an Treibhausgasen in Deutschland betrugen 958,85 Millionen t CO2-Äquivalente im Jahr 2008 – 22,2 Prozent weniger als die Basisjahrmenge von 1,232 Mrd. t CO2e. Diese Verminderung lag im Zielkorridor des Kyoto-Protokolls (vgl. UBA (2010), S. 51). 80,6 Pro-zent waren energiebedingte Emissionen, 10,9 Prozent entstammten Industrieprozessen und 6,9 Prozent der Landwirtschaft.

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Engergiewende – ohne staatliche Verteuerung | Grundpositionen der hessischen Wirtschaft zur Energiepolitik

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Abbildung 10: Emissionen in Deutschland nach Treibhausgas und Quellgruppe

Treibhausgase:

Emissionen/

Senken, CO2

äquivalent

1990 1995 2000 2005 2006 2007 2008

1.000 t 1.000 t 1.000 t 1.000 t 1.000 t 1.000 t 1.000 t

Netto-CO2-Emissionen/ -Einbindungen

1.016.438 903.407 864.733 887.701 897.128 871.887 862.488

CO2-Emissionen (ohne LULUCF) 1.036.716 925.413 886.900 853.540 861.339 833.926 833.092

Methan (CH4) 103.299 84.839 67.959 51.474 49.498 48.146 47.745

Lachgas (N2O) 79.989 75.749 57.572 57.775 56.654 59.028 60.166

Teilhalogenierte Fluorkohlen- wasserstoff e (HFCs)

4.369 6.469 6.483 9.990 10.527 11.141 11.469

Perfl uorierte Kohlenwasserstoff e (PFCs)

2.708 1.750 781 707 569 528 531

Schwefelhexa- fl uorid (SF6) 4.785 7.220 5.082 4.898 5.510 5.567 5.846

Gesamt-Emissionen/ -Einbindungen inkl. LULUCF

1.211.588 1.079.434 1.002.611 1.012.544 1.019.887 996.296 988.246

Gesamt-Emissionen/ -Einbindungen (ohne CO2 aus LULUCF)

1.231.865 1.101.440 1.024.777 978.383 984.097 958.335 958.850

Treibhausgase:

Emissionen u.

Senken nach Quell-

u. Senkengruppen,

CO2-äquivalent

1990 1995 2000 2005 2006 2007 2008

1.000 t 1.000 t 1.000 t 1.000 t 1.000 t 1.000 t 1.000 t

Energie 989.661 873.671 829.786 796.201 800.687 769.714 772.788

Industrieprozesse 118.227 120.565 100.447 99.533 103.065 108.976 104.894

Lösemittel und andere Produktions- verwendung

5.396 4.458 3.723 3.402 3.345 3.316 3.316

Landwirtschaft 78.046 68.405 68.697 65.359 64.056 63.763 66.203Landnutzung, Land- nutzungsänderung, Forstwirtschaft (LULUCF), aus CO2, CH4, N2O

-20.165 -21.901 -22.061 34.959 36.450 38.961 30.185

Abfall 40.423 34.234 22.020 13.090 12.283 11.566 10.859

Quelle: UBA (2010), NIR, S. 53.

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Motor für Reform

Das IPCC hat in seinem vierten Sachstandsbericht (2007) dargelegt, dass gefährliche Klimaän-derungen verhindert werden können, wenn der Temperaturanstieg auf 2° Grad Celsius gegen-über der vorindustriellen Zeit begrenzt werden könnte. Um dieses Ziel mit einer Wahrschein-lichkeit von 75 Prozent zu erreichen, müsse der Zuwachs der globalen Treibhausgas-Emissionen bis 2020 gestoppt und danach die weltweiten Emissionen bis 2050 um 50 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden.

Die bislang von den Staaten zugesagten Emissionsminderungen sind relativ gering im Ver-gleich zu dieser IPCC-Forderung bzw. zum globalen CO2-Ausstoß: Auf lediglich 2,4 Mrd. t CO2

addieren sich die für 2020 zugesagten Reduktionen an jährlichen Emissionen in der EU, in den USA, Japan, der Schweiz, Norwegen, Neuseeland, Russland, Ukraine, Weißrussland und Ka-sachstan (vgl. Rothermel, Jörg (2010), S. 8). Allein der Anstieg der chinesischen Emissionen von heute bis 2020 dürfte deutlich höher sein.

Im Unterschied zu Europa und speziell Deutschland hält sich das Engagement zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen in den meisten Staaten sehr in Grenzen. Vielfach folgen den Ab-sichtserklärungen keine Maßnahmen zur Verminderung der Emissionen, insbesondere in den bevölkerungsreichen und wirtschaftlichen bedeutsamen Ländern der G20. Viele Staaten neh-men eine Trittbrettfahrerposition ein und überlassen anderen die Lasten der Verminderung der Treibhausgasemissionen.

Die EU hingegen hat eine klimapolitische Vorreiterrolle. Sie will den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2020 gegenüber 1990 um 20 Prozent bzw. gegenüber 2005 um 14 Prozent reduzieren. Die Emissionsminderungen sollen erbracht werden, indem der Ausstoß der dem Emissionshandel (ETS) unterworfenen Unternehmen um 21 Prozent sinkt, während die Verringerung in den üb-rigen Sektoren 10 Prozent beträgt. Gleichwohl beträgt der Rückgang in der EU von 1990 bis 2007 erst 4 Prozent. 1990 wurden 4,233 Mrd. Tonnen CO2-Äquivalente in der EU emittiert. 2007 waren es 4,052 Mrd. Tonnen. Zum Vergleich: In den Vereinigten Staaten stiegen die Emissionen in diesem Zeitraum um 16 Prozent auf 7,1 Mrd. t (vgl. UN (2009), S. 16).

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag ein Minderungsziel für die Treibhausgasemissi-onen in Deutschland von 40 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990 unkonditioniert festgelegt. Deutschland müsste damit 260 Mio. t an jährlichen Treibhausgasemissionen reduzieren. Der Emissionshandelssektor in Deutschland erbringt aufgrund der europäischen Vorgaben beim Emissionshandel 110 Mio. t (-21 Prozent zu 2005). 150 Mio. t Treibhausgasminderung müssten demnach in den Bereichen Haushalte, Gewerbe und Verkehr erzielt werden. (vgl. Rothermel, Jörg (2010), S. 8).

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Engergiewende – ohne staatliche Verteuerung | Grundpositionen der hessischen Wirtschaft zur Energiepolitik

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ZIELE UND GRUNDSÄTZE4.1 Drei Ziele der Energiepolitik

Ein attraktiver, prosperierender und innovativer Wirtschaftsstandort in einem lebenswerten Hessen ist das übergeordnete Anliegen der hessischen Unternehmerverbände. Diesem Oberziel hat auch die Energiepolitik zu dienen.

Drei gleichwertige Ziele gilt es in der Energiepolitik zu erreichen:1. Energie muss jederzeit ausreichend verfügbar sein.2. Energie soll zu möglichst niedrigen Preisen angeboten werden.3. Energie soll umwelt- und klimaverträglich bereit gestellt werden.

Dieses Zieldreieck ist konkreter formuliert als viele andere Zielbestimmungen im Energiesek-tor, die zum Beispiel eine „wettbewerbsfähige und sichere“ Energieversorgung verlangen oder noch allgemeiner von ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen der Energiepolitik spre-chen. Darunter kann jeder fast alles und nichts verstehen. Damit politische Zielbestimmungen operational und überprüfbar bleiben, ist ein höheres Maß an Bestimmtheit geboten. Denn die Unternehmen brauchen sowohl bezahlbare Energie rund um die Uhr als auch den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen als wichtigste Grundlage des Wirtschaftens.

Viele Politiker geben vor, ebenfalls ein solches Zieldreieck zu verfolgen. In der Tat wäre es er-freulich, würden solche Ziele nicht nur propagiert, sondern auch tatsächlich und gleichberech-tigt verfolgt. Doch in der Realität werden wirtschaftliche Ziele und insbesondere das Ziel mög-lichst niedriger Preise weitgehend ignoriert. Ökologische Belange genießen oft eine höhere Wertschätzung als wirtschaftliche Anliegen.

Deutschland als exportorientiertes Industrieland darf es sich nicht weiter erlauben, bei den Energiekosten deutlich über den internationalen Vergleichswerten zu liegen. Damit würde man die energieintensiven mittelständischen Industriebetriebe im internationalen Wettbewerb benachteiligen, die industrielle Basis insgesamt verkleinern und eine strukturelle Stärke der deutsche Wirtschaft, die Existenz ganzer Wertschöpfungsketten, gefährden. Der industrielle Mittelstand ist eine Innovationsquelle für Entwicklung und Bau von Lösungen für die weltweite Energieversorgung von morgen.

Die Energiekonzepte in Bund und Land müssen zwei Aspekte besonders berücksichtigen: Zum einen kommt es darauf an, die Energieversorgung der heimischen Unternehmen zu möglichst niedrigen Preisen zu sichern, zum anderen müssen die Konzepte der Wirtschaft helfen, die wachsenden Marktchancen moderner Energietechnologien ergreifen zu können. Ein Energieko-

4

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Motor für Reform

nzept, dass in dieser doppelten Zielsetzung erfolgreich ist, ist ein wirksamer Beitrag zur Stär-kung des Wirtschaftsstandorts.

Leider folgt das Energiekonzept der Bundesregierung einseitig dem Primat des Klimaschut-zes. Es mangelt an einer ausgewogenen Betrachtung der zwei anderen Ziele. Die Zielsetzung möglichst niedriger Energiepreise fehlt völlig.

Während für die ökologischen Anliegen klare Ziele mit Datum und Indikatoren genannt werden, wird das ökonomische Ziel – neben der Versorgungssicherheit – mit unterschiedlichen, meist unklaren Begriff en erwähnt und nicht weiter konkretisiert. Zwar wird im Titel des Energiekon-zepts von „bezahlbarer Energieversorgung“ gesprochen, doch fehlen – im Unterschied zu den ökologischen Zielen – sowohl quantifi zierte Ziele als auch hinreichend konkretisierte Instru-mente und Maßnahmen, wie Energie „bezahlbar“ bleiben bzw. werden soll. Selbst im Zusam-menhang mit dem Eingeständnis einer Überförderung der Photovoltaik wird das Ziel möglichst niedriger Strompreise nicht formuliert. Lediglich bezüglich der Laufzeitverlängerung der Kern-kraftwerke wird erwartet, dass die Laufzeitverlängerung sich „dämpfend auf die Strompreise“ auswirke.

Umgekehrt erweckt die Bundesregierung den Eindruck, dass sie deutlich steigende Energieprei-se nicht nur erwartet, sondern auch als hilfreich zur Veränderung des Energieversorgungssys-tems begrüßt. So richtig der Satz „Steigende Energiepreise sind für die Verbraucher ein wichti-ger Anreiz, um Energie einzusparen und effi zienter zu nutzen“ (Bundesregierung (2010), S. 13) ist, so sehr kommt es in der ökonomischen Bewertung darauf an zu unterscheiden, ob die Preise langfristig steigen, weil die Nachfrage wächst, oder ob es sich um staatlich bedingte Verteu-erungen von Energie zum Stopfen von Haushaltslöchern handelt. Letzteres kennzeichnet den Status Quo in Deutschland erheblich mehr als ersteres.

Eine Konsequenz der ungenügend ausbalancierten Zielbestimmung ist, dass die Kosten für die Maßnahmen des Energiekonzepts zu wenig oder gar nicht thematisiert werden. Auf Unterneh-men und Privathaushalte rollt eine Kostenlawine zu. Eine Kostenabschätzung für die einzelnen Maßnahmen ist dringend geboten!

Die Bundesregierung plant im Energiekonzept bis 2050 – für die Dauer von zehn Legislaturpe-rioden. Sie hat unter der Überschrift „Klimaschutzziele“ detaillierte Ziele und Zwischenziele festgelegt. Fehleinschätzungen sind nicht zu vermeiden. Die Bundesregierung scheint das Ri-siko in Kauf zu nehmen. Wer hätte im Jahr 1970 ein „richtiges“ Energiekonzept für die Zeit bis 2010 formulieren und dabei die technischen, politischen und kulturellen Veränderungen in der Welt vorhersehen können?

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Tabelle 18: Ziele des Energiekonzepts der Bundesregierung

1990 2005 2008 2020 2030 2040 2050

Treibhausgasemissionen 100% 60% 45% 30% 20% bis 5%

Primärenergieverbrauch 100% 80% 50%

Anteil erneuerbarer Energien am Brutto-Endenergieverbrauch*

5,8% 18% 30% 45% 60%

Endenergieverbrauch im Verkehr 100% 90% 60%

Stromverbrauch 100% 90% 75%

Anteil erneuerbarer Energien am Brutto-Stromverbrauch 35% 50% 65% 80%

Off shore-Windleistung 25 GW

Anzahl Elektrofahrzeuge in Dtld. 1 Mio. 6 Mio.

Energieproduktivität: Steigerung um 2,1 Prozent pro Jahr

Sanierungsrate Bestandsgebäude: Steigerung von unter 1 Prozent auf 2 Prozent pro Jahr

Quelle: Bundesregierung (2010), S. 4 f., BMU (2010b), S: 41. * Der Brutto-Endenergieverbrauch entspricht gemäß RL 2009/28/EG dem Endenergieverbrauch zuzüglich Leitungsverlusten und Eigenverbrauch der Erzeugungsanlagen.

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4.2 Marktwirtschaftliche Konzeption

Politische Ziele lassen sich über viele und unterschiedliche Wege erreichen. Zum Beispiel mit mehr oder weniger staatlicher Einmischung in Marktprozesse. So ist es auch in der Energiepoli-tik. Welche energiepolitischen Instrumente sollen ausgewählt werden? Welche Maximen sollen diese Auswahl leiten, damit Ziele und Instrumente zueinander passen?

Das weist auf die Frage nach der richtigen Konzeption für die Energiepolitik. Es geht um das Ausmaß staatlicher Zuständigkeit und die Abgrenzung zu den Handlungskompetenzen der Bür-ger und Unternehmen.

Der Energiemarkt ist mit anderen Märkten nicht ohne Weiteres vergleichbar. Staatliche Ein-griff e in die verschiedenen Energiemärkte sind seit deren Existenz sowohl in Deutschland als auch weltweit Realität. Die Interventionen betreff en vor allem die Wettbewerbsordnung, den Umweltschutz und die Förderung des technischen Fortschritts. Sie werden in den folgenden Kapiteln behandelt.

Hinsichtlich der Konzeption geht es um die Kernentscheidung, ob Energiepolitik nach den Ma-ximen einer ökologischen Industriepolitik betrieben wird, die durch eine starke detaillierte Prozesssteuerung geprägt ist. Oder soll sich die Energiepolitik einer marktwirtschaftlichen Ord-nungspolitik verpfl ichtet fühlen, die versucht, mit möglichst wenigen und allgemeinen Regeln einen Rahmen zu schaff en, in dem gewirtschaftet werden kann?

Die gegenwärtige praktizierte Energiepolitik in Deutschland und Europa wird von Vorstellungen dominiert, die einer Konzeption der ökologischen Industriepolitik zuzurechnen sind. Diese Konzeption, die auch das Energiekonzept der Bundesregierung prägt, weist der Politik eine ak-tive Rolle als Lenker auf neuen Märkten zu. Vermeintliche Zukunftsindustrien sollen gestärkt und entsprechende Innovationen gefördert werden. Staatliche Vorgaben, Förderungen und Re-gulierungen sollen dabei Anreize zur Ausrichtung der industriellen Produktion, aber auch der privaten Lebensführung und des Konsums, auf spezielle, ökologisch motivierte Ziele setzen. Entsprechend ausgeprägt ist in weiten Teilen der Politik der EU, im Bund und im Land Hessen das zu beobachtende Desinteresse an der Energiekostenbelastung von Bürgern und Unterneh-men.

Die Konzeption der (ökologischen) Industriepolitik weist erhebliche Schwächen auf. Es wird un-terstellt, dass staatliche Stellen systematisch besser über zukünftige Marktchancen informiert sind als die eigentlichen Marktteilnehmer. Nur so lässt sich überhaupt staatliches Eingreifen begründen, weil ansonsten damit zu rechnen wäre, dass innovative Unternehmer die Markt-chancen von alleine erkennen und nutzen würden. Mangels harter empirischer Fakten, die Er-folge im Sinne des Umweltschutzes oder einer veränderten Industriestruktur belegen könnten, wird weitgehend auf eine Evaluierung der Politikergebnisse dieser Konzeption verzichtet.

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Zukunftsträchtiger scheint hingegen die Konzeption einer marktwirtschaftlichen Energiepo-

litik zu sein. Denn zur dauerhaften Erreichung des Zieldreiecks ist mehr erforderlich als Regle-mentierung und staatliche Lenkung.

Ein freier Suchprozess der Marktteilnehmer im Gegensatz zu einer stärker lenkenden zentralen Einfl ussnahme von Staat und Kommunen haben sich in vielen, gerade innovationsintensiven Märkten bewährt. Detailinterventionen bergen die Gefahr erheblicher Fehlallokationen knap-per Ressourcen. Insbesondere kann nicht zentral vorhergesehen werden, welche Marktchancen sich tatsächlich realisieren lassen. Dieses Wissen zu generieren, ist Aufgabe eines dezentralen Marktprozesses. Daraus ergibt sich das Primat privatwirtschaftlicher Akteure: Staat und Kom-munen sollten nicht regelmäßig unternehmerisch tätig sein.

Aus ökonomischer Perspektive ist es ratsam, wo immer möglich und sinnvoll die wettbewerbli-chen Selbststeuerungskräfte zu nutzen. Die Institution Wettbewerb zu schützen – und nicht einzelne Wettbewerber – ist klare Aufgabe des Staates (Miksch, Leonhard (1937)).

Es geht deshalb sowohl um die Schaff ung und Sicherung von Handlungsfreiheit für die Markt-teilnehmer als auch um die Aktivierung der gesellschaftlich und wirtschaftlich vorteilhaften Funktionen des Wettbewerbs, die im wesentlichen die materiellen Voraussetzungen zur Ver-wirklichung gesellschaftlicher Oberziele wie Schutz der Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und soziale Sicherung gewährleisten.

Vier Gruppen von Wettbewerbsfunktionen lassen sich unterscheiden (Bartling, Hartwig (1992), S. 2 ff ., Zohlnhöfer, Werner (1968), S. 6):1. Wettbewerb schaff t Alternativen und damit die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der

verfassungsrechtlich garantierten formalen Freiheitsrechte.2. Wettbewerb schränkt Macht ein: sowohl den Einfl uss des Staates als auch die einzelner pri-

vater Anbieter – und ermöglicht individuelle Freiheitsrechte.3. Wettbewerb erfüllt in der Tendenz drei statische Funktionen:

• Die zur Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen erforderlichen Produktionsfakto-ren werden in ihre produktivste Verwendung gelenkt.

• Die Struktur des Angebots entspricht den Präferenzen der Nachfrager.• Die Einkommen werden gemäß der Marktleistung verteilt.

4. Wettbewerb verwirklicht zwei dynamische Funktionen, indem er zu permanenten Innova-

tionsanreizen und zur raschen Anpassung der Produktion an sich verändernde Rahmenbe-dingungen führt, so dass insbesondere der technische Fortschritt über Imitationen rasch verbreitet wird.

Dem Oberziel Freiheit kommt regelmäßig eine besondere Stellung zu, da Freiheit sowohl eine Voraussetzung für wirksamen Wettbewerb als auch ein angestrebtes Ergebnis wirksamen Wett-bewerbs ist.

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Bezogen auf die Energieversorgung lässt sich feststellen: Wer die wirtschaftliche Entwicklung umwelt- und klimaverträglich gestalten und auch Anbietern von Energiedienstleistungen und von Effi zienztechnik in Deutschland gute Standortbedingungen bieten möchte, wird mit einer Konzeption einer marktwirtschaftlichen Energiepolitik nachhaltigere Erfolge erzielen als mit – wie auch immer – motiviertem Marktprozessinterventionen.

Die Strategie „Mehr Markt und mehr Wettbewerb im Energiesektor“ leistet einen Beitrag zur Steigerung des wirtschaftlichen Wachstums, insbesondere in innovationsstarken Wirtschafts-sektoren wie der Industrie. Zudem ist mit einer Beschleunigung des technischen Forschritts zu rechnen, der tendenziell zu niedrigeren Preisen und einer höheren Produktvielfalt und besse-ren Kundenorientierung der Anbieter führt.

Auch in der Konzeption einer marktwirtschaftlichen Energiepolitik hat der Staat keineswegs eine schwache Stellung. Er muss sogar eine starke Position einnehmen, da er spezifi sche wett-

bewerbs-, umwelt-, fi nanz- und forschungspolitische Rahmenbedingungen des Energie-marktes vorzugeben hat: Beispielsweise zur Verhinderung eines Missbrauchs sog. natürlicher Monopole im Betrieb von Stromnetzen und Gasleitungen oder zur Gewährleistung des Umwelt-schutzes oder zur Überwindung von Informationsdefi ziten bei Innovationen (siehe folgende Kapitel). Aber im Unterschied zur ökologischen Industriepolitik werden die Akteure nicht sys-tematisch bevormundet und es gibt Sicherungen gegen bürokratisches Expansionsstreben hin zu einem omnipräsenten und ineffi zienten Staat.

Staat und Kommunen sollten sich jenseits der Setzung und Durchsetzung der Rahmenbedin-gungen aus dem konkreten Energiemarktgeschehen so weit wie möglich heraus halten. Nur in gut begründeten Ausnahmen sollte der Staat intervenieren, etwa zur Stimulierung von Innova-tionen und ihrer schnelleren Marktdurchdringung.

Es bleibt den Marktakteuren – also den Anbietern und Nachfragern – überlassen, durch mil-

lionenfache Interaktionen über den tatsächlichen Energiemix und über die Marktanteile der einzelnen Energieträger zu entscheiden. Der Gesetzgeber und Verwaltungen wären mit einer solchen Aufgabe völlig überfordert.

Die vielen, genauen Planziele bis 2050 im Energiekonzept der Bundesregierung (siehe Tabelle 18 auf Seite 53) dürften mit einer marktwirtschaftlichen Energiepolitik nur schwer zu vereinba-ren sein. Die Bundesregierung proklamiert im Energiekonzept zwar, „wir wollen den Wettbewerb und eine marktwirtschaftliche Orientierung auf den Energiemärkten stärken“ (S.3). Doch setzt sie in den einzelnen Politikfeldern tendenziell zu wenig auf Markt und Wettbewerb, sondern weiterhin auf hohe Subventionen zu Lasten von Steuerbürgern und Energieverbrauchern.

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Falls die sehr ambitionierten Ziele der Entwicklungspfade trotz staatlicher Anreize verfehlt wer-den sollten, was aufgrund der Annahmen nicht unrealistisch erscheint, stellt sich die Frage, ob dann mit einer staatlichen Durchsetzung im Wege des Ordnungsrechts zu rechnen ist und was dies für die Zukunft des Wettbewerbs bedeuten würde.

Auch im Energiesektor gilt wie in allen anderen Wirtschaftssektoren der Vorrang privatwirt-

schaftlicher Akteure. Es ist nicht erkennbar, dass Energieunternehmen in kommunalem Eigen-tum wirtschaftlicher arbeiten und in einem höheren Maße energiepolitische Ziele erreichen als Private. Gesamtwirtschaftlich nicht zu rechtfertigen ist daher eine Rekommunalisierung energiewirtschaftlicher Strukturen. Umgekehrt ist eine Privatisierung durch Verkauf der Betei-ligungen an Stadtwerken und Energieunternehmen ordnungspolitisch empfehlenswert.

Nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive, auch aus demokratischer Sicht gibt es Gründe

für eine Privatisierung: Nicht wenige kommunale Energieunternehmen wurden und werden – zusätzlich zu ihrem Kerngeschäft – in den Dienst der politischen Interessen der jeweiligen Mehrheitsparteien in Städten und Gemeinden gestellt. Transparenz und eine eff ektive demo-kratische Kontrolle sind kaum möglich, hingegen können die Kommunalunternehmen als Inst-rumente von Parteien missbraucht werden, etwa im Rahmen von Werbung und Sponsoring oder zur Versorgung politischem Personal nach Ämterverlusten.

Energiepolitisch bedenklich sind beispielsweise massive Versuche der Öff entlichkeitsbeeinfl us-sung zugunsten bestimmter Energieträger, wie sie von Kommunalunternehmen mit Ausrich-tung auf erneuerbare Energien praktiziert werden. Hier fi ndet über die Maßen eine Vermischung von wirtschaftlicher Marktmacht und politischer Interessensvertretung statt.

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4.3 Wettbewerbspolitische Rahmensetzung

Aufgrund historischer Entwicklungen und technischer Besonderheiten war und ist der Energie-markt geprägt durch eine – im Vergleich zu anderen Produkt- oder Dienstleistungsmärkten – re-lativ hohe Dichte an staatlicher Regulierung und Subventionierung sowie einen höheren Anteil öff entlicher Unternehmen. Entsprechend gering waren über Jahrzehnte die Wettbewerbsinten-sität und die Innovationsgeschwindigkeit.

Ende der neunziger Jahre kam es zu einer weitgehenden Marktöff nung in der Energieversorgung in Deutschland, der im vergangenen Jahrzehnt eine Novellierung des Energiewirtschaftsrechts folgte. Wegen der Grundsatzentscheidung für wettbewerbliche Selbststeuerungsprozesse ist diese Entwicklung zu begrüßen.

Doch die Marktöff nung war nicht vollständig, und es existieren wettbewerbspolitische Prob-lemfelder: • Nach wie vor wird in wesentlichen Teilen und einzelnen Wertschöpfungsstufen der Energie-

märkte der Wettbewerb durch ökonomisch nicht zu rechtfertigende staatliche Interventionen und Preisverzerrungen gehemmt.

• Zudem gelingt es in geöff neten Marktsegmenten nicht, Behinderungs- und Verdrängungs-strategien etablierter marktmächtiger Anbieter zu unterbinden. In der Stromerzeugung exis-tiert ein enges Oligopol mit einem hohen Missbrauchspotential. Diese Problemlage könnte auch den Bereich erneuerbare Energien erfassen.

• Ferner führen unterschiedliche Intensitäten und Geschwindigkeiten der Marktöff nung in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten zu Verzerrungen des Wettbewerbs, wenn z.B. (Staats-)Betriebe mit geschütztem Monopolbereich in Konkurrenz zu Unternehmen auf geöff neten Auslands-märkten treten.

Um zu identifi zieren, wo weiterer Handlungsbedarf besteht, sollte die Politik die Energiemärkte zunächst nach Teilmärkten und Wertschöpfungsstufen disaggregieren. Grundlage für Hand-lungsempfehlungen für Einzelmärkte ist eine allgemeingültige, eindeutige Abgrenzung wett-

bewerblicher Marktsegmente von solchen Bereichen, in denen ein Wettbewerbsversagen

besteht. Dies ist die Basis für passgenaue Entscheidungen. Pauschalurteile über ganze Märkte und lange Wertschöpfungsketten gilt es zu vermeiden.

Staatsinterventionen können dann in Frage kommen, wenn die wettbewerbliche Selbststeu-erung auf Märkten nicht die gewünschten Ziele in den Bereichen Allokation, Distribution und Stabilisierung verwirklicht (Musgrave, R. A. (1959), S. 5 ff .). Auf dem deutschen Energiemarkt sind drei wettbewerbspolitische Rechtfertigungen für staatliche Eingriff e relevant.

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a. Wettbewerbsversagen

Eine staatliche Intervention kann gerechtfertigt und geboten sein, wenn zwar ein privates An-gebot und eine private Nachfrage vorhanden sind, also kein Marktversagen vorliegt, jedoch die Marktstruktur verhindert, dass der Wettbewerb für eine effi ziente Allokation der Produktions-faktoren und Güter sorgt. Dann handelt es sich um einen Fall von Wettbewerbsversagen:

Bei der Prüfung eines nicht wettbewerblichen Marktsegments sind zu unterscheiden • Märkte mit korrigierbarem Wettbewerbsversagen und• Märkte mit fundamentalem Wettbewerbsversagen

Ursächlich für die erste Fallgruppe korrigierbaren Wettbewerbsversagens können sein (Bart-ling, H. (1983), S. 328 ff .):• gravierende externe Eff ekte (z. B. Umweltverschmutzung durch Schadstoff emissionen), • chronisch branchenruinöse Marktstrukturen (z. B. im Agrarbereich wegen hoher Marktaus-

trittsbarrieren in Verbindung mit Überkapazitäten) oder • eine asymmetrische Informationsverteilung (z. B. im Versicherungsmarkt). Hiervon relevant sind für die Energiepolitik die externen Eff ekte, die im Kapitel 4.4 unten aus-führlich behandelt werden.

Fälle fundamentalen Wettbewerbsversagens treten in der Energieversorgung in Form verfes-tigt-vermachteter Marktstrukturen mit Tendenzen zum nicht-bestreitbaren natürlichen Mono-pol auf – beispielhaft seien Stromnetze und Gasleitungen genannt. Weil hier der Wettbewerb fundamental versagt, ist eine staatliche Regulierung gerechtfertigt und erforderlich, wie etwa die ex ante praktizierte Zugangs- und Entgeltregulierung in den regionalen Stromnetz- und Gasleitungsmonopolen. Lediglich ex post die Folgen des Wettbewerbsversagens abzumildern zu versuchen, wie es bis 2005 Bund und Länder praktizierten, war wettbewerbspolitisch unzu-reichend und kam praktisch einer Sisyphos-Aufgabe gleicht. Nötig war eine eff ektive Ex-Ante-Regulierung. Auch dies zeigt: Die wohlfahrtssteigernden Eff ekte einer Marktöff nung hängen also entscheidend vom regulatorischen Rahmen der einzelnen Teilmärkte und Wertschöpfungs-stufen ab.

b. Fehlender Wettbewerb

Zweitens kann eine staatliche Intervention in Marktsegmenten gerechtfertigt sein, in denen Wettbewerb zwar potenziell möglich ist, aber in der Realität fehlt, weil er entweder von einigen Anbietern beschränkt wird oder weil die Anbieter Wettbewerb nicht praktizieren. • Im Falle einer Wettbewerbsbeschränkung, zum Beispiel durch verbotene Verhaltensweisen

wie Kartellabsprachen für überhöhte Preise, muss das bewährte Instrumentarium der EU-Wettbewerbsbehörde und der Bundes- und Landeskartellbehörden zum Einsatz kommen.

• Falls das Fehlen des Wettbewerbs nicht durch wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen der Marktakteure verursacht ist, kann sogar eine Marktstrukturpolitik wettbewerbspolitisch erforderlich sein. Das energiewirtschaftlich relevante Beispiel ist das enge Oligopol in der

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Stromerzeugung. Weder existiert hier ein fundamentales Wettbewerbsversagen noch wird der Wettbewerb – erwiesenermaßen – aktiv beschränkt. Der Staat muss dann prüfen, wie sich Wettbewerb in Gang setzen lässt. Das wettbewerbspolitisch sinnvolle Ziel lautet, die Anzahl der Anbieter so weit zu erhöhen, dass die Voraussetzung für eine wettbewerbliche Selbststeu-erung geschaff en wird. Die Stimulierung des Wettbewerbs sollte zunächst mit milden Staats-eingriff en versucht werden. Zum Beispiel, indem Marktzutrittsschranken abgebaut werden, damit neue Anbieter aus dem In- und Ausland auf den Markt treten. Falls milde Maßnahmen nicht wirken, können drastischere Staatseingriff e wie die Veränderung der Marktstruktur als ultima ratio erforderlich werden.

c. Marktergebnisablehnung

Schließlich gibt es – auch in der Energieversorgung – Konstellationen, in denen zwar ein Markt mit wirksamem Wettbewerb besteht und eine effi ziente Allokation erreicht werden kann, jedoch die wettbewerbliche Selbststeuerung Ergebnisse hervorbringt, die gesellschaftlich abgelehnt werden: Entweder, weil sie gegen politische Vorstellungen über die anzustrebende regionale oder personelle Einkommensverteilung verstoßen (Distribution), oder, weil sie hinsichtlich des Umfangs des Angebots bzw. der Nachfrage als unzureichend eingestuft werden (Meritorik). Statt eines Markt- oder Wettbewerbsversagens liegt eine „Marktergebnisablehnung“ vor.

Beispielsweise ist an die Kritik an Kraftwerksneubauten auf Basis fossiler Energieträger zu den-ken, ganz zu Schweigen von der Kritik an einer Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwer-ken. In diesen Fällen wird ein staatliches Eingreifen zur Korrektur der Marktstruktur wie auch der Marktergebnisse verlangt, die sich nicht allein auf ökologische oder wettbewerbspolitische Argumente stützt. Vielmehr werden bestimmte Präferenzen für oder gegen Größenklassen und Eigentumsformen von Unternehmen off enbart.

Aus unternehmerischer Sicht sind solche Werturteilsgeladenen und politisch motivierten Staatsinterventionen äußerst kritisch zu sehen. Zum einen, weil es sich um eine unzulässige Anmaßung von Wissen handeln kann, zum anderen, da die Markt- und Wettbewerbsprozesse erheblich beeinfl usst werden. Gleichwohl gilt das Primat der Politik über die Wirtschaft, was aber nicht rechtfertigt, ökonomische Vernunftargumente außen vor zu lassen.

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4.4 Umweltpolitische Rahmensetzung

Neben einer wettbewerbspolitischen Flankierung bedarf der Energiemarkt einer umweltpoliti-schen Rahmensetzung. Insbesondere die Klimaschutzpolitik hat eine hohe Relevanz. Rationa-lität und der Verzicht auf klimapolitische Illusionen sollten als Leitlinien die energiebezogene Umweltpolitik kennzeichnen.

Erzeugung, Umwandlung, Transport, Speicherung und Nutzung von Energie beeinträchtigen zum Teil massiv die Umwelt. Weil es keine Eigentumstitel an freien Umweltgütern gibt, dafür aber erhebliche wirtschaftliche Anreize zu Umweltbeeinträchtigungen, muss der Staat zum Schutz der Umwelt aktiv werden und einen umweltpolitischen Rahmen für Märkte setzen.

Wie soll der Staat den Umgang mit Umweltgütern regeln, für die es konkurrierende Verwendun-gen gibt? Nicht alle Ansprüche an die Umwelt, nicht alle Nutzungsarten können gleichzeitig befriedigt werden: Man kann zum Beispiel einen Regenwald nicht gleichzeitig als Brennholzlie-ferant nutzen, zu Holz für die Möbelindustrie verarbeiten, ein Naherholungsgebiet oder Acker-fl ächen daraus machen, Straßen hindurchbauen und seine Ökosysteme unberührt lassen, so dass er als CO2-Senke fungiert.

Dieses Nutzungsdilemma verdeutlicht, dass Umfang und Inhalte einer umweltpolitischen Rah-mensetzung vor allem von gesellschaftlichen Werturteilen und dem zugrunde liegenden Men-schen- und Weltbild geprägt sind.

Die Überzeugung mancher Naturschützer, die Natur dadurch schützen zu wollen, indem man sie vollständig in Ruhe lässt, kann Ausdruck eines ökozentristischen Weltbildes sein, das den Men-schen und ihren wirtschaftlichen Interessen engste Grenzen setzt. Demgegenüber gestattet ein anthropozentrisches Weltbild den Menschen einen weitergehenden, aber verantwortungsvollen Ge- und Verbrauch von Umweltgütern. (Schockenhoff , Eberhard (2008), S. 397 und S. 410).

Das energiewirtschaftliche Zieldreieck, das wirtschaftliche und ökologische Ziele als gleichran-gig ansieht, passt zu einem ökozentristischen Weltbild gewiss nicht. Auch eine marktwirtschaft-liche Konzeption der Energiepolitik zur Auswahl zielführender Instrumente ist mit dem Ökozen-trismus inkompatibel. Vereinfacht gesagt: „Der Unterschied zwischen reinen Naturschützern und Umweltökonomen besteht darin, dass Ökonomen zur Kenntnis nehmen, dass Menschen an die natürliche Umwelt eben auch sehr berechtigte Ansprüche stellen, die nicht in jedem Fall den Erhalt natürlicher Systeme sichern.“ (Weimann, Joachim (2009), S. 128).

Eine marktwirtschaftliche Energiepolitik steht vor der Aufgabe, die Umwelt so zu behandeln, dass die Ansprüche, die sich heute und morgen an diese Umwelt richten, möglichst gut befrie-digt und zum Ausgleich gebracht werden können, ohne die natürlichen Lebensgrundlagen zu gefährden. Dies folgt dem von der Brundtland-Kommission 1987 formulierten Leitbild einer „nachhaltigen Entwicklung“, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne

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die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedi-gen und ihren Lebensstil zu wählen.“

Nicht nur mit ethischen Erwägungen kann eine umweltpolitische Rahmensetzung motiviert werden. Umweltschutz ist auch begründbar mit Einsichten über die Funktionsbedingungen ei-ner Marktwirtschaft. Die Wirtschaftswissenschaft befasst sich seit langem mit der Frage, ob und wie der Umgang mit knappen Umweltgütern zu regeln ist. Die Umweltökonomik geht auf Arbei-ten von Arthur Cecil Pigou (1920) und Alfred Marshall (1890) zu externen Eff ekten zurück.

Externe Eff ekte entstehen, wenn eine Entscheidung eines Wirtschaftsakteurs nicht nur ihn selbst betriff t, sondern auch relevante Konsequenzen für Unbeteiligte hat. Handelt es sich um Schädigungen Dritter, so spricht man von negativen externen Eff ekten bzw. externen Kosten. Sie werden beispielsweise verursacht, wenn eine Fabrik Schadstoff e aus Verbrennungsprozes-sen in die Luft abgibt oder verschmutztes Wasser in Gewässer einleitet.

In einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die auf Wettbewerb und Preise zur Koordinierung zwi-schen Angebot und Nachfrage vertraut, verhindern externe Eff ekte eine effi ziente Allokation von Produktionsfaktoren, weil die externen Eff ekte nicht in den Marktpreis eingehen. Auf dem Markt herrscht ein so genanntes korrigierbares Wettbewerbsversagen. Eine staatliche Inter-vention ist dann geboten.

Ordnungsrechtliche Regulierungen gelten bei längerfristigen Nachhaltigkeitszielen als wenig effi zient. Sie können Unterschiede in den Vermeidungskosten bei verschiedenen Emittenten nicht ausreichend berücksichtigen, vertrauen auf bestimmte Vermeidungstechniken, geben un-zureichende Anreize zur Entwicklung umweltverträglicherer Technologien und sind häufi g mit hohen Vollzugskosten sowie mit Vollzugsdefi ziten verbunden. (Bach, Stefan (2010), S. 218).

Pigou empfahl bereits vor 90 Jahren, die externen Kosten zum Verschmutzer zurück zu verla-gern. Dazu schlug er eine Besteuerung der Handlungen vor, die externe Kosten verursachen. Heute spricht man von Ökosteuern. Eine Alternative, um die externen Kosten dem Verschmutzer anzulasten, ist die Einrichtung von Märkten für Berechtigungen, die eine (staatlich überwach-te) Nutzung bzw. Verschmutzung von Umweltgütern erlauben. Ein Beispiel ist die Ausgabe einer begrenzten Menge an Zertifi katen für Treibhausgas-Emissionen in bestimmten Branchen und Regionen verbunden mit der Möglichkeit, Zertifi kate jederzeit verkaufen oder weitere hinzu kaufen zu können.

Mit Umweltsteuern oder handelbaren Verschmutzungsrechten sollen Umweltziele zu geringe-ren volkswirtschaftlichen Kosten erreicht werden. Die grundlegende Idee beider Instrumente ist, dem Ausstoß von Treibhausgasen einen Preis zu geben und damit den Marktteilnehmern die Entscheidung über den effi zienten Einsatz von Klimaschutzinvestitionen beziehungsweise über den kostengünstigsten Verzicht auf Emissionen zu überlassen. Es macht für das Entscheidungs-kalkül von Wirtschaftsakteuren wie auch für die Umwelt keinen prinzipiellen Unterschied, ob

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Emissionen reduziert werden, um der Steuer auszuweichen oder um weniger Zertifi kate kaufen zu müssen. Die Steuer ist genauso ein Mittel zur Internalisierung externer Kosten wie der Preis der Zertifi kate selbst.

Jedoch existieren Unterschiede zwischen Umweltsteuern und Zertifi katen hinsichtlich der umweltpolitischen Steuerbarkeit. Zertifi kate haben den Vorteil, dass der Staat das Ausmaß an Schädigung im Vorhinein begrenzen kann, während eine Verteuerung durch Ökosteuern nicht automatisch das Schädigungsniveau reduziert. Zudem stellt sich bei Zertifi katen nicht die Fra-ge, welcher monetäre Wert einer Umweltschädigung zugemessen werden soll. Zumal es keine objektive Methode zur Berechnung der „wahren“ externen Kosten gibt. Dies erschwert die Fest-legung eines „richtigen“ Ökosteuersatzes. Gleichwohl kommt der Staat auch mit der Zertifi -katelösung nicht um die schwierige Entscheidung herum, wie weit Umweltgüter in Anspruch genommen werden sollen oder welches Ausmaß an Umweltschädigung hinnehmbar ist.

Trotz dieser methodischen Schwierigkeiten hat die Politik durch die umweltpolitische Rahmen-setzung anzustreben, dass die externen Kosten möglichst vollständig – d.h. weder teilweise noch mehrfach – in die Preise internalisiert werden.

Im Energiesektor treten negative externe Eff ekte im Zusammenhang mit der Erzeugung, dem Transport und der Nutzung der meisten Energieträger auf. Schädliche Emissionen in Folge der Gewinnung von Strom, Wärme und Kraft aus fossilen Brennstoff en oder das Entstehen radioakti-ver Abfälle aus Kernkraftwerken erfordern diff erenzierte umweltpolitische Rahmensetzungen.

Dabei hat die Umweltpolitik zwei Anforderungen zu beachten:

Die erste lautet: Umweltpolitische Regelungen und Maßnahmen müssen ökologisch eff ektiv sein! Anderenfalls fehlt ihnen eine Berechtigung. Umweltgesetze, die keine ökologische Ver-besserung bewirken, dürfen nicht verabschiedet werden oder müssen abgeschaff t werden.

Denn ineff ektive Regelungen helfen nicht nur der Umwelt nicht, sondern führen zu Bürokratie und Kosten bei Unternehmen und Bürgern und können letztlich Beschäftigungsabbau verursa-chen. Zum Beispiel riskiert eine überzogene Klimaschutzpolitik, dass Unternehmen Produkti-onsstätten in Länder mit geringeren Klimaschutzvorschriften verlegen (so genanntes „job and

carbon leakage“).

Wo Umweltpolitik eff ektiv ist, bleibt zu prüfen, ob die Wirkungen groß genug sind, ob sie also signifi kant und nicht nur marginal sind. Denn jede zusätzliche Intervention verzerrt Marktprei-se, stiftet Bürokratie und schmälert die Allokationseffi zienz – und nicht selten entstehen Be-nachteiligungen für Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Leider übersehen politische Entscheidungsträger diese Nachteile oft und wägen nicht immer ab, ob die – mitunter geringen – Vorteile einer ökologischen Regelung kleiner sind als die gesamtwirtschaftlichen Kosten.

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Die zweite Anforderung lautet: Umweltpolitische Regelungen und Maßnahmen müssen ge-samtwirtschaftlich kosteneffi zient sein!

Klimaschutzmaßnahmen sind noch nicht allein durch eine hohe ökologische Eff ektivität ge-rechtfertigt. Als hinreichende Bedingung ist eine möglichst hohe gesamtwirtschaftliche Kos-teneffi zienz zu fordern. Kosteneffi zienz eines Instruments liegt vor, wenn es keine Alternativen gibt, die dieselben ökologischen Wirkungen mit niedrigeren gesamtwirtschaftlichen Kosten erreichen. Zu fragen ist: Wie wird für einen eingesetzten Euro möglichst viel Umwelt- oder

Klimaschutz erreicht?

Weil es in Sachen Klimawandel aus Sicht der Mehrheit von Wissenschaftlern und Regierungen „fünf vor zwölf“ ist, sollte sich die Menschheit weitere Ineffi zienzen in der Klima- und Umwelt-politik nicht leisten. Doch Kosteneffi zienz hat einen niedrigen Stellenwert in der Klimapolitik. „Vieles von dem, was wir tun und wofür wir Milliarden und Abermilliarden ausgeben, wirkt über-haupt nicht, manches ist ethisch kaum vertretbar, und manches ist unnötig teuer. Die Ziele der Umweltpolitik sind richtig, doch es ist eine Farce, mit welchen Instrumenten das Land zum Erfolg kommen will.“ (Sinn, Hans-Werner (2009b)).

Oft begründen Politiker Gebote zur Nutzung bestimmter Techniken mit dem Hinweis, diese amortisierten sich binnen kurzer Zeit. Diese unterstellte einzelwirtschaftliche Rentabilität ist nun eine andere Ebene der Betrachtung als die volkswirtschaftliche Kosteneffi zienz einer um-weltpolitischen Regelung. Der Hinweis, etwas „rechne“ sich, ist keine hinreichende Rechtferti-gung für eine staatliche Intervention oder gar für ein Gebot, eine bestimmte Technik zu nutzen. Stets muss der Staat prüfen, ob Kosteneffi zienz erreicht wird.

Staatliche Förderungen von Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffi zienz und zur Verminde-rung des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen können umweltpolitisch begrün-det werden, sofern sie ökologisch eff ektiv und zugleich kosteneffi zient sind, das heißt, dass es keine geeigneteren Instrumente gibt. Wie später gezeigt wird, gibt es für das Ziel der Reduktion von Treibhausgasen erfolgversprechendere Ansätze. Gleichwohl gibt es andere, technologiepo-litische Rechtfertigungen für staatliche Förderprogramme, die im folgenden Kapitel behandelt werden.

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4.5 Technologiepolitische Rahmensetzung

Investitionen in Klimaschutztechnologien oder energetische Modernisierungen in Privathäu-sern führen in aller Regel zwar zu Kosteneinsparungen auf betrieblicher oder privater Ebene, etwa durch einen geringeren Energieverbrauch, in Betrieben insbesondere bei Querschnitts-techniken wie elektrischen Antrieben, Pumpen und Klimaanlagen.

Gleichwohl können energieeffi ziente Investitionen andere kostenträchtige Maßnahmen voraus-setzen oder mit ihnen verknüpft sein, wie beispielsweise in Privathaushalten fällige Reparatu-ren oder Erneuerungen von Gebäudehülle oder Heizungsanlagen, die wiederum so umfangreich sind, dass sie von den Entscheidern zeitlich aufgeschoben werden.

So mag beispielsweise eine Dachisolierung bezahlbar sein und sich zeitnah amortisieren. Wenn aber sowieso das Dach komplett erneuert werden muss und dafür ein Hauseigentümer aktuell kein Geld ausgeben kann oder will, so wird er in aller Regel auch die Dachisolierung aufschie-ben.

Zudem darf nicht verkannt werden, dass auf einzelwirtschaftlicher Ebene eine Investition – z. B. in höhere Energieeffi zienz – nicht allein deshalb getätigt wird, weil sie sich früher oder später rechnet. Jede Geldausgabe im Unternehmen wie im Privathaushalt ist mit Opportunitäts-

kosten verbunden, also mit dem Verzicht auf andere Verwendungsmöglichkeiten des Geldes.

Die Entscheider in den Unternehmen haben zu prüfen, ob die Geschäfterwartungen, die Unter-nehmensstrategie oder die aktuelle Liquidität neue Investitionen überhaupt zulassen und, falls ja, ob eventuell andere Investitionen – etwa in besseres Marketing oder in die Weiterbildung der Mitarbeiter – höhere Renditen versprechen oder besser zur Unternehmensstrategie passen. Ähnlich komplex sind die Entscheidungskalküle in Privathaushalten hinsichtlich Konsum und Sparen.

Deshalb ist auf gesamtwirtschaftlicher Ebene das Argument der Effi zienzsteigerung, mit dem staatliche Vorschriften oder Förderungen für mehr Energieeffi zienz begründet werden, nur auf den ersten Blick zwingend plausibel. Zwar verringert der Minderverbrauch in der Volkswirt-schaft Energieimporte beziehungsweise Energiekosten. Dabei wird jedoch verkannt, dass es durchaus betriebs- und volkswirtschaftliche Gründe gibt, eine bestimmte Maßnahme zur Stei-gerung der Energieeffi zienz nicht durchzuführen. In die ökonomischen Optimierungskalküle der Individuen fl ießen zahlreiche Kriterien ein. Zum Beispiel hätte eine einseitige Betonung der Energieeinsparung Verzerrungen und Ineffi zienzen an anderer Stelle zur Folge, wenn kei-ne Abwägung zwischen Investitionen in Energieeffi zienz und Investitionen in die Entwicklung neuer Produkte mehr stattfi nden würde.

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Motor für Reform

Energieeffi zienzmaßnahmen, die freiwillig von Unternehmen und privaten Haushalten durch-geführt werden, sind ökonomisch vernünftig. Eine darüber hinausgehende Energieeinsparung kann sogar zu gesamtwirtschaftlich negativen Eff ekten führen, wenn beispielsweise durch staatlich vorgegebene Verbrauchssenkungen so hohe Kosten (nach Abzug der eingesparten Energiekosten) für die Unternehmen entstehen, dass die internationale Wettbewerbsposition verschlechtert wird. (Bardt, Hubertus (2009), S. 53; Harks, Enno (2007), S. 25; Wagner, Marcus (2006), S. 317).

Volkswirtschaftlich gibt es gute Gründe, einzelne Techniken und technikbezogene Dienstleis-tungen durch den Staat zu fördern, die noch marktfern sind, auf Dauer aber wesentliche Beiträ-ge zur Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit der Energieversor-gung versprechen.

Ebenfalls gesamtwirtschaftlich sinnvoll und zulässig in einer marktwirtschaftlichen Konzep-tion der Energiepolitik können öff entlich geförderte Modellprojekte innovativer Techniken und unterstützte Kampagnen zur Information von Privathaushalten und Unternehmen über

markterprobte Ergebnisse des technischen Fortschritts sein.

Solche Aktivitäten des öff entlichen Sektors lassen sich mit dem Ziel der Überwindung eines

korrigierbaren Wettbewerbsversagens durch asymmetrisch verteilte Informationen recht-

fertigen. Denn – sofern man nicht allzu lange Zeiträume betrachtet – dauert es mitunter nicht Jahre, sondern einige Jahrzehnte, bis eine Zukunftstechnik sich am Markt etabliert, was aus Sicht von Herstellern und Kunden gleichermaßen zu lange ist.

Bei energiesparenden und emissionsarmen Techniken spielen fehlende Informationen der Kon-sumenten eine erhebliche Rolle. Ohne diese unterbleiben Investitionen in bzw. Anschaff ungen von energieeffi zienten Produkten, obwohl sie sich für Unternehmen und Privathaushalte wirt-schaftlich in kurzen Zeiträumen rechnen würden.

Mehr Transparenz in Bezug auf energiesparende und klimaschonende Technologien, die zudem auch wirtschaftlich vorteilhaft sind, kann die bestehenden Informationsdefi zite beseitigen und so erhebliche CO2-Vermeidungspotenziale heben. Hierbei sind Staat und Wirtschaft gleicher-maßen gefordert. Kundeninformationen, Presse- und Öff entlichkeitsarbeit, Kommunikations- und Marketingmaßnahmen der Industrie bedürfen der Flankierung durch staatlich fi nanzierte Beratungen oder Kennzeichnungspfl ichten. (ZVEI (2010), S. 80 f.).

Um das Funktionieren der Märkte zu wahren, muss sich der Staat aber aus solchen Projekten zu-rückziehen, die die technische Marktreife und eine gewisse Marktdurchdringung erlangt haben und die sich dem Wettbewerb stellen können.

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Staatliche Eingriff e zur Förderung noch marktferner Technologien müssen in jedem Fall stren-gen Kriterien genügen. Voraussetzung für diese Eingriff e ist, dass sie • ökonomisch und ökologisch begründet sind,• zeitlich begrenzt und degressiv ausgestaltet sind,• regelmäßig überprüft werden,• Mitnahmeeff ekte vermeiden,• anspruchsvolle Effi zienzkriterien zugrunde legen,• eine möglichst geringe Erhöhung des Energiepreises nach sich ziehen.

Staatliche Maßnahmen dürfen Technologien nicht einseitig bevorzugen und müssen Unterneh-men die Möglichkeit zur eigenständigen Produktspezifi kation lassen. Dann können deutsche Unternehmen ihren internationalen Wettbewerbsvorsprung bei umwelt- und energierelevanten Produkten halten.

Die Unternehmen, die diese Zukunftstechnik entwickeln und betreiben, müssen sich in beson-derer Weise auf die Konstanz und Konsistenz der Energiepolitik verlassen können. Dieser Appell richtet sich sowohl an die Bundespolitik sowie an die europäische Ebene, aber auch an die Län-der und Kommunen.

Technik liefert den Schlüssel zur Erreichung eines Großteils der Ziele der Energiepolitik. Gerade die in Hessen erfolgreichen Unternehmen der Chemie, der Elektroindustrie, des Maschinen- und Anlagenbaus und der Automobilindustrie gehören zu den „Schlüsselanbietern“ von Tech-nik zur Energieumwandlung und zur effi zienten Energienutzung.

Staat und Kommunen haben in ihrer Politik den Grundsatz der Technikneutralität strikt zu beach-ten. Weder dürfen einzelne Techniken privilegiert werden noch sollen bestimmte Marktstruktu-ren, die in der Regel technisch bedingt sind (z.B. Großkraftwerke oder dezentrale Erzeugung), begünstigt werden. Dies wäre eine Anmaßung von Wissen, über die niemand, insbesondere nicht Politiker und Verwaltungsmitarbeiter, verfügen können.

Gleichwohl setzen Staat und Kommunen über Entscheidungen in der Raumordnung den Rahmen für oder wider bestimmte Formen der Erzeugung, des Transports und der Nutzung von Energie. Es ist hierbei darauf zu achten, dass diese Rahmensetzungen möglichst kompatibel sind mit den über Marktsignale vermittelten Wünschen der privaten und gewerblichen Nachfrager von Energie. So sollte beispielsweise der Ausbau der Wechselstrom-Höchstspannungsleitungen von Nord- nach Süddeutschland möglichst rasch und kostengünstig erfolgen, also die teure Erdver-kabelung nicht der staatlich vorgeschriebene Regelfall werden.

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Motor für Reform

SICHERE ENERGIEVERSORGUNG GEWÄHRLEISTEN

Die Bürger und die Unternehmen brauchen rund um die Uhr Energie. Die Energiepolitik in Bund und Land muss durch geeignete Rahmenbedingungen die jederzeitige Versorgungssicherheit gewährleisten. Deutschland braucht dazu auf absehbare Zeit einen breiten und technologieof-fenen Energiemix, der Erdgas, Erdöl, Steinkohle, Braunkohle, Kernenergie und Erneuerbare umfasst. Anderenfalls ist der jährliche Energiebedarf von über 13.000 bis 14.000 Petajoule nicht zu sichern.

Hinsichtlich der quantitativ mit großem Abstand bedeutendsten Energieträger Gas, Öl und Koh-le stellen die Energieunternehmen die Versorgungssicherheit durch eine weltweite Diversifi zie-rung der Bezugsländer sicher.

Die Politik sollte das gewiss wichtige Thema Elektrizitätsversorgung nicht überhöhen – egal in welche Richtung. In einer rationalen Energiepolitik darf nicht übersehen werden, dass der Stromverbrauch in Deutschland nur gut ein Fünftel des Endenergieverbrauchs ausmacht, wäh-rend der Rest zum allergrößten Teil aus fossilen Energieträgern bezogen wird (siehe Tabelle 5 auf Seite 22). Auch bei Berücksichtigung des viel höheren Primärenergieeinsatzes zur Stromer-zeugung ist festzustellen, dass nur rund vier Zehntel des Primärenergieeinsatzes in Zusammen-hang mit der Stromversorgung stehen. Der größte Teil des gesamten Energieverbrauchs stammt aus fossilen Quellen und wird im Verkehr oder der Raumheizung eingesetzt.

Der langfristige Strukturwandel – weniger Importe fossiler Energieträger und ein wachsender Anteil heimischer, erneuerbarer Energien – ist wegen der Endlichkeit fossiler Brennstoff e und wegen der technologischen Chancen gesamtwirtschaftlich vorteilhaft, sofern die Rahmenbe-dingungen gemäß einer marktwirtschaftlichen Konzeption umgestaltet und verbessert werden. Dann sollte der Strukturwandel mit unvermindertem Tempo voran schreiten.

Die Wirtschaft ist bereit und in der Lage, den Umbau des Energieversorgungssystems hin zu ei-ner CO2-neutralen Energieversorgung bis etwa zur Mitte des Jahrhunderts anzustreben und ak-tiv mit zu gestalten. Die deutsche Energiewirtschaft investiert massiv in den Ausbau erneuerba-rer Energien sowie in Energieeffi zienz und Energiedienstleistungen. Insbesondere erneuerbare Energien werden zunehmend eine Selbstverständlichkeit im Geschäft aller Energieversorger.

Beim sekundengenau bereitzustellenden Strom wird der deutsche Bedarf derzeit in Summe im Inland produziert, wenngleich mit erheblicher Importabhängigkeit bei den Brennstoff en. Das Energiekonzept der Bundesregierung geht von einem Anteil des importierten Stroms in Höhe von bis zu 30 Prozent des Stromverbrauchs aus, wobei zuvor sogar ein Rückgang des Stromver-brauchs um 25 Prozent bis 2050 angestrebt wird. Aus heutiger Sicht erscheint ein solch hoher

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Importanteil als nicht erstrebenswert, und die Vorstellung, der Stromverbrauchs werde so stark sinken, zwar als wünschenswert, aber letztlich aus heutiger Sicht als wenig realistisch. Bei den Planungen der politischen Rahmensetzungen ist stets sicherzustellen, dass die Versorgungs-sicherheit mit Elektrizität gewahrt bleibt und kein neuer Grund für steigende Strompreise ge-schaff en wird.

Die Wirtschaft braucht insgesamt eine stärkere Planungssicherheit über die längerfristige Ener-giepolitik, um den Investitionsstau bei der Modernisierung des Energiesystems aufzulösen.

5.1 Stromerzeugung und -verteilung

5.1.1 Neue, moderne Kohle- und Gaskraftwerke zügig errichten

Insbesondere die heimische Stromerzeugung muss breit aufgestellt bleiben. Die Energiekon-zepte in Bund und Land müssen die Notwendigkeit des künftigen Baus neuer Kohle- und Gas-kraftwerke in Deutschland unterstreichen, um die jederzeitige Verfügbarkeit von grundlastfä-higem Strom sicher zu stellen. Zur Einsparung von Brennstoff en müssen alte Kraftwerke durch

neue, ungleich effi zientere ersetzt werden. Insbesondere im stromnachfragestarken Süden Deutschlands sind neue konventionelle Kraftwerke zu errichten.

Im Rahmen von Kraftwerksgenehmigungsverfahren stoßen die Betreiber von Erzeugungsan-lagen auf administrative Markteintrittsbarrieren. Konventionelle Erzeugungsanlagen begeg-nen vornehmlich Umweltbedenken, die im Rahmen von Kraftwerksgenehmigungsverfahren der Bundesländer zu berücksichtigen sind. Die Wirtschaft warnt vor einer Defacto-Kapazitatspla-nung im Raum durch die Politik. Auch die Monopolkommission erachtet die Argumentation über lokale Bedarfsgrößen als grundsätzlich unvereinbar mit den Prinzipien eines liberalisierten eu-ropäischen Strommarktes (Monopolkommission (2009), S. 57).

Zudem besteht die Gefahr, dass nicht genügend wirtschaftlich Anreize zum Bau konventioneller Kraftwerke bestehen, insbesondere nicht für Kraftwerke, die aufgrund des Einspeisevorrangs der erneuerbaren Energien in Verbindung mit der längeren Nutzung der Kernkraftwerke teil-weise oder vornehmlich nur zur Leistungsabsicherung genutzt würden. Daher ist es dringend geboten und richtig, dass die Bundesregierung im Energiekonzept ankündigt zu prüfen, ob und wie die Bereitstellung von Kapazitäten behandelt werden soll.

Heimische Braunkohle sollte nur dann eine Säule der Stromerzeugung in Deutschland bleiben, wenn sie subventionsfrei bereit gestellt werden kann. Bezüglich der Steinkohle haben sich im Jahr 2007 der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und das Saarland darauf verständigt, die subventionierte Förderung der Steinkohle in Deutschland im Jahres 2018 zu beenden. Stein-kohle kann in Deutschland nur aus großen Tiefen gewonnen werden. Die Produktionskosten

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liegen weit über den Weltmarktpreisen für Steinkohle. Energiewirtschaftlich ist bereits heute die Subventionierung der Steinkohle mit mehr als 2 Mrd. Euro pro Jahr nicht zu rechtfertigen. Sollte ein Ende der Subventionen vor 2018, was zu wünschen ist, politisch nicht durchsetzbar sein, dann muss zumindest sicher gestellt werden, dass es keine Verlängerung gibt.

In Hessen ist der Neubau des Blocks 6 des Kohlekraftwerks Staudinger in Großkrotzenburg energiewirtschaftlich dringend geboten. Der geplante Block 6 soll eine elektrische Leistung von 1.100 Megawatt haben. Dies sind etwa 260 Megawatt mehr als die Gesamtleistung der Blö-cke 1-3, die nach Fertigstellung des neuen Blocks abgeschaltet werden sollen. Diese Dimension gilt heute als effi ziente Größe für ein Grundlastkraftwerk.

Der Wirkungsgrad soll 45 Prozent übersteigen – mehr als die allermeisten Kohlekraftwerke. Er wird zu den modernsten Anlagen weltweit gehören. Eine Möglichkeit, die entstehende Abwär-me zu nutzen, bietet die Kraft-Wärme-Kopplung. Bereits heute versorgt das Kraftwerk 16.000 Haushalte in Großkrotzenburg und Hanau mit Fernwärme aus dem Kraftwerk Staudinger. Es wäre energiewirtschaftlich wünschenswert, wenn dies ausgebaut werden könnte. Der neue Block 6 wird 300 Megawatt Fernwärme zusätzlich zur Verfügung stellen können.

5.1.2 Kernkraft als Brückentechnik weiter nutzen

In Deutschland sind 17 Kernkraftwerke am Netz. Im Jahr 2009 erzeugten sie 135 Mrd. kWh Strom. Das entsprach 22,6 Prozent der Bruttostromerzeugung bzw. 11 Prozent des Primärener-gieverbrauchs. Mit ihrer Nettoleistung von gut 20,5 GW halten sie einen Anteil von 14 Prozent aller deutschen Stromerzeugungsanlagen (insgesamt 147 GW). Die Kernkraftwerke decken knapp die Hälfte der Grundlaststromversorgung. (AGEB (2010a), S. 25).

Das 2002 novellierte Atomgesetz schreibt die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Stromerzeugungsunternehmen vom 14. Juni 2000 zum Ausstieg aus der Atomkraftnutzung fest. Dazu gehören das Verbot des Neubaus von Atomkraftwerken und die Befristung der Re-gellaufzeit der damals noch 19 bestehenden Kernkraftwerke auf durchschnittlich 32 Jahre seit Inbetriebnahme. Etwa im Jahr 2024 soll das jüngste Kernkraftwerk, Neckarwestheim 2, still-gelegt werden. Ende 2003 wurde als erstes das Kraftwerk Stade geschlossen, im Sommer 2005 die Anlage in Obrigheim. In den deutschen Atomkraftwerken darf nur noch – gerechnet ab dem 1. Januar 2000 – eine Strommenge von 2.620 Mrd. Kilowattstunden erzeugt werden. Diese Men-ge addiert sich aus den Reststrommengen, die den einzelnen Anlagen je nach Alter zugeteilt wurden. Strommengen älterer Anlagen können auf jüngere Anlagen übertragen werden. Bis Mitte 2010 sind rund 62 Prozent der Reststrommengen verbraucht worden.

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5.1.2.1 Laufzeiten nicht verkürzen!

Mehrere Gründe sprechen dafür, die Begrenzung der Laufzeiten der bestehenden 17 Kernkraft-werke aufzuheben, also auch nicht starr auf durchschnittlich 12 Jahre zu begrenzen, wie es das Energiekonzept der Bundesregierung vorsieht. Die Stromproduktion aus Kernkraftwerken sollte so lange gestattet werden, wie ihr Betrieb sicher ist.

a) Keine Kapitalvernichtung

Intakte und betriebssichere Kernkraftwerke vorzeitig abzuschalten hieße, einen volkswirt-schaftlichen Ressourcenverlust in Milliardenhöhe in Kauf zu nehmen. Das wäre irrational, solange keine triftigen Gründe vorliegen. Solche sind derzeit nicht erkennbar (siehe Kapitel 5.1.2.2 unten).

b) Stromerzeugung ohne CO2-Ausstoß

Für einen Weiterbetrieb sicherer Kernkraftwerke spricht ferner, dass sie ohne Kohlendioxidaus-stoß Strom erzeugen. Solange die globale Entsorgungsfrage für CO2 (31,5 Mrd. Tonnen jedes Jahr) nicht gelöst ist, erscheint die ebenfalls mit einer Endlagerproblematik konfrontierte Kernkraft das geringere Übel zu sein.

Zwar gilt für die Stromerzeugung aus Kernkraft hinsichtlich der ökologischen Wirksamkeit in Bezug auf die Treibhausgasvermeidung dieselbe Relativierung wie für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien: Klimapolitisch entscheidend ist die EU-Obergrenze für handelbare CO2-Emissionszertifi kate und nicht die in Deutschland eingesetzte Technik. Allerdings ist bei diesem Argument zwischen der Erwünschtheit einer Technik und der Frage ihrer Subventionierung zu unterscheiden: Emissionsfreie Stromerzeugungstechniken sind klimapolitisch erwünscht, nicht aber parallele Instrumente neben dem Emissionshandel, wie die ineffi ziente EEG-Umlagen und die Stromsteuer.

Kernenergie bietet sich aus ökologischer Sicht als Brückentechnik in ein langfristig weitge-hend CO2-freies Stromversorgungssystem an. Die Internationale Energieagentur (IEA) kommt ebenso wie das Potsdam-Institut für Klimafolgeforschung zu dem Schluss, dass erneuerbare Energien und Effi zienzsteigerungen allein nicht ausreichen, um das weltweite 2-Grad-Ziel zu er-reichen (OECD/IEA (2009)).CCS (Carbon Capture and Storage)-Technik und Kernenergie werden nach Ansicht der IEA zu jeweils zehn Prozent ebenfalls einen wichtigen Lösungsbeitrag global liefern müssen.

c) Verhinderung höherer Strompreise

Eine Verlängerung der Laufzeiten verhindert den Strompreisanstieg, der als Folge des Atomaus-stiegs erwartet wird.

Diese Vorhersage ergibt sich aus dem Preissetzungsprozess am Strommarkt und lässt sich mi-kroökonomisch gut begründen. Der für die allermeisten Stromnachfrager relevante Großhan-

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delsmarktpreis in Deutschland wird an der Strombörse EEX ermittelt. Er liegt derzeit bei rund 5 Cent je kWh (50 Euro je Megawattstunde). Dieser Marktpreis entspricht dem Angebotspreis der letzten, das heißt der am teuersten angebotenen Megawattstunde Strom, die gerade noch verkauft werden konnte. Das ist der sogenannte Grenzanbieter. In den meisten Zeiten am Tage ist dies Strom aus Gaskraftwerken, in Spitzenlastzeiten kommt auch teurerer Strom z.B. aus Ölkraftwerken zum Zuge.

Die Angebotspreise der Stromerzeuger setzen sich überwiegend aus den variablen Kosten zu-sammen, die sich je nach Kraftwerkstyp unterscheiden. Hinzu kommen ein Fixkostenanteil so-wie ein Gewinnaufschlag, der aufgrund des Oligopols in der Stromerzeugung höher sein dürfte als in einem polypolistisch geprägten Markt mit vielen Anbietern, von denen keiner marktbe-herrschend ist.

Ohne Laufzeitverlängerung käme es zu einem höheren Strompreisanstieg aufgrund von zwei Wirkungszusammenhängen:

• Bei einem vorzeitigen Ausstieg aus der Kernkraft muss mehr Strom aus Kohle und Gas er-zeugt werden, wofür mehr CO2-Zertifi kate benötigt würden. Bei gegebener Zertifi katemenge führt die steigende Nachfrage zu einem höheren CO2-Zertifi katepreis. Der Zertifi katepreis ist Bestandteil des Angebotspreises von Anlagen, die fossile Brennstoff e verbrennen. Nahezu immer setzt der Grenzanbieter fossile Brennstoff e ein. Ein höherer CO2-Preis erhöht den An-gebotspreis des jeweiligen Grenzanbieters, so dass der Marktpreis für Strom ansteigt.

• Bei einem Wegfall des Angebots von 20 GW Kapazitäten aus Atomstrom müssten mehr Kraft-werke Strom produzieren, deren variable Kosten über denen der Kernkraftwerke liegen. Häufi ger als jetzt würden z. B. teure Ölkraftwerke hochgefahren. Auch dadurch verlangt der jeweilige Grenzanbieter einen höheren Angebotspreis als der heutige Grenzanbieter, so dass der Marktpreis für Strom ansteigt.

In der Stromerzeugung ist Kernkraft laut Bundeswirtschaftsministerium mit 2,65 Cent/kWh deutlich kostengünstiger als die meisten anderen Energieträger: Steinkohle liegt bei 3,35 Cent/kWh, Wasserkraft bei 4,3 Cent/kWh und Erdgas bei 4,90 Cent/kWh, Windenergie 9 Cent/kWh, Fotovoltaik über 25 Cent Cent/kWh). Lediglich Braunkohle ist mit 2,40 Cent/kWh leicht güns-tiger in der Stromerzeugung (BMWi-website, http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Energie/kernenergie.html).

Eine genaue Quantifi zierung der preisdämpfenden Wirkung einer Laufzeitverlängerung ist schwierig. Off ensichtlich ist, dass die deutsche Volkswirtschaft durch eine Laufzeitverlänge-rung einen Milliardenbetrag gewinnen kann: Bei einer inländischen Nettostromerzeugung von 512 Mrd. kWh erspart jeder Euro-Cent an vermiedener Strompreissteigerung volkswirtschaftli-che Kosten in Höhe von mehr als 5 Mrd. Euro pro Jahr.

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Die obigen Überlegungen zeigen zugleich, dass Atomstrom nicht „billig“ ist, zumindest nicht aus der volkswirtschaftlich relevanten Perspektive der Stromnachfrager. Denn wie auf fast allen Märkten für Güter mit großer Homogenität bildet sich ein einziger Marktpreis, der bei den An-bietern zu unterschiedlichen hohen Stückgewinnen bzw. Produzentenrenten führt.

Ob und inwieweit ein Teil dieser Gewinne zusätzlich zu bestehenden Unternehmenssteuern vom Staat beansprucht werden darf, ist solange eine überwiegend politische und weniger eine öko-nomische Frage, wie ein Besteuerungsmechanismus gewählt wird, der eine Überwälzung – etwa einer Gewinnsteuer – auf die Nachfrager vermeidet. Die von der Bundesregierung vorgesehene Brennelementesteuer scheint eine Zusatzbelastung für Stromnachfrager vermeiden zu kön-nen.

Eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke könnte über die Dämpfung des Strompreisan-stiegs zu positiven gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungseff ekten führen, die je nach Annah-me zwischen 7.000 und 42.000 Personen in Deutschland betragen. (EWI/EEFA (2005)).

5.1.2.2 Überzeugende Gegenargumente?

Dass über kein anderes Einzelthema in der Energiepolitik so heftig gestritten wird wie über die Kernkraftwerkslaufzeiten, ist mehrfach verständlich: Es geht – erstens – um ein emotionales Thema. Viele Bürger haben Angst vor Atomunfällen und bezweifeln, dass eine sichere Endla-gerung möglich ist. Zweitens sind milliardenschwere Interessen der Betreiber von Kernkraft-werken wie auch von anderen Stromerzeugungsanlagen im Spiel. Und drittens gibt es natur-wissenschaftliche, ökonomische und geostrategische Faktoren und Restriktionen, die aus der Energieversorgung und insbesondere der Stromerzeugung ein hochkomplexes politisches The-menfeld machen. Umso wichtiger ist eine sachliche Auseinandersetzung mit Argumenten für eine Verkürzung der Laufzeiten.

a) Höchstmögliche Sicherheit in Kernkraftwerken in Deutschland

Das wichtigste Argument gegen die Kernkraft ist die Sorge vor Unfällen mit verheerenden Schäden. Die Forderung nach höchstmöglicher Sicherheit wird von der Wirtschaft vollständig geteilt. Eine nach menschlichem Ermessen höchstmögliche Sicherheit muss technisch und or-ganisatorisch gewährleistet sein. Anderenfalls ist eine umgehende Abschaltung von Kernkraft-werken mit Sicherheitsmängeln geboten.

Aus Sicht der Wirtschaft erfüllen die Sicherheitskonzepte der Kraftwerksbetreiber und die eng-maschigen Kontrollen der Umweltbehörden diesen hohen Sicherheitsanspruch. Die deutschen Kernkraftwerke zählen zu den weltweit sichersten Anlagen. Dies zeigt sich aufgrund der gerin-gen Zahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen und der mit knapp 90 Prozent hohen Verfügbarkeit der Anlagen. Die Kernkraftwerke werden ständig auf höchstem Sicherheitsniveau nachgerüs-tet.

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Die Nutzungsdauer der bestehenden 17 Kernkraftwerke sollte nicht starr begrenzt, sondern an technischen Sicherheitsstandards ausgerichtet werden. Dieser allein an der technischen Si-cherheit orientierte Maßstab ist zum Beispiel geltendes Recht in der Schweiz.

Ein deutscher Sonderweg in Form eines Atomausstiegs würde auch international keinen Sicher-heitsgewinn bringen, da weltweit die Kernkraftnutzung wächst und die hohen Sicherheitsstan-dards in Deutschland auch zukünftig als Vorbild für Kernkraftwerke weltweit angeboten werden sollten.

Ende 2008 nutzten 33 Länder die Kernenergie. Es gab 438 Kernkraftwerke mit einer Gesamt-bruttoleistung von 393 GW – das ist doppelt so viel wie die gesamte installierte Kapazität aller Stromerzeugungsanlagen aller Energieträger in Deutschland. Weltweit in Bau befanden sich 14 Kraftwerke mit einer Kapazität von 38 GW (BMWi (2010), Blatt 37).14 Prozent der globalen Stromerzeugung stammt aus Kernenergie. Innerhalb der EU erzeugen 146 Kernkraftwerke fast ein Drittel des Stroms (in Deutschland liefert Kernenergie nur 22,6 Prozent des Stroms).

Im Herbst 2008 hat die OECD-Kernenergie-Agentur (NEA) ihren ersten Bericht „Nuclear Energy Outlook (NEO)“ veröff entlicht. Die Prognose geht von einem weltweiten Boom der Nukleartech-nologie aus und prognostiziert bis zum Jahr 2050 insgesamt mindestens 600 bis zu 1400 Reak-toren, die weltweit Strom liefern werden.

b) Zwei Entsorgungsprobleme: CO2 und Atommüll

Unabhängig von der Verlängerung der Laufzeiten muss eine verantwortliche technische Lösung für die Endlagerung der bisherigen und zukünftig anfallenden Atomabfälle erreicht werden. Die Kernkraft ist mit großer gesellschaftlicher Zustimmung in Deutschland eingeführt worden. Es besteht eine Pfl icht gegenüber vielen kommenden Generationen, radioaktive Abfälle dauerhaft sicher zu lagern.

OECD/NEA wie auch die IAEO halten nach dem jetzigen Stand von Wissenschaft und Technik die Endlagerung von hochradioaktiven, Wärme entwickelnden Abfällen in tiefen geologischen Formationen bereits heute für technisch sicher realisierbar.

In Deutschland ist Schacht Konrad als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle genehmigt. Die Umrüstung zum Endlager wurde Ende 2007 mit dem Ziel der Inbetriebnahme im Jahr 2013 begonnen.

Die Erkundung des Salzstockes Gorleben für die Endlagerung insbesondere hochradioaktiver,

Wärme entwickelnder Abfälle wird fortgesetzt. Der Standort Gorleben ist gegenwärtig der am besten untersuchte Standort für ein mögliches Endlager für hochradioaktive Abfälle weltweit.

Dass die Entscheidung über die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle noch aussteht, ist kein Argument gegen eine Verlängerung der Laufzeiten der 17 bestehenden Kernkraftwerke. Denn

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die im Zuge einer Verlängerung zusätzlich erzeugten Abfälle verursachen kein prinzipiell neues Problem. Die Umweltpolitik und die Kernkraftwerksbetreiber stehen nicht vor einem quanti-

tativen Problem (nicht eine höhere Anzahl an Atommüllfässern ist das Problem), sondern sie müssen eine qualitative Herausforderung bewältigen: Wo und wie werden hochradioaktive Ab-fälle auf Jahrtausende sicher gelagert, so dass Schädigungen von Menschen und Ökosystemen ausgeschlossen werden können?

An diese ökologische Herausforderung ist auch ein ökonomisches Argument geknüpft: Die Kos-ten der Endlagerung lassen erhebliche negative externe Eff ekte erwarten. Die Betreiber der Kernkraftanlagen wie auch die Verbraucher des Stroms aus Kernkraft in der Gegenwart tragen nicht die vollen Kosten. Zukünftige Kosten der sicheren Endlagerung haben der Staat bzw. die künftigen Steuerzahler zu bezahlen, wenn vermutlich die heutigen Energieunternehmen und ihre Rechtsnachfolger gar nicht mehr existieren oder nicht mehr wirtschaftlich belastet werden können.

Das Problem ist umso gravierender, je größer die Endlagerungskosten sind. Diese sind theore-tisch auf den heutigen Barwert abzuzinsen und den Stromunternehmen in ausreichender Höhe anzulasten. Anderenfalls könnten Kernkraftwerke nicht als effi ziente Stromlieferanten gelten. Doch ist eine solche Methode mit objektiv wohl nicht lösbaren Schwierigkeiten, insbesondere der Frage nach den Kosten in hunderten und tausenden von Jahren oder nach dem richtigen Zinssatz zur Ermittlung des Barwerts, verbunden.

Zu empfehlen wäre ein Fonds, den die heutigen Kernkraftwerkbetreiber mit Kapital ausstatten und aus dessen Erträgen künftige Kosten fi nanziert werden. Doch wie kann ein Kapitalstock über so lange Zeiträume aufrechterhalten werden? Dafür gibt es in der Menschheitsgeschichte kein Beispiel. Insofern ist eine rein ökonomische Antwort hier nicht zu geben.

Es bleiben politische Abwägungen vorzunehmen, ob die Energiepolitik die von Technikern zu-gesagte Sicherheit des Betriebs der Kernkraftwerke und der Endlagerung für ausreichend hält und wie sie gegenwärtige und in sehr ferner Zukunft liegende Risiken und Kosten bewertet und für diese Vorsorge triff t.

Angesichts möglicher Gefahren in Folge des Klimawandels und der Chance, durch Kernkraft weitgehend CO2-frei Strom zu erzeugen, sollte die Politik die Option Kernkraft nicht aufgeben, sondern einen sicheren Weiterbetrieb ermöglichen.

Betrachtet man Umweltschutz ganzheitlich und global, wird die Antwort auf folgende Frage entscheidungsrelevant im Zusammenhang mit einer Laufzeitverlängerung:

Welches Entsorgungsproblem ist in den nächsten Jahren denn größer:

Die Entsorgung von über 31 Mrd. Tonnen Kohledioxid jedes Jahr oder die Endlagerung für

hochradioaktive Abfälle?

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In der praktischen Umweltpolitik kann die Stammtischantwort „Beide sind gleich schlimm“ nicht genügen, da umweltpolitische Instrumente ökologisch eff ektiv – und wegen knapper Res-sourcen auch kosteneffi zient – eingesetzt werden müssen. Um eine Entscheidung kommt man nicht herum.

Je mehr Gewicht man in der Abwägung den Gefahren des Treibhauseff ekts zumisst, desto mehr wird die Entsorgungsaufgabe der fossilen Brennstoff e ein Argument für die längere Nutzung der emissionsfreien Kernkraft: Denn im Unterschied zu den sicher zwischengelagerten hochradio-aktiven Abfällen, die derzeit keine Umweltbeeinträchtigung verursachen, bewirkt die Strom-erzeugung aus fossilen Brennstoff en seit Jahren eine ökologische Schädigung in Form eines Beitrags zur globalen Erwärmung mit enormen Risiken. Und: Für CO2-Emissionen gibt es derzeit weder eine Zwischenlagerung noch ein Endlagerung. Deshalb sollte der Treibhausgasausstoß mit Hilfe von Kernkraft begrenzt werden.

c) Kein Nachteil für erneuerbare Energien

Längere Laufzeiten für Kernkraftwerke sind mit dem Ausbau erneuerbarer Energien vereinbar. Das gelegentlich vorgebrachte Argument, Atomstrom verdränge Strom aus Wind- oder Was-serkraft, kann schon deshalb nicht stimmen, weil es einen gesetzlichen Einspeisevorrang für Strom aus erneuerbaren Energien gibt.

Unplausibel ist auch die Kritik, eine Laufzeitverlängerung reduziere die Rentabilität von Inves-titionen in erneuerbare Energien, wenn der Strompreis falle. Die Rentabilität wird insbesondere nicht durch einen geringeren Marktpreis für Strom geschmälert, da es für Strom aus erneuerba-ren Energien ja für 20 Jahre gesetzlich fi xierte Einspeisevergütungen gibt.

Auch in technischer Hinsicht passt Kernkraft zur vermehrten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Kernkraftwerke sind ähnlich gut regelbar wie Kohlekraftwerke. Die deutschen Kern-kraftwerke können innerhalb von 15 Minuten mit knapp 10 GW zum Lastfolgebetrieb beitragen. Bereits heute beteiligen sich Kernkraftwerke am Lastfolgebetrieb.

d) Keine wettbewerbspolitischen Bedenken

Gegen eine weitere Nutzung der Kernkraft werden auch wettbewerbspolitische Argumente vor-gebracht: Die bestehende Marktmacht der vier Stromerzeugungsunternehmen werde zemen-tiert, falls es nicht beim Atomausstieg bleibe. Über die hohen Gewinne aus abgeschriebenen Kernkraftwerken könnten die Betreiber der Kernkraftwerke, die weitgehend identisch sind mit den vier marktbeherrschenden Energieunternehmen, ihre Marktmacht auf andere Wertschöp-

fungsstufen und Teilmärkte im Energiesektor übertragen. Auch wird vor der Gefahr gewarnt, die Marktmacht könne mit Hilfe der Atomgewinne auf den Wachstumsmarkt der erneuerbaren Energien übertragen werden.

Diese Befürchtungen sind nicht unbegründet. Gleichwohl hat die Politik genügend Handlungs-optionen zur Verfügung bzw. erweitert gerade den wettbewerbspolitischen Instrumentenkas-

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ten, indem ein Entfl echtungsparagraph ins Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) aufgenommen wird. Allein mit wettbewerbspolitischen Argumenten lässt sich unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Ausstieg aus der Kernkraftnutzung jedenfalls nicht rechtfertigen.

Generell gilt: Mildere staatliche Eingriff e als Reaktion auf fehlenden Wettbewerb in der Strom-erzeugung sind drastischen Maßnahmen wie dem Atomausstieg (Betätigungsverbot mit erheb-licher Eigentumsentwertung) vorzuziehen.

Die Energiepolitik sollte aus wettbewerbs- und technologiepolitischen Gründen das Ziel einer Erhöhung der Anzahl an unabhängigen und leistungsfähigen Stromanbietern in Deutschland verfolgen.

Statt des engen Oligopols der vier marktbeherrschenden Unternehmen sollte zumindest eine Marktstruktur mit einem weiten Oligopol und somit größerer Wettbewerbsintensität angestrebt werden.

Denn eine höhere Anbieterzahl führt in aller Regel zu signifi kanten Verhaltensänderungen, so dass die Chance auf eine wettbewerbliche statt der bisherigen oligopolistischen Preisbildung besteht und die Gewinnaufschläge auf die Angebotspreise der Stromerzeuger sinken.

Konkret stehen der Politik zwei Wege off en:• Entweder könnte die Politik kurzfristig im Wege der Verhandlung mit den vier großen Strom-

erzeugern durchsetzen, dass diese einen jeweils kleinen Teil ihrer konventionellen Kraftwerke auf fossiler Basis an unabhängige Dritte verkaufen, um im Gegenzug die Kernkraftwerke län-ger betreiben zu dürfen. Die Aufl age zum Verkauf von z.B. Kohle- und Gaskraftwerken müsste so bemessen sein, dass danach kein Stromerzeuger mehr eine marktbeherrschende Stellung inne hätte.

• Oder sie könnte alternativ und erst auf mittlere Sicht von einigen Jahren daran denken, die GWB-Novelle, die für Fälle fehlenden Wettbewerbs eine Entfl echtungsregelung als ultima ra-tio ins Wettbewerbsrecht einführen will, zur Anwendung zu bringen.

Fazit

Die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke ist ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der einer umweltverträglichen Energieversorgung zu möglichst niedrigen Preisen. Die räumliche Vertei-lung der Kraftwerke über Deutschland, niedrige Erzeugungskosten, keine direkten CO2-Emissi-onen sowie die unter Beweis gestellte Fähigkeit zum Lastfolgebetrieb sind Vorteile, die beim Übergang zu immer mehr erneuerbaren Energien im Stromnetz helfen können.

Ein teilweises Abschöpfen der Gewinne der Kraftwerksbetreiber nach einer Laufzeitverlänge-rung ist gesamtwirtschaftlich akzeptabel. Diese Gelder sollten für zukünftig zu erwartende Kos-ten der Endlagerung in einen Kapitalfonds eingezahlt und langfristig sicher angelegt werden.

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Die Wirtschaft wird eine – so oder so – demokratisch getroff ene Entscheidung über eine Lauf-zeitverlängerung akzeptieren, fordert von der Politik aber ein Höchstmaß an Verlässlichkeit für die nun zu treff ende Weichenstellung.

5.1.3 Erneuerbare Energien: Ausbau fortsetzen, Speicher aufbauen

Der Ausbau der erneuerbaren Energie muss und wird voran schreiten. Die Wirtschaft erkennt hier enorme Chancen, um das energiewirtschaftliche Zieldreieck zu verwirklichen, aber auch, um die weltweite Führerschaft in Zukunftstechnologien zu festigen und nachhaltige Exporter-folge zu erzielen.

Der Erhalt des Einspeisevorrangs für Strom aus erneuerbaren Energien wird im Energiekonzept der Bundesregierung bekräftigt, da er Voraussetzung für ihren Ausbau ist. Jedoch ist dies kein dauerhaftes Modell. Ein zeitliches Szenario ist erforderlich, wann und wie der Einspeisevorrang in den nächsten Jahren auslaufen soll. Auch die in Aussicht gestellten Maßnahmen für mehr Kosteneffi zienz sind noch ungenügend (siehe Kapitel 7 unten ab Seite 115).

Dass die Windenergie an Bedeutung in der Stromerzeugung gewinnen wird, haben die Energie-szenarien der Bundesregierung plausibel dargelegt. Die von der Bundesregierung angekündig-ten Förderprogramme zum Ausbau der Off shore-Windkraft auf 25 GW bis 2030 sind angesichts des hohen Innovationspotentials gerechtfertigt. Ebenso zutreff end ist die Einschätzung, dass die Onshore-Windkraft kurz- und mittelfristig das wirtschaftlichste Ausbaupotential der erneu-erbaren Energien bietet und damit auf die Leistungsausweitung an bestehenden Standorten gesetzt werden sollte (Repowering).

Auch die Betonung der verstärkten Nutzung der Bioenergie ist dem großen Potential dieser Energieträger angemessen, insbesondere wegen der Speicherbarkeit von Biogas und fester Bio-masse. Langfristig besteht die Chance, dass Bioenergie die Fluktuationen der Stromerzeugung aus Wind und Sonne zumindest teilweise ausgleichen kann. Der Bioenergie kommt so eine wich-tige Aufgabe zur Markt- und Netzintegration der erneuerbaren Energien zu.

Jedoch müssen die gravierenden Nutzungskonkurrenzen bei der Flächeninanspruchnahmen für Nahrungs- und Futtermittel einerseits und der Gewinnung von Bioenergie andererseits so ge-löst werden, dass die weltweite Nahrungsmittelversorgung nicht verschlechtert wird.

Erfreulicherweise relativiert die Bundesregierung im Energiekonzept die Potentiale der Photo-

voltaik, die im schattigen Deutschland begrenzt sind – leider ohne ausreichende Konsequenz beim Abbau der Überförderung.

Da Versorgungssicherheit jederzeit gewährleistet sein muss, hat die Energiepolitik gegenwärtig bestehende technische Restriktionen ernster zu nehmen. Man kann derzeit ein 1.000-Mega-

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watt-Kernkraftwerk oder Kohlekraftwerk nicht durch eintausend 1-Megawatt-Windkraftanlagen ersetzen. Die durch Windenergie erzeugte und ins Netz eingespeiste Strommenge schwankt je nach Wetter. Eingespeiste Leistung kann nur sehr eingeschränkt durch Wetterprognosen ge-plant werden. Die Deutsche Energieagentur legt für ihre Berechnungen eine gesicherte Leis-tung von 7 Prozent des gesamten deutschen Strombedarfs für Windenergie zu Grunde. Damit sind sog. Schattenkraftwerke für 93 Prozent des Strombedarfs erforderlich. Windenergie ist derzeit nicht grundlastfähig. Sie kann Kernkraft- oder Kohlekraftwerke derzeit nicht eins zu eins ersetzen.

Ausbauziele und Standorte der erneuerbaren Energien müssen künftig zumindest europaweit optimiert werden. Für alle Nutzungen ist Transparenz über die tatsächlich zur Verfügung ste-

henden Flächen herzustellen. Die Nutzung der Flächen muss dann technologieoff en möglich sein, um eine höhere Effi zienz zu erreichen. Weil die verfügbare Biomasse in Deutschland be-grenzt ist, ist mehr als bisher die Kaskadennutzung von Biomasse – wo dies möglich ist – an-zustreben

Eine wichtige Rahmenbedingung für den wirtschaftlich sinnvollen Ausbau erneuerbarer Ener-gien ist eine größere Speicherkapazität. Es ist Konsens, dass der Ausbau der fl uktuierenden Windkraft und Photovoltaik durch einen Speicherausbau abgefedert werden muss, um Überan-gebote speichern und Flauten durchstehen zu können. Und um den Irrwitz staatlich verursach-ter negativer Strompreis künftig zu vermeiden.

Die Größe der Herausforderung ist jedoch immens: Gegenwärtig steht in deutschen Pumpspei-cherkraftwerken eine Stromspeicherkapazität von rund 40 GWh zur Verfügung. Falls im Jahr 2030 einmal rund 30 Prozent des Stroms aus Windenergie erzeugt würden, dann wäre eine Speicher- oder Puff erkapazität von 3.000 GWh erforderlich, um eine einwöchige Windfl aute zu überbrücken. Das ist mehr als das siebzigfache der heutigen Pumpspeicherkapazität! Ent-sprechend ist Deutschland auf die Nutzung – auch neu zu errichtender – ausländischer Pump-speicher, etwa in den Alpen oder in Norwegen, angewiesen.

Es besteht neben dem Ausbau der vorhandenen Pumpspeicherkapazitäten noch erheblicher Be-darf an Forschung- und Entwicklung sowie – darauf aufbauend – an Investitionen in intelligente Konzepte zur Speicherung sowie zur Schaff ung zusätzlicher Verlässlichkeit erneuerbarer Ener-gien im Sinne von Lastverfügbarkeit.

5.1.4 Netzsausbau beschleunigen

Die Energieversorgung wird zukünftig stärker dezentral und lastfern strukturiert sein als heute. Gleichzeitig wird sich der Verbrauch fl exibilisieren. Wenn erneuerbare Energien die tragende Rolle in der Energieversorgung der Zukunft spielen sollen, dann müssen die technischen Vor-aussetzungen in den Netzen geschaff en werden.

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Ohne raschen Ausbau der Stromnetze drohen Investitionsruinen im Bereich Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Nötig ist ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz, was Planungen und Genehmigungszeiten beschleunigt. Und nötig sind auch hinreichend Renditen des Strom-netzbetriebs, so dass es genügend ökonomische Anreize für Investitionen in moderne Netzin-frastruktur gibt.

Im Netzausbau liegt eine große Chance für die deutsche Wirtschaft. Denn funktionsfähige in-telligente Netze hierzulande werden eine Hochtechnologie anschaulich machen, die riesige Exportchancen eröff net.

Der Einsatz von intelligenten Netzen und Stromzählern sowie Informations- und Kommunika-tionstechnik kann die Energieversorgung effi zienter und kundenfreundlicher machen und die Kosten des Stromverbrauchs reduzieren. Die Bundesregierung hat im Energiekonzept zu Recht einen Schwerpunkt auf den Ausbau einer leistungsfähigen Netzinfrastruktur für Strom gelegt.

Übertragungs- und Verteilungsnetze

In technischer Hinsicht bewegt sich die Stromversorgung in Deutschland und Europa auf ihr Limit zu. Denn die vorhandenen Übertragungs- und Verteilungsnetze wurden als kurze „Ein-

bahnstraßen“ gebaut. Sie leiten die Energie vom zentralen Erzeuger zum Verbraucher. 380-kV-Leitungen waren nicht für den langen Ferntransport über hunderte von Kilometern vorgesehen. Mit den Marktöff nungen nach 1998 und der Einspeisung erneuerbarer Energien ist diese Struk-tur veraltet.

Der Ausbau von land- und seegestützter Windkraft hängt maßgeblich von einem zeitgleich er-

folgenden Ausbau der Strom-Übertragungsnetze Richtung Süddeutschland zu den größeren Verbrauchszentren ab. Gleiches gilt für den Ausbau der Verteilnetze zur Integration von dezen-tralen Erzeugungsanlagen aus Biomasse, Photovoltaik oder Mikro-KWK.

Die Netze der Zukunft müssen durch Flexibilität den Zugang für Erzeuger vereinfachen und durch Öff nung zum europäischen Markt Wachstum und Stabilität ermöglichen. Die Netze müs-sen in der Lage sein, Lastfl ussverschiebungen bis hin zur völligen Umkehr des Lastfl usses zu bewältigen. Ebenfalls sind einheitliche Schnittstellen für die Einbindung erneuerbarer Energi-en nötig. Diese Schnittstellen sichern Netzstabilität, fangen Spannungsspitzen ab und erhöhen dadurch die Wirtschaftlichkeit.

Für den Netzbetrieb sind eine verbesserte Transparenz und eine optimierte Lenkung durch ver-besserte Kommunikation mit leistungsfähigen Systemen erforderlich. So können z. B. beinahe in Echtzeit Lastprofi le erstellt und die Effi zienz erhöht werden. Dadurch eröff net sich ganz neu die Möglichkeit zur Zusammenfassung dezentraler Erzeuger zu „virtuellen Kraftwerken“, die zur Stabilität des Netzes und zur Reduzierung teurer Regelenergie beitragen. Zusätzliche Flexibili-tät des Systems wird durch die Bereitstellung von Energiepuff ern erreicht, die die Reaktionszeit bei Lastfl ussveränderungen ausgleichen können.

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Es müssen weiterhin politische, wirtschaftliche und technische Barrieren beseitigt werden. Als Beispiele dafür sind insbesondere die gewachsenen regionalen Strukturen beim Netzbetrieb sowie die volkswirtschaftliche Zuordnung von Folgekosten bei Netzausfällen zu nennen. Von technischer Seite wird die Festlegung von Kommunikationsstandards wesentlich sein, um all-gemein zugängliche Schnittstellen zu ermöglichen und den Markt zu öff nen.

Zusätzlich zu den Übertragungsnetzen müssen auch die regionalen Verteilungsnetze „intel-ligent werden“. Diese kommunizieren, lenken und sichern damit im Zusammenspiel mit den Energieerzeugern, Übertragungsnetzbetreibern und Verbrauchern die Energieverteilung. Da auch die Verbraucher als Erzeuger agieren können, handelt es sich um einen bidirektionalen Energieaustausch.

Defi nierte Schnittstellen sind somit notwendige Voraussetzung dafür, im intelligenten Netz („smart grid“) erfolgreich agieren zu können. Denn diese Schnittstellen ermöglichen eine zeit-nahe Kommunikation mit intelligenten Zählern („smart meter“).

Auch dadurch wird eine Optimierung der Energieverteilung durch die Auswertung von Lastpro-fi len nahezu in Echtzeit möglich. Außerdem ergibt sich eine erhöhte Sicherheit durch zeitnahe Information bei Ausfällen sowie einen einfacheren Ausgleich bei schwankendem Verbrauch, neues Wachstum durch Zusatzgeräte beim Verbraucher („smart building“) und neue Geschäfts-modelle im Contracting.

Einen weiteren wichtigen Baustein für intelligente oder smarte Verteilungsnetze bilden die im Rahmen des Energiewirtschaftsgesetzes ab 2011 einzuführenden fl exiblen Tarife. Betrachtet man die bundesdeutschen Haushalte, lassen sich monatlich 2,5 Mrd. kWh verschieben, um Last-spitzen oder andere Fluktuationen auszugleichen. Auch die Einführung der intelligenten Zähler zum 1. Januar 2010 war ein weiterer Schritt zum „smart grid“.

Als Nächstes muss die entsprechende Kommunikations- und Lenkungsinfrastruktur in den Nie-

der- und Mittelspannungsnetzen angepasst werden. Dazu ergeben sich die Anforderungen an intelligente, erweiterbare Zählersysteme, eine zeitnahe Kommunikation sowie Energiepuff er-systeme. Aus Sicht der Technikanbieter tut sich ein weites Feld für Kooperationen in der Ener-giewirtschaft, Elektronik- und IT-Industrie auf.

Planungs- und Genehmigungszeiten verkürzen

Ohne starke Netzbetreiber mit genügend Investitionsanreizen wird der Netzausbau nicht ge-lingen. Die Netzbetreiber werden mit höchst divergierenden Anforderungen konfrontiert, so dass der Netzausbau schon heute erheblich hinter dem Ausbau erneuerbarer Energien hinter-herhinkt. Netzbetreiber stehen zwischen den Interessen der Anlagenbetreiber, der Planungs- und Genehmigungsbehörden, der Regulierungsbehörden und nicht zuletzt von Bürgerinitiati-ven, die oftmals gerne gar keine auff ällige Einrichtung vor Ort haben wollen.

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Die Problemlage erinnert an die Schwierigkeiten des Ausbaus des Gasnetzes: Versorgungs-sicherheit wünschen sich alle, die Verdichterstation der neuen Erdgasleitung soll aber in der Nachbargemeinde gebaut werden. Langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren sind die Folge. Zukunftsinvestitionen in die Netze wie smart grids, HGÜ oder 380 kV-Erdkabel sind unter dem derzeitigen Regulierungsregime nur bedingt mit einem effi zienten und wirtschaftli-chen Netzbetrieb vereinbar.

Die Initiative des Bundesumweltministeriums zur Beschleunigung des Netzausbaus – insbe-sondere im Zusammenhang mit dem Ausbau erneuerbarer Energien – ist zu begrüßen. Das im Jahr 2009 in Kraft getretene Energieleitungsausbaugesetz war ein erster, hilfreicher Schritt. Der Nachweis der Wirksamkeit der darin enthaltenen Beschleunigungsinstrumente steht aller-dings noch aus.

Nach wie vor gilt: die Planungs- und Genehmigungszeiten müssen deutlich verkürzt werden. Zu prüfen ist, ob die Planungs- und Genehmigungshoheit für den Netzausbau der Hochspannungs-netze nicht stärker beim Bund oder sogar auf europäischer Ebene gebündelt werden kann, um die Netze besser an die Anforderungen des europäischen Energiebinnenmarktes anzupassen.

Möglicherweise könnte eine vergleichbare Kompetenzänderung auch für eine einfachere Rea-lisierung neuer Vorhaben beim Kraftwerksbau genutzt werden. Fest steht, dass die hier zu tref-fenden Entscheidungen nicht zulasten der Investitionsbereitschaft in eine qualitativ hochwer-tige Netzlandschaft gehen dürfen.

Die Energiekonzepte müssen ferner ein klares Bekenntnis zum EU-Energiebinnenmarkt enthal-ten. So wäre ein höherer Energieaußenhandel wünschenswert. Eine Voraussetzung ist der Aus-

bau der Grenzkuppelstellen. Die Integration des europäischen Binnenmarktes für Strom – und auch für Gas – ist alternativlos und muss konsequent weiterentwickelt werden.

Stabile Netzfrequenz

Ein weiteres entscheidendes Erfordernis ist die richtige Netzfrequenz. Die Stabilität des gesam-ten europäischen Stromnetzes beruht auf einer Frequenz von 50 Hertz – mit möglichst geringen Abweichungen. Wenn dezentrale Anlagen langfristig immer mehr konventionelle Großkraft-werke verlässlich ersetzen sollen, dann müssen diese Anlagen neben der reinen Stromproduk-tion auch die Zusatzfunktionen von Großkraftwerken zur Aufrechterhaltung des Gesamtsystems übernehmen. Der allergrößte Teil der bisher installierten Stromerzeugungsanlagen auf Basis erneuerbarer Energien (45.000 MW) ist bisher nicht in der Lage, in ausreichendem Maße zur Spannungs- und Frequenzhaltung beizutragen.

Es ist gesamtwirtschaftlich zu kurz gedacht, jährlich zusätzlich Tausende von Megawatt erneu-erbarer Energien mit simplen, also „nicht intelligenten“ Wechselrichtern oder Generatoren ans Netz zu nehmen. Möglichst viele der Stromerzeugungsanlagen müssen befähigt werden, so schnell und so umfangreich wie möglich Systemfunktionen zu übernehmen.

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Bis dies gewährleistet werden kann, wird Deutschland aus Gründen der Systemstabilität nicht umhinkommen, eine gewisse Anzahl von konventionellen Großkraftwerken am Netz zu lassen.

Hierüber ist eine zeitnahe Verständigung von Politik, Regulierungsbehörden, Energiewirtschaft und Anlagenherstellern erforderlich, wenn nicht in Zeiten ausschließlicher oder weitüberwie-gender Netzabdeckung durch erneuerbare Energien ein Blackout riskiert werden soll. Bis in wenigen Jahrzehnten erneuerbare Energien die Energieversorgung zu 100 Prozent verlässlich abdecken können, werden konventionelle Energieträger unerlässlich sein!

Die Charakteristika der erneuerbaren Energien sorgen dafür, dass konventionelle Kraftwerke in den kommenden zwanzig Jahren als Ersatz- und Regelsystem in fast unveränderter Größen-ordnung erforderlich sein werden – ihre Betriebsweise ändert sich jedoch erheblich. Die Voll-benutzungsstunden werden – auch bei Grundlastkraftwerken – teilweise deutlich abnehmen, gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Flexibilität des Kraftwerksparks.

In den kommenden zehn Jahren wird der vorhandene Kraftwerkspark – einschließlich der ak-tuell im Bau bzw. mit einer Genehmigung versehenen Kraftwerke – voraussichtlich ausreichen, um den steigenden Flexibilitätsanforderungen zu genügen. Darüber hinaus ist das jedoch noch nicht gesichert. Es besteht auch hier noch erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf – einschließlich einer Analyse, wie die bisherigen Marktmechanismen weiterentwickelt werden müssen, um die erforderlichen Anreize für Investitionen in Flexibilität, Speicher und mehr Last-verfügbarkeit erneuerbarer Energien zu schaff en.

Intelligente Stromzähler

Intelligente Zähler, Smart Meter genannt, stellen die Schnittstelle zwischen den intelligenten Netzen der Zukunft und dem intelligenten Gebäude dar. Die intelligenten Stromzähler liefern die Datengrundlage für die Steuerung der Netze und eröff nen Möglichkeiten, weitere Anwen-dungen im intelligenten Gebäude anzubinden. Außerdem lassen sich so unterschiedliche Zäh-ler, z. B. für Gas und Wasser, in einem Gerät kombinieren („open metering“).

Diese Rolle kann der intelligente Zähler nur erfüllen, wenn es defi nierte technische Gerätestan-dards gibt, die Herstellern den Zugang zu diesem Markt gewährleisten. Logischerweise sind defi nierte Datenschnittstellen für die Sicherstellung von Kompatibilität und Datenaustausch ebenso nötig wie off ene Datenschnittstellen für den Anschluss von weiteren Geräten, beispiels-weise zur automatischen Tarifwahl oder zur Haushaltsgerätesteuerung. Im täglichen Gebrauch helfen sinnvolle Messintervalle dem Benutzer, Transparenz bei gleichzeitig angemessener Da-tenmenge zu bieten.

Daneben eröff nen die leistungsfähigen Zähler aber auch neue Möglichkeiten im Bereich der Ta-rife: Sie erhöhen die Flexibilität bei Tarifwahl und -wechsel und verbessern die Übersicht beim Verbraucher.

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Auch wenn die technischen Fragen lösbar sind, so wird die Ausbreitung weiterhin durch fehlen-de gesetzliche Rahmenbedingungen stark abgebremst: Erst muss geklärt sein, wer die Einfüh-rungskosten trägt bzw. wie die Abgeltung erfolgen soll. Andere off enen Fragen betreff en den Datenschutz. So ist vom Gesetzgeber zu klären, wer die gewonnenen Daten wie nutzen kann und darf. Diese rechtlichen Fragen sind zügig zu klären.

5.1.5 CO2-Abscheidung und -Speicherung voran bringen

Eine weitere Herausforderung rund um die Energiegewinnung betriff t die CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS). Die CCS-Technik ist notwendig, da in den nächsten Jahrzehnten mehrere Milliarden Tonnen CO2 dauerhaft entsorgt werden müssen: die weltweiten energiebedingten CO2-Emissionen pro Jahr summieren sich auf 31,5 Mrd. Tonnen, siehe Tabelle 17 auf Seite 48).

Die deutsche Wirtschaft hat mit CCS die Chance, diese Schlüsseltechnologie zügig zu entwickeln und neue Exportchancen global zu nutzen. Die Erprobung von CCS eröff net auch eine wichtige ökologisch Perspektive, denn noch auf Jahrzehnte werden Kohlekraftwerke weltweit die men-genmäßig wichtigste Grundlage der Stromerzeugung bilden. CCS bietet aber auch eine Perspek-tive für eine CO2-arme Industrieproduktion, denn Stahlwerke und Chemieanlagen werden auch zukünftig nicht ohne die Verbrennung fossiler Stoff e auskommen.

Erste Demonstrationsanlagen zur Erprobung von CCS-Technik sollen Mitte dieses Jahrzehnts in Deutschland in Betrieb gehen. Hierzu bedarf es eines passenden rechtlichen Rahmens. Das begonnene Gesetzgebungsverfahren bietet eine Chance, um die derzeit noch führende Stellung Deutschlands in diesem Bereich zu erhalten.

5.2 Energieforschung besser unterstützen

Einen Schwerpunkt hat Energiepolitik auf die Unterstützung der Energieforschung zu legen. Sie dient der Stärkung des Technologiestandorts wie auch der Wahrung der Exporterfolge der heimischen Wirtschaft.

Viele Schlüsselfragen der Energieversorgung bedürfen umfangreicher weiterer Forschung. Es geht neben der erwähnten Energiespeicherung und der Abscheidung und Speicherung von CO2 beispielsweise um die Steigerung der Effi zienz der fossil betriebenen Kraftwerke, um das Thema Kernfusion oder um die wirtschaftliche Nutzung von CO2 (Carbon Capture and Usage – CCU). Ferner besteht ein gewaltiger Forschungsbedarf rund um Fragen der intelligenten Nutzung von Energie wie häusliche Dezentralität und Smart Grids oder hinsichtlich emissionsarmer Mobilität wie innovativer Antriebe, Brennstoff zelle oder Elektromobilität.

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Energieforschung sollte weiterhin aus öff entlichen und privaten Mitteln gemeinsam realisiert werden. Die öff entlich geförderte Energieforschung sollte einen sich gegenseitig gut ergänzen-den Energiemix sowie die Steigerung der Energieeffi zienz in allen Anwendungsfeldern zum Ziel haben und auch mit internationalen Aktivitäten abgestimmt werden.

Insbesondere in den Langfrist- und Risikoaspekten von Forschung und Entwicklung bedarf die industrielle Forschung der unterstützenden Begleitung durch den Staat. Es wäre eine gefähr-liche Wettbewerbsverzerrung zulasten deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen, wenn diese Unterstützung deutlich hinter dem zurückbliebe, was in konkurrierenden Wirt-schaftsräumen staatlicherseits aufgewandt wird.

Die Politik sollte die weltweite Vorreiterrolle der deutschen Anbieter von Energieeffi zienztech-nologie und erneuerbaren Energien weiter stärken, indem sie schwerpunktmäßig die Export-chancen unterstützt statt Förderungen und Privilegien auf die weitere Marktdurchdringung hierzulande konzentriert. Vielmehr ist die deutsche und europäische Politik aufgerufen, ihre Position in internationalen Gremien zu nutzen, um sich für Chancengleichheit und Abbau von Hemmnissen im Welthandel einzusetzen.

Der Wirtschaft plädiert dafür, die Forschungsförderung nicht „top-down“ auf einzelne Tech-

nologien zu fokussieren. Bei einem solchen Vorgehen fallen Forschungsgebiete, die vom Staat nicht als zukunftsträchtig defi niert sind, aus der Förderung heraus. Insbesondere mit steigen-der Anwendungsnähe hat jedoch der Staat gegenüber den Unternehmen keinen Informations-vorsprung in Bezug auf ökonomisch und ökologisch lohnenswerte Technologien. Das Gegenteil ist der Fall.

Die direkte Forschungsförderung ist von einer Tendenz zur Selektivität hinsichtlich der geför-derten Technologiefelder und Förderwahrscheinlichkeiten geprägt. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind durch das verwaltungsaufwändige Verfahren oft überfordert und beteiligen sich daher nur unzureichend an bestehenden Förderprogrammen. Die steuerliche Forschungs-

förderung kann Abhilfe schaff en – sie besticht durch einen hohen Erreichungsgrad. Risikoreiche Forschung wird für alle Unternehmen preiswerter und planbarer. Das Geld aus dem Steuervor-teil wird nach den Erfahrungen mit diesem Instrument im Ausland in aller Regel vollständig in zusätzliche Forschung und Entwicklung (FuE) investiert. Nach einer Einführung ist das Instru-ment der steuerlichen Forschungsförderung von staatlicher Seite in regelmäßigen Abständen auf seine Wirksamkeit hin zu evaluieren.

Die direkte Forschungsförderung darf durch die steuerliche Forschungsförderung nicht in Fra-ge gestellt werden. Beide Instrumente haben ihre spezifi sche Berechtigung. Mehr Unterneh-men auch mit bestehenden direkten Förderprogrammen zu erreichen, ist deshalb eine bleiben-de Aufgabe. Gelingen kann dies mit nachvollziehbaren Ausschreibungen, dem Fördern auch von inkrementellen Innovationen und Entwicklungsarbeiten, der weiteren Vereinheitlichung und

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Beschleunigung der Förderverfahren, technologieoff enen Programmen sowie technologiebe-zogenen Programmen entlang des gesamten Innovationspfades.

Energieforschung mit System braucht nachhaltige Innovationsnetzwerke zwischen Wissen-schaft und Wirtschaft. Die Industrielle Gemeinschaftsforschung bietet hier herausragende Ansatzpunkte. Im Unterschied zu vielen technologiespezifi schen Förderprogrammen gene-rieren die Unternehmen in einem „Bottom-Up-Verfahren“ die Forschungsagenda selbst und wählen zur Durchführung die besten Partner aus der Wissenschaft aus. Alle Ergebnisse stehen allen Netzwerkpartnern zur Verfügung. Auch bietet die Gemeinschaftsforschung beste Möglich-keiten, einen anwendungsorientierten Nachwuchs auszubilden, die Eliteausbildung im Bereich der Ingenieurpromotion eingeschlossen. Damit kann die Industrielle Gemeinschaftsforschung einen wichtigen Beitrag auch auf dem Gebiet der Energieforschung leisten, der nicht nur punk-tuell, sondern strukturell in die Breite wirkt. Mit vergleichsweise geringem Aufwand kann der Staat hier hohe Erträge generieren, weshalb dieses Förderinstrument massiv gestärkt und um größere Clustervorhaben erweitert werden muss.

5.3 Kampagne für mehr Akzeptanz von Energieanlagen

Eine nicht zu unterschätzende gemeinsame Aufgabe der Entscheidungsträger der Energiepoli-tik und der Wirtschaft ist die Steigerung der Akzeptanz der Bevölkerung für Investitionen in

neue und größere Energieanlagen wie Kohlekraftwerke, CCS, Windparks, Leitungen etc. Eine höhere Akzeptanz ist Voraussetzung für die zeitnahe Realisierung von Investitionen.

Wer den langfristigen Umbau der Energiewirtschaft in Richtung CO2-neutraler Energieerzeu-gung will, der muss auch bereit sein, Maßnahmen sowie die damit verbundenen Kosten für den Ausbau erneuerbarer Energien, den Aus- und Umbau der Netze sowie die Modernisierung des fossilen Kraftwerksparks und die Verbesserung der Energieeffi zienz zu akzeptieren.

Die Energiewirtschaft steht bereit, alleine in den kommenden zehn Jahren 40 Milliarden Euro in den Aus- und Umbau der Strom- und Gasnetze zu investieren. Hierfür wird aber ein Konsens auf Bundesebene nicht reichen. Vielmehr ist eine „konzertierte Aktion“ oder eine „Akzeptanziniti-ative“ nötig, die alle politischen, gesellschaftlichen und föderalen Ebenen umfasst. Mit dem im Energiekonzept angekündigten Dialogforum hat die Bundesregierung hier den richtigen Weg eingeschlagen.

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DURCH HÖHERE ENERGIEEFFIZIENZ VERBRAUCH UND KOSTEN SENKEN6.1 Energieverbrauch senken, nicht nur Energiemix verändern

Energiepolitik darf sich nicht ausschließlich auf die wichtigen Fragen der Gewinnung und Um-wandlung sowie den Transport und die Speicherung von Energie konzentrieren. Erst recht darf Energiepolitik nicht reduziert werden auf die Aspekte der Stromerzeugung oder gar der Zukunft der Kernkraftwerke.

Die Energiekosten und der Treibhausgasausstoß lassen sich durch eine Strategie der Energie-verbrauchsreduktion mittels Effi zienzsteigerung zusätzlich – und auch schneller und wirtschaft-licher – senken als es der bisherige, einseitige Ansatz der Energiepolitik durch Veränderungen des Energieträgermix vermochte. Gleiches gilt für das Ziel der Versorgungssicherheit.

Der Energiepolitik ist zu empfehlen, fi nanziell wirksame Instrumente wie Steuern, Subventi-onen und Umlagesysteme im Bereich der Energiegewinnung kritisch zu hinterfragen und an vielen Stellen abzuschaff en.

Dadurch gewönne die Energiepolitik fi nanzielle Handlungsoptionen, die sie teilweise für eine schnellere nationale und internationale Verbreitung von Energieeffi zienztechnik einsetzen sollte.

Höhere Energieeffi zienz bedeutet eine höhere Produktivität des Produktionsfaktors Energie. Dies ist gesamtwirtschaftlich ebenso vorteilhaft wie Produktivitätssteigerungen der Faktoren Arbeit, Kapital oder Boden, sofern sich diese im Rahmen freier unternehmerischer Entschei-dungen im Wettbewerb auf off enen Märkten ergeben.

Nicht in allen Wirtschaftssektoren sind weitere Steigerungen der Energieproduktivität möglich. Energieintensive Branchen haben bereits eine hohe Energieproduktivität erreicht. So gibt es beispielsweise bei Kraftwerken oder industriellen Großverbrauchern physikalische Grenzen (z. B. Schmelzpunkte von Rohstoff en). Überzogene Erwartungen oder gar Vorgaben zur Reduk-tion des Energieverbrauchs würden die Gefahr von Investitionsrückgängen oder gar Verlage-rungen ins Ausland provozieren.

Das im Energiekonzept der Bundesregierung genannte Ziel der Erhöhung der Energieproduk-

tivität um rund ein Drittel auf 2,1 Prozent pro Jahr, was eine Voraussetzung ist, um bis zum Jahr 2050 den Primärenergieverbrauch zu halbieren, ist äußerst ambitioniert (siehe Tabelle 18 Seite 53). Seine Verwirklichung käme einem enormen Wachstums- und Wohlstandsschub gleich. Effi zienzsteigerungen von 2 Prozent oder sogar 3 Prozent Jahr für Jahr sind zwar in ein-zelnen Bereichen ökonomisch darstellbar. In der Gesamtwirtschaft müssen die Weichen jedoch

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viel konsequenter auf technische Innovationen gestellt werden, um einen Wert von 2,1 Prozent nachhaltig zu erreichen.

Strebt man zu viel an, hat dies leicht zu hohe Kosten zur Folge, die ihrerseits das Wirtschafts-wachstum hemmen. Bei der Wahl des Effi zienzzieles ist zu berücksichtigen, dass nicht jedes Niveau von Energieeffi zienz auch kosteneffi zient ist und dass nicht alles, was kosteneffi zient ist auch einzelwirtschaftlich rational ist. (siehe Kapitel 4.4 oben).

Es ist folgerichtig, dass die Bundesregierung den politischen Blickwinkel stärker auf die Chan-cen einer intelligenteren Nutzung von Energie gerichtet hat. Der im Energiekonzept der Bun-desregierung angekündigte Energieeffi zienzfonds und die Förderprogramme (S. 15 f.) sind aus Sicht der Wirtschaft sehr zu begrüßen.

Durch den Einsatz moderner Technik ließen sich kurzfristig Erfolge erzielen. In Deutschland könnten nach Berechnungen des ZVEI-Weißbuch Energieintelligenz mehr als 100 Mrd. kWh pro Jahr eingespart werden – das Gros, 70 Mrd. kWh, allein durch energieeffi ziente Produkte bei Antrieben, Beleuchtung sowie Kühl- und Gefriergeräten – das allein entspricht der Hälfte des Stromverbrauchs der privaten Haushalte in Deutschland, siehe Tabelle 11 auf Seite 30). Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Ansatzpunkte, wie mit Energie sorgsamer umgegangen wer-den kann, etwa durch intelligente Prozessautomatisierung oder die Auslagerung energetischer Versorgungsaufgaben an spezialisierte externe Dienstleister.

Energie-intelligentes Handeln sollte die Politik durch gezielte Maßnahmen fördern. Nützlich wäre u. a. ein zeitlich befristetes Impulsprogramm für Unternehmen, die in energieeffi ziente Technologien investieren. Auch auf kommunaler Ebene bestehen noch Gestaltungsmöglich-keiten. Bestehende Programme, wie bei der KfW zur Modernisierung der Straßenbeleuchtung, sollten verstärkt genutzt werden. Schließlich die Verbraucher: Für sie wäre es von Vorteil, wenn sie Manager ihres eigenen Energieverbrauchs werden könnten. Voraussetzung dafür ist, dass die monatliche Stromrechnung bei zeitgenauer Verbrauchsmessung umgesetzt wird.

Die Energiekonzepte müssen berücksichtigen, dass Energiewirtschaft, Bau-, Baustoff - und Che-mieindustrie, Anlagentechnik und weitere Industriezweige, das Handwerk sowie alle diejeni-gen, die über eine Investition in höhere Effi zienz in Gebäuden entscheiden, einen höchstmög-lichen Beitrag nur dann leisten können, wenn klare, konsistente und kalkulierbare, staatliche Rahmenbedingungen existieren.

Die aktuelle Ausgestaltung von Energieeinsparverordnung (EnEV) und Erneuerbare-Energie-Wärmegesetz (EEWärmeG) belegt, dass dies leider nicht immer der Fall ist. Unverzichtbar für energiesparende, ganzheitliche Investitionen im Gebäudebereich ist angesichts der oft be-trächtlichen Amortisationszeiten (zehn Jahre und mehr) vor allem langfristige Sicherheit be-züglich der zu erwartenden Gesetzesanforderungen.

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Der Einsatz von Energiespar-Contracting sollte – wo immer möglich und sinnvoll – zur Errei-chung der Klimaschutzziele vorzugsweise zum Einsatz kommen. Hierfür müssen alle erforder-lichen rechtlichen Rahmenbedingungen geschaff en werden. Andere Contractingmodelle wie Energieliefercontracting dürfen kein Hindernis für die ganzheitliche energetische Sanierung darstellen. Insbesondere sollte die intelligente Weiterentwicklung des klassischen Energiespar-Contracting, beispielsweise durch Elemente der Energielieferung, Fassadenmodernisierung (Wärmedämmung) sowie Betreiberaufgaben, durch den Verordnungsgeber aktiv unterstützt werden.

6.2 Basistechniken für energie-intelligente Lösungen

Neben direkt einsetzbaren Endprodukten liegt das Potential zur Effi zienzsteigerung in Techni-ken und Systemen, die wesentlich für die Entstehung der Endprodukte sind oder gar Bestandteil des Endprodukts selbst sind und für verschiedene Prozesse und Verfahren die Grundlage bilden. Diese Techniken werden als Basistechniken bezeichnet. Neben den elektronischen Bauelemen-ten zählen dazu Produkte wie beispielsweise Schaltanlagen, Industriesteuerungen oder Mess-technologien sowie Kabel und isolierte Drähte.

Komponenten wie Mikrochips, Kondensatoren, Bauteile der Leistungselektronik und Steckver-binder bilden das Rückgrat eines jeden elektrischen Verbrauchers. Zu Systemen zusammenge-fasst und programmiert sind sie deren zentrale Steuerungseinheit. Der Einsatz elektronischer Bauelemente in intelligenter Steuer- oder Leistungselektronik ermöglicht es, das Verbrauchs-verhalten von elektrischen Kleingeräten bis zu großindustriellen Anlagen besser den jeweiligen Anforderungen anzupassen und die Leistungsaufnahme zu optimieren. Hierin liegen optimale Ansatzpunkte, die Energieaufnahme von elektrischen Verbrauchern ohne Komfortverlust für die Nutzer zu reduzieren. Energiesparen ohne Verzicht auf die Errungenschaften der industriellen Gesellschaft ist nur durch konsequenten Einsatz hochinnovativer Technologien der Mikroelek-tronik möglich.

Der Schlüssel für energiesparende Endgeräte bei gleichem oder verbessertem Leistungsumfang liegt in der Ansteuerung der Stromverbraucher durch intelligente, auf reduzierte Energieauf-nahme optimierte Leistungselektronik und Steuerungselektronik. Es sind bereits heute ener-gieintelligente Lösungen der Steuer- und insbesondere der Leistungselektronik vorhanden und im Markt eingeführt.

In Europa und vor allem in Deutschland ist ein hervorragendes Know-how im Bereich Leistungs- und Steuerungselektronik vorhanden. Die europäische Bauelementeindustrie ist führend auf dem Gebiet der Leistungselektronik. Diese Führungsrolle von deutschen und europäischen Uni-versitäten und Forschungseinrichtungen ist weltweit anerkannt.

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Neue Entwicklungen in der Mikroelektronik, wie der Einsatz neuer Halbleitermaterialien, die Kombination von passiven und aktiven Bauteilen auf einem Substrat oder neue Schaltungskon-zepte, lassen eine weitere Verbesserung der Energieausbeute erwarten.

Die Entwicklung innovativer energiesparender Komponenten und Produkte stellt allerdings nur einen Teilaspekt für den Erfolg dieser Technologien dar. Um die ehrgeizigen Klimaziele bis 2020 zu erreichen, muss die Einführung energieeffi zienter Produkte in privaten Haushalten, Industrie und Gewerbe sowie der öff entlichen Hand zeitnah erfolgen. Die Produkte und Systeme der Automatisierungstechnik steuern und regeln die Produktionsprozesse und -vorgänge und kommunizieren die entscheidenden Grundlageninformationen für ein erfolgreiches Energiema-nagement, beispielsweise an eine Leitwarte. So kann die passende Strategie für den energieo-ptimalen Anlagenbetrieb gefunden werden. Die Automatisierungstechnik als Basistechnologie trägt damit in besonderer Weise zur Energieeffi zienz in den Unternehmen bei.

Energie-intelligente Komponenten und Systeme der elektrischen Antriebstechnik helfen als Querschnittstechnologie der Automation ebenfalls, Einsparpotenziale zu heben. Durch Maß-nahmen wie den Einsatz von elektronischen Drehzahlregelungen und energieeffi zienten Moto-ren lässt sich ein Einsparpotenzial zwischen 20 und 50 Prozent realisieren.

Automatisierungstechnik kommt nicht nur in der industriellen Fertigung zum Einsatz. Sie hat sich längst auch in der Gebäudetechnik durch das intelligente Vernetzen der einzelnen Geräte und Systeme durchgesetzt und bildet auch hier die Basis für energieeffi ziente Lösungen. Die Gebäudeautomation erschließt Einsparpotenziale durch die gesamtheitliche Steuerung und Re-gelung von Heizung, Kühlung, Lüftung, Beleuchtung, Warmwasser, Jalousien, Türen usw.

Effi zientes Vernetzen von Geräten und Systemen

Kabel und Leitungen verbinden als passive Energieübertragungssysteme Geräte und Anlagen. Das gilt für alle Spannungsebenen und Anwendungsbereiche, z. B. in den Bordnetzen von Kraft-fahrzeugen, im Installationsbereich und bei industriellen Anlagen. Isolierte Drähte stellen ebenfalls passive Bauelemente dar und fi nden sich in den Wicklungen von energieeffi zienten Motoren, Generatoren und Transformatoren. Bis in den Höchstspannungsbereich (400 kV) kön-nen angepasste Energieübertragungssysteme in der Stromversorgungsinfrastruktur dafür sor-gen, dass Strom möglichst verlustarm bzw. unter Vermeidung von unnötiger Regelenergie und Blindleistung dem Verbraucher zur Verfügung gestellt wird. Dazu tragen neben der klassischen Übertragungs- und Verteilungstechnik von Wechselstrom per Freileitung und Kabel auch inno-vative Lösungen der Hochspannungsgleichstromübertragung sowie die Nutzung gasisolierter oder supraleitender Übertragungstechnologien bei.

Die Effi zienz eines Gesamtsystems resultiert nicht allein aus der Effi zienz seiner Einzelkompo-nenten, sondern wird zunehmend durch den wachsenden Einsatz von kommunikations- und leittechnischer Kompetenz bestimmt.

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6.3 Industrie und Gewerbe

Im Jahr 2009 hatten die beiden Wirtschaftssektoren Industrie (Bergbau und verarbeitendes Gewerbe) sowie Gewerbe, Handel, Dienstleistungen einen Anteil am Endenergieverbrauch von gut 42 Prozent. Ihr Anteil am Primärenergieverbrauch (2007) lag bei 46 Prozent (siehe Ende von Kapitel 3.1.2). Zusammen genommen ist die Wirtschaft demnach der größte Energiever-brauchssektor vor Privathaushalten und dem Verkehr.

Für die Wirtschaft ist das Thema Energieeffi zienzsteigerung kein Neuland. Die Effi zienzrevolu-

tion in der Wirtschaft und insbesondere in der Industrie läuft seit langem.Der Energieaufwand je 1.000 Euro Bruttowertschöpfung (preisbereinigt) lag 1950 bei 841 kg Steinkohleeinheiten. 1990 lag er bei 274 kg SKE und 2008 bei 199 kg SKE (AGEB, 2010a).Für den effi zienten Einsatz knapper Ressourcen sorgt der Kostendruck im Rahmen des Wettbewerbs. In Branchen wie der metallverarbeitenden Industrie oder der Petrochemie können Energiekosten 30 bis 50 Prozent der Produktionskosten ausmachen. Bei der Optimierung von Prozessen und der Entwicklung neuer Produkte und Werkstoff e achten Unternehmen ständig auf Energieeffi zienz. So weist die deutsche Industrie mit die höchste Energieeffi zienz der Welt auf.

Beispielsweise stehen bei der Weiterentwicklung von Produkten des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus die Verbesserung der Funktionalität sowie die Steigerung der Effi zienz seit jeher im Mittelpunkt. Es geht um Verbesserungen bei Komponenten, Systemen, komplexen Anlagen wie auch in ganzheitlichen Produktionsprozessen. Der Einsatz energetisch optimierter Kompo-nenten und Systeme in Nebenprozessen bietet Energieeinsparpotenziale von durchschnittlich 20 bis 40 Prozent.

Der Energieverbrauch von Pumpensystemen wird durch die Verbesserung von Hydraulik, An-trieb und Motor optimiert. Bei Optimierung der in Deutschland eingesetzten Pumpensysteme ergibt sich ein wirtschaftliches Einsparpotenzial von 15 Mrd. kWh pro Jahr. Dies entspricht in etwa einem Äquivalent von 10 Mio. Tonnen CO2.

Mit dem europaweiten Einsatz energieeffi zienter Ventilatoren, etwa in EC-Technik, ließen sich bis zu 30 Prozent Energiekosten und ein Äquivalent von etwa 16 Mio. Tonnen CO2 einsparen. Einsparungen werden hier unter anderem durch den stufenlos regelbaren Antrieb erzielt.

Der Politik stehen die Unternehmen als starke Partner zur Seite. Gleichwohl bestehen noch rie-sige Potentiale zur Effi zienzsteigerung des Energieeinsatzes in der Wirtschaft. Hier ist auch ein staatlicher Handlungsbedarf gegeben, insbesondere, um Informationsdefi zite zu beseitigen. Generell gilt: Marktwirtschaftliche Anreize für Effi zienzsteigerungen sind zu stärken und nicht bürokratische Reglementierungen der Energienutzung einzuführen.

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Im Folgenden werden die technischen und wirtschaftlichen Chancen sowie der politische Hand-lungsbedarf zur Effi zienzsteigerung in den Bereichen Prozess- und Fertigungsautomation, elek-trische Antriebe, Industriebeleuchtung und Gebäudeautomation aufgezeigt.

6.3.1 Prozess- und Fertigungsautomation

Im konsequenten Einsatz neuer Produkte, Systeme und Lösungen der Automatisierungstechnik liegt ein gigantisches Energiespar- und damit Kostensenkungspotenzial. Um es zu erschließen, sind alle produktions- und verfahrenstechnischen Prozesse und Vorgänge möglichst energie-optimal auszurichten. Die technischen Möglichkeiten hierfür existieren bereits, müssen aber noch stärker zum Einsatz kommen. Intelligente Anwendungen und Lösungen der Prozess- und Fertigungsautomation arbeiten oft im Verborgenen und werden daher leicht unterschätzt. Tat-sächlich kommen ihnen jedoch die Funktionen der Steuerzentrale für energie-intelligente Pro-zesse und Produktionsschritte zu. Sie stellen die entscheidenden Grundlageninformationen für ein erfolgreiches Energiemanagement zur Verfügung und tragen damit in besonderer Weise zur Energieeffi zienz in den Unternehmen bei.

Einsparpotenziale

In der Prozess- und Fertigungsautomation zeigen die Messungen und Computerprogramme nicht nur an, wie eine Anlage arbeitet, sondern es werden auch verschiedene Betriebszustände simuliert. Dadurch lässt sich die passende Strategie für den energieoptimalen Anlagenbetrieb ausfi ndig machen. Die eingesetzte Software ist dabei auch lernfähig. Sie kann Reaktionszeiten verkürzen, Trends voraussagen und Wartungsintervalle optimieren.

Durch Einsatz intelligenter Automatisierungstechnik, beispielsweise durch bessere Messungen und präzisere Regelungen von Prozessen, lassen sich zehn bis 25 Prozent Energie einsparen. Insgesamt entspricht das Einsparpotenzial bis zu 88 Mrd. kWh an Energie in seinen unterschied-lichen Ausprägungen. Ein energieintensives Unternehmen der Grundstoffi ndustrie entlastet das schnell um einige Millionen Euro im Jahr an Kosten für Strom, Öl, Gas, Dampf und Druckluft. Dies senkt mittel- und langfristig die Produktionskosten der Anwenderunternehmen, macht sie wettbewerbsfähiger und erhält und schaff t heimische Arbeitsplätze. Somit könnten allein in der deutschen Industrie jährlich bis zu 7 Milliarden Euro an Energiekosten eingespart werden.

Allein in der Industrie sind Treibhausgaseinsparungen von 43 Millionen CO2-Äquivalenten möglich. Das entspricht elf Prozent der CO2-Emissionen des industriellen Sektors in Deutsch-land. Die dafür notwendigen Vermeidungshebel bzw. Investitionen sind für den Entscheider wirtschaftlich. Sie amortisieren sich oft schon innerhalb eines Jahres.

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Staatlicher Handlungsbedarf

Um das Einsparpotenzial an Energie und Treibhausgasemissionen im installierten Industriebe-stand zu heben, sind zusätzliche fl ankierende Maßnahmen der Politik notwendig. Besonders wichtig sind die Ermittlung der Energie- bzw. Lebenszykluskosten von bestehenden und neu-en Maschinen, Anlagen und Prozessen sowie deren verbindliche Berücksichtigung bei Inves-titionsentscheidungen. Sehr hilfreich wären Anreizprogramme für Energieeffi zienzanalysen in Betrieben, insbesondere auch für die örtliche Energieverbrauchsmessung sowie für Energie-sparinvestitionen.

Beispiel: Prozessoptimierung in der Zementindustrie

Die Herstellung von Zement gehört zu den energieintensivsten Industrien überhaupt. Ein zentrales Element dabei sind die Drehrohröfen, in denen die gemahlenen Rohstoff e bei 1.450 Grad Celsius zu Klinker gebrannt werden. Die chemischen Reaktionen, insbesondere in den Drehrohröfen, sind nur über moderne Analytik und gehobene modellbasierte Online-Optimierung effi zient zu betreiben. Durch die kontinuierliche Messung von O2, CO, CO2, NO und SO2 mit Hilfe moderner Gasanalysatoren wird eine modellprädiktive Mehrgrößenrege-lung realisiert. Diese berechnet Sollwerte für den Drehofen, sodass der Energieeinsatz mini-miert und gleichzeitig die gewünschte Produktqualität erreicht wird.

Es konnte mit Hilfe dieses Ansatzes in bisher über 200 Drehöfen weltweit die Verbrennung optimiert werden; damit konnten insgesamt über 20 Millionen Tonnen CO2 weltweit pro Jahr eingespart werden. Durch modellbasierte Optimierung werden auch in anderen Bereichen der Zementherstellung Einsparungen in ähnlicher Größenordnung erreicht (z. B. in der Ver-mahlung). Für die gesamte Zementproduktion beträgt das Einsparpotenzial nur für elektri-sche Energie mit der vorgestellten Optimierung ca. 3 bis 5 Prozent. Ähnliche Einsparungen werden bei Brennstoff en und Emissionen erreicht.

6.3.2 Elektrische Antriebe

Rund 70 Prozent des elektrischen Energiebedarfs in Industrieanlagen entfallen auf Antriebe, davon sind die allermeisten elektromotorisch angetrieben – darunter eine Vielzahl sehr alter Antriebssysteme. Mit intelligenter Prozessautomatisierung kann umgehend 15 Prozent der Energie eingespart werden (Siemens (2010), S. 13).

Eine Vielzahl weiterer Antriebe fi ndet sich im Gewerbe und in öff entlichen Einrichtungen. Würde man diese durch moderne Techniken ersetzen, könnten jährlich 38 Mrd. kWh Strom eingespart werden. Dieses Volumen entspricht rund 10 Prozent des auf diese Bereiche entfallenden Strom-verbrauchs und hat einen Gegenwert von fast 4 Milliarden Euro Stromkosten jährlich sowie, dem aktuellen Energiemix in Deutschland entsprechend, 23 Millionen Tonnen CO2.

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Einsparpotenziale im Detail

Die Einsparpotenziale bei elektrischen Antriebssystemen lassen sich über zwei Ansatzpunkte erschließen. Zum einen über den Einsatz von elektronischen Drehzahlregelungen mit Frequen-zumrichtern, zum anderen über die Verwendung von Energiesparmotoren.

Elektronische Drehzahlregelungen

Sie sind überall dort sinnvoll, wo die Fördermenge einer von einem Elektromotor angetriebenen Maschine von der Drehzahl abhängt. Das sind bei den industriellen Hilfsprozessen insbesonde-re Pumpen, Lüfter und Kompressoren. Hier kommen häufi g noch mechanische Regelungen wie Klappe, Drosselventil oder Überlaufventil zum Einsatz. Ließe man die gewünschte Regelungs-funktion von elektronischen Drehzahlregelungen mit Frequenzumrichtern verrichten, würde den Maschinen nur genau die Menge an Energie zugeführt, die sie für den entsprechenden Pro-zess tatsächlich benötigen (bedarfsorientierte Regelung).

Eine weitere, energie-intelligente Technologie bieten rückspeisefähige Frequenzumrichter. Sie führen Bremsenergie in das öff entliche Netz zurück, anstatt sie über Bremswiderstände oder mechanische Bremsen abbauen zu müssen. Anwendungsbeispiele sind Aufzüge und Elektrobah-nen. In Summe können durch den Einsatz von Frequenzumrichtern zur Drehzahlregelung 24 Milliarden Kilowattstunden eingespart werden. Das entspricht etwa dem Äquivalent von zehn Kraftwerksblöcken mit 400 Megawatt installierter Leistung.

Energiesparmotoren

Energiesparmotoren sind auf geringe Eigenverluste optimierte Standardmotoren. Sie wandeln die ihnen zugeführte elektrische Energie mit möglichst wenig Verlusten und unter Beibehal-tung der erforderlichen technischen Eigenschaften in mechanische Antriebsenergie um. Ener-giesparmotoren werden bereits seit etwa 15 Jahren angeboten. Wurden sie anfangs mangels Notwendigkeit zum Energiesparen kaum nachgefragt, gelang ihnen im Jahr 1998 der Durch-bruch, als die europäischen Motorenhersteller mit der Europäischen Kommission eine freiwilli-ge Vereinbarung zur verstärkten Vermarktung von Energiesparmotoren abschlossen. Diese Ini-tiative führte zu einem spürbaren Zuwachs an Energiesparmotoren. Bis heute wurden ca. 9 Mio. Motoren der Wirkungsgradklassen IE1 und IE2 in Deutschland verkauft, die damit im letzten Jahr einen Marktanteil von 85 Prozent (IE1) bzw. 12 Prozent (IE2) erreichten.

Unter der Annahme, dass Energiesparmotoren nach und nach die ca. 35 Mio. alten Motoren im Bestand ersetzen, ergibt sich allein in der deutschen Industrie ein jährliches Einsparpotenzial von 14 Mrd. kWh. Allerdings würde es nach dem gegenwärtigen Austauschzyklus etwa 25 Jahre dauern, bis alle alten Industriemotoren durch Energiesparmotoren ersetzt wären. Die von der EU-Kommission in die Wege geleitete gesetzliche Einführung im Rahmen der EuP-Richtlinie wird diese Zeit erheblich verkürzen; die entsprechende Austauschbereitschaft der Betriebe voraus-gesetzt.

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Energie-Intelligenz

Im weiten Anwendungsbereich von elektrischen Antrieben meint Energie-Intelligenz die zweck-gerichtete Auswahl und sinnvolle Kombination von energieeffi zienten Komponenten zu einer Maschine oder Anlage (ganzheitlicher Ansatz). Untersuchungen haben ergeben, dass sich die Einsparpotenziale in installierten Altanlagen zu 40 Prozent auf die elektrischen Antriebe selbst und zu 60 Prozent auf die mechanische Systemoptimierung verteilen. Es ist also sinnvoll, neben Elektromotoren und elektronischen Drehzahlregelungen, auch die mechanischen Komponenten in die Optimierung einzubeziehen.

Von den über 35 Millionen in der deutschen Industrie und im kommunalen Bereich installierten Antrieben sind rund 10 Millionen als nicht energieeffi zient und daher modernisierungsbedürftig einzustufen. Die individuellen Einsparpotenziale liegen dabei zwischen 20 und über 50 Prozent der verbrauchten Energie. Die Amortisationszeiten der entsprechenden Modernisierungs- oder Austauschkosten liegen zwischen ein und vier Jahren.

Beispiel Papierindustrie:

In der Papierindustrie konnte durch den Einsatz eines Frequenzumrichters der Energiebe-darf eines Pulperantriebs mit 400-kW-Motor um 40 Prozent reduziert werden. Dem Inves-titionsvolumen von rund 65.000 Euro steht dabei eine jährliche Stromkosteneinsparung von 68.000 Euro gegenüber. Die Investitionskosten haben sich also schon nach einem Jahr amortisiert.

Beispiel Kläranlage:

Bei einer Abwasserpumpe in einer Kläranlage wurde die mechanische Drosselregelung durch eine moderne elektronische Drehzahlregelung ersetzt. Dadurch war bei der Motorleistung der Pumpe von 75 kW eine jährliche Stromkostenersparnis von 13.760 Euro möglich, dem Gegenwert der erzielten Energieeinsparung von 172.000 kWh. Die Investition hat sich damit schon nach einem halben Jahr gerechnet.

Hindernisse einer zügigen Markttransformation

Der Grund für die kurzen Amortisationszeiten von Energiespar-Investitionen liegt in der Höhe der eingesparten Energiekosten in Relation zu den gesamten Lebenszykluskosten. Bei einem elektrischen Antrieb entfallen je nach Nutzung über 90 Prozent auf die kumulierten Energie-kosten und nur weniger als zehn Prozent auf die Anschaff ung. Ein Einkäufer handelt demnach sehr kurzsichtig, wenn er den Blick nur auf einen niedrigen Einkaufspreis richtet und die nach-gelagerten Energiekosten außer Acht lässt. Dass er bei diesem Vorgehen aber häufi g nur vorge-gebene Einkaufsbedingungen einhält, zeigt, dass Unternehmen, die sich ansonsten bemühen, ein vorbildliches Umweltverhalten zu vermitteln, ihr internes Beschaff ungswesen dabei über-gangen haben.

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Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass auch mancher kalkulierende Ingenieur Prob-leme damit hat, seine Maschinen unter höherem Kostenaufwand energieeffi zienter auszulegen. Er muss sich im Wettbewerb über den Verkaufspreis behaupten und nicht über die Betriebskos-ten seiner Maschine. Erst wenn der Markt solche Maschinen stärker nachfragt, wird er sie auch anbieten.

Verantwortung der Betreiber und Endkunden

Energieeffi zienz muss in die Unternehmensphilosophie aufgenommen und umgesetzt werden. Am Anfang ist dafür zunächst eine Energieeffi zienzanalyse erforderlich. Die individuellen Kenn-werte, Regelverfahren und Betriebsdaten der Maschinen und Anlagen im installierten Bestand müssen erfasst und bewertet werden. Dann können die individuellen Einsparpotenziale ermit-telt und energieeffi ziente technische Lösungen erarbeitet werden. Die Ergebnisse können dann mit der Amortisationsrechnung in einen Energieeffi zienz-Aktionsplan einfl ießen, den die Un-ternehmensleitung mit der mittelfristigen Investitionsplanung koppeln kann.

Um dieses Vorgehen in Zukunft zu erleichtern, sind Möglichkeiten zur Energieverbrauchs- und Lastzykluserfassung vorzusehen. Das würde unter anderem die spätere Einführung von Energie-managementsystemen, z. B. mit Energiekostenzuordnung zu Kostenstellen, ermöglichen.

Handlungsbedarf

Die umweltpolitische Diskussion und die steigenden Energiepreise wirken nur begrenzt stimu-lierend auf die Nachfrage nach energieeffi zienten Maschinen und Antrieben. Off enbar reicht die derzeitige Information noch nicht aus, um die riesigen Einsparpotenziale im installierten Bestand zu heben. Neben der Aufklärungs- und Informationsarbeit von Wirtschaftsverbänden und Herstellern ist eine Intervention des Staates nötig und gerechtfertigt:• Der Energieeffi zienz sollte in den Unternehmen eine höhere Priorität zukommen: Sie sollte

gleichrangig wie Arbeitssicherheit und Umweltschutz eingeordnet werden. In Großbetrieben ist die Einrichtung der Position eines Energieeffi zienz-Beauftragten sinnvoll.

• Betrachtungen der Lebenszykluskosten (LCC) sind in Anfragen und Angeboten standardmä-ßig vorzusehen.

• LCC-Betrachtungen sollen im öff entlichen Auftragswesen verbindlich vorgeschrieben werden (Kläranlagen, Trinkwasseranlagen, Entsorgung etc.).

• Der Staat sollte Anreizprogramme für Energieeffi zienzanalysen in Betrieben, insbesondere auch für die örtliche Energieverbrauchsmessung sowie für Energiespar-Investitionen, aus-weiten.

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6.3.3 Industriebeleuchtung

In der Industrie wird das Thema Beleuchtung vernachlässigt. Die Betriebskosten werden meist nicht separat erfasst, sondern werden in die Ermittlung der gesamten Energiekosten für die Produktionsmaschinen miteinbezogen. Dies ist nicht zuletzt auch dem Umstand geschuldet, dass die Beleuchtung meist unauff ällig und zum Teil seit Jahrzehnten ohne Störung in Betrieb ist. Vergessen wird häufi g auch, dass eine bessere Lichtqualität positive Auswirkungen auf die Produktivität der Mitarbeiter hat, da Arbeitssicherheit und Arbeitsleistung gesteigert werden können.

Einsparpotenziale

Das in der Industriebeleuchtung ruhende Einsparpotenzial in Deutschland lässt sich auf 8,3 Mrd. kWh jährlich bzw. 1,2 Mrd. Euro beziff ern. Diese Einsparung würde eine Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes um 5 Mio. t bedeuten. Durch eine Kombination aus Lampen und Leuchten mit optimierten Refl ektoren sowie Tageslichtsensorik lassen sich bis zu 75 Prozent der Energiekosten in Abhängigkeit vom Alter der bestehenden Beleuchtungsanlage einsparen.

Gerade in jüngerer Zeit werden von etlichen Adapterherstellern zur Energieeinsparung T5-Adapterlösungen sowie LED-Retrofi t-Leuchtstoff röhren angeboten, die enorme Einsparungen durch den Umbau vorhandener Leuchten auf diese Systeme versprechen. Dass sie auch oft „Licht sparen“ und damit die Anforderungen der Berufsgenossenschaften gemäß den Arbeits-stättenrichtlinien nicht mehr einhalten, wird nicht erläutert. Nebenbei erfüllen etliche der an-gebotenen Produkte die elektrotechnischen und sicherheitstechnischen Anforderungen nicht ausreichend.

Speziell mittelständische Unternehmen verfügen aber nicht über die personellen Ressourcen, um sich mit dem Thema Beleuchtung und den Einsparpotenzialen auseinanderzusetzen. Da die-se zahlenmäßig das Hauptgewicht der deutschen Industrie bilden, schlummert hier das größte Einsparpotenzial.

Handlungsbedarf

Für eine eff ektive Realisierung effi zienter Industriebeleuchtung kommen einige ausgewählte Ansätze in Betracht:• Beseitigung von Informationsdefi ziten durch umfangreiche Energieberatungen, die auch die

Beleuchtungsqualität einbeziehen.• Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten für die Beleuchtungssanierung.• Konsequente Marktüberwachung der durch die CE-Kennzeichnung zugesicherten Produktei-

genschaften bezüglich EMV-, Niederspannungs- und Ökodesign-Richtlinien.

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6.3.4 Gebäudeautomation

In Zweckgebäuden lässt sich mit verhältnismäßig einfacher technischer Unterstützung der Energieverbrauch senken und gleichzeitig das Komfort- und Sicherheitsniveau steigern.

In Fluren und Treppenhäusern kann die Beleuchtung mit Bewegungs- bzw. Präsenzmeldern tageslicht- und bedarfsabhängig geschaltet werden. Ebenso portionieren Helligkeits- und Präsenzsensoren in Büros die benötigte Kunstlichtmenge in Abhängigkeit vom Tageslicht. Das Einsparungspotenzial durch die nutzungsabhängige Lichtsteuerung beträgt 40 bis 50 Prozent der Lichtenergie.

Ein weiteres hohes Einsparpotenzial im Zweckbau lässt sich mit Hilfe der Heizungseinzelraum-regelung heben. So können in Büroräumen die Absenk-, Standby- und Betriebszeiten der Hei-zung nach Nutzungs- und Präsenzprofi len sowie die automatische Absenkung der Heizungs-, Klima- und Lüftungsanlage beim Öff nen eines Fensters eingestellt werden. Insgesamt ruhen im Energieverbrauch der Heizungs-, Klima- und Lüftungsanlage Einsparpotenziale durch bedarfs-gerechte Einzelraumregelungen von bis zu 60 Prozent.

Speziell bei der Klimatisierung von Gebäuden kann der Wärmeeintrag des Sonnenlichts durch eine optimierte Lamellenposition der Jalousien reduziert werden. Damit können bis zu 20 Pro-zent der Kühlleistung eingespart werden.

So genannte „Smart-Building-Lösungen“ erlauben es ganzen Gebäuden, von automatisierten Programmen zu profi tieren, die den Energiebedarf steuern und wichtigen Abnehmern im Be-darfsfall den Vorrang vor minderwichtigen Funktionen gewähren. Intelligente Gebäude können Energie speichern für den Zeitpunkt im Tagesverlauf, wenn Energie besonders teuer ist.

Aufzugsschachtentrauchungen

Bei Gebäuden mit Aufzügen fordern die Landesbauordnungen für Aufzugsschächte eine Per-manentöff nung, damit im Brandfall der Rauch abziehen kann. Diese Schachtöff nungen sind eine große Lücke im gesamten System der Wärmedämmung. Denn durch den Kamineff ekt wird die warme Luft über die Schachttüren aus den Etagen durch den Aufzugsschacht nach außen geleitet. Die rund 600.000 Aufzüge in Deutschland verursachen durch diese Lücke in der Ge-bäudehülle erhebliche Energieverluste, die sich auf ca. 3 Mio. t CO2 pro Jahr belaufen. Auf-zugsschachtentrauchungen können die Energieverluste drastisch reduzieren. Stellt das System Rauchgase im Aufzugsschacht fest, wird ein Alarm ausgelöst und ein elektrischer Antrieb öff net die Rauchabzugsöff nungen im Schachtkopf. Die toxischen Gase und der Brandrauch können entweichen. Im Normalbetrieb ist diese Öff nung geschlossen, sodass keine Wärme verloren geht. Dadurch wird der Energieverlust nahezu eliminiert, die Lüftung kontrolliert und die Ent-rauchung im Brandfall sichergestellt.

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Hindernisse für Energiesparinvestitionen

In der Energieeinsparverordnung EnEV 2009 sind die Möglichkeiten der Gebäude- und Raumau-tomation, Einfl uss zu nehmen, nicht berücksichtigt. Damit herrscht für Investoren und Bauher-ren keine Notwendigkeit, im Sinne der gesetzlichen Rahmenbedingungen Energie mit Einsatz der Gebäudeautomation einzusparen, um damit Energieverschwendung durch menschliche Fehlnutzung zu verhindern.

Noch häufi g betrachten Investoren in der Bauphase die Erstellungs- und Bewirtschaftungskos-ten getrennt. Da nur in seltenen Fällen der Investor auch der Betreiber ist, werden höhere Bau-investitionen oft nicht mit den erzielbaren Einsparungen in der Nutzungsphase verrechnet.

Handlungsbedarf

Die Abschreibungs- und Fördermöglichkeiten in Bezug auf Energiesparinvestitionen müssen verbessert werden. Dazu sollten insbesondere Investitionen in die Gebäudeautomation über die Gebäudesanierungsprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gefördert werden. Um das Investor-Nutzer-Dilemma aufzuheben, sollte der Gesetzgeber höhere degressive Abschrei-bungssätze für Energiesparinvestitionen zulassen. Und schließlich sollte der öff entliche Sektor bei Ausschreibungen und anschließenden Auftragsvergaben für seine Liegenschaften den Ein-satz der Gebäudeautomation berücksichtigen.

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6.4 Privathaushalte

Die Privathaushalte haben einen Anteil am Endenergieverbrauch von 29 Prozent (im Jahr 2009) und einen Anteil am Primärenergieverbrauch (2007) von rund 25 Prozent (siehe Ende von Ka-pitel 3.1.2). Die Erhöhung der Energieeffi zienz, insbesondere rund um die Gebäude, trägt zur weiteren Verminderung des Energieverbrauchs und der Energiekostenbelastung bei. Hier sollte die Energiepolitik ebenfalls einen Schwerpunkt setzen.

Im Folgenden wird der Handlungsbedarf in den Bereichen energetische Sanierung von Gebäu-den, Elektroinstallation, Haushaltsgeräte, Beleuchtung, Unterhaltungselektronik und Übertra-gungs- und Medientechnik sowie Netzteile und Ladegeräte behandelt.

6.4.1 Energetische Sanierung

Die energetische Sanierung von Gebäuden, insbesondere die Dämmung der Gebäudehülle sowie die Erneuerung bzw. Anpassung der Heizungsanlage, stellen die wichtigsten einzelnen Hebel zur Steigerung der Energieeffi zienz im Privathaushalt dar.

Energiepolitisch ist der Wärmemarkt ein „schlafender Riese“. Der Austausch veralteter Anlagen gegen moderne Brennwertwärmeerzeuger, ergänzt um den Einsatz thermischer Solaranlagen, Wärmepumpen, Biomassekessel und um Maßnahmen der Wärmedämmung, würde im Wärme-sektor 30 Prozent fossile Energie und CO2 einsparen. Die BDI-Klimastudie hat gezeigt, dass durch den Einsatz neuer, klimaschonender Technologien und ganzheitlicher Ansätze allein bei der energetischen Sanierung bis 2020 ein Einsparpotenzial von 63 Millionen Tonnen Treibhaus-gasemissionen besteht.

Jedoch können diese Chancen nur dann kosteneffi zient genutzt werden, wenn die Gebäude noch eine hinreichend lange Restnutzungsdauer erwarten lassen. In vielen Wohngebäuden in ländlichen Gebieten ist dies – nicht allein wegen der demographischen Entwicklung – nicht gegeben. Die Politik sollte bei Bestandsbauten das Prinzip der Freiwilligkeit strikt beachten und keineswegs Regelungen für Neubauten übertragen und somit unwirtschaftliche Nachrüst-pfl ichten begründen.

Die Energiepolitik muss rasch Maßnahmen zur Aufl ösung des Modernisierungsstaus im Ge-bäudebestand ergreifen. Nötig sind konsistente, gesetzliche Rahmenbedingungen und Anreiz-mechanismen.

Zentral ist ferner die Änderung des Mietrechts zur Überwindung des Investor-Nutzer-Dilemmas bei Mietwohngebäuden, um Anreize für Vermieter zur energetischen Modernisierung zu er-

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höhen. Eine Subventionierung von Einzeltechnologien mit Marktreife ist ausdrücklich nicht er-forderlich. Sie wäre auch nicht zu rechtfertigen.

Nötig sind schnelle, effi ziente und bezahlbare Techniken zur CO2-Minderung im Gebäudebe-stand. An erster Stelle stehen hier Bioerdgas und Solarthermie in Verbindung mit der moder-nen Erdgas-Brennwerttechnik sowie die Wärmepumpentechnologie. Bioerdgas ist zudem eine erneuerbare Energie, die regelbar und speicherbar ist.

Und hier wiederum liegt eine Verknüpfung zum Stromsektor: In Verbindung mit Mikro-KWK kann Bioerdgas künftig die Integration und Ausregelung von fl uktuierenden erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne in ein „Smart Energy System“ gewährleisten.

Daher ist es unerlässlich, im Energiekonzept der Bundesregierung die Diskriminierung von Bio-erdgas im Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – zu beseitigen!

Einsparpotenziale

Die reichhaltig vorhandene Umweltenergie aus der Luft, dem Erdreich oder oberfl ächennahem Wasser kann mit Hilfe einer Wärmepumpe genutzt werden. In einem thermodynamischen Pro-zess können bei Einsatz einer Kilowattstunde elektrischer Energie drei bis fünf Kilowattstunden Heizwärme bereitgestellt werden. So können die Heizkosten im Vergleich zu herkömmlichen Heizsystemen um bis zu 50 Prozent gesenkt werden.

Für sporadisch genutzte Räume und Übergangszeiten eignen sich elektrische Fußbodenheizun-gen hervorragend. Sie entlasten die Hauptheizung und verkürzen deren Betriebszeit.

Moderne Neubauten erfordern wegen hoher Luftdichtigkeit ein sinnvolles Lüftungskonzept. Eine geregelte Wohnungslüftung mit Wärmerückgewinnung nutzt bis zu 90 Prozent der Energie der Abluft, um frische Zuluft vorzuwärmen. Diese Lösungen sorgen für Lufthygiene, angeneh-mes Raumklima und schützen die Bausubstanz.

Entgegen einer mit der Heizung kombinierten zentralen Warmwasserversorgung erzeugt eine dezentrale elektrische Warmwasserbereitung warmes Wasser bedarfsgerecht und ist damit wirt-schaftlicher und energiesparender. Elektronische Durchlauferhitzer sind besonders geeignet; ihr Einsparpotenzial gegenüber hydraulischen Durchlauferhitzern liegt nach Schätzungen des ZVEI bei ca. 20 Prozent. Durch den Austausch aller hydraulischen Durchlauferhitzer ergäbe sich in Deutschland eine Einsparung von ca. 1,8 Milliarden Kilowatt stunden.

Je nach Konstruktion und Auslegung können Solaranlagen zur Warmwassererzeugung bis zu 60 Prozent des Energiebedarfs eines Einfamilienhauses zur Verfügung stellen; bei der Heizungsun-terstützung liegt der Wert in der Größenordnung von 15 Prozent.

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Die Förderung von Wärmepumpen hat sich im Integrierten Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung niedergeschlagen und wurde im Dezember 2007 durch die Richtlinie zur För-derung von Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmemarkt umgesetzt. Aller-dings ist fraglich, ob der Nachweis der in der Richtlinie vorgesehenen technischen Vorausset-zungen (Jahresarbeitszahlen der Wärmepumpen) nicht eine Vielzahl von bereits verfügbaren Wärmepumpenangeboten von einer Förderung ausschließt.

Hindernisse bei der Marktdurchdringung

Der Markt der Hauswärmetechnik ist eng verknüpft mit dem Wohnungsbaumarkt. Dessen Kon-junkturentwicklung nimmt damit direkten Einfl uss auf die Verbreitung effi zienter Geräte der Elektro-Hauswärmetechnik.

Nicht selten sind Informationsdefi zite in Bezug auf technische Lösungen und damit verknüpfte Einsparmöglichkeiten bei Verbrauchern, Handwerkern, Architekten und anderen Entscheidern ursächlich für eine Entscheidung gegen energieeffi ziente Technologien der Elektro-Hauswär-metechnik. Unbeständige energiepolitische Rahmenbedingungen und gesetzliche Regelungen auf nationaler und europäischer Ebene führen zudem zu Verzögerungen oder sogar Unterlas-sungen von Investitionsentscheidungen.

Mittels steuerlicher Anreizsysteme wie der Abzugsfähigkeit von Anschaff ungskosten für effi -ziente Geräte, nachträglicher Rückvergütungen oder Steuerermäßigungen für Hersteller von effi zienten Geräten lässt sich die Verwendung von intelligenten und effi zienten Geräten und Lösungen gezielt fördern.

6.4.2 Elektroinstallation

In Wohngebäuden sowohl im Neu- als auch im Bestandsbau lässt sich mit einfachsten Mitteln der Elektroinstallation Energie sparen. Über Bewegungsmelder kann die Beleuchtung in den Fluren und Treppenhäusern automatisiert und bedarfsgerecht geschaltet werden. Mit der Heizungs-einzelraumregelung steht dem Wohnbau ein weiteres hohes Einsparpotenzial zur Erschließung bereit. Sie regelt die Absenk-, Standby- und Betriebszeiten der Heizung in Wohnräumen nach den tatsächlichen Nutzungszeiten und senkt die Heizungs- oder Lüftungsanlage beim Öff nen eines Fensters. Mit Hilfe der bedarfsgerechten Einzelraumregelung sind so Einsparpotenziale bei der Heizungs- und Lüftungsenergie von bis zu 20 Prozent möglich.

Einen weiteren Ansatzpunkt, den Energieverbrauch in Gebäuden zu senken, bietet die Visuali-sierung des Energieverbrauchs in Wohngebäuden. Damit wird der Nutzer in die Lage versetzt, zeitnah zu erfahren, wie viel Strom, Gas, Öl oder Wasser er verbraucht. So ist es im Zusammen-spiel des intelligenten Haushaltszählers mit der Gebäudeautomation möglich, den Energiever-brauch und das Energieverbrauchsverhalten auszulesen, auszuwerten und über ein Touchpanel, TV-Gerät oder einen PC dem Nutzer detailliert darzustellen. Stellt der Nutzer die Steuerung der

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Hausgeräte mit einem intelligenten Haushaltszähler tarifabhängig ein, lassen sich weitere Energiespareff ekte erzielen.

Hindernisse für Energiesparinvestitionen

Das Dilemma: Die Gebäudeautomation kann die Energieverschwendung durch menschliche Fehlnutzung minimieren. In der bisherigen Energieeinsparverordnung sind allerdings die Stellschrauben der Gebäude- und Raumautomation nicht berücksichtigt. Damit herrscht für In-vestoren und Bauherren keine Notwendigkeit, im Sinne der gesetzlichen Rahmenbedingungen Energie mit Einsatz der Gebäudeautomation einzusparen.

Im Wohnungsmarkt können Vermieter die Kosten für Energiesparinvestitionen im Allgemeinen nur mit jährlich elf Prozent auf die Kaltmiete umlegen. Wohnungsbaugesellschaften fehlen da-mit die Anreize zur Investition in Energiespartechnologien, da die Vorteile rein auf der Nut-zerseite liegen (sofortige Verringerung der Nebenkosten) und diese Investitionen über lange Zeiträume abgeschrieben werden müssen.

Intelligente Haushaltszähler einsetzen und Investor-Nutzer-Dilemma aufheben

Die alten Energieverbrauchszähler sollten zügig durch intelligente Haushaltszähler ersetzt werden, damit die Voraussetzung für Energieberatung und tarifabhängiges Verbrauchsverhal-ten geschaff en werden kann.

Die Abschreibungsmöglichkeiten von Energiesparinvestitionen sind zu verbessern. Um das Investor-Nutzer-Dilemma aufzuheben, sollte der Gesetzgeber für Vermieter, ausschließlich für Energiesparinvestitionen, eine höhere Umlage als elf Prozent auf die Kaltmiete zulassen. Der Mieter wird im Gegenzug bei der Warmmiete erheblich entlastet. Zum Schutz der Mieterinnen und Mieter müsste die Umlage befristet und gestaff elt nach dem Einsparerfolg angelegt sein.

6.4.3 Haushaltsgeräte

Ob Waschmaschine, Kühlschrank oder Herd – Haushaltsgeräte sind aus einem modernen Haus-halt nicht mehr wegzudenken. Entsprechend hoch ist der Stromverbrauch, den die Haushalte durch die Nutzung dieser Geräte zu verantworten haben. Mit etwa 47 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr beläuft er sich auf gut ein Drittel des Gesamtverbrauchs der deutschen Privathaushalte. Dieser Anteil wäre sogar noch höher, wenn die Hausgerätehersteller in den vergangenen Jahren nicht konsequent den Energieverbrauch ihrer Geräte reduziert hätten. Ob bessere Isolierung und hocheffi ziente Kompressoren bei Kühlgeräten, optimierte Waschprogramme, Wärmepum-pentechnologie bei Wäschetrocknern, Induktionskochfelder, sensorbasierte Steuerungen bei Geschirrspülern oder Wärmeschutzverglasung bei Backöfen. Durch den energie-intelligenten Einsatz von Hightech konnte die gerätespezifi sche Energieeffi zienz in den vergangenen Jahren deutlich verbessert werden.

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Motor für Reform

Wichtige Treiber dieser Entwicklung waren dabei freiwillige Industrievereinbarungen und das europäische Energielabel.

Wegen ständig fortschreitender Technik bedarf das Energielabel einer Erneuerung, um nicht an Aussagekraft einzubüßen. Auf EU-Ebene wird eine Revision angestrebt. Denn mittlerwei-le drängt sich bei den meisten Produktgruppen das Angebot in der besten Effi zienzklasse. Bei Waschmaschinen fallen sogar 99 Prozent aller Geräte in die Klasse A. Für die Verbraucher ist das Energielabel deshalb keine echte Hilfe mehr beim Gerätekauf.

Der Revisionsprozess in Brüssel verläuft zäh. Viele Vorschläge für ein neues Energielabel wurden vorgebracht, kontrovers diskutiert und wieder verworfen. Erst seit Ende 2009 zeichnet sich eine Kompromisslösung ab: Grundsätzlich wird die bekannte Skala „A“ bis „G“ beibehalten. Sofern das Marktangebot dies erfordert, kann diese Skala aber nach oben mit maximal drei Klassen („A+“ etc.) erweitert werden.

Einsparpotenziale

Neben der technologischen, gerätespezifi schen Weiterentwicklung liegen Einsparpotenziale insbesondere in der Durchdringung der Haushalte mit energiesparenden Hausgeräten.

BDI/McKinsey (2007) prognostizieren, dass der Stromverbrauch im Gebäudesektor insgesamt künftig leicht von 267 Milliarden Kilowattstunden (2004) auf 260 (2020) bzw. 255 Milliarden Kilowattstunden (2030)“ sinken werde. Zwar fi ndet eine weitere Durchdringung mit Elektroge-räten statt (z. B. Wäschetrockner, PC, Consumer Electronics, Geschirrspüler); gleichzeitig nähert sich aber die durchschnittliche Geräteeffi zienz im Bestand dem heutigen Stand der Technik. Allerdings könnten große Einsparpotenziale früher erschlossen werden, wenn es gelänge, das Angebot an hocheffi zienten Produkten schneller in den Markt und die Haushalte zu bringen.

Denn über alle Hausgeräte gerechnet, bestehe zwischen der durchschnittlich verkauften und heute verfügbaren Effi zienz eine Abweichung von 22 Prozent; bei den besonders energieinten-siven Kühl- und Gefrierschränken sogar fast 40 Prozent. BDI/McKinsey haben errechnet, dass bei einer Steigerung des Verkaufsanteils der effi zientesten Geräte auf 80 Prozent knapp 5 Milli-onen Tonnen CO2 im Jahr 2020 weniger emittiert würden.

Doch der Altbestand an nach heutigem Maßstab ineffi zienten Geräten ist wegen der langen Nutzungsdauer sehr groß. Diese liegt zwischen 12 Jahren bei Geschirrspülern und 17 Jahren bei Gefriergeräten. Zum Beispiel existiert bei Waschmaschinen und Herden mit 35 Prozent bzw. 40 Prozent ein hoher Bestand an Geräten, die über zehn Jahre alt sind. Und von den etwa 60 Millionen Kühl- und Gefriergeräten in den deutschen Haushalten sind knapp 30 Millionen Stück mindestens zehn Jahre alt. Würden alle mindestens zehn Jahre alten Kühl- und Gefriergeräte gegen hocheffi ziente Geräte ausgetauscht, könnten pro Jahr knapp 8 Mrd. kWh an Strom ein-gespart werden.

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Der Anschaff ungspreis als Hindernis für Energieeffi zienz

Aus wirtschaftlicher Sicht lohnt sich der Kauf von hocheffi zienten Geräten, da deren Lebenszy-kluskosten geringer sind als die von in der Anschaff ung günstigeren, aber im Betrieb wenig ef-fi zienten Geräten. Die Summe der eingesparten Strom- und Wasserkosten übertriff t fast immer und meist deutlich den Mehrpreis für ein hocheffi zientes Gerät.

Beispiel: Kühlschrank

Eine Kühl-Gefrier-Kombination (290 l Nutzvolumen) der Effi zienzklasse A verbraucht pro Jahr etwa 330 kWh. Ein gleich großes Gerät der Klasse A++ dagegen nur ca. 180 kWh. Bei einer unterstellten Nutzungsdauer von 15 Jahren und einem Strompreis von 0,20 EUR/kWh errechnet sich eine Diff erenz von 2.250 kWh im Stromverbrauch oder 450 Euro an Stromkos-ten, die den höheren Gerätepreis deutlich überkompensiert.

Dennoch verleitet der niedrigere Anschaff ungspreis zu oft zum Kauf eines zweit- oder drittklas-sigen Geräts in Sachen Energieeffi zienz. So liegt beispielsweise der Marktanteil von Kühl- und Gefriergeräten, bei denen es seit über zwei Jahren ein zunehmendes Angebot in der höchsten Energieeffi zienzklasse A++ gibt, im Jahr 2009 nur bei etwa zwölf Prozent.

Handlungsbedarf

Zur Erschließung des großen Energiesparpotenzials bei Haushaltsgerätenbietet sich eine Reihe von Maßnahmen an.

• Neues Energielabel als Kern der Verbraucherinformation Die Nachfrage nach hocheffi zienten Geräten kann mit präziser und aktueller Verbraucherin-

formation und -beratung gestärkt werden. Individuelle Kampagnen durch einzelne Marktak-teure werden erfahrungsgemäß vom Verbraucher aber immer weniger bewusst wahrgenom-men. Ihre Lenkungswirkung ist daher eher gering. Eine herausragende Bedeutung in der Zukunft kommt daher dem Energielabel zu. Die Industrie fordert deshalb die rasche Annahme und Verabschiedung des Kompromissvorschlags zum neuen Label und die zügige Umsetzung des neuen Prinzips in gerätespezifi sche Durchführungsmaßnahmen.

• Impulsprogramme zur Förderung höchsteffi zienter Geräte Zeitlich begrenzte Impulsprogramme für hocheffi ziente Geräte können einen wichtigen Bei-

trag zur beschleunigten Markteinführung leisten. Das Freiburger Öko-Institut kommt in einer Studie 2007 im Auftrag des ZVEI zum Ergebnis, dass sich mit einem Anreizprogramm allein im Bereich Kühl- und Gefriergeräte über 2 Millionen Tonnen CO2 einsparen ließen.

• Mindeststandards Die Durchführungsmaßnahmen im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie werden für die meisten

Hausgeräte Mindestanforderungen an die Energieeffi zienz bringen. Der ZVEI unterstützt die-

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ses Instrument. Allerdings wird es allein nicht ausreichend sein, um die Einsparpotenziale zu erschließen. Gerade in Märkten wie Deutschland, in denen das Effi zienzniveau bereits über-durchschnittlich hoch ist, sind europaweit harmonisierte Mindeststandards weniger wirksam. Es gilt vielmehr, die Nachfrage nach energieeffi zienten Geräten zu stärken, diese schneller in die Haushalte zu bringen und damit auch den Altbestand abzulösen.

• Wirksame Marktüberwachung Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben wie Mindeststandards und Energielabel muss von

einer wirksamen Marktüberwachung begleitet werden. Hier besteht in Deutschland großer Nachholbedarf. Verantwortlich zeichnen dafür die einzelnen Bundesländer. Oft sind in einem Bundesland auch noch verschiedene Behörden zuständig, je nachdem, ob es sich um das The-ma Energielabel oder Ökodesign handelt.

6.4.4 Beleuchtung

Durch die Ökodesign-Richtlinie werden ineffi ziente Allgebrauchsglühlampen in den nächsten Jahren vom europäischen Markt verschwinden. Ausgenommen von dieser Regelung sind ledig-lich Speziallampen, die beispielsweise in Ampeln, Terrarien-Beleuchtungen sowie speziellen Haushaltsanwendungen (Backofen, Kühlschränke u. a.) zum Einsatz kommen.

Energiesparlampen leben bis zu 20-mal länger als Glühbirnen und sparen rund 80 Prozent Strom. Tauschte man nur 30 Prozent der konventionellen elektrischen Lichtquellen in Gebäu-den durch energiesparende Lampen aus, würde der weltweite Stromverbrauch um rund 900 Mrd. kWh sinken. Die weltweiten CO2-Emissionen würden um 450 Mio. Tonnen pro Jahr abnehmen, was der Hälfte des CO2-Ausstoßes in Deutschland oder der Wirkung einer Auff orstung einer Flä-che so groß wie Schweden entspricht.

In einer weiteren EU-Durchführungsverordnung werden die Mindestenergieeffi zienz- und Qua-litätsanforderungen für Lampen mit gerichtetem Licht (Strahlern) festgelegt. Hier existieren ebenfalls Energiesparlampen, energiesparende Halogen- sowie zukünftig auch LED Alternati-ven zur ineffi zienten Glühlampe. Die Industrie arbeitet neben neuen technischen Lösungen vor allem an internationalen Normen, unter anderem zur lichttechnischen Messung und Steuerung von LED-Lampen, -Leuchten und Modulen, um Qualitätsanforderungen erst vergleichbar defi -nieren zu können.

Bis dahin gilt es, den Verbraucher über die Eigenschaften und Merkmale hochwertiger LED-Lam-pen zu informieren. Es muss vermieden werden, dass durch qualitativ geringwertige Lampen mit schlechten Lichteigenschaften bei Verbrauchern Vorurteile entstehen und somit die Fehler aus der Einführung der Energiesparlampen wiederholt werden.

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Die gesetzlichen Anforderungen an die Energieeffi zienz von Wohnraumleuchten sollen eben-falls in dieser EU-Verordnung defi niert werden. Für den Privatbereich ist dies wenig sinnvoll. Denn Leuchten sind ein Teil der Einrichtung und werden entsprechend ihrem passenden Design gewählt. Eine Regulierung zu einer möglichen Energiekennzeichnung gemäß technischen Pa-rametern wie dem Leuchtenbetriebswirkungsgrad ist nicht zielführend, da beispielsweise bau-gleiche Leuchten mit unterschiedlich farbigen Leuchtenschirmen über eine unterschiedliche Helligkeit bei gleichem Leuchtmittel verfügen.

Handlungsbedarf

Der aktuelle stufenweise Ausstieg aus der Glühlampentechnologie gibt der Industrie und den Verbrauchern die notwendige Zeit, sich umzustellen.

Das bewährte Stufenmodell sollte auch bei den Lampen für gerichtetes Licht angewendet wer-den, um genügend Zeit für die Entwicklung qualitativ hochwertiger alternativer Lösungen zu haben. Die Industrie stützt klar den eingeschlagenen Kurs, schlägt jedoch auch hier einen Zeit-plan vor, die ineffi zienten Leuchtmittel stufenweise vom Markt zu nehmen. Niedervolt-Halo-gen-Leuchtmittel sollten aufgrund ihrer relativ hohen Effi zienz und exzellenten Lichtqualität nicht ausgephast werden.

Um den eingeschlagenen Weg zu mehr Energieeffi zienz in der Beleuchtung weiter positiv zu gestalten, bedarf es weiterer Maßnahmen:• Die in letzter Zeit gestiegene Akzeptanz neuer energiesparender Lampen und die positive Hal-

tung gegenüber der LED-Technologie dürfen nicht durch schlechte Qualität gefährdet werden. Eine konsequente Marktüberwachung bestehender und kommender Durchführungsverord-nungen innerhalb der Ökodesign-Richtlinie hat hierbei höchste Priorität.

• Aufklärungskampagnen bei privaten und gewerblichen Verbrauchern, Handel und Handwerk zu effi zienten Alternativen und dem bedarfsgerechten Einsatz von energiesparenden Lampen sind zu initiieren.

6.4.5 Unterhaltungselektronik, Medientechnik und Netzteile

Der Markt für Consumer Electronics (CE) Produkte wächst und mit ihm die Ausstattung an Pro-dukten pro Haushalt. Dies und die weiter zunehmende Zahl an Haushalten in Deutschland trägt zu einem besonderen Phänomen bei: Der Energieverbrauch pro Gerät sinkt, obwohl der Strom-verbrauch in der Summe steigt.

Die stetige Senkung des Energieverbrauchs ist für die Wirtschaft eine Selbstverständlichkeit und wird von ihr seit zwei Jahrzehnten mit Priorität verfolgt. Dies zeigt beispielsweise die Vereinbarung zur Begrenzung von Standby-Verlusten bei TV-Geräten. Die Entwicklung des Standby-Verbrauchs in den letzten Jahren macht deutlich, dass die Industrie die in der Selbst-verpfl ichtung gesetzten Marken längst erreicht und unterboten hat. Bereits heute liegt der

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Durchschnittsverbrauch im Standby bei 0,5 Watt und weniger. 1996 betrug der Wert noch mehr als 6 Watt. Damit hat die Industrie die Vorgaben der EU-Verordnung zum Standby, die zum 7. Januar 2010 in Kraft getreten ist, voll erfüllt. Mehr noch, auch die Vorgaben für die zweite Stufe (2013) werden so schon jetzt erreicht.

Auch im Normalbetrieb hat sich die Energiebilanz deutlich verbessert. Vergleicht man einen modernen Flachbild-Fernseher mit heutiger Technik mit einem Flachbild-Fernseher aus 2004, wird der erzielte Fortschritt bei der Senkung des Energieverbrauchs sehr deutlich. Und durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Technik wird der Energiebedarf der Geräte weiter sinken. TV-Geräte der neuesten Generation verbrauchen im Normalbetrieb über 50 Prozent weniger Strom als ihre Vorgänger. Prinzipiell ist zu beachten, dass die modernen Flachbild-Fernseher in der Regel größer sind als die alten Röhren-TVs und oftmals sogar über zusätzliche integrierte Geräte und Funktionen, wie DVB-Tuner, Satelliten- Receiver, Festplatten, WiFi bzw. Internetanschluss oder andere Rundfunkempfänger. verfügen. Eine größere Bildfl äche und mehr Ausstattungsmerkmale erfordern zwangsweise einen höheren Energiebedarf. Anderer-seits verbrauchen Geräte mit bereits integrierten Lösungen meist deutlich weniger Strom als der Einsatz von Einzelkomponenten.

Netzteile und Ladegeräte

Externe Stromversorgungen sind im Alltag als Netzteile bekannt und unentbehrlich für die un-terschiedlichsten Geräte, vom Handy über Laptop und Digitalkamera bis zum Elektrorasierer und zur Halogenleuchte. Darüber hinaus werden externe Stromversorgungen für Geräte in der Medizintechnik und in industriellen Anwendungen eingesetzt.

In diesen Einsatzbereichen versorgen Netzteile in Europa rund 2 Milliarden Geräte, davon allein 800 Millionen Handys, mit Strom. Konventionelle Netzteile mit Primärtransformatoren dürften nur noch einen verschwindend geringen Anteil ausmachen.

Vorteile moderner Schaltnetzteile

Gegenüber konventionellen Netzteiltechnologien ermöglichen moderne Stromversorgungen wie Schaltnetzteile bei gleicher Leistung höhere Energieeffi zienzen und wesentlich kleinere Baugrößen. Durch konsequente Weiterentwicklung der Schaltnetzteiltechnologien, weitere Miniaturisierung und Integration der Bauteile streben die Hersteller von Stromversorgungen weitere Verbesserungen der Energieeffi zienz an.

Neben der Effi zienz der Produkte wirkt sich jedoch vor allem die Art der Nutzung der Geräte auf den Stromverbrauch aus. Um eine stromsparende Nutzung der Endgeräte und der Strom-versorgungen zu fördern, bedarf es weitreichender Informationsarbeit. Entsprechende Kenn-zeichnungen sollten auf den Geräten EU-weit einheitlich erfolgen. Zudem sollte der Einsatz hocheffi zienter Schaltnetzteile durch die Einführung diff erenzierter, hoher Effi zienzvorgaben gefördert werden.

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Der Einsatz moderner Technologien zur effi zienten Versorgung aller mit externen Netzteilen betriebenen Geräte birgt enorme Einsparpotenziale. Die EU hat hier im Rahmen der „Energy using Products“-Richtlinie 2005/32/EG (EuP-Richtlinie) zum Los 7 „Battery Chargers and ex-ternal Power Supplies“ entsprechende Anforderungen aufgestellt, die im April des Jahres 2010 in Kraft getreten sind. 2011 werden weitere Verschärfungen wirksam.

6.5 Verkehr

Neben den Wirtschaftssektoren und den Privathaushalten bildet der Verkehr den dritten wichti-gen Verbrauchssektor mit einem Anteil von 29 Prozent am Endenergieverbrauch (2009) bzw. 22 Prozent am Primärenergieverbrauch (2007). Auch hier existiert ein Potential zur Reduktion des Energieverbrauchs und der Energiekosten durch Effi zienzsteigerungen.

Allerdings erscheint aus heutiger Sicht sowohl eine weitgehende Reduktion von Treibhausgasen als auch eine Verringerung der Energiekosten weniger leicht im Wege einer drastischen Reduk-tion des spezifi schen Energieverbrauchs einzelner Verkehrsträger möglich zu sein. Vielmehr geht es um ganz neue Techniken und Systeme.

6.5.1 Straßenverkehr

Insbesondere im wichtigsten Verkehrssegment, dem motorisierten Individualverkehr, ist der technische Fortschritt sehr weit gediehen. In den vergangenen Jahren wurden große Effi zienz-steigerungen erreicht, beispielsweise durch verbrauchsarme PKW, so dass relativ mehr Potenti-ale ausgeschöpft wurden als in anderen Verbrauchssektoren wie etwa der Raumbeheizung von Privathaushalten. Folglich sind auch die Kosten weiterer Effi zienzsteigerungen innerhalb der bestehenden Technik des motorisierten Individualverkehrs relativ hoch.

Die Endlichkeit und die Verteuerung fossiler Kraftstoff e, die mehr als 93 Prozent der im Verkehr heute eingesetzen Energie liefern, sind entscheidende Faktoren der Veränderungsprozesse in der Mobilitätsbranche. Sie lassen zwar sehr langfristige, aber dafür sehr grundlegende Struk-turveränderungen im Mobilitätssektor erwarten: Es geht um den langfristigen Ersatz herkömm-licher Verbrennungsmotoren durch neue Techniken.

Seit langem rivalisieren die Unternehmen der klassischen Automobilherstellung, der Energie-wirtschaft und der Elektroindustrie um die voraussichtlich erfolgreichsten Geschäftsmodelle der Zukunft.

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Zumindest in den kommenden zwei Jahrzehnten werden effi ziente und innovative Verbren-nungsmotoren zusammen mit erdölbasierten Kraftstoff en weiterhin noch das Fundament der individuellen Mobilität bilden. Für kurz- und mittelfristige Einsparungen von Kraftstoff ver-brauch, Kosten und Treibhausgasen im Straßenverkehr sind die Optimierung bestehender An-triebstechnologien und auch der Einsatz von energie- und CO2-effi zienten Biokraftstoff en im Rahmen der motortechnischen Beimischungsgrenzen wirksame Hebel (Bioethanol, Biodiesel, Biogas).

Allerdings weisen sie bereits sehr hohe CO2-Grenzvermeidungskosten auf, die mit 52 bis 254 Euro pro vermiedene Tonne CO2-Emission für Effi zienzsteigerungen bei Diesel-PKW und 215 bis 585 Euro für Biokraftstoff e schon über den Vermeidungskosten der meisten Stromerzeugungs-arten liegen (siehe Tabelle 20 auf Seite 123).

Langfristig, das heißt voraussichtlich erst nach dem Jahr 2030, werden neue Antriebstechnolo-gien, insbesondere der batterie- und brennstoff zellenelektrische Antrieb, wichtige zusätzliche Lösungen darstellen. Sie haben aus heutiger Sicht das Potential, zur Mitte des Jahrhunderts eine Mobilität auf Straße und Schiene auf Basis erneuerbarer Energien zu ermöglichen. Elek-trische Straßenfahrzeuge können die Energieeffi zienz im Verkehrssektor steigern und somit direkt und indirekt zur Vermeidung klimaschädlicher Emissionen leisten. Die großtechnische Erzeugung elektrischer Energie, die später in einer Batterie gespeichert und anschließend zum Fahren genutzt wird, ist mit guten Wirkungsgraden im Gesamtsystem möglich. Gerade das An-triebssystem Elektromotor zeigt im Vergleich zur klassischen Verbrennungskraftmaschine eine hohe Energieeffi zienz.

Bis emissionsarme Fahrzeuge nicht nur die Marktreife erreicht haben, sondern auch für Bürger und Unternehmen preislich interessant werden, werden also nicht Jahre, sondern noch einige Jahrzehnte vergehen. Diese Erwartung ist zwar klimapolitisch und technologiepolitisch wenig befriedigend, aber aus heutiger Sicht realistisch. Alles andere hieße darauf zu spekulieren, dass Bürger und Unternehmen bereit und wirtschaftlich in der Lage wären, einen größeren Anteil ihrer Budgets für Mobilität aufzuwenden oder bei steigenden Mobilitätspreisen weniger Ver-kehrsleistungen nachzufragen. Für beides gibt es keinerlei Indizien.

Entsprechend strebt die Bundesregierung für das Jahr 2020 gerade mal eine Million Elektro-fahrzeuge in Deutschland an. Zum Vergleich: Zum Jahresbeginn 2010 waren in Deutschlands 50 Mio. Kraftfahrzeuge zugelassen, darunter knapp 42 Mio. Personenkraftwagen.

Für eine energie-intelligente Mobilität brauchen Deutschland und Hessen ein umfassendes Konzept mit einem verkehrsträgerübergreifenden Ansatz. Individuelle Mobilitätsbedürfnisse und eine reibungslose Logistik müssen – unter Beachtung der Erfordernisse des Umweltschut-zes – weiterhin im Fokus stehen.

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Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität machen möchte. Hessen sollte die Anstrengungen verstärken, um die Chancen zur Etablierung einer Zukunftstechnologie im Rahmen der Modellregion Elektromobilität Rhein Main auszu-schöpfen.

Um neue Antriebstechnologien und alternative Kraftstoff e voranzubringen, müssen Industrie und Politik eng zusammenarbeiten. Der Fokus muss auf einer kraftvollen, technologieneutralen Förderung von Forschung und Entwicklung sowie einer raschen Implementierung erforderlicher Infrastrukturen und der Modellregionen liegen. Das 500-Millionen-Euro-Programm der Bun-desregierung zur Elektromobilität sollte fortgesetzt werden. In gleicher Weise sollten weitere Zukunftstechniken unterstützt werden, etwa die Brennstoff zellentechnik.

Bereits kurzfristig kosten- und verbrauchssenkend ist Verkehrstelematik. Elektronische Stre-ckenbeeinfl ussungsanlagen im Straßenverkehr erhöhen die Kapazität auf der Straße um fünf bis zehn Prozent und reduzieren die Unfallrate um 30 Prozent. Der Einsatz von Navigationssys-temen verringert die Reisezeit um fünf bis zehn Prozent. Als Folge werden der Kraftstoff ver-brauch und damit der Schadstoff ausstoß deutlich reduziert.

Beispiel: Ampeln

Seit mehreren Jahren werden herkömmliche Verkehrssignalanlagen durch Anlagen mit LED-Technik und leistungsfähigen neuen Steuergeräten ersetzt. Die Lebensdauer von LEDs be-trägt acht bis zehn Jahre. Dagegen werden herkömmliche Glühlampen aus Verkehrssicher-heitsgründen bereits nach sechs bis acht Monaten ausgetauscht. Auch der Stromverbrauch von LED-Ampeln ist im Durchschnitt um ca. 55 Prozent geringer als bei Glühlampen. Diese Effi zienzunterschiede führen zu deutlichen Kosteneinsparungen. Zudem amortisieren sich Investitionen in moderne LED-Ampeln schon nach sechs bis zehn Jahren.

Einsparpotenziale in der Straßenbeleuchtung

Rund zwei Milliarden Euro zahlen die deutschen Kommunen jährlich für ihre Energieversorgung. Vom Stromverbrauch der Kommunen werden mehr als 35 Prozent für die Straßenbeleuchtung aufgewendet (und mehr als ein Viertel für die Beleuchtung der Schulen). Neue, energieeffi zien-te Lichttechnologien können den Energieverbrauch um bis zu 80 Prozent reduzieren. Gleichzei-tig steigern sie die Beleuchtungsqualität zum Wohle und zur Sicherheit der Bürger signifi kant.

Mehr als ein Drittel aller deutschen Straßen sind mit ineffi zienten Beleuchtungsanlagen aus den 60er Jahren ausgestattet. Durch den Einsatz moderner Beleuchtungstechnik könnten all-jährlich 2,7 Mrd. kWh bzw. bis zu 400 Mio. Euro und 1,6 Mio. t CO2 eingespart werden.

Vor dem Hintergrund, dass diese Energiesparpotenziale durch den Einsatz moderner Technik einfach zu erschließen sind und zusätzlich die Beleuchtungsqualität verbessert werden kann,

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ist es erstaunlich, dass die verfügbaren Technologien erst in geringem Umfang Verwendung fi nden. In der Straßenbeleuchtung werden pro Jahr nur drei Prozent der alten Quecksilber-dampfl ampen auf energieeffi zientere Systeme umgestellt, sodass es bei dieser Frequenz 30 Jahre dauern würde, bis die Vorteile der neuen Technologien vollständig wirksam würden. Die EU hat das erkannt. So wird aufgrund gesetzlicher Vorgaben an die Mindesteffi zienz diese Lam-pentechnologie ab 2015 nicht mehr in den Handel gelangen dürfen. Deshalb ist es für viele Kommunen an der Zeit, jetzt zu handeln.

Handlungsbedarf

Um die Sanierungsquote der Straßenbeleuchtung deutlich zu steigern, bedarf es abgestimmter Maßnahmen von Bund und Ländern:• Aufklärungskampagnen für Kommunen, Planer und Elektroinstallateure sind zu initiieren.• Die Beschaff ungsrichtlinie für Länder und Kommunen sollte verbindlich die Betrachtung von

Lebenszykluskosten beinhalten (ähnlich Bundesliegenschaften).• Spezielle Förderprogramme der KfW-Bank für Beleuchtungen einschließlich einer Anschubfi -

nanzierung von Best-Practice-Modellen sollten ausgebaut werden.• Vorschriften zur Sanierung ineffi zienter Beleuchtungsanlagen im Rahmen des Nationalen

Energieeffi zienz-Aktionsplans (NEEAP) sollten verbindlich sein.• Einfache, standardisierte Contracting-Lösungen für Kommunen, die von den jeweiligen Lan-

desbehörden genehmigt werden, sollten erarbeitet werden.

6.5.2 Schienenverkehr

Im Schienenverkehr, der im Unterschied zum Straßenverkehr zu einem großen Teil elektrifi -ziert ist, existieren zahlreiche Technologien zur kurzfristigen Effi zienzsteigerung und Kosten-senkung.

So erfordert der beschlossene Aufbau des elektronischen Leitsystems European Train Control System (ETCS) deutlich weniger Signalanlagen und führt gleichzeitig zur Erhöhung der Gleis-kapazität. Fahrzeuge in Leichtbauweise verbrauchen 30 Prozent weniger Energie. Die Rück-speisung von Bremsenergie ins Netz bzw. zur Unterstützung von Hilfsantrieben reduziert den Energieverbrauch um 50 Prozent. Eine Hybrid-Güterlokomotive verbraucht bis zu 40 Prozent weniger Diesel-Treibstoff .

Beispiel: Eisenbahn

Ein elektrischer Triebzug, der den heutigen Standard an Energieeffi zienz erfüllt, verbraucht durch konsequente Leichtbauweise 30 Prozent weniger Energie, kann seinen Energiebedarf mittels Bremsenergierückgewinnung zu 46 Prozent selbst abdecken und ist nach Ablauf sei-ner Lebensdauer zu über 90 Prozent recyclebar.

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6.5.3 Luftverkehr

Auch im Luftverkehr wurde in den vergangenen Jahren in höhere Energieeffi zienz investiert. Gleichwohl sind – technisch bedingt – Systemänderungen, wie sie z.B. die Elektromobilität für den Straßenverkehr in Aussicht stellt, derzeit nicht in der Luftfahrt absehbar. Es wird einstwei-len um Effi zienzsteigerungen im Rahmen bestehender Technik gehen.

Die Energieverbrauchsdaten moderner Verkehrsfl ugzeuge zeigen, dass Fliegen nicht nur eine schnelle, sondern auch eine treibstoff effi ziente Art der Fortbewegung ist. Moderne Flugtrieb-werke haben durch die ständige Weiterentwicklung einen relativ hohen Wirkungsgrad erreicht. Die Entkoppelung der Wachstumsraten von Verkehrsleistung und Energieverbrauch ist Folge des kontinuierlichen Austauschs alter Flugzeuge gegen neue Flugzeugmuster.

Eine Ursache ist das Wachstum der Auslastung sowie der Größe der Verkehrsfl ugzeuge. Seit 1970 ist der spezifi sche Treibstoff verbrauch der Lufthansa-Passage-Flotte um 70 Prozent zu-rückgegangen. Diese Entwicklung soll sich fortsetzen. Lufthansa hat sich das Ziel gesetzt, den spezifi schen Treibstoff verbrauch, also die zur Beförderung eines Passagiers über eine bestimm-te Distanz benötigte Treibstoff menge, bis zum Jahre 2012 um 40 Prozent gegenüber 1991 zu senken.

Der durchschnittliche Kerosinverbrauch von Condor, LTU und Air Berlin auf der ca. 3.500 km langen Strecke von Köln/Bonn nach Teneriff a beträgt nur 2,7 Liter je 100 Passagierkilometer. Für den Hin- und Rückfl ug werden demnach ca. 190 l Kerosin je Passagier benötigt. Die spezifi -schen Flottenverbräuche der deutschen Fluggesellschaften streben inzwischen in Richtung der 4-Liter-Marke. Im Ferienfl ugverkehr liegen sie bereits deutlich darunter. So verbrauchten die Flugzeuge im gesamten Lufthansa-Konzern im Jahr 2005 4,39 l je 100 Passagierkilometer. Die Thomas-Cook-Flotte benötigt auf ihren Ferienfl ügen nur durchschnittlich 2,88 l je 100 Passa-gierkilometer.

Nicht nur die Triebwerkstechnik bietet Ansatzpunkte zur weiteren Verringerung des spezifi schen Kraftstoff verbrauchs der Luftfahrzeuge. Auch die Verwendung neuer und leichter Werkstoff e, der Ersatz schwerer hydraulischer bzw. mechanischer Komponenten durch leichtere elektroni-sche Systeme sowie die Verbesserung der Flugzeugaerodynamik bieten Potenzial zu weiteren Kraftstoff einsparungen. Besonderes Einsparpotenzial wird von neuen Flugzeugkonzepten wie zum Beispiel sogenannten Nurfl üglern erwartet.

Auch auf kurzen Distanzen – etwa innerhalb Deutschlands – hat das Flugzeug seine Energiebi-lanz stark verbessert. Anders als auf mittleren und langen Strecken ist der Luftverkehr über kur-ze Entfernungen überwiegend Geschäftsreiseverkehr. Im innerdeutschen Verkehr sind ca. drei von fünf Fluggästen geschäftlich unterwegs. Auf der ca. 600 km langen Flugstrecke von Berlin nach München benötigt ein modernes Kurz- und Mittelstreckenfl ugzeug bei durchschnittlicher

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Motor für Reform

Besetzung ca. 6,9 Liter Kerosin auf 100 Passagierkilometer. Dabei werden 104 kg CO2 freigesetzt. Demgegenüber geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung für den inländischen Pkw-Bestand von einem Durchschnittsverbrauch von 8,6 Litern Treibstoff pro 100 km aus. Berück-sichtigt man den durchschnittlichen Besetzungsgrad bei Geschäftsreisen mit dem Auto von 1,1 Personen pro Fahrzeug, so ergibt sich ein spezifi scher Kraftstoff verbrauch von 7,82 l pro 100 Personenkilometer. Dies führt auf der gleichen Strecke von Berlin nach München zu CO2-Emissi-onen von rund 118 kg pro Person – also mehr als im Luftverkehr. Aus einem Kilogramm Kerosin und 3,4 kg Sauerstoff entstehen bei der Verbrennung im Triebwerk rund 3,15 kg Kohlendioxid und 1,24 kg Wasserdampf.

Auch die Luftverkehrsinfrastruktur birgt vielfältige Energiesparpotenziale. Zwar müssen die Kapazitäten immer wieder an den steigenden Bedarf angepasst werden, der spezifi sche Ener-gieverbrauch ist jedoch auf vielen Flughäfen und Landeplätzen seit Jahren rückläufi g. Dies wird realisiert durch die Modernisierung der zentralen Energieversorgung, der Heizungs- und Klima-technik sowie des Fuhrparks.

6.5.4 Schiff sverkehr

Auch das Einsparpotenzial bei Schiff santrieben ist beträchtlich: Der CO2-Ausstoß von Ver-brennungsmotoren in Seeschiff en weltweit entspricht in etwa dem gesamten CO2-Ausstoß Deutschlands. Die Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus haben als Technologieführer entscheidenden Anteil daran, die hocheffi zienten Schiff smotoren noch weiter zu optimieren. 5 Prozent weniger Verbrauch entlastet laut VDMA (2008), S. 19 die Atmosphäre um rund 60 Millionen Tonnen CO2 jährlich.

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STAATLICH BEDINGTE VERTEUERUNGEN VON ENERGIE ABBAUEN

Neben den beiden Hauptaufgaben der Energiepolitik – der Gewährleistung der Versorgungs-sicherheit und der Unterstützung zur besseren Anwendung und Verbreitung von innovativer Energieeffi zienztechnik – erkennt die Wirtschaft eine dritte Aufgabe der Energiepolitik darin, die staatlich bedingten Verteuerungen von Energie zurück zu führen und zusätzliche Lasten zu vermeiden.

Im Energiekonzept formuliert die Bundesregierung zwar die plausible Prognose, dass die welt-weit steigende Energienachfrage „langfristig zu deutlich steigenden Energiepreisen führen“ (S. 3) wird. Jedoch versäumt sie es auf den gesamten 40 Seiten auch nur anzuerkennen, dass in den vergangenen zehn Jahren der Staat einen großen Teil der Preissteigerungen verursacht hat, insbesondere für Strom und Kraftstoff e.

Die Steuerpolitik sollte nicht länger fi skalische Interessen zur Einnahmesteigerung ökologisch etikettieren bzw. verschleiern und so versuchen, den Steuerwiderstand der belasteten Bürger und Unternehmen klein zu halten.

Die Senkung staatlich bedingter Energiekosten sollte Ergebnis einer Entrümpelung des energie- und klimapolitischen Instrumentenkastens sein (CO2-Emissionsobergrenze und Zertifi katehan-del, EEG, Energiesteuer, Stromsteuer, KWK-Umlage, Subventionen). Eine strukturelle Vereinfa-chung in diesem Bereich und die Beseitigung von Widersprüchen (etwa die Subventionierung von Steinkohle wie auch der erneuerbaren Energien oder die gegenseitige Neutralisierung von Maßnahmen wie EEG und Emissionshandel) sind prioritäre Aufgaben der Politik.

Priorität sollte die Entlastung der Unternehmen haben, um Arbeitsplätze und Investitionen in Deutschland zu halten. Um in Deutschland international wettbewerbsfähige Industriestrom-preise zu erhalten, müssen die Industriestrompreise von den Verbraucherstrompreisen hin-sichtlich der Belastungen entkoppelt werden.

Bevor näher auf die beiden zentralen Anliegen – Abbau der Steuerlasten und Auslaufen der EEG-Subventionen – eingegangen werden kann, ist zu betonen, dass eine Kostenentlastung von Bürgern und Unternehmen keine Abstriche bei der Erreichung klimapolitischer Ziele er-fordert.

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7.1 Steuerlast auf Energie verringern

Wenn die klimapolitischen Ziele primär durch den Emissionshandel angestrebt werden können (siehe Kapitel 8 unten), dann ist zu prüfen, ob es noch klimapolitische Gründe für die Besteu-erung von Energie in der jetzigen Weise in Deutschland gibt (was natürlich am Fortbestand fi skalischer Motive nichts ändert).

Im Rahmen einer Entrümpelung des klimapolitischen Instrumentenkastens ist zu erkennen, dass die deutsche Stromsteuer (Regelsatz 2,05 Cent je kWh) ökologisch nicht mehr zu begrün-den ist, da das CO2-Zertifi katesystem die Internalisierung negativer externer Eff ekte der Strom-erzeugung aus fossilen Brennstoff en gewährleistet. Die Stromsteuer hat überdies auch nur eine geringe ökologische Lenkungswirkung und vor allem fi skalische Eff ekte (Steiner, Viktor/Clu-dius, Johanna (2010), S. 2 f. sowie Bach, Stefan (2010), S. 218 ff .). Dies liegt unter anderem an einer geringen Preiselastizität der Nachfrage nach den durch die Steuer verteuerten Gütern: Trotz gestiegener Kraftstoff preise fahren Berufspendler weiter mit dem Auto zur Arbeit. Trotz höherer Strom- und Gaspreise wird nicht ein kleinerer Kühlschrank gekauft bzw. in weniger Räu-men geheizt.

Die Stromsteuer sollte weitestgehend abgeschaff t werden. Lediglich der europarechtlich vorge-geben Mindestsatz von 0,05 bzw. 0,1 Cent je kWh muss – einstweilen – beibehalten werden. Die Bundespolitik sollte jedoch aus Gründen des Bürokratieabbaus in Brüssel auf eine Beseitigung selbst dieses geringfügigen Mindestsatzes dringen.

Eine Gegenfi nanzierung ist für den Bund budgetneutral möglich durch die Einnahmen, die der Bund ab 2013 aus dem europarechtlich vorgeschriebenen Verkauf der CO2-Emissionszertifi kate an die Stromerzeuger erhalten wird. Diese sollen zur Entlastung der privaten, gewerblichen und industriellen Stromverbraucher verwendet werden. Keinesfalls dürfen diese Staatseinnahmen für neue Staatsausgaben verwendet werden, wie es das Energiekonzept der Bundesregierung vorsieht, denn sie stammen letztlich von den Stromverbrauchern. Falls der Bund zusätzlich Ausgaben für Energieeffi zienz oder die Forschungsförderung tätigen möchte, muss er sich den fi nanziellen Spielraum durch Ausgabenkürzungen an anderer Stelle im Bundeshaushalt ver-schaff en.

Es geht um mindestens 4 Mrd. Euro pro Jahr in Deutschland: Die Stromerzeuger bekommen jährlich Zertifi kate für mehr als 300 Mio. Tonnen Emissionen. Der Zertifi katepreis liegt derzeit bei 15 Euro/Tonne CO2. Falls sich der Preis von 30 Euro/Tonne oder mehr erhöhte, wie es EU-Kommission und Wirtschaftsforscher für wahrscheinlich halten, weil die Menge an Zertifi katen leicht reduziert wird, dann könnten die zusätzlichen Staatseinnahmen bis zu 10 Mrd. Euro pro Jahr betragen.

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Bislang erhalten die Stromerzeuger in Deutschland den Großteil der Zertifi kate kostenlos und erzielen Extra-Gewinne, sog. „windfall profi ts“. Sie entstehen, weil der Wiederverkaufswert der Zertifi kate, gemessen am Börsenpreis der EEX, von den Stromerzeugern auf den Strom-An-gebotspreis aufgeschlagen wird. Diese Umverteilung von Stromnachfragern zu Stromerzeugern ist zwar legal, aber gesamtwirtschaftlich unerwünscht, weil es sich nicht um im Leistungswett-bewerb errungene Gewinne handelt.

Der Vorschlag zur Abschaff ung der Stromsteuer bedeutet für den Bund keine Haushaltsbelas-tung: In 2009 erzielte der Bund gut 6 Mrd. Euro aus der Stromsteuer. Falls der Bund höhere Verkaufserlöse für die Zertifi kate 2013 hätte, was zu erwarten ist, könnte er die Stromsteuer weiter bis auf den von der EU geforderten kleinen Rest ganz abzuschaff en.

Diese Forderung bedeutet selbstverständlich, dass die Pläne des Bundes zur Ausweitung der Strom- und Energiesteuern um rund 900 Mio. Euro ab 2012 durch Reduktion der Entlastungs-regeln, die vor Wettbewerbsnachteilen schützen, von der Wirtschaft weitestgehend abgelehnt werden. Lediglich ungerechtfertigte Mitnahmeeff ekte für nicht im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen könnten beseitigt werden.

Darüber hinaus geht es nicht um den Erhalt von Vergünstigungen für die Industrie. Mit der sog. ökologischen Steuerreform hatte die Regierung Schröder zusätzliche Steuerlasten auf Energie in Deutschland eingeführt. Für die im weltweiten Wettbewerb stehenden Industrieunternehmen sind die Energiekosten ihrer internationalen Wettbewerber der Maßstab. Die den deutschen Ex-porteuren bislang gewährten Entlastungen bei den Energiesteuern wirken für sie wirtschaftlich gesehen nicht als Subvention, sondern erhalten ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. Eine Reduktion der Entlastung ist für sie nichts anderes als eine zusätzliche Kostenbelastung, die sie gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten benachteiligt.

Deshalb kann auch die von der Bundesregierung im Energiekonzept (S. 14) angekündigte Vor-aussetzung für die Gewährung des Spitzenausgleichs im Rahmen der Energie- und Stromsteuer, nämlich der Nachweis einer Energieeinsparung, z. B. durch Energiemanagementsysteme, nicht akzeptiert werden.

7.2 EEG-Subventionen auslaufen lassen

7.2.1 Trotz Kürzung bestehen Überförderungen weiter

Die fi nanzielle Förderung erneuerbarer Energien ist grundlegend zu überdenken. Aufgrund der erfolgreichen und weiter wachsenden Marktdurchdringung der Erneuerbaren in Deutschland sollte die direkte und indirekte Subventionierung der Erneuerbaren kontinuierlich abgebaut

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werden. Der Staat sollte schnellstens aufhören, durch unterschiedlich hohe Fördersätze be-stimmte Energieerzeugungstechniken gegenüber anderen massiv zu privilegieren.

Der größte Kosten-Treiber aus Sicht der Stromverbraucher ist das Erneuerbare Energien Ge-setz (EEG). Es verpfl ichtet die Netzbetreiber, Strom aus solarer Strahlungsenergie, Windkraft, Biomasse, Wasserkraft, Gasen und Geothermie einzuspeisen und mit einem technologiespe-zifi schen Satz zu vergüten. Die Einspeisevergütungen sind jeweils über 20 Jahre garantiert. Dadurch konnte zwar die Marktdurchdringung einer innovativen Technik beschleunigt werden. Doch liegen die Einspeisevergütungen mit durchschnittlich 14 Cent pro Kilowattstunde (kWh) weiterhin weit über den Herstellungskosten von konventionell erzeugtem Strom, die etwa 2 bis 7 Cent/kWh betragen. Was vor zehn Jahren eine begründbare Anschubsubvention gewesen sein mag, droht nun zu einer milliardenschweren Dauersubvention nach dem negativen Vorbild der Steinkohlesubventionen zu werden.

Weil die EEG-Zahlungen nicht aus dem Bundeshaushalt stammen, sondern in vielen Millionen Stromrechnungen als relativ kleine Beträge enthalten sind, fehlt ein jährlicher Rechtferti-gungsdruck, wie ihn parlamentarische Haushaltsberatungen erzeugen.

Strom aus Photovoltaikanlagen erhält mit rund 30 Cent/kWh die mit Abstand höchste fi nanzi-elle Unterstützung. Auch nach den aktuellen Kürzungen wird der Vergütungssatz für PV-Strom weiterhin rund vier bis sechs Mal größer sein als der Großhandelsstrompreis an der Börse (der-zeit rund 5 Cent/kWh). Die anhaltende Subventionsabhängigkeit von PV-Strom ist vor allem Folge des niedrigen technischen Wirkungsgrads der Solarzellen und der geringen jährlichen Sonnenscheindauer in Deutschland.

Die EEG-Vergütung für Strom von an Land installierten Windkraftanlagen beträgt mit 9,2 Cent je kWh weniger als ein Drittel der PV-Stromvergütung. Mit Ausnahme der Stromerzeugung in großen Wasserkraftwerken sind auch alle übrigen erneuerbaren Energien auf die im EEG festge-legte Förderung angewiesen.

Während die Netzbetreiber rechtlich verpfl ichtet sind, die Einspeisung dieses Stroms zu vergü-ten, sind es letztlich die privaten, gewerblichen und industriellen Stromverbraucher, die die Kosten in Form höherer Strompreise tragen.

Die im Energiekonzept der Bundesregierung genannten Ansätze zur Kostenbegrenzung der er-neuerbaren Energien erscheinen als deutlich zu gering. Die Bundesregierung beabsichtigt zwar richtigerweise „den Druck auf Innovationen und Kostensenkungen weiter zu verstärken. Nur so bleiben die entsprechenden Branchen international wettbewerbsfähig.“ (S. 4) Doch sind die Prüfaufträge zur EEG-Novelle 2012 vage (S. 8 f.). Es fehlt jede Festlegung, wann – die zumindest im Zusammenhang mit der Photovoltaik erwähnte – „Netzparität“ (S. 8) und die „Markt- und Systemintegration“ der erneuerbaren Energien (S: 24 f.) erreicht werden soll.

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Die EEG-Einspeisevergütungen für Strom sollten aus Sicht der Wirtschaft schnellstmöglich, jedenfalls im Laufe dieses Jahrzehnts, auf das Niveau der Großhandelspreise der Börse abge-senkt werden. Die Vergütungssätze sollten nicht abrupt, sondern verbindlich schrittweise redu-ziert werden. Für Strom aus Anlagen, die ab 2020 ans Netz angeschlossen wurden, brauchen die Netzbetreiber dann nur noch den jeweiligen Börsenpreis bezahlen.

Aus Gründen des Bestandsschutzes müssen die Einspeisevergütungssätze für bestehende An-lagen bis zum Ende des jeweils zugesagten 20-jährigen Garantiezeitraums weiterhin bezahlt werden. Das heißt, dass zum Beispiel für Strom aus einer Photovoltaikanlage auf einem Pri-vathaus, die 2009 errichtet wurde, bis zum Jahr 2029 pro Kilowattstunde rund 43 Cent gezahlt werden. Das ist zwar gesamtwirtschaftlich, energiewirtschaftlich und auch verteilungspolitisch in keiner Weise zu rechtfertigen, aber aus Gründen der Rechtssicherheit hinzunehmen.

Die Pfl icht der Netzbetreiber, den EEG-Strom vorrangig einspeisen zu lassen, sollte ebenfalls nur noch für eine Übergangszeit bestehen bleiben.

Allerdings dürfen nicht länger die Netzbetreiber gezwungen werden, die Kosten eines Strom-überangebots zu tragen, das z.B. durch hohe Einspeisungen aus Windkraft in Zeiten geringer Nachfrage entsteht. Die einspeisenden Betreiber von Anlagen erneuerbarer Energien müssen entsprechend niedrigere Kilowattstundenentgelte erhalten. Im Falle eines negativen Strom-preises an der Börse müssen die einspeisenden Windkraftwerksbetreiber Geld an die Netzbetrei-ber bezahlen, wenn sie z. B. ihre Windräder nicht abschalten wollen oder können.

Das EEG sieht für große stromintensive Unternehmen des produzierenden Gewerbes eine Ent-lastung von der EEG-Umlage vor. Dadurch wird nur gut ein Drittel des Industriestromverbrauchs entlastet, etwa 78,6 Mrd. kWh (2009). Die gesamte Industrie verbrauchte 228 Mrd. kWh Strom. Die Mehrheit der Unternehmen wird nicht entlastet. Von den rund 110.000 Industrieunterneh-men werden nur 565 von den Entlastungsregelungen erfasst, obwohl die allermeisten einer in-ternationalen Konkurrenz ausgesetzt sind. Solange noch EEG-Umlagen den Strompreis verteu-ern, muss deshalb die EEG-Härtefallregelung bestehen bleiben. Diese bislang nur die großen Unternehmen entlastende Regelung ist auf den energieintensiven Mittelstand auszudehnen. Sie sollte keineswegs abgeschaff t werden!

Die Forderung, die EEG-Subventionen auslaufen zu lassen, lässt sich begründen:

7.2.2 EEG-Subventionen: teuer und ökologisch ineff ektiv

a) Das EEG verteuert Strom in Deutschland

Die EEG-Subventionen verteuern massiv den Strom in Deutschland zu Lasten der privaten, ge-werblichen und industriellen Stromverbraucher.

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Im Jahr 2010 werden EEG-Einspeisevergütungen in Höhe von über 12 Mrd. Euro an die Betreiber privilegierter Anlagen gezahlt. Verglichen mit dem Marktpreisniveau von derzeit gut 5 Cent/kWh sind das 8,2 Mrd. Euro sogenannte Diff erenzkosten zum Börsenpreis. Nur dieser Betrag – nicht die gesamten Einspeisevergütungen von 12 Mrd. Euro – stellt die gesamtwirtschaftlich nicht zu rechtfertigende Subventionierung der erneuerbaren Energien durch das EEG dar.

Tabelle 19: Diff erenzkosten Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland

Diff erenzkosten(=Subvention) 2010

Einspeisung Strom 2009

Photovoltaik 3,3 Mrd. Euro 6,2 Mrd. kWh

Biomasse 2,4 Mrd. Euro 30,5 Mrd. kWh

Windkraft 2,0 Mrd. Euro 37,8 Mrd. kWh

Wasserkraft 0,1 Mrd. Euro 19,0 Mrd. kWh

Kosten für Profi lservice und Handelsanbindung (alle Energieträger)

0,4 Mrd. Euro

Summe 8,2 Mrd. Euro 93,5 Mrd. kWh

Bruttostromproduktion 2009 zum Vergleich 597,0 Mrd. kWh

Quellen: Berechnung des BMWi (2010), BMU (2010), S. 22, AGEB (2010a). *) = Prognose. Geothermie ist mit 0,036 Mrd. kWh und Diff erenzkosten von 3 Mio. Euro vernachlässigbar.

Von allen EEG-Subventionen entfallen in 2010 schätzungsweise allein 3,3 Mrd. Euro auf Strom aus Photovoltaikstrom. Damit sind von den 2 Cent/kWh EEG-Umlage allein 0,8 Cent/kWh oder 40 Prozent auf Photovoltaik zurückzuführen bei lediglich einem Anteil am EEG-Strom von 9 Prozent.

Umgelegt auf den gesamten Stromverbrauch erhöhten die EEG-Subventionen in 2009 den Strompreis der privaten Haushalte und der meisten mittelständischen Unternehmen um rund 1,5 Cent je Kilowattstunde und machen rund acht Prozent ihrer Stromrechnung aus. Eine Absen-kung der Einspeisevergütungen auf Marktpreisniveau würde die Kaufkraft der Privathaushalte und die Liquidität der Unternehmen um mehrere Milliarden Euro pro Jahr erhöhen.

In den nächsten Jahren drohen drastische Mehrbelastungen, da sich der Ausbau erneuerbarer Energie beschleunigt hat: Pro Kilowattstunden könnten die EEG-Subventionen 2011 rund 3,5 Cent je kWh kosten. Unter Berücksichtigung der aktuell geplanten Senkung der Einspeisever-gütungen für Solarstrom werden in Deutschland die Stromverbraucher in den Jahren 2010 bis 2020 nur für die Photovoltaik Kosten von insgesamt 46 Mrd. Euro zu schultern haben. Für die Jahre 2010 bis 2030 wird eine aus der Photovoltaik-Förderung resultierende Gesamtbelastung

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von 67,5 Mrd. Euro erwartet. Zugleich wird ein PV-Ausbau von heute rund 9 Gigawatt instal-lierter Leistung auf rund 42 Gigawatt bis 2020, also eine Vervierfachung gegenüber heute, für möglich gehalten. 2030 wird eine vergütungsrelevante Photovoltaikleistung von 65 Gigawatt angenommen (EEG (2010), S. 6). Dies erscheint rechnerisch nur möglich, wenn bis 2030 der Strompreis an der Börse kontinuierlich steigt.

Der Vergleich mit den Subventionen des Bundes liegt nahe, um das Ausmaß der Begünstigung der Branche der erneuerbaren Energien bzw. der Belastung der Stromverbraucher zu verdeut-lichen: Die gesetzlich veranlasste EEG-Subventionierung von rund 8 Mrd. Euro in 2010 – und auch die Photovoltaik-Subventionierung von 3,3 Mrd. Euro – sind größer als jede Einzelsub-

vention des Bundes. Insgesamt dürften sich die Subventionen des Bundes im Jahr 2010 auf 24,4 Mrd. Euro belaufen.

Die größte Einzelsubvention in Form einer Steuervergünstigung in Höhe von 3,0 Mrd. Euro bildet die Steuerermäßigung für Renovierungsaufwand gemäß § 35a Abs. 3 EStG. Die größte Finanzhilfe in Höhe von knapp 1,6 Mrd. Euro stellen die „Zuschüsse für den Absatz deutscher Steinkohle zur Verstromung und an die Stahlindustrie sowie zum Ausgleich von Belastungen infolge von Kapazitätsanpassungen“ dar. Die auf den Bund entfallenden Steuervergünsti-gungen werden im Jahr 2010 rund 17,6 Mrd. Euro und die Finanzhilfen des Bundes rund 6,8 Mrd. Euro betragen. Mit 13,5 Mrd. Euro stellt die gewerbliche Wirtschaft weiterhin den be-deutendsten Subventionsbereich (55 Prozent aller Subventionen) (Bundesministerium der Finanzen (2010), S. 14 f.).

Angesichts der für 20 Jahre fest zugesagten EEG-Einspeisevergütungen wäre auch ein Vergleich mit den Staatsschulden angebracht. Der Begriff „EEG-Schulden“ ist ökonomisch eine treff ende Bezeichnung – zumal die Größenordnung bald die explizite Neuverschuldung des Bundes über-treff en dürfte. Die grundgesetzliche Schuldenbremse erlaubt dem Bund ab 2016 eine struk-turelle Neuverschuldung von nur noch rund 10 Mrd. Euro pro Jahr. Die EEG-Neuverschuldung ist hingegen nicht begrenzt, so dass der Ausbau der EEG-vergüteten erneuerbaren Energien höhere Zukunftsbelastungen verursacht als die staatliche Kreditaufnahme. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hat errechnet, dass sich die Nettokosten für alle zwischen 2000 und 2010 errichteten Photovoltaikanlagen über die jeweilige 20-jährige Förderung auf real 85,4 Mrd. Euro summieren. (Handelsblatt (2010): „Ökostrom sprengt das System“, 21.06.2010).

b) Das EEG ist ökologisch ineff ektiv

Das EEG hat keine eigenständige und nur eine indirekte Klimaschutzwirkung und ist daher öko-logisch ineff ektiv – wohlgemerkt, nicht ein Windrad oder ein Biomassekraftwerk ist ökologisch ineff ektiv, sondern dessen Subventionierung. Das EEG wird durch die europaweite Obergrenze für CO2-Emissionen der Stromerzeuger und großer Industriebetriebe (rund 2 Mrd. t CO2 pro

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Jahr) umweltpolitisch paralysiert. Aufgrund der seit 2005 herrschenden Koexistenz von EEG und Emissionsobergrenze wird durch das EEG derzeit keine CO2-Emissionseinsparung erzielt, die über das bereits durch EU-Obergrenze und Emissionshandel allein bewirkte Maß hinaus-geht.

Die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien wird durch die hohen Einspeisetarife zwar subventioniert. Und tatsächlich wird auf diese Weise fossiler Strom in Deutschland verdrängt, da die Netzbetreiber verpfl ichtet sind, den EEG-Strom vorrangig in die Netze einzuspeisen.

Doch das hilft der Umwelt per saldo nicht. In konventionellen Kraftwerken werden Emissionszer-tifi kate frei, die über die Börse in andere EU-Länder verkauft werden und dort zur Stromerzeu-gung aus fossilen Energieträgern mit entsprechenden Mehremissionen von CO2 berechtigen.

Beispiel: Wenn ein deutscher Energieversorger Strom aus Photovoltaik einspeist statt wie bis-her aus einem Kohlekraftwerk, hat er CO2-Zertifi kate übrig, die er verkauft, z.B. an Energie-versorger in Polen oder Portugal, die wegen dieser Zertifi kate dort mehr Strom aus fossilen Brennstoff en erzeugen dürfen.

Wie hoch auch immer die EEG-Förderung ist: Da die EU die Menge an Emissionszertifi katen be-grenzt hat, wird nicht eine einzige Tonne weniger Kohlendioxid in der Stromerzeugung in der EU in die Luft geblasen, als es ohne das EEG der Fall wäre. Dass in Deutschland die Emissionen sinken und im übrigen Europa steigen, hilft dem Klima kein Bisschen!

Kurz gesagt: Das EEG vermindert nicht den Kohlendioxidausstoß in Europa, sondern verändert den Energieträgermix in Deutschland. (Sachverständigenrat (2009), Randnummer 376. Vgl. ebenfalls BMWA (2004), S. 8).

Laut Frondel gilt „dieses Resultat streng genommen nur, falls die CO2-Vermeidungseff ekte der künftigen Stromerzeugung auf Basis Erneuerbarer Energietechnologien nicht bereits in einer für die Zukunft geltenden Emissionsobergrenze für Deutschland korrekt antizipiert werden, sodass die Obergrenze geringer ausfällt als andernfalls. Das war in der Vergangenheit jedoch nicht der Fall. Vielmehr stellte die von Deutschland selbst gewählte Obergrenze für die erste Emissions-handelsperiode (2005-2007) eine wenig strenge Restriktion dar. In anderen EU-Ländern war dies kaum anders. Auch in den Emissionsobergrenzen für die 2. Handelsperiode (2008-2012) dürfte der weitere Ausbau der regenerativen Stromerzeugung kaum eine Rolle gespielt haben. Schließlich hatte sich die Obergrenze am deutschen Kyoto-Ziel zu orientieren, welches bereits Jahre vor der Etablierung des EEG festgelegt wurde.

In der EU-weit geltenden Emissionsobergrenze für 2020 wurde der CO2-senkende Einfl uss des Zubaus regenerativer Stromerzeugungstechnologien in gewisser Weise berücksichtigt. Al-lerdings defi nitiv nicht in einer Weise, die dem Ziel, den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in Deutschland bis 2020 auf 30 Prozent zu erhöhen, in spezifi scher Weise

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Rechnung trägt. Schließlich verlangt die EU-Kommission von jedem EU-Mitgliedsstaat ein und dieselbe jährliche Absenkung von 1,74 Prozent, um so das EU-weite Emissionsziel, bis 2020 den CO2-Ausstoß um 21 Prozent gegenüber 2005 zu senken, zu erreichen. Würde Deutschland bis 2020 sogar einen höheren Anteil an erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung erzielen als den Mindestanteil von 30 Prozent, würde dies folglich an den Emissionsobergrenzen in keiner Weise etwas ändern.“ (RWI (2009), S. 19).

Das ökologisch richtige Ziel, die Senkung der CO2-Emissionen in der Stromerzeugung, kann europaweit durch die Absenkung der jährlichen Obergrenze erreicht werden – und so plant es die EU ja auch: im Jahr 2020 werden nur noch 1,7 Mrd. Tonnen zulässig sein.

Das EEG kann auch nicht kosteneffi zient sein. Kosteneffi zienz in der Klimapolitik bedeutet, mit einem eingesetzten Euro ein Maximum an Klimaschutz zu erreichen. Dazu gibt es in der EU ei-nen klaren Maßstab, den die hessische Landesregierung zu Recht wie folgt benannt hat: „Die Einführung des Emissionshandels hat dem Klimaschutz eine marktwirtschaftliche Grundlage gegeben. Zukünftig müssen sich alle Instrumente an den niedrigsten Grenzvermeidungskosten für Treibhausgase messen lassen.“ (Hessisches Ministerium für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz (2007), S. 43).

Abgesehen von der Tatsache, dass das EEG ökologisch ineff ektiv ist und bereits deshalb eben-falls ineffi zient ist, könnte es auch aufgrund seiner Methodik nicht kosteneffi zient sein. Denn die politisch gewünschte Illusion einer Vermeidung von CO2-Emissionen durch den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland wird mit hohen und unterschiedlichen Kosten erkauft: So wird Solarstrom in Deutschland um 600 Prozent und Windstrom um 80 Prozent über dem Großhandelspreis vergütet.

Der Vergleich der spezifi schen Grenzvermeidungskosten verschiedener Energieerzeugungs-techniken im Bereich Kraftwerke und erneuerbaren Energien zeigt die Bandbreite der CO2-Minderungskosten auf. Während Biomassekraftwerke bereits zu ähnlichen Bedingungen wie konventionelle Kraftwerke verfügbar sind, weisen Erdwärme und Photovoltaik noch dreistellige Eurobeträge an Vermeidungskosten auf.

Tabelle 20: CO2-Vermeidungskosten in der Stormerzeugung

Kernenergie: -5 bis 7 Euro pro Tonne CO2

Windkraft: 37 bis 91 Euro pro Tonne CO2

Erdgas-GuD-Kraftwerk: 21 bis 34 Euro pro Tonne CO2

Geothermie: 190 bis 540 Euro pro Tonne CO2

Photovoltaik: 420 bis 611 Euro pro Tonne CO2

Quelle: Sinn (2009), S. 165.

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Wenn die Politik kosteneffi zient CO2-Emissionen in der Stromerzeugung für EU-Nachfrager ver-ringern will, müsste sie Unternehmen veranlassen, Elektrizität außerhalb des Gültigkeitsge-biets der EU-Obergrenze emissionsarm oder -frei zu erzeugen und in die EU zu importieren. Kos-teneffi zienz wäre solange gewährleistet, wie die Grenzvermeidungskosten den Börsenpreis der CO2-Emissionszertifi kate in der EU nicht übersteigen. Ob dies beim Projekt Desertec gelingen wird, bleibt abzuwarten. Gegen ein Auslaufenlassen der EEG-Subventionen werden Argumente vorgebracht, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

7.2.3 Keine überzeugenden Argumente für weitere EEG-Subventionen

a) Das EEG schaff t per Saldo keine neuen Arbeitsplätze

Politiker in EU, Bund und Land argumentieren Hand in Hand mit den Begünstigten des EEG, die EEG-Subventionen ließen eine große Zahl neuer Arbeitsplätze entstehen. Diese These hält einer empirischen und wirtschaftstheoretischen Überprüfung nicht stand.

Das Bundesumweltministerium gibt als Anzahl der Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Ener-gien in Deutschland zum Ende des Jahres 2009 mit 300.500 an (BMU (2010), S. 3). Angenom-men, diese Angabe sei nicht übertrieben, und ferner unterstellt, diese Beschäftigungsverhält-nisse würden im Wesentlichen dank der EEG-Subventionen (8,2 Mrd. Euro in 2010) bestehen, dann entfällt auf jeden dieser Arbeitsplätze rechnerisch eine jährliche Subvention von 27.000 Euro. Tatsächlich dürfte der Pro-Kopf-Subventionsbetrag erheblich höher sein, da viele Unter-nehmen im Bereich erneuerbare Energien seit Jahren erfolgreich exportieren und nicht in allen Geschäftsfeldern auf staatliche Stützung im Inland angewiesen sind.

Besonders hoch sind die Subventionen pro Beschäftigtem in der Photovoltaik. Laut Bundesver-band Solarwirtschaft waren Ende 2009 rund 63.000 Personen in der Fotovoltaik beschäftigt. Bezogen auf die 3,3 Mrd. Euro Subventionierung für Photovoltaik ergibt sich rechnerisch eine Subventionierung in Höhe von 52.000 Euro pro Beschäftigtem in der Solarbranche.

Tatsächlich ist der PV-Subventionsbetrag pro Kopf höher anzusetzen. Denn die deutschen Pho-tovoltaikunternehmen erzielten 2009 mit 5,6 Mrd. Euro die Hälfte ihres Umsatzes von 10,6 Mrd. Euro im Ausland (BSW (2010b). Nach der Analyse des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gehen in der Photovoltaik-Branche „die Kosten pro Brutto-Arbeitsplatz selbst bei günstigster Abschätzung weit über 100 000 Euro pro Jahr hin-aus.“ (Sachverständigenrat (2010), Randnummer 377).

Saldiert man nun Arbeitsplatzzuwächse bei den Erneuerbaren mit Arbeitsplatzverlusten in an-deren Branchen, lässt sich erkennen, dass das EEG unter dem Strich in Deutschland wahrschein-lich so gut wie keine neuen Arbeitsplätze schaff t. Wie bei jeder Subvention kauft sich die Politik Arbeitsplätze, indem sie die Mehrzahl der Wirtschaftsakteure belastet und nur sehr wenige Be-triebe sowie deren Anteilseigner und Beschäftigte fi nanziell besser stellt. Gesamtwirtschaftlich

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ist das ein Minusgeschäft. Die Zwangsfi nanzierung – egal ob hier über EEG-Umlagen oder an-sonsten über Steuern – belastet andere Branchen und reduziert dort Investitionsanreize und Beschäftigung.

„Am unmittelbarsten bekommt die herkömmliche Stromerzeugung dies zu spüren, die vom grü-nen Strom verdrängt wird. Damit einher gehen negative Beschäftigungseff ekte bei den Strom-versorgern, nicht zuletzt aber auch in vorgelagerten Sektoren wie dem konventionellen Kraft-werksbau. Weitere Arbeitsplatzverluste entstehen durch die Verringerung der ökonomischen Aktivität, die auf die EEG-induzierte Erhöhung der Strompreise zurückgeht.“ (RWI (2009); S. 21).

„Hierbei müssen zwei bedeutende Aspekte berücksichtigt werden. Erstens: Auch wenn sich die Belastung eines einzelnen der rund 40 Millionen deutschen Haushalte vergleichsweise gering ausnimmt, addiert sich der Kaufkraftverlust der privaten Verbraucher infolge höherer Strompreise auf viele Milliarden Euro pro Jahr. Zweitens: Mit Ausnahme der davon weitgehend verschonten energieintensiven Unternehmen fallen auch die Investitionen der industriel-len Stromverbraucher durch die höheren Strompreise insgesamt um Milliarden geringer aus als ohne ein EEG. Indem die Budgets der privaten und industriellen Haushalte durch höhere Strompreise geschmälert werden, stehen weniger Mittel für alternative, eventuell profi tablere Investitionen zur Verfügung. Die mit den höheren Strompreisen einhergehenden Kaufkraftver-luste und der Entzug von Investitionskapital bewirken negative Arbeitsplatzeff ekte in anderen Sektoren.“ (RWI (2009); S. 21).

Hinzu kommt, dass ein Teil der Subventionen über Warenimporte ins Ausland fl ießt. So sorgt die deutsche Photovoltaik-Förderung über Importe für mehr Beschäftigung in Produktionsstätten im Ausland, etwa in Japan und China. Insgesamt muss laut Sachverständigenrat die Betrach-tung der Beschäftigungswirkungen des EEG ernüchternd ausfallen: „Aufgrund des beständig hohen Anteils an Importen von Photovoltaik-Modulen liegt es nahe, dass die Nettobeschäf-tigungseff ekte im Inland keinesfalls positiv sein können“, so der Sachverständigenrat (2010, Rn. 377).

Entsprechend nennen Politiker meist nur Daten zur Bruttobeschäftigung des Photovoltaik-Sek-tors. Sie verschleiern die Implikationen für die ökonomische Wohlfahrt der Gesellschaft, indem sie nachteilige Wirkungen dieser Art der vermeintlichen Beschäftigungsförderung unberück-sichtigt lassen.

„Vordergründig mag die Entwicklung der deutschen Photovoltaik-Industrie wie ein Erfolg wir-ken. Aber welche technologischen Fortschritte und Beschäftigungswirkungen von der staatlich geförderten Solarindustrie langfristig zu erwarten sind, kann nicht mit der Analyse des Status quo beantwortet werden. Den angemessenen Kontrast würde eine Situation darstellen, in der bessere Anreize für forschungsorientierte Unternehmen gesetzt worden wären und durch die angemessene Förderung von Grundlagen- und angewandter Forschung und Entwicklung sowie

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die rechtzeitige Rückführung der Einspeisevergütungen des EEG ein innovatives Klima geschaf-fen worden wäre. Dann hätten sich heimische Unternehmen allein aus eigener Kraft erfolgreich im Markt durchsetzen müssen. Zweifellos gehören Umwelttechnologien zu den Beschäftigungs-motoren der Zukunft, aber neue Arbeitsplätze werden dort auch ohne das aktive Zutun der Po-litik entstehen: Bislang wurden durch die fehlgeleitete Förderung für einen vorschnellen Um-stieg eher die Weichen für ein langsameres Wachstum gestellt.“ (Sachverständigenrat (2009), Randnummer 378).

Das RWI schlussfolgert treff end: „Am Ende ist Deutschlands Photovoltaikförderung zu einem Subventionsregime mutiert, bei dem die Subventionen pro Kopf ein sehr hohes Niveau erreicht haben, das den Durchschnittslohn in diesem Sektor wohl bei weitem übersteigen dürfte“ (RWI (2009), S. 24). Und selbst wenn es Anzeichen auf positive Nettoeff ekte auf die gesamtwirt-schaftliche Beschäftigung gäbe, wären sie angesichts der immensen Pro-Kopf-Subventionen zu teuer erkauft.

b) Das EEG verbessert nicht die Versorgungssicherheit

Eine höhere Sicherheit der Energieversorgung durch eine verringerte Abhängigkeit von Ener-gieimporten ist ein oft gehörtes Argument für die Subventionierung erneuerbarer Energien. Es wird auf die unbegrenzte Verfügbarkeit von Wind und Sonne verwiesen. Jedoch weht in Deutschland der Wind unstetig und die Sonne scheint weniger oft als in Südeuropa. Um Black-outs bei der Stromversorgung zu vermeiden, müssen neben der Stromerzeugung aus erneuer-baren Energien weiterhin konventionelle Kraftwerkskapazitäten in Reserve bereitstehen. Dazu eignen sich in erster Linie Erdgaskraftwerke. Diese Reservekapazitäten kosten jährlich einen mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag.

Abgesehen davon, dass die spezifi schen Kosten für die erforderliche sog. Regelenergie bekann-termaßen hoch sind, erhöht die Senkung der Energieimporte durch die Nutzung von Sonne und Wind kurioserweise die Abhängigkeit von Erdgasimporten. Dies lässt bezweifeln, dass mit der Ausweitung des Anteils erneuerbarer Energien eine Verbesserung der Versorgungssicherheit einhergeht. (RWI (2009), S. 24.).

c) Das EEG beschleunigt nicht (mehr) Innovationen

Die Wirkung das EEG auf Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in Unternehmen ist eben-falls fragwürdig, denn das EEG setzt nicht auf den Leistungs- und Innovationsdruck des Wett-bewerbs. Vielmehr werden Anreize gesetzt, rasch die Produktionsmengen auszuweiten. So wird der routiniertere Umgang mit nicht automatisch wettbewerbsfähigen Techniken gefördert. Entscheidend für die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen durch eine hohe Innovationsge-schwindigkeit ist, dass Anreize bestehen, die für die Entwicklung besserer Technologien för-derlich sind.

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In dieser Hinsicht versagt das EEG, da es die Anreize für Innovationen dadurch erstickt, dass jede Technik Subventionen entsprechend ihres Wettbewerbsdefi zits erhält. Durch dieses System an diff erenzierten Vergütungen avancierte die Photovoltaik zum großen Gewinner gemessen in Subvention je Kilowattstunde. Anstatt Photovoltaik drastisch zu privilegieren, wäre es nach Ansicht des RWI sinnvoller gewesen, zu Beginn einen einheitlichen Fördersatz für die Kilowatt-stunde Strom aus erneuerbaren Energien festzulegen. „In diesem Fall hätten die Marktkräfte und nicht der Lobbyismus bestimmt, welche Technologien am ehesten mit den konventionellen Stromerzeugungstechnologien konkurrieren können.“ (RWI (2009), S. 24).

Nicht verwunderlich, dass deutsche Hersteller off enbar bei der zukunftsträchtigen Dünnschicht-technologie ins Hintertreff en geraten sind: Aufgrund der generösen Vergütung in Deutschland wurden statt Dünnschichtmodulen bislang vor allem die weitaus teureren herkömmlichen Photovoltaik-Anlagen verbreitet. Dies ist bedenklich, da das EEG ursprünglich als ein Versuch konzipiert war, Impulse für die Entwicklung neuer Technologien zu setzen, die sich nach einer Weile selbst tragen. (Sachverständigenrat (2009), Randnummer 378).

7.3 Benachteiligung energieintensiver Industrien beseitigen

Auf Dauer sind einseitige Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten bestimmter Industriezweige un-tragbar. Das Scheitern der Klimakonferenz von Kopenhagen hat gezeigt, dass andere Länder diese Gefahr klarer sehen. Für das Klima ist es unerheblich, ob CO2 durch die Produktion von Zement, Aluminium, Papier etc. in Deutschland oder anderswo entsteht – für die heimischen Arbeitsplätze und für die Struktur der deutschen Volkswirtschaft ist diese Frage aber entschei-dend. Zudem sind die Emissionsvorschriften in den meisten Ländern weniger streng als in Eu-ropa, so dass eine Verlagerung von Produktionsstätten weg von Deutschland und Europa mit einem höheren Treibhausgasausstoß einher gehen kann.

Allein der deutschen Chemie stehen durch veränderte Emissionshandelsregeln ab 2013 zusätz-liche Kosten von jährlich mehr als 800 Mio. Euro ins Haus. Dies gilt für einen Zertifi katepreis von 30 Euro/Tonne, der aufgrund der Verknappung der Zertifi katemenge zu erwarten ist. Die Belas-tung kann höher liegen, bei günstigen Regeln könnte sie auch niedriger ausfallen. Ihre Höhe hängt ab von noch ausstehenden Entscheidungen der Kommission zu den Benchmarks und des Bundes zu Kompensationsmaßnahmen für stromintensive Anlagen sowie vom Zertifi katepreis.

Leider hat die Politik bereits unter dem Deckmantel des Klimaschutzes einen Strukturwandel in Gang gesetzt, der langfristig die energieintensiven Industrien aus Deutschland zu vertreiben droht. Hierzulande haben die Energiekosten einen zweistelligen prozentualen Anteil an den Gesamtkosten, etwa 15 Prozent in der Papierindustrie. Damit wird an einer Säule eines wirt-schaftlichen Erfolgsmodells gesägt.

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Deutschland steht auch deshalb besser da als andere Länder, weil die industrielle Basis mit 25 Prozent Anteil am BIP breiter ist als in anderen Ländern. Ein Kernelement des Erfolgs der deut-schen Wirtschaftsstruktur sind die nahezu vollständigen Wertschöpfungsketten.

Die energieintensiven Industrien stehen am Anfang der industriellen Wertschöpfungsketten und nehmen innerhalb des verarbeitenden Gewerbes eine Schlüsselposition ein. Sie stellen Aluminium, Kupfer und Zink, Dämm- und Kunststoff e, Papier, Glas und Stahl oder Zement, Kalk und Keramik her. Damit liefern sie unverzichtbare Grund- und Werkstoff e für die Automobil-, Luftfahrt-, Elektro-, Druckerei- und Verpackungsindustrie sowie den Maschinenbau und die Bauwirtschaft.

Ohne energieintensiv hergestellte Grundstoff e gibt es weder Windräder noch Elektroautos oder Niedrigenergiehäuser. Es sind maßgeblich die Produkte dieser Industrien, die die Grundlagen für erfolgreichen Klimaschutz schaff en. Lohnt sich die Produktion dieser Stoff e in Deutschland und Europa aufgrund der immer weiter steigenden einseitigen Belastungen nicht mehr, belas-tet dies alle Wertschöpfungsketten.

Die energieintensiven Industrien haben in der Vergangenheit stark in moderne Produktions-techniken investiert und viel für den Klimaschutz getan. Seit 1990 reduzierten sie die CO2-Emissionen um mehr als 20 Prozent. Darüber hinaus tragen sie mit ihren Produkten in sehr vielen Bereichen zum Klimaschutz bei: Energieeffi ziente Gebäude, Fahrzeuge und Haushalts-geräte werden ebenso wie Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien durch die Grund- und Werkstoff e der energieintensiven Industrien erst möglich. Sollen diese Stoff e auch weiterhin in Deutschland hergestellt werden, sind wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen notwendig.

Es kann der Wirtschafts- und der Umweltpolitik nicht gleichgültig sein, ob die energieintensi-ven Industrien in oder außerhalb Deutschlands angesiedelt sind. Zum einen weisen diese Un-ternehmen in Deutschland einen Umweltstandard auf, der in anderen Ländern nicht vorausge-setzt werden kann. Zum anderen beschäftigen die energieintensiven Industrien rund 800.000 Menschen in Deutschland. Sie erwirtschaften einen Jahresumsatz in Höhe von rund 20 Prozent des Umsatzes des gesamten verarbeitenden Gewerbes. Jährlich investieren sie über 11 Milliar-den Euro am Standort Deutschland und geben pro Jahr rund 18 Milliarden Euro für Energie aus (siehe Tabelle 14 auf Seite 36).

Anstatt vermeintliche „Verlierer“ und „Gewinner“ des energiewirtschaftlichen Strukturwandels gegeneinander auszuspielen, kommt es darauf an, der Schaff ung gleicher Wettbewerbsbedin-gungen für die energieintensiven Industrien in Deutschland die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen.

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MEHR RATIONALITÄT IN DER KLIMAPOLITIK

Neben den drei Hauptaufgaben Versorgungssicherheit, Energieeffi zienzsteigerung und Abbau staatlicher Verteuerungen von Energie hat die Energiepolitik eine vierte Hauptaufgabe: Sie muss Beiträge zur Erreichung umweltpolitischer Ziele und insbesondere zur Vermeidung von Treibhausgasmissionen leisten.

Nach dem Scheitern der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen ist zu befürchten, dass weltweit in den nächsten Jahren bestenfalls eine Verlangsamung des Anstiegs der jährlichen Treibhausga-semissionen zu erreichen sein wird und noch nicht eine Verringerung der absoluten Menge an Emissionen – zum Beispiel unter den derzeitigen Jahresausstoß von 31,5 Mrd. t CO2.

Weil der Klimawandel eine globale Herausforderung ist, muss gelten: Was die übergeordnete Ebene regeln kann, darf die untergeordnete Ebene nicht mehr regeln. Die nationale Klimapoli-tik sollte sich auf die Aufgaben beschränken, die die Europäische Union nicht bereits geregelt hat. Und die EU-Politik muss die weltweiten Rahmenbedingungen und die Verhaltensweisen der übrigen Staaten bei der Formulierung ihrer Klimapolitik beachten.

Aufgrund der Globalität der Herausforderung Treibhauseff ekt liegt der größte Teil des politi-schen Handlungsbedarfs auf der Ebene der weltweiten sowie der europäischen Politik. Nationa-le und landespolitische Umweltpolitik sollte dies respektieren und in Deutschland den immen-sen Aktionismus in Sachen Klimapolitik reduzieren. Statt klimapolitische Illusionen über die angebliche ökologische Wirksamkeit vieler kleiner Aktivitäten und Regelungen zu erzeugen, sollte sich die Politik um eine rationalere und eff ektivere Vorgehensweise bemühen.

Das heißt u. a., dass Bundes- und Landespolitik zu berücksichtigen haben, dass sie mit ihren Zuständigkeiten und ihren herkömmlichen Instrumenten an Gesetzen und Verordnungen nur einen sehr begrenzten Beitrag zur Reduktion des Anstiegs des weltweiten Treibhausgasaussto-ßes leisten können.

Bund und Länder können ein Vielfaches mehr als bisher zur Verwirklichung klimapolitischer Zie-le beitragen, wenn sie einen Strategiewechsel vollziehen und auf die bessere Anwendung von Energieeffi zienztechnik in Deutschland und auf dessen weltweite Verbreitung setzen statt mit Milliardensummen einzelne Energieerzeugungstechniken in Deutschland zu subventionieren.

Bereits einen kleinen Teil dieser Gelder umzuwidmen für die Förderung der Anwendung von Energieeffi zienztechnik könnte den Anstieg des Treibhausgasausstoßes viel stärker bremsen.

8

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8.1 Klimapolitische Leitlinien: Eff ektivität und Kosteneffi zienz

Anlass zur Kritik an der Klimapolitik aus Sicht der Wirtschaft bietet nicht das „Ob“ der Klima-politik in Europa, sondern das „Wie“. Die EU – und mit ihr Deutschland inklusive der sechzehn Länder – berücksichtigen nur ungenügend in ihren klimapolitischen Rahmensetzungen die Kri-terien ökologische Eff ektivität und Kosteneffi zienz (siehe Kapitel 4.4 auf Seite 61).

Die Klimapolitik vernachlässigt – erstens – die Gefahr von Produktionsverlagerungen außer-halb der EU aufgrund von Kostennachteilen, die durch die europäische und nationale Klima-politik entstehen. So werden auch Emissionen verlagert und die EU-Klimapolitik wird weniger eff ektiv.

Zweitens lastet sie die externen Kosten des Einsatzes fossiler Brennstoff e höchst unsyste-

matisch den Erzeugern oder Nutzern an. Die Folge ist, dass manche Energiepreise nur einen Bruchteil der externen Eff ekte enthalten, während andere ein Vielfaches der externen Eff ekte ausmachen.

Zudem gibt es in Deutschland neben der Obergrenze für CO2-Emissionen in der Stromerzeugung und Industrie eine Reihe parallel installierter Instrumente mit ähnlichen Zielen:• EEG-Einspeisevergütungen• Strom- und Energiesteuern • KWK-Förderung • Ökodesign-Vorschriften• Unzählige weitere Fördermaßnahmen, Gebote, Verbote und technische Anordnungen von

Bund, Ländern und Gemeinden.• Bürgschaften für die Errichtung von Off shore-Windkraftanlagen

Für dieses Sammelsurium an Instrumenten mit klimapolitischen Etiketten gibt es verschiedene Ursachen. Zum einen dominieren fi skalische Interessen des öff entlichen Sektors gegenüber umweltpolitischen Zielen und umweltökonomischen Erkenntnissen: Einnahmen durch Abgaben auf den Produktionsfaktor Energie sind Politikern angesichts der Defi zite in den öff entlichen Kassen höchst willkommen, da eine höhere Besteuerung des mobilen Produktionsfaktors Ka-pital aus standortpolitischen Gründen ausscheidet und zusätzliche Angaben auf den Produkti-onsfaktor Arbeit aus beschäftigungspolitischen Gründen unvernünftig wären und aus wahltak-tischen Gründen als nicht opportun erscheinen.

Zum anderen erfährt das Thema Klimawandel eine so große öff entliche Aufmerksamkeit, dass Politiker der Versuchung erliegen, durch allerlei Aktivitäten – und seien sie auch noch so inef-fektiv – ihren Wählern zu suggerieren, auch sie kümmerten sich um den Klimaschutz.

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Das durchgängige Handlungsmuster der Klimapolitik in Deutschland und zum Teil auch in Euro-pa ist, dass sie bestimmte Techniken als Beitrag zum angeblichen Klimaschutz identifi zieren

und dann privilegieren: sei es durch Gebote, diese anzuwenden, oder durch viel Geld aus den Taschen von Bürgern und Unternehmen. Eine solche zentrale Planungspolitik widerspricht den Prinzipien einer marktwirtschaftlichen Energiepolitik und verschwendet Geld, das besser effi zi-ent zur Erreichung klimapolitischer Ziele oder anderer wichtiger Ziele einzusetzen ist.

Ineffi zienz ist programmiert, weil billige mit teuren Instrumenten gemischt werden: • Es gibt Ansätze wie die Isolierung insbesondere neuer Gebäude, den Bau effi zienter Gaskraft-

werke oder Solarthermie, bei denen die Vermeidung einer Tonne CO2-Emissionen nichts oder nur ein paar Dutzend Euro kostet.

• Und es gibt andere Instrumente wie die Geothermie, die Verbesserung der Fahrzeugmotoren oder die Photovoltaik, wo die Kosten bei Hunderten Euro pro vermiedener Tonne CO2-Emissi-onen liegen.

Einige der Parallelstrukturen haben ihren Grund darin, dass bestimmte Bereiche durch einzel-ne Instrumente abgedeckt werden, die sich aber nicht auf andere Bereiche ausweiten lassen. Hier wären zumindest eigenständige Instrumente angebracht, nicht aber eine Vielzahl unter-schiedlicher Ansätze für die gleichen Bereiche.

Sinnvoll wäre es, von den vielen technisch möglichen Wegen zur Vermeidung von Treibhausga-sen zunächst die billigeren Wege auszureizen, bevor man zu den teuren übergeht. Dann ließe sich ein gegebenes Umweltziel mit geringeren Kosten erzielen. Bei gegebenen Kosten, die die Gesellschaft zu tolerieren bereit ist, könnte mehr Umweltschutz verwirklicht werden.

Ökonomisch betrachtet geht es stets darum zu fragen: Wie kann aus einem eingesetzten Euro

ein Maximum an Umwelt- oder Klimaschutz herausgeholt werden? Wie ist ein bestimmtes Umweltschutzniveau am kostengünstigsten zu sichern.

Aus dem Gebot der Kosteneffi zienz ist auch abzuleiten, dass die Anzahl der eingesetzten um-

weltpolitischen Instrumente möglichst klein gehalten wird. Ideal wäre, wenn eine Zielset-zung in einem Bereich mit nur einem Instrument erfüllt würde.

Zudem sollten gleiche Umweltschädigungen in verschiedenen Sektoren und Regionen gleich behandelt werden. Das heißt, dass z.B. die Emission einer Tonne Kohlendioxid für die Emitten-ten gleich teuer sein soll – egal ob im Kraftwerk, im LKW-Motor oder in der privaten Ölheizung und egal ob in Europa, Amerika oder Asien.

Aus ökonomischer Perspektive müssen Klimaschutzprojekte dort umgesetzt werden, wo sie ef-fektiv sind und am günstigsten sind – häufi g sind dies gerade die Projekte in China, Indien, Russland und verschiedenen Schwellen- und Entwicklungsländern. Aufgrund des Ausmaßes der

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Emissionen in diesen Ländern, ist ein wirksamer Klimaschutz ohne Anstrengungen auch außer-halb Europas nicht zu erreichen.

All diese Anforderungen könnten realisiert werden, indem der Dschungel an Aufl agen,

Abgaben und Fördersätzen in der europäischen, nationalen und landespolitischen Klima-

schutzpolitik durch ein umfassendes System zur Begrenzung von Treibhausgasemissionen

und zum Handel mit Emissionszertifi katen („cap and trade system“) ersetzt würde. Markt-lichen Verfahren wie dem Zertifi katehandel, der Unternehmen technologieneutrale Anreize setzt, mit günstigsten Mitteln Emissionen zu vermeiden, ist stets der Vorzug gegenüber der selektiven Forderung von Einzelmaßnahmen zu geben (Monopolkommission (2009), S. 57).

Leider wurde in Deutschland genau diese Strategie, dem Ausstoß von Treibhausgasen durch ein Zertifi katesystem einen Preis zu geben und Bürger und Unternehmen entscheiden zu lassen, ob es für sie günstiger ist, CO2-Emissionen zu bezahlen oder in Emissionsvermeidungstechnik zu investieren, nicht durchgehalten (Bardt, Hubertus (2009), S. 43).

8.2 Handlungsbedarf auf globaler Ebene

8.2.1 Weltweite Kooperation hin zu einem weltweiten Kohlenstoff markt

Auch nach dem Scheitern der UN-Konferenz in Kopenhagen ist ein weltweites Klimaschutz-Abkommen mit einem verbindlichen Fahrplan zur Reduktion von Treibhausgasemissionen weiter erforderlich. Weder nationale oder europäische Alleingänge noch Appelle an die übrigen Staaten können es ersetzen. Denn verlässliche Rahmenbedingungen für ein echtes internatio-nales „Level Playing Field“ sind zwingende Voraussetzung, um gravierende Nachteile für Un-ternehmen in Klimaschutz-Vorreiterländern zu verhindern. Die weltweite Konkurrenz zwischen den Unternehmen darf nicht durch unterschiedliche Klimaschutzlasten verzerrt werden.

Das Abkommen muss rechtlich bindende und überprüfbare Emissionsziele für alle Parteien, auch für die Schwellenländer, festlegen und damit u. a. die Grundlage schaff en für einen funk-tionierenden weltweiten Kohlenstoff markt und CO2-Handel. Erst dann ist Kosteneffi zienz im Klimaschutz global zu realisieren.

Das Grundprinzip der Klimarahmenkonvention von 1992 weist nach wie vor den richtigen Weg: Alle Länder haben „gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlichkeiten“ und sollen „ent-sprechend ihren jeweiligen Fähigkeiten“ dazu beitragen, den Treibhausgasausstoß zu vermi-dern. Betrachtet man die kumulierten historischen Emissionen, wird klar, dass die Industrie-länder hauptsächlich für den bislang erfolgten Konzentrationsanstieg verantwortlich sind, d.h. sie stehen in der Verantwortung, bei der Emissionsminderung etc. voranzugehen. Sie können

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ohne die Entwicklungs- und Schwellenländer jedoch wenig ausrichten, da diese inzwischen für mehr als die Hälfte des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sind.

Der Idealfall ist ein weltweit alle Wirtschaftssektoren umfassender Emissionshandel mit einem einheitlichen Marktpreis für die emittierte Tonne Treibhausgas. Die Emittenten würden sich bei der Wahl zwischen der Vermeidung von Emissionen und der Zahlung des Preises für die jeweils billigere Alternative entscheiden. Es wäre sichergestellt, dass effi ziente Vermeidungswege ge-wählt werden und die ineffi zienten außen vor bleiben. Dieser Idealfall ist auf lange Zeit als unrealistisch auszuschließen.

Zumindest in 35 Industrieländern gibt es bereits Emissionshandelssysteme oder ihre Einfüh-rung ist geplant. Im Fall separater CO2-Emissionshandelssysteme ist so lange kein „Level Play-ing Field“ erreicht, wie kein einheitlicher CO2-Marktpreis existiert. Dies gilt auch, wenn sich zentrale Regelungen in den verschiedenen Systemen unterscheiden, etwa wenn in Europa die Zertifi kate versteigert werden, während in einem Nicht-EU-CO2-Handelssystem die Zuteilung kostenfrei erfolgt.

Aus Sicht der der Wirtschaft ist – allen Schwierigkeiten zum Trotz – die Entwicklung eines welt-

weiten Kohlenstoff marktes weiterhin anzustreben. Er schaff t bei einer gerechten Verteilung der Minderungsbeiträge und der Kosten langfristig stabile Rahmenbedingungen – gerade für die Wirtschaft. So würde Berechenbarkeit geschaff en: heutige Investitionen in Low Carbon-Technik würden nicht morgen wieder entwertet. Auch das Ziel der Erforschung und Entwicklung neuer effi zienterer und emissionsärmerer Produktionsverfahren etc. würde so klar defi niert.

Jedoch würde ein weltweiter Kohlenstoff markt in Form eines einheitlichen CO2-Emissionshan-delssystems ökologisch noch keine hinreichende Gewähr zur Erreichung der Klimaschutzziele bieten. Denn dies vermindert nur die Nachfrage nach Kohlenstoff und davon abgeleitet nach CO2-Emissionen. Außen vor bleibt die Angebotsseite für Kohlenstoff . Eine reine Nachfragere-duktion wird ökologisch nicht ausreichend sein, um den Treibhauseff ekt spürbar zu verlangsa-men.

Auch die Kohlenstoff -Angebotsseite ist zu beachten, also das Verhalten der Eigentümer der Kohle-, Gas- und Ölreserven, die Einnahmen aus dem Verkauf fossiler Energieträger erzielen wollen. Nur die Nachfrageseite im Auge zu behalten, wäre zu wenig. Würde die Nachfrage nach fossilen Brennstoff en etwa in OECD-Ländern drastisch gesenkt, wäre zwar ein Preisverfall für Öl und Gas zu erwarten, aber eben nicht eine Reduktion der Förderung fossiler Brennstoff e in Russland und Arabien. Es muss davon ausgegangen werden, dass – sofern keine fundamentalen Änderungen der Produktions- und Konsummuster weltweit eintreten – weiterhin große Mengen an Öl und Gas und Kohle, aus dem Boden geholt und verbrannt werden.

Klimaforscher weisen darauf hin, dass eine zeitliche Verzögerung der Emissionen von Treibh-ausgasen den Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen nur wenig verlangsamen und

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nicht aufhalten könne. Insofern wäre die globale Ausdehnung der EU-Strategie einer staatlich veranlassten Verteuerung fossil erzeugter Energie zwecks Nachfragereduktion nur begrenzt als ökologisch eff ektiv anzusehen.

Um eine höhere ökologische Eff ektivität der Klimaschutzpolitik zu erreichen, ist zu fragen: Was soll mit den in der Erde vorhandenen Restmengen an Erdöl, Erdgas und Kohle geschehen, die für ihre Eigentümer riesige Vermögen darstellen, weil sie zwecks Verbrennung verkauft werden können?

Kann erreicht werden, dass Öl, Gas und Kohle dereinst überwiegend im Boden verbleiben,

so dass sie auch nicht verbrannt werden können? Zumindest solange, bis das Endlagerpro-blem für die jährlich 31,5 Mrd. t CO2 sicher gelöst ist? Können fossile Energieträger anders als zur Verbrennung in der Strom- und Wärmeerzeugung oder im Verkehr genutzt werden? Kann die Geschwindigkeit ihrer Exploration verringert werden, wenn z.B. Kapitalmarkteinkünfte von Ressourceneigentümern in klassischen Kapitalanlageländern wie den Vereinigten Staaten oder der Schweiz einer Quellensteuer unterworfen werden, so dass es weniger Anreize gibt, Vermö-gen in der Bank statt im Boden zu halten (Sinn, Hans-Werner (2008), S. 427 f.)?

Kurz- und mittelfristig sind keine rasch umsetzbaren Antworten auf diese schwierigen Fragen zu erwarten. Man hat davon auszugehen, dass die Staaten mit großen Kohlenstoff vorräten auf-grund ihres fi nanziell und machtpolitisch begründeten Desinteresses an Klimaschutzmaßnah-men weiterhin ungebremst Öl, Gas, und Kohle fördern. Klimaschutzpolitik wird einstweilen auf Regelungen auf der Nachfrageseite begrenzt bleiben müssen.

Im „Copenhagen Accord“ versprechen die beteiligten Industriestaaten, gemeinsam 30 Mrd. US-Dollar für den Zeitraum 2010 bis 2012 und von 2013 bis 2020 jährlich 100 Mrd. US-Dollar für die Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in den Entwicklungsländern bereitzustellen.

Angesichts der langjährigen Erfahrungen mit den Schwierigkeiten, Entwicklungshilfezahlun-gen zweckgerichtet einzusetzen, ist hier größte Skepsis begründet: Finanzielle Unterstützung sollte nur gewährt werden, wenn die Entwicklungsländer verlässliche und überprüfbare Maß-nahmen zur emissionsarmen Entwicklung ergreifen. Daher sind hohe Anforderungen an Mo-nitioring, Reporting und Verifi cation in den Geber- und Empfängerländern zu stellen, um eine effi ziente und eff ektive Klimafi nanzarchitektur zu gewährleisten. Im Zweifelsfall dürfen Gel-der nicht gezahlt werden.

Die zuverlässige Mittelbereitstellung und die Berechenbarkeit der Regelungen sind auch für die Industrie von großer Bedeutung. So kann Deutschland nicht das weltweit schärfste Minde-rungsziel für Treibhausgase haben und gleichzeitig überproportionale Beiträge zur Finanzie-rung des internationalen Klimaschutzes leisten.

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8.2.2 Bessere Bedingungen für Export von Effi zienztechnik schaff en

Trotz der großen, in Kopenhagen erkennbar gewordenen Schwierigkeiten, ein Nachfolgeabkom-men des Kyoto-Protokolls zu vereinbaren, sollte die Klimaschutzpolitik nicht nachlassen, dieses Ziel zu erreichen.

Gleichwohl ist es spätestens seit dem Scheitern von Kopenhagen angebracht, dass die EU und Deutschland ihre bisherigen Klimaschutzstrategien überdenken und ihre Ziele und Instrumente kritisch auf den Prüfstand stellen. Ein „Weiter-so-wie-bisher“ ist unangebracht.

Angesichts der weltweit ungebremst steigenden Treibhausgasemissionen wäre es unverant-wortlich, würden die EU-Staaten weiterhin den Großteil ihrer für den Klimaschutz eingesetzten fi nanziellen und politischen Ressourcen dem Ziel widmen, die Treibhausgasemissionen inner-

halb Europas zu mindern, wo gerade mal 15 Prozent der weltweiten energiebedingten Emissi-onen entstehen.

Die Politik muss sich jetzt auf kurz- und mittelfristig erfolgversprechendere Wege konzentrieren und den Focus auf die Chancen des technischen Forschritts und die – mitunter auch bilateral zu regelnde – weltweite Verbreitung Energie-intelligenter Techniken legen – nicht nur für die Erzeugung und Verteilung von Energie sondern vor allem für die verschiedenen Sektoren der effi zienteren Energienutzung.

Die Klimapolitik sollte einen breiten Strom von Investitionen in Technik in Gang setzen, die dem Treibhauseff ekt entgegen wirkt und sich auch einzelwirtschaftlich rechnet. Die Bedeutung der Wirtschaft und insbesondere der Industrie für den Klimaschutz liegt darin, dass vor allem sie in der Lage ist, diejenigen Techniken und Dienstleistungen zu entwickeln, die für die Techno-logiekooperation und das Ergreifen CO2-armer Strategien weltweit unabdingbar sind.

Deshalb müssen die Investitionsbedingungen international optimal ausgestaltet werden. Politische Stabilität, Rechtssicherheit und moderne Infrastrukturen sind zentrale Voraus-setzungen dafür, dass Unternehmen in Schwellen- und Entwicklungsländern investieren, also privates Kapital mobilisiert wird. Investitionsfreundliche Rahmenbedingungen sind wichtig, damit nicht nur große Unternehmen, sondern auch kleinere Mittelständler ihre Produkte und Dienstleistungen noch stärker weltweit anbieten.

Freier Handel und Liberalisierung gemäß den WTO-Regeln tragen dazu bei, klimapolitische Ziele durch eine raschere Verbreitung technischer Lösungen zu erreichen. Es geht darum, wett-bewerbsverzerrende Subventionen zu beseitigen, neuen “green protectionism“ wie zum Bei-spiel Grenzausgleichssteuern zu vermeiden und tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnis-sen weiter abzubauen. Bilaterale und multilaterale Vertragswerke sollen auf ihre Relevanz für die Verbesserung der Investitionsbedingungen in klimafreundliche Technologien weltweit hin abgeklopft werden.

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Zu den weltweit besten Maßnahmen zur Innovations- und Investitionsförderung für mehr Klima-schutz zählt der bessere Schutz des geistigen Eigentums. Anderenfalls werden Unternehmen, die Technologien zur Erreichung der Klimaschutzziele entwickelt haben und noch wesentlich weiter entwickeln müssen, zurückhaltender in solche Technologien und ihre Umsetzung inves-tieren. Unternehmen müssen für ihr Know-how eine angemessene Gegenleistung erhalten. Die Schwächung des Schutzes des geistigen Eigentums etwa durch die Einführung von Zwangslizen-zen für den Technologietransfer ist strikt abzulehnen, da sie den Unternehmen die Anreize für die Entwicklung innovativer Technologien nehmen würde.

Die Wirtschaft sieht im globalen Klimaschutz nicht nur eine politische Vorgabe, sondern auch gute Wachstumschancen. Innovationen sind die Stärke von „Made in Germany“. Nach Kopenha-gen kommt es umso mehr darauf an, Innovationen zu fördern und möglichst viele Wege zu nut-zen, um moderne klimafreundliche Technologien weltweit zum Einsatz zu bringen. Die deutsche und die hessische Industrie besitzt ein großes Angebot von effi zienten High-Tech-Lösungen auf den Gebieten der Energieeinsparung und der effi zientesten Energieumwandlungstechno-logien.

Gut, dass die Politik mittlerweile die Unternehmen als Partner und Problemlöser in der Um-weltpolitik erkannt hat. Die Finanzierung des Klimaschutzes darf der Industrie dabei keine Mit-tel entziehen, die sie für ihre Innovationen und Investitionen benötigt. Öff entliche Gelder sind so einzusetzen, dass sie in möglichst großem Umfang private Investitionen in klimafreundliche Verfahren und Technologien auslösen.

Märkte für Umwelttechnik wachsen rasant, davon kann der Klimaschutz noch mehr profi tieren. Energieeffi zienz, nachhaltige Wasserwirtschaft, nachhaltige Mobilität, diversifi zierte Energie-erzeugung, Rohstoff - und Materialeffi zienz sowie Abfall- und Kreislaufwirtschaft sind die wich-tigsten Wachstumsmärkte. Eine besonders große absolute Zunahme des Marktvolumens ist bis zum Jahr 2020 bei der Energieeffi zienz zu erwarten.

Auch für den Arbeitsmarkt wird Umwelt- und Klimaschutz immer bedeutender. Der steigende Export von Umweltschutzgütern und insbesondere erneuerbarer Energien und die Zuwächse bei den umweltorientierten Dienstleistungen sind Wachstumstreiber geworden.

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8.3 Handlungsbedarf auf europäischer Ebene

8.3.1 Keine Verschärfung des EU-CO2-Minderungsziels

Auch innerhalb der Klimaschutzpolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten besteht Veränderungs-bedarf, um Klimaschutz sowie Arbeitsplätze und Investitionsanreize in Europa gleichzeitig zu sichern. Probleme in den internationalen Klimaschutzverhandlungen und die Gefahren für die europäische Wirtschaft durch überzogene Klimaschutzregelungen sollte die europäische Politik als Alarmsignale verstehen.

Keineswegs darf es zur Ausweitung klimapolitischer EU-Regelungen kommen ohne gleich-

zeitigen Rückbau nationaler Regelwerke. Eine Einführung einer europäischen CO2-Steuer lehnt die Wirtschaft ab.

Die EU verfügt über ein CO2-Emissionsbegrenzungs- und -handelssystem, das 99 Prozent der Stromerzeugung und fast die Hälfte des gesamten CO2-Ausstoßes der EU erfasst. Wenn die-ses System auf alle Sektoren der europäischen Mitgliedsstaaten ausgedehnt würde, könnten und müssten die meisten anderen klimapolitischen Anreiz- und Belastungssysteme in den Mit-gliedsstaaten entfallen. Allerdings stellt sich das Problem, dass viele dieser nationalen Rege-lungen, etwa die deutsche Mineralölsteuer, vor allem fi skalisch motiviert sind und pro Tonne CO2-Emission eine vielfach höhere Belastung bewirken als das bisherige Emissionshandelssys-tem.

Um Zusatzlasten von Unternehmen und Bürgern zu vermeiden, sollte die Politik in Europa eher auf neue Regelungen verzichten als Doppelregelungen zu verursachen.

Zumal die Pläne und aktuelle politische Diskussionen für die dritte CO2-Emissionshandelspe-riode der EU von 2013 bis 2020 erhebliche Risiken für die Wirtschaft bergen. Die Verknappung der Anzahl der Zertifi kate und die Versteigerung statt der kostenlosen Vergabe an die Industrie riskieren einen gravierenden Kostennachteil im globalen Wettbewerb, weil die Wirtschaft die gestiegenen bzw. völlig neuen Kosten für den Kauf von Zertifi katen nicht auf die Kunden ab-wälzen kann. Die Politik ist aufgerufen, alles zu tun, um die Verlagerung von Produktion und Arbeitsplätzen in Staaten mit geringeren staatlich veranlassten Kosten auf Energie und CO2 (“carbon and job leakage”) zu vermeiden!

Das EU-Ziel, bis 2020 die Treibhausgasemissionen um rund 20 Prozent zu reduzieren, unterstützt die Wirtschaft. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse von Kopenhagen und der unzureichenden Reduktionszusagen etwa der Vereinigten Staaten oder Chinas darf die EU ihr Minderungsziel nicht einseitig verschärfen.

Eine Verschärfung wäre nur dann vertretbar, wenn tatsächlich alle Industrieländer vergleich-bare Ziele setzen und fortgeschrittene Entwicklungs- und Schwellenländer klare Emissionso-

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bergrenzen akzeptieren. Zu Recht hatte der Europäische Rat ein eventuelles EU-Ziel von minus 30 Prozent so konditioniert. Auch das unkonditionierte nationale Minderungsziel in Deutsch-land, die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 40 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990 zu reduzieren, ist weiterhin und erst recht nach Kopenhagen als überzogen abzulehnen.

Eine weitere Verknappung der dem Emissionshandel zugeteilten CO2-Zertifi katemenge würde die Industrie und vor allem energieintensive Branchen massiv belasten gegenüber der globalen Konkurrenz, weil der Preis für CO2-Zertifi kate steil anstiege. In Branchen wie der Kali- und Salzindustrie, die verpfl ichtet sind, Zertifi kate zu halten, aber heute bereits nahe am techni-schen CO2-Vermeidungsmaximum bzw. mit nahezu maximaler Energieausnutzung produziert, bestünde oftmals keine Möglichkeiten mehr, durch Innovationen Emissionen zu verringern.

Eine weitere Gefahr für Unternehmen und Privathaushalte insgesamt in Folge einer Verknap-pung der CO2-Zertifi katemenge entstünde durch einen steigenden Strompreis. Die Preise für CO2-Zertifi kate könnten deutlich über das für 2013 erwartete Niveau von 30 Euro pro Tonne ansteigen, falls das EU-Emissionsreduktionsziel auf minus 30 Prozent angehoben würde.

Das Verhalten wichtiger Verhandlungspartner auf der Klimakonferenz in Kopenhagen hat ge-zeigt, dass einseitige Vorleistungen wie die der EU oder Deutschlands zwar dankend angenom-men werden, aber nicht dazu führen, dass andere nachziehen.

8.3.2 Kostenfreie Zuteilung der CO2-Zertifi kate an Industrie

Ab 2013 wird die Pfl icht, Zertifi kate für CO2-Emissionen zu halten, ausgeweitet. Grundprinzip der künftigen Zuteilung von Zertifi katen soll die Auktion sein. Für Anlagen zur Erzeugung von Strom zum Verkauf an Dritte werden bereits ab 2013 alle Emissionsberechtigungen auktioniert. Für industrielle Produktionsanlagen ist zu Beginn in 2013 die Versteigerung von 20 Prozent der Zertifi kate vorgesehen. Im Jahr 2020 sollen 70 Prozent per Auktion vergeben werden.

Für international im Wettbewerb stehende energieintensive Industrie-Branchen („exposed sectors“) ist eine zu 100 Prozent kostenlose Zuteilung für die gesamte Handelsperiode auf Basis ambitionierter Benchmarks vorgesehen, um Produktionsverlagerungen ins außereuropäische Ausland („carbon leakage“) zu verhindern. Diese „exposed sectors“ sollen anhand quantita-tiver Kriterien zur drohenden Produktionskostenerhöhung durch den Emissionshandel und zur Handelsintensität identifi ziert werden.

Die hessische Wirtschaft erwartet von der deutschen Politik, dass sie auf europäischer Ebene sicher stellt, dass alle im internationalen Wettbewerb stehenden Industriebetriebe ihre Zu-teilungen an Zertifi katen zu 100 Prozent kostenfrei auf der Basis realistischer Benchmarks erhalten. Zumal die Versteigerung anstelle einer kostenlosen Zuteilung selbst keine Minderung von Treibhausgasen bewirkt. Im Gegenteil, sie entzieht den Betroff enen Investitionsmittel für

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die Verbesserung der Anlagen und gefährdet so Investitionen und Innovationen. Im Unter-schied zu den Stromversorgungsunternehmen entstehen in der Industrie keine sog. „windfall profi ts“, weil die im internationalen Wettbewerb stehende Industrie den Zertifi katepreis nicht auf den Produktpreis aufschlagen kann.

Der entsprechende Beschluss der EU-Kommission zeigt, dass die europäische Politik die Prob-lemlage erkannt hat: „Um der Gefahr der Verlagerung von CO2-Emissionen zu begegnen, soll-te die Union (…) 100 Prozent der Menge [an Zertifi katen] (…) kostenlos den Sektoren oder Teilsektoren zuteilen, von denen angenommen wird, dass sie einem erheblichen Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen ausgesetzt sind.“ (EU (2010), Art. 2).

Die Benchmarks müssen sich an realen, technisch und ökonomisch vertretbaren Größenord-nungen orientieren. Sie dürfen sich nicht auf Technologien stützen, die sich noch nicht in ei-ner großtechnischen Anwendung befi nden oder erst zukünftig breit verfügbar sein werden, wie z. B. CCS oder der spezielle Einsatz erneuerbarer Energieträger. Dies ist erforderlich, damit auch tatsächlich der mit der Identifi kation von „exposed sectors“ beabsichtigte Eff ekt der Entlastung von Sektoren, die im internationalen Wettbewerb stehen, erreicht wird.

Auch für den Wärmebedarf für die Anlagen in einem „exposed sector“ ist eine 100 Prozent kos-tenlose Zuteilung auf Basis von Benchmarks vorzusehen, unabhängig davon, ob die Wärme in der Anlage selbst erzeugt wird oder von einer separaten Wärmeerzeugungsanlage, gegebenen-falls auch von einem rechtlich selbständigen Unternehmen, geliefert wird.

8.3.3 Kompensation für Strompreisanstieg wegen Emissionshandel

Der Preis für die CO2-Zertifi kate bzw. ihr Wiederverkaufswert an der EEX ist Bestandteil des Strompreises. Der CO2-Zertifi katepreis kann von den Stromanbietern eingepreist werden, weil die Wettbewerbsintensität in der Stromerzeugung gering ist und die Preiselastizität der Strom-nachfrage ebenfalls niedrig ist. So entstanden bislang die sog. „windfall profi ts“, da die Strom-versorger die Zertifi kate bislang überwiegend kostenfrei erhalten.

Durch die Einschränkung der Gesamtzuteilungsmenge an CO2-Zertifi katen ab dem Jahr 2013 und den daraus resultierenden höheren CO2-Preisen wird dieser Eff ekt zukünftig weiter an Be-deutung gewinnen. Die Erhöhung der CO2-Preise wird sich in einer entsprechenden Erhöhung der Strompreise niederschlagen und muss letztlich auch von den industriellen Verbrauchern getragen werden, die wiederum diese durch die EU verursachten Kosten im globalen Wettbe-werb nicht weitergeben können.

Die EU-Emissionshandelsrichtlinie sieht deshalb zu Recht vor, dass die Mitgliedstaaten den über die Strompreise besonders belasteten Sektoren eine fi nanzielle Kompensation zukom-men lassen können, um sie vor Nachteilen zu schützen. Diese muss mit dem europäischen Bei-

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Motor für Reform

hilferecht in Einklang zu bringen sein. Hierzu will die EU-Kommission bis spätestens Ende 2010 die Umweltbeihilfeleitlinien überarbeiten. Bei der Überarbeitung der Umweltbeihilferichtlinien sollte eine größtmögliche Freiheit für die auf nationaler Ebene zu entwickelnden Kompensati-onssysteme geschaff en werden.

Von der Bundespolitik erwartet die Wirtschaft, bei der Kompensation insgeheim nicht fi ska-

lische Ziele zu verfolgen, sondern einzig den Schutz der Industrie vor Wettbewerbsnachteilen zu gewährleisten.

Die Kompensation sollte auf Basis tatsächlicher Belastungsdaten erfolgen. Zur Berechnung der Kompensationshöhe sollte das Produkt aus den stromquellenscharfen CO2-Faktoren, dem durchschnittlichen CO2-Preis des betrachteten Zeitraums, dem für den Prozess zugeordneten Strombenchmark (Strommenge pro Produkteinheit) und der Produktionsmenge in dem betrach-teten Zeitraum herangezogen werden. Bei Strombeschaff ung auf dem Großhandelsmarkt soll-te der preissetzende CO2-Faktor des jeweils relevanten Markteinfl ussgebiets zugrunde gelegt werden.

Auch dezentrale Industriekraftwerke müssen eine Strompreiskompensation erhalten, die den Strom für den Eigenbedarf erzeugen und ansonsten die im Zuge des Emissionshandels entste-henden Mehrkosten zu schultern hätten.

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8.4 Handlungsbedarf auf nationaler Ebene

Wie zu Beginn dieses Kapitels 8 und ausführlich im Kapitel 6 ab Seite 87 erläutert ist der Ener-giepolitik auf Bundes- und Landesebene auch klimapolitisch, nicht nur zur Senkung der Kos-ten und Ausgaben für Energie, zu empfehlen, ihr Augenmerk stärker auf die effi ziente Nutzung von Energie hierzulande und weltweit zu richten statt auf die Subventionierung bestimmter Energieerzeugungstechniken in Deutschland. Diese Strategie sorgt für mehr Kosteneffi zienz in der Klimapolitik. Die Bundespolitik scheint mit dem Energiekonzept dieser Erkenntnis in Teilen folgen zu wollen.

Die im Jahr 2009 aktualisierte Studie „Kosten und Potenziale der Vermeidung von Treibhausga-semissionen in Deutschland“ von McKinsey & Company im Auftrag von BDI-initiativ ‚Wirtschaft für Klimaschutz’ bietet eine umfassende Analyse von Kosten und Potenzialen aller wesentlichen technischen Hebel zur Vermeidung von Treibhausgasen in Deutschland.

Für die Bewertung wurden über 300 klimaschonende Technologien von A bis Z unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Die Treibhausgasemissionen können in Deutschland bis 2020 gegen-über dem Basisjahr um 26 Prozent gesenkt werden, wenn alle bekannten Vermeidungshebel mit durchschnittlichen Kosten aus Entscheidersicht von bis zu 20 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent umgesetzt werden. Eine Reduktion um 31 Prozent bis 2020 wird erreichbar, wenn – unter Bei-behaltung des Kernenergieausstiegs (!) – zusätzlich der Anteil der erneuerbaren Energien am Energieträgermix erhöht wird; dies führt zu deutlich höheren durchschnittlichen Vermeidungs-kosten zwischen 32 und 175 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent (32 Euro: Stromerzeugung aus Er-neuerbaren; 175 Euro: Biokraftstoff e) (BDI/McKinsey (2009)).

Tabelle 21: Umrechnung der Energieeinheiten PJ, TWh und SKE

PJ TWh Mio. t SKE

1 Petajoule (PJ) 1 0,2778 0,0341

1 Terawattstunde (TWh) 3,6 1 0,123

1 Mio. t Steinkohleeinheit (SKE) 29,308 8,14 1

1 Joule (J) = 1 Newtonmeter (Nm) = 1 Wattsekunde (Ws)

3,6 Megajoule = 3,6 Mio. Joule = 3.600 kJ = 1 kWh

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Motor für Reform

Tabelle 22: Größen und Einheiten in der Energieversorgung

GrößeEinheiten-name

Einheiten-zeichen

Elektrizität

Elektrische Ladung Coulomb 1 C = As

Elektrische Stromstärke Ampere A

Elektrische Spannung Volt V

Arbeit, Energie Joule J

Leistung, Wirkleistung Watt W

Wärme und Wärmeübertragung

Thermodynamische Temperatur Kelvin K

Celsius-Temperatur Grad Celsius °C

Wärmemenge Joule J

Licht

Lichtstärke Candela cd

Lichtstrom Lumen lm

Lichtausbeute Lumen je Watt lm/W

Mechanik

Masse, Gewicht Kilogramm kg

Kraft Newton N

Kraftmoment, Drehmoment Newtonmeter Nm

Arbeit, Energie Joule J

Leistung Watt W

Kilo (k) 10 3 1 MWh = 1.000 kWhMega (M) 10 6 1 GWh = 1 Mio. kWhGiga (G) 10 9 1 TWh = 1 Mrd. kWhTera (T) 10 12

Peta (P) 10 15

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Primärenergieverbrauch sinkt und gesamtwirtschaftliche Energie- und Stromproduktivitäten wachsen seit 1990 in Deutschland 17Tabelle 2: Primärenergieverbrauch nach Energieträgern in Deutschland 2009 18Tabelle 3: Gewinnung von Primärenergie im Inland 19Tabelle 4: Energiefl uss in Deutschland 2008 und 2009 20Tabelle 5: Endenergieverbrauch nach Energieträgern und nach Verbrauchssektoren in Deutschland 2009 22Tabelle 6: Vier Verbrauchssektoren und ihr Anteil am Endenergieverbrauch 23Tabelle 7: Fünf Anwendungsarten und ihr Anteil am Endenergieverbrauch 23Tabelle 8: Anteile der vier Verbrauchssektoren und der fünf Anwendungsarten am Primärenergieverbrauch 25Tabelle 9: Bruttostromerzeugung in Deutschland 2009 26Tabelle 10: Anlagen zur Stromerzeugung in Deutschland 2008 27Tabelle 11: Strombilanz der Elektrizitätsversorgung in Deutschland 2009 30Tabelle 12: Endenergie aus erneuerbaren Energien nach Energieträgern und Anwendungsarten in Deutschland in 2009 33Tabelle 13: Energiekosten der Industrie in Deutschland 1997 – 2007 35Tabelle 14: Energiekosten energieintensiver Industrien in Deutschland 36Tabelle 15: Energieausgaben der Privathaushalte in Deutschland 1996 – 2008 37Tabelle 16: Strom: 46 Prozent für staatlich bedingte Lasten – Monatliche Stromrechnung eines privaten Durchschnittshaushalts in Euro 42Tabelle 17: Energiebedingte jährliche CO2-Emissionen weltweit 48Tabelle 18: Ziele des Energiekonzepts der Bundesregierung 53Tabelle 19: Diff erenzkosten Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland 120Tabelle 20: CO2-Vermeidungskosten in der Stormerzeugung 123Tabelle 21: Umrechnung der Energieeinheiten PJ, TWh und SKE 141Tabelle 22: Größen und Einheiten in der Energieversorgung 142

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Endenergieverbrauch nach Energieträgern in Deutschland 2009 21Abbildung 2: Volllaststunden pro Jahr nach Kraftwerkstyp in Deutschland 28Abbildung 3: Endenergie aus erneuerbaren Energien in Deutschland in 2009 32Abbildung 4: Ausgaben der Privathaushalte für Energie in Deutschland zwischen 1996 und 2008 38Abbildung 5: Staatlich bedingte Verteuerung von Strom in Deutschland: Verzehnfachung von 1998 bis 2010 auf über 22 Mrd. Euro 39Abbildung 6: Industriestrompreise in Deutschland mit am teuersten in der EU 41Abbildung 7: Erdgas-Importpreise nach Deutschland steigen 43Abbildung 8: Erdgaspreise für Industrieunternehmen in Europa 44Abbildung 9: Weltweite energiebedingte CO2-Emissionen im Jahr 2008 47Abbildung 10: Emissionen in Deutschland nach Treibhausgas und Quellgruppe 49

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